Geschichte und politische Theorie

Frisch gekämpft ist halb gewonnen!

Moritz Bauer

Am 23. April jährte sich der erfolgreiche Generalstreik in Irland gegen die Wehrpflicht zum hundertsten Mal. Historisch reihen sich die Proteste in eine Reihe von Anti-Kriegs-Bewegungen weltweit ein, darunter die Russischen Revolution. Unmut wegen Krieg, Verfall des Lebensstandards, stark gestiegener Lebensmittelpreise, sinkender Löhne und der britischen Unterdrückung führte zur Positionierung der sozialdemokratischen Labour Party und der wachsenden Gewerkschaft gegen die Wehrpflicht.

Als die Wehrpflicht Anfang April ausgeweitet werden sollte, fanden Demonstrationen im Norden Irlands statt, 30.000 protestierten in Belfast. Auch in anderen Landesteilen beschlossen 1.500 VertreterInnen der ArbeiterInnen einen Generalstreik, der am 23. April 1918 in Cork 30.000 Menschen sowie 10.000 in Limerick auf die Straße brachte und die britische Bourgeoisie dazu zwang, ihre Pläne fallen zu lassen.

Die Labour Party aber schloss kurz davor ein Bündnis mit Teilen der Gewerkschaft, den Herrschenden Irlands und der katholischen Kirche sowie dem irisch-nationalistischen Flügel. Sie blockierten damit einen geeinten Streik der irischen ArbeiterInnenklasse. Die Periode von 1916 bis 1923 war immer wieder geprägt von revolutionären Situationen. Doch die Positionierung „Labour must wait“, die die Interessen der ArbeiterInnenklasse jenen der nationalen Befreiung auf kapitalistischer Grundlage unterordnete, ließ die Chance ungenutzt. Ein unabhängiges, sozialistisches Programm hätte die irische Geschichte ändern können.

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Sozialistische Antworten auf die Krise – 10 Jahre nach Krisenbeginn die Neuauflage

Die Wirtschaftskrise 2007 war ein Schock. Und obwohl sie nun schon lange her ist, spüren wir ihre Nachwirkungen nach wie vor. Damals haben wir erstmals unsere Broschüre „Sozialistische Antworten auf die Krise“ herausgegeben. Tatsächlich ist die Krise eigentlich bis jetzt nicht wirklich vorüber, weil die Erholungen seither auf Sand gebaut sind. Es wird immer klarer, dass der Kapitalismus und mit ihm die ArbeiterInnenklasse in eine brutale neue Ära eingetreten ist. Doch eigentlich ist es korrekter zu sagen, dass wir in der kapitalistischen Normalität angekommen sind. Der Nachkriegsaufschwung war – insbesondere auch vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz – eine Sonderperiode mit wachsendem Lebensstandard für die ArbeiterInnenklasse. Der Rückbau der Sozialstaaten, sinkender Lebensstandard und zunehmende Unsicherheit: das ist der ganz normale Kapitalismus. Die Herrschenden haben viel versucht, um gegenzusteuern. Doch kaum wer hat das Gefühl, hoffnungsvoll in eine bessere Zukunft blicken zu können. Sozialistische Antworten sind daher genauso wichtig wie vor zehn Jahren – daher legen wir diese Broschüre in einer aktualisierten und vollständig überarbeiteten Form neu auf. Wir schreiben über die kapitalistischen Widersprüche, die zu Krisen führen und über verschiedene Lösungsansätze von Arbeitszeitfragen, über Standortlogik, Teile-und-Herrsche-Politik, Keynesianismus und AussteigerInnenmodelle. Im Streik-1x1 und unserem Konzept der demokratisch geplanten Wirtschaft zeigen wir Kampfmöglichkeiten und Alternativen auf.

 

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200 Jahre Marx

Warum seine Ideen heute aktueller denn je sind
Sebastian Kugler

Ausgerechnet Jean Claude Juncker. Der EU-Kommissionspräsident, dessen Kürzungsdiktat Millionen in Armut gestürzt hat, hält die Eröffnungsrede zu den Marx– Feierlichkeiten in Trier. Bereits vor 100 Jahren schrieb Lenin, dass große RevolutionärInnen zu Lebzeiten verfolgt werden, nur um nach ihrem Tod heiliggesprochen zu werden – „wobei man ihre revolutionäre Lehre des Inhalts beraubt“. Die Versuche, Marx heute „totzuumarmen“ zeigen jedoch vor allem eines: dass er noch nicht tot ist.

Marx revolutionierte das Denken seiner Zeit. Er erkannte, dass die Art, wie eine Gesellschaft produziert und sich reproduziert, grundlegend dafür ist, wie diese Gesellschaft aussieht und welche Ideen in ihr aufkommen. Seit der „neolithischen Revolution“ (ein Begriff des marxistischen Archäologen Gordon Childe) in der Eisenzeit produzieren Gesellschaften mehr, als sie unmittelbar zum Überleben brauchen. Das ermöglichte wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt, aber auch die Bildung gesellschaftlicher Klassen. Von nun an ließen die einen die anderen für sich arbeiten. In welcher Form diese Ausbeutung stattfand, hing immer vom Stand und der Art des technischen Wissens ab: „Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten.“

Vor allem seit der Krise 2008 findet Marx‘ Analyse des Kapitalismus immer mehr Beachtung. In diesem System wird produziert, um zu verkaufen. Das liegt daran, dass die BesitzerInnen der Unternehmen, die KapitalistInnen, Profit machen müssen. Sie konkurrieren untereinander. Wer nicht genug Profit macht, um seine Produktion immer mehr auszuweiten, wird vom Markt gedrängt. Wir, die ArbeiterInnenklasse, müssen unsere Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit den KapitalistInnen verkaufen. In dieser Zeit schaffen wir jedoch mehr, als unsere Arbeitskraft wert ist. Diesen „Mehrwert“ machen die KapitalistInnen zu Profit. Das heißt aber auch: Wir können niemals alles kaufen, was produziert wird. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die KapitalistInnen immer schneller und billiger produzieren. Sie ersetzen deswegen menschliche durch maschinelle Arbeitskraft. Damit untergraben aber die KapitalistInnen die Quelle ihrer Profite. In den einzelnen Waren steckt weniger menschliche Arbeit und deswegen weniger Mehrwert. Sinken die Profitraten, lohnen sich Investitionen nicht mehr. Ob durch Überproduktion, Blasen oder zu geringe Profite ausgelöst – der Kapitalismus muss immer wieder zu zerstörerischen Krisen führen. Für die KapitalistInnen bringen diese Krisen das System und seine Teile wieder in eine Art Gleichgewicht, von der das Ganze wieder von vorne losgehen kann. Für uns bedeuten diese Krisen jedoch Armut, Arbeitslosigkeit und die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen.

Schon im „Manifest der kommunistischen Partei“ beschreiben Marx und Engels, wie die KapitalistInnen auf der Jagd nach Profiten alles zur Ware machen müssen. Heute sehen wir, wie die Profitwirtschaft in unsere intimsten und persönlichsten Beziehungen einsickert. Marx zeigte auch auf, wie dieses System den „Stoffwechsel“ zwischen Mensch und Umwelt zerstört. Er erkannte, dass es im Kapitalismus keinen wirtschaftlichen Fortschritt ohne Zerstörung menschlicher und natürlicher Beziehungen gibt. Die gewaltigen Produktivkräfte, die der Kapitalismus auf seiner Jagd nach Profiten geschaffen hat, sind schon längst zu Destruktivkräften geworden. Dieses System nutzt etwa Drohnentechnologie, nicht um das Leben zu erleichtern, sondern um möglichst gezielt zu töten. Mit dem heutigen Wissen könnte der Mangel abgeschafft und die Klassengesellschaft überwunden werden. Doch dafür muss die herrschende Klasse gestürzt werden.

Marx war nicht nur Beobachter, sondern aktiver Teilnehmer des Klassenkampfes der ArbeiterInnenklasse gegen Kapital und Adel. Schon mit 26 Jahren wurde er auf Befehl des preußischen Staates wegen seiner politischen Aktivität ausgewiesen. Das hinderte ihn nicht, an den revolutionären Ereignissen 1848 teilzunehmen, auch in Wien. Den Rest seines Lebens lebte er als Staatenloser im Exil. Marx war kein Einzelkämpfer – schon in frühen Jahren gewann er lebenslange MitstreiterInnen, ohne die sein Werk undenkbar wäre. Zwei stechen heraus: Seine Frau Jenny Marx, die selbst sozialistische Aktivistin wurde und sein kongenialer Partner Friedrich Engels.

1864 war er Mitbegründer der „Internationalen Arbeiter-Assoziation“, der ersten internationalen politischen Kampforganisation der ArbeiterInnenklasse. Obwohl sich sein Gesundheitszustand ab den 1860ern zunehmend verschlechterte, beteiligte er sich soweit es ihm möglich war, am Aufbau und an den Debatten der ArbeiterInnenbewegung. Für die politisch „Indifferenten“, die den Klassenkampf nur von der Seite kommentieren, hatte er nur Spott übrig.

Sartre schreibt: „Der Marxismus bleibt die Philosophie unserer Epoche: Er hat sich noch nicht überlebt, weil die Zeitumstände, die ihn hervorgebracht haben, noch nicht überlebt sind“. Digitalisierung, Klimawandel, Wirtschaftskrise und globale Rekord-Ungleichheit geben ihm Recht. Mehr denn je ist es heute wichtig, Marx‘ Ideen kennenzulernen und sich zu organisieren, um „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

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Kein Nebenwiderspuch – Frauenunterdrückung jetzt bekämpfen!

Monika Jank

Die Frauen der 1968er-Bewegung sahen ihre Forderungen nach Frauenrechten teilweise durch den gut gemeinten, bevormundenden Ton linker Massenparteien, aber auch kleiner „revolutionärer Gruppen“ beantwortet. Die theoretische Auseinandersetzung zur Unterdrückung der Frauen wurde nicht in die Praxis übertragen. Immer noch galt, was Clara Zetkin in ihrer Rede im Jahr 1900 in Mainz auf der sozialdemokratischen Reichs-Frauenkonferenz ausgeführt hatte: "In der Theorie sind die Genossinnen schon gleichberechtigt, in der Praxis aber hängt der Philisterzopf den männlichen Genossen noch ebenso im Nacken wie dem ersten besten Spießbürger". Damit betont sie, dass Sexismus genauso innerhalb der ArbeiterInnenklasse bekämpft werden muss. Auch die 68er Linken waren in einer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft geprägt worden und hatten Sexismus verinnerlicht.

Die maoistischen bzw. stalinistischen Gruppen hatten zudem ein mechanisches Verständnis vom Marxismus. Das erste und wichtigste Ziel sei es, den „Hauptwiderspruch“, den die Gegenüberstellung von Proletariat und Bourgeoisie bildeten, zu lösen. Daneben ergaben sich eine Reihe von „Nebenwidersprüchen“, wo die Frauenbefreiung einen darstellte. Sie sahen zwar, dass beide sich in Abhängigkeit von einander bestimmten, doch sahen sie eine Rangordnung. Erst wenn der Hauptwiderspruch gelöst sei, könne man sich den anderen zu wenden. Beziehungsweise geschehe dies dann von selbst.

Dadurch ignorierten sie die enorme Dynamik, die gerade die Proteste von Frauen in revolutionären Protesten hatten: kaum eine Revolution, wo die Frauen nicht am Beginn und an der Spitze gestanden hatten. Und sie wollten – zu Recht – nicht auf später vertröstet werden.

Marx und Engels sprachen nie von Haupt- und Nebenwiderspruch. Engels legte in seinem 1884 veröffentlichten Buch „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ die dialektische Verbindung der Entstehung von Klassengesellschaften und Unterdrückung von Frauen dar. Er betonte, dass das eine nicht ohne das andere überwunden werden kann, leitete daraus aber nicht ab, dass die Frauen auf „nach der Revolution“ warten sollten. Auch die Auffassung, dass sich sexistische Diskriminierung in einem modernen Kapitalismus oder auch nach einer Revolution von selbst löst, ist ein Fehlglaube. Die verschiedenen Unterdrückungsmechanismen stehen in einer dialektischen Verbindung, es gibt keinen Kapitalismus ohne Frauenunterdrückung. Doch eben weil wir im Kapitalismus geprägt worden sind, braucht es auch nach einer Revolution bewusste Schritte für Frauenrechte.

Auf Grund des oft sexistischen Verhaltens und der Theorie von Haupt- und Nebenwidersprüchen hat sich in der 68er-Bewegung die autonome Frauenbewegung von den sozialistischen Organisationen getrennt. Die falsche Politik von Teilen der „revolutionären Linken“ hatte das revolutionäre Potential langfristig geschwächt. August Bebel schreibt in „Die Frau und der Sozialismus“ 1879: „Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.“ Ein geeinter Kampf der ArbeiterInnenbewegung, von Frauen und Männern, ist dafür am effektivsten, denn der Kampf für die Frauenbefreiung ist in seiner Wurzel Teil des Klassenkampfes.

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Die revolutionäre Welle 1968

Die 1960er und 1970er Jahre haben die Welt längerfristig – aber nicht dauerhaft - erschüttert.
Tilman M. Ruster

1968, das war eine „revolutionäre Welle“! Wie schon nach der französischen Revolution 1789, dem Jahr 1848, der Russischen Revolution 1917 oder zuletzt dem „arabischen Frühling“ 2011 erfasste sie nicht nur einzelne Länder, sondern breitete sich international aus. Die Proteste nahmen aufeinander Bezug und heizten sich gegenseitig an. Es entstand ein Bewusstsein für Internationalismus abseits der oft hohlen Phrasen von Stalinismus und Sozialdemokratie. Es entstand, trotz erheblicher politischer und wirtschaftlicher Unterschiede in verschiedenen Ländern, aus einer gemeinsamen Erfahrung: Die Versprechen der Herrschenden für eine bessere Zukunft, die Behauptung beider Seiten im Kalten Krieg, das bessere, menschenfreundlichere System zu sein, wurden immer unglaubwürdiger.
Der industrialisierte „Westen“ erlebte nach 1945 einen gigantischen wirtschaftlichen Boom. Auch wenn die KapitalistInnen nicht freiwillig teilten: starke Gewerkschaften hatten (auch vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz zu den stalinistischen Staaten) auch für die ArbeiterInnen den höchsten Lebensstandard der Geschichte erkämpft. Dieser Boom geriet Ende der 60er Jahre ins Stocken. Zwar war das noch nicht die internationale Wirtschaftskrise, die mit Anfang der 1970er Jahre einsetzte, aber erstmals seit Jahren nahmen wieder Massenentlassungen, Fabriksschließungen und Lohnverluste zu. Es wurde deutlich, dass der Kapitalismus nicht automatisch zu einer ständigen Verbesserung des Lebens führen würde.

Verbunden mit dem bis dahin gewachsenen Wohlstand gab es erheblichen technischen und für viele leistbaren Fortschritt. Fernseher, Waschmaschinen und die Verbreitung von Kommunikationsmitteln wie dem Telefon fanden sich in vielen Haushalten. Aber der Fortschritt stieß auf oft völlig verkrustete Strukturen. Die herangewachsene Nachkriegsgeneration, die mit eigenem (Taschen)Geld, mit dem ersten Moped usw. eine kleine, neue Freiheit kennenlernte und eine neue Jugendkultur unabhängig von den Erwachsenen hervorbrachte (zuerst die Beatles, dann die Rolling Stones...) hatte es in Familie, Ausbildung und Beruf oft mit absurd reaktionären Zuständen zu tun. Der Konservatismus passte so überhaupt nicht mehr zu ihrem Lebensstil und dem Bild vom modernen Kapitalismus.

Der Faschismus war besiegt, aber alte FaschistInnen beherrschten das Establishment. Der Krieg war gewonnen, aber alte Generäle wie De Gaulle oder Eisenhower regierten immer noch. Frauen drängten ins Berufsleben und erlangten langsam finanzielle Unabhängigkeit, aber um zu arbeiten brauchten sie die Erlaubnis ihres Vaters oder Ehemannes. Stalin war tot, aber die Sowjetunion und ihre Satelliten-Staaten liberalisierten sich kaum. Die Pille war verfügbar, aber Sex ein riesiges Tabu. Die Sklaverei war längst abgeschafft, aber AfroamerikanerInnen wurden im Süden der USA gelyncht...

Widersprüche wie diese blieben ungelöst und die Herrschenden machten keine Anstalten, das zu ändern. Und ausgehend von diesen, ständig erlebten Widersprüchen gingen Jugendliche und in manchen Ländern auch ArbeiterInnen weiter und stießen auf den Grundwiderspruch: Den zwischen Kapital und Arbeit, den zwischen ArbeiterInnenklasse und Bourgeoisie oder im Osten zwischen verkündetem Sozialismus und Realität.
Der Kalte Krieg trieb die Widersprüche auf die Spitze. Beide Seiten behaupteten, das nicht nur wirtschaftlich überlegene System zu sein, sondern auch das moralisch bessere. Dabei stand die Praxis in Ost und West im Widerspruch zur Propaganda: Die Tet-Offensive in Vietnam machte nicht nur die sich anbahnende Niederlage des US-Imperialismus deutlich, sondern lenkte die Aufmerksamkeit auf US-Kriegsverbrechen und die Lügen der Regierung über den Konflikt. Die harte Reaktion der Sowjetunion auf die zarten Demokratisierungen durch die Führung der CSSR, die später den Prager Frühling auslöste, machte Hoffnungen auf die Reformierbarkeit der stalinistischen Systeme kaputt. Die brutale Repression gegen Studierende in Frankreich, den USA oder Deutschland zeigte die engen Grenzen der westlichen „Demokratien“.

1968 brachte die Explosion dieser Entwicklungen mindestens der vorhergegangenen zehn Jahre. Schon lange gab es in den USA eine Bürgerrechtsbewegung, die kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens waren schon lange stark und die anti-kolonialen Befreiungsbewegungen hatten schon so manchen Aufstand gewagt. Aber die Gleichzeitigkeit dieser Prozesse in so vielen Ländern brachte 1968 eine völlig neue Dynamik.
Internationalismus war dabei vor Allem ein Gefühl, viel zu oft blieb er leider abstrakt: Wenn Studierende im Westen mit der Mao-Bibel winkten, hatten sie wohl kaum eine Vorstellung von den brutalen Auswirkungen der Kulturrevolution. Zwar kämpften die Linken gegen Unterdrückung, verhielten sich aber eher zurückhaltend, als sowjetische Panzer den Prager Frühling niederwalzten. In den USA prägten nordvietnamesische Fahnen die Friedensdemonstrationen, aber die Niederschlagung der Aufstände im Nachbarland Mexiko blieben fast unbeachtet. Am stärksten war die tatsächliche Solidarität innerhalb der Länder, die eine vergleichbare Lebenssituation aufwiesen. (Neo-) Koloniale Aufstände, Bewegungen gegen Stalinismus und westliche „Generationenkonflikte“ tauschten sich vor Allem untereinander aus.

Die Herrschenden weltweit waren in Todesangst um ihr System und versuchten, den Protesten mit einer Mischung aus Repression und Zugeständnissen Herr zu werden. In Deutschland z.B. haben sowohl Notstandsgesetze und Rasterfahndung als auch die Sozialreformen der Brandt-Ära ihren Ursprung 1968. In den USA wurden Hoffnungsträger wie Martin Luther King Jr. oder auch Robert Kennedy und zahlreiche DemonstrantInnen ermordet, aber auch der „Civil Rights Act“ verabschiedet und einige Rechte der Schwarzen mit Hilfe der Armee im Süden durchgesetzt. Und selbst in der Tschechoslowakei folgte auf die sowjetischen Panzer eine gewisse Liberalisierung. Dass sie mit ihren repressiven Maßnahmen überhaupt durchkamen, liegt in den Fehlern der Linken, wie z.B. der RAF oder der Brigate Rosse, die die Abkürzung des individuellen Terrors gingen und glaubten, stellvertretend für die ArbeiterInnenklasse den Kampf führen zu können.

Die organisierte Linke war in den meisten Ländern zu schwach oder zu eng mit dem Stalinismus verbandelt, um die Bewegungen mit effektivem Programm und Methoden zu rüsten. Es fehlte eine internationale Organisation, die die Kämpfe wirklich miteinander hätte verbinden können. Der Kapitalismus überlebte, weil die ArbeiterInnenbewegung keine starke Führung hatte. Doch ein Teil der revolutionären Studierenden zog auch die Schlüsse und versuchte in den kommenden Jahrzehnten den Kampf um die ArbeiterInnenschaft gegen die Führung von Sozialdemokratie und Stalinismus zu führen.

1968 endete nicht mit dem 31.12.. Die angestoßenen Kämpfe hielten an. Wer die Erfahrung des massenhaften, oft revolutionären Widerstands gemacht hatte war nicht mehr bereit, sich mit alten Autoritäten abzufinden, auch wenn die großen Proteste irgendwann abflauten und es immer mehr um „individuelle Befreiung“ ging, wie es die Hippie-Bewegung versuchte. Viele gesellschaftliche Veränderungen, wie die sexuelle Befreiung oder Bildungsreformen setzten sich in den 1970er Jahren durch und halten bis heute an. Was heute aber auch noch bleibt, ist der Mythos '68, die Idee von Rebellion und zivilem Ungehorsam. '68 ist für viele gleichbedeutend mit sozialem und gesellschaftlichem Fortschritt.

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Zahlen und Fakten rund um 1968

28.3.63            250.000 beim „Marsch für Arbeit und Freiheit“ auf Washington D.C., Martin Luther King sagt „I have a dream“
2.6.67  Benno Ohnesorg wird bei Protesten gegen den Besuch des Schahs in West-Berlin von der Polizei ermordet
4.1.68 Vor dem Hintergrund von Protesten wird der Reformer Dubček 1. Sekretär der Kommunistische Partei der Slowakei und leitet einen Führungswechsel ein. In der folgenden Dynamik werden Millionen aktiv, um für echten Sozialismus zu kämpfen
31.1.68            Die Vietnamesische Befreiungsarmee leitet die “Tet-Offensive” ein, die Kämpfe gehen bis vor die US-Botschaft in Saigon
14.2.68            Studierende in Nanterre/Frankreich besetzen ihre Uni aus Protest gegen Zivilpolizei am Campus, es folgen Besetzungen und Proteste im ganzen Land
4.4.68 Martin Luther King wird von einem Rechtsextremen ermordet. Bei den folgenden Unruhen in den ganzen USA werden 46 AfroamerikanerInnen erschossen
11.4.68            Der deutsche Rudi Dutschke (SDS) wird von einem Rechten angeschossen. Es folgen heftige Ausschreitungen vor dem Springer-Verlagshaus in Berlin
6.5.68 Die Proteste in Frankreich erreichen mit einer Massendemo in Paris einen ersten Höhepunkt. Polizei-Repression löst eine Solidarisierungswelle aus. Ab 13.5. ruft die KP-nahe Gewerkschaft CGT zum Generalstreik auf, Hunderttausende beteiligen sich
19.6.68            Über 50.000 demonstrieren in Washington für “Jobs, Peace and Freedom”
20.8.68            200.000 Soldaten des Warschauer Pakts marschieren in der CSSR ein und schlagen den “Prager Frühling” nieder
2.10.68            200-300 Studierende in Tlatelolco/Mexiko werden bei einer Massendemo gegen das Regime erschossen
6.6.71  Im „Stern“ erklären 374 Frauen (illegal) abgetrieben zu haben. Es folgen Demonstrationen für die Legalisierung - ein Höhepunkt der deutschen Frauenbewegung
15.10.73          Eine Massenbewegung in Thailand stürzt die Diktatur. Es folgen monatelange Proteste für soziale Verbesserungen
1.5.74  Nach einem von der Bevölkerung unterstützten militärischem Aufstand gegen die Diktatur in Portugal sind es KommunistInnen und GewerkschafterInnen, die die Massen auf den Straßen anführen. Eine sozialistische Revolution ist zum Greifen nah!

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1968: Weit mehr als sexuelle Revolution

Schwarz-Blau & Co. blasen zum Generalangriff auf die Errungenschaften der 68er-Bewegung
Nicolas Prettner

Der neue Innenminister Herbert Kickl verkündete, dass die neue Regierung der „offensive Gegenentwurf zur 68er Generation“ sei und der FPÖ-Klubdirektor sprach davon, die „Hegemonie der 68er“ zu beenden. Konservative Werte und „die Familie“ sollen gefördert und die Ideen der sexuellen Revolution und Frauenbewegung von 1968 bekämpft werden.

Doch was geschah 1968 eigentlich wirklich? In der Zeit rund um 1968 gab es weltweit eine Vielzahl an Bewegungen, die eine große Bandbreite an Themen abdeckten. Von nationalen Befreiungsbewegungen (Vietnam), über Bürgerrechte (USA), Kampf gegen Diktaturen (Portugal, Griechenland), Antifaschismus (Deutschland), Frauenrechte und riesige Streikbewegungen (Frankreich) war alles dabei. Auch Österreich wurde mitgerissen.

Sowohl von konservativer, als auch von liberaler Seite wird die 68er-Bewegung oft auf ihren sexualpolitischen Aspekt reduziert. Es ist nicht zu leugnen, dass in dieser Periode geschlechterpolitisch viel erreicht wurde bzw. der Grundstein für spätere Verbesserungen, wie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch 1975, gelegt wurde. 1961 kam die Anti-Baby-Pille in Österreich auf den Markt und legte die Basis auch für Schritte in Richtung sexueller Befreiung. Doch die Frauenbewegung entstand nicht im luftleeren Raum. Im Rahmen des Nachkriegsaufschwunges waren immer mehr Frauen berufstätig. Das erhöhte Selbstbewusstsein und Kampfbereitschaft. Die Familienrechtsreform der 1970er Jahre stellte erstmals eine rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern in der Ehe her. Es ging auch um ein anderes Menschenbild. Weg vom Zwang und Züchtigung, hin zu Erklären, Helfen und Unterstützen. Die bürgerliche Geschichtsschreibung sieht in diesen Verbesserungen gern die Korrektur der letzten Fehler des Kapitalismus, die zu einer Vollendung dieses Systems führte. Doch die noch heute vorherrschende Frauenunterdrückung und die zunehmenden Versuche, das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen strafen sie Lügen.

Aber die Revolte von 68 war auch in Österreich weit mehr als eine rein sexualpolitische Bewegung. Die Zeit nach Ende des 2. Weltkrieges war auch eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Gerade auch in Österreich hatten die ArbeiterInnen das Wirtschaftswachstum mit harten Entbehrungen und niedrigen Reallöhnen über viele Jahre erst möglich gemacht. Sie wollten endlich ihr Stück vom Kuchen abhaben. So kam es auch gerade in den 1960er und 70er Jahren zu zahlreichen betrieblichen Auseinandersetzungen. 1965 sollte die ehemalige Waggon- und spätere Flugzeugfabrik Raxwerk in Wiener Neustadt mit Zustimmung der Gewerkschaft privatisiert werden. Die Belegschaft sprach sich in einer Abstimmung klar gegen die Privatisierung aus und trat daraufhin in einen Sitzstreik.

Unter den Studierenden rumorte es ebenso. Der braune Mief von 1945 sollte endlich aus Universität und Staat vertrieben werden. Schon 1965 wurde zahlreich gegen den Nazi-Professor Borodajkewicz, der nach wie vor an der Uni lehrte und sich kein Blatt vor den Mund nahm, demonstriert. Auf einem dieser Proteste wurde der Kommunist und Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger bei einem Nazi-Angriff so stark verletzt, dass er starb. Seine Beerdigung wurde zur Massendemonstration, an der 25.000 Menschen teilnahmen.

Ebenso mobilisierten die Proteste gegen den Vietnam-Krieg und andere internationale Befreiungs- und Anti-Kriegsbewegungen viele auf die Straße. Linke und sozialistische Ideen fanden immer mehr Zuspruch und immer mehr suchten eine Alternative, sowohl zum Kapitalismus, als auch zum Stalinismus. Die linke und antikapitalistische Unterstützung des „Prager Frühlings“ führte in Österreich zu Konflikten in der KPÖ, die sich lieber von ihrer Jugend- und ihrer Gewerkschaftsstruktur trennte, als die stalinistische Bürokratie in Russland zu kritisieren.

Rund um 1968 hat sich international und in Österreich viel verändert, viele Verbesserungen wurden erkämpft. 1968 steht für fortschrittliche Konzepte in gesellschaftspolitischen Fragen, bei Frauenrechten, Jugendrechten und den Rechten von unterdrückten Menschen und Völkern. Das Gegenkonzept ist Bevormundung, Obrigkeitsdenken und Demokratieabbau. Und die Herrschenden rufen zur Konterrevolution auf. Viele dieser Errungenschaften, vor allem frauenpolitische Erfolge, stehen ganz oben auf der Abschussliste der schwarz-blauen Regierung, von Trump, Orban & Co. und müssen nun gegen diese verteidigt werden. Eine Wiederbelebung des Widerstandsgeistes von 1968 kann dabei, auch 50 Jahre später, sicher nicht von Nachteil sein.

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Sozialreformen an der kapitalistischen Glasdecke

C.W. und Sebastian Kugler

Vor mehr als 100 Jahren verkündete der sozialdemokratische Theoretiker Eduard Bernstein, dass der Kapitalismus nicht gestürzt, sondern nur reformiert werden müsste. Er glaubte, der Kapitalismus hätte seine Krisenhaftigkeit überwunden. Man müsse ihn nur klug steuern, um irgendwann in einer klassenlosen, sozialistischen Demokratie zu enden. Ein Blick auf die heutige Weltlage genügt, um Bernsteins Irrtum zu erkennen: 82% des weltweiten Vermögenswachstums gehen laut OXFAM an ein Prozent der Weltbevölkerung, in Deutschland stellt die Süddeutsche Zeitung 2017 eine Vermögensungleichheit wie zuletzt im Jahr 1913 fest, in Amerika ist das inflationsbereinigte Gehalt von ArbeiterInnen seit 1979 nicht gestiegen und in Österreich besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung mehr als die unteren 90 zusammen.

Bernsteins Ideen brachten aber auch damals schon radikale KritikerInnen auf den Plan, wobei die berühmteste von ihnen Rosa Luxemburg mit ihrer Schrift „Sozialreform und Revolution“ ist. Sie erklärt, Phänomene der „Anpassung des Kapitalismus“ (Bernstein) wie Kreditwesen, verbesserte Verkehrsmittel und Unternehmerorganisationen diesen nicht einfach stabilisieren, sondern ebenso gut zur Zuspitzung von Widersprüchen dienen. Das kennen wir heutzutage, wenn wir an Hypo-Alpe-Adria oder Lehmann Brothers denken, nur allzu gut. Der kapitalistische Staat hat die Aufgabe, die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise zu verteidigen. Es ist also unmöglich, mit Hilfe staatlicher Reformen das System, „wegzureformieren“. Luxemburg legt deswegen dar, wieso es für die ArbeiterInnenbewegung unabdingbar ist, sowohl für Sozialreformen, als auch die soziale Revolution zu kämpfen. Für sie „besteht zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein unzertrennlicher Zusammenhang, indem ihr der Kampf um die Sozialreform das Mittel, die soziale Umwälzung aber der Zweck ist. (Rosa Luxemburg: Sozialreform oder Revolution?, 1899)

In Zeiten der Krise werden die Spielräume für linke Politik, die sich nicht den unmittelbaren Interessen des Kapitals verschreibt, immer geringer. Die Grenzen des innerhalb des Systems Machbaren werden immer enger gezogen. Selbst moderate Forderungen stoßen bereits an die Grenze des für die Herrschenden Akzeptablen. Syriza trat in Griechenland mit einem Programm an, dessen Inhalt in den 1970er Jahren großteils noch Standard vieler sozialdemokratischer Regierungen war: Höhere Löhne, öffentliche Investitionsprogramme, beschränkte Umverteilung. Doch an der Regierung musste Syriza feststellen, dass sich die Zeiten geändert hatten. Selbst die bescheidensten Reformen wurden aufs Bitterste von den griechischen KapitalistInnen und ihren BündnispartnerInnen in der EU bekämpft. Die einzige Möglichkeit, die Reformen erfolgreich durchzuführen, wäre ein kompletter Bruch mit der kapitalistischen Herrschaft gewesen. Doch die Syriza-Führung wagte diesen entscheidenden Schritt nicht. Das hatte katastrophale Folgen: nicht nur konnten die Reformen nicht umgesetzt werden – nun prügelt die „linke“ Regierung härtere Sparprogramme durch als die Konservativen zuvor.

Die Krise ist bis heute nicht überwunden und die Herrschenden sind noch weniger zu Zugeständnissen bereit denn je. Wer heute die Reform wirklich will, muss zur Revolution bereit sein.

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Neuauflage: 170 Jahre „Manifest der Kommunistischen Partei“, ein Programm, das die Welt erschütterte

Manuel Schwaiger

Vor 170 Jahren, kurz vor den Revolutionen von 1848, verfassten Marx und Engels im Auftrag des Bundes der Kommunisten das Manifest der Kommunistischen Partei. Ihr Ziel war es, dem „Gespenst des Kommunismus“, das als Kampfbegriff die herrschende Politik erschreckte, ein konkretes Programm der kommunistischen/sozialistischen Bewegung entgegenzustellen. Sie beschreiben die Geschichte der Menschheit nicht als Geschichte einzelner großer Männer, sondern als eine Entwicklung, die von den Auseinandersetzungen verschiedener sozialer Gruppen, den Klassenkämpfen, geprägt wird. Die moderne kapitalistische Gesellschaft schuf Reichtümer wie keine Gesellschaft zuvor. Reichtümer, die jedoch nur den Interessen der herrschenden Klasse dienen, nicht jedoch den ArbeiterInnen, die dafür schuften müssen: „Ihr entsetzt euch darüber, dass wir das Privateigentum aufheben wollen. Aber in eurer bestehenden Gesellschaft ist das Privateigentum für neun Zehntel der Gesellschaft aufgehoben; es existiert gerade dadurch, dass es für neun Zehntel der Gesellschaft nicht existiert.“
Das Manifest nimmt Entwicklungen wie die Globalisierung vorweg und viele der behandelten Debatten auf der Linken sind auch heute aktuell. Und es ist kein Dogma, sondern ein politisches Programm zum Sturz des Kapitalismus auf Basis einer wissenschaftlichen Analyse der Geschichte, mit dem Ziel einer wirklich solidarischen Gesellschaft. Insofern ist es hochaktuell. Darum diese Neuauflage mit Vorworten von Marx, Engels und Trotzki. 34 Seiten A5, um 2.- (zuzüglich Porto) unter http://slp@slp.at zu bestellen.

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Marx aktuell: Trennung von Kopf- und Handarbeit überwinden

Nicolas Prettner, Sebastian Kugler

In früheren Gesellschaften gab es eine strikte Trennung von Kopf- und Handarbeit, beziehungsweise geistiger und körperlicher Arbeit: Fähigkeiten wie Lesen waren der Elite vorenthalten. Heute ist das durchschnittliche Bildungsniveau höher als in der vorkapitalistischen Zeit oder auch noch vor 100 Jahren. Das hat die ArbeiterInnenklasse erkämpft und auch der moderne Kapitalismus verlangt in weiten Teilen der Wirtschaft ein höheres Bildungsniveau, um diese Produktionsweise aufrecht erhalten zu können: Es muss mehr verwaltet als produziert werden. Grundkenntnisse wie Schreiben, Lesen und Rechnen sind heute auch in vielen der „einfachsten“ Berufe notwendig. Aber v.a. bedeutet eine allgemeinere Bildung eine breitere Einsetzbarkeit. ArbeiterInnen können einfacher zwischen verschiedenen Sektoren wechseln, je nach Bedarf.

Doch die Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit besteht fort. Auf globaler Ebene wird auch heute noch ein Großteil der produzierenden ArbeiterInnen, vor allem in der neokolonialen Welt, von grundlegender Bildung ausgeschlossen. Aber auch in reicheren, entwickelten kapitalistischen Ländern ist die Trennung nicht aufgehoben. Innerhalb der zunehmenden allgemeinen Teilung der Arbeit in immer kleinteiligere Bereiche wird sie abstrakter. Zwar müssen im modernen Produktionsprozess Maschinen zunehmend mehr per Computer als direkt per Hand bedient werden - die Funktion der Trennung bleibt aber erhalten: Der „Kopf“ befiehlt, die „Hand“ führt aus. Die untere Ebene macht, was die obere Ebene sagt.

Der moderne Kapitalismus muss also Individuen allseitig bilden, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Darüber hinaus behält die Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit ihre Funktion. Das spiegelt sich auch im Bildungssystem wider. Es wird zwischen jenen unterschieden, die eine höhere akademischere Ausbildung erhalten und jenen, die „das Radl am Laufen“ halten sollen.

Marx beschrieb das bereits 1863 wie folgt: „Es ist ja eben das Eigentümliche der kapitalistischen Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und Handarbeiten oder die Arbeiten, in denen die eine oder die andere Seite vorwiegt, zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen, was jedoch nicht hindert, dass das materielle Produkt das gemeinsame Produkt dieser Personen ist oder ihr gemeinsames Produkt in materiellem Reichtum vergegenständlicht;“ (Theorien über den Mehrwert)

Dieses gemeinsame Produkt der Arbeit, der „materielle Reichtum“, gehört jedoch denen, die am Arbeitsprozess weder mit dem Kopf noch der Hand beteiligt sind – den KapitalistInnen, die die Betriebe besitzen. Ihnen nutzt eine in zahllose Unterabteilungen und Befehlsketten gegliederte ArbeiterInnenklasse. Das alles kann unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen nicht überwunden werden. Notwendig wäre stattdessen, dass Kopf- und Handarbeit im Produktionsprozess zusammenfallen. Das wäre nicht nur persönlich befriedigender, sondern auch ein Fortschritt weil diejenigen, die eine Arbeit ausführen, auch demokratisch bestimmen können, was, wie und wofür gearbeitet wird. Dies ist erst in einer sozialistischen Gesellschaft möglich, in der Bildung nicht mehr dazu dient, am Arbeitsmarkt möglichst verwertbar zu sein.

 

Der gesamte Schwerpunkt zum Thema Lehre:

 

 

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