Geschichte und politische Theorie

Zahlen und Fakten zu Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung

Bosse brauchen Arbeiter*innen – Arbeiter*innen brauchen keine Bosse. Hier sind nur einige Beispiele aufgezählt, in denen Arbeiter*innen selbst Kontrolle und Verwaltung von Betrieben übernommen haben. Um das tatsächliche Potential zu entfesseln, braucht es jedoch eine revolutionäre Umwälzung der Produktionsweise, denn sonst sind diese Inseln dazu verurteilt, im kapitalistischen Meer zu versinken.

  • Russland 1917
    Arbeiter*innenräte („Sowjets“) übernehmen die Wirtschaft und politische Macht im Land, leiden aber unter dem Bürger*innenkrieg und fallen schließlich dem Stalinismus zum Opfer.
  • Deutschland und Österreich 1919
    Nach den Kriegswirren wurden viele Betriebe von Räten übernommen. Eine Revolution wie in Russland blieb wegen dem Einfluss der Sozialdemokratie aus.
  • Spanien 1936-1939
    Während dem Bürgerkrieg gegen die Faschisten gelangten zahlreiche Firmen, von Öffis bis zu Restaurants, unter die Verwaltung von Räten oder Gewerkschaften.
  • Argentinien seit Mitte der 1990er
    Eine schwere Wirtschaftskrise führte zu einer Pleitewelle bei Unternehmen. 350 Betriebe, von Fabriken bis Hotels, werden seither von ihren Arbeiter*innen selbst verwaltet.
  • Eleftherotypia (Griechenland)
    Die griechische Zeitung ging 2012 pleite und wurde von den Angestellten als Journalistenzeitung erfolgreich weitergeführt.
  • Mondragon (Spanien)
    Das siebtgrößte Unternehmen Spaniens mit 75.000 Angestellten ist eine Föderation von über 100 Genossenschaften, in deren Leitung Arbeiter*innen demokratisch eingebunden sind.
  • Officine Zero (Italien)
    Als der italienische Betrieb für Instandhaltung von Schlafwägen 2012 schloss, besetzten ihn 20 Mitarbeiter*innen und betreiben ihn seither als Reparaturwerkstätte weiter.
  • Ri-Maflow (Italien)
    Der ehemalige Mailänder Autoteilezuliefer ging 2011 pleite. Arbeiter*innen und Unterstützer*innen übernahmen das Projekt und reparieren Haushalts- und IT-Geräte.
  • Vio.me (Griechenland)
    Die Baustofffabrik in Thessaloniki (Griechenland) wurde 2011 im Zuge der Wirtschaftskrise geschlossen. Die Arbeiter*innen übernahmen den Betrieb, produzieren seither unter anderem Waschmittel und wehren sich seither gegen Zwangsversteigerung der Fabrik.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt

Sebastian Kugler

Der Kampf um Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle ist der Kampf um eine demokratisch geplante Wirtschaft.

Als um die Jahrtausendwende der argentinische Kapitalismus wie ein Kartenhaus zusammenbrach, reagierten die Arbeiter*innen mit einem Massenaufstand, der mehrere neoliberale Regierungen wegfegte. Im Zuge dieses „Argentinazo“ enteigneten sie auch über 1.200 Unternehmen – durch Besetzungen oder weil die Unternehmer*innen sich schon davor aus dem Staub gemacht hatten. Sofort waren die Arbeiter*innen mit der Frage konfrontiert, was nun mit den Unternehmen geschehen sollte. Manche entschieden sich dafür, es als Genossenschaft weiterzuführen. Doch das bedeutete nicht nur, dass sie nun dieselben vom kapitalistischen Markt diktierten Entscheidungen zu treffen hatten, wie ihr Boss zuvor – sondern auch, dass sie als „Eigentümer*innen“ ihren rechtlichen Status als Arbeiter*innen verloren, und damit verbundene Rechte und Sicherheiten. „In den Fabriken“, so die Historikerin Marina Kabat in ihrer Studie über die Bewegung, „, in denen die Arbeiter ein höheres Klassenbewusstsein entwickelten, kämpften sie aus diesem Grund für eine Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle sowie für die Enteignung ohne Entschädigung“. So zum Beispiel die Arbeiter*innen der Fabrik Brukman, die 2003 erklärten:

„Wir sind nicht damit einverstanden, ein zum Scheitern verurteiltes ‚Mikrounternehmertum‘ zu akzeptieren […] Wir sind qualifizierte Arbeiterinnen und Arbeiter. Es kann nicht sein, dass die Politiker unsere Erfahrung als Arbeiter, die in den Dienst der argentinischen Gesellschaft gestellt werden kann, mit Füßen treten. In unserem Land gibt es 19 Millionen Arme und Bedürftige und Mängel aller Art. Unsre Fabrik kann Teil der Lösung sein und ist nicht ein Problem, wie diese Herren Politiker es erachten, die auf einem anderen Planeten zu leben scheinen.“

Damit formulierten diese Arbeiter*innen eine wichtige Perspektive: Ihre Fabrik sollte kein Selbstzweck wie ein kapitalistisches Unternehmen sein, sondern bewusst in die gesamtgesellschaftliche Entwicklung miteinbezogen sein. Doch warum wehrte sich der Staat, der doch vorgibt, Vertreter dieses Gesamtinteresses zu sein, dagegen? Die Forderung nach Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle ermöglichte es den Arbeiter*innen somit, ihren wirtschaftlichen Kampf in einen politischen zu erweitern: Denn um die Produktion der Fabrik mit den Interessen der Gesellschaft zu koppeln, bräuchte es einen Staat, der in den Händen der Arbeiter*innen selbst ist. Diese Erfahrung machten auch die Arbeiter*innen der venezuelanischen Fabrik Inveval, die 2005 mit einem Dekret von Chavéz enteignet wurde. Die Arbeiter*innen kämpften für Verstaatlichung unter ihrer Kontrolle. Nach langem hin und her wurde Inveval eine Aktiengesellschaft, die zu 51% dem Staat und zu 49% den Arbeiter*innen als Genossenschaft gehörte. Doch das bedeutete, dass die Arbeiter*innen, nun als „Teilhaber*innen“ weiterhin dem täglichen Kampf um Märkte ausgesetzt waren, während die wichtigen Entscheidungen aus den Büros der Ministerien kamen. Sie empörten sich: „Die Kooperative fördert den Kapitalismus, denn sie wurde als Teil von diesem kapitalistischen System geschaffen […] Wir haben doch nicht einen Kapitalisten rausgeschmissen, um 60 neue hereinzuholen!“

Dass Arbeiter*innen keine Kapitalist*innen brauchen, um wirtschaftliche und politische Prozesse effektiv zu gestalten, haben sie in den letzten 150 Jahren immer wieder bewiesen. Die Pariser Kommune 1871 verwirklichte durch ihre Rätestruktur den „schlanken Staat“, worauf Marx süffisant hinwies. Im Zuge der Entwicklung der Sowjets übernahmen die Arbeiter*innen in der Russischen Revolution die Produktion unter den Bedingungen von Weltkrieg und wirtschaftlicher Zerrüttung. Mittels ihrer revolutionären Partei, den Bolschewiki, machten sie die Sowjets zum Zentrum des ersten Arbeiter*innenstaats. In den durch Duruttis Milizen befreiten Gebieten im Spanischen Bürger*innenkrieg stieg die Agrarproduktion dank demokratischer Kollektivierung des Landes um 30-45%. Zwischen 1968 und 1980 erschütterten Kämpfe um Arbeiter*innenkontrolle nicht nur Frankreich, Britannien und Italien, sondern auch das stalinistische Polen.

All diese Erfahrungen, kombiniert mit jenen aus Lateinamerika in den letzten 20 Jahren, müssen wir heute mehr denn je mobilisieren. Die Klimakatastrophe können wir nur bekämpfen, wenn wir die gesamte weltweite Produktion den Klauen des Kapitals entreißen und sie nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt planen. Die neuen Technologien bieten uns dafür Mittel, von denen die Revolutionär*innen des vergangenen Jahrhunderts nur träumen konnten. Per Touchscreen lassen sich heute global Produktion, Verteilung und Konsum aufeinander abstimmen. Wir, die Arbeiter*innenklasse, die an allen Knotenpunkten dieses unendlich verzweigten Netzes verortet ist, haben das Potential, diese Prozesse durch demokratische Strukturen zu verwalten. Doch dafür müssen wir die Macht des Kapitals und seines Staates brechen. Vom Erfolg dieses Kampfes hängt die Zukunft der Menschheit ab.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Vergesellschaftung & Rätemacht statt Stalinismus & Reformismus

Pablo Hörtner

Die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrie & großen Banken — ihre Überführung in die Hände der Arbeiter*innen — ist die höchste Stufe des Klassenkampfes und Grundbedingung einer geplanten Bedürfniswirtschaft. Die Enteignung von Großkapital & Großgrundbesitz war auch die wirtschaftliche Grundlage der Sowjetunion, des ersten Arbeiter*innenstaats der Welt. Sobald aber die Rätedemokratie im Zuge von Kriegskommunismus, nationaler Isolation, „Neuer ökonomischer Politik“ (NÖP) & Bürokratisierung abgebaut war, erodierte auch die ökonomische Basis des nunmehrigen „Sowjetstaats ohne Sowjets“. Die Linke Opposition um Trotzki setzte auf verstärkte Industrialisierung, um Wirtschaft & Arbeiter*innendemokratie wiederzubeleben. Doch die Clique um Stalin drängte gemeinsam mit Bucharin auf eine Fortführung der marktwirtschaftlichen Maßnahmen der NÖP. „Mehr privat, weniger Staat!“ lautete die Devise. Als Stalin 1928 den ersten Fünfjahresplan einführte, war es bereits zu spät: Stalin hatte sich zum Anführer des neuen Mittelstandes & der bürokratischen Kaste im Staatsapparat erhoben, die allesamt weder ein Interesse an Demokratie noch an einem Absterben des Staates hatten. Gleichzeitig waren das Gemeineigentum an Produktionsmitteln sowie die Strahlkraft der Oktoberrevolution so stark, dass die großflächige kapitalistische Restauration erst Ende der 1980er Jahre am Plan stand.

Zugleich bot auch der Reformismus keine Alternative zum Stalinismus. Die Geschichte der Verstaatlichten in Österreich beweist, dass es im Kapitalismus große Unternehmen ohne privatkapitalistische Eigentümer*innen geben kann. Reformistische Sozialdemokratie & bürgerlicher Staat ersetzten hier die zu schwache Kapitalist*innenklasse. Die Industrie — das „Gemeineigentum“ — gehörte jedoch nur am Papier der Bevölkerung. Produziert wurde für einen kapitalistischen Markt & nach den Regeln der Profitlogik. Dieses Konzept — wie es auch Kautsky, Bauer & Co. vertraten, die von einem „demokratischen“ Hinüberwachsen des Monopolkapitalismus in den Sozialismus träumten — hat mit echter Arbeiter*innenkontrolle nichts zu tun. Das machte der italienische Marxist Antonio Labriola schon 1895 klar:

„Es ist besser, von demokratischer Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu sprechen, als vom Gemeineigentum, weil dieses einen gewissen theoretischen Irrtum einschließt. Erstens insofern, als es an die Stelle der wirklichen ökonomischen Tatsache einen juristischen Ausdruck setzt und dann, weil es, in dem Geiste mancher, mit der Vermehrung der Monopole, mit der wachsenden Verstaatlichung der öffentlichen Dienste oder mit all den anderen Phantasmagorien [Wunschvorstellungen, Anm.] des immer wieder auftauchenden Staatssozialismus [also auf Basis des bürgerlichen Staats, Anm.] zusammenfließt, dessen ganze Wirkung darin besteht, die ökonomischen Mittel zur Unterdrückung in den Händen der Unterdrückerklasse zu vermehren.“

 

Zum Weiterlesen:
Antonio Labriola: Drei Versuche zur materialistischen Geschichtsauffassung. Karl Dietz Verlag, Berlin 2018

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Enteignung & Verstaatlichung – unbedingt, aber richtig!

Franz Neuhold

Es gibt keinen gesamt-gesellschaftlichen Sinn des kapitalistischen Wirtschaftens. Ja zu Enteignung & Verstaatlichung im Rahmen einer echten Demokratie und der völligen Umwälzung des Staates.

Die Frage, in wessen Händen das Eigentum an Produktionsmitteln (Rohstoffe, Maschinen, Land, Immobilien) liegen sollte, stellt den zentralen Konflikt in dieser sozial zerrissenen Gesellschaft dar. Im frühen 19. Jahrhundert mag es noch den visionären Unternehmer-Typus gegeben haben, der Unfassbares riskiert und die Gesellschaft weiterbringt. Er stellt sein Leben in den Dienst des Fortschritts und wird aufgrund des Erfolges reich entlohnt. Ihm wurde so manches Denkmal gesetzt (dabei meist die beteiligten ausgebeuteten Arbeiter*innen und ihre Leistungen verdrängend). Doch heute bringen die 'Eliten' nichts mehr Bedeutsames ein: Worin liegt die Leistung eines Telekom-Milliardärs? Welche Vision hat die Bahlsen-Erbin? Wie bringt man mit Immobilien-Spekulation die Gesellschaft weiter? Alles, was die Kapitalist*innen als 'ihre Leistung' ausgeben, ist gesellschaftlich erarbeitet worden. Die Entwicklung von Werkzeugen, Technik, Chemie, Medizin: Kollektive Arbeit unter Einbindung ungezählter Menschen. Heutige Erfindungen und Ideen basieren alle auf bereits vorhandenen Leistungen anderer. Der Rest: Vererbung von Vermögen und Steuergeschenke. Tatsächlich ist alles bereits durch die kollektivistischen und weltumspannenden Tendenzen dominiert, die sich im Laufe des Kapitalismus selbst Bahn gebrochen haben. Die permanente und für uns 'normal' wirkende private Aneignung von gesellschaftlich erarbeitetem Mehrwert ist der im Kapitalismus legalisierte Diebstahl. Enteignung der Prouktionsmittel aus den Händen der privaten Eigentümer*innen und ihre Überführung in die Hände derer, die tagtäglich mit ihnen den gesellschaftlichen Reichtum schaffen, ist nichts anderes als die Beendigung dieses Diebstahls.

Auf solche Ideen reagieren das Kapital und seine Medien derzeit panisch. Sie ahnen wohl, wie schnell angesichts der Arm-Reich-Schere und sinkendem Lebensstandard der arbeitenden Massen Bewusstsein und Stimmung umschlagen können. Für immer mehr Menschen werden die Fragen von Eigentum an Produktionsmitteln, des Wohnungsmarktes, des Klimawandels und der betrügerischen Autoindustrie etc. immer stärker in den Mittelpunkt rücken. Die Wut wird das Establishment und seine soziale (Un-)Ordnung treffen. Das ist die Lunte, die so schnell wie möglich ausgetreten werden muss. Doch sie wird immer neu angefacht werden.

Wir müssen den nun wieder aufkommenden Ideen von Enteignung und Vergesellschaftung eine sozialistische und revolutionäre Richtung geben. Ansonsten droht ein in der Geschichte der Arbeiter*innen-Bewegung bereits bekanntes Konzept der Niederlage: Dem unangetasteten Kapitalismus wird – gleichsam als Ventil und Spielwiese – eine Insel der Genossenschafts-Seligkeit beiseitegestellt. Die Verbreiterung der Besitzstruktur eines Betriebes unter kapitalistischen Bedingungen ändert nichts an struktureller Ausbeutung menschlicher Arbeit sowie dem Profit-Zwang. Genossenschaften können sich selbst durch das bestgemeinte Engagement nicht vom Markt loslösen.

Enteignung an sich gibt es auch im kapitalistischen Staat. Meist trifft es Landbesitz beim Bau von Infrastruktur oder Verkehrsflächen. Auch bewegliche Sachen können laut Gesetz eingezogen werden. Als Rechtfertigung wirkt meist das 'Allgemeinwohl'. Mangelt es dem bürgerlichen Staat nun lediglich an der nötigen Konsequenz, dieses 'Allgemeinwohl' auf Ausbeutung, Mietwucher und krisen-verursachende Banken auszuweiten? Durchaus, aber nicht nur. Ein Problem liegt darin, was der bürgerliche Staat unter 'Allgemeinwohl' tatsächlich versteht. In Extremsituationen greift der Staat im Gesamtinteresse des Kapitals zu besonderen Mitteln. Infolge der Krise 2007/8 war dies die Vergesellschaftung der Schulden ('Bad Bank'). In Kriegszeiten sind Enteignung und Verstaatlichung mitunter lebensnotwendig, um den Zusammenbruch des Systems zu vermeiden. Der Staat agiert als 'Gesamtkapitalist'; mal zurückhaltend, mal offener. Neoliberale Angriffe bei gleichzeitig beherztem Eingreifen des 'starken Staates' stellt für die Mehrheit der Besitzenden keinen Widerspruch dar. Entscheidend bei alldem ist der Klassencharakter: In wessen Interesse wird etwas enteignet? Wer kontrolliert, was damit geschieht? Ändert eine Verstaatlichung etwas an den Prinzipien von Lohnarbeit, Profitlogik und Konkurrenz?

Der Staat und seine Einrichtungen sind den sozialen Klassen gegenüber niemals neutral. Wirtschaftssystem und Staatswesen gehen Hand in Hand. Die bürgerliche Politik stellt ein Verbindungselement zwischen staatlicher Bürokratie und den Besitzenden dar. Natürlich sind, solange die grundlegenden Eigentumsverhältnisse nicht angetastet werden, Kompromisse möglich; v.a. wenn entschlossene Massenbewegungen diese dem Staat abringen. Daraus jedoch abzuleiten, der bürgerliche Staat wäre vollends von unten zu kontrollieren und dementsprechend der ideale Eigentümer für die Gesellschaft, ist ein gefährlicher Irrtum. Die Bürokratie des bürgerlichen Staates ist systembedingt korrupt. Sie ist nicht durch volle Rechenschaftspflicht sowie die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aus den Reihen der Arbeiter*innenklasse ('Räte-Demokratie') aufgebaut. Die nachhaltige und notwendig planmäßige Entwicklung der Wirtschaft und all die gesellschaftlichen Entscheidungen können vom System der repräsentativen bürgerlichen Demokratie und seiner bürokratischen Verwaltung nicht geleistet werden.

Ein vollständiger Bruch mit dem Staat, wie wir ihn kennen, ist unumgänglich. Neben der aktiven Einbindung möglichst vieler Betroffener von Orts- und Stadtteil-Level aufwärts muss gerade im Bereich von Exekutive und Militär sichergestellt sein, dass keinerlei eigenständiger Apparat, der sich ideologisch sowie finanziell den Interessen des (ehemaligen) Besitzbürgertums verpflichtet sieht, dem gesellschaftlichen Fortschritt und der vollständigen Umwandlung, die eine soziale Revolution mit sich bringt, im Wege stehen kann. Somit wäre der Staat, dem wir das Vertrauen zugestehen, die vollständige Ablösung des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft durchführen zu können, schon „kein Staat im eigentlichen Sinne“ (Engels 1872) mehr. Es wäre hingegen die umfassendste geordnete und transparente Selbstermächtigung der bislang niedergehaltenen Produzent*innen. Die arbeitenden und bislang erwerbsarbeitslosen Massen wären nicht nur aufgrund ihrer Vielzahl in der Lage, die Gesellschaft zu führen; entscheidend sind die vorhandenen und gegenwärtig weitgehend ungenutzten Kompetenzen, die Problemeinsicht und Befähigung für nachhaltige Solidarität. Nur so kann sich das volle Potential von Verstaatlichung bzw. Vergesellschaftung entfalten. Eine sozialistische nicht-profit-orientierte Wirtschaft muss 1) im Gemeineigentum stehen, das 2) räte-demokratisch abgesichert sein und 3) auf regionaler, überregionaler und internationaler Planung und Koordination fußen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Das Gespenst der Enteignung ist zurück

Christian Bunke

Die Begriffe Verstaatlichung und Vergesellschaftung sind wieder Teil der öffentlichen Debatte.

Die von SPD und „die Linke“ regierte deutsche Großstadt Berlin hat beschlossen, Mietobergrenzen einzuführen. Kurz darauf sackte der Aktienkurs der größten deutschen Wohnungseigentümerin „Deutsche Wohnen“ kräftig nach unten. Dem Beschluss ging eine von Hunderttausenden unterstützte Kampagne voraus, mit der die Enteignung dieses riesigen Immobilienkonzerns gefordert wurde. Diese Kampagne hat nun einen ersten Erfolg errungen.

Es liegt etwas in der Luft. Das merken inzwischen auch manche Nachwuchspolitiker*innen. So forderte Kevin Kühnert, Chef der deutschen Jungsozialist*innen, unlängst die „Kollektivierung von Großunternehmen“. Als Beispiel nannte er den Automobilkonzern BMW, der staatliche Subventionen in Milliardenhöhe bekommt, dafür umweltschädliche Autos herstellt, die Löhne seiner Beschäftigten drückt und massive Profite einstreicht. Mit einer Kollektivierung könnte die Basis dafür geschaffen werden, dass die Ressourcen des Konzerns für das Allgemeinwohl eingesetzt werden.

Julia Herr, die Vorsitzende der „Sozialistischen Jugend“ in Österreich wollte da nicht hintanstehen. In einem Kurier-Interview bezeichnete sie das kapitalistische Wirtschaftssystem als „nicht demokratisch“ und kritisierte, dass Gewinne „in den Händen einiger weniger“ landen. Vor einer ausdrücklichen Unterstützung von Kühnerts Kollektivierungsforderung schreckte sie jedoch zurück.

Dennoch ließen panische Reaktionen deutscher und österreichischer Bosse und ihnen nahestehender Journalist*innen nicht lange auf sich warten. Einer von ihnen ist Nikolaus Jilch, der in der Tageszeitung „die Presse“ zum Generalangriff bläst. Einzig der Kapitalismus garantiere Freiheit, die Marktwirtschaft brauche den Austausch von Ideen wie einen Schluck Wasser, deshalb fördere sie sogar ihre Kritiker*innen. Die Befürworter*innen der profitorientierten Wirtschaftsweise sind wieder gezwungen, ihr System ideologisch zu verteidigen. Das ist in dieser Form seit vielen Jahren nicht mehr der Fall gewesen.

Verstaatlichung ist populär. So sind etwa rund 60% der britischen Bevölkerung für eine Wiederverstaatlichung der unter Thatcher privatisierten Wasserversorgung. Weil die dort auf der Oppositionsbank sitzende Labour-Partei diese Forderung in ihr Programm aufgenommen hat, arbeiten die Wasserkonzerne laut Medienberichten von Ende April inzwischen an Strategien, um Enteignungen zu verhindern. Sie werden die Quelle ihres Profits und Reichtums nicht kampflos aufgeben.

Im Gegenteil wollen sie eigentlich munter weiter privatisieren. Strache setzte sich im Ibiza-Video dafür ein. Der öffentliche Sektor und das Gesundheitswesen sollen komplett „für den Markt“ geöffnet werden. Das war aus bürgerlicher Sicht eine der Hauptaufgaben der nun vorzeitig zusammengebrochenen österreichischen Bundesregierung. Gleichzeitig unterstützen 70% der amerikanischen Bevölkerung die Forderung nach „Medicare for all“ - was indirekt eine Enteignung der privaten Gesundheitsversicherungskonzerne bedeuten würde.

Um diese Forderungen zu bekämpfen, bedienen sich bürgerliche Kräfte aus den untersten ideologischen Schubladen. Dem gilt es eine Debatte darüber entgegenzusetzen, was die Begriffe „Enteignung, Kollektivierung, Verstaatlichung“ bedeuten, wie arbeitende Menschen dafür kämpfen und sie in einer sozialistischen Demokratie umsetzen können. Damit, wie eine demokratisch verwaltete Wirtschaft aussehen könnte, beschäftigen sich die Artikel in diesem Schwerpunkt.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Kautsky und der Parlamentarische Weg zum Sozialismus - Eine Antwort an Eric Blanc

Rob Rooke (Socialist Alternative, USA)

Dieser Text ist die Übersetzung einer Artwort der Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SLP) auf einen Text im Jacobin Magazine vom 02.04.2019.

Link zum Artikel im Jacobin (englisch): https://www.jacobinmag.com/2019/04/karl-kautsky-democratic-socialism-elections-rupture

Link zur Antwort (englisch): https://www.socialistalternative.org/2019/07/18/kautsky-and-the-parliamentary-road-to-socialism-a-reply-to-eric-blanc/

 

Wir durchleben eine dramatische Phase in der Geschichte der USA. Während die Trump-Präsidentschaft die Rechte ermutigt hat, haben wir auch das Wiederaufleben von Streiks, das Wachstum einer neuen Linken mit der DSA, Alexandria Occasio Cortez' atemberaubenden Aufstieg in das Zentrum der amerikanischen Politik und jetzt die Möglichkeit einer Präsidentschaft von Bernie Sanders erlebt. Eric Blancs jüngster Artikel in Jacobin über "Why Kautsky was Right" [„Warum Kautsky Recht hatt“] zielt eindeutig darauf ab, neueren Aktivist*innen zu helfen, sich damit auseinanderzusetzen, wie die Wahlerfolge der Sozialist*innen zu einem Systemwechsel und der Beendigung des Kapitalismus führen können. Die Argumentation des Artikels geht über Wahlkandidaturen hinaus zur Wichtigkeit des Aufbaus sozialer Bewegungen und die Notwendigkeit, eine marxistische Strömung innerhalb der DSA aufzubauen. All dies ist sehr positiv.

Die jüngsten Erfahrungen der linken Koalition Syriza-Regierung in Griechenland und die mögliche Wahl einer Corbyn-Regierung in Großbritannien führen zu einer Diskussion über den Weg zum Sozialismus und die Rolle einer linken Partei im Parlament, eine entscheidende Diskussion für Aktivist*innen. Deshalb begrüßt Socialist Alternative diese Diskussion.

Für einen Großteil des letzten Jahrhunderts lebte fast die Hälfte der Welt in Gesellschaften, die den Kapitalismus gestürzt hatten. Dieser Prozess begann mit der Machtübernahme der Arbeiterklasse in Russland im Jahr 1917. Trotz der politischen Degeneration der UdSSR führte die Krise des Kapitalismus im 20. Jahrhundert die arbeitenden Menschen kontinuierlich zur Revolution. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diejenigen, die für eine demokratische, sozialistische Gesellschaft heute kämpfen, mit diesen revolutionären Prozessen vertraut sind, um uns zu verstehen, wie die arbeitende Klasse ihre eigenen Organisationen auf der Grundlage ihrer Siege und Niederlagen prüft und welche Rolle eine marxistische Strömung und Partei spielen kann.

Blanc kritisiert zu Recht jene ultra-linken Gruppen, die sich "aus Prinzip" gegen die Teilnahme an Parlamenten aussprechen und die revolutionäre Strategie auf die Frage der "Machtergreifung" reduzieren. Indem Blanc jedoch Lenin mit Kautsky und die Russische mit der finnischen Revolution vergleicht, bittet er die Leser*innen, zwischen zwei falsch polarisierten Konzepten zu wählen. Da die wichtigsten Lehren aus jeder Revolution fehlen, sind die Schlussfolgerungen des Artikels unausgewogen und werden junge sozialistische Aktivist*innen falsch bilden.

Ist Kautsky jetzt relevant?

Karl Kautsky war ein führender sozialistischer Theoretiker während des Aufstiegs des deutschen Kapitalismus im späten 19. Jahrhundert, als die Idee, dass der Sozialismus den Kapitalismus durch schrittweise Gesetzesreformen ersetzen könnte, unter den Gewerkschaftsführer*innen und in einem Flügel der Deutschen Sozialdemokratischen Partei (SPD) entstand. Kautsky lehnte diesen Reformismus vor allem wegen der Schlussfolgerungen ab, die Marx aus den Erfahrungen der Pariser Kommune von 1871 gezogen hatte, wo die Arbeiter*innenklasse drei Monate lang an der Macht war. Kautsky und Lenin stimmten beide mit Marx überein, dass der alte kapitalistische Staatsapparat nicht einen Stein nach dem anderen übernommen werden konnte, sondern abgebaut und durch einen demokratischen Arbeiter*innenstaat ersetzt werden musste.

 

Kautsky, wie Blanc selbst betont, fiel schließlich selbst dem Reformismus zum Opfer. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, lehnte Kautsky zusammen mit der SPD-Spitze den sozialistischen Internationalismus ab und unterstützte die Kriegsmobilisierung der herrschenden Klasse Deutschlands. Dieser historische Verrat, der von fast allen Führer*innen der Massenparteien der arbeitenden Klasse in Europa wiederholt wurde, führte 16 Millionen Arbeiter*innen in den Tod. Im Zuge des Krieges breiteten sich Revolutionen in ganz Europa aus.

Finnlands Parlament und Partei

Im Mittelpunkt von Blancs Artikel steht die Vorstellung, dass die russische Revolution für die Werktätigen in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern nicht relevant ist und dass wir mit der finnischen Revolution von 1917-8 ein neues Modell für einen "parlamentarischen Weg zum Sozialismus" finden werden, den Kautsky konzipiert hatte.

Zum Zeitpunkt dieser Revolutionen wurden Finnland und Russland von den Zaren mit eiserner Faust regiert und hatten nur eingeschränkte Wahlfreiheit. Das politische System Russlands bevorzugte Großgrundbesitzer und die im Entstehen begriffenen Kapitalisten und hinderte Arbeiter und arme Bauern, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, daran, irgendeine politische Macht zu besitzen. Die vom Zaren geschaffene Duma war in keiner Weise ein wahres bürgerliches Parlament. Sie hatte eine sehr begrenzte Macht und konnte jederzeit vom Zaren aufgelöst werden. Tatsächlich war eine echte parlamentarische Demokratie eine wichtige Forderung der Opposition gegen den Zarismus. Dennoch nahmen die Bolschewiki, der linke Flügel der russischen Sozialdemokratischen Arbeiter*innenpartei, an den meisten Wahlen teil und konnten Vertreter in die Duma wählen lassen. Laut Alexej Badajew (Bolschewiki in der Zaristischen Duma, 1929), erhielten die Bolschewiki die Unterstützung von 88% der eine Million Industriearbeiter*innen, die bei den Wahlen 1912 gewählt hatten.

In Finnland, damals Teil des Russischen Reiches, gewährte der Zar 1907 nach der Revolution von 1905 ein beschränktes Parlament. Zwischen 1908 und 1916 wurde die Macht des finnischen Parlaments durch den russischen Zaren Nikolaus II. mit einer Regierung, die aus Offizieren der kaiserlich-russischen Armee während der zweiten Periode der "Russifizierung" bestand, fast vollständig neutralisiert. Das Parlament wurde aufgelöst und fast jedes Jahr fanden Neuwahlen statt. Als die Finnische Sozialdemokratische Partei (SDP) bei den Wahlen 1916 die Mehrheit gewann, schloss der Zar das Parlament erneut. So erlebte Finnland keine anhaltende politische Stabilität, im Gegensatz zu Kautskys Deutschland oder Finnlands Nachbar Schweden, wo die Ideen des Reformismus stärker waren und die sozialistischen Parteien bürokratischer wurden, da sie zunehmend von Gewerkschaftsfunktionär*innen und Parlamentsvertreter*innen dominiert wurden.

Blanc führt den Wahlsieg der finnischen SDP auf "geduldige klassenbewusste Organisation und Bildung" zurück, was wahr ist, aber den dramatischen Bewusstseinswandel, der durch die Ereignisse, insbesondere den Krieg, hervorgerufen wird, auslässt. Finnland verzeichnete keinen stetigen, allmählichen wirtschaftlichen Fortschritt, sondern aber in diesem Zeitraum sehr wechselhaft, in vielerlei Hinsicht eher der russischen Erfahrung ähnlich. Russische und finnische Sozialisten standen ebenfalls im ständigen Dialog, und der richtige Ansatz der Bolschewiki in Bezug auf nationale Unterdrückung und die Unterstützung des Selbstbestimmungsrechts Finnlands stärkte die Beziehungen. Auf dem finnischen SDP-Kongress im Juni 1917 erhielt die russische bolschewistische Führerin Alexandra Kollontai tosenden Applaus, als sie die sozialistische Revolution und das Recht Finnlands auf Unabhängigkeit forderte. Die Bolschewiki waren zutiefst internationalistisch, was sich in den vielen Juden*Jüdinnen, Georgier*innen, Ukrainer*innen und anderen nationalen Minderheiten in ihrer Führung widerspiegelt.

Die Behauptung, dass finnische Sozialisten "unter die Führung eines Kaders junger Kautskyisten unter der Leitung von Otto Kuussinen" fielen", ist eine sehr einseitige Momentaufnahme des Prozesses. Ende 1918 war Kuussinen, der mit dem Sieg der Weißen im Mai 1918 aus Finnland geflohen war, den Bolschewiki beigetreten und gründete die finnische Kommunistische Partei im Exil. Leider hat er sich später mit Stalin gegen Trotzki gestellt. Kautskys Schriften wurden von finnischen Sozialisten weitgehend gelesen, aber nur so lange, bis aufgrund der reichen Erfahrungen der Russischen Revolution von 1917 nützlichere theoretische Ideen auftauchten.

Wie sich die finnische Revolution entfaltete

Die finnische Revolution brach Ende 1917 nach der Wahlniederlage der SDP in diesem Jahr aus. Die Spannungen stiegen mit zunehmenden Streiks und Demonstrationen. Die finnische Kapitalist*innenklasse organisierte antisozialistische bewaffnete Milizen, um sich darauf vorzubereiten, die sozialistische Bewegung und die Bedrohung durch ein bolschewistisches Finnland zu enthaupten.

Die Führer der SDP, des LO (Gewerkschaftsbund) und der Roten Garde (bewaffnete Selbstverteidigungsmilizen der Arbeiter*innen) organisierten sich in einer neuen Formation, dem Revolutionären Zentralrat. Der Rat leitete einen Generalstreik als Zeichen der Stärke gegen die kapitalistische Klasse ein. Der Streik lähmte ganz Finnland, und die Arbeiter*innen waren bereit, die Macht zu übernehmen. Allerdings war die Arbeiter*innenführung über die Frage nach dem Weg nach vorne gespalten und der Generalstreik wurde abgebrochen. Dies war ein entscheidender Fehler, der es der herrschenden Klasse ermöglichte, sich zu remobilisieren.

Die finnischen Kapitalist*innen, unterstützt von Deutschland, führten dann einen Bürgerkrieg, bei dem 20.000 Menschen starben. Blanc nimmt darauf keinen Bezug. Nach dem Sieg der Bosse wurden weitere 10.000 Aktivist*innen hingerichtet, und etwa 5% der gesamten finnischen Bevölkerung befanden sich in politischen Internierungslagern. Dies ist kein zweitrangiges Detail, das man übersehen kann, wenn man die finnische Revolution als sein*ihr Modell für den "demokratischen Weg zum Sozialismus" vorschlägt. Diese schreckliche Niederlage ermöglichte es Finnland, eine Startrampe für die Invasion der imperialistischen Nationen in die junge UdSSR durch 21 Armeen, darunter die USA, zu werden, die auf die Wiederherstellung des Kapitalismus in Russland abzielte. Bis 1921 hatten die Bolschewiki diese Invasion abgewehrt, aber unter enormen Kosten für die sozialistische Demokratie, die sie aufzubauen versuchten.

Warum die russische Revolution immer noch wichtig ist

Der Kapitalismus hat durch eine Armee von angeheuerten Akademiker*innen eine Vielzahl von Büchern produziert, die darauf abzielen, die bolschewistische Revolution zu verzerren und zu verunglimpfen. Den Schüler*innen wird beigebracht, dass 1917 eine echte Volksrevolution florierte, die von einem Aufstand entführt wurde, der von einer konspirativen Gruppierung, den Bolschewiki, angeführt wurde, die eine Diktatur gründeten. Alle bürgerlichen Geschichten von 1917 sind Variationen dieses grundlegenden Themas. Sie können nicht akzeptieren, dass arbeitende Menschen eine demokratische Arbeiter*innenregierung wählen und erfolgreich aufbauen können. Leider tanzt Blanc um diese unzutreffende, aber allgemein verbreitete Ansicht herum.

Als die Revolution im Februar 1917 in Russland ausbrach, wurde der Zar inhaftiert, aber eine provisorische Koalitionsregierung kam an die Macht, die sich weigerte, die Macht der Kapitalisten und Großgrundbesitzer*innen anzufechten und den imperialistischen Krieg fortsetzte. In den folgenden acht Monaten gewannen die Bolschewiki (russisch für "Mehrheit"), deren Dumaabgeordnete aufgrund ihrer Opposition zum Krieg ins Exil geschickt worden waren, zunehmend an Popularität, fast eine Viertelmillion Menschen schlossen sich der Partei an.

Arbeiter*innenräte

In dem rasanten Tempo einer revolutionären Situation wird die arbeitende Klasse alle Strukturen nutzen, die sie für sinnvoll hält, um den Fortschritt voranzutreiben. Bei Streiks beispielsweise werden die Arbeiter*innen alle Arten von Strukturen schaffen, die es ihnen ermöglichen, über die langsamen, manchmal überzentralisierten formalen Gewerkschaftsorgane hinauszugehen. Dies geschah zum Beispiel im vergangenen Jahr in West Virginia im Vorfeld des historischen Lehrer*innenstreiks. Diese Organe können die bestehenden Gewerkschaftsstrukturen ergänzen oder mit ihnen zusammenstoßen. In der Russischen Revolution von 1905 versammelte sich eine Gruppe von 30-40 Arbeiter*innen aus einer Reihe von Betrieben in der damaligen Hauptstadt Sankt Petersburg, um einen politischen Generalstreik zu organisieren. Dieses Streikkomitee wurde mit Delegierten beschickt, die direkt am Arbeitsplatz gewählt wurden und sofort zurückgerufen werden können. Dies wurde der erste Sowjet (russisch für Rat). Diese Organisationsmethode ermöglichte es den Arbeiter*innen, voll in die Bestimmung der Richtung der Revolution einbezogen zu werden. Das Beispiel wurde landesweit übernommen, weil es den Bedürfnissen der Bewegung entsprach.

Nach der Februarrevolution 1917, als die meisten bolschewistischen Führer noch im Exil waren, baute die arbeitende Klasse die Sowjets wieder auf. Soldat*innen und Matros*innen, die hauptsächlich aus der Bäuer*innennschaft stammten, bauten auch diese revolutionären Delegiertenorganisationen auf, die häufige Wahlen abhielten und die Stimmungen und Meinungen der einfachen Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt vertraten. Sie schlossen sich zu stadtweiten Räten der Delegierten der Arbeiter*innen, Soldat*innen und Seeleuten zusammen und waren die fluidesten, demokratischsten und transparentesten Formen der Demokratie, die je entwickelt wurden.

Obwohl die Bolschewiki noch keine Mehrheit in den Sowjets hatten, forderten sie "Alle Macht den Sowjets" als den klarsten Weg zur Arbeiter*innenmacht. Sie setzten sich für eine vollständigere Demokratie ohne Vertretung der Bosse ein. Mit der Gefahr einer bolschewistischen Mehrheit in den Sowjets organisierte die kapitalistische Klasse unter General Kornilow im September 1917 einen versuchten Militärputsch, der von den Arbeitern und Soldaten Petrograds besiegt wurde. Als der Zweite Allrussische Sowjetkongress im Oktober mit einer Mehrheit aus Bolschewki und Linken Sozialrevolutionären (einer wichtigen Bauernpartei) zusammentrat, ersetzten sie die gescheiterte Provisorische Regierung und unternahmen konkrete Schritte, den Großgrundbesitzer*innen und Kapitalist*innen die Macht zu entreißen. Sie entsandten Soldat*innen und Arbeiter*innen, um alle Regierungsfunktionen zu übernehmen, und verhafteten die Spitzen der Armee und des alten kapitalistischen Staates. Diese "harten" Maßnahmen waren ein kritischer Teil des Sturzes des Kapitalismus, wurden aber in Russland mit einer riesigen Zustimmung durchgeführt. Dieses aufständische Element der Revolution führte zu einer relativ unblutigen Revolution.

Innerhalb weniger Tage nach der Machtübernahme der Sowjets in Russland erklärten sie den Krieg für beendet; das gesamte Land wurde den Bauern übergeben; alle Mieten wurden abgeschafft; die ehemaligen Kolonien Russlands konnten die Unabhängigkeit erklären; Diskriminierung und Ungleichheit für Frauen wurde verboten; das Recht auf schnelle Scheidung wurde eingeführt; Banken wurden verstaatlicht und Homosexualität wurde entkriminalisiert. Zum ersten Mal war der Aufbau einer Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu einer realistischen Perspektive geworden, wenn die Revolution vor allem auf die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder ausgedehnt werden könnte, wie es die Strategie der Bolschewiki war. Die Nachricht vom Oktober verbreitete sich weltweit, und jeder Chef fragte sich, wann die Mistgabeln sie holen würden.

Während die anfängliche Revolution relativ unblutig war, kam es zu schwerer Gewalt nach Russland, als sich die Großgundbesitzer*innen und Kapitalist*innen mit ausländischen imperialistischen Mächten verbanden und einen Bürgerkrieg auslösten, der auch Finnland heimsuchte. Viele der linken Arbeiter*innenführer*innen in der Finnischen Sozialdemokratischen Partei, die an der Finnischen Revolution teilnahmen, glaubten, dass ein Generalstreik die Bosse zwingen würde, einen parlamentarischen Übergang zum Sozialismus zu akzeptieren. Engels hatte schon lange zuvor vor den Gefahren einer halben Revolution gewarnt. Sowohl die Bolschewiki als auch die finnische SDP waren in der Arbeiterklasse verwurzelt, aber der entscheidende Unterschied war, dass die Bolschewiki eine klare Perspektive auf die Klassenkräfte bei der Arbeit im revolutionären Prozess hatten und ein Organisationsmodell, das geeignet war, einen entscheidenden Kampf zu seinem Abschluss führen zu können.

Parlament, Staat und Aufstand

Marx kämpfte gegen "Insurrektionismus", gegen von kleinen konspirativen Gruppen angeführten Aufstände, und plädierte für Massenaktionen. Lenin und der frühe Kautsky stimmten überein. Der Oktober war eine demokratische Massenaktion. Die Übernahme der politischen Macht von den Kapitalist*innen erfolgte als Abwehrmaßnahme gegen die unmittelbare Gefahr eines Militärputsches durch General Kornilow. Aber die Bolschewiki hatten keine Angst davor, am kritischen Punkt "illegal" entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, weil sie verstanden, dass alles andere den Weg zur Konterrevolution und zur Zerschlagung der Errungenschaften der Arbeiter*innen öffnen würde. Die parlamentarische Gesetzgebung hätte den Großgrundbesitz und Kapitalismus weder in Russland noch sonstwo beendet. In den USA reagierten die Sklavenhalter*innen, als sie ihre Eigentumsrechte durch die Gesetzgebung bedroht sahen, mit der Auslösung des Bürgerkriegs, des blutigsten Krieges, der auf amerikanischem Boden geführt wurde.

Der kapitalistische Staat umfasst alle Institutionen, die das Wirtschaftssystem schützen: die Polizei, die Gerichte, das Gefängnissystem. Marx' Mitarbeiter Friedrich Engels studierte die Geschichte des Staates in Klassengesellschaften und stellte fest, dass der Staat ein Instrument der Klassenherrschaft ist. Dieser Apparat ermöglicht es dem Kapitalismus, ohne ständigen Klassenkonflikt zu funktionieren. Er fügte hinzu, dass der Staat im Kapitalismus letztlich auf besondere Formationen bewaffneter Menschen zurückgeführt werden kann, deren Aufgabe es ist, den Status quo zu schützen. In diesem Zusammenhang sehen wir das Parlament als Teil der Aufrechterhaltung der Macht der kapitalistischen Klasse. Aber Blanc argumentiert im Gegenteil, dass wir uns "auf den Kampf für die Demokratisierung des politischen Regimes konzentrieren sollten", was bedeutet, dass gesetzliche Reformen die Natur des Staates verändern können.

Wir denken, dass Sozialist*innen den Staat herausfordern sollten, indem sie seine kapitalistische Voreingenommenheit aufdecken. Wir kämpfen auch für jede mögliche demokratische Reform, einschließlich der Reformen der staatlichen Kräfte, wie der Polizei. Aber wir tun dies, um die Grenzen der Reformierbarkeit des Staates und die Notwendigkeit einer Systemveränderung aufzuzeigen. So kann beispielsweise durch den Aufbau starker Massenbewegungen gegen Polizeigewalt die Polizei weniger brutal gemacht werden, und es können wichtige Reformen gewonnen werden, die sich positiv auf die von Polizeigewalt betroffenen Gemeinschaften auswirken. Aber am Ende des Tages wird die Polizei die Interessen der Kapitalisten verteidigen, indem sie Arbeiter und Unterdrückte "an ihrem Platz" hält. Der einzige Weg, wie dies enden kann, ist durch revolutionäre Veränderungen.

Während viele Arbeiter*innen in den USA den kapitalistischen Staat als unparteiisch ansehen, sehen andere die Rolle des Staates aufgrund ihrer Erfahrung oft klarer. Afroamerikaner*innen sehen den kapitalistischen Staat der USA oft nicht als demokratisch oder neutral, sondern als Teil eines Systems der Unterdrückung. Für Marxisten besteht die Rolle selbst des "demokratischsten" Parlaments im Kapitalismus darin, die Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten. Wenn es aufhört, für sie zu arbeiten, werden sie versuchen, es zu untergraben. Lenin argumentierte in Staat und Revolution, dass eine "demokratische Republik ist die denkbar beste politische Hülle des Kapitalismus“ ist und dass sie die Macht es Kapitals „derart zuverlässig, derart sicher, daß kein Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen noch der Parteien der bürgerlich-demokratischen Republik, diese Macht erschüttern kann“. Aus diesem Grund fühlen sich so viele arbeitende Menschen, während sie die Demokratie verteidigen, davon überzeugt, dass die Regierung auch eine Marionette der Milliardäre ist.

Sozialist*innen in Parlamenten

In einer Zeit des sozialen Umbruchs können Sozialist*innen im Parlament den Massenbewegungen kritisches Gewicht verleihen. In den 1980er Jahren initiierte und leitete die Militant-Strömung der Labour Party, der Schwesterorganisation der Socialist Alternative, in Großbritannien die Anti-Poll-Tax-Kampagne, die zu einer Massenbewegung von Millionen wurde, die sich weigerte, die neue Steuer der britischen Regierung zu zahlen. Über zehn Millionen Menschen schlossen sich der Nichtzahlungsbewegung an, die Margaret Thatcher, damals Premierministerin, zum Rücktritt zwang. Allen Stadträten und Abgeordneten von Militant wurde mit dem Gefängnis wegen Nichtzahlung gedroht. Diese Bewegung zur Gesetzesbrechung fand wenig Unterstützung in der Mehrheit der Labour-Fraktion, wobei der Abgeordnete Jeremy Corbyn eine der wenigen Ausnahmen war.

Stadträte, Legislative und Parlamente sind von Natur aus konservative und feindliche Umgebungen für die Arbeiter*innenklasse. Sobald ein Arbeiter*innenvertreter diese Institutionen betritt, nutzt die herrschende Klasse ihr volles historisches, kulturelles und wirtschaftliches Gewicht, um sie davon zu überzeugen, dass große Reformen einfach unrealistisch sind. Es ist kein Zufall, dass seit der Wahl von Jeremy Corbyn zum Führer der britischen Labour Party die größte Unterstützung für seine linke Politik von der Basis der Partei und der größte Widerstand von der Mehrheit der gewählten Abgeordneten der Partei kommt.

Trotz der Hindernisse ist die Kandidatur um und der Gewinn von Sitzen in bürgerlichen Institutionen ein notwendiger und wichtiger Teil des Aufbaus einer Massenunterstützung für einen sozialistischen Wandel. Die Socialist Alternative sieht die Wahl von Sozialist*innen als Möglichkeit, Massenbewegungen zu verstärken und aufzubauen und Siege zu erringen, die die Arbeiterklasse zur Selbstorganisation ermutigen. Unser Mitglied und Stadtrat von Seattle, Kshama Sawant, nutzt ihren Sitz, um für Reformen zu kämpfen, wie den Sieg für einen Mindestlohn von 15 $, nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel, um das Vertrauen und die Bereitschaft der Arbeiterklasse zum Kampf zu stärken.

Wenn Sozialist*innen in diese Organe des kapitalistischen Staates eintreten, brauchen wir eine gesunde, funktionierende, starke und unabhängige politische Partei der Arbeiter*innenklasse, um sicherzustellen, dass sie der Bewegung treu bleiben. Durch seine demokratischen Mechanismen kann es die Rechenschaftspflicht sicherstellen. Diese Vertreter müssen sich nicht nur weigern, Firmengelder in ihrem Wahlkampf zu akzeptieren, sondern auch einen Arbeiter*innenlohn akzeptieren und den Rest an die Bewegung zurückgeben.

Marxist*innen haben einen noch höheren Standard. Die Politik der Bolschewiki und der 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale war sehr konkret. Die tägliche Arbeit unserer Vertreter in den bürgerlichen Parlamenten muss direkt der Partei gegenüber rechenschaftspflichtig sein, wobei ihre Arbeit in die breitere politische Arbeit der Partei integriert werden muss. Ein Großteil der Überlegungen zu diesem Ansatz resultierte aus der verheerenden Verletzung des Marxismus der SPD-Abgeordneten, die mit überwältigender Mehrheit für den Ersten Weltkrieg gestimmt haben.

Werden revolutionäre Bewegungen das Parlament nutzen?

In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren, während der umfangreichsten revolutionären Welle seit 1917-23, nahmen die meisten Unruhen der Arbeiter*innenklasse nicht "den parlamentarischen Weg". Der französische Generalstreik von 1968 nahm revolutionäre Dimensionen an. In der Portugiesischen Revolution von 1975 enteigneten die Arbeiter*innen ihre Betriebe von unten durch Besetzungen und direkte Aktion. In der iranischen Revolution 1979 organisierten die Arbeiter ihre eigenen Shoras (Räte), die sich im ganzen Land ausbreiteten, bevor die Konterrevolution der Mullahs unter der Führung der schiitischen klerikalen Kaste gelang.

Die chilenische Revolution 1970-73 hingegen schien den parlamentarischen Weg zu gehen, da die Ereignisse durch die Wahl einer sozialistischen Regierung beschleunigt wurden. Auch hier begannen die Arbeiter*innen, alternative Strukturen zur Verteidigung gegen den kapitalistischen Staat aufzubauen. Die Cordones (Revolutionsräte) halfen bei der Koordination der Übernahme der Fabriken und der Lebensmittelverteilung. Aber als die Arbeiter*innenklasse ihre Regierung aufforderte, sie gegen einen möglichen von den USA unterstützten Militärputsch zu bewaffnen, zögerten die sozialistischen Anführer*innen im Parlament und hofften auf einen Kompromiss mit der chilenischen herrschenden Klasse. Die Möglichkeit war verloren und General Pinochet, mit Unterstützung der CIA, ertränkte die Revolution im Blut und exekutierte mehr als 4.000 sozialistische und gewerkschaftliche Aktivist*innen.

All diese Revolutionen entfalteten sich in einer Zeit, in der stalinistische Parteien eine große und sehr negative Rolle in der Arbeiter*innenbewegung spielten und ständig nach einer Lösung innerhalb des Kapitalismus suchten, wie es die Sozialdemokraten in der Zeit nach 1917 taten. In all diesen revolutionären Perioden fehlte eine Führung der Arbeiter*innenbewegung mit einem klaren Verständnis des kapitalistischen Staates, der die Strategie entwickeln konnte, die notwendig war, um die Bewegung zum Sieg zu führen und eine Arbeiter*innendemokratie zu schaffen.

Perspektiven für eine linke Regierung

Eine Militärdiktatur zu nutzen, um radikale Veränderungen zu verhindern, ist ein Ansatz, der mit den herrschenden Klassen der Länder der "Dritten Welt" und nicht mit den "fortgeschrittenen" kapitalistischen Ländern assoziiert wird. Aber in Wirklichkeit sind alle herrschenden Klassen bereit, extreme Anstrengungen zu unternehmen, um ihre Herrschaft zu verteidigen. Die deutsche, italienische und spanische herrschende Klasse wandte sich dem Faschismus zu. In Spanien, Griechenland und Portugal herrschten bis in die 70er Jahre hinein rechte Diktaturen.

1975 wurde eine linke Labour-Regierung in Australien durch einen konstitutionellen Staatsstreich des britischen Monarchen entlassen. Der Bestseller des britischen Politikers Chris Mullin, A Very British Coup, von 1982, untersuchte die Aussicht auf ähnliche Entwicklungen, wenn eine linke Labour-Regierung in Großbritannien gewählt würde. Alle legalen und illegalen Mechanismen des Staates werden genutzt, um jeden ernsthaften Versuch der Arbeiter*innenklasse zu untergraben, das Parlament zur Umsetzung sozialistischer Politik zu nutzen. Die Arbeiter*innenbewegung muss so vorbereitet sein, wie es die herrschende Klasse ist. Um eine allgemeine Gesundheitsversorgung und anderen wichtige Verbesserungen erfolgreich sicherzustellen müsste eine Regierung Bernie Sanders von einer Massenbewegung auf den Straßen und Arbeitsplätzen unterstützt werden. Sie bräuchte auch die Unterstützung einer unabhängigen linken Partei, die auf den Interessen der Werktätigen und der Unterdrückten mit einem Kampfprogramm basiert. Eine solche Partei sollte volle Mehrheiten im Kongress, in den Parlamenten der Bundesstaaten und in den Stadträten anstreben. Bei der Übernahme der mächtigsten herrschenden Klasse in der Weltgeschichte wird jedoch eine Führung mit einem klaren Verständnis der Rolle des kapitalistischen Staates entscheidend sein.

In den USA beschuldigte die herrschende Klasse in der Vergangenheit revolutionäre Sozialist*innen, sich an einer Verschwörung zum "Sturz der Regierung" zu beteiligen. Leider greift Blanc dieses Argument auf. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Marxist*innen versuchen, die Mehrheit der Arbeiter*innenklasse und auch die Bevölkerung als Ganzes für die Notwendigkeit eines sozialistischen Wandels zu gewinnen.

Aber wir glauben auch, dass die herrschende Klasse den demokratischen Willen der Gesellschaft nicht akzeptieren wird, wenn dies darauf hindeutet, dass sie ihre Macht und ihr Privileg verlieren. Wenn die Demokratie für sie nicht funktioniert, werden sie versuchen, sie abzuschaffen. In den 1930er Jahren untersuchte der Kongress einen versuchten Militärputsch gegen Präsident Franklin Roosevelt, die von einem Flügel der herrschenden Klasse der USA organisiert wurde, weil sie selbst die begrenzten Reformen des "New Deal" nicht einhalten konnten.

Revolutionäre Organisation

Blancs Artikel ignoriert, indem er den Charakter des Staates nicht vollständig erkennt, die Grenzen der kapitalistischen Demokratie und argumentiert dann, dass der Sozialismus in einem bürgerlichen parlamentarischen Rahmen gewonnen werden kann. Sein Ziel ist es, die russische Revolution als Modell für heute zu widerlegen. Zusammen mit seiner Strohmann-Kritik des Insurrektionismus argumentiert er im Wesentlichen gegen die Idee, dass die Arbeiter*innenklasse ihre eigene revolutionäre Organisation braucht, die in ihr selbst verwurzelt ist. Eine revolutionäre Massenpartei, die die Grenzen der bürgerlichen Demokratie versteht, ist jedoch entscheidend für den Erfolg des Übergangs der Menschheit zum Sozialismus. Eine solche Partei müsste auf einem klaren Verständnis der Perspektiven und der anstehenden Aufgaben für die Arbeiter*innenklasse beruhen. Sie würde versuchen, eine gemeinsame Organisation auf nationaler und internationaler Ebene aufzubauen. Sie müsste die Lehren aus der Vergangenheit genau kennen, um in den Gewerkschaften, in den breiteren politischen Formationen und in allen Kämpfen der arbeitenden und unterdrückten Völker für ihre Ideen zu kämpfen.

Wir treten nun in eine neue, politisch konvulsivere Zeit in den USA ein. Vorbei ist die Zeit, in der der Kapitalismus die "Bedrohung durch den Kommunismus" nutzte, um Angst zu erzeugen. Vorbei ist die Markteuphorie, die mit dem Zusammenbruch des Stalinismus einherging. Kshama Sawants Überraschungsergebnis von 96.000 Stimmen als Kandidatin der Socialist Alternative bei der Stadtratratswahl von Seattle im Jahr 2013 signalisierte das Wiederaufleben des Sozialismus für eine neue Generation. Dieser Sieg war Teil der Entwicklung, die den Weg für Bernie Sanders im Jahr 2016 ebnete, was wiederum die Explosion der Mitgliedschaft in der DSA auslöste.

Wenn wir mit offenen Augen für den Sozialismus kämpfen, müssen unsere Bewegungen auch die Fallstricke und Möglichkeiten, die den Weg nach vorne bestimmen, fließend beherrschen. Eric Blancs Artikel zeichnet nicht den wirtschaftlichen Hintergrund seines linearen, geordneten Weges zum Sozialismus. Wir stehen nicht kurz davor, in eine ähnliche Wirtschaftsperiode einzutreten wie die, die den Aufstieg der sozialdemokratischen Parteien in den 1890er oder 1950er Jahren begleitete, als der "Sozialstaat" im Westen auf seinem Höhepunkt war. Wir befinden uns in einer Zeit, in der das Kapital keine Möglichkeit hat, die Wirtschaft zu entwickeln, in der Krise und Instabilität ständige Merkmale sind. Dies wird zu großen sozialen Umwälzungen führen und das Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse radikal verändern. Es wird eine Zeit sein, in der Sozialist*innen mit der Komplexität des wachsenden rechten und linken Populismus sowie neuer Versionen des Reformismus konfrontiert werden.

Die Parlamente müssen von Sozialist*innen genutzt werden, aber wir müssen verstehen, was diese Institutionen darstellen und welche Gefahren sie für die Sozialist*innen mit sich bringen.

Die Kapitalist*innen haben mehrmals versucht, Karl Marx zu begraben, aber seine Ideen kommen immer wieder zurück. Mit einem marxistischen Verständnis der kommenden Veränderungen in unserer Welt und unserer Geschichte als Klasse werden die arbeitenden Menschen den Weg nach vorne finden, um alle faulen und korrupten Institutionen des Kapitalismus zu ersetzen und eine globale sozialistische Demokratie für die gesamte Menschheit aufzubauen.

 

Regenbogen über Russland

Jan Millonig

Die Revolution 1917 in Russland bedeutete den Sturz der zaristischen Monarchie und der kapitalistischen Wirtschaft durch die Massen der Arbeiter*innen und Bauern. Angeführt von der bolschewistischen Partei stellten die darauffolgenden sozialistischen Maßnahmen einen neuen Maßstab für sozialen Fortschritt dar. So war es auch der erste Arbeiter*innenstaat der Welt, der vor 100 Jahren eine unschätzbare Pionierarbeit für die Rechte von LGBTQ-Personen leistete. Das revolutionäre Russland war weltweit das erste Land, das Homosexualität und die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte. Auch geschlechtsangleichende Operationen und die Eintragung des anderen Geschlechts im Pass wurden ermöglicht. Inter- und transsexuelle Menschen erhielten medizinische Behandlung und Forschungen zu diesen Themen wurden staatlich finanziert. Offen homosexuelle Menschen konnten in Regierungsämtern und öffentlichen Positionen arbeiten, wie zum Beispiel Georgy Chicherin, der 1918 Außenminister wurde. Es begann eine breite gesellschaftliche Diskussion zu Themen wie Beziehung und Sexualität. Die Zwangsinstitution der heterosexuellen bürgerlichen Kleinfamilie sollte aufgehoben werden – nicht wiederum durch Zwang, sondern durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit durch kommunale Wäschereien, Kindergärten und Kantinen.

Aber die Folgen des 1. Weltkrieges, der nachfolgende Bürgerkrieg und imperialistische Interventionen, kombiniert mit der vor der Revolution unterentwickelten Wirtschaft und dem Ausbleiben von erfolgreichen Revolutionen im Rest Europas trieben das Land in Isolation und Mangel. Das führte zur Herausbildung einer bürokratischen Diktatur in Form des Stalinismus. Es war Ausdruck der Degenerierung der Sowjetunion, dass u.a. LGBTQ- und Frauenrechte im Zuge der stalinistischen Konterrevolution in den 1930er Jahren wieder abgeschafft wurden. Der Stalinismus setzte Homophobie sogar bewusst als Propagandainstrument ein. Das war der Anfang vom Ende – der kapitalistischen Restauration mit all den homophoben und reaktionären Auswüchsen, die wir heute in Russland sehen.

Doch der revolutionäre Geist lebt in der Vision, die diese Erfahrung gezeigt hat, weiter. Denn abgesehen davon, dass solche Verhältnisse zu jener Zeit in jedem anderem (bürgerlichen) Land unvorstellbar waren, stellen viele der damaligen Errungenschaften auch noch heutige Staaten in den Schatten. Die Perspektive, die die Russische Revolution aufgezeigt hat, nämlich die Möglichkeit der Arbeiter*innenklasse, die Herrschaft der Oligarchen und Konzerne zu stürzen und selbst eine demokratische Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung aufzubauen, gibt uns Hoffnung. Wir wissen: Der Kapitalismus und sein Establishment kann uns kein Leben in Würde bieten. Doch wir sind es, die ihn stürzen können.


Zum Weiterlesen:

Queer stellen! – Broschüre der SAV, deutsche Schwesterorganisation der SLP

Bestellbar unter: http://manifest-buecher.de/produkt/queer-stellen/

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Reform – Staat – Revolution?

Pablo Hörtner

Die Auseinandersetzung zwischen Reformist*innen und Revolutionär*innen ist nicht neu – am deutlichsten lässt sie sich entlang der verschiedenen Einschätzungen über den Charakter des Staates verfolgen. Der Reformismus behandelte den bürgerlichen Staat meist als neutrale Institution, derer sich sowohl die herrschende als auch die unterdrückte Klasse bedienen kann. Doch schon Marx zog aus dem Scheitern der Pariser Kommune 1871 die Schlussfolgerung: „die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen.“ (Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich, 1871). Indem der Reformismus im bürgerlichen Staat ein Instrument zur Befreiung der Arbeiter*innenklasse sieht, kettet er sich und sie letztlich an die bürgerliche Herrschaft: „Eine reformistische Partei betrachtet in der Praxis als unerschütterlich die Grundlagen dessen, was zu reformieren sie sich anschickt.“ (Leo Trotzki; Geschichte der Russischen Revolution, Band II: Oktoberrevolution, 1930). Deswegen hat Lenin im Anschluss an Marx gegen ein solches Staatsverständnis gekämpft: „Marx hat die Lehre vom Klassenkampf konsequent bis zu der Lehre von der politischen Macht, vom Staat, entwickelt. […] Alle früheren Revolutionen haben die Staatsmaschinerie vervollkommnet, aber man muss sie zerschlagen, zerbrechen. Diese Folgerung ist das Hauptsächliche, das Grundlegende in der Lehre des Marxismus vom Staat", schreibt Lenin 1917 in Staat und Revolution mit Berufung auf das Kommunistische Manifest von 1848.

Ein tragisches Beispiel des von Marx kritisierten reformistischen Staatsverständnisses ist jenes des chilenischen Präsidenten Allende, dessen Verzicht auf einen revolutionären Weg 1973 – mit Berufung auf Karl Kautsky und Otto Bauer – die chilenische Arbeiter*innenklasse mit einem Blutbad und einer langen brutalen Diktatur bezahlen musste. Ähnliche Erfahrungen gab es 1979 in Nicaragua und im Iran, sowie in der Zwischenkriegszeit in Österreich und Deutschland und ab 1936 mit den Volksfrontregierungen in Frankreich und Spanien.

Nicht erst seit dem Scheitern von Lulas PT in Brasilien, von Chavez' bolivarischem Experiment in Venezuela und von Tsipras' Syriza in Griechenland wissen wir, dass "Linkspopulismus" und die Weigerung zu einem entschlossenen Bruch mit Großkapital, Staat und Imperialismus – statt einer klaren internationalistischen und sozialistischen Perspektive – der Linken insgesamt und der Hoffnung auf eine bessere Welt im Besonderen nachhaltig schaden. Statt im Kampf gegen das Kapital auf den Staat zu vertrauen, gilt es eine revolutionäre Partei und in Bewegungen rätedemokratische Strukturen aufzubauen, die den Interessen der Arbeiter*innenklasse entsprechen und die Grundlage gesellschaftlicher Organisation ohne Klassen bilden können.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Revolutionärer Internationalismus zwischen den Weltkriegen

War das Wirken der ursprünglichen Komintern nur von kurzer Dauer, so ist ihre Aufgabe heute akut.
Franz Neuhold

Vor 100 Jahren wurde vor den Trümmerhaufen des ersten imperialistischen Weltkriegs die Kommunistische Internationale (Komintern) gegründet. Als der Weltkrieg bereits im vierten Jahr tobte, nahmen Massenproteste und Ansätze sozialer Revolutionen vielerorts an Fahrt auf. Sie waren inspiriert vom Sturz des russischen Zaren und etwas später erzürnt von der kapitalistischen Übergangsregierung, die den Krieg fortgesetzt hatte. Die Sozialdemokratien hinderten die revolutionären Arbeiter*innen jedoch daran, eine neue Gesellschaft zu errichten. Schließlich hatten es sich viele der bürokratischen Funktionär*innen gut eingerichtet im bürgerlichen Nationalstaat - materiell wie philosophisch-theoretisch.

Die grundlegende internationalistische Ausrichtung der späteren Komintern war bereits zu jener Zeit gefestigt worden, als die Mehrheit der 2. (sozialdemokratischen) "Internationale" ihren jeweils herrschenden Kriegstreibern unzählige Arbeiter*innen als Kanonenfutter überantwortete. Man wollte den Platz an der (nationalen) Sonne mit "seinem" Bürgertum teilen. Der "Sozialismus" käme schrittweise von selbst und innerhalb der etablierten staatlichen Gerüste; soweit der selbstzufriedene Ansatz des "Reformismus". Um das zu erreichen, müsse und dürfe man in friedlichen Zeiten natürlich um Lohnerhöhungen ringen und im Parlament hin und wieder aufs Pult hauen. Doch im Krieg gibt es plötzlich wieder das "Vaterland", für das man zu sterben und zuvor Arbeiter*innen anderer Länder zu töten habe. Dieser letzte Teil reformistischer "Logik" entfaltete sich allerdings erst, als er dies musste. Der Schock saß dementsprechend tief, als im Sommer 1914 die "Internationale" infolge der Kriegsunterstützung binnen Tagen kollabierte.

Doch die Internationalist*innen bauten entgegen der allgemeinen Stimmung auf folgende Einschätzung: Einer der zentralen Widersprüche des „modernen Kapitalismus“ bzw. seines imperialistischen Stadiums besteht darin, dass der globalen Arbeitsteilung und dem Welthandel die nationalen bürgerlichen Egoismen entgegenstehen. Ohne weitreichende Planung der Wirtschaft und echte Demokratie der Produzent*innen zerreißt es die Gesellschaften. Es wird sich eine Periode von Revolution und Konterrevolution eröffnen. Die gescheiterten und niedergeschlagenen Revolutionen im Westen 1918/19 erhöhten nun massiv den Druck auf die junge Sowjetrepublik, die nach dem Revolutionsjahr 1917 gerade eben den Weltkrieg schwer gezeichnet überstanden hatte. Den führenden Marxist*innen war klar, dass genau dieses Steckenbleiben der internationalen Kette von sozialistischen bzw. Arbeiter*innen-Revolutionen die größte Bedrohung darstellte. Um die Eigentums- und Produktionsverhältnisse grundlegend zu ändern sowie die nötigen Räte-Demokratien aufzubauen, muss es eine "Weltpartei der sozialistischen Revolution" geben. Die 2. Internationale war eine lose Zusammenkunft nationaler Parteien und hohler Phrasen. Demgegenüber verfügte die Komintern über programmatische Verbindlichkeit und eine zentrale Führung. Die innere Demokratie verlangte große Opfer: Trotz widrigster Umstände wurden zwischen Frühjahr 1919 und Ende 1922 vier (!) Weltkongresse organisiert. War die Gründung der Komintern alternativlos, kam sie jedoch unverschuldet zu einem ungünstigen, weil verspäteten Moment. Der Revolutionär Leo Trotzki fasste dies 1924 in „Fünf Jahre Komintern“ zusammen: "Der Krieg führte nicht direkt zum Sieg des Proletariats in Westeuropa. Es ist heute nur zu offensichtlich, was 1919 und 1920 für den Sieg fehlte: eine revolutionäre Partei fehlte." Die mächtige "Nachkriegsmassengärung" begann bereits abzuebben.

Die Folgen der anti-revolutionären Rolle der sozialdemokratischen Führungen brach nicht nur der ersten Welle revolutionärer Versuche das Genick. Sie ermöglichte auch den Aufstieg des Faschismus. Die tödliche Gefahr für die Komintern entsprang denselben Quellen, die zum Aufstieg der stalinistischen Bürokratie in der nunmehrigen Sowjetunion führten. Die Isolation, allgemeiner Mangel und Erschöpfung erleichterten das Wachstum von Bürokratie und Polizeistaatlichkeit. Es kann hier nicht ausführlich der weitere Verlauf geschildert werden. Nur soviel: Im Laufe der 20er- und 30er-Jahre, parallel zur Stalinisierung der UdSSR und dem damit verbundenen Bruch mit Prinzipien von Räte-Demokratie und Internationalismus, degenerierte auch die Komintern, bis sie nur noch den Interessen der Moskauer Bürokratie diente. Es folgte ein Zick-Zack, wobei zuerst die gesamte Sozialdemokratie zu einem Flügel des Faschismus erklärt wurde, nur um wenig später eine Bündnisoffensive mit den großen bürgerlichen Parteien auszurufen. Der Höhepunkt dieses völligen Verrats an der internationalen Arbeiter*innenklasse war der Hitler-Stalin-Pakt 1939. Stalin entledigte sich danach 1943 der blutleeren Komintern und löste sie auf.

Der Aufbau einer "Weltpartei der sozialistischen Revolution" ist heute die entscheidende Aufgabe für jede/n, der/die sich wirklich um die Zukunft auf diesem Planeten schert. Die Bedingungen dafür sind - trotz aller Schwierigkeiten - heute entschieden vorteilhafter als in der Phase 1919-1938. Es gilt keine Ausrede.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Reproduktionsarbeit im Kapitalismus

Martina Gergits

9,7 Milliarden Stunden werden jährlich für unbezahlte Tätigkeiten wie Hausarbeit, Kinderbetreuung, die Pflege von Kranken aufgewendet. Zwei Drittel davon leisten Frauen. All das ist notwendig, um Arbeitskraft zu reproduzieren. Arbeitskraft lässt sich somit auch als Ware definieren, deren Wert sich in den Reproduktionskosten ausdrückt.

Marx selbst hat sich damit nur indirekt, im Rahmen der Reproduktion der Arbeitskraft, beschäftigt. Wie und in welcher Form diese Reproduktion stattfindet, orientiert sich an den Produktionsprozessen im Kapitalismus und ist integraler Bestandteil der kapitalistischen Ausbeutung: „Der kapitalistische Produktionsprozess, im Zusammenhang betrachtet oder als Reproduktionsprozess, produziert also nicht nur die Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten auf der anderen Seite den Lohnarbeiter.“ (Karl Marx, 1. Band Kapital)

Das Kapital ist darauf angewiesen, dass die Ware Arbeitskraft zur Verfügung steht und daraus ergeben sich zwei Formen der Reproduktionsarbeit. Aus vor-kapitalistischen Produktionsformen wurde ein Teil der Reproduktion im Haushalt belassen. Damit wurde auch der patriarchale Charakter, also die Unterdrückung der Frau, übernommen. Dieser unbezahlte Teil der Reproduktionsarbeit dient als Ressource, auf die jederzeit zurückgegriffen werden kann.

Erkämpft von der Arbeiter*innenklasse, aber auch weil es die kapitalistische Produktion v.a. in Aufschwungzeiten notwendig machte, entwickelte sich auch die bezahlte Reproduktionsarbeit.

Das Verhältnis dieser bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten ist nicht konstant. Das erleben wir, wenn in Krisenzeiten Kürzungen im Sozialsystem vorgenommen werden, und damit die Arbeit wieder zurück in den Haushalt verschoben wird, also großteils an Frauen. Oder umgekehrt, wenn mehr Arbeitskräfte vom Kapital benötigt werden und damit bezahlte Reproduktionsarbeit ausgebaut wird – z.B. durch Betriebskindergärten.

Mit der Entwicklung eines gesellschaftlichen Überschusses (also mehr als zum unmittelbaren Überleben nötig ist) von Privateigentum und in Folge von Klassengesellschaften entstand auch die Frauenunterdrückung. Die gesellschaftliche Abwertung von Reproduktionsarbeit ist damit untrennbar verbunden. Als Sozialist*innen kämpfen wir für die Vergesellschaftung der gesamten Reproduktionsarbeit. Im Kapitalismus erkämpfte Verbesserungen sind nicht von Dauer. Die vollständige Vergesellschaftung ist nur möglich durch eine Aufhebung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln und damit die Überwindung des Kapitalismus. Erst in einer sozialistischen Gesellschaft fällt die Trennung von privater und gesellschaftlicher Arbeit und Reproduktion wird eine gesellschaftliche Aufgabe.


Zum Weiterlesen:

Hausarbeit und marxistische Wirtschaftstheorie auf www.slp.at

Fragen des Alltagslebens, Leo Trotzki: Eine Sammlung von Reden und Artikeln, die aufzeigen, wie die junge Sowjetunion nach der Revolution das Private wie Hausarbeit und Familie politisch und gesellschaftlich aufgriff.

Karl Marx, Das Kapital – 1. Band

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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