Geschichte und politische Theorie

12. Februar: Führung & Lesung

Stadtführung und Lesung von Andreas Pittler

Der Aufstand der ArbeiterInnen gegen den Austrofaschismus zeigt das Potential für Widerstand in der ArbeiterInnenklasse und jenes für das Versagen und den Verrat des Reformismus in Gestalt der Sozialdemokratie. Lehren, die auch heute wichtig sind, können aus diesem Ereignis gezogen werden. Wir laden zur Stadtführung im Westen Wiens mit anschließender Lesung.

 

Stadtführung am 12. Februar: Treffpunkt 17.30 U3 Station Ottakring

Anschließend Lesung von Andreas Pittler in der Libreria Utopia  (15; Preysinggasse 26-28): Best of working class aus Kreuzweg und Bronstein

 

 

Widerstand gegen Schwarz-Blau: was können wir von 2000 lernen?

Die Widerstandsbewegung war großartig - Doch diesmal wollen wir gewinnen!
Sonja Grusch

Wieder droht eine schwarz-blaue Regierung. Viele haben zurecht Angst und es wird Proteste geben - auch wenn wir Themen und Umfang noch nicht wissen. Es wird keine Wiederholung der Widerstandsbewegung von 2000. Aber wir müssen aus 2000 lernen, um künftige Proteste effektiver zu machen.

Die Widerstandsbewegung begann am 1. Februar 2000 mit der Besetzung der ÖVP-Zentrale. Am 4. Februar war der Ballhausplatz voll und die neue Regierung musste unterirdisch zur Angelobung gehen. Es folgten wochenlange Demonstrationen mit jeweils Zehntausenden. Die SLP spielte eine zentrale Rolle in der Widerstandsbewegung. Wir setzten die Initiative für den größten politischen Schulstreik bisher: am 18.2. streikten 15.000 SchülerInnen gegen die FPÖ-ÖVP Regierung. Am 19.2. waren 300.000 Menschen in Sternmärschen auf der Straße. Ab dann gab es wöchentlich über ein Jahr lang die „Donnerstagsdemos“. „Wir gehen, bis ihr geht“ war das Motto. Eine ganze Generation wurde politisiert, 20% aller WienerInnen unter 30 hatten an der „Widerstandsbewegung“ teilgenommen. Die Bewegung war großartig und einzigartig und für alle, die dabei waren ein wichtiger Teil ihres (politischen) Lebens.

Die EU setzte damals auf Sanktionen. Staaten, die selbst rassistische und neoliberale Politik machten, ermöglichten der blau-schwarzen Regierung, sich als „Opfer“ darzustellen. Die (parlamentarische) Opposition sowie ihr nahestehende Organisationen forderten „Neuwahlen“. Doch bei den Nationalratswahlen 2002 verlor zwar die FPÖ, dafür gewann die ÖVP stark und die Regierung wurde fortgesetzt. Warum sollte man auch für die SPÖ stimmen? Das schwarz-blaue Regierungsprogramm trug in weiten Teilen die Handschrift der SPÖ. Diese stimmte auch in der Opposition zahlreichen Verschärfungen im Fremdenrecht zu.

Der für die Regierung gefährlichste Widerstand kam aus den Gewerkschaften. Die Wiener AK organisierte eine Demonstration und es gab einen Warnstreik der LehrerInnen. Der ÖGB mobilisierte 2003 zu zwei Aktionstagen bzw. einem de facto Generalstreik gegen die Pensionsreform. Die EisenbahnerInnen legten ebenfalls 2003 das Land für mehrere Tage gegen die geplante Zerschlagung der ÖBB und Verschlechterungen im Dienstrecht lahm. All das spiegelte den Druck aus der Basis wider. Doch die Gewerkschaftsführung hatte Angst vor einer Dynamik, die sie nicht mehr kontrollieren könnte. Hand in Hand mit der SPÖ-Führung würgte sie die Streikbewegung ab.

Um die Bewegung zum Erfolg zu bringen, hätte es eine politische Alternative gebraucht. Dass es eine solche ArbeiterInnenpartei, mit Verankerung in Straßen und Betrieben, nicht gab, rächte sich bitter. Die SLP war seit längerem für den Aufbau einer solchen neuen linken Kraft eingetreten. Doch viele Linke argumentierten, man müsse nun SPÖ bzw. Grün unterstützen. Und v.a. fehlte großen Teilen der Linken eine Strategie, um zu gewinnen. Die SLP war Teil des „Aktionskomitees gegen Blau-Schwarz“, das in den Donnerstagsdemos eine wichtige Rolle spielte. Wir setzten uns für eine stärkere Organisierung und Planung der Proteste und Aktionen und v.a. für eine Orientierung auf die Organisationen und Methoden der ArbeiterInnenklasse ein. Wir waren in der Minderheit. Die Mehrheit sah in der Unorganisiertheit der Bewegung einen Vorteil und wollte keine konkreten nächsten Schritte vorschlagen. Insgesamt fehlte jenen, die real die Führung der Bewegung darstellten, die Vorstellung und das Vertrauen, dass „normale Menschen“, also die ArbeiterInnenklasse, die Kraft sind, um eine solche Regierung zu Fall zu bringen.

2017 müssen wir aus 2000 lernen: Die Angriffe durch die kommende Regierung werden kommen – und zwar egal, wie diese sich zusammensetzt. Und es wird Proteste auf unterschiedlichen Ebenen geben. Diese Proteste müssen zusammengeführt werden. Organisieren wir demokratische Komitees und Aktionsgruppen in allen Bereichen. Sie brauchen offensive Forderungen, die sich letztlich darum drehen, wie das Geld der Reichen erkämpft werden kann, damit alle Menschen in Würde leben können. Und sie müssen organisiert werden. Vernetzung ist gut, aber ein Schritt zu wenig. Dass es bei Wahlen keine starke linke Kraft gibt, ermöglicht es der extremen Rechten und Listen, die bestenfalls skurril, eher gefährlich, sind, sich als „Alternative“ aufzuspielen. Wir brauchen endlich eine linke Organisation, eine Partei, die den Unmut auf der Wahlebene ausdrücken kann und die v.a. Menschen, die sich wehren wollen, eine echte Alternative bietet. Die SLP wird wieder Teil des Widerstands sein und sich für den Aufbau einer solchen Kraft einsetzen. Kämpferische Gewerkschaften und eine neue ArbeiterInnenpartei mit sozialistischem Programm sind die besten Waffen im Kampf gegen eine schwarz-blaue Regierung und ihr Programm. 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Digitale Revolution- Soziale Reaktion?

Neue Technologie wird im Privaten gern angenommen, weil sie das Leben erleichtert, in der Arbeitswelt herrschen Ängste.
Thomas Hauer

Spätestens seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Kern wird uns mitgeteilt, dass die Arbeitswelt kurz vor einer digitalen Revolution steht bzw. schon mittendrin ist. Technischer Fortschritt lässt sich eben nicht aufhalten. In der Diskussion um Industrie 4.0 hört man von Chancen und Möglichkeiten. Was ist damit gemeint? Die ErfinderInnen der ersten Schaufel wollten mit ihrer Arbeit schneller fertig zu werden und sich das Leben erleichtern. Das ist auch der Grund, warum der Mensch begonnen hat, seine Umwelt bewusst mit seinen Händen zu verändern und mit seinem Gehirn Hilfsmittel entwickelt (Schaufel, Roboter...), um diese Veränderungen immer einfacher zu machen. Mit der Digitalisierung gibt es nun bisher ungeahnte Möglichkeiten, die Arbeit zu erleichtern. Putzroboter, ganze Häuser, die von 3-D-Druckern gebaut werden, schmutzige, gefährliche Arbeit, die keine menschliche Arbeit mehr benötigt – eine großartige Zukunft.

Aber: Der Effekt der Arbeitserleichterung ist zwar theoretisch vorhanden, wird im Kapitalismus aber nicht zur Hebung des Lebensstandards der ganzen Gesellschaft verwendet. Finanziell profitiert nur eine Minderheit vom Fortschritt, für viele bedeutet er im Gegenteil sogar Arbeitsplatzverlust, für andere Intensivierung des Arbeitspensums. Es gibt mehr Arbeitslose, weil „zu wenig“ Arbeit vorhanden ist und gleichzeitig immer mehr, die ausgebrannt sind. Klingt komisch, muss aber nicht so sein.

Welche Folgen technischer Fortschritt für die Mehrheit der Menschen hat, hängt vom gesellschaftlichen Rahmen ab, in dem er stattfindet. Daher die berechtigte Angst und der Widerstand aus der ArbeiterInnenklasse. Zu Beginn der industriellen Revolution war eine der ersten Antworten von ArbeiterInnen die Zerstörung von Maschinen, da sie ihre Arbeitsplätze bedroht sahen. Doch das war nur ein Versuch, das Rad der Zeit anzuhalten. Die Sozialdemokratie formulierte bereits am Beginn der Weltwirtschaftskrise 1931 durch Otto Bauer ihr bis heute in den Grundlagen bestehendes „Programm“. Rationalisierung wird positiv bewertet, wenn die Sozialpartner eingebunden sind und sich ein unmittelbarer Vorteil für den Standort Österreich ergibt. Nur wenn das nicht der Fall ist, wird sie zur „Fehlrationalisierung“ und soll bekämpft werden. Diese Sichtweise für einen starken Wirtschaftsstandort Österreich hat sich in der SPÖ bis heute nicht verändert und wird auch von Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaft (ÖGB) mitgetragen. Das ist nichts anderes als „geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“. Doch dieselbe Logik wenden KapitalistInnen und Regierungen in anderen Ländern an. Darum wollen sie u.a. 12-Stundentag und generelle Flexibilisierung der Arbeitszeit. Auch stehen die Kollektivverträge verstärkt unter Beschuss, jedeR soll allein und damit schwach dem Unternehmen gegenüberstehen in Verhandlungen. Es ist eine Spirale nach unten.

In dieser Logik wird neben dem internationalen auch ein nationaler Konkurrenzkampf erzeugt. ÖGB und AK verlangen bessere Aus- und Weiterbildung, damit die Beschäftigten im Zuge der Digitalisierung karrieretechnisch nicht auf der Strecke bleiben. Arbeitsplätze werden damit aber nicht geschaffen, sondern es gibt dann nur besser qualifizierte Arbeitslose. Offensive Forderungen müssen sich gegen das immer höhere Arbeitstempo richten. Die Gewerkschaft darf den unmenschlichen Unterordnungszwang von Beschäftigten unter Maschinen nicht noch exekutieren, sondern muss im Gegensatz dafür kämpfen, dass die Beschäftigten über den Einsatz neuer Technologien entscheiden. Und vor allem muss die Gewerkschaft dafür kämpfen, dass das „Mehr“ an Produktivität durch höhere Löhne und Arbeitszeitverkürzung in Richtung Beschäftigte umgeleitet wird. Doch der ÖGB hat zwar 1987 das Ziel der Arbeitszeitverkürzung auf 35-Stunden beschlossen, seither aber keinen Finger dafür gerührt. Die Löhne stecken seit 20 Jahren fest, die geringen Lohnerhöhungen werden durch Inflation und explodierende Wohnkosten aufgefressen. Die Produktivitätssteigerungen haben so zu einer massiven Umverteilung von unten nach oben geführt. Wer auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) als Lösung angesichts der Jobvernichtung hofft, vergisst, dass auch dieses in einem kapitalistischen Umfeld eingeführt würde – und damit bestenfalls „zuwenig zum Leben, zuviel zum Sterben“ wäre.

Wir brauchen heute eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn. Die Gewerkschaftsspitzen setzen immer noch auf Lösungen am grünen Tisch. Den billigen Kompromiss fressen dann die Beschäftigten. Es ist Zeit, um mit den „maßvollen“ Lohnrunden endlich Schluss zu machen und uns tatsächlich zu holen, was uns zusteht: mehr Geld für wesentlich weniger Arbeitszeit!

Wir müssen die Gewerkschaften zurück gewinnen, damit sie zur Basis für Widerstand und Organisierung der werktätigen Masse werden und nicht zu deren Hemmschuh. Und wir müssen die Macht und Kontrolle aus der Hand der reichen Elite nehmen. Das ist nämlich die einzige Option, wenn wir wollen, dass die Vorteile der Digitalisierung bei uns ankommen.

 

Der gesamte Schwerpunkt zu „Industrie 4.0“ der 262. Ausgabe:

Die Industrie stirbt. Oder wird als Industrie 4.0 erneuert. Die Beschäftigten kommen dabei unter die Räder. Und kann mit neuer Technologie eine Krise verhindert werden?

  • Titelseite: Die Zukunft der Industrie? Von Albert Kropf

https://www.slp.at/artikel/die-zukunft-der-industrie-8588#

  • Hauptartikel: Sind Roboter krisenfest? Von Sonja Grusch

https://www.slp.at/artikel/sind-roboter-krisenfest-8589

  • Zahlen und Fakten von Georg Kummer:

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-zu-industrie-8590

  • Marx aktuell: Von Maschinen und Profiten von Nicolas Prettner

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-von-maschinen-und-profiten-8591

  • Digitale Revolution – Soziale Reaktion? Von Thomas Hauer

https://www.slp.at/artikel/digitale-revolution-soziale-reaktion-8592

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Marx aktuell: Von Maschinen und Profiten

Nicolas Prettner

Im Kapitalismus wird nicht produziert, um zu konsumieren, sondern um Waren zu verkaufen. Waren werden gegeneinander, bzw. gegen Geld, ausgetauscht. Wert setzt also bereits eine (Tausch-)Beziehung zu anderen Dingen voraus: X ist immer so und so viel von Y wert. Marx erklärt, dass sich der Wert einer Ware aus der Summe der zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ergibt. Auch Arbeitskraft ist eine Ware: wir verkaufen sie jeden Tag für Lohn, den die KapitalistInnen zahlen. Unsere Arbeitskraft ist so viel wert, wie die Summe der Dinge, die wir brauchen, um täglich arbeiten zu können. So viel bekommen wir bezahlt. Wir arbeiten aber so lange, wie die KapitalistInnen die Arbeitskraft gekauft haben. In der Zeit produzieren wir mehr als den Wert unserer Arbeitskraft bzw. unseres Lohns: Wir produzieren Mehrwert, aus dem der Profit entsteht.

KapitalistInnen wollen eine möglichst hohe Profitrate erzielen. Das gewonnene Kapital soll möglichst groß sein im Verhältnis zum investierten Kapital. Marx erklärt, dass sich das eingesetzte Kapital aus dem konstanten Kapital (Produktionsmittel, wie Maschinen) und dem variablen Kapital (Löhne, für die sie menschliche Arbeitskraft kaufen) zusammensetzt. Das Verhältnis zwischen konstantem und variablem Kapital nennt Marx die organische Zusammensetzung des Kapitals.

Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Unternehmen schnell, billig und viel produzieren. Das geht, indem sie das konstante Kapital auf Kosten des variablen Kapitals erhöhen – also indem Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzt werden. Konstantes Kapital ist aber letztlich nur vergegenständlichte menschliche Arbeit: Maschinen übertragen den Wert, der in ihnen steckt, aufgeteilt auf die Produkte, die mit ihnen hergestellt werden – bis sie kaputtgehen. Sie schaffen Werte, aber nicht Mehrwert! Der wird nur vom variablen Kapital geschaffen, das zusätzlich eingesetzt wird. Da dieser Anteil sinkt, schrumpft auch der im Wert der Ware enthaltene Mehrwert. Auf längere Sicht sinkt somit auch die Profitrate. Marx beschreibt diesen „Tendenziellen Fall der Profitrate“ im 3. Band des „Kapital“:

„Jedes individuelle Produkt, für sich betrachtet, enthält eine geringre Summe von Arbeit als auf niedrigern Stufen der Produktion, wo das in Arbeit ausgelegte Kapital in ungleich größrem Verhältnis steht zu dem in Produktionsmitteln ausgelegten. [...] Diese erzeugt mit der fortschreitenden relativen Abnahme des variablen Kapitals gegen das konstante eine steigend höhere organische Zusammensetzung des Gesamtkapitals, deren unmittelbare Folge ist, dass die Rate des Mehrwerts bei gleich bleibendem und selbst bei steigendem Exploitationsgrad der Arbeit sich einer beständig sinkenden allgemeinen Profitrate ausdrückt.“

Dies lässt sich auch statistisch nachweisen. Das Verhältnis von investiertem zu gewonnenem Kapital war nach dem Ende des 2. Weltkriegs größer als heute. KapitalistInnen versuchen, dem entgegenzuwirken. Da wird dann der Arbeitsdruck erhöht, Pausen gestrichen, die Arbeitszeit verlängert, Reallöhne sinken, betriebliche Sozialleistungen werden gestrichen. Diese Maßnahmen können den Fall der Profitrate vorübergehend, aber nicht auf Dauer aufhalten.

 

 

Der gesamte Schwerpunkt zu „Industrie 4.0“ der 262. Ausgabe:

Die Industrie stirbt. Oder wird als Industrie 4.0 erneuert. Die Beschäftigten kommen dabei unter die Räder. Und kann mit neuer Technologie eine Krise verhindert werden?

  • Titelseite: Die Zukunft der Industrie? Von Albert Kropf

https://www.slp.at/artikel/die-zukunft-der-industrie-8588#

  • Hauptartikel: Sind Roboter krisenfest? Von Sonja Grusch

https://www.slp.at/artikel/sind-roboter-krisenfest-8589

  • Zahlen und Fakten von Georg Kummer:

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-zu-industrie-8590

  • Marx aktuell: Von Maschinen und Profiten von Nicolas Prettner

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-von-maschinen-und-profiten-8591

  • Digitale Revolution – Soziale Reaktion? Von Thomas Hauer

https://www.slp.at/artikel/digitale-revolution-soziale-reaktion-8592

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Zahlen und Fakten zu Industrie

Georg Kummer

Industrie 4.0 bezeichnet den Einsatz von Robotern und über das Internet vernetzte Maschinen. Dadurch können Geräte und Anwendungen für alle Bereiche der Produktion miteinander kommunizieren, auch als „Internet der Dinge“ oder „Smart Production“ bezeichnet. Industrie 4.0 ist der Versuch, die Produktivität zu steigern. Bei den aktuellen Entwicklungen in der Industrie geht es vor allem um Flexibilisierung und Rationalisierung bestehender Arbeit und nur zum Teil um die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft.

 

In Österreich sinkt die Zahl der Beschäftigten im produzierenden Sektor (Industrie) zwischen 1976 und 2005 um 10%, die Bruttowertschöpfung pro Beschäftigtem steigt um 443% und die Produktivität dieses Sektors wächst um 343,5%. D.h., dass eine geringere Zahl an Beschäftigten deutlich mehr Waren in der selben Zeit produzieren kann.

 

Die Zahl der Industrieroboter steigt weltweit stark an. 2010 waren eine Million Roboter im Einsatz, 2019 sollen es 2,6 Millionen sein. In Deutschland kommen 301 Roboter pro 10.000 IndustriearbeiterInnen zum Einsatz, in Österreich sind es 128. Laut einer Studie von McKinsey können bei 49% aller Berufe mit heutiger Technologie ein Teil der Tätigkeiten automatisiert werden. Jedoch lassen sich weniger als 5% aller Jobs derzeit vollständig automatisieren. Bei 60% aller Arbeitsplätze gibt es aber wenigstens einen Anteil von 30% automatisierbarer Schritte. In den USA hat jeder neue Roboter den Verlust von 3,0 bis 5,6 Jobs im lokalen Einzugsgebiet zur Folge, bei den Löhnen hat jeder Roboter pro 1.000 Beschäftigten die Löhne in dem Gebiet um 0,25 bis 0,5% gedrückt.

 

Als digitale Revolution wird die Einführung von digitaler Elektronik und Computern sowie der modernen Telekommunikation bezeichnet. Während traditionell die Schwerindustrie die größten Profite erzielte, sind heute die Konzerne, die Forschung betreiben, Software und Algorithmen entwickeln, die profitabelsten. Dazu zählen Pharma- und Telekommunikationsunternehmen, Medienkonzerne und Unternehmen im Bereich Informationstechnologie. Der Anteil dieser Firmen am Profit aller US Unternehmen stieg von 25% 1999 auf 35% 2013.

 

 

Der gesamte Schwerpunkt zu „Industrie 4.0“ der 262. Ausgabe:

Die Industrie stirbt. Oder wird als Industrie 4.0 erneuert. Die Beschäftigten kommen dabei unter die Räder. Und kann mit neuer Technologie eine Krise verhindert werden?

  • Titelseite: Die Zukunft der Industrie? Von Albert Kropf

https://www.slp.at/artikel/die-zukunft-der-industrie-8588#

  • Hauptartikel: Sind Roboter krisenfest? Von Sonja Grusch

https://www.slp.at/artikel/sind-roboter-krisenfest-8589

  • Zahlen und Fakten von Georg Kummer:

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-zu-industrie-8590

  • Marx aktuell: Von Maschinen und Profiten von Nicolas Prettner

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-von-maschinen-und-profiten-8591

  • Digitale Revolution – Soziale Reaktion? Von Thomas Hauer

https://www.slp.at/artikel/digitale-revolution-soziale-reaktion-8592

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Sind Roboter krisenfest?

Der Kapitalismus hofft, seinen inneren Widersprüchen mit Industrie 4.0 zu entgehen – was nicht funktioniert.
Sonja Grusch

Die Voestalpine eröffnet ein neues Drahtwalzwerk, das „vollautomatisch“ mit „zwei Mitarbeitern und 2.000 Sensoren“ (Presse, 27.9.) arbeitet. Glaubt man den Schlagzeilen, stecken wir mitten drin in einer neuen Industriellen Revolution. Auf Dampfmaschine folgte Fließband, dann kamen die Computer hinzu. Nun sollen Roboter und Internet die nächste Revolution prägen. Tatsächlich ging DIE Industrielle Revolution im 18. und 19. Jahrhundert mit grundlegender gesellschaftlicher Veränderung einher. Proletariat und Bourgeoise wurden zu den zentralen Klassen und die Herrschaftsverhältnisse mit den bürgerlichen Revolutionen umgeworfen. Solche Veränderungen haben seither weder die Fließbandproduktion („Fordismus“) noch das Internet begleitet. Die Produktivität wurde erhöht, an den gesellschaftlichen Strukturen aber hat sich nichts geändert. Der deutsche Gewerkschafter Welf Schröter bezeichnet Industrie 4.0. als „reinen Marketingbegriff“.

Trotz Erholung von ein paar Prozentpunkten ist die Wirtschaft von einem soliden Aufschwung mit wachsendem Lebensstandard auch für die breite Masse der Bevölkerung weit entfernt. Der Vermögensverwalter Pimco schätzt die „Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den nächsten fünf Jahren auf rund 70%“. Auf die Krise von 2007/8 folgte kein Boom, sondern ein Dahintümpeln, in dem die Grundlagen für den nächsten Einbruch vertieft wurden. Die KapitalistInnen in Europa und den USA haben Angst, von China abgehängt zu werden. Längst wird dort nicht mehr nur kopiert, sondern auch selbst entwickelt: China ist z.B. zum Weltmarktführer bei erneuerbaren Energien aufgestiegen. SAP-Finanzvorstand Mucic beschreibt den Wirtschaftskrieg, wenn er sagt, dass „Unternehmen in den USA, in Europa und Asien (sich) rüsten“. Diese Aufrüstung erfolgt (neben politischen und auch militärischen Konflikten) aktuell durch den Einsatz neuer Technologie.

Die zentralen Aspekte von Industrie 4.0. sind: 1) durch den Einsatz neuer Technologie einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen herausholen, indem Arbeitskosten gespart werden und 2) Druck auf die Beschäftigten ausüben, sich der „neuen Arbeitswelt“ anzupassen, also billiger zu arbeiten. Auch wenn Visionen von der Herrschaft der Roboter völlig überzeichnet sind, so sind implantierte Chips, um die Beschäftigten zu kontrollieren ein Indiz dafür, worum es geht: die immer weitere Unterordnung der Menschen unter die Maschine. Allerdings im Interesse von Menschen – nämlich der kleinen Elite, der herrschenden Klassen, den KapitalistInnen, die von dieser Ausbeutung profitieren.

Dem Staat kommt dabei eine wichtige Rolle zu: die Politik soll den Rahmen schaffen, um die nationale Wirtschaft technologisch im Wettbewerb hoch zu rüsten. Und die Parteien liefern hier auch. In den Wirtschaftsprogrammen der Parlamentsparteien steht sowohl die Arbeitszeitflexibilisierung als auch die Technologieoffensive. Im Klartext: aus den Beschäftigten soll mehr herausgeholt werden. Die Lohn(neben)kosten sollen gesenkt und somit billiger als die Konkurrenz produziert werden. Und der Staat fördert Unternehmen bei der Modernisierung. Besonders wird hier auf „Start Ups“ gesetzt. V.a. in der Frühphase von Start-ups ist „reichlich öffentliches und privates Kapital verfügbar“ schreibt das GeldMagazin. Wobei es tatsächlich v.a. um Steuergeld geht: Öffentliche Förderungen v.a. von der Förderbank des Bundes (aws) und der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) sind hier die größte externe Kapitalquelle.

Der Nutzen dieser Strategie ist aus Sicht der Herrschenden vielfältig: Arbeitslose werden zu Versagern abgestempelt, weil ja angeblich jedeR mit einer guten Idee selbstständig werden kann. Also runter mit Arbeitslosengeld und Mindestsicherung. Die neugegründeten Kleinfirmen leben v.a. von der massiven Selbstausbeutung der „UnternehmerInnen“. Sind sie erfolgreich, werden sie häufig von großen Unternehmen aufgekauft. Die sparen sich teures Forschen im eigenen Unternehmen und kaufen erst das staatlich geförderte erfolgreiche Produkt der Forschung ein. Entgegen der Propaganda führt der ganze Prozess zu einer Konzentration. Große Unternehmen kaufen kleine auf bzw. fusionieren. Monopolisierung aber bremst die Forschung – wozu auch, wenn es keine Konkurrenz mehr gibt.

An den Grundwidersprüchen des Kapitalismus, die für dessen Krisenhaftigkeit verantwortlich sind, ändert sich auch mit neuer Technologie nichts. Einzelne Unternehmen oder auch Staaten verschaffen sich einen Vorsprung, andere ziehen nach. Weil aber menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt wird, sinkt damit die Profitabilität des eingesetzten Kapitals (siehe Kasten „Marx aktuell“). Die Firmen konkurrieren, das Chaos von Überproduktion und Fehlplanung bleibt also erhalten. Sinkt die Anzahl der Beschäftigten bzw. deren Einkommen, können die ArbeiterInnen die von ihnen an den Maschinen geschaffenen Werte immer weniger bezahlen. Die Firmen bleiben auf dem Produzierten sitzen. Im internationalen Maßstab verschärfen sich die Gegensätze ebenfalls, weil der Großteil der Robotisierung in wenigen Ländern stattfindet – man muss sich die Investition ja auch leisten können. Nicht nur national, sondern auch international beschneidet man mit der Modernisierung also gleichzeitig auch den eigenen Absatzmarkt. V.a. in den 1980er Jahren galt Japan als Vorreiter bei neuen Technologien. Vor der Krise hat das die japanische Wirtschaft nicht bewahrt, die im Gegensatz seit rund 25 Jahren nicht aus der Krise herauskommt. Die nächste Krise ist daher auch heute nur eine Frage der Zeit.

Die KapitalistInnen hoffen, dieser Krise zu entgehen und sitzen dabei ihrer eigenen Propaganda auf. Kapital fließt aus den Bereichen, wo die Renditen niedrig sind, in jene, wo höhere erwartet werden. Aber gerade weil die Basis alles andere als solide ist, entstehen „Blasen“. Aktuell ist das bei Technologieaktien der Fall, es wird schon von „irrationaler Euphorie“ gesprochen. Der US Nasdaq 100 Index, wo viele Technologieaktien gelistet sind, ist in den letzten fünf Jahren um 115% gestiegen, im Vergleich dazu der Dow Jones Industrieindex nur um 66%. Der TecDAX in Deutschland erlebte einen Höhenflug. Die Propaganda über Industrie 4.0 als Rettung des krisengeschüttelten Kapitalismus heizt die Börsen an. Doch der Höhenflug könnte schon wieder vorbei sein. Goldman-Sachs warnt bereits vor der Sorglosigkeit von Anlegern in Bezug auf die „Big 5“ (Apple, Amazon, Facebook, Alphabet, Microsoft). Eine Markt“erschütterung“ kann da schon mal in wenigen Stunden Börsenwerte von über 100 Milliarden Dollar vernichten (geschehen am 9. Juni 2017). Das Platzen von Blasen auf den Märkten hat schon in der Vergangenheit Krisen ausgelöst, wann die nächste folgt ist nur eine Frage der Zeit. Die Probleme, die zur Krise 2007/8 geführt haben, haben sich also nur auf höherer Ebene reproduziert. Gelöst wurde nichts.

Der Kapitalismus stellt sich also letztlich sogar als Hindernis für den Einsatz von moderner Technologie heraus. Verwendet wird, was sich „rechnet“. Und was ein Segen sein könnte, erzeugt unter kapitalistischen Vorzeichen Krise, Armut und Arbeitslosigkeit. Eine absurde Logik, die nur durch den Bruch mit der Profitlogik und damit dem Kapitalismus als Ganzes durchbrochen werden kann.

 

 

Der gesamte Schwerpunkt zu „Industrie 4.0“ der 262. Ausgabe:

Die Industrie stirbt. Oder wird als Industrie 4.0 erneuert. Die Beschäftigten kommen dabei unter die Räder. Und kann mit neuer Technologie eine Krise verhindert werden?

  • Titelseite: Die Zukunft der Industrie? Von Albert Kropf

https://www.slp.at/artikel/die-zukunft-der-industrie-8588#

  • Hauptartikel: Sind Roboter krisenfest? Von Sonja Grusch

https://www.slp.at/artikel/sind-roboter-krisenfest-8589

  • Zahlen und Fakten von Georg Kummer:

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-zu-industrie-8590

  • Marx aktuell: Von Maschinen und Profiten von Nicolas Prettner

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-von-maschinen-und-profiten-8591

  • Digitale Revolution – Soziale Reaktion? Von Thomas Hauer

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Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Die Zukunft der Industrie?

Smartphone & Co. haben unser Leben verändert – von einer Revolution sind wir aber weit entfernt.
Albert Kropf

Roboter, Smartphone und das Internet der Dinge. Der technische Fortschritt scheint mit Riesen-Schritten unser Leben zu verändern. Es wird uns das Bild einer rosigen Zukunft gemalt, in dem wir von Arbeit befreit sind, weil Maschinen alles machen. Doch anstatt uns darauf zu freuen, gibt es Angst. Als SozialistInnen sehen wir natürlich die technischen Möglichkeiten, unliebsame Arbeit auf ein Minimum zu reduzieren, positiv. Allerdings kann die Auswirkung des Einsatzes dieser neuen Technologien nicht unabhängig vom gesellschaftlichen Rahmen, in dem er stattfindet, gesehen werden.

Die Zukunft der „Arbeit“ ist spätestens seit der Wirtschaftskrise der 1970er Jahre ein wichtiges Thema. Die Schwerindustrie, bei uns v.a. die Verstaatlichte, taumelte von einer Krise in die nächste. Durch die zunehmende internationale Verflechtung wurde es billiger, Produkte zu importieren als zu produzieren. Der Prozess, der sich auch in vielen anderen industrialisierten Ländern Europas zeigte, wurde als „Strukturwandel“ bezeichnet.

Die Realität bedeutete massenhafte Kündigungen, Privatisierungen und Werksschließungen in ganz West- und nach dem Zusammenbruch des Stalinismus auch in Osteuropa. Für Österreich wurde durch die Sozialdemokratie und in ihrem Schlepptau die Gewerkschaften die Antwort in Form der „Modernisierung“ gegeben. Konkret hieß das auch staatlich unterstützte Rationalisierung, um die österreichische Wirtschaft im internationalen Vergleich konkurrenzfähiger zu machen.

„Digitalisierung“ war in aller Munde, die menschenleeren Roboter-Fabriken schienen in greifbarer Zukunft zu liegen. Obwohl es sich dabei, so wie heute, um nach außen hin „unabhängige“ Studien handelte, waren es im kapitalistischen Umfeld Drohungen in Richtung von Beschäftigten und Gewerkschaften, nach der Pfeife der Wirtschaft zu tanzen. Das Musterland war Japan. Die Beschäftigten hatten kaum Rechte, waren ans Unternehmen gebunden, trauten sich nicht einmal den ihnen zustehenden Urlaub zu konsumieren – der Traum der westlichen Konzernetagen. In Folge unterschrieben die Gewerkschaften in ganz Europa faule Kompromisse zur Rationalisierung und besonders Flexibilisierung der Arbeitskräfte.

In letzter Zeit ist die Debatte zurückgekehrt. Dieses Mal mit den Schlagwörtern „Industrie 4.0“, „Arbeitswelt 4.0“ oder Digitalisierung. Eine Studie der Oxford Universität geht davon aus, dass in den nächsten 25 Jahren 47% der Jobs in den USA verschwunden sein werden. Das österreichische Institut für Höhere Studien (IHS) spricht mittelfristig von 9% der Jobs (=360.000) in Österreich, die durch die neuen Technologien verloren gehen.

Digitalisierung, Industrie 4.0 und letztlich auch die menschenleere Roboter-Fabrik - keine leeren Drohungen. Die Flexibilisierung zwingt Millionen Beschäftige in krank machende Arbeitszeitmodelle und rund um die Uhr von Zuhause arbeiten via Smartphone.

Die Modernisierung der 1980er Jahre in Westeuropa hat die Produktivität nach oben schnellen lassen und den gesellschaftlichen Reichtum massiv von unten nach oben umverteilt. Die Rationalisierung mit der in der Globalisierung verlagerten Produktion in Billiglohnländer hat vielen Menschen ihre Arbeitsplätze und damit ihre Existenzgrundlage geraubt. Ganze Regionen in Europa sind der Deindustrialisierung zum Opfer gefallen. Sei es die Obersteiermark, das Südburgenland, das Ruhrgebiet in Deutschland, das französisch-belgische Industriegebiet oder Nord- und Mittelengland – überall dort gibt es für die Menschen keine ausreichenden Perspektiven mehr. Die Standortpolitik der Sozialdemokratie hat genauso versagt, wie das „Abfedern“ der schlimmsten Konsequenzen oder das Mitverhandeln der Flexibilisierung der Arbeitszeit durch die Gewerkschafsführung.

Andererseits ist die Realität in vielen Punkten weit hinter dem zurückgeblieben, was angekündigt worden war und sich im kollektiven Bewusstsein, z.B. in diversen Filmen, widerspiegelte. „Zurück in die Zukunft II“ spielt 2015, doch wir befinden uns auch heute nicht annähernd dort, wo der Film 2015 die technische Entwicklung wähnte. Das zeigt einerseits, dass hier auch eine gehörige Portion Propaganda der Herrschenden dabei ist und dass profitorientiertes Wirtschaften auch eine Technologiebremse ist.

Doch das alles ist kein vom Menschen unabhängiger Prozess, dem wir willenlos ausgeliefert sind. Es ist das Ergebnis menschlichen Schaffens und eines politischen Willens. Sorgen wir dafür, dass die Entwicklung nicht gegen, sondern für uns läuft.

 

Der gesamte Schwerpunkt zu „Industrie 4.0“ der 262. Ausgabe:

Die Industrie stirbt. Oder wird als Industrie 4.0 erneuert. Die Beschäftigten kommen dabei unter die Räder. Und kann mit neuer Technologie eine Krise verhindert werden?

  • Titelseite: Die Zukunft der Industrie? Von Albert Kropf

https://www.slp.at/artikel/die-zukunft-der-industrie-8588#

  • Hauptartikel: Sind Roboter krisenfest? Von Sonja Grusch

https://www.slp.at/artikel/sind-roboter-krisenfest-8589

  • Zahlen und Fakten von Georg Kummer:

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  • Marx aktuell: Von Maschinen und Profiten von Nicolas Prettner

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-von-maschinen-und-profiten-8591

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Erscheint in Zeitungsausgabe: 

100 Jahre Russische Revolution

100 Jahre Russische Revolution
Manuel Schwaiger

 

2017 scheint die Welt am Abgrund. Der Kapitalismus, in dem möglichst hohe Profite über allem stehen, zerstört Mensch und Umwelt. Eine Handvoll Menschen besitzt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, während Hunderttausende an Hunger oder heilbaren Krankheiten sterben. Millionen flüchten vor Krieg und Terror, während die Waffenindustrie fette Profite scheffelt. Umweltkatastrophen und Wetterextreme nehmen zu – die Welt taumelt in eine Klimakatastrophe, doch den Reichen sind ihre Profite wichtiger als Umweltschutz.

Doch bei der Russischen Revolution vor 100 Jahren gelang es, dieses System der Reichen zu beseitigen. Wer heute gegen den Kapitalismus kämpfen will, sollte sich mit diesem Ereignis auseinandersetzen und sowohl aus den Errungenschaften wie aus den Fehlern lernen.

1917 tobte der 1. Weltkrieg – Millionen starben für die Interessen der Banken und Konzerne. In der Folge wurde ganz Europa durch revolutionäre Entwicklungen erschüttert, doch nur in Russland konnten die ArbeiterInnen dem Großkapital die Macht entreißen.

Nach den Zerstörungen des Krieges hatten die ArbeiterInnen in ganz Europa das Vertrauen ins herrschende System verloren. In zahlreichen Ländern, wie Deutschland, Ungarn, Österreich und Russland, bildeten sich in den Betrieben Sowjets (russisch für Räte), demokratische Versammlungen der ArbeiterInnen. Sie übernahmen oft die Verwaltung ihrer Arbeitsstätten. Gerade in Russland wurde klar, dass der Kapitalismus und sein Staat nicht in der Lage sein würden, das soziale Elend zu überwinden oder auch nur den Krieg zu beenden. So übernahmen die Sowjets immer mehr Aufgaben und begannen Abgeordnete in regionale und landesweite Sowjetkongresse zu entsenden, die jederzeit abwählbar waren und nicht mehr verdienten als ihre KollegInnen.

In den meisten europäischen Ländern behielt die Sozialdemokratie die Führung der Bewegung. Deren AnführerInnen wollten eine Revolution ebenso verhindern wie die herrschende Klasse. In Deutschland ließen sie die Aufstände niederschießen. In Österreich gelang es ihnen, die Rätebewegung zu kontrollieren und den KapitalistInnen die Macht zurückzugeben. Revolutionäre Kräfte, die für die Machtergreifung der Räte argumentierten, waren noch zu schwach und unerfahren. Das erwies sich als fatal, denn die Widersprüche des Systems wurden nicht überwunden, sondern traten bald wieder offen zutage. Eine Entwicklung, die in Europa wenige Jahre später zu einer weiteren tiefen Wirtschaftskrise und schließlich zur Machtergreifung des Faschismus führte.

Anders in Russland. Mit der Bolschewistischen Partei gab es eine Organisation von RevolutionärInnen, die sich als Vorhut aller ArbeiterInnen und Unterdrückten verstanden. Ihre Mitglieder erarbeiteten sich in der Revolution von 1905 und danach das Vertrauen ihrer KollegInnen, sie übernahmen wichtige Aufgaben in den Sowjets, koordinierten Streiks und wenn nötig auch bewaffneten Schutz von ganzen Städten gegen weiße Armeen, die eine Militärdiktatur errichten wollten. Und sie verstanden, dass die ArbeiterInnenklasse nicht den kapitalistischen Staat übernehmen kann, sondern ihren eigenen Staat auf Basis der Sowjets aufbauen muss, wenn sie vom Elend befreit werden will.

Eine Lehre, die aktueller nicht sein könnte. Denn immer wieder bringen soziale Bewegungen den Kapitalismus ins Wanken, immer wieder bilden sich Ansätze demokratischer Selbstorganisierung, auch und gerade von ArbeiterInnen: die Selbstverteidigungsstrukturen gegen den Putschversuch in Venezuela 2002, die Plenas der bosnischen Protestbewegung 2014 oder jetzt die Selbstverteidigungskomitees der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.

Was all diesen Bewegungen fehlt, ist eine Partei wie die Bolschewiki, deren Mitglieder sich durch die Beteiligung bei sozialen Protesten ausbilden und die Anerkennung ihrer KollegInnen gewinnen, während sie mit einer klaren marxistischen Analyse auf den Aufbau eines sozialistischen, rätedemokratischen Systems hinarbeiten.

Die Räteregierung in Russland spielte eine Vorreiterrolle bei Frauenrechten- und LGBTQ+-Rechten, bei Umweltschutz und Vielem mehr. Den Bolschewiki war klar, dass eine Revolution in einem armen und unterentwickelten Land wie Russland nicht allein überleben konnte. Sie versuchten alles, um die ArbeiterInnen anderer Länder bei ihren Revolutionen zu unterstützen. Doch v.a. wegen der Rolle der Sozialdemokratie blieb Russland isoliert, der lange Bürgerkrieg zerstörte das Land weiter. Isolation, Zerstörung und Rückständigkeit waren der Nährboden, auf dem das bürokratische Regime des Stalinismus, der im Widerspruch zum Bolschewismus stand, seinen Aufstieg fand und viele der Errungenschaften wieder zunichte machte.

Doch bis heute hat die Russische Revolution nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt, denn sie hat gezeigt, wie der Kapitalismus beendet werden kann: Durch die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse, durch demokratische Organisierung in Betrieben und Stadtteilen, durch konsequenten Internationalismus und mithilfe einer revolutionären Partei.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Luther und 500 Jahre Reformation

Wer hat Grund zu feiern?
Von Ursel Beck

Die Luther-Dekade geht auf ihren Höhepunkt zu. Am 31. Oktober 2017 gibt es in ganz Deutschland einmalig einen Feiertag. Wer freut sich nicht über einen bezahlten arbeitsfreien Tag. Aber ist der „Reformationstag“ ein Grund zum Feiern?

Nie zuvor wurde in Deutschland über ein ganzes Jahrzehnt ein geschichtliches Ereignis und eine Person so gefeiert wie Luther und „500 Jahre Reformation“. Im Internet kursieren nachvollziehbare Berechnungen, wonach von 2008 bis 2017 mehr als 250 Millionen Euro an Steuergeldern für die „Luther-Dekade“ ausgegeben wurden. Das Luther-Jahr 2017 wird von der Bundesregierung mit 41 Millionen Euro bezuschusst. Überall gibt es Veranstaltungen und Ausstellungen. Die Medien stürzen sich auf das Luther-Jahr. Die Vermarktung von Luther geht von Büchern über Tourismus bis zur Playmobil-Figur und jede Menge Nippes.

Augustinermönch

Martin Luther wurde am 10. November 1483 geboren und starb im Alter von 62 Jahren am 18. Februar 1546. Über das Elternhaus von Luther ist bekannt, dass sein Vater erst Bauer, dann Bergarbeiter und schließlich Hüttenbesitzer war. Diese Herkunft aus dem sich entwickelnden Bürgertum erlaubte es ihm die Lateinschule zu besuchen und zu studieren. Wenige Wochen nach Beginn seines Jurastudiums in Erfurt im Jahr 1501 geriet Martin Luther bei einem Gewitter in Todesangst. Er versprach Mönch zu werden, wenn Gott ihn das Gewitter überleben lässt. Gegen den Willen seines Vaters trat er ins Kloster der Augustinereremiten in Erfurt ein. Die theologischen Diskussionen und seine Gewissensnot als selbsterklärter Sünder brachten ihn zu der Gnadentheologie des lateinischen Kirchenlehrers Augustinus, die den Protestantismus theologisch geprägt hat. Danach kommt der Mensch nur durch die Gnade Gottes in den Himmel. Der Vorstellung die Kirche könne Sünden durch Beichte, Geldzahlungen, Pilgerreisen und andere fromme Taten erlassen, wurde von der Gnadenlehre widersprochen. Luther wurde Professor für Bibelauslegung in Wittenberg. Seine Studenten sollten die Bibel selbst lesen. In der hebräischen Originalsprache, nicht in der möglicherweise falschen lateinischen Übersetzung.

Luthers Thesen und die Folgen

Am 31. Oktober 1517 soll Martin Luther seine 95 Thesen in Latein an die Tür der Wittenberger Schlosskirche angeschlagen haben. Historiker betrachten das inzwischen als Legende. In Wirklichkeit hat Martin Luther einen Beschwerdebrief gegen den exzessiven Ablasshandel an seine Kirchenoberen verfasst. Die 95 Thesen waren ein auf Latein verfasster Bestandteil dieses Briefes. Nur Gelehrte konnten das damals lesen und verstehen. Die Thesen von Luther waren noch keine rebellische Tat, sondern bewegten sich im Rahmen des religiösen Disputs zu dieser Zeit. Allerdings wollten sich der Papst und der Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg, ihr florierendes Geschäftsmodell „Sündenablass“ nicht durch einen Augustinermönch verderben lassen. Direkt nach Bekanntwerden von Luthers Thesen leitete Rom einen Ketzerprozess ein. Bei einem Verhör durch einen Bevollmächtigten des Papstes in Augsburg verweigerte Luther den Widerruf und flüchtet nach Wittenberg. Kurfürst Friedrich der Weise lehnte Luthers Auslieferung an Papst Leo X. ab.

1521 musste sich Luther in Worms vor dem Kaiser verantworten. Auch hier verweigerte er einen Widerruf. Der berühmte Satz „Hier stehe ich und kann nicht anders“ soll in diesem Zusammenhang nicht gefallen sein. Er wurde Luther später in den Mund gelegt. Die Verweigerung des Widerrufs führte dazu, dass Luthers Lehre verboten wurde. Außerdem wurde die Reichsacht über ihn verhängt. Das heißt er wurde für vogelfrei erklärt und jeder durfte ihn töten. Luther entzog sich einer Verfolgung durch Untertauchen als „Junker Jörg“ auf der Wartburg. 1529 wurde auf dem Reichstag zu Speyer die Reichsacht gegen Luther verlängert. Die Luther-Anhänger unter den Fürsten und Reichsstädten protestierten dagegen. Dadurch entstand der Begriff Protestantismus für die evangelische Kirche.

Luthers Absicht war nicht, die Kirche zu spalten. Er war zunächst nur gegen den sogenannten Peterserlass, den Ablasshandel des Papstes. Gegen den Ablass- und Reliquienhandel des Kurfürsten von Sachsen, der Luther beschützte, hatte er nichts einzuwenden. Die heftige Reaktion des Papstes auf die eigentlich milde Kritik ließ den Streit eskalieren. Als der Papst 1520 eine Bulle mit der Androhung des Banns an Luther schickte, verbrannte Luther diese mit seinen Studenten öffentlich. Das war ein bis dahin nicht dagewesener Affront gegen den Papst und stellte dessen Allmacht erstmals offen in Frage. Sein hitzköpfiger und derber Charakter führten Luther zu immer heftigeren Attacken und Hasstiraden bis hin zur Morddrohung gegen Papst und Kirchenfürsten.

„So wir Diebe mit Strang, Mörder mit Schwert, Ketzer mit Feuer strafen, warum greifen wir nicht viel mehr an diese schädlichen Lehrer des Verderbens als Päpste, Kardinäle, Bischöfe und das ganze Geschroürm (= Geschwür) der Römischen Sodoma mit allerlei Waffen und waschen unsere Hände in ihrem Blut ?“

„Der Papst ist der Teufel; könnte ich den Teufel umbringen, warum wollte ich´s nicht tun?“

Der mit Heftigkeit geführte Streit zwischen Luther und dem Papst war eine Art Katalysator für die sozialen, politischen und theologischen Aufbrüche und Umwälzungen im 16. Jahrhundert. Viele Mönche und Nonnen folgten dem Beispiel Luthers, verließen die Klöster, heirateten und verbreiteten die Lehre Luthers. Durch die Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache und das Predigen in Deutsch wurde der Inhalt der Bibel weit verbreitet. In Kirchen und auf öffentlichen Plätzen traten Prediger auf und verbreiteten die Reformationsideen. Das waren oft eigene theologische und sozialrevolutionäre Interpretationen, die nicht mit Luthers Ideen kompatibel waren.

Luther als Interessenvertreter von Fürsten und Bürgertum

Für Fürsten und das entstehende Bürgertum war Luther der rechte Mann zur rechten Zeit. Sie wollten nicht länger akzeptieren, dass sich der Papst mit dem Geld aus dem Ablasshandel den prächtigen Petersdom finanzierte. Sie wollten selber mehr Reichtum und Macht. Protestantische Fürsten ließen Klöster schließen. Die Besitztümer der Orden eignete sich der Adel an. Am meisten profitierte der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, von Luther. Die Universität Wittenberg wurde in der Zeit von Luther zur größten deutschen Universität. Luthers Veröffentlichungswut führte dazu, dass sich Druckunternehmen in Wittenberg ansiedelten. Das verhalf Bürgertum und Stadt zu weiterem wirtschaftlichen Aufschwung.

Von Prunk und Protz befreite Kirchen und die Verschlankung der Kirche in jeder Hinsicht, war im Interesse von Fürsten und des Bürgertums. Weniger Geld der Untertanen an die Kirche erhöhte den Spielraum für staatliche Steuern und für Investitionen in Handwerk und Industrie. Weniger Feiertage, weniger Messen, weniger Wallfahrten bedeuteten, dass die arbeitende Klasse der Bauern, Handwerker und Lohnarbeiter mehr Zeit für produktive und für die besitzende Klasse gewinnbringende Arbeit verbrachten. Hinzu kam ein Theologie die nicht nur Gehorsam, sondern Fleiß und hartes Arbeiten zur religiösen Pflicht erklärte. Der Protestantismus war also ein enormer Vorteil für die Durchsetzung des Kapitalismus.

Deutsche Sprache – Deutsche Nation

Anfang des 16. Jahrhunderts war die Amtssprache und die Sprache der Kirchenmessen Latein. Vor Luther gab es keine einheitliche deutsche Sprache. Durch die Flugschriften und die Luther-Bibel und deren Verbreitung wurde sie erstmals geschaffen. Zwischen 1520 und 1526 sollen etwa 11.000 Flugschriften mit schätzungsweise einer Gesamtauflage von elf Millionen Exemplaren erschienen sein. 1534 erschien die Vollbibel erstmals in Hochdeutsch. Im Laufe von Luthers Leben wurde davon ein halbe Million Exemplare verkauft. Auf Luther werden viele Wortschöpfungen und Redewendungen zurückgeführt: Lästermaul, Lockvogel, Gewissensbisse, Schandfleck, Bluthund, Feuereifer „der Wolf im Schafspelz“, das „Buch mit sieben Siegeln“, „Zähne zusammenbeißen“, „ein Herz und eine Seele“, „Perlen vor die Säue werfen“. Die Vereinheitlichung der Sprache durch die Reformation war ein Faktor zur Entwicklung einer nationalen Identität.

Im 16. Jahrhundert gab es keine deutsche Nation. Das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“ erstreckte sich von Flandern, Lothringen und Burgund im Westen bis Schlesien im Osten und von der Nordsee bis Oberitalien. Es war ein in unabhängige Territorien und freie Städte zersplittertes Reich. Hier lebten etwa 15 Millionen Menschen, davon nur knapp ein Viertel in Städten. Wegen des Fehlens einer weltlichen Zentralgewalt, hatte der Papst mehr Einfluss als in Frankreich und England.

Die Fürsten nutzten Luthers Opposition gegen den Papst, um dessen Einfluss zurückzudrängen und die eigene Macht auszubauen. Luther setzte in seiner Schrift „an den christlichen Adel deutscher Nation“ auf die nationale Karte, um die Fürsten zu Verbündeten zu machen: „Wie kommen wir Deutschen dazu, dass wir solch Räuberei, Schinderei unserer Güter vom Papst leiden müssen“. Glaubensbrüder und –schwestern in Italien, Frankreich und anderswo interessierten ihn nicht.

„Erster Rebell der Neuzeit“?

Für den „Spiegel“ ist Luther „Der erste Rebell der Neuzeit“…. ein moralischer Krieger… Das Erbe Luthers ist groß. Es gibt kaum jemanden, der dieses Land, seine Kultur und seine Menschen so geprägt hat, wie er.“ („Spiegel“ 44/2016). Margot Käßmann, offizielle Luther-Botschafterin der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), erklärt sich zur Verehrerin von Luther und schreibt: „Luthers Freiheitsbegriff hat große Konsequenzen nach sich gezogen. ‘Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’ als Parole der Französischen Revolution hat im Gedanken der Freiheit eines Christenmenschen durchaus Wurzeln. Am Ende ist der Bogen bis zur Aufklärung zu spannen.“

Die Ehrung, die Luther hier zuteil wird, hält einer geschichtlichen Prüfung nicht stand.

Luther war nicht der erste Rebell der Neuzeit. Vor ihm gab es Humanisten wie Erasmus von Rotterdam oder Thomas Morus. Sie lehnten die kirchliche Lehre ab, wonach das Leben nur dazu da sei, sich auf das Jenseits vorzubereiten. Sie wandten sich dem Diesseits zu und stellten den Menschen in den Mittelpunkt. Sie hatten erkannt, dass der Mensch einen eigenen Willen und die Fähigkeit hat, eine menschliche Gesellschaft zu entwickeln. Thomas Morus hatte bereits 1516 sein Utopia geschrieben, in der er die Vorstellung von einer Gesellschaft mit gemeinschaftlichem Besitz und Religionsfreiheit entwickelte. Durch Beobachtung und Erforschung von Mensch und Natur wurden Erkenntnisse gewonnen, die die Dogmen der Kirche vom Sockel stürzten. So hatte Kopernikus bereits erkannt, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums steht.

Gegen den Humanisten Erasmus von Rotterdam hetzte Luther: „Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig.“ Die Vernunft bezeichnete Luther als „des Teufels Hure“. Selbst den astronomischen Erkenntnisses des Kopernikus widersprach Luther, weil sie das Weltbild in der Bibel widerlegten.

Innerhalb der Kirche gab es schon 100 Jahre vor Luther Kirchenreformer. Der bekannteste war Jan Hus sowie sein Mitstreiter Hieronymus von Prag. Sie wetterten gegen den Ablasshandel, gegen die Gier und Scheinheiligkeit von Kirchenoberen und stellten den Papst als oberste Instanz der Religion in Frage. Viele Kirchenoberhäupter seien Abgesandte des Teufels. Das Konzil von Konstanz verdammte Jan Hus für seine Position und verbrannte ihn am 6. Juli 1415 wegen Ketzerei bei lebendigem Leib. Hieronymus von Prag endet im Mai 1416 auf dem Scheiterhaufen. Im Jahr 1439 machte die anonyme Schrift „Reformatio Sigismundi“ die Runde. Sie formulierte eine umfassende Gesellschaftskritik – auch an der Kirche: „Es ist ungeheuer, dass ein Christenmensch zum anderen sagen darf: Du bist mein Eigentum!“ Die Schrift fordert die Abschaffung der Leibeigenschaft, die Entlastung der hörigen Bauern, die Enteignung der Kirche und gleiche Rechte für alle Menschen. Im Jahr 1476 wurde die Schrift gedruckt und war bald im ganzen Reich bekannt. Hinzu kamen radikale Prediger, wie Hans Böheim. Er wurde bekannt als „Pfeiferhänslein“ und hatte 30.000 Bauern hinter sich. Sein Plan war ein bewaffneter Aufstand gegen den Bischof von Würzburg. Er wurde jedoch vor dem geplanten Aufstand festgenommen und am 19. Juli 1476 verbrannt.

Freiheit des Christenmenschen

Die Evangelische Kirche prahlt mit dem Freiheitsbegriff Luthers. Monatelang wurde dieses Jahr im öffentlichen Raum das Luther-Zitat plakatiert: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ Dieser von Luther viel zitierte Satz wird offensichtlich bewusst missinterpretiert. Es wird unterschlagen, dass der Text bei Luther wie folgt weitergeht: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Wie löst sich dieser Widerspruch auf? Im theologischen Sinne bedeutet die von Luther formulierte Freiheit, die Freiheit der geistigen Natur, oder der Seele, von der physischen Natur. Der Seelenzustand kann nur durch den Glauben und nicht durch äußere Umstände verändert werden. Heilige, Priester, Bischöfe und Päpste bedarf der Mensch nicht um in Kontakt mit Gott zu kommen. Darin bestand die mit der „Freiheit des Christenmenschen“ formulierte Attacke gegen den Papst. Gegenüber der politischen Obrigkeit bleibt für Luther die Knechtschaft und das Untertanendasein. Mit der von Luther gemeinten Freiheit war auch nicht Religionsfreiheit für andere reformatorischen Strömungen wie die Calvinisten oder die (Wieder)Täufer gemeint. Gegen sie war Luther auch ein Bündnis mit den Katholiken recht, um sie zu verfolgen.

Luther erhob seine Theologie zur Gotteslehre und verband damit einen Absolutheitsanspruch. Um die freie Interpretation der Bibel zu unterbinden, verlangte Luther bald, dass jeder Prediger einen Nachweis von der Amtskirche nachweisen müsse. Wenn nicht, sollte er dem Henker übergeben werden.

Antijüdische Haltung

Die religiöse Intoleranz von Luther traf auch die Juden. Nachdem der Versuch gescheitert war, sie zum Christentum zu bekehren, hetzte Luther gegen sie:

„Die Juden sind ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes Ding, dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen…; Man sollte ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecken, … unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien (…) ihre Häuser desgleichen zerbrechen und zerstören.“

Damit wurde Luther für den Faschismus zum Stichwortgeber für den Völkermord an den Juden. Hitler hat sich als Rechtfertigung für die Judenverfolgung auch auf Luther bezogen: „Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erste heute zu sehen beginnen.“

Und der evangelisch-lutherische Landesbischof Martin Sasse aus Eisenach erklärte nach der Reichspogromnacht: „Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird … die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt.“

Religiöser Fundamentalismus und Teufelsglaube

In der christlichen Religion spielt der Teufelsglaube eine große Rolle. Er wurde von Luther nicht ausgeräumt, sondern auf die Spitze getrieben. Luther selbst fühlte sich vom Teufel bedroht. Dieser Teufelsglaube führte dazu, dass in protestantischen Gegenden die Hexenverfolgung noch schlimmer war als in katholischen Gegenden. Luther war eindeutig ein religiöser Fundamentalist. Es stimmt nicht, wenn Margot Käßmann Luther als Vordenker der Französischen Revolution und der Aufklärung sieht. Er stand nicht für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Im Gegenteil. Er predigte: „Seid untertan der Obrigkeit“… „Der Christ muss sich, ohne den geringsten Widerstand zu versuchen, geduldig schinden und drücken lassen; weltliche Dinge gehen ihn nicht an, er lässt vielmehr rauben, nehmen, drücken, schinden, Schaben fressen und toben, wer da will, denn er ist ein Märtyrer auf Erden… Wo die Christenheit ist, da muss Blut kosten oder sind nicht rechte Christen. Es sind nicht Weideschafe, sondern Schlachtschafe, immer eins nach dem andern hin.“

Luthers reaktionäres Frauenbild

Luther forderte Bildung für beide Geschlechter. Es ging ihm dabei vor allem darum, dass jede und jeder die Bibel lesen könne. Gleichzeitig war er durch und durch frauenfeindlich.

„Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.“

„Es ist ein arm Ding um ein Weib. Die größte Ehre, die das Weib hat, ist, dass wir allzumal durch die Weiber geboren werden.“

„Die Ordnung fordert Zucht und eher, dass Weiber schweigen, wenn die Männer reden.“

„Unkraut wächst schnell, darum wachsen Mädchen schneller als Jungen.“

„Eine Frau hat häuslich zu sein, das zeigt ihre Beschaffenheit an; Frauen haben nämlich einen breiten Podex und weite Hüften, daß sie sollen stille sitzen.“

Die Haltung Luthers gegenüber Frauen kann nicht mit der Beschränktheit seiner Zeit erklärt werden. Frauen bewegten sich im Mittelalter sehr wohl außerhalb der häuslichen Sphäre. Auf dem Land gab es eine gewisse Selbstverwaltung, die von den DorfbewohnerInnen geregelt wurde. Frauen standen hier in einem kameradschaftlichen und gleichberechtigten Verhältnis zu den Männern. Auch bei den Bauernaufständen spielten Frauen eine Rolle. Historische Untersuchungen des Aufstands des „Armen Konrad“ von 1514 ergaben, dass in dokumentierten Einzelaktionen von etwa 170 Aufständischen, 91 Frauen erwähnt sind, darunter 79 Mütter. Frauen hatten die Naturmedizin entwickelt und waren Hebammen. Der berühmt Arzt Paracelsus (1493 bis 1541) gestand: „Alles Wissen, das ich über die Medizin und die Wirkung von Heilkräutern habe, weiß ich von den Hexen und den weisen Frauen.“ Frauen halfen dort wo die Priester nicht halfen und verfügten über Wissen, das zumindest im medizinischen Bereich begrenzten Einfluss auf das Leben nahm und damit für eine gewisse Selbstbestimmung sorgte. Die katholische und protestantische Kirche fühlte sich dadurch in ihrer Macht bedroht. Mit der Hexenverfolgung sollten die Frauen zurückgedrängt werden. Lieber sollten Frauen und Kinder bei der Geburt sterben und Menschen an heilbaren Krankheiten ihr Leben verlieren, als dass Frauen Gott ins Handwerk pfuschen.

Fürsten diktierten Religion

Die Reformation brachte der Bevölkerung keine Religionsfreiheit. Auf dem Reichstag in Augsburg 1555 wurde beschlossen „wessen Land, dessen Religion“ Gemäß dieses sogenannten „Augsburger Religionsfriedens“ mussten die Untertanen die Religion ihrer jeweiligen Fürsten übernehmen. Die religiöse Spaltung Deutschlands wurde besiegelt. Preußen wurde protestantisch. Menschen im Einflussbereich der Hohenzollern-Dynastie waren bis zur Übernahme durch Preußen 1850 katholisch. Der Einflussbereich der Habsburg-Monarchie blieb katholisch. Jeweils Andersgläubige mussten sich anpassen, als Märtyrer sterben oder auswandern. Nur in den freien Reichsstädten hatten beide Religionen das Recht zur Ausübung. Die Fürsten wurden durch die Reformation zusätzlich kirchliche Oberhäupter der protestantischen Kirche, die Priester ihre Beamten. Der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) mit geschätzten bis zu acht Millionen Toten war kein Religionskrieg, sondern ein religiös aufgeladener Krieg um Macht und Einfluss zwischen der kaiserlichen Zentralgewalt und den Landesfürsten. Aber wie bis heute in vielen Kriegen und Bürgerkriegen wurde die religiöse Spaltung genutzt, um die Bevölkerung gegeneinander aufzuhetzen und kriegswillig zu machen.

Luther und der Bauernkrieg

Zur Zeit von Luther, waren die Bauern die wichtigste produzierende Klasse. Der größte Teil ihrer Produktion wurde unproduktiv von Fürsten, Kaiser und Papst, Bischöfen, deren Kriege und Kreuzzüge, für Bau und Unterhaltung ihrer prunkvolle Burgen, Schlösser, Klöster und Kirchen verbraucht. Der Gegensatz zwischen den verarmten Bauern und ihren reichen Ausbeutern führte bereits seit 1470 immer wieder zu lokalen Unruhen und Aufständen. Auch die bereits vorhandene Schicht ausgebeuteter städtischen Handwerker und Lohnarbeiter beteiligte sich daran. Als Luther seine Theologie des direkten Kontakts mit Gott, der göttlichen Gnade und der Freiheit des Christenmenschen postulierte und die Allmacht des Papstes offen in Frage stellte, war das Ventil für das allgemeine Aufbegehren des „gemeinen Volkes“ geöffnet. Hinzu kam, dass die deutsche Übersetzung der Bibel für eine Schicht von Lesekundigen eine eigene Interpretation der Bibel ermöglichte und durch die Bibel die Bereitschaft zum Lesenlernen und die Lesefähigkeit enorm zunahm.

„Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann“? fragten die Ausgebeuteten und Unterdrückten und volksnahen Prediger, wie Thomas Müntzer. Thomas Müntzer hatte sich zunächst Martin Luther angeschlossen, der ihn als Prediger nach Zwickau sandte. Er traf dort auf die „Zwickauer Propheten“ um Nikolaus Storch. Sie prangerten die ungerechte Verteilung des Reichtums an und setzten sich für die Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes im Diesseits ein. Diese radikale Theologie der Befreiung führte zum Konflikt mit Luther und der Zwickauer Obrigkeit. 1521 musste Müntzer Zwickau verlassen. In Prag verfasste er ein Manifest. Müntzer erklärte: „Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk.“ Statt Privateigentum sollte es Gütergemeinschaft geben. Bauern, Bergleute und Handwerker wurden zu seinen Anhängern. Luther warnte die Fürsten 1524 in einem „Brief an die Fürsten zu Sachsen” vor dem aufrührerischen Geist. Thomas Müntzer schlug zurück mit einer Anti-Luther-Schrift gegen das „gaistlose sanfftlebene Fleysch zu Wittenberg.“

Der Aufstand der Bauern war nicht mehr aufzuhalten. In zwölf Artikeln legten sie dem Adel ihre Forderungen vor. Das waren unter anderem die Abschaffung der Leibeigenschaft, Entlastung von Frondienst und dem Zehnten, Rückgabe der Wälder und Weiden der Fürsten und Klöster an die bäuerliche Gemeinde, und die Wiedereinsetzung früherer Rechte. Zur Durchsetzung dieser Forderungen hatten die Bauern geheime lokale und regionale Organisationen wie den „Armen Konrad“ oder den „Bundschuh“ aufgebaut und einen bewaffneten Aufstand vorbereitet. Ausgehend vom Südwesten breitete sich der Aufstand 1524/25 schnell nach Franken, Hessen und Thüringen aus. Anführer waren oft verarmte Adlige und radikale Prediger wie Thomas Müntzer. Die aufständischen Bauern wurden jedoch von einer militärischen Übermacht verschiedener Fürsten beider Konfessionen niedergeschlagen und von anfänglichen Verbündeten in den Städten verraten. 100.000 Bauern wurden abgeschlachtet. Thomas Müntzer wurde gefangen genommen, gefoltert und am 27. Mai 1525 hingerichtet.

Anfangs hatte Luther die Forderungen der Bauern unterstützt und warf den Fürsten vor, dass sie durch ihre gnadenlose Ausbeutung selbst daran schuld seien, wenn sie die Bauern gegen sich aufbrächten. Doch er war nur für einen friedlichen Ausgleich. Im Bauernkrieg stellte sich Martin Luther auf die Seite der Fürsten und lieferte ihnen die theologische Rechtfertigung. In seinem Aufruf „wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ hetzt er: „Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muss! Darum, liebe Herren, loset hie, rettet da, steche, schlage, würge sie, wer da kann, bleibst du darüber tot, wohl dir, seligeren Tot kannst du nimmermehr bekommen.“ Die Hetze gegen Aufklärer, gegen Andersgläubige, gegen Frauen und die aufständischen Bauern, seine Aufrufe zu Mord und Totschlag zur Durchsetzung seiner religiös-fundamentalistischen Ansichten, charakterisieren Luther nach heutigen Maßstäben als Hassprediger. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Luther nicht der erste Rebell der Neuzeit war. Er war allerdings der erste Rebell der Neuzeit, der den Schutz von Fürsten hatte und deshalb nicht auf dem Scheiterhaufen landete. Seine Rebellion richtete sich nur gegen den Papst und dessen Bischöfe und Kardinäle. Die Geister, die er damit rief konnte er nicht mehr kontrollieren. Aber Luther „dieser Mönch verhinderte alles wirklich Progressive in der Reformation“ so Karl Marx.

Die von Luther ausgehende protestantische Kirche, die Entwicklung der deutschen Sprache, das von ihm geförderte Nationalbewusstsein machten Luther zu einem Helden für die herrschende Klasse. Das hat sich bis heute nicht geändert. In Zeiten in denen immer mehr Menschen den Kirchen den Rücken kehren und gleichzeitig der Islam an Einfluss gewinnt, geht es den wirtschaftlich Mächtigen, ihrem Staat und Kirchenfürsten darum Werbung zu machen für die angeblich beste aller Religionen. Das ist der Hintergrund für den Hype um Luther. Das rechtfertigt aus Sicht der Herrschenden den Einsatz von Millionen Euro an Steuergeldern und einen Tag Produktionsausfall am 31. Oktober 2017 von 0,1 Prozent des Wirtschaftswachstums oder zehn Milliarden Euro.

Ursel Beck ist Sprecherin der LINKE Stuttgart – Bad Cannstatt und in der Mieterbewegung aktiv. Sie ist Mitglied des SAV-Bundesvorstands (Schwesterorganisation der SLP in Deutschland)

 

3.+4.11.: Eine Welt zu gewinnen!

Ein Event voller Diskussionen über Widerstand und Solidarität in unsicheren Zeiten.

Mit AktivistInnen aus unterschiedlichen Bewegungen und internationalen Gästen:

    • Jess Spear aus den USA
    • Helmut Dahmer, Soziologe
    • Andreas Pittler, Krimiautor
    • Flora Petrik, KPÖ PLUS
    • Christine Heindl, Aufbruch
    • Lluís Lipp, Aktivist der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung

    und Musik von Holger Burner, Kid Pex und Disorder

    Programm am Freitag:https://www.slp.at/termine/eine-welt-zu-gewinnen

    Programm am Samstag:https://www.slp.at/termine/eine-welt-zu-gewinnen-0

    Party: https://www.slp.at/termine/live-konzert

     2017.Eine Welt am Abgrund. Eine Handvoll Menschen besitzt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, während Zehntausende täglich an Hunger, Durst oder heilbaren Krankheiten sterben. Millionen Menschen fliehen vor Krieg und Terror, während jedes Jahr 1,5 Billionen Euro für Aufrüstung ausgegeben wird. Diktatoren haben Aufwind und ein durchgeknallter Multimillionär sitzt im Weißen Haus. Die Klimakatastrophe rollt an, ohne dass irgendetwas dagegen unternommen wird. Jederzeit kann ein kleiner Schock die Weltwirtschaft wieder einbrechen lassen. Die ruhigen Zeiten sind endgültig vorbei. Die Realität widerlegt all die klugen Prognosen der so genannten ExpertInnen, die uns seit Jahren ein Ende der Krise prophezeien. Die Wahrheit ist vielmehr: Der Ausnahmezustand ist zur Normalität geworden. Die Krise hat erst angefangen. Wer kann schon sagen, wie die Welt in 5 Jahren aussieht? Die herrschenden Eliten haben versagt. Nicht einmal in den reichsten Ländern der Welt können sie uns Stabilität, geschweige denn Verbesserungen unseres Lebens garantieren. Im Gegenteil: Um ihr kaputtes System, den Kapitalismus, zu retten, zerstören sie soziale Standards durch Kürzungspolitik und verdammen Massen zur Arbeitslosigkeit. Sie haben uns nichts zu bieten. Nicht nur in Österreich kriechen Rechtsextreme aus ihren Löchern. Sie geben jenen die Schuld an den heutigen Zuständen, die am meisten unter ihnen leiden: Flüchtlinge. Arbeitslose. Sie präsentieren sich als Opposition zum Establishment – doch sie treten nur nach unten und halten damit den Herrschenden den Rücken frei. 1917.Vor 100 Jahren sah es ähnlich düster aus. Millionen wurden im 1. Weltkrieg unter dem Donner nationalistischer Parolen für die Profite imperialistischer Mächte getötet. Doch in Russland stürzten die Ausgebeuteten ihre Herrscher. Sie errichteten demokratische Strukturen, Räte, mit denen sie die Gesellschaft neu von unten organisierten. Sie wollten nicht mehr für die Profite einiger Weniger produzieren, sondern für die Bedürfnisse der Menschen. Sie wollten sich nicht mehr wie Schachfiguren abschlachten lassen, sondern internationale Solidarität und Frieden. Die russische Revolution war ein Leuchtfeuer der Hoffnung. Sie beendete den Krieg und inspirierte revolutionäre Aufstände auf der ganzen Welt. Doch sie scheiterten. Die Revolution wurde isoliert und angegriffen – die stalinistischen Diktaturen waren die Folge. Zahlreiche SozialistInnen kämpften jedoch weiter gegen Kapitalismus und Stalinismus. Ihre Theorien und die Erfahrungen der revolutionären Ereignisse sind heute aktueller denn je. Denn auch heute gibt es Hoffnung. Überall leisten Menschen Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Die Anzahl an Protesten, Streiks und Massenbewegungen steigt weltweit an. 2016 sahen wir den größten Streik der Menschheitsgeschichte in Indien. Trumps Amtsantritt löste die größten Demonstrationen der Geschichte der USA aus. Mit AktivistInnen aus verschiedenen Bereichen – von kämpferischen GewerkschafterInnen bis zu FlüchtlingsaktivistInnen – und mit internationalen Gästen diskutieren wir bei unserer Veranstaltungsreihe, wie wir heute gegen den Wahnsinn des Kapitalismus kämpfen können, und welche Lehren wir aus der Vergangenheit ziehen können. Denn damals wie heute haben wir nichts zu verlieren als unserer Ketten – aber eine Welt zu gewinnen. Programm: Freitag: 19:00 Podium: Die Bedeutung der Russischen Revolution - Damals und HeuteMit Helmut Dahmer (Soziologe, Herausgeber der Schriften Leo Trotzkis), Jess Spear (Aktivistin von Socialist Alternative,USA) Samstag: Workshops: 10:00 * 10 Tage, die die Welt erschütterten: Der Oktober 1917* USA – Nordkorea - China: Vom Wirtschafts- zum Weltkrieg?* Von der Willkommenskultur zu Obergrenzen: Wie konnte das passieren? 13:30 * Aus dem Schatten der Geschichte: Frauen und LGBTQI-Befreiung im revolutionären Russland* Soziales Pulverfass Balkan: Klassenkämpfe in Ex-Jugoslawien* Industrie 4.0 und Automatisierung: Erobern Roboter die Welt? 15:30 * Wer kämpfte gegen den Stalinismus? Die Geschichte der Linken Opposition* Kataloniens Kampf um Selbstbestimmung: Zerbrechen nun Spanien & EU?* Mit den Herrschenden Russisch reden: Der Jännerstreik in Österreich 1918  18:00 Diskussion: Nach der Wahl: Wie Widerstand gegen die neue Regierung aufbauen?Mit Flora Petrik (KPÖ PLUS), Christine Heindl (Aufbruch) und Sonja Grusch (SLP) 20:00 Lesung: Andreas Pittler: 1918/1927/1934 - Eine österreichische Tragödie ab 21:30 Revolutionäre Party: Live: Holger Burner // Kid Pex // Disorder

     

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