Sozialreformen an der kapitalistischen Glasdecke

C.W. und Sebastian Kugler

Vor mehr als 100 Jahren verkündete der sozialdemokratische Theoretiker Eduard Bernstein, dass der Kapitalismus nicht gestürzt, sondern nur reformiert werden müsste. Er glaubte, der Kapitalismus hätte seine Krisenhaftigkeit überwunden. Man müsse ihn nur klug steuern, um irgendwann in einer klassenlosen, sozialistischen Demokratie zu enden. Ein Blick auf die heutige Weltlage genügt, um Bernsteins Irrtum zu erkennen: 82% des weltweiten Vermögenswachstums gehen laut OXFAM an ein Prozent der Weltbevölkerung, in Deutschland stellt die Süddeutsche Zeitung 2017 eine Vermögensungleichheit wie zuletzt im Jahr 1913 fest, in Amerika ist das inflationsbereinigte Gehalt von ArbeiterInnen seit 1979 nicht gestiegen und in Österreich besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung mehr als die unteren 90 zusammen.

Bernsteins Ideen brachten aber auch damals schon radikale KritikerInnen auf den Plan, wobei die berühmteste von ihnen Rosa Luxemburg mit ihrer Schrift „Sozialreform und Revolution“ ist. Sie erklärt, Phänomene der „Anpassung des Kapitalismus“ (Bernstein) wie Kreditwesen, verbesserte Verkehrsmittel und Unternehmerorganisationen diesen nicht einfach stabilisieren, sondern ebenso gut zur Zuspitzung von Widersprüchen dienen. Das kennen wir heutzutage, wenn wir an Hypo-Alpe-Adria oder Lehmann Brothers denken, nur allzu gut. Der kapitalistische Staat hat die Aufgabe, die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise zu verteidigen. Es ist also unmöglich, mit Hilfe staatlicher Reformen das System, „wegzureformieren“. Luxemburg legt deswegen dar, wieso es für die ArbeiterInnenbewegung unabdingbar ist, sowohl für Sozialreformen, als auch die soziale Revolution zu kämpfen. Für sie „besteht zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein unzertrennlicher Zusammenhang, indem ihr der Kampf um die Sozialreform das Mittel, die soziale Umwälzung aber der Zweck ist. (Rosa Luxemburg: Sozialreform oder Revolution?, 1899)

In Zeiten der Krise werden die Spielräume für linke Politik, die sich nicht den unmittelbaren Interessen des Kapitals verschreibt, immer geringer. Die Grenzen des innerhalb des Systems Machbaren werden immer enger gezogen. Selbst moderate Forderungen stoßen bereits an die Grenze des für die Herrschenden Akzeptablen. Syriza trat in Griechenland mit einem Programm an, dessen Inhalt in den 1970er Jahren großteils noch Standard vieler sozialdemokratischer Regierungen war: Höhere Löhne, öffentliche Investitionsprogramme, beschränkte Umverteilung. Doch an der Regierung musste Syriza feststellen, dass sich die Zeiten geändert hatten. Selbst die bescheidensten Reformen wurden aufs Bitterste von den griechischen KapitalistInnen und ihren BündnispartnerInnen in der EU bekämpft. Die einzige Möglichkeit, die Reformen erfolgreich durchzuführen, wäre ein kompletter Bruch mit der kapitalistischen Herrschaft gewesen. Doch die Syriza-Führung wagte diesen entscheidenden Schritt nicht. Das hatte katastrophale Folgen: nicht nur konnten die Reformen nicht umgesetzt werden – nun prügelt die „linke“ Regierung härtere Sparprogramme durch als die Konservativen zuvor.

Die Krise ist bis heute nicht überwunden und die Herrschenden sind noch weniger zu Zugeständnissen bereit denn je. Wer heute die Reform wirklich will, muss zur Revolution bereit sein.

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