1968: Weit mehr als sexuelle Revolution

Schwarz-Blau & Co. blasen zum Generalangriff auf die Errungenschaften der 68er-Bewegung
Nicolas Prettner

Der neue Innenminister Herbert Kickl verkündete, dass die neue Regierung der „offensive Gegenentwurf zur 68er Generation“ sei und der FPÖ-Klubdirektor sprach davon, die „Hegemonie der 68er“ zu beenden. Konservative Werte und „die Familie“ sollen gefördert und die Ideen der sexuellen Revolution und Frauenbewegung von 1968 bekämpft werden.

Doch was geschah 1968 eigentlich wirklich? In der Zeit rund um 1968 gab es weltweit eine Vielzahl an Bewegungen, die eine große Bandbreite an Themen abdeckten. Von nationalen Befreiungsbewegungen (Vietnam), über Bürgerrechte (USA), Kampf gegen Diktaturen (Portugal, Griechenland), Antifaschismus (Deutschland), Frauenrechte und riesige Streikbewegungen (Frankreich) war alles dabei. Auch Österreich wurde mitgerissen.

Sowohl von konservativer, als auch von liberaler Seite wird die 68er-Bewegung oft auf ihren sexualpolitischen Aspekt reduziert. Es ist nicht zu leugnen, dass in dieser Periode geschlechterpolitisch viel erreicht wurde bzw. der Grundstein für spätere Verbesserungen, wie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch 1975, gelegt wurde. 1961 kam die Anti-Baby-Pille in Österreich auf den Markt und legte die Basis auch für Schritte in Richtung sexueller Befreiung. Doch die Frauenbewegung entstand nicht im luftleeren Raum. Im Rahmen des Nachkriegsaufschwunges waren immer mehr Frauen berufstätig. Das erhöhte Selbstbewusstsein und Kampfbereitschaft. Die Familienrechtsreform der 1970er Jahre stellte erstmals eine rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern in der Ehe her. Es ging auch um ein anderes Menschenbild. Weg vom Zwang und Züchtigung, hin zu Erklären, Helfen und Unterstützen. Die bürgerliche Geschichtsschreibung sieht in diesen Verbesserungen gern die Korrektur der letzten Fehler des Kapitalismus, die zu einer Vollendung dieses Systems führte. Doch die noch heute vorherrschende Frauenunterdrückung und die zunehmenden Versuche, das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen strafen sie Lügen.

Aber die Revolte von 68 war auch in Österreich weit mehr als eine rein sexualpolitische Bewegung. Die Zeit nach Ende des 2. Weltkrieges war auch eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Gerade auch in Österreich hatten die ArbeiterInnen das Wirtschaftswachstum mit harten Entbehrungen und niedrigen Reallöhnen über viele Jahre erst möglich gemacht. Sie wollten endlich ihr Stück vom Kuchen abhaben. So kam es auch gerade in den 1960er und 70er Jahren zu zahlreichen betrieblichen Auseinandersetzungen. 1965 sollte die ehemalige Waggon- und spätere Flugzeugfabrik Raxwerk in Wiener Neustadt mit Zustimmung der Gewerkschaft privatisiert werden. Die Belegschaft sprach sich in einer Abstimmung klar gegen die Privatisierung aus und trat daraufhin in einen Sitzstreik.

Unter den Studierenden rumorte es ebenso. Der braune Mief von 1945 sollte endlich aus Universität und Staat vertrieben werden. Schon 1965 wurde zahlreich gegen den Nazi-Professor Borodajkewicz, der nach wie vor an der Uni lehrte und sich kein Blatt vor den Mund nahm, demonstriert. Auf einem dieser Proteste wurde der Kommunist und Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger bei einem Nazi-Angriff so stark verletzt, dass er starb. Seine Beerdigung wurde zur Massendemonstration, an der 25.000 Menschen teilnahmen.

Ebenso mobilisierten die Proteste gegen den Vietnam-Krieg und andere internationale Befreiungs- und Anti-Kriegsbewegungen viele auf die Straße. Linke und sozialistische Ideen fanden immer mehr Zuspruch und immer mehr suchten eine Alternative, sowohl zum Kapitalismus, als auch zum Stalinismus. Die linke und antikapitalistische Unterstützung des „Prager Frühlings“ führte in Österreich zu Konflikten in der KPÖ, die sich lieber von ihrer Jugend- und ihrer Gewerkschaftsstruktur trennte, als die stalinistische Bürokratie in Russland zu kritisieren.

Rund um 1968 hat sich international und in Österreich viel verändert, viele Verbesserungen wurden erkämpft. 1968 steht für fortschrittliche Konzepte in gesellschaftspolitischen Fragen, bei Frauenrechten, Jugendrechten und den Rechten von unterdrückten Menschen und Völkern. Das Gegenkonzept ist Bevormundung, Obrigkeitsdenken und Demokratieabbau. Und die Herrschenden rufen zur Konterrevolution auf. Viele dieser Errungenschaften, vor allem frauenpolitische Erfolge, stehen ganz oben auf der Abschussliste der schwarz-blauen Regierung, von Trump, Orban & Co. und müssen nun gegen diese verteidigt werden. Eine Wiederbelebung des Widerstandsgeistes von 1968 kann dabei, auch 50 Jahre später, sicher nicht von Nachteil sein.

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