Geschichte und politische Theorie

Schwarz-Blau droht – Was können wir aus der Widerstandsbewegung von 2000 lernen?

Die Widerstandsbewegung war großartig - Doch diesmal wollen wir gewinnen!
Sonja Grusch

Nach den Nationalratswahlen am 15.10.2017 droht eine schwarz-blaue Regierung. Viele haben zu Recht Angst davor und es wird Proteste geben. Auch wenn derzeit keine Wiederholung der Widerstandsbewegung von 2000 zu erwarten ist weil man sich an die FPÖ und ihren Rassismus schon „gewöhnt“ hat, so ist es doch wichtig, die Lehren daraus zu ziehen um Proteste gegen eine mögliche kommende Regierung möglichst effektiv zu machen. Denn auch eine Koalition aus SPÖ und FPÖ ist möglich, deren Maßnahmen Angriffe auf die Rechte von ArbeiterInnen und MigrantInnen beinhalten würden und daher massiven Widerstand brauchen.

Am 3. Oktober 1999 ging die SPÖ bei den Nationalratswahlen als stärkste Partei hervor, die FPÖ erreichte Platz zwei und mit nur wenigen hundert Stimmen dahinter die ÖVP unter Wolfgang Schüssel. Anfangs wurden Verhandlungen über eine SPÖ-ÖVP-Regierung geführt, doch offensichtlich verhandelte die ÖVP parallel und geheim auch bereits mit der FPÖ. Als die Verhandlungen für die „Große Koalition“ dann scheiterten, einigten sich ÖVP und FPÖ rasch auf eine Regierung.

Seitdem die Gefahr einer Regierungsbeteiligung in der Luft lag, formierte sich Widerstand dagegen. Am 12. November 1999 gab es eine Großkundgebung von SOS-Mitmensch und der „Demokratischen Offensive“ - beides Organisationen die in einem Nahverhältnis zu v.a. SPÖ aber auch Grünen stehen. Die Vorgängerorganisation der SLP, die Sozialistische Offensive Vorwärts SOV, begann bereits unmittelbar nach der Wahl mit wöchentlichen „Montagskundgebungen“. Wir stellten von Anfang an klar, dass eine Regierungsbeteiligung der FPÖ aus zwei Gründen gefährlich ist: wegen ihres Rassismus und wegen des beschleunigten neoliberalen Umbaus. Ab Ende Oktober mobilisierten wir für einen Schulstreik im Falle einer FPÖ-Regierungsbeteiligung.

Eine Massenbewegung beginnt

Als die FPÖ-ÖVP-Koalition fix war, überschlugen sich die Ereignisse. Am 1. Februar kam es zur Besetzung der ÖVP-Zentrale. Darauf folgten tägliche Proteste. Bei der Angelobung am 4. Februar war der Ballhausplatz schon am Vormittag, vor der Angelobung, voller Menschen aus allen Schichten. Bauern brachten Obst (nicht zum Essen), ein Mann im Anzug einen Sack mit Eiern (auch nicht zum Essen), unzählige Menschen allen Alters waren mit Tafeln und Protestschildern gekommen. Die neue Regierung konnte die wenigen Meter vom Bundeskanzleramt zur Hofburg zur Angelobung beim Bundespräsidenten nur durch einen unterirdischen Gang zurück legen. Es folgte an diesem Tag eine bzw. mehrere Demonstrationen durch die Wiener Innenstadt. U.a. wurde für einige Zeit das Sozialministerium besetzt – als Protest dagegen, dass dieses Ministerium an die FPÖ ging. Es folgten für mehrere Wochen tägliche Demonstration von zehntausenden. Am 12.2. fand beim Karl-Marx-Hof in Wien im Zuge der Proteste auch das wahrscheinlich größte Gedenken an die Ereignisse vom Februar 1934 der Geschichte statt.

Anlässlich einer Sonntag-Abend-TV Debatte die kurzfristig vom Stephansplatz in die ORF-Zentrale am Küniglberg verlegt worden war zogen tausende im Laufschritt durch Wien und waren noch während der Sendung vor dem ORF – so laut, dass man es auch in der Sendung hörte. Am 18.2. fand der größte politische Schulstreik der Geschichte statt. Die SLP hatte diesen initiiert, andere Organisationen hatten sich ebenfalls beteiligt. 15.000 SchülerInnen folgten dem Aufruf, gegen die schwarz-blaue Regierung zu streiken. (Andere Linke hatten in dieser Zeit Unterschriften gesammelt in denen die ÖVP aufgefordert wurde, doch keine Koalition mit der FPÖ zu machen). Am 19.2. waren 300.000 Menschen in Sternmärschen auf der Straße. Ab dann wurden die Demonstration wöchentlich am Donnerstag abgehalten. Die „Donnerstagsdemos“ gab es über ein Jahr lang – in den ersten Monaten waren es wöchentlich tausende, danach immer noch hunderte, die jede Woche marschierten. „Wir gehen, bis ihr geht“ war das Motto. Eine ganze Generation wurde durch die Proteste politisiert, 20% aller WienerInnen unter 30 hatten an der „Widerstandsbewegung“ teilgenommen. Die Bewegung war großartig und einzigartig und für alle die dabei waren ein wichtiger Teil ihres (politischen) Lebens. Doch sie war nicht erfolgreich. Es ist wichtig zu analysieren warum – denn das nächste Mal wollen wir gewinnen!

Die verschiedenen Ebenen des Widerstandes

Auf offizieller Ebene verhängte die EU Sanktionen gegen Österreich. Eine Maßnahme die verlogen war und der Regierung sogar nutzte. Staaten, die selbst rassistische und neoliberale Politik machten verhängten „Sanktionen“ - die nebenbei ohnehin Augenauswiescherei waren. Wenige Monate nach Beginn der Sanktionen schickte die EU einen „Weisenrat“ - einige abgehalfterte EU-Politiker kamen nach Wien, trafen ein paar NGO-VertreterInnen, schauten im Vorbeigehen, ob eh keine RegimekritikerInnen am Ring gefoltert werden und erklärten die Sanktionen für beendet. Die österreichische Regierung konnte sich als „Opfer“ darstellen was ihr durchaus Unterstützung im Land brachte.

Auch die (parlamentarische) Opposition sowie ihr nahestehende Organisationen war mehr oder weniger aktiv. Ihre Hauptargumentation lag auf der Forderung nach „Neuwahlen“. Für sie hatten sich die WählerInnen einfach geirrt und sollten in einer Neuwahl die Chance bekommen, ihren Fehler zu korrigieren. Bei den nächsten Nationalratswahlen 2002, die wegen des Bruchs der FPÖ in FPÖ und BZÖ notwendig geworden waren verlor zwar die FPÖ, dafür gewann die ÖVP stark und die Regierung wurde – nun als ÖVP-BZÖ-Regierung – fortgesetzt. Warum sollte man auch für die SPÖ stimmen? Sie war kein Teil der Widerstandsbewegung (auch wenn natürlich Mitglieder der SPÖ in dieser aktiv waren) und als Regierungsprogramm übernahmen FPÖ&ÖVP in weiten Teilen jenen Pakt, den die ÖVP mit der SPÖ bereits verhandelt hatte. Was einerseits zeigt, wie weit die SPÖ bereit war zu gehen und andererseits dazu führte, dass diese die Koalition inhaltlich schwer kritisieren konnte. Tatsächlich stimmte die SPÖ auch in der Opposition zahlreichen Verschärfungen im Fremdenrecht zu, die von der blau-schwarzen Regierung beschlossen wurden.

Die zögerliche Haltung der SPÖ spiegelte sich nur zum Teil in den Gewerkschaften wieder. Da die SPÖ nicht mehr in der Regierung war viel das innergewerkschaftliche Argument „wir können ja nicht gegen unsere Partei streiken“ weg. Tatsächlich gab es kämpferischere Töne und auch Taten. Der aktuelle AK-Chef Rudolf Kaske, damals Chef der Gewerkschaft HGPD meinte anlässlich der geplanten Angriffe der Regierung: „"Unsere Gewerkschaft ist gerüstet. Wenn einmal dieses Arbeitslosenheer marschiert, dann brennt die Republik." Die Wiener AK organisierte eine Demonstration und es gab einen Warnstreik der LehrerInnen. Der ÖGB mobilisierte zu zwei Aktionstagen mit der legendären „Hageldemo“ (bei der trotz massivem Regen und faustgroßen Hagelkörnern 200.000 Menschen demonstrierten) bzw. einem de facto Generalstreik (auch wenn sie den Begriff stets zurückwiesen anstatt ihn stolz einzusetzen) gegen die Pensionsreform.

Die EisenbahnerInnen legten das Land für mehrere Tage gegen die geplante Zerschlagung der ÖBB und Verschlechterungen im Dienstrecht lahm. All das spiegelte den Druck aus der Basis wieder – doch es fehlte der Gewerkschaft die Perspektive (und wie sich später herausstellen sollte auch das Geld, da die ÖGB-Führung den Streikfond bei riskanten Karibikabenteuern verspekuliert hatte). Die Gewerkschaftsführung hatte keine Idee, was geschehen sollte, wenn die Kämpfe tatsächlich erfolgreich wären – denn das hätte den Sturz der Regierung bedeutet. Und dann? Die Gewerkschaftsspitzen wussten genau, dass die SPÖ viele der Maßnahmen genauso durchführen würden, da sie den kapitalistischen Notwendigkeiten entsprachen (was sich ja auch darin zeigt, dass die SPÖ nachdem sie wieder an der Regierung war so gut wie alle Maßnahmen von ÖVP und FPÖ einfach beließen). Und bei denen geht es halt um Profite und nicht um Sozialstaat und die Rechte von ArbeiterInnen.

Die Tatsache, dass es keine ArbeiterInnenpartei gab rächte sich bitter. Die SLP war seit längerem für den Aufbau einer solchen neuen linken Kraft eingetreten. Doch viele Linke argumentierten, man müsse nun SPÖ bzw. Grün unterstützen. Und v.a. fehlte großen Teilen der Linken eine Strategie um den Kampf zu gewinnen. Die SLP war damals Teil des „Aktionskomitees gegen Blau-Schwarz“ dass die Koordination der Proteste übernommen hatte und in dem Einzelpersonen sowie VertreterInnen verschiedener linker Organisationen wöchentlich zusammen kamen. Die SLP setzte sich für eine stärkere Organisierung und Planung der Proteste und Aktionen und v.a. für eine Orientierung auf die Organisationen und Methoden der ArbeiterInnenklassse ein. Doch wir waren in der Minderheit. Die Mehrheit sah in der Unorganisiertheit der Bewegung einen Vorteil und wollte keine konkreten nächsten Schritte vorschlagen. Die Vertreterin der KPÖ im Aktionskomitee kritisierte uns dafür, dass wir immer wieder die Notwendigkeit betonten in die Richtung von Streiks zu gehen. Insgesamt fehlte jenen, die real die Führung der Bewegung darstellten die Vorstellung und das Vertrauen, dass „normale Menschen“, also die ArbeiterInnenklasse die Kraft ist, um eine solche Regierung zum Fall zu bringen. Viele die länger aktiv sind kennen den Zugang von großen Teilen der Linken, Proteste v.a. als Möglichkeit zu sehen, Unmut auszudrücken aber ohne das wirkliche Ziel den Kampf auch zu gewinnen.

Die SLP, die am Höhepunkt der Bewegung im Februar 2000 als Nachfolgeorganisation der SOV gegründet worden war, spielte eine zentrale Rolle in der Widerstandsbewegung. Ohne uns hätten es den Schulstreik von 15.000 wütenden Jugendlichen nicht gegeben. Wir argumentierten für die Orientierung auf Klassenkämpfe und Gewerkschaften. Wir arbeiteten über viele Monate im Aktionskomitee gegen Blau-Schwarz und forderten immer und immer wieder soziale Schwerpunkte ein. Wir traten für den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei mit sozialistischen Programm ein und unterstützen seither jeden konkreten Schritt in diese Richtung.

Und heute?

Die Angriffe durch die kommende Regierung werden kommen – und zwar egal, wie diese sich zusammensetzt. Und es wird Proteste auf unterschiedlichen Ebenen geben. Aus dem Bildungsbereich, wenn die Schritte Richtung Kaputt sparen einerseits und Elitebildung andererseits intensiviert werden. Aus dem Gesundheitsbereich, wenn die Arbeitssituation sich weiter verschlechtert und bei den Leistungen gestrichen wird. Aus den Betrieben, wenn die Arbeitszeit flexibilisiert wird. Von Frauen, wenn der ohnehin beschränkte Zugang zu Abtreibung weiter erschwert wird. Und aus noch vielen anderen „Ecken“. Diese Proteste müssen zusammen geführt werden. Organisieren wir demokratische Komitees und Aktionsgruppen in allen Bereichen. Sie brauchen offensive Forderungen die sich letztlich um die Geldfrage drehen: also darum wie das Geld der Reichen erkämpft werden kann damit alle Menschen in Österreich in Würde leben können. Und sie müssen organisiert werden. Vernetzung ist gut, aber ein Schritt zu wenig. Dass es bei dieser Wahl (und auch schon den letzten) keine starke linke Kraft gibt ermöglicht es der extremen Rechten und Listen, die bestenfalls skurril, eher gefährlich, sind, sich als „Alternative“ aufzuspielen. Wir brauchen endlich, endlich eine linke Organisation, eine Partei die dem Unmut auf der Wahlebene ausdrücken kann und die v.a. Menschen die sich wehren wollen eine echte Alternative bietet. Wir wollen keine Regierung des kleineren Übels. Doskozil steht wie Kurz und Strache für rassistische Politik und auch der Manager Kern steht für Angriffe auf die Rechte von ArbeiterInnen und will z.B. die Arbeitszeit flexibilisieren und den 12-Stunden-Tag einführen.

Wir können uns keine Regierung leisten, die unser Geld an die Reichen verschiebt. Wir brauchen eine Regierung von ArbeiterInnenparteien, die sich nicht an Sachzwängen sondern an den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt orientiert. Kein leichtes Ziel, aber ein Notwendiges! Werde mit uns gemeinsam aktiv. Wenn wir uns nicht wehren und aktiv werden, wird uns in den nächsten Jahren eine Lawine von Angriffe überrollen. Werde deshalb mit uns aktiv und Teil des Widerstandes. 

Che: Revolutionär und Internationalist

Zum 50. Todestag
Steve Hollasky, CWI Deutschland

„Wir haben den Papst!“ funkte ein bolivianischer Oberst am 8. Oktober 1967 an das Hauptquartier seiner Armee. Auf diese Meldung hatten unzählige lateinamerikanische Militärs und CIA-Agenten gewartet. Denn sie hieß nichts anderes, als dass das bolivianische Militär Che Guevara gefangen genommen hatte. Am nächsten Tag wurde er ohne Gerichtsurteil erschossen. Sie wollten Che nicht lebend davon kommen lassen, denn sein Kampf steht für den internationalen Kampf gegen Krieg, Ausbeutung und Hunger, für eine sozialistische Gesellschaft.

Ernesto Guevara, der spätere Che, wurde am 14. Juni 1928 im argentinischen Rosario geboren. Er wuchs bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr in Alta Gracia auf, da er schon früh an Asthma erkrankte und das trockene Klima in diesem Bergort ihm Linderung verschaffte.

Studium und Reisen

Wahrscheinlich war es die schwere Krankheit seiner Oma, die Che dazu brachte, Medizin zu studieren. Die Konzentration auf das Studium ließ bald nach und wich einer anderen Leidenschaft, dem Reisen.

Zusammen mit seinem Freund Alberto Granados machte er sich im Dezember 1951 auf, den lateinamerikanischen Kontinent zu entdecken. Schon bald beschäftigte beide nicht nur die Landschaft, sondern auch die enorme Armut. Als Ernesto in der chilenischen Stadt Valparaiso eine Frau behandelte, die zu arm war, sich einen Arzt zu leisten, war er von deren Situation entsetzt. Er schrieb in seinem Reisebericht: „Dies sind die Fälle, da sich ein Arzt seiner ganzen Ohnmacht gegenüber dem sozialen Milieu bewusst wird, er wünscht sich eine Änderung der Verhältnisse.“

1954 machte er sein Staatsexamen und seinen Doktor, aber nur um direkt danach Lateinamerika nochmals zu bereisen. Diesmal hatte er von Anfang an einen anderen Blick: Ihn interessierte die bolivianische Revolution. Er reiste weiter nach Guatemala, wo unter dem Präsidenten Arbenz Maßnahmen gegen Armut ergriffen wurden. Die von dieser Regierung durchgeführte Landreform erschütterte die Interessen der US-amerikanischen Konzerne. Folglich wurde sie durch einen von der CIA inszenierten Putsch gestürzt.

Ernesto war erschrocken über die geringe Bereitschaft von Arbenz, die Revolution zu verteidigen. Diese Lehre sollte ihn weiterhin begleiten: Wer eine Revolution machen will, muss sich bewaffnen und sich gegen jeden Widerstand durchsetzen. Noch etwas war in Bolivien und Guatemala mit Ernesto Guevara geschehen: Er war Sozialist geworden.

Kubanische Revolution

Die CIA und die neuen guatemaltekischen Machthaber verfolgten Che, weil er die revolutionären Prozesse in Guatemala unterstützt hatte. Seine Flucht endete vorerst in Mexiko. Nach langer Suche arbeitete er im Krankenhaus von Mexiko-Stadt, wo er Bekanntschaft mit einigen Exilkubanern schloss, die den kubanischen Diktator Batista stürzen wollten. Über sie lernte er auch den Kopf der Unternehmung, Fidel Castro, kennen, der ihn schließlich zur Teilnahme an einer Guerillakampagne überzeugte. Im Dezember 1956 setzten die Guerilleros nach Kuba über.

Der ganze Plan schien in einem Fiasko zu enden. Ein von Castro-Anhängern begonnener Aufstand, der die Landung begleiten sollte, wurde noch vor dem Eintreffen der Guerilleros niedergeschlagen. Als diese auf Kuba landeten, wurden sie nach einigen Tagen fast vernichtet und mussten sich in das Gebirge Sierra Maestra zurückziehen. In dieser Zeit erhielt Guevara seinen Spitznamen. Da er als Argentinier den in seinem Land üblichen Ausdruck „Che“ gebrauchte, der so viel bedeutet wie „Hey“ oder auch „Hallo“, wurde er von seinen Mitkämpfern bald so genannt.

Langsam wandelte sich die Lage zu Gunsten der Revolutionäre. Kubas Diktatur war reif für den Sturz. Überall brodelte es. Es kam zu Studentenunruhen und Streiks. Politisch waren die daran beteiligten Gruppen sehr heterogen. Auch die von Castro geführte Bewegung des 26. Juli war keineswegs einheitlich und schon gar nicht marxistisch. In einem Interview mit dem argentinischen Reporter Masetti sagte Che hierzu: „Fidel ist kein Kommunist. […] Und derjenige, der am häufigsten des Kommunismus bezichtigt wird, bin eigentlich ich.“

Bis Mitte 1958 errang die Guerilla unter Castro die Führung über alle oppositionellen Gruppen in Kuba. Vor diesem Hintergrund begann die Schlussoffensive, die von Che geführt wurde. Ende Dezember 1958 nahm seine Kolonne Santa Clara ein. Batista floh am Neujahrstag in die Dominikanische Republik. Daraufhin rief die Bewegung des 26. Juli zum Generalstreik auf, der breite Unterstützung fand. Auf den Straßen feierten die Massen das Ende der Batista-Diktatur.

Als Castro kubanischer Ministerpräsident wurde, wollte er alles andere als eine sozialistische Entwicklung. Er versuchte sich mit den USA auszusöhnen und versprach, den Besitz US-amerikanischer Firmen nicht anzurühren.

Doch die Absicht Kubas, nationale Unabhängigkeit zu erreichen, lief den Interessen des US-Kapitals zuwider. Die von der Regierung Castro durchgeführte Landreform rief den Widerstand US-amerikanischer Firmen wie der United Fruit Company hervor. Die kubanische Bourgeoisie fürchtete um ihren Besitz. Die radikalisierten kubanischen Massen verlangten tiefgreifende Maßnahmen. Die Lage spitzte sich zu. Washington stoppte den Import von kubanischem Zucker. Castro sah sich – unter dem Druck der Massen (und auch auf Drängen Ches) – gezwungen, die Verstaatlichung aller ausländischen Vermögen zu legalisieren. Bald darauf wurden kubanische Großunternehmen enteignet.

Permanente Revolution

„Unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen Lateinamerikas kann die nationale Bourgeoisie den antifeudalen und antiimperialistischen Kampf nicht anführen. Die Erfahrung zeigt, dass in unseren Nationen die Klasse, auch wenn ihre Interessen zu denen des Yankee-Imperialismus im Widerspruch stehen, unfähig gewesen ist, jenem die Stirn zu bieten, paralysiert durch die Angst vor der sozialen Revolution und erschreckt durch die Stimmung der ausgebeuteten Massen“, so beschrieb Che zu dieser Zeit die Situation.

Was sich auf Kuba abspielte, bestätigte die vom Revolutionär Leo Trotzki entwickelte (und zunächst auf Russland bezogene) Theorie der permanenten Revolution. Die nationale Kapitalistenklasse war historisch gesehen zu spät gekommen, nach den bürgerlichen Revolutionen in Frankreich und in anderen Ländern. Sie war zu schwach, zudem mit dem ausländischen Kapital verwoben, von ihm abhängig, ebenso mit der noch existierenden feudalen Klasse. Außerdem fürchtete sie, dass die zahlenmäßig zwar kleine, aber gerade in den Großbetrieben potenziell starke Arbeiterklasse von einem revolutionären Wandel ermutigt und weitergehen könnte. Daher kann die einheimische Bourgeoisie die Führung einer antifeudalen, auf nationale Unabhängigkeit abzielenden Revolution nicht übernehmen. Somit müssen diese Ziele im Kampf gegen die nationalen Kapitalisten durchgesetzt werden.

Zur „Permanenz“ gehört auch, dass die Revolution zwar in einem Land beginnt, aber dabei nicht stehen bleiben darf. Eine sozialistische Insel kann sich nicht auf Dauer halten. Darum ist eine Internationale mit einem klaren marxistischen Programm, verankert in der Arbeiterbewegung, zentral. Ihr kommt die Aufgabe zu, die Erfahrungen im Klassenkampf zu verarbeiten, sozialistische Ideen zu verbreiten und über Ländergrenzen hinweg aktiv zu sein. Wichtig ist es, in den verschiedenen Ländern AktivistInnen zu schulen, die revolutionäre Entwicklungen nutzen können.

Arbeiterklasse

Während in Russland 1917 die Arbeiterklasse die Trägerin der Revolution war und – vor der Stalinisierung – die Macht durch demokratisch gewählte Sowjets (Räte) ausübte, war es in Kuba gerade mal eine kleine Führung, die die Forderung der Massen umsetzte, nicht die Massen selbst. Das Batista-Regime war so schwach, dass es kippte, noch bevor die Arbeiterklasse den Ereignissen ihren Stempel hätte aufdrücken können. Dieser Umstand half beim Aufstieg einer Schicht, die Kuba dominierte und von niemandem kontrolliert wurde.

Hier zeigt sich auch die Beschränktheit des Guerillakampfes. Auf dem Land kann dieser ein legitimes Mittel sein. Aber nur als Ergänzung, nicht als Ersatz zum Kampf der Arbeiterklasse in den Städten. Schließlich sind es die ArbeiterInnen, die durch ihre Rolle im Produktionsprozess ganz anders als die Bauernschaft ein kollektives Bewusstsein entwickeln und in gemeinsamen Handlungen das Kapital treffen können. Die Arbeiterklasse ist in der Lage, die Wirtschaft und das ganze öffentliche Leben lahm zu legen. Gleichzeitig kann sie Strukturen bilden, die erst Kampforgane, dann Organe zur Machteroberung und schließlich Organe zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft werden können. Demgegenüber ist der Guerillakampf von militärischen Strukturen geprägt, die Stellvertretertum fördern und die Selbstorganisation der Massen erschweren.

Keine Privilegien

Che Guevara wurde erst Präsident der kubanischen Nationalbank und später Industrieminister. Che lehnte jegliche Privilegien ab. Schon während der Kämpfe in der Sierra Maestra teilte er das Leben seiner Mitkämpfer. Während Castro ab Jahresende 1957 ein vergleichsweise komfortables Quartier mit Plattenspieler und dazugehörigem Koch besaß, schlief Che neben seinen Genossen auf der Erde. Als Industrieminister verzichtete er auf sein Ministergehalt und erhielt nur seine Bezüge als Commandante. Mit 250 Dollar im Monat hatte er sehr viel weniger in der Tasche als der durchschnittliche kubanische Funktionär.

Eines Tages besuchte er mit seiner Tochter Hilda ein Fahrradwerk. Sie fragte immer wieder, ob sie ein Fahrrad bekommen könne. Schließlich, am Ende der Inspektion, wollte der Direktor Hilda ein Fahrrad schenken. Che fuhr ihn an, man verschenkt doch kein Volkseigentum!

Che arbeitete rund um die Uhr: Montag bis Sonnabend saß er im Ministerium. Am Sonntag Vormittag ging er regelmäßig zu Arbeitseinsätzen auf den Bau oder zur Zuckerrohrernte. Für seine Familie blieb ihm häufig nur der Sonntag Nachmittag.

Gegen Bürokratismus

Bei seinen Besuchen in der Sowjetunion musste er schmerzlich erkennen, dass die dort regierende bürokratische Kaste, die sich während der Herrschaft Stalins etabliert hatte, eigene Interessen verfolgte. Ihr ging es nicht darum, die Revolution voranzubringen und den Sozialismus aufzubauen, sondern darum, die eigenen Privilegien zu sichern. Zu seinem Freund Padilla sagte Che: „Ich weiß, dass es ein Schweinestall ist; ich habe es selber gesehen.“

Im April 1963 verfasste Che Guevara in Sorge über die Prozesse in Kuba einen wütenden Artikel unter dem Titel: „Gegen den Bürokratismus“ und bemerkte darin: „Der Bürokratismus ist der Strohhalm für jenen Funktionärstyp, der seine Probleme auf welche Weise auch immer aus der Welt schaffen will.“ Zwar las er auch Leo Trotzki, der neben Lenin der führende Kopf der Russischen Revolution gewesen war und als Marxist den Kampf gegen den Stalinismus aufgenommen hatte. Trotzki hatte analysiert, wie eine Bürokratie entsteht und ein Programm zum Sturz dieser herrschenden Clique entwickelt. Che verinnerlichte diese Gedanken jedoch nicht. Seine Ideen zum Kampf gegen die Bürokratie blieben in Ansätzen stecken. Anders als bei Trotzki sollte bei Che die Arbeiterklasse nur reagieren, auf die Beschlüsse der Führung. Ches ganzer Kampf gegen den Bürokratismus baute, neben einer noch stärkeren Kontrolle von oben, auf einer umfassenden Bildung auf (was völlig richtig ist) und der Schaffung des „neuen Menschen“, des unbestechlichen, fehlerlosen Kaders, der mit dem Volk verwachsen ist. Der sollte durch die Führung aus der Masse herausgefiltert werden – doch eben diese Führung hatte sich bereits zum großen Teil bürokratisiert. Somit hatte sie auch kein Interesse, Ches Kader auszuwählen. Ches Programm gegen den Bürokratismus war somit zum Scheitern verurteilt.

„In der Folge bot sein Industrieministerium Asyl für Opfer sowohl der dogmatischen Altkommunisten als auch der Säuberungsaktionen Fidels“, wie Jon Lee Anderson in seiner Che-Biografie berichtete. In Ches Ministerium sammelte er zahlreiche Revolutionäre, die von den bürokratischen Säuberungen auf Kuba bedroht waren. Zu ihnen zählten der ehemalige Informationsminister Enrique Oltuski, sowie die Dichter Herbert Padilla und Alberto Mora, der sich nach Ches Weggang aus Kuba, unter dem Druck der Bürokratie stehend, das Leben nahm.

Immer heftiger stieß Che mit der Bürokratie auf Kuba und der herrschenden Clique im Ostblock zusammen. Kiwa Maidanek, in den sechziger Jahren Lateinamerika-Experte der KPdSU, bezeichnete Che Guevara als einen „Abenteurer, Parteigänger der Chinesen und Trotzkist“. Tatsächlich war er weder das eine, noch das andere, obwohl er Trotzkis Ideen vor kubanischen StudentInnen lobte.

Aus Sicht des Kreml überspannte er im Februar 1965 bei einer Rede zu „Wirtschaft und Außenhandel in der heutigen Welt“ in der algerischen Hauptstadt Algier den Bogen. Moskau hatte kein Interesse an revolutionären Bewegungen international. Schließlich hätte ein erfolgreicher Sturz des Kapitalismus unter Führung der Arbeiterklasse den Weg Richtung sozialistischer Demokratie weisen können. Das wäre eine direkte Herausforderung der stalinistischen Ein-Parteien-Regime gewesen. Deshalb gab der Kreml zwar immer wieder Gelder für Befreiungsbewegungen in der „Dritten Welt“, arbeitete aber stets auf die Unterordnung gegenüber bürgerlichen Kräften hin. Dazu Che: „Wenn wir dieser Art Beziehung zwischen den beiden Gruppen von Nationen zustimmen, müssen wir uns darüber klar sein, dass die sozialistischen Länder sich in gewisser Weise zu Komplizen der imperialistischen Ausbeutung machen.“ Als Folge für diese Worte verlangte der sowjetische Botschafter auf Kuba, Che Guevara endlich zum Schweigen zu bringen.

Kongo

Der Bürokratisierungsprozess auf Kuba, der Druck der herrschenden Clique auf Che und nicht zuletzt Castros Haltung, der Che Guevaras harte Kritik an der UdSSR als kontraproduktiv ansah, ließen in Che den Entschluss reifen, von Kuba wegzugehen.

Als Castro Che bat, kubanische Truppen im Kongo zu befehligen, musste er ihn nicht lange überzeugen. Che reiste inkognito in den Kongo, um an der Spitze der kubanischen Soldaten die kongolesischen Guerilleros unter Kabila auszubilden. Diese hatten nach der Ermordung des kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba durch den CIA den Kampf aufgenommen.

Che war entsetzt von der Situation, die er vorfand. Die Führer der Revolution waren nicht nur hoffnungslos zerstritten, sie reisten zudem mit prall gefülltem Geldbeutel in alle Herren Länder und ließen die im Kongo kämpfenden Guerilleros im Stich. Diese plünderten ihrerseits die Bauern aus, statt sie vor den Regierungstruppen zu schützen und misshandelten Gefangene.

Die Folge all dessen war die Niederlage der kongolesischen Revolution. Ches Lehren aus diesem Debakel waren höchst widersprüchlich. Er erkannte sehr viel mehr als früher die Notwendigkeit, den Marxismus in der Bevölkerung zu verankern. „Daraus ergibt sich, als wichtigste Aufgabe […] der Aufbau einer Revolutionspartei auf nationaler Ebene mit im Volk verankerten Zielen und anerkannten Kadern.“ Doch die Arbeiterklasse wird seiner Meinung nach in diesem Prozess nur eine zweitrangige Rolle spielen, schließlich sei sie im Gegensatz zu den Bauern „durch die kleinen Bequemlichkeiten der Zivilisation“ von der Bourgeoisie korrumpiert.

Bolivien

Nach der Niederlage der kongolesischen Revolution wandte sich Che Guevara wieder dem Kontinent zu, auf dem seiner Meinung nach die schwerste Schlacht ausgefochten werden wird: Lateinamerika. Von Bolivien aus wollte er ein Übergreifen des revolutionären Krieges in die angrenzenden Länder wie Peru und Argentinien organisieren. Doch es kam zum Desaster.

Im April 1967 wurden die Guerilleros auf ihrer Hacienda entdeckt. Kurze Zeit später musste Che einen Teil seiner Leute zurücklassen, da sie erkrankt waren, unter ihnen auch die aus der DDR stammende Tamara Bunke. Die Trennung sollte nur ein paar Tage dauern und ermöglichen, den Hauptteil der Guerilla-Streitmacht in Bewegung zu halten und dem bolivianischen Militär auszuweichen. Doch die beiden Einheiten begegneten sich nie wieder. Am 31. August wurden die versprengten Guerilleros gefunden und in einem Gefecht getötet.

Anfangs gelang es Che Guevara noch, dem Militär teils schwere Niederlagen beizubringen. Unterdessen hatten Gefangene dem bolivianischen Geheimdienst gegenüber erklärt, dass Che die Guerilleros führt. Sofort wurde die Jagd auf die Einheit verstärkt. US-amerikanische Rangers trafen ein, um das bolivianische Militär auszubilden. CIA-Agenten unterstützten die Suche nach den Guerilleros.

Viel schwerer wirkte sich jedoch die Haltung der Bauern aus. In der Revolution 1953 wurde eine umfangreiche Landreform durchgeführt. Das machte die Bauern weniger empfänglich, einen Guerillakampf zu unterstützen. Beim Eintreffen der Revolutionäre flohen sie teilweise sogar aus ihren Dörfern. Ches Konzeption von einer „Bauernrevolution“ rächte sich nun bitter. Von den bolivianischen ArbeiterInnen und ihrer großen revolutionären Tradition isoliert, erreichte er diese nicht, während die Bauern sich auch nicht einreihen wollten.

Schließlich kreiste das bolivianische Militär ihn am 8. Oktober ein, vernichtete seine Truppe vollständig, nahm ihn gefangen und ermordete ihn.

Ches Vermächtnis

Che Guevaras kompromissloser Einsatz gegen Unterdrückung und seine Opferbereitschaft geben heute noch all denen Kraft, die den Kampf für eine bessere, eine sozialistische Gesellschaft führen wollen. Bei Protesten in Lateinamerika malen Jugendliche immer noch Graffitis an die Wände: „Che vive – Che lebt“. Ches Ablehnung von Bürokratie und Privilegien, sein Internationalismus und sein Engagement für den Sozialismus bieten nach wie vor Inspiration.

Es ist in Ches Sinne, sich kritisch mit seinen Ideen und seiner Politik auseinander zu setzen. Schließlich hatte er selber sein Leben lang versucht, politisch weiterzukommen, hatte sich mit anderen Positionen beschäftigt. Immer darauf aus, den Kampf für eine sozialistische Welt zu stärken.

So richtig es ist, jede sich bietende Chance für eine revolutionäre Veränderung kühn zu ergreifen, so nötig ist es auch, die jeweiligen Bedingungen zu berücksichtigen und sich in der arbeitenden Bevölkerung zu verankern. Diese Erkenntnis ergibt sich aus den Resultaten von Ches Handeln, zuletzt in Bolivien.

Bolivien führte vor Augen, dass er mit seiner Orientierung auf die Bauernschaft als Trägerin der Revolution falsch lag. Den Bauern fällt es auf Grund ihrer Lebens- und Arbeitsverhältnisse viel schwerer als der Arbeiterklasse, ein kollektives Bewusstsein zu erlangen. Demgegenüber zeigte die Russische Revolution, dass die Arbeiterklasse im Bündnis mit den Bauern die Führung übernehmen kann, selbst wenn sie eine Minderheit, (in dem Fall zehn Prozent der Bevölkerung), darstellt. Russland bewies auch, dass eine von den Lohnabhängigen getragene Revolution die Möglichkeit dafür bietet, dass die unterdrückten Massen ihre eigenen Organe schaffen und damit den Grundstein für eine sozialistische Demokratie legen können. Auf Grund der Rückständigkeit und Isolation Russlands ließ sich das damals tragischerweise nicht verteidigen. Es kam zum Stalinismus.

Kuba unterstreicht die Überlegenheit von Verstaatlichung und Planwirtschaft. Im Vergleich zu anderen unterentwickelten Ländern, die kapitalistisch blieben, kam es in Kuba zu bedeutenden sozialen Verbesserungen. Aber leider fehlte es an einer Arbeiterdemokratie. Das förderte die wirtschaftlichen Probleme Kubas. In Kuba sind einschneidende Veränderungen nötig, nicht bei den Produktions- und Eigentumsverhältnissen, aber im politischen Überbau. Bürokratismus und Privilegien müssen beseitigt werden. Auf allen Ebenen muss die arbeitende Bevölkerung das Sagen haben – über demokratische Diskussions- und Entscheidungsorgane, ob diese nun Räte oder anders heißen. Che ahnte dies alles und wollte sich vor seiner Ermordung intensiver mit den Schriften Trotzkis befassen. Aber er war in seinen Schlussfolgerungen nicht so konsequent wie Trotzki, der ein Programm gegen den Stalinismus und für die sozialistische Demokratie entwickelte – das auch heute nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt hat.

Frauenbefreiung und LGBTQI+-Rechte im revolutionären Russland

EMMA QUINN, Socialist Party Irland

Frauenbefreiung und LGBTQI+-Rechte im revolutionären Russland

Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache am 14. Jänner 2016 auf der Homepage der „Socialist Party“, der irischen Sektion des „Committee for a Workers‘ International/Komitee für eine ArbeiterInneninternationale“ (CWI), der internationalen Organisation der Sozialistischen Linkspartei. Die Quellenangaben beziehen sich auf die Quellen in englischer Sprache, die für den Original-Artikel verwendet wurden.

http://socialistparty.ie/2016/01/womens-lgbt-liberation-in-revolutionary-russia/

International politisieren sich junge Menschen über die Unterdrückung von Frauen und LGBTQI+-Personen und beginnen Debatten darüber, wie diese Diskriminierung und Ungleichheit beendet werden kann. EMMA QUINN geht auf die Erfahrungen der Russischen Revolution und die radikalen, fortschrittlichen Maßnahmen, die von den Bolschewiki eingeführt wurden und als erste Schritte gesehen wurden, mit denen die volle Befreiung dieser beiden unterdrückten Gruppen eingeleitet werden sollte.

Kein anderes Ereignis in der Geschichte wurde vom kapitalistischen Establishment verzerrter dargestellt als die Russische Revolution. In ihren Darstellungen der Revolution wird die Rolle von Frauen kaum erwähnt, die massiven Verbesserungen, die durch die Revolution für Frauen erreicht wurden, sogar noch weniger.

Der völlige Sturz des Kapitalismus und Großgrundbesitzes durch die bolschewistische Partei und die ArbeiterInnenklasse 1917 hat eine radikalere Veränderung der Gesellschaft vorangetrieben als jemals zuvor oder danach. Die BolschewistInnen konnten die Macht übernehmen, weil sie die Stimme der unterdrückten Massen, ArbeiterInnen, Armen und Frauen waren. Ungleiche Reichtumsverteilung und Unterdrückung waren nie krasser als heute, der Reichtum des reichsten 1% der Weltbevölkerung wird ab 2016 höher sein als der der anderen 99% miteinander. Mitten in dieser steigenden Ungleichheit bleibt die Unterdrückung von Frauen und der LGBTQI+Community weltweit, selbst in den am meisten entwickelten Ländern, bestehen und ist ein großes, politisierendes Thema, besonders für junge Menschen – in Irland und international. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Und es gibt keine wichtigeren, als jene, die wir aus der Russischen Revolution lernen können.

Die Bolschewiki betonten die Rolle der gesamten ArbeiterInnklasse für die Veränderung der Gesellschaft und erkannten, dass Frauen unter einer doppelten Unterdrückung litten, die ihre Wurzeln im Kapitalismus und im bäuerlichen Patriarchat hatte. Für die Bolschewiki war die Befreiung der Frauen entscheidend im Kampf für eine sozialistische Gesellschaft. Lenin fasste die Wichtigkeit davon 1920 zusammen, als er erklärte: „Das Proletariat kann die Freiheit nicht erlangen, bis es die völlige Freiheit für Frauen gewonnen hat“. [i] Frauen spielten eine führende Rolle in der bolschewistischen Partei, sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene. Und die Auswirkungen der Revolution veränderten das Bewusstsein und die Leben von Frauen aus der ArbeiterInnenklasse auf einer breiten Ebene.

Anti-Kriegs-Agitation und die bolschewistischen Frauen

Im Vorfeld der Revolution spielten Frauen eine wichtige Rolle, sowohl beim Niedergang des zaristischen Regimes als auch beim Sieg der Bolschewiki. Mehr als jede andere politische Kraft zu dieser Zeit verstanden die Bolschewiki die Bedeutung davon. Als zehntausende Frauen im Februar 1917 auf die Straße gingen, waren ihre Forderungen Gerechtigkeit, Frieden und Brot. Diese Ereignisse lösten die Februarrevolution aus. Der Protest brach am internationalen Frauentag aus. Dieser wurde in Russland von der bolschewistischen Aktivistin Konkordia Samoilova vier Jahre zuvor, 1913, eingeführt. [ii] Bolschewistische Frauen spielten eine Schlüsselrolle bei der Organisierung der Demonstrationen. Sie bauten einen stadtweiten Frauenzirkel auf, der unter arbeitenden Frauen und Frauen von SoldatInnen mobilisierte und agitierte, trotz ständiger Schikanen des Staatsapparates. Die bolschewistische Partei, inklusive ihrer weiblichen Mitgliedschaft, hatte wegen ihrer entschiedenen Opposition zum ersten Weltkrieg seit 1914 unter heftiger Repression gelitten, viele wurden gefangen genommen oder mussten ins Exil fliehen. Das, und die Brutalität, welcher die ArbeiterInnenklasse durch den Krieg ausgesetzt war, inspirierte sie, am internationalen Frauentag eine Anti-Kriegs-Demonstration zu organisieren. Am 23. Februar flutete die ArbeiterInnenklasse Petrograds auf die Straßen, angeführt von Frauen, die die Bevölkerung aufriefen, sich anzuschließen und an die Soldaten appellierten, nicht zu schießen und mit ihnen zu marschieren.

Der Internationale Frauentag 1917

„Am Frauentag, am 23. Februar 1917, wurde in einer Mehrheit der Fabriken und Werke ein Streik erklärt. Unter den Frauen herrschte eine sehr kämpferische Stimmung – nicht nur unter den Arbeiterinnen, sondern auch unter den Massen der Frauen, die sich in Schlangen für Brot und Kerosin anstellten. Sie hielten politische Treffen ab, dominierten die Straßen, bewegten sich zur Stadtduma mit der Forderung nach Brot, hielten Straßenbahnen an. „GenossInnen, kommt heraus“, riefen sie enthusiastisch. Sie gingen zu Fabriken und Werken und riefen die ArbeiterInnen auf, die Werkzeuge niederzulegen. Alles in allem war der Frauentag ein enormer Erfolg und beflügelte den revolutionären Geist“, schrieben Anna und Maria Uljanow in der Pravda vom 5. März 1917. [iii]

Die BolschewistInnen erkannten das Ausmaß der Radikalisierung von Frauen im Sommer, der auf die Februarrevolution folgte, als eine Welle von Streiks unter anderem WäscherInnen, Dienstleistungssektor, Hausangestellte, VerkäuferInnen und KellnerInnen erfasste. Während dieser Periode ragten die Bolschewiki heraus bei der Organisierung von Arbeiterinnen. Die Bolschewiki, besonders die weiblichen Mitglieder, wendeten massive Anstrengungen auf, um Arbeiterinnen und Frauen von Soldaten zu erreichen und waren erfolgreich dabei, eine Basis unter diesen neu politisierten Schichten von Frauen aufzubauen – trotz der Schwierigkeit von tief verwurzeltem Sexismus und der Haushaltsverantwortung und des Analphabetismus von vielen. Sofia Goncharskaia, ein Mitglied der bolschewistischen Partei, leitete die Gewerkschaft der WäscherInnen und spielte eine Schlüsselrolle in ihrer Aktivität. [iv] Revolutionäre Frauen gründeten weibliche Lesekreise unter Streikenden, um die Frauen zu politisieren und auszubilden. Durch die Streiks wurden Frauen in breitere ArbeiterInnenkämpfe gezogen und ihr Klassenbewusstsein gefestigt. Als die Bolschewiki im Oktober die Macht ergriffen und die provisorische Regierung stürzten, waren mehr Frauen am Sturm des Winterpalais beteiligt als bei seiner Verteidigung, auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird.

Die fortschrittlichsten Gesetze der Geschichte

Am 17. Dezember 1917, nur sieben Wochen nach der Formung des ersten ArbeiterInnenstaats der Welt, wurden religiöse Ehen abgeschafft und eine sehr einfach zugängliche Scheidung legalisiert. Im folgenden Monat wurde das Familiengesetzbuch eingeführt. Es schrieb die gesetzliche Gleichstellung von Frauen fest und schaffte die „Unrechtmäßigkeit“ von Kindern ab. Herausragend ist - und das streicht hervor, wie wichtig das Thema eingeschätzt wurde - dass das Familiengesetzbuch von den Bolschewiki eingeführt wurde, während sie gleichzeitig versuchten, den Weltkrieg zu beenden, einen BürgerInnenkrieg zu verhindern, die Bauernschaft zu befreien und die Industrie und Wirtschaft so schnell wie möglich anzukurbeln.

 

Während der gesamten 1920er wurde das Familiengesetzbuch erweitert und jede Änderung wurde von einer breiten, öffentlichen Diskussion begleitet. Von ihren ersten Tagen an argumentierte die Propaganda des sozialistischen Russlands für die Gleichstellung von Frauen, aber der Dreh- und Angelpunkt war für die Bolschewiki die Versklavung der Frauen in der traditionellen Familie. Vor der Revolution war das Leben einer Frau strikt vorgegeben: Heiraten, monogam sein, Kinder bekommen und an die „ewige Schinderei der Küche und Kinderstube“ gekettet sein. [v] Die Lebensqualität von Frauen wurde nie in Betracht gezogen und ob sie glücklich waren oder nicht, war irrelevant. Die Bolschewiki begannen sofort, das zu bekämpfen und die Rolle der russischen orthodoxen Kirche und des Patriarchats gleich mit.

Inessa Armand, die Direktorin des Zhenotdel, des Frauenbüros, das gegründet wurde, sagte „solange die alten Formen der Familie, des Haushalts und der Kindererziehung nicht abgeschafft sind, wird es unmöglich sein, Ausbeutung und Versklavung zu zerstören, es würde unmöglich sein, den Sozialismus aufzubauen“. [vi]

Der Kampf gegen die „traditionelle Familie“

Die Revolution unternahm enorme Anstrengung, um den sogenannten „Familienherd“ zu zerstören und begann, Pläne für gesellschaftliche Betreuung umzusetzen. Das beinhaltete Wöchnerinnenheime, Kliniken, Schulen, Kinderkrippen und Kindergärten, Sozialkantinen und -wäschereien. All das zielte darauf ab, Frauen von den Zwängen der Hausarbeit zu befreien. Bezahlte Schwangerschaftskarenz, sowohl vor als auch nach der Geburt, wurde eingeführt. Zugang zu Wickelräumen an den Arbeitsplätzen, um Stillen zu ermöglichen, und Pausen alle drei Stunden für junge Mütter wurden im Arbeitsgesetz festgeschrieben.

Abtreibung wurde 1920 legalisiert und von Trotzki als eines der „wichtigsten zivilen, politischen und kulturellen Rechte“ von Frauen beschrieben. [vii] Abtreibungen waren kostenlos und wurden vom Staat zugänglich gemacht, wobei Arbeiterinnen erste Priorität hatten.

Im November 1918 trat die erste all-russische Konferenz der Arbeiterinnen zusammen, organisiert von Alexandra Kollontai und Inessa Armand, mit über 1.000 Teilnehmerinnen. Die Organisatorinnen bekräftigten, dass die Emanzipation von Frauen Hand in Hand mit dem Aufbau des Sozialismus geht. [viii]

 

Nicht lange nachdem diese Veränderungen durchgeführt wurden, begannen die Kräfte der Reaktion einen BürgerInnenkrieg im Land, das bereits vom ersten Weltkrieg verwüstet war. Kurz nachdem der Krieg begann, wurde das Frauenbüro, das „Zhenotdel“, gegründet. Sein Ziel war es, Frauen zu erreichen, sie in die Aktivität zu bringen und auszubilden und sie über ihre neuen Rechte zu informieren. Das Büro organisierte Literaturkurse, politische Diskussionen und Workshops darüber, wie man Einrichtungen, die man am Arbeitsplatz braucht, organisiert, zum Beispiel Tagesstätten für Kinder usw. Delegierte Frauen aus Fabriken nahmen an Bildungskursen, die vom Büro organisiert wurden, teil. Die Kurse dauerten drei bis sechs Monate, dann kehrten sie zu ihren KollegInnen zurück, um zu berichten.

Das Frauenbüro war erfolgreich darin, das Bewusstsein unter Massen von Arbeiterinnen bei einer ganzen Reihe von Themen, wie Kindererziehung, Wohnen und öffentliches Gesundheitssystem, zu stärken und erweiterte den Horizont von tausenden Frauen. 1922 überstieg die Zahl der weiblichen Mitglieder der Kommunistischen Partei 30.000.

Trotz des Mangels wegen des Krieges stellte die Rote Armee dem Frauenbüro einen Zug und Zugang zum Eisenbahnsystem zur Verfügung, um durch das Land reisen und lokale Gruppen aufbauen zu können. Tausende Frauen traten bei. Die Ortsgruppen hielten sowohl kleine als auch große Treffen ab, außerdem Diskussionszirkel, die sich spezifisch mit Themen befassten, die Frauen betreffen.

Kristina Suvorova, eine Hausfrau aus einer kleinen Stadt im Norden des Landes, beschrieb die Beziehung und das Gefühl der Einbindung während der wöchentlichen Treffen zwischen Frauen von Soldaten und dem örtlichen Sekretär der bolschewistischen Partei: „Wir redeten über Freiheit und Gleichberechtigung von Frauen, über Warmwasser zum Waschen der Kleidung; wir träumten von fließendem Wasser in der Wohnung… das örtliche Parteikomitee behandelte uns mit aufrichtiger Aufmerksamkeit, hörte uns respektvoll zu, machte uns behutsam auf unsere Irrtümer aufmerksam, brachte uns Stück für Stück Weisheit und Vernunft bei. Es fühlte sich an, als wären wir eine glückliche Familie.[ix]

 

Sexuelle Freiheit

Während der gesamten Periode nach der Revolution stellten die Bolschewiki weitreichende und freie Debatten über Sexualität sicher, eine grundlegende Veränderung zum vorherigen Regime – sogar, als sie darum rangen, bis zur sozialistischen Revolution in anderen Ländern durchzuhalten. Und das entsprang direkt aus ihrer Philosophie der Selbstermächtigung der ArbeiterInnenklasse.

Die Veränderungen bei Familien und Familienstrukturen führten dazu, dass viele ihren Zugang zu Beziehungen völlig veränderten. 1921 zeigte eine Studie der Kommunistischen Jugend, dass 21% der Männer und 14% der Frauen die Ehe ideal fanden. 66% der Frauen bevorzugten langfristige Beziehungen, die auf Liebe basieren und 10% bevorzugten Beziehungen mit verschiedenen PartnerInnen. 1918 gab es in Moskau 7.000 Scheidungen und nur 6.000 Eheschließungen.

Alexandra Kollontai verteidigte die radikalen Veränderungen und erklärte, dass sich „die alte Familie, in der der Mann alles und die Frau nichts war, die typische Familie, in der die Frau keinen eigenen Willen, keine Zeit für sich selbst und kein eigenes Geld hatte, vor unseren Augen verändert...“ [x]

Die Bolschewiki glaubten, dass Beziehungen auf freier Entscheidung und persönlichem Zueinander-passen basieren sollten – und nicht auf finanzieller Abhängigkeit. Sie versuchten, die patriarchische Familie zu untergraben, indem sie öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung stellten, die die Haushaltsarbeit ersetzen und freie Mußezeit ermöglichen. Das sahen sie als Element zum Aufbau des Sozialismus.

Von 1917 bis 1920 verbreiteten sich Sex-Debatten, -Forschungen und -Experimente über das ganze Land. Hunderte Broschüren, Magazine und Romane wurden über Sex geschrieben. Die Radikalisierung der Gesellschaft hörte nach der Revolution nicht auf. Die „Pravda“ druckte viele Artikel und Briefe, die Sex thematisierten. Vor allem junge Menschen waren begierig, ihre Sexualität zu erkunden, eine junge Frau, Berakova, schrieb „Roten Studenten“ 1927:

„Ich fühle, dass Frauen wie wir, obwohl wir noch immer nicht die volle Gleichstellung mit Männern erreicht haben, trotzdem Sinne und Vorstellungen haben. Die „Cinderellas“ sind alle verschwunden. Unsere Frauen wissen, was sie von einem Mann wollen. Ohne sich Sorgen machen zu müssen, schlafen viele von ihnen mit Männern, weil sie sich von ihnen angezogen fühlen. Wir sind keine Objekte oder Dummköpfe, die Männer umwerben sollten. Frauen wissen, wen sie sich aussuchen und mit wem sie schlafen.“ [xi]

Das wurde in einem Land geschrieben, in dem ein Jahrzehnt davor Abtreibung, Scheidung und Homosexualität gesetzlich verboten waren.

Prostitution wurde 1922 gezielt entkriminalisiert, aber Zuhälterei wurde gesetzlich verboten. Kliniken, die Frauen mit sexuell übertragbaren Krankheiten behandelten und sexuelle Aufklärung sowie Arbeitsausbildungen anboten, wurden eröffnet. Trotzki beschrieb Prostitution als „die extreme Degradierung von Frauen im Interesse von Männern, die dafür bezahlen können“. [xii]

Bolschewistische Sexualverbrechens-Gesetze waren unverkennbar in ihrer Geschlechtsneutralität und ihrer Ablehnung von Moral und moralischer Sprache. Das Gesetz schrieb fest, dass Sexualverbrechen „die Gesundheit, Freiheit und Würde“ des Opfers verletzen. Vergewaltigung wurde per Gesetz definiert als „nicht-einvernehmlicher Geschlechtsverkehr durch den Einsatz von physischer oder psychischer Gewalt.“ [xiii]

1921 war der BürgerInnenkrieg vorbei, Millionen von Leben verloren, Industrien zerstört, Hungerkatastrophen und Krankheiten weit verbreitet. Die wirklichen Ressourcen des Staates stimmten nicht mit den Visionen und Vorhaben der RevolutionärInnen überein. Die Wirtschaft bewegte sich am Rande des Kollaps. 1921 waren radikale Maßnahmen notwendig und die Regierung führte die „Neue Ökonomische Politik“ (NEP) ein. Das beinhaltete eine begrenzte Einführung von Marktmechanismen, der Versuch, die Wirtschaft am Leben zu erhalten, um durchhalten zu können bis zur Unterstützung der internationalen ArbeiterInnenklasse durch eine weitere Revolution in Deutschland, einer großen kapitalistischen Wirtschaft, in der es eine sozialistische ArbeiterInnenmassenbewegung und revolutionäre Bewegungen gab. Die NEP war ein Versuch, die Produktion unter diesen Umständen wiederherzustellen, aber resultierte in Leistungskürzungen, um den ArbeiterInnenstaat aufrechtzuerhalten, während für eine internationale Ausbreitung der Revolution agitiert wurde.

Angesichts der Tatsache, dass der Staat die Versorgung für Kinder nicht finanziell sicherstellen konnte und es unter Männern üblich war, Mütter zu verlassen, begann der Staat Unterstützung für Frauen, die mit der Versorgung der Familie zu kämpfen hatten, zur Verfügung zu stellen. Der Staat druckte Broschüren und Flugblätter, damit Frauen ihre Rechte kannten. Die Gerichte waren parteilich zugunsten von Frauen und priorisierten das Kind über die finanziellen Interessen des Mannes. In einem Fall teilte der Richter die Zahlung durch drei, weil eine Mutter in Beziehungen mit drei möglichen Vätern war.

Grundlegende Veränderungen im Leben von LGBTQI+-Personen

Die Russische Revolution veränderte auch die Leben von LGBTQI+-Personen. Unter dem Zaren war Homosexualität verboten, „Sodomie“ illegal; lesbische Liebe, wie weibliche Sexualität insgesamt, wurde völlig ignoriert. Nach der Revolution wurde Homosexualität entkriminalisiert, als 1922 alle Anti-Homosexuellen-Gesetze aus dem Gesetzbuch entfernt wurden.

In seiner Arbeit „Geschlecht und Sexualität in Russland“ beschreibt Jason Yanowitz den Einfluss, den die Revolution auf lesbische, schwule und Transgenderpersonen hatte. Erhaltene Memoiren zeigen, dass viele Schwule und Lesben die Revolution als Chance, offene Leben zu führen, wahrnahmen. Gleichgeschlechtliche Ehen waren legal, wie weit sie verbreitet waren, ist wegen unzureichender Untersuchungen unbekannt, aber mindestens ein Gerichtsfall etablierte die Legalität. Es gab Menschen, die nach der Revolution entschieden, als das andere Geschlecht zu leben und 1926 wurde es legal, das Geschlecht im Pass zu ändern. Inter- und transsexuelle Menschen erhielten medizinische Behandlung und wurden nicht dämonisiert. Forschungen zu diesen Themen wurde staatlich finanziert und es wurde erlaubt, Geschlechtsumwandlungen auf Wunsch des/der PatientIn durchzuführen. Offen homosexuelle Menschen konnten in Regierungsämtern und öffentlichen Positionen arbeiten. Georgy Chicherin zum Beispiel wurde 1918 als Außenminister eingesetzt. Er war ein offen homosexueller Mann mit einem ausgefallenen Stil. Es ist undenkbar, dass ein solches Individuum diese Rolle von einem kapitalistischen Land zuerkannt bekommen hätte.

1923 führte der Gesundheitsminister eine Delegation zum Institut für sexuelle Forschung in Berlin und beschrieb die neuen Gesetze zur Homosexualität als „bewusst emanzipatorisch, in der Gesellschaft breit akzeptiert und niemand versucht, sie zurückzunehmen. [xiv]

Die stalinistische Konterrevolution greift die Errungenschaften an

Jahre des Krieges gegen die UnterstützerInnen des Zaren und imperialistischer Armeen, die beabsichtigten, den ArbeiterInnenstaat zu zerschlagen – und die ausschlaggebende Isolation der Revolution durch die Niederlagen der Deutschen Revolution und anderer Aufstände der ArbeiterInnenklassen in Europa, schufen Bedingungen, die die Machtergreifung einer Bürokratie unter Stalin ermöglichten. Das drückte eine politische Konterrevolution aus, bei der Stalin und die Bürokratie autoritäre Maßnahmen anwandten, um das Bewusstsein, den Aktivismus und die Demokratie der ArbeiterInnen zu Hause in Russland zu zerstören und ihre Autorität nutzten, um Siege der sozialistischen Bewegung in anderen Ländern zu verhindern. Alles das mit dem Ziel, die Privilegien einer Bürokratie an der Spitze einer geplanten Wirtschaft zu zementieren. Diese Konterrevolution bewegte sich nicht nur weg vom Kampf für Sozialismus, eine Gesellschaftsform, deren Kern die Demokratie in allen Bereichen des Lebens ist, sondern attackierte auch bewusst die Errungenschaften, die von Frauen erkämpft wurden – mit dem Ziel, das Bewusstsein, den Aktivismus und die Interessen der ArbeiterInnenklasse als Ganzes zurückzuwerfen.

Unglaublich Inspirierendes Erbe

Der Aufstieg der Bürokratie, Stalins Verrat der Revolution und die Rücknahme der Errungenschaften vermindern nicht die Bedeutung der Bolschewiki und ihres Programms. Nie zuvor spielten Frauen eine solche Rolle in der Politik. Nie zuvor hatte eine Führung oder politische Kraft Anstalten gemacht, die Unterstützung von Frauen oder der LGBTQI+-Community zu sichern und die Qualität von deren Leben und ihr Glück in Betracht gezogen. Manche der Errungenschaften der Russischen Revolution vor fast einem Jahrhundert existieren heute in vielen Ländern noch immer nicht, wie in Irland, wo Kirche und Staat noch immer verbunden sind und ein schändliches verfassungsrechtliches Abtreibungsverbot weiterbesteht. Die Oktoberrevolution bleibt ein unbestreitbares und inspirierendes Zeugnis für die unlösbare Verbindung des Kampfes gegen alle Formen der Unterdrückung mit dem Kampf der ArbeiterInnenklasse für eine sozialistische Veränderung. Es ist absolut unglaublich, dass beispielsweise manche Transgender-Rechte anerkannt wurden, Jahrzehnte bevor sich die Frauen- und Homosexuellen-Befreiungsbewegungen entwickelten.

Die Wiedereinführung des Kapitalismus in Russland war ein Desaster. Neoliberaler Kapitalismus hat eine Ära von schnellem Verfall des Lebensstandards eingeleitet. Das und die entsetzliche und massive Unterdrückung der LGBTQI+-Community in Russland heute weisen auf die zutiefst reaktionäre Natur des kapitalistischen Systems hin. Kapitalismus in Russland steht für alles andere als Fortschritt und Demokratie. Errungenschaften, die vor einem Jahrhundert von der marxistischen Bewegung erreicht wurden sind für das reaktionäre Putin-Regime ein Gräuel. Es ist eines der für LGBTQI+-Menschen gefährlichsten Regimes der Welt.

Die Bewegung, die sich im Süden Irlands rund um das Ehegleichstellungs-Referendum im Frühling 2015 Bahn brach und die wachsende Bewegung im Norden für dieses Recht, belegen, dass ArbeiterInnenklasse-Gemeinden soziale und ökonomische Gleichstellung wollen und bereit sind, das Establishment herauszufordern. Frauen in Irland haben die Rechnung für ein brutales Kürzungs-Regime bezahlt und es waren diese Frauen, die nach vorne traten, um eine zentrale Rolle sowohl im Referendum als auch im Kampf gegen die Wasserabgaben im Süden zu spielen.

Die Russische Revolution zeigt, dass die ArbeiterInnenklasse die mächtigste Kraft in der Gesellschaft ist. Und nur der bewusste Aufbau einer Bewegung der 99% kann der aufblühenden Ungleichbehandlung von Frauen, LGBTQI+-Personen und Armen ein Ende setzen. Und so wie die Bolschewiki müssen auch wir erkennen, dass der Kapitalismus einfach nicht besiegt werden kann ohne Frauen - und besonders Frauen aus der ArbeiterInnenklasse, die an der Spitze des Kampfes gegen das 1% stehen.

[i] VI Lenin, On the emancipation of Women, Progress Publishers, 1977, Pg 81

[ii] Jane McDermid and Anna Hillyar, Midwives of the Revolution – Female Bolsheviks and Women workers in 1917, UCL Press, 1999, pg 67-68

[iii] Ibid. pg 8

[iv] Ibid. pg 9

[v] VI Lenin, On the emancipation of Women, Progress Publishers, 1977, Pg 83

[vi] Karen M Offen, European Feminism 1700-1950, Standford University Press 2000, Pg 267

[vii]  Leon Trotsky, The Revolution Betrayed, Dover Publications 2004, Pg 113

[viii] Barbara Alpern Engel, Women in Russia 1700-2000, Cambridge University Press 2004, pg 143

[ix] Ibid. pg 142

[x] Alexandra Kollontai, Communism and the Family, 1920

[xi] From Jason Yanowitz’s podcast, “Sex and Sexuality in Soviet Russia, http://wearemany.org/a/2013/06/sex-and-sexuality-in-soviet-russia

[xii] Leon Trotsky, The Revolution Betrayed, Dover Publications 2004, Pg 112

[xiii] http://wearemany.org/a/2013/06/sex-and-sexuality-in-soviet-russia

[xiv] Ibid.

 

 

 

Marx aktuell: Reform geht nur mit revolutionärer Politik

Moritz Erkl und Sebastian Kugler

Die andauernde Wirtschaftskrise hat auch die politische Landschaft erschüttert. Als Ausdruck von Unzufriedenheit und Widerstand gegen etablierte Politik und Spardiktat schossen neue linke Formationen empor: Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, Mélenchons France Insoumise in Frankreich, usw. Die Krise der etablierten Politik ist so tief, dass sogar in komplett prokapitalistischen und bürokratischen Parteien wie der Labour Party in Britannien oder der PSOE in Spanien Risse entstehen. Linke wie Corbyn oder Sánchez gelangen gegen den Willen der Apparate an die Spitze. Die Kampagne von Sanders erschütterte sogar die stockbürgerlichen US-Demokraten.

 

Trotz aller Unterschiedlichkeiten gibt es hier Gemeinsamkeit: Ihr (anfänglicher) Erfolg liegt nicht einfach an klugen Medienkampagnen – sondern daran, dass sie eine Alternative zur Kürzungspolitik und einen Bruch mit dem Spardiktat propagierten. Dass sie auf Straßen, in Betrieben und Ausbildungseinrichtungen präsent waren.

Ihre Forderungen beinhalten nicht nur Ablehnung der Kürzungspolitik, sondern oft wichtige Verbesserungen für die ArbeiterInnenklasse. In den 1960er und 1970ern konnten reformistische Parteien auf Basis des Nachkriegsaufschwungs echte Verbesserungen umsetzen. Doch mit Ende dieses Aufschwungs und der sich entfaltenden strukturellen Krise des Kapitalismus, die 2007/8 offen ausbrach, folgte die neoliberale Wende. In der Krise verkleinert sich der Spielraum für Verbesserungen innerhalb des Kapitalismus zunehmend. Als Syriza an die Macht kam, hätte eine auch nur teilweise Umsetzung ihres ohnehin beschränkten Programms den Bruch mit Troika, EU und Kapitalismus benötigt. Tsipras und Co entschieden sich dagegen. Als einzige Alternative blieb die völlige Unterordnung unter das Spardiktat und die Durchführung der brutalsten Kürzungspakete der griechischen Geschichte.

Die griechische Tragödie ist eine grausame Lehre für kommende linke Regierungen: Wer an die Macht kommt und nicht bereit ist, mit dem Kapitalismus zu brechen, verschlimmert die soziale Katastrophe nur. Wenn also SozialistInnen solche Reformenforderungen richtigerweise unterstützen, dann muss stets aufgezeigt werden, dass die Durchsetzung zur Infragestellung oder sogar Bruch mit dem Kapitalismus führt.

Den Kapitalismus abschaffen ist kein Kindergeburtstag – es braucht Massenbewegungen und Selbstaktivität von unten, um den tödlich-aggressiven Gegenangriffen des Kapitals zu widerstehen. Damit solche Bewegungen in der Lage sind, die Verbesserungen zu erkämpfen, zu verteidigen und mit dem Kapitalismus zu brechen, brauchen sie eine revolutionäre Organisation – eine Partei, die die aktivsten und kämpferischsten Elemente der Bewegungen vereint und die Erfahrungen der Vergangenheit mit einbringt.

Wir sind keine RevolutionärInnen, weil wir gerne Bumm-Bumm spielen. Sondern weil die fortgesetzte strukturelle Krise des Kapitalismus nur zwei Wege offen lässt: Verschärfung der Angriffe auf Lebensstandards und demokratische Rechte, um die Profite wiederherzustellen – oder den Bruch mit dem kapitalistischen Profitsystem, um auch nur graduelle Verbesserungen für die Massen der Bevölkerung erreichen und absichern zu können. In der Krise gibt es keine Reform ohne Revolution

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Unsere Geschichte - ein Auszug

1981: Beim internationalen Sozialistischen Jugend-Treffen in Wien werden die ersten CWI-Mitglieder in Österreich gewonnen. In der Folge organisieren sie sich um die Zeitung „Vorwärts“, die ab 1983 erscheint.

1992: Die Vorwärts-Strömung wird zur Gefahr für die Bürokratie der SPÖ und SJ. Vorwärts-AktivistInnen werden ausgeschlossen, Bezirksgruppen geschlossen, Heim- und Redeverbote auferlegt. Das von Vorwärts initiierte Antifa-Komitee mobilisiert zur ersten europaweiten antirassistischen Demonstration in Brüssel. 40.000 folgen dem Aufruf der CWI-Organisationen verschiedenster Länder.

1996: Neugründung als „Sozialistische Offensive Vorwärts“. Die SOV kandidiert gemeinsam mit der KPÖ bei den EU-Wahlen.

2000: Umbenennung in SLP. Wir initiieren den größten politischen Schulstreik der Geschichte gegen die Schwarz-Blaue Regierung. Als Folge unserer Kampagne gegen die radikalen AbtreibungsgegnerInnen und zur Verteidigung der Mairo/Lucina-Klinik in Wien klagen uns 2002 die AbtreibungsgegnerInnen – und verlieren. 2003 werden als Ergebnis unserer Kampagne die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche in Wiener Gemeindespitälern deutlich gesenkt.

2004: Beginn der Kampagne gegen den neonazistischen BFJ in Oberösterreich, die zu seiner weitgehenden Zerschlagung führt.

2008: Bei den Nationalratswahlen tritt die SLP als Teil des Wahlbündnisses „Linke“ an. Die KPÖ ist leider nicht dabei. Es werden wichtige Erfahrungen gesammelt.

2010: Blockade gegen die Abschiebung von Ousmane C. aus Guinea. Bei zahlreichen Aktivitäten gegen Abschiebungen setzt die SLP immer auf Einbeziehen von Betroffenen, Umfeld und auf Öffentlichkeit – Impulse, die für die Flüchtlingsproteste 2012 wichtig sind.

2011: Beim mehrtägigen MetallerInnenstreik ist die SLP täglich mit einer neuen „Streikinfo“ vor dem Opel Werk in Wien und anderen Betrieben.

2015: Die SLP organisiert konkrete Hilfe für Flüchtlinge und schlägt in der Solidaritätsbewegung einen gemeinsamen Kampf für gleiche Rechte, Jobs und Wohnungen für alle vor: „Flüchtlinge bleiben – Reiche enteignen“.

2016: Die SLP beteiligt sich an der Gründung von „Aufbruch“. Zur Aktionskonferenz kommen über 1.000 Menschen. SLPlerInnen sind in lokalen Gruppen und der Koordination aktiv.

2017: Erstmals tritt die SLP bei Wahlen in zwei Bundesländern – Wien und Oberösterreich – an.

Unsere Broschüre zur Geschichte der SLP: https://www.slp.at/broschueren/keine-faulen-kompromisse-vorw%C3%A4rts-zum-sozialismus-ein-historischer-abriss-unserer-arbeit

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Das schwierige Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie

Sonja Grusch

Der französische Präsident Macron will seine Angriffe auf die Rechte von Beschäftigten am Parlament vorbei entscheiden. Ein weiterer Politiker, der die bürgerliche Demokratie beschneidet. In der Terrorismusbekämpfung gehen die Regierung zur vermeintlichen Verteidigung „unserer bürgerlich-demokratischen Grundwerte“ durch die Ausschaltung ebendieser vor. Die bürgerliche Demokratie ist in der Krise. Die WählerInnen misstrauen ihr  wird doch zunehmend deutlich, dass sie in der Praxis eine Demokratie der Reichen und Mächtigen ist. Und den Herrschenden wird sie zunehmend lästig, weil zu träge und umständlich.

Trotzki beschreibt 1932 in „Der einzige Weg“ das Verhältnis des Kapitals zur Demokratie in drei Etappen: „den Anfang der kapitalistischen Entwicklung, als die Bourgeoisie zur Lösung ihrer Aufgaben revolutionäre Methoden benötigte; die Blüte- und Reifeperiode des kapitalistischen Regimes, wo die Bourgeoisie ihrer Herrschaft geordnete, friedliche, konservative, demokratische Formen verlieh; endlich den Niedergang des Kapitalismus, wo die Bourgeoisie gezwungen ist, zu Bürgerkriegsmethoden gegen das Proletariat zu greifen, um ihr Recht auf Ausbeutung zu wahren.“ Die Blüte- und Reifeperiode mit ihrer bürgerlichen Demokratie galt und gilt keineswegs im Weltmaßstab - sondern im Wesentlichen für bestimmte Perioden in den entwickelten kapitalistischen Ländern. Dass sich der Kapitalismus schon länger in dieser Niedergangsphase befindet ist offensichtlich. Er behindert die Entwicklung der Menschheit und stolpert von einer Krise in die nächste. Der „Luxus der Demokratie“ (Trotzki 1938 im Übergangsprogramm) wird für die Herrschenden zum Hindernis für die aus ihrer Sicht notwendigen Maßnahmen.

Wenn auf der Basis des Wachstums der Wirtschaft auch für die Erhöhung des Lebensstandards der Massen was abfällt, stellt die bürgerliche Demokratie oft die für das Kapital günstigste Herrschaftsform dar. Man benötigt keinen großen Repressionsapparat zur Unterdrückung. Zwar beschließt das Parlament auch gewisse Einschränkungen für die Herrschenden, doch es bleibt alles in einem vertretbaren, weil die Profite sichernden, Rahmen. Wenn das Erlangen dieser Profite schwerer wird, weil die Märkte heißer umkämpft sind wie in der aktuellen Krise, dann brauchen die Herrschenden rasch Maßnahmen, die das jeweilige nationale Kapital am Weltmarkt nach vorne katapultiert. Es ist also notwendig, die Arbeitskraft billiger zu machen und eventuelle Proteste zu unterbinden. Die verschiedenen bürgerlichen Strömungen unterscheidet sich dabei nur unwesentlich. Von Rechtsextremen über Konservative, Liberale bis hin zu Sozialdemokraten: sie regieren mit Ausnahmezuständen, ungewählten Regierungen, überwachen uns, beschränken unsere Rechte…

Die bürgerliche Demokratie ist eine beschränkte. Als SozialistInnen verteidigen wir aber entschlossener als alle die Liberalen und „Demokraten“ die (beschränkten) Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie während wir gleichzeitig für die Überwindung derselben und den Ersatz durch echte, sozialistische Demokratie kämpfen. Das bedeutet die Verwaltung und Kontrolle der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft durch alle - und nicht nur eine reiche Elite.

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SLP-Buchtipp: Durch die Russische Revolution

2017 jährt sich die Russische Revolution zum 100. Mal. Zu diesem Anlass legt der Manifest-Verlag ein verschollenes, aber beeindruckendes Dokument der damaligen Ereignisse wieder auf: Den Erlebnisbericht des Augenzeugen der Revolution Albert Rhys Williams. Williams war kein neutraler Beobachter. In den USA gehörte er der jungen sozialistischen Bewegung an und organisierte Unterstützung für die Arbeiterbewegung und sozialistische Präsidentschaftskandidaten. So finden wir in ihm einen Mann, der wohlwollend der Russischen Revolution gegenüber steht und mit Einfühlungsvermögen den Enthusiasmus und Heroismus, aber auch die Angst und die Zweifel der RevolutionärInnen und Bevölkerungen in sich aufnimmt und in seinem Erlebnisbericht mit den LeserInnen teilt.

Er reiste während seiner Reise von Petrograd nach Wladiwostok und immer wieder gelingt es ihm, ins Herz der Ereignisse zu gelangen und damit auch manchmal direkt in die Schusslinie. Von den BäuerInnen als Gast, den Matrosen als Genosse und der Konterrevolution als Verräter und Bolschewistenfreund gesehen, schließt er enge Freundschaften und wird zum Feind der Reaktion. Über 50 Abbildungen illustrieren seinen Weg durch das riesenhafte Land. So ist dieses Buch vieles auf einmal: Abenteuerroman, Augenzeugenbericht und ein Zeugnis des Muts und der Entschlossenheit, mit der die Menschen des jungen Sowjetstaates ihre Revolution verteidigen.

 

Albert Rhys Williams: Durch die Russische Revolution
222 S., über 50 z.T. farbige Abbildungen, 14,90 €

ISBN: 978-3-96156-011-0

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

77. Jahrestag der Ermordung Leo Trotzkis

Ein Leben für die Befreiung der Arbeiterklasse / Repost eines Artikel der 2010 erschien
Sebastian Förster

Verleumdet, von allen Ämtern enthoben und aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, verfolgt, verbannt und in Abwesenheit bei den Moskauer Schauprozessen zum Tode verurteilt, wurde Leo Trotzki vor 70 Jahren, am 20. August 1940, von Stalins Geheimagenten Ramón Mercader in Mexiko ermordet. Wäre es nach dem Willen der StalinistInnen gegangen, so wäre der Name „Trotzki“ aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht worden. Doch trotz Geschichtsfälschung, Publikationsverboten und Repression gelang dies nie.

Denn Trotzkis Name war und ist nicht nur untrennbar mit der russischen Oktoberrevolution, der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution der Geschichte, verbunden, sondern auch mit dem Kampf gegen die Stalinisierung der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationale.

Ab 1923 war dies Trotzkis wichtigster Kampf, den er bis an sein Lebensende entschlossen führte. Dieser Artikel wirft einen Blick auf ein Leben, das wie kein anderes von dramatischen Kämpfen geprägt war, und fasst die wichtigsten politischen Ideen Leo Trotzkis zusammen. Dieser konnte große Erfolge feiern und musste schwerste Niederlagen hinnehmen, die ihn jedoch niemals in seiner Zuversicht auf eine sozialistische Zukunft erschütterten.

Leo Trotzki, dessen wirklicher Name Lew Dawidowitsch Bronstein war, wurde am 26. Oktober 1879 (nach gregorianischem Kalender, 7. November nach heutigem Kalender) in dem ukrainischen Ort Janowka geboren. Er wuchs in einem jüdischen Elternhaus auf, das einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb besaß.

In seiner frühen Jugend entwickelte Trotzki seine ersten politischen Gedanken und wurde von einem radikaldemokratischen Oppositionellen zum Narodnik (russisch: Volkstümler). Die Narodniki waren eine sozialrevolutionäre Bewegung, die von russischen Intellektuellen angeführt wurde, auf den Terrorismus setzte und in der Bauernschaft die entscheidende soziale Kraft für eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft sah.

Als er sich 1896 einem politischen Diskussionskreis in Odessa anschloss, traf der junge Volkstümler auf die sieben Jahre ältere Marxistin Alexandra Sokolowskaja, mit der er sich lange und heftige Wortgefechte lieferte. Sokolowskaja argumentierte für den Marxismus und gegen die Vorstellungen der Narodniki und konnte ihn schließlich überzeugen.

Mit Anderen zusammen gründete Leo Trotzki 1897 den illegalen Südrussischen Arbeiterbund, wo er vor allem mit betriebsbezogener Arbeit seine ersten Erfahrungen als Propagandist sammeln konnte.

Frühe Arbeit in der Arbeiterbewegung

Ein Jahr später zerschlug die zaristische Polizei den Arbeiterbund. Trotzki wurde festgenommen, in Isolationshaft gesteckt und 1900 in die sibirische Einöde verbannt. Der junge Sozialist ließ diese Jahre allerdings nicht ungenutzt, sondern studierte Philosophen wie Kant oder Voltaire und beschäftigte sich ausgiebig mit der marxistischen Weltanschauung, vor allem dem historischen und dialektischen Materialismus. Unter dem Pseudonym „die Feder“ erlangte er als Autor verschiedener Schriften einen hohen Bekanntheitsgrad in der jungen russischen ArbeiterInnenbewegung.

In Sibirien heiratete er Alexandra Sokolowskaja. Die gemeinsame Ehe war von kurzer Dauer: schon 1902 verließ er Alexandra und ihre zwei gemeinsamen Töchter, um sich ganz der revolutionären Arbeit zu widmen. Er floh aus der sibirischen Steppe und nahm – seinem Hang zur Ironie folgend – den Namen des Oberaufsehers in dem Gefängnis in Odessa an: Trotzki.

Seine Reise führte ihn fast um den halben Erdball: nach London, wo sich zu dieser Zeit die Zentrale der sozialistischen Zeitung Iskra befand, die damals das Zentralorgan der Sozialdemokratischen ArbeiterInnenpartei Russlands (SDAPR) war.

„Die Feder“ wurde Mitarbeiter der Iskra. Als deren Vertreter reiste er durch Europa um Spendengelder zu beschaffen. Hier lernte er Natalia Sedowa kennen, die seine zweite Ehefrau wurde und ihn bis an sein Lebensende begleitete.

Spaltung der SDAPR in Bolschewiki und Menschewiki

Schon bald geriet der 22jährige Trotzki zwischen die Fronten der Partei. Der II. Parteikongress, der 1903 in der britischen Hauptstadt stattfand, führte zur plötzlichen Spaltung der SDAPR. Die Bolschewiki (Mehrheitler) mit Lenin an der Spitze und die Menschewiki (Minderheitler) um Martow zerstritten sich zutiefst darüber, welchen Charakter die Parteiorganisation haben sollte. Lenin griff die Minderheitler scharf an und trat für eine streng zentralisierte Partei von BerufsrevolutionärInnen ein, die geschützt vor der Verfolgung des zaristischen Regimes aus dem Untergrund heraus agieren sollte. Die Minderheit des Kongresses, die Menschewiki, stellten diesem Konzept die Idee einer Partei entgegen, die für alle Interessierten offen stehen sollte.

Trotzki, wütend und voller Unverständnis über das in seinen Augen rücksichtslose Verhalten Lenins, wandte sich nun gegen diesen und ging (zu seinem späteren Bedauern) mit der geschlagenen Fraktion der Menschewiki. Er befürchtete ein undemokratisches, überzentralistisches Parteiregime. Er erkannte nicht, dass dieser Konflikt über Fragen der Parteiorganisation Ausdruck unterschiedlicher politischer Linien war, die in den darauf folgenden Jahren deutlich werden sollten. Die Menschewiki wurden zu einer reformistischen, sozialdemokratischen Partei, während die Bolschewiki am revolutionären und internationalistischen Marxismus festhielten und 1917 zur Kommunistischen Partei wurden.

Lange verfolgte Leo Trotzki die Idee, die beiden Flügel wieder zusammenzubringen, je weiter sich die Menschewiki jedoch nach Rechts entwickelten, je weiter entfernte sich auch Trotzki von ihnen. Er sollte mehr und mehr zum fraktionslosen Einzelgänger in der SDAPR werden, der zwar mit seinem Verständnis der revolutionären Taktik mehr Schnittmengen mit den Bolschewiki hatte, daraus jedoch noch bis 1917 nicht die Schlussfolgerung zog, sich Lenins Organisation anzuschließen.

Russische Revolution 1905

1904 entbrannte ein heftiger Konflikt zwischen dem russischen Zarenreich und Japan um Kolonien in der chinesischen Mandschurei, der zu dem russisch-japanische Krieg und einem völligen Debakel der russischen Armee führte.

Eine massive wirtschaftliche und soziale Krise erschütterte Russland. Aufstände und Streiks gegen das Zarenregime brachen aus, das mit voller Härte gegen die Rebellion vorging. Als am 22. Januar 1905 200.000 streikende ArbeiterInnen in der russischen Hauptstadt St. Petersburg in einem friedlichen Protestzug zum Winterpalais marschierten, ließ der Zar auf die Menge schießen. Dieser Tag ging als der Petersburger Blutsonntag in die russische Geschichte ein. Der Tod von eintausend DemonstrantInnen war der Funke, der das Pulverfass aus Wut und Hass gegen den Despoten zur Explosion brachte. Massenstreiks erfassten nun alle Städte Russlands, die Eisenbahner legten die Verkehrswege lahm und es gab spontane Enteignungen der GroßgrundbesitzerInnen durch die hungernde Landbevölkerung. Die ArbeiterInnenklasse betrat als treibende Kraft der Revolution die Bühne der Geschichte, und die Regierung verlor zunehmend die Kontrolle über die Situation.

In St. Petersburg lebten etwa eine halbe Millionen ArbeiterInnen. Hier bildete sich auf Initiative der Menschewiki ein Arbeiterrat (Sowjet). Als Rat von jederzeit abwählbaren Delegierten aus den Betrieben vertrat er das städtische Proletariat. Trotzki, der im Februar 1905 in Russland ankam, wurde im Verlauf der Revolution zum Vorsitzenden des St. Petersburger Sowjets gewählt.

Die Sowjets breiteten sich als Organe der Revolution auch auf andere Städte Russlands aus und kontrollierten einen beträchtlichen Teil des öffentlichen Lebens.

Mit Zugeständnissen und militärischer Gewalt versuchte der Zar die Bewegung zu stoppen. Fast zwei Jahre waren notwendig um die Revolution niederzuschlagen. Für die russische ArbeiterInnenklasse sollte die Revolution von 1905 die Generalprobe für die Oktoberrevolution zwölf Jahre später sein. Trotzki wurde abermals verhaftet, es gelang ihm jedoch erneut, ins ausländische Exil zu flüchten.

Permanente Revolution

Inspiriert durch die Erlebnisse der Revolution, aber auch den Austausch mit Alexander Parvus (einem ebenfalls aus der Nähe von Odessa stammenden Sozialdemokraten) entwickelte Leo Trotzki die „Theorie der Permanenten Revolution“, die er 1906 in seiner Broschüre „Ergebnisse und Perspektiven“ darlegte.

Vor dem Hintergrund der 1905 gemachten Erfahrungen analysierte er die neue objektive Situation in der Gesellschaft, das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und leitete daraus Perspektiven für die Weltrevolution ab.

Grundlage der Theorie der Permanenten Revolution ist die Erkenntnis, dass in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung, wie dem zaristischen Russland, die nationale kapitalistische Klasse zu schwach ist, um wie in Frankreich oder England im 17. und 18. Jahrhundert eine fortschrittliche Rolle zu spielen, die Gesellschaft aus der Dunkelheit des Feudalismus zu reißen und die bürgerliche Revolution durchzuführen. Wie die Geschichte später zeigen sollte, waren die Bürgerlichen in Russland tatsächlich unfähig, dem Adel und GroßgrundbesitzerInnen die Macht abzutrotzen, die Landverteilung zu klären, eine bürgerliche Demokratie zu etablieren und die nationale Frage zu lösen.

Leo Trotzki stellte mit der Theorie der Permanenten Revolution heraus, dass nur die städtische ArbeiterInnenklasse aufgrund ihres revolutionären Potentials und ihrer bedeutenden Stellung im Produktionsprozess diese fortschrittliche Rolle spielen und – als Führung der zahlenmäßig weitaus größeren Klasse der BäuerInnen – die Revolution leiten kann.

In der sozialdemokratischen Bewegung dieser Zeit war es eine weit verbreitete Auffassung, dass mit einer gesellschaftlichen Umwälzung die kapitalistische Klasse die Macht übernehmen und den Kapitalismus festigen sollte. Erst dann – so die Annahme Vieler – würden die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für den Sozialismus geschaffen (wie es bereits in den weiter fortgeschrittenen Ökonomien der Welt der Fall war). Trotzki erklärte hingegen nicht nur, dass nur die ArbeiterInnenklasse die Aufgaben der bürgerlichen Revolution lösen könne, sondern auch, dass – wenn die ArbeiterInnenklasse die Macht in einem unterentwickelten Land erst einmal errungen habe – sie wegen der Schwäche der Bürgerlichen gar nicht anders könnte, als mit der sozialistischen Umwandlung des Eigentums zu beginnen, um die demokratischen Aufgaben der bürgerlichen Revolution zu erfüllen. In diesem Sinne also ist die Revolution „permanent“ und „ununterbrochen“, weil sie weiter geht als die bürgerliche Revolution. Auch Marx hatte die „Revolution in Permanenz“ diskutiert, Trotzki entwickelte diese Frage jedoch weiter.

Neu in der politischen Landschaft waren seine Analysen, die besagten, dass die sozialistische Revolution in Russland ihren Anfang finden sollte und wie sich die Weltgeschichte durch die kommende russische Revolution weiter entwickeln sollte.

Wie Leo Trotzki unterstrich, kann die sozialistische Umwandlung nur Erfolg haben, wenn ihr weitere erfolgreiche ArbeiterInnenrevolutionen (auch in den entwickelteren Ländern) folgen: „Sollte sich das russische Proletariat an der Macht befinden, wenn auch nur infolge eines zeitweiligen Aufschwungs unserer bürgerlichen Revolution, so wird es der organisierten Feindschaft seitens der Weltreaktion und der Bereitschaft zu organisierter Unterstützung seitens des Weltproletariats gegenüberstehen.“ Der ArbeiterInnenklasse in Russland, so der Autor, „wird nichts anderes übrig bleiben, als das Schicksal ihrer politischen Herrschaft und folglich das Schicksal der gesamten russischen Revolution mit dem Schicksal der sozialistischen Revolution in Europa zu verknüpfen.“ (Trotzki, Ergebnisse und Perspektiven, Frankfurt/M. 1967, S. 119f.)

Der Erste Weltkrieg und die Russische Revolution 1917

Schon bald sollten sich Trotzkis Perspektiven bestätigen. Der Ersten Weltkrieg spitzte die Lage in Russland zu. Hunger, Streiks in Betrieben, Unruhen auf dem Lande und Meuterei bei Soldaten und Matrosen – erneut brach eine revolutionäre Periode an. Unter den führenden kriegstreibenden Nationen war Russland das Land, in dem die herrschende Klasse am schwächsten und rückständigsten war. Die Kette des Imperialismus, der die Welt in seinem Würgegriff hielt, brach an ihrem schwächsten Glied.

Im Februar 1917 begann die Revolution, die der Zarenherrschaft ein schnelles Ende bereitete. Wieder bildeten sich ArbeiterInnen- und Soldatenräte, die neben der Duma, dem russischen Parlament, ein selbständiger Machtfaktor wurden. So entwickelte sich eine Periode der Doppelherrschaft zwischen bürgerlichen und proletarischen Machtorganen.

Die Provisorische Regierung setzte sich zuerst vor allem aus den bürgerlichen Konstitutionellen DemokratInnen (KD) und SozialrevolutionärInnen zusammen, später wurden noch die reformistischen Menschewiki miteinbezogen. Diese bürgerliche Regierung war völlig außerstande, die Forderungen der Massen nach Land, Brot und Frieden zu erfüllen.

Aus dem Exil kam Leo Trotzki wegen einer kurzen Internierung erst im Mai in St. Petersburg an, einen Monat nach Lenin. Dieser rief zur Machtübernahme durch die Arbeiterklasse auf und musste sich zu dieser Zeit von Kritikern in der bolschewistischen Partei die Beschuldigung anhören, er habe vor Trotzkis Perspektiven (und der Theorie der Permanenten Revolution) kapituliert. Tatsächlich war Lenin zu politischen Schlussfolgerungen gekommen, die Trotzkis Perspektive entsprachen, während Trotzki sich von der Richtigkeit des bolschewistischen Organisationsverständnisses überzeugt hatte. Er schloss sich Lenin und den Bolschewiki an und wurde umgehend in das Zentralkomitee der Partei gewählt. Im Oktober wurde er erneut Vorsitzender des Petrograder (St. Petersburg war umbenannt worden) Sowjets und forderte die unfähige Provisorische Regierung zum Rücktritt auf.

Durch ihre konsequente Politik im Interesse der ArbeiterInnenklasse und armen Bauernschaft und ihrer Weigerung, die Provisorische Regierung politisch zu unterstützen und die Fortsetzung des Krieges zu rechtfertigen, hatten die Bolschewiki innerhalb weniger Monate die Mehrheit in den Sowjets erlangt. Auf dieser Basis gingen sie im Oktober an die Organisierung des bewaffneten Aufstands zum Sturz der Regierung und der Machtübernahme durch die ArbeiterInnen- und Soldatenräte.

Als Organisator des revolutionären St. Petersburger Militärkomitees dirigierte Trotzki über Nacht die weitgehend friedliche Machtübernahme in der Hauptstadt. Im Namen des Militärkomitees konnte Trotzki schließlich feierlich erklären, dass die Provisorische Regierung nicht mehr existiere. Alle Macht sollte nun von den Sowjets ausgehen.

Leo Trotzki, von Zeitzeugen wie dem amerikanischen Journalisten John Reed als der populärste Redner der Revolution bezeichnet, wurde in die neue Regierung, dem Rat der Volkskommissare gewählt, als Volkskommissar für äußere Angelegenheiten ernannt und mit den Friedensverhandlungen mit Deutschland und Österreich-Ungarn betraut. In dem Bewusstsein, dass der weitere Verlauf der Revolution nun vor allem von dem Kampf der europäischen ArbeiterInnenklasse abhing, nutzte er die Verhandlungen als Bühne für die Agitation und Propaganda an die internationale ArbeiterInnenklasse.

Der Russische Bürgerkrieg

Die Revolution im Ausland ließ allerdings noch auf sich warten. In Brest-Litowsk musste die russische Delegation schließlich einen Friedensvertrag unterzeichnen, der dem jungen Sowjetstaat empfindliche Zugeständnisse abverlangte.

Doch damit nicht genug. Die AnhängerInnen des alten Zarenregimes (die „Weißen“) bereiteten die Konterrevolution vor und stürzten das Land 1918 in einen heftigen Bürgerkrieg. Unterstützt wurden sie von den alliierten kapitalistischen Staaten, die den weißen Generälen Kriegsmaterial und 50.000 Soldaten zur Verfügung stellten. Ihr Ziel war es, an Russland ein Exempel zu statuieren und den ersten ArbeiterInnenstaat der Geschichte dem Erdboden gleich zu machen.

Leo Trotzki – der bereits als Organisator des Oktoberaufstands sein militärisches Talent bewiesen hatte – wurde damit betraut schnell eine Rote Armee aufzubauen. Gebot der Stunde war es, die Reaktion zurück zuschlagen und die Sowjetrepublik der ArbeiterInnen und BäuerInnen zu verteidigen. In einem gepanzerten Zug fuhr der neue Kriegskommissar stets von einer Frontlinie zur anderen, um gemeinsam mit den roten Truppen zu kämpfen, aber auch um mit sozialistischer Propaganda die Moral und Überzeugung der Soldaten zu stärken, die durch die vielen Jahre der Entbehrungen während des Ersten Weltkrieges kampfmüde waren. Es sollte bis 1921 dauern die weißen Garden und die Alliierten zurück zuschlagen.

Die Revolutionen in den wirtschaftlich weiter entwickelten Ländern Deutschland und Österreich-Ungarn, auf die Lenin und Trotzki große Hoffnung setzten, schlugen wegen des Verrats der dortigen Sozialdemokratischen Parteien 1919 fehl. Die Jahre des Krieges, des Hungers und der Seuchen hatten der russischen Bevölkerung hart zugesetzt; nun sollte der ArbeiterInnenstaat, der nur über eine sehr gering entwickelte Ökonomie verfügte, auch noch international isoliert bleiben.

Trotzkis Kampf gegen Stalinismus

Der BürgerInnenkrieg schwächte den jungen ArbeiterInnenstaat und die demokratische Machtausübung der ArbeiterInnenklasse. Zur Verteidigung der Revolution wurde dem Sieg im BürgerInnenkrieg alles untergeordnet. Die Räte konnten angesichts einer reduzierten Industrieproduktion und der Tatsache, dass viele ArbeiterInnen an die Front gingen, ein Eigenleben kaum aufrechterhalten. Die Kommunistische Partei ersetzte mehr und mehr die Funktion der Räte. Zu Lebzeiten Lenins war dies jedoch immer als vorübergehendes Phänomen verstanden worden.

Doch die wirtschaftliche und kulturelle Rückständigkeit, die Folgen von Welt- und BürgerInnenkrieg und vor allem die Isolierung des jungen ArbeiterInnenstaates schufen Voraussetzungen für den Aufstieg des Stalinismus.

Eine privilegierte Parteikaste entstand, die andere Interessen als die ArbeiterInnenklasse entwickelte und immer mehr Macht in ihren Händen konzentrierte. Diese neue gesellschaftliche Schicht aus BeamtInnen und FunktionärInnen konnte sich im Partei- und Staatsapparat festsetzen und hatte kein Interesse mehr daran, nach Ende des BürgerInnenkrieges die Rätedemokratie wieder aufleben zu lassen. Die Verkörperung dieser Bürokratie war der 1922 zum Generalsekretär der Partei gewählte Josef Stalin.

Leo Trotzki trat dieser Entwicklung entschieden entgegen und warnte in einer ganzen Serie von Artikeln und Analysen vor den gefährlichen Auswüchsen der Bürokratie in Staat und Partei und dem sich aus den Interessen dieser Funktionärskaste ergebenden politischen Konservativismus und Nationalismus.

Lenin, der durch einen schweren Schlaganfall nicht mehr aktiv an dem politischen Geschehen der Partei teilnehmen konnte, teilte die Befürchtungen Trotzkis. Kurz vor seinem Tod bereitete er mit ihm einen Block gegen die Bürokratie vor. Bevor Lenin 1924 starb, empfahl er in seinem Testament die Absetzung Stalins als Generalsekretär.

In der Partei wehte ein deutlich anderer Wind als 1917. Die Schlüsselpositionen in der Gesellschaft besetzte Stalins Clique (zu der auch die verdienten Altbolschewisten Sinowjew und Kamenjew gehörten) von nun an von oben. Leo Trotzki wurde politisch kaltgestellt und bekam in der Partei keine entscheidenden Aufgaben mehr.

Groß war der Aufschrei in der Bevölkerung nicht: in der russischen ArbeiterInnenklasse war nach den katastrophalen Jahren des Krieges Müdigkeit eingekehrt und der Wunsch nach Ruhe wog bei Vielen schwer. Die, die sich dennoch mit Trotzki öffentlich solidarisierten, erfuhren schon bald die starke staatliche Repression durch den Apparat.

Der Aufbau der Linken Opposition

Trotzki erkannte, dass die Entstehung der Bürokratie Folge der sozialen Entwicklungen in der jungen Sowjetunion war. Er war sicher, dass nur die ArbeiterInnenklasse diesen Prozess stoppen konnte und verzichtete deshalb darauf, seinen hohen Einfluss in der Roten Armee zu einem militärischen Sturz der Stalin-Clique zu nutzen, was ihm von GenossInnen geraten wurde. Er wusste, dass er dadurch nur selber zum Gefangenen einer Militärbürokratie geworden wäre und ging statt dessen daran gemeinsam mit Anderen die Linke Opposition gegen den Kurs der Bürokratie aufzubauen.

Stalin ging zum Gegenangriff über und begegnete dem 1924 mit der Schaffung der Legende des „konterrevolutionären Trotzkismus“. Eine beispiellose Lügenkampagne überschwemmte das Land, um die große Popularität des Oppositionellen zu zerstören, der doch in den Augen vieler ArbeiterInnen die Prinzipien der Russischen Revolution verkörperte. Die mittlerweile fast gleichgeschaltete Führung der Kommunistischen Partei schrieb nun die Geschichte der Oktoberrevolution um und entwickelte die Theorie eines „Sozialismus in einem Land“, um Stalins Politik gegenüber der Kritik der Opposition zu rechtfertigen.

Mit der Theorie des „Sozialismus in einem Land“ sollte begründet werden, warum die Verteidigung der Sowjetunion – also die Macht und Privilegien der Bürokratie – über die Ausdehnung der internationalen Revolution gestellt wurde . Vor dem Hintergrund dieser Theorie wurden unter Stalins Direktive wichtige Chancen für die internationale Revolution verspielt. So sollte sich die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) 1927 in einer revolutionären Situation der bürgerlichen Guomindang unterordnen. Dies hatte zur Folge, dass die Guomindang brutale Massaker unter den revolutionären ArbeiterInnen Schanghais und die Vernichtung eines Großteils der Mitgliedschaft der KPCh organisieren konnte.

Trotz aller Versuche gelang es Trotzki nicht, gegen diese falsche Politik anzukommen. Der Aufbau der Linken Opposition in Russland fand unter schwersten Bedingungen statt. Ihre Mitglieder mussten unter einer immer härter werdenden Verfolgung durch den Staatsapparat und Geheimpolizei (GPU) leiden, wurden aus der Partei ausgeschlossen, verhaftet, in den Tod getrieben oder gar liquidiert. Auch Stalins Verbündete Sinowjew und Kamenjew und ihre Anhänger schlossen sich 1926 kurzzeitig der Opposition an (die sich dann für eine bestimmte Zeit Vereinigte Opposition nannte). Unter dem Druck der Staatsmaschinerie und dem Eindruck der erfolgreichen Industrialisierung des Landes kapitulierten sie jedoch in den 1930ern vor Stalin.

Leo Trotzki wurde in das kasachische Alma-Ata verbannt. Um ihn noch weiter zu isolieren, wurde er im Januar 1928 von der GPU gezwungen auf die türkische Insel Prinkipo im Marmarameer umzusiedeln. Hier setzte er seine oppositionelle und schriftstellerische Arbeit fort und schrieb unter Anderem die Geschichte der Russischen Revolution und seine Autobiographie „Mein Leben“. Er baute die Kontakte mit linken Oppositionellen aus verschiedenen Ländern aus, gründete das Bulletin der Opposition und legte den Grundstein für die Internationale Linke Opposition.

Aufstieg des Hitlerfaschismus in Deutschland

In Deutschland hatte sich Ende der 1920er Jahre die politische Lage extrem zugespitzt. Durch die wirtschaftliche und soziale Krise begünstigt, wuchs unter den reaktionären Teilen des KleinbürgerInnentums Hitlers NSDAP. Leo Trotzki beschäftigte sich im Exil viel mit den Geschehnissen in Deutschland und veröffentlichte wichtige Analysen zum deutschen Faschismus. Er war einer der wenigen Zeitzeugen, die in den 1920ern und 1930ern die historische Gefahr des Hitlerfaschismus richtig einschätzte.

Die Weltwirtschaftskrise traf Deutschland hart und ließ den Lebensstandard der Massen drastisch sinken und die Erwerbslosigkeit steigen. In Armut und Perspektivlosigkeit geratene KleinbürgerInnen wendeten sich vermehrt den Nazis zu, die vorgaben sie sowohl gegen das große Kapital, was sie schlucken, als auch gegen die ArbeiterInnenbewegung, die sie angeblich enteignen wollte, zu verteidigen. Tatsächlich besorgten die FaschistInnen jedoch nur das Geschäft der KapitalistInnen, die diese letztlich finanzierten und an die Macht brachten.

Trotzki analysierte, dass die KapitalistInnenklasse zur Durchsetzung ihrer Profitinteressen und zur Wiederherstellung der Kriegsfähigkeit Deutschlands die ArbeiterInnenbewegung nachhaltig zerschlagen musste. Bürgerliche Regierungen, die sich auf die parlamentarische Demokratie stützten, waren dazu nicht in der Lage. Es bedurfte einer terroristischen Massenbewegung, um die Organisationen der ArbeiterInnenklasse, die viele Millionen Mitglieder zählten, dem Erdboden gleich zu machen. Leo Trotzki schrieb dazu: „Vom Faschismus fordert die Bourgeoisie ganze Arbeit […]. Der Sieg des Faschismus führt dazu, dass das Finanzkapital sich direkt und unmittelbar aller Organe der Herrschaft, Verwaltung und Erziehung bemächtigt […]. Die Faschisierung des Staates bedeutet […] hauptsächlich die Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen“ (Trotzki, „Was nun?“, S. 14).

Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) war als Teil der III. Internationale bereits unter völliger Kontrolle des stalinistischen Apparats und verfolgte eine ultralinke Politik, die verhinderte, dass Gewerkschaften, SPD- und KPD-Mitglieder gemeinsam dem Faschismus entgegentraten. Die KPD-Führung sah keinen Unterschied zwischen der von der SPD unterstützten bürgerlichen Regierung und dem Hitlerfaschismus und unterschätzte völlig die Gefahr, die von den Nazis ausging. “Nach Hitler kommen wir” war ihre Illusion. Die stalinistische Theorie des „Sozialfaschismus“, die SPD und NSDAP gleichsetzte, bildete das Fundament dafür.

Leo Trotzki unterschied zwischen der bürgerlichen Führung der SPD (die damals noch eine ArbeiterInnenpartei mit aktiver Massenunterstützung war) und der Basis der Partei, die von der kleineren KPD aufgrund ihrer bisher oft fehlerhaften Politik noch nicht überzeugt war.

Trotzki schlug der KPD vor, einen Appell zur Einheitsfront an die Sozialdemokratie, gleichermaßen an die Mitglieder und die Führung, zu richten. Wäre es gelungen, die SPD in eine Einheitsfront zu zwingen, hätte Hitler gestoppt werden können und hätte sich die KPD im gemeinsamen Kampf als die konsequentere Interessenvertretung der ArbeiterInnenklasse zeigen können. Hätte die SPD-Führung sich dem Angebot verweigert, hätte sie das vor den Augen der (noch) sozialdemokratischen ArbeiterInnen entlarven können und die KPD gestärkt.

Wegen der Verweigerung der Einheitsfront durch die SPD- und KPD-Führung kam es 1933 anders. Hitler kam an die Macht, zerschlug die ArbeiterInnenbewegung, steckte die Gewerkschaftshäuser in Brand und deportierte die SPD- und KPD-Mitglieder in die Konzentrationslager. Und wie Trotzki richtig vorhersagte, bedeutete Hitlers Machtergreifung Krieg gegen die Sowjetunion.

Trotzki kam aufgrund dieser Ereignisse 1933 zu dem Schluss, dass die III. Internationale nicht mehr reformierbar sei: „Eine Organisation, die der Donner des Faschismus nicht geweckt hat, und die demütig derartige Entgleisungen von Seiten der Bürokratie unterstützt, zeigt dadurch, dass sie tot ist und nichts sie wieder beleben wird.“ (Trotzki, „Schriften über Deutschland“, S. 605).

Nachdem Trotzki eine Einreiseerlaubnis aus Frankreich erhalten hatte, verließ er Prinkipo. Von Frankreich siedelte er nach Norwegen um, wo ihm kurzzeitig Asyl gewährt wurde. Dort schrieb er 1936 „Verratene Revolution“. In diesem Buch arbeitete er die Grundzüge des Stalinismus heraus und lieferte eine bis heute unübertroffene Analyse der Sowjetunion unter Stalin, die er einen „degenerierten Arbeiterstaat“ nannte. Dieses Werk ist bis heute die bedeutendste Analyse der Stalinisierung der Sowjetunion. Trotzki skizzierte darin das Programm einer „politischen Revolution“ für den „Sturz der bürokratischen Kaste“ in Russland.

Die Moskauer Schauprozesse

Die Unterdrückung und der stalinistische Terror in Russland erreichte mit den Moskauer Schauprozessen von 1936 bis 1938 eine neue Qualität. Mit der Eliminierung der alten Garde der Bolschewiki von 1917 wollte der Stalin sich die Alleinherrschaft sichern. Jegliche personelle Alternative zu seiner Vormachtstellung in Staat und Partei sollte ausradiert werden. So wurden zuerst Sinowjew und Kamenjew und 14 weitere Bolschewiki vor Gericht gestellt und hingerichtet. Als Grund für die Verurteilungen wurde immer oppositionelle Tätigkeit angeführt.

Für jeden alten bolschewistischen Führer der bei den Moskauer Schauprozessen angeklagt und hingerichtet wurde, wurden weitere hunderte und tausende Menschen eingekerkert. Mindestens acht Millionen wurden verhaftet, fünf bis sechs Millionen fanden in den Gulags ihr Ende. Unter ihnen auch Familienmitglieder Trotzkis, die sich politisch gar nicht betätigten.

Der Hauptangeklagte der Moskauer Schauprozesse war Leo Trotzki selbst, dessen Name stetig im Raum schwebte. In Abwesenheit erhielt er seinen Urteilsspruch: die Todesstrafe.

Der spanische Bürgerkrieg

Diese Schauprozesse waren direkt verbunden mit dem konterrevolutionären Eingreifen der Moskauer Elite in das Geschehen des Spanischen Bürgerkriegs 1936-39.

Nach dem blutigen Scheitern ihrer Sozialfaschismus-Theorie schwenkten die StalinistInnen um, und erklärten die „Volksfront“ als Leitfaden ihrer Politik. Die Kommunistischen Parteien sollten das Bündnis mit den pro-kapitalistischen Parteien suchen, um die bürgerliche Demokratie zu verteidigen.

Die spanischen Linksoppositionellen fanden sich entgegen Trotzkis Ratschlag in der „Arbeiterpartei für marxistische Vereinigung (POUM)“ wieder, die vor allem in Katalonien aktiv war und eine zentristische Position einnahm: sie war in Worten revolutionär und schreckte in der Praxis vor revolutionärer Politik zurück. Mit der Erhebung rechter und rechtsextremer Gruppen um den spanischen General Franco brach ein BürgerInnenkrieg und eine ArbeiterInnen- und Bauernrevolution aus. Es entstanden ArbeiterInnenmilizen und Räte, die zeitweise neben der Volksfrontregierung eine Art Doppelmacht ausübten. Trotzki versuchte vergeblich die schwankende POUM-Führung davon zu überzeugen, dass die Partei nun der ArbeiterInnenklasse zur Machtübernahme verhelfen solle. Stattdessen orientierte sie auf eine Beteiligung an der Volksfrontregierung, deren Schicksal besiegelt war: „Die Arbeiter und Bauern vermögen nur dann den Sieg zu erringen, wenn sie um ihre eigene Befreiung kämpfen. In diesen Umständen das Proletariat der Führung der Bourgeoisie [Kapitalistenklasse] unterstellen heißt ihm von vornherein eine Niederlage im Bürgerkrieg garantieren.“ (Trotzki, „Die spanische Lehre“, S. 3).

Die Bürokratie in Moskau intervenierte zur Verteidigung der kapitalistischen Republik in der spanischen Revolution. Leo Trotzki arbeitete heraus, warum der Stalinismus nun eine offen konterrevolutionäre Rolle einnahm. Die GPU dehnte ihre Verfolgungen und Ermordungen gegen linke Oppositionelle auf Spanien aus. Hintergrund dieser Politik war, dass Stalin „eine Versöhnung mit der Bourgeoisie“ (Trotzki, „Revolution und Bürgerkrieg in Spanien“, S. 299) und sich den mächtigen kapitalistischen Staaten Europas, wie Frankreich und England als vertrauenswürdige Ordnungsmacht präsentieren wollte. Hätte es eine erfolgreiche Revolution in Spanien gegeben, so hätte das weitere Erhebungen in Europa bedeutet und die bürokratische Entartung und Herrschaft Stalins in Moskau tief erschüttert, so Trotzki.

Die IV. Internationale

Schon 1933 warb Leo Trotzki für eine neue Internationale, die „die UdSSR vor dem Zusammenbruch retten [könne], indem sie ihr weiteres Schicksal mit dem Schicksal der proletarischen Weltrevolution verbindet“ (Trotzki, „Schriften über Deutschland“, S. 609f.) und die beste Traditionen der Ersten, Zweiten und Dritten Internationale und des revolutionären Marxismus aufrecht erhalten sollte. Versuche, linkssozialistische Parteien, wie die deutsche Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), gemeinsam mit der Internationalen Linken Opposition in einer neuen Internationale zu vereinigen, scheiterten. So war die Zahl der Gruppen, die sich am 3. September 1938 bei der formellen Gründung der IV. Internationale in Paris zusammen schlossen nicht groß. Historisch gesehen war die Schaffung dieser neuen Internationale aber notwendig, als Alternative zur stalinistischen III. Internationale und als neuer Orientierungspunkt für die revolutionären Bewegung.

Trotzkis Ermordung

Währenddessen übte Stalin massiven Druck auf die norwegische Regierung aus, die Trotzki ausliefern sollte. Erneut musste dieser ein neues Asyl finden – diesmal in Mexiko, wo er bei dem sozialistischen Künstlerpaar Frida Kahlo und Diego Rivera unterkam. Aber auch hier verfolgte ihn die GPU. Ein Angriff von mit Maschinenpistolen und Sprengsätzen ausgerüsteten Agenten auf Trotzki und seine Familie schlug wie durch ein Wunder fehl.

Doch der GPU-Geheimagent Ramón Mercader, der seit vielen Jahren versuchte, Trotzkis Umfeld zu infiltrieren und in seine Nähe zu gelangen, sollte mehr Erfolg haben. Unter dem Vorwand, mit ihm einen politischen Artikel diskutieren zu wollen, schaffte es Mercader schließlich, alleine mit Trotzki in einem Raum sein zu können. Nach etwa drei oder vier Minuten vernahm seine Frau Natalia Sedowa einen „schrecklichen stechenden Schrei“, ihr Mann tauchte auf, das „Gesicht mit Blut bedeckt“ und einem Eispickel im Hinterkopf. Mit dem Attentäter hatte er noch gerungen, um weitere Schläge zu verhindern. „Auch wenn der Arzt erklärte, dass die Verletzung nicht sehr ernst war“, so Sedowa, „hörte Lew Dawidowitsch ihm regungslos zu“ und sagte „‚Ich fühle…jetzt…dass dies das Ende ist…dieses Mal…haben sie es geschafft.‘“ (Serge, „Life and death of Leon Trotsky“, S. 268). Am nächsten Tag, dem 20. August 1940 erlag Trotzki im Alter von 60 Jahren seinen tödlichen Verletzungen.

Während Mercader von Stalin zum Helden der Sowjetunion ernannt wurde, trauerten in Mexiko 300.000 Menschen, die Trotzkis Leichenzug begleiteten. Er wurde eingeäschert und im Garten seines Hauses begraben. Über seinem Grab weht noch heute die rote Fahne der Weltrevolution.

Ein Jahr Aufbruch

Zum Geburtstag gilt es, aus den Fehlern zu lernen und das Potential zu nützen.
Tilman M. Ruster, SLP und Mitglied der Aufbruch-Koordination

Im Juni 2016 war es soweit: Nach langer Vorbereitung fand der Gründungskongress von Aufbruch statt. Über 1000 Leute machten die größte linke Konferenz in Österreich seit langem aus. 1000 Leute, die vor allem eine Einsicht einte, die auch das Motto der Konferenz war: „So wie bisher kann es nicht weitergehen!“. Klar war, dass dem ständigen Rechtsruck der bürgerlichen Parteien und den verstärkten Angriffen der Herrschenden auf unsere Lebensstandards seit Beginn der Krise eine linke Antwort entgegengestellt werden musste und immer noch muss. Sonst war eigentlich wenig klar für die AufbrecherInnen, wie sich besonders in den folgenden Wochen zeigte. Wollen wir eine neue Linkspartei werden? Wenn ja, wie kommen wir dahin? Wollen wir uns auf außerparlamentarischen Widerstand begrenzen? Wie könnte der aussehen? Leider wurden diese und andere Debatten kaum in organisierter und demokratischer Form geführt.

Trotzdem hatten sich fast 30 Gruppen bis zum Sommer gebildet. Rund um einen Aktionstag zum Thema Reichtum Mitte August wurde das Aufbruch-Potential gut deutlich: Staßenfeste, politische Stadtführungen, Kundgebungen... fast alles wurde gut angenommen und es gab viel Beteiligung. Sehr erfolgreich waren auch Aktionen wie die gegen die Kündigung einer Kollegin bei Müller, die sich für einen Betriebsrat stark gemacht hatte. Die schnelle Mobilisierung von über 30 AufbrecherInnen binnen eines Tages zeigt die Schlagkraft, die Aufbruch hat, wenn sie richtig abgerufen wird. Beim Vorbereiten entstanden hier und da Strukturen, die tatsächlich arbeitsfähig und stabiler waren. So argumentierten wir auch damals schon: Struktur-Debatten sollten eben nicht statt praktischer Arbeit stattfinden, sondern entlang der Notwendigkeiten, die sich aus den praktischen Erfahrungen ergeben. Stattdessen gibt es leider oft eine ungesunde Arbeitsteilung zwischen Praxis und Theorie.

Heute, ein Jahr nach der Gründung, ist Aufbruch kleiner geworden. Es wäre aber falsch, die Gründe dafür in wenig erfolgreichen Strukturdebatten zu suchen. Worum es eigentlich geht, zeigt das Beispiel der Grazer Aufbruch-Gruppe. In Graz entstand im Frühjahr 2017 mit der Bewegung gegen das Murkraftwerk ein spannendes Arbeitsfeld für Aufbruch. Politische Arbeit in einer sozialen Bewegung verlangt viel von einer so jungen Gruppe, aber die Herausforderung wurde angenommen. Mit eigenen Vorschlägen für Programm und Methode der Bewegung gelang es der Gruppe, einen linken Pol aufzubauen. Darüber ist die Gruppe gewachsen und konnte sich gleich ein Profil als aktivistische und kämpferische Kraft aufbauen. Die Bewegung hat sichtbar vom Aufbruch profitiert und die Gruppe auch von der Erfahrung. Diese Erfahrung und diese Aufbau-Möglichkeit brauchen wir in ganz Österreich. Bewegungen lassen sich aber kaum „starten“. Das „spontane Element“ sich frisch politisierender Leute lässt sich nicht künstlich herstellen. Wir können aber analysieren, wo Widerstand entstehen könnte und uns bewusst dort aufbauen.

Viele AufbrecherInnen sind im Sozialbereich tätig. Auch haben viele von uns sich über Asyl-Fragen und besonders die Bewegung von 2015 politisiert. Wir können als Teil unserer Kampagne versuchen, Treffen von FlüchtlingsbetreuerInnen und Geflüchteten zu organisieren. Auf Demonstrationen, bei eigenen Aktionen und vor Unterkünften können wir dafür mobilisieren. Auf den Treffen können wir Aktionen planen und zwar in organisierter, längerfristig angelegter Form, denn die wird es brauchen. So ein Format würde die Chance verbessern, für Beschäftigte und Geflüchtete gleichermaßen Verbesserungen zu erkämpfen und gleichzeitig neue AktivistInnen für Aufbruch gewinnen. Diese Beispiele lassen sich auch auf Erwerbslose, DruckerInnen, SchülerInnen, UmweltaktivistInnen, feministische AktivistInnen und Andere übertragen, die in letzter Zeit durch Demos und Aktionen auf sich aufmerksam gemacht haben. Aufbruch sollte flexibel genug sein, um Widerstand gegen die Politik der Reichen, wo immer er ausbricht, unterstützen zu können.

Im Pflege-Bereich haben sich bereits AufbrecherInnen zusammengetan und gemeinsam überlegt, wie sie weitere KollegInnen ansprechen und vor allem Widerstand organisieren könnten. Das sollten wir wiederaufleben lassen. „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ ist nach wie vor ein guter Slogan, um zu zeigen, dass genug für alle da ist - und um die erwähnten und andere Kämpfe zu verbinden.

Das weitgehende Ausbleiben von sozialen Bewegungen macht den Aufbau von Aufbruch oft mühsam. Das ändert aber nichts daran, dass es notwendig ist, sich weiter für eine neue, starke Linke einzusetzen. Aus Sicht der SLP geht es darum, eine kämpferische, demokratische und sozialistische ArbeiterInnenpartei aufzubauen. Das betonen wir seit vielen Jahren. Ob Aufbruch ein Schritt in diese Richtung gelingt, bleibt offen. Sicher ist aber, dass dort ehrliche Kräfte am Werk sind, mit denen wir weiter zusammenarbeiten wollen.

 

Alle Stellungnahmen der SLP unter: http://slp.at/themen/aufbruch

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Gibt es eine Lösung für die Krise des Kapitalismus?

Spannende Debatte über Wirtschaftsperspektiven auf der CWI Sommerschulung in Barcelona

Für MarxistInnen ist eine solide Analyse der wirtschaftlichen Situation von zentraler Bedeutung, hat das doch Auswirkungen auf die politische Lage. Die Krise, die bis heute nicht überwunden ist war daher auch fixer Bestandteil aller Debatten auf der Sommerschulung des CWI in Barcelona bei der hunderte SozialistInnen aus ganz Europa sowie aus Amerika (Nord und Süd), Afrika, Asien und Australien teilnahmen. In einem extra Arbeitskreis der von Eric Byl aus Belgien eingeleitet wurde, ging es um die Krise, die nächste Krise und die Frage von Lösungsansätzen. Die Diskussion beschäftigte sich mit der Phase, in der sich der Kapitalismus sowie seine aktuelle Krise befinden und untersuchte die diversen Rezepte bürgerlicher ÖkonomInnen und PolitikerInnen.

Die Erholung schwächelt und geht Hand in Hand mit wachsenden Unsicherheiten

Vor dem G20 Gipfel in Hamburg hat der IWF ein Dokument veröffentlicht über die Erholung der Weltwirtschaft veröffentlicht: Investitionen, Produktion und der Handel nehmen zu. Allerdings warnt der IWF auch davor, dass es keine strukturelle Erholung ist – was bedeutet, dass sie rasch vorbei sein kann. Während das Wachstum des globalen „BIP“ 2016 noch bei 3,1% lag, geht der IWF für 2017-18 von + 3,5% aus. Doch dieses Wachstum ist nicht nur weit unter dem Vor-Krisenniveau von 5% im Jahr 2006, sondern auch unter dem 4%-Durchschnitt der Jahre 2003-12 (obwohl diese Periode die Krise von 2007-12 beinhaltet).

Nach sieben mageren Jahren soll die globale Produktivität nun von 1,3% (2015-16) auf 1,9% steigen. Auch das liegt stark unter früheren Werten: 1999-2006 lag das Produktivitätswachstum bei durchschnittlich 2,8%, zwischen 2007-14 bei 2,3% und noch im Jahr 2014 bei 2,2%. Hinzu kommt noch, dass auch dieses Wachstum stark zyklisch ist, also im Wesentlichen auf Umstrukturierungen, Übernahmen und Fusionen in Unternehmen besonders in den entwickelten kapitalistischen Ländern, zurückzuführen ist.

Auch andere Kernzahlen zeigen das verlangsamte Wachstum: Die Arbeitsproduktivität in den entwickelten kapitalistischen Ländern wird 2017 voraussichtlich um rund 1% steigen. In der Periode 1999-2016 stieg diese in der Eurozone um durchschnittlich 1,5% und in den USA um 2,9% (und in Japan und Britannien ähnlich stark). Nur in den Schwellenländern ist das Wachstum stärker, liegt aber ebenfalls unter dem langfristigen Trend. Die Prognose für die Schwellenländer ohne China liegt für 2017 bei einem Plus von 3,3%, während dieses 1999-2006 bei 4,9% bzw. 2007-14 bei 5,1% lag. Für China liegen die IWF-Schätzungen (die niedriger sind als die offiziellen chinesischen Zahlen) bei einer Steigerung der Arbeitsproduktivität von nur 4% im Jahr 2017 während dieser Wert 1999-2006 bei durchschnittlich 8,1% bzw. 2007-14 bei 7,8% lag.

Verschuldung steigt stark an – wie schon vor der Krise 2007

Der IWF muss also eingestehen, dass das Wachstum Hand in Hand mit wachsenden Unsicherheiten geht. Dazu gehört das wachsende Verschuldungslevel (privat und öffentlich) von China aber auch international. In den USA z.B. haben sich die Studienkredite seit Mitte 2008 mehr als verdoppelt und die Autodarlehen haben sich seit 2010 fast verdoppelt. Die weltweite Erholung ist auf Pump. Die Verschuldung von Firmen, Privaten und die Öffentlicher Hand liegt bei 217.000 Milliarden Dollar, das ist das rund 3 fache des Weltweiten Outputs. Zum Vergleich: Vor Beginn der Rezession 2007 war es „nur“ das 2 fache!

Die Ursachen der stark wachsenden Verschuldung sind mannigfaltig, liegen aber alle in der strukturellen Krise des Kapitalismus und den verzweifelten Versuchen, darauf zu reagieren. Dazu gehören massive öffentliche Investitionen die getätigt wurden, um den Finanzsektor liquid zu halten. Steigende Sozialausgaben in Folge der wachsenden Arbeitslosigkeit. Eine sehr expansive Geldpolitik mit historisch niedrigen Zinsen und mit quantitativer Lockerung („Quantitative Easing“ bei dem die Zentralbanken Staatsanleihen, Schulden etc. aufkaufen) die von der US-Zentralbank FED initiiert wurde aber dann von der japanischen bzw. englischen Zentralbank übernommen und letztlich auch nach Widerständen von der EZB. Diese Politik hat zwar kurzfristig die Wirtschaft „am Laufen“ gehalten, aber gleichzeitig die Gefahr einer weiteren Finanzkrise vergrößert.  

Ein Schuldenabbau wird Konsum, private Investitionen und öffentliche Ausgaben in Dienstleistungen und Infrastruktur für eine ganze Periode massiv bremsen. Die niedrigen Zinsen verdecken diese fundamentale Schwäche nicht nur, sondern heizen riskante Finanztransaktionen weiter an. Die OECD geht davon aus, dass eine wachsende Anzahl von Unternehmen verschwinden wird, sobald eine Normalisierung der Zinsen und ein Ende der öffentlichen „Rettungen“ eintritt. Das ist auch einer der Gründe, warum die Zentralbanken immer weiter Geld ausschütten und nur sehr, sehr vorsichtig beginnen, ihre Geldpolitik zu ändern. Doch die – ohnehin sehr vorsichtige – Anhebung der Leitzinsen durch die FED, die nach wie vor auf einem historischen Tiefstand sind, hat noch andere Folgen. Die FED versucht so auch ihre Bilanzsumme, die von 800 Milliarden Dollar vor der Krise auf heute fast 4.500 Milliarden Dollar angewachsen, ist reduzieren. Aber wenn die FED Wertpapiere und Anleihen, die sie während der Rezession aufgekauft hat, verkauft, wird sie deren Wert reduzieren und damit massive Schäden am Wohnungsmarkt und bei Banken, bei Pensionsfonds und Versicherungen, anrichten. Aber die FED hat keine andere Wahl, wenn sie einen gewissen Spielraum schaffen will, der nötig sein wird, wenn die nächste Krise zuschlägt.

Die nächste Krise kommt bestimmt – es ist keine Frage, ob, sondern nur wann

Und dieser nächste Einbruch kann früher kommen als gedacht. Eine wachsende Anzahl von WirtschaftswissenschaftlerInnen warnt davor, dass die Phase der Expansion in den USA ihren Höhepunkt bereits überschritten hat. Obwohl die Beschäftigung weiter ansteigt, steigt gleichzeitig auch erstmals seit Jahren die Arbeitslosigkeit. Das Durchschnittseinkommen kriecht dahin. Die Profite im Produktionsbereich fallen. Die Aktienpreise stehen in keinem Verhältnis zu den wirtschaftlichen Kennzahlen. Die Hoffnungen, dass die von Trump versprochenen Steuersenkungen und seine Fiskalpläne die Wirtschaft ankurbeln könnten, sind dahin. Und einer Verlangsamung der US-Wirtschaft werden andere folgen. Die Brexitverhandlungen gleichen einem Minenfeld: Die Europäische Kommission muss Großbritannien „bestrafen“ um andere Länder, die über einen Ausstieg nachdenken, abzuschrecken um einen weiteren Zerfall der EU zu verhindern. Großbritannien wird also entweder keinen, oder einen schlechten Deal bekommen der, so meint Martin Wolf von der Financial Times, katastrophale Auswirkungen auf das britische Pfund haben wird, die Inflation anheizt und die Bank of England vor ein Dilemma stellen wird. Ein weiteres Referendum wäre andererseits politisches Dynamit. ÖkonomInnen warnen daher auch davor, dass die Zentralbanken in den nächsten zwei Jahren in einer Sackgasse landen könnten, weil die Rezession just in dem Moment zuschlagen könnte, wenn sie sich von der Politik des billigen Geldes zurückziehen – und sie dann wieder gezwungen sind, die Zinsen zu senken um die Rezession nicht noch zu vertiefen.

Kursänderung bei Geld- und Fiskalpolitik löst auch nichts

Der IWF warnt auch vor den Folgen von Trumps Plänen, die ohnehin schwache Regulierung der Finanzmärkte, die nach dem ersten Krisenhöhepunkt eingeführt wurden, zurückzunehmen. Eigenkapitalquote und Liquidität könnten wieder gesenkt werden, was negative Folgen für die Stabilität der Finanzmärkte hätte. Zusätzlich nämlich zu Auswirkungen der Normalisierung bei der Geldpolitik könnte das zu einer Umkehr der Kapitalflüsse weg von den Schwellenländern und einer Aufwertung des US-Dollars führen. Das wiederrum würde enormen Druck auf jene Schwellenländer erzeugen, deren Währungen an den Dollar gebunden sind und die viele Kredite laufen haben und so ihr schon geschwächtes Wachstum weiter schwächen. Das wiederrum würde nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die politische Instabilität erhöhen.

Protektionismus und Freihandel

Das Gespenst des Protektionismus hängt über der Weltwirtschaft da die Trumpregierung droht, die Spielregeln im Welthandel zu ändern und den Handel erschweren will. Das ist eine der Hauptsorgen des IWF. Jobs, Einkommensgerechtigkeit oder Wohlstand werden Protektionismus und wirtschaftlicher Nationalismus nicht bringen, doch das viele Menschen Hoffnungen in solche Maßnahmen haben ist die Folge davon, dass Freihandel und Globalisierung trotz aller Versprechungen den Lebensstandard der großen Mehrheit der Menschen nicht erhöht haben. Von einem kapitalistischen Standpunkt aus würde Protektionismus – gerade angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen und der internationalen Arbeitsteilung – die existierenden Probleme nur vergrößern. Vom Standpunkt der ArbeiterInnenklasse aus ist es zwar richtig, gegen die Diktate der internationalen Institutionen des Kapitals zu sein, aber Protektionismus und Standortlogik sind konterproduktiv, rückwärtsgewandt und führen zu Spaltung – und all das schwächt die ArbeiterInnenklasse.

Die Krise des Kapitalismus führt auch zur Krise der bürgerlichen Demokratie

Mit der Krise des Kapitalismus einher geht auch eine Krise der bürgerlichen Demokratie und ihrer Parteien. Stabile Regierungen gibt es kaum noch, das Vertrauen in Parteien und PolitikerInnen schwindet, die Wahlbeteiligung ist oft niedrig. All das ist auch Ausdruck der Unfähigkeit des Kapitals, die anstehenden Probleme zu lösen. Weil die Krise keine konjunkturelle, sondern eine strukturelle ist nützen auch die diversen Maßnahmen kaum, bzw. bestenfalls vorübergehend etwas. Den führenden KapitalistInnen und ihren politischen PartnerInnen ist klar, dass die zunehmende soziale Unsicherheit und Ungleichheit sozialen Sprengstoff bergen. Ausdruck der Krise ist auch, dass in der herrschenden Klasse sehr unterschiedliche Ideen darüber existieren, wie mit der Situation umzugehen ist. Obwohl eine neue Krise bereits am Horizont zu erkennen ist, ist das Kapital heute noch uneiniger als am Beginn der Krise von 2007/8 darüber, wie gegenzusteuern ist und noch viel weniger bereit, an einem Strang zu ziehen, also gemeinsam Maßnahmen zu setzen. Das liegt auch daran, dass schon alle verschiedenen „Lösungen“ ausprobiert wurden – und sich alle als weitgehend wirkungslos gezeigt haben eben weil es sich um eine strukturelle Krise des Kapitalismus handelt. Bei internationalen Gipfeln wie dem G20 gibt es immer weniger Ergebnisse. Ein Teil der ÖkonomInnen vertritt die Idee des „Helikoptergeldes“. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es das tatsächlich geben wird, aber selbst wenn, hätte es nur kurzfristige Auswirkungen und könnte die Tatsache, dass in den letzten zwei Jahrzehnten der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen gesunken ist, nicht wett machen. Selbst EZB-Chef Draghi muss zugeben, dass der Zuwachs an Jobs in Europa v.a. schlecht bezahlte, kurzzeitige und Teilzeitjobs sind. „Du studierst heute drei bis vier Jahre länger als dein Vater und verdienst weniger Geld als er“ bemerkte ein italienischer Wirtschaftsethnologe. Laut ÖkonomInnen der EZB sind in der Eurozone 18% unterbeschäftigt, das sind fast doppelt so viele wie die offizielle Arbeitslosenrate. All das untergräbt die soziale Basis des Kapitalismus, auch in den Mittelschichten.

Der IWF erkennt, dass der Klimawandel ein zentraler Faktor für Epidemien, Naturkatastrophen, Hunger, bewaffnete Konflikte und Flucht ist, Entwicklungen die sich auch negativ auf die Wirtschaft auswirken. Doch die Klimagipfel bleiben weitgehend zahnlos und auch in der Flüchtlingsfrage wird viel gehetzt und gefordert, aber nichts gelöst. Früher waren billiges Öl und fallende Rohstoffpreise ein Bonus für den Kapitalismus, aber heute wird eine solche Entwicklung als zentraler Faktor für die Destabilisierung gesehen, und zwar nicht nur für jene Staaten, die Rohstoffe exportieren. Das Phänomen, dass jede Maßnahme, die ergriffen wird nur dazu führt, die Krise weiter zu verschärfen ist charakteristisch für ein System, dass seine Fähigkeit, die Gesellschaft weiter zu bringen, ausgeschöpft hat und zum Hindernis für die Entwicklung wird.

Der Nachkriegsaufschwung war das Ergebnis einer einzigartigen und nicht wiederholbaren historischen Situation

Wenn manche auf der Linken sagen, es müsse nicht so sein, es ist eine politische Entscheidung, dann ist das nur beschränkt richtig. Es ist nicht möglich, in den Zustand des Nachkriegsaufschwungs zurück zu kommen, weil das eine einzigartige Situation war, die durch den 2. Weltkrieg und seinen Ausgang geschaffen wurde: die Koexistenz zweier widersprüchlicher Systeme und die Angst vor der ArbeiterInnenbewegung in Westeuropa zwang den Imperialismus zu weitreichenden sozialen Zugeständnissen wie Verstaatlichungen, Kollektivverträge und Sozialstaaten.

Der US-Imperialismus war gestärkt aus dem Krieg hervor gegangen, auch weil es nicht solche Zerstörungen von Infrastruktur und Produktionsstätten gegeben hatte wie bei den Konkurrenzstaaten in Europa. So wurde der Dollar zur internationalen Leitwährung und ab 1947 wurden im Abtausch für den Marshall-Plan unter dem Handelsabkommen GATT, dem Vorläufer der WTO, die Zollbarrieren abgebaut. Der Kalte Krieg pumpte öffentliche Gelder in die Wirtschaft und befeuerte so die Auswirkungen und Umsetzung jener Technologien, die zwar vor dem Krieg bereits existiert hatten, die aber erst im Zuge des Wiederaufbaus wirklich zum Einsatz und zur Entfaltung kamen.

In der Periode von 1950 bis 1975 lag das Wachstum in den entwickelten kapitalistischen Ländern im Durchschnitt bei 4,9%. In diesen 25 Jahren wurde mehr produziert, als in den 75 Jahren zuvor. Die Reallöhne stiegen in den entwickelten kapitalistischen Staaten zwischen 1965 und 1973 um jährlich 3,5% und damit stärker als das Wachstum der Produktivität von 3,2%. Die Löhne in Belgien z.B. verfünffachten sich in nur 10 Jahren. Das durchschnittliche Arbeitslosengeld in den OECD Staaten stieg von 28% des Durchschnittslohns im Jahr 1960 auf 35% 1974 und 43% im Jahr 1979. Die Lohnerhöhungen und die öffentlichen Ausgaben in den Ausbau des Sozialstaates sowie in Infrastruktur waren die treibende Kraft bei der Einführung neuer Technologie die auf Massenproduktion abzielte. Die Einkommensschere war historisch niedrig. Doch dieser Prozess war nicht das Ergebnis von schlauen Überlegungen, sondern wurzelten in einer sehr speziellen objektiven Situation, die sich aus und nach dem 2. Weltkrieg ergeben hatte.

Auch Kredite können die Grundwidersprüche des Kapitalismus nicht überwinden

Die Ausdehnung des Kreditwesens und der Freihandel, die das Wachstum angeheizt hatten und so die Illusion erzeugten, der Kapitalismus hätte seine Wiedersprüche überwunden, mussten dennoch unausweichlich an die Grenzen eben dieses Kapitalismus stoßen. Die Entwicklungen auf dem Feld der Wissenschaft und der Technik haben längst die Beschränkungen des Privatbesitzes an Produktionsmitteln und der Existenz von Nationalstaaten überwunden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse brauchen den freien Austausch von Wissen und brauchen Investitionen. Doch das stößt an die Grenzen, die durch Konkurrenz und privaten Besitz aufgestellt werden. Um es mit den Worten von Marx zu sagen: die Bevorzugung von konstantem Kapital gegenüber variablem Kapital, also der Arbeitskraft die allein in der Lage ist, Mehrwert zu produzieren, untergräbt die Profitrate die die Tendenz hat zu fallen. Diesen Prozess versuchten die KapitalistInnen durch neoliberale Angriffe auf Löhne und Sozialleistungen aufzuhalten bzw. umzukehren.

Die KapitalistInnen beziehen ihre Profite aus der unbezahlten Arbeit, also dem Mehrwert der von den ArbeiterInnen produziert wird. Die ArbeiterInnen können die von ihnen erzeugten Werte daher nicht in vollem Umfang kaufen und die KapitalistInnen sind einfach zu wenige, um all das Produzierte zu kaufen (mal abgesehen davon, ob sie den Ramsch, den wir für sie produzieren müssen, überhaupt wollen).  Diese Lücke wurde teilweise durch Kredite geschlossen, die uns ermöglichen, Geld auszugeben, dass wir morgen erst verdienen müssen. Wie weit das gehen kann zeigt der riesige Berg von Schulden, die die privaten Haushalte angehäuft haben. Doch hier wird wieder einmal deutlich: wenn deine Schulden klein sind, hast du Probleme, wenn deine Schulden aber sehr hoch sind, dann hat die Bank bzw. der Staat Probleme.

Die Restauration des Kapitalismus in Ostereuropa haben Krise verzögert, nicht verhindert

Die Widersprüche im Kapitalismus spitzen sich über die 1970er und 80er Jahre immer weiter zu. Der Zusammenbruch der stalinistischen Staaten und die Öffnung dieser Wirtschaften für den Kapitalismus wurden zu einem vorübergehenden Rettungsanker für das Kapital. Neue Märkte um die Überproduktion los zu werden, neue Investitionsfelder, um das angehäufte Kapital zu investieren, neue, billige Arbeitskräfte um die Produktionskosten zu senken. Doch an den kapitalistischen Widersprüchen änderte das nichts – die Krise wurde nicht verhindert, sondern nur verschoben.

Überall regt sich Widerstand

Eine wachsende Schicht von ArbeiterInnen und Jugendlichen sehnen sich nach Veränderung und haben jede Hoffnung verloren, dass das durch die traditionellen Parteien und/oder PolitikerInnen geschehen kann. Verzerrt aber doch drückt sich das in den Wahlerfolgen von rechten PopulistInnen aus. Aber wir sehen auch ein wachsendes Interesse an linken Ideen dass sich anfangs aber v.a. auf der Wahlebene ausdrückt und noch nicht in Aktivität. Doch in der Kampagne von Sanders, bei Podemos, bei der Präsidentschaftskampagne von Mélenchon und auch bei den britischen Wahlen haben wir auch die Zunahme von aktiver Beteiligung gesehen. Und dieser Trend wird sich nicht nur in Europa und den USA intensivieren, sondern wird den unterbrochenen Prozess in Lateinamerika neu beleben und auch die Massen in Asien und Afrika infizieren. Dass Level von Klassenkämpfen ist in verschiedenen Teilen der Welt in unterschiedlichen Phasen. Doch auch in der schwierigsten Region, im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika sehen wir nach dem Scheitern des arabischen Frühlings neue Bewegungen, es gibt soziale Proteste in Tunesien, in Marokko und anderen Ländern.

Diese Entwicklung ist noch verwirrt und sicher gibt es noch kein klares sozialistisches Bewusstsein, aber die ArbeiterInnenklasse betritt die Bühne des Geschehens wieder. Gerade weil das Bewusstsein zurückgeworfen ist, ist es notwendig, sozialistische Ideen geduldig zu erklären und auch Teil von Bewegungen zu sein, die „nur“ fortschrittlich sind. Socialist Alternative (CWI in den USA) waren Teil der Kampagne rund um Sanders und sind so in einen Dialog mit den AktivistInnen getreten die oft das erste Mal politisch aktiv geworden sind und haben für ein sozialistisches Programm und eine unabhängige Kandidatur von Sanders argumentiert.

Reformistische Vorschläge zur Krisenbewältigung

Es ist nichts falsches daran, konkrete Maßnahmen zu fordern wie eine allgemeine Gesundheitsvorsorge wie sie Sanders fordert, oder die Abschaffung der Studiengebühren die Corbyn ankündigt oder Beschränkung der Einkommensunterschiede von 1:20 wie Mélenchon es vorschlägt oder eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden wie sie die belgische PTB fordert oder die Kampagne für einen Mindestlohn von 15 Dollar in den USA oder gegen die Wassersteuer in Irland. Solche Kampagnen sind wichtige Plattformen um breitere Schichten zu erreichen – doch sie dürfen kein Ersatz für ein sozialistisches Programm sein sondern müssen ein Schritt sein,  um Menschen zur Aktivität zu gewinnen und um das Bewusstsein zu entwickeln.

Mélenchons Pläne zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Schaffung von Jobs wurden breiter diskutiert. Er fordert ökologisch und sozial sinnvolle Investitionen und schlägt die Schaffung von öffentlichen Unternehmen für Energie und Transport vor und dass 200.000 neue, ökologische Wohnungen in den nächsten fünf Jahren gebaut werden sollen. Corbyn geht in seinem Wahlmanifest noch weiter und schlägt die Verstaatlichung des Energie- und Wasserwesens sowie der Eisenbahnen vor.

Doch wie wollen Corbyn, Mélenchon oder die PTB ihre Pläne bezahlen? Im Wesentlichen planen sie dazu eine Reihe von Fiskalmaßnahmen. Mélenchon will ein progressives Steuersystem mit 14 Steuerstufen einführen und spricht von einer Fiskalrevolution. Außerdem hofft er auf zusätzliche Einnahmen in Folge der Belebung durch höhere öffentliche Ausgaben. Corbyn will 50 Milliarden Pfund zusätzlich einnehmen durch höhere Unternehmenssteuern, steigende Steuern bei höheren Einkommen, eine Reichensteuer und durch Kampf gegen Steuerbetrug. Die PTB schlägt eine Reichensteuer von 1% für Vermögen von mehr als einer Million Euro vor (wobei ein Haus bis zu einem Wert von 500.000.- ausgenommen ist), 2% für über zwei Millionen, und 3% für über drei Millionen. PTB-Vorsitzender Peter Mertens behauptet sogar, dass eine internationale Millionärssteuer die Armut weltweit ausrotten könnte. Die PTB leugnet, dass eine solche Steuer zu Kapitalflucht führen könnte.

Die Grenzen von Maßnahmen im Rahmen des Kapitalismus

Natürlich sind SozialistInnen und die Mehrheit der ArbeiterInnen und Jugendlichen für eine „Fiskalrevolution“. Doch wir müssen auch die Lehren aus der Geschichte ziehen. 1980 führte der damalige linke französische Präsident Mitterand die Verstaatlichung eines Teils der Wirtschaft durch. Industriebetriebe, Banken und andere Finanzinstitutionen, die insgesamt für rund 3% des BIP verantwortlich waren, wurden in staatliches Eigentum überführt dass danach bei 8% lag. Die Mindestpension, Kindergeld und der Mindestlohn wurden angehoben, der Urlaubsanspruch von vier auf fünf Wochen erhöht und die Arbeitszeit von 40 auf 39 Stunden pro Woche gesenkt. Gute Maßnahmen im Interesse der ArbeiterInnenklasse die zehntausende Jobs im öffentlichen Dienst schufen. Aber Mitterand lies die Schaltstellen der Wirtschaft in privaten Händen und sah sich rasch mit Kapitalflucht und  einem Investitionsstreik des Kapitals konfrontiert – und das vor dem Hintergrund eines neuen Ölschocks und einer internationalen Rezession. Die Inflation stieg auf über 10%, die Arbeitslosigkeit legte zu und ab 1983 wurde neoliberale Politik umgesetzt.

Zu Beginn setzte die Regierung von Tsipras einige positive Maßnahmen wie die Erhöhung des Mindestlohnes, die Wiedereinführung des 13. Gehaltes für PensionistInnen, einen Stopp beim Stellenabbau im Öffentlichen Dienst und bei der Privatisierung der Energieunternehmen. Aber die Troika war zu keinen Zugeständnissen bereit und so war klar, dass die griechische Regierung sich zwischen zwei Wegen entscheiden muss: entweder muss sie weitergehende Maßnahmen setzen, den gesamten Finanzsektor verstaatlichen sowie die Schlüsselsektoren der Wirtschaft, ein Monopol auf den Außenhandel einführen und an die europäische ArbeiterInnenbewegung appellieren gemeinsam gegen die Kürzungspolitik des europäischen Establishments zu mobilisieren. Oder die Regierung gibt klein bei und führt die Maßnahmen der vorherigen Regierungen weiter. Tsipras spielte auf Zeit und verordnete per Dekret, das alle 1.500 öffentliche Institutionen und Firmen all ihre Reserven an die Zentralbank überweisen müssen um kurzfristig zahlungsfähig zu sein. Das löste eine Panikreaktion aus, die Banken wurden gestürmt und Griechenland stand vor dem Bankrott. Syriza setzte nicht auf die Mobilisierung der Massen, obwohl hunderttausende während der Referendumskampagen aktiv waren und dieser zu einem überragendem Nein (Oxi) gegen die Troika verhalfen. Aber Tsipras nutzte die Chance nicht, um in die Offensive zu gehen sondern ging vor der Troika in die Knie. Der Verrat, wie ihn Tsipras betrieben hat, ist ein organischer Bestandteil reformistischer Politik. Auch in Lateinamerika sind linke Regierungen gescheitert, weil sie den Kapitalismus nicht fundamental angreifen wollten sondern hofften nationale Nischen zu finden. Wann und in welcher Form er kommt hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere vom Kräfteverhältnis der Klassen, der Aktivität der ArbeiterInnenklasse, dem breiterem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Rahmen und der Existenz einer linken Alternative, einer revolutionären Kraft.

Wie wären die Perspektiven für eine Regierung unter Corbyn? Wie würde das Kapital auf Reformen reagieren, wie schnell würde insbesondere das Finanzkapital reagieren und so eine Atmosphäre von Krise erzeugen? Und wie weit würde das Kapital gehen, um eine solche Regierung zu stürzen – in Chile 1973 schreckte man auch nicht vor einem blutigen Putsch zurück. Wie fest eine solche Regierung im Sattel sitzen würde und wie sie sich gegen solche Angriffe des Kapitals wehren würde (oder zurück rudern würde) hängt auch davon ab, ob die Regierung nur durch Wahlen oder auch auf einer Welle von Klassenkämpfen an die Macht kommt die der ArbeiterInnenklasse Selbstbewußtsein über die eigene Stärke gibt.

Trotzki schreibt bezüglich Frankreich 1934-36 dass in einer Periode von tiefer Krise Reformen nur rein Nebenprodukt des revolutionären Kampfes sein können. Die heutige Situation hat weit mehr Gemeinsamkeiten mit dieser Periode als mit jener des Nachkriegsaufschwunges. Viele der Vorschläge, die von Formationen und Personen wie Corbyn, Podemos  & Co. kommen sind es wert, dafür zu kämpfen. Doch dieser Kampf muss mit der Erklärung und dem Verständnis über die Grenzen im Kapitalismus und die Notwendigkeit, den Kapitalismus zu überwinden verbunden sein, wenn wir weitere katastrophale Niederlagen wie jene unter Tsipras in Griechenland vermeiden wollen. Die neuen ArbeiterInnenparteien, die so dringend nötig sind, brauchen ein sozialistisches Programm und müssen über die engen Grenzen kapitalistischer Logik hinaus denken. Sie können nur dann zu wirklichen Instrumenten für die ArbeiterInnenklasse werden, wenn die Überwindung des Kapitalismus als Ziel und Perspektive zentraler Bestandteil dieser Formationen ist.

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