Lehrling sein ist kein Honigschlecken

Lehrlinge haben alle Probleme, die im Kapitalismus für ArbeiterInnen gelten, plus einige dazu.
Ein Schwerpunkt zum Thema Lehre von Albert Kropf (Berufsschullehrer), Christoph Glanninger (Lehrling) und ein ÖBB-Lehrling

Geht es nach Politik, Wirtschaft und Gewerkschaft, steht es um die Lehrausbildung in Österreich gut. Die im EU-Vergleich mit 9,3%(!) niedrige Jugendarbeitslosigkeit und die hohe Qualität der FacharbeiterInnenausbildung werden landauf und landab gelobt. Trotzdem sinken die Zahlen der Lehrlinge und der Ausbildungsbetriebe seit gut 20 Jahren kontinuierlich. Und das bei gleichbleibendem Gejammer der Wirtschaft über Fachkräfte-Mangel. Wie geht das alles zusammen?

Dazu kommen dann noch unzufriedene Jugendliche. Viele müssen etwas lernen, was sie nicht interessiert und die Ausbildung ist oft alles andere als gut. Seit einiger Zeit gibt die Gewerkschaftsjugend ÖGJ den „Lehrlingsmonitor“ heraus. Darin spiegeln sich die Erfahrungen der Jugendlichen in der Lehrausbildung wider: ausbildungsfremde Tätigkeiten, wenig Interesse der Lehrbetriebe an Berufsschule und Feedback der Lehrlinge, Überstunden, fehlender Kontakt zu den AusbildnerInnen, mangelnde Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung (LAP), die ja den betrieblichen Teil der Ausbildung abdeckt. 54% denken über den Abbruch oder Wechsel der Lehre nach.

An Ideen für eine Verbesserung der Lehre mangelt es nicht. Doch schnell kommt das Totschlagargument: „da spielen die Betriebe nicht mit“. Und tatsächlich gibt es hier ein Problem. Gerade kleine und handwerkliche Betriebe setzen auf die billige Arbeitskraft „Lehrling“. Dieses „Problem“ steckte aber von Beginn an in der „dualen Ausbildung“ und leitet sich aus der Geschichte des Handwerks ab. Dort musste früher sogar Lehrgeld für die Ausbildung bezahlt werden. Etwas, was heute noch immer viele Lehrlinge von Vorgesetzten und Lehrern unter die Nase gehalten bekommen.

Die Erklärung der Betriebe ist - wenn auch mit anderen Worten -, dass die Jugendlichen einfach „zu faul“ oder „zu dumm“ sind. Tatsächlich fielen 2011 rund 20 % bei der LAP durch. Jeder 5. Lehrling scheitert also bei Dingen, die im Betrieb gelernt hätten werden sollen. Anstatt die Jugendlichen auszubilden, werden sie viel zu oft als günstige Arbeitskraft gesehen.

Veränderungen bei der Lehre spiegeln Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur, der Gesellschaft und der Bildung wider. Gibt es zuwenig Geld für den Pflichtschulbereich, wirkt sich das auch auf die Jugendlichen aus, die später Lehrlinge werden. Und die Lehrausbildung im Industriebereich ist ebenfalls Ausdruck der rasanten Veränderungen. Die Tätigkeiten von FacharbeiterInnen werden immer komplexer. Eine Lehrausbildung wie noch vor 20 oder 30 Jahren kommt da nicht mehr mit. HTL AbsolventInnen als FacharbeiterInnen sind heute kein Seltenheit mehr. Mit dem großen Vorteil, dass die Betriebe sich nicht selbst um die Ausbildung kümmern müssen. Nicht umsonst hakt hier auch die neue Türkis-Blaue Koalition ein. Dass die Anzahl der Lehrlinge sinkt, liegt nicht am schlechten „Menschenmaterial“. Betriebe stellen Lehrlinge dann an, wenn sie wo anders die nötigen Fachkräfte nicht herbekommen bzw. wenn sie mehr am Lehrling verdienen, als er sie kostet. So simpel ist das, so ausbeuterisch ist das im Kapitalismus.

Angelehnt an das deutsche Modell „Meister statt Master“ heißt es im Regierungsprogramm „Land der Meister“. Um die Lücke beim Fachkräftebedarf der Wirtschaft zu schließen, soll die Berufsbildung aufgewertet werden sowie MaturantInnen und Uni-AbsolventInnen in die Betriebe geholt werden. Indirekt wird damit zwar auch die Lehre aufgewertet, an Lehre und Berufsschule wird sich nicht viel ändern und für „normale“ Lehrlinge wird es schwerer. Wenn es darum ginge, könnten die Betriebe auch heute schon mehr Lehrlinge ausbilden. Tun sie aber nicht, weil sie lieber „fertige“ FacharbeiterInnen von Schulen, Unis, Lehrgängen oder Fachhochschulen bekommen. Ganz im Gegenteil, durch die Maßnahmen der neuen Regierung wird der Druck auf den Lehrlingsmarkt noch weiter steigen, noch weniger Jugendliche aus den Städten mit Mittelschulbildung werden Lehrstellen bekommen. Aber das interessiert FPÖ/ÖVP auch nicht, ihnen geht es nur darum, der Wirtschaft ihre „Fachkräfte“ zukommen zu lassen.

Ist die Lehre damit in einer Sackgasse angekommen? Solange in manchen Bereichen Lehrlinge billige Arbeitskräfte bleiben: nein. Abseits davon wird die Konkurrenz höher weil qualifizierte Fachkräfte der Lehre weiter das Wasser abgraben. Die Aufrechterhaltung der Konkurrenz wie auch der Existenz als billige Arbeitskräfte kann nicht in unserem Interesse liegen. Die Kombination von theoretischer und praktischer Ausbildung ist aktuell wie nie. Insofern braucht es eine radikale Veränderung der dualen Ausbildung hin zu einer Gesamtschule mit eingebetteter Berufsausbildung.

 

 

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