Betrieb und Gewerkschaft

KV-Runden: Mach’s wie Thomas!

Die Frühjahreslohnrunden bei Papier, Chemie und Elektro/Elektronik waren heuer lauwarm. Üblicherweise orientieren sich deren Abschlüsse an den Ergebnissen im Herbst davor. Inflation und Preistreiberei im Zuge des Ukrainekrieges mischten die Karten für das Frühjahr aber komplett neu.  Wie groß die Kampfbereitschaft für mehr war, zeigte Elektro-Betriebsrat und ISA-Aktivist Thomas Hauer auf. Er begann gleich zu Beginn der Verhandlungen in seinem Betrieb zu mobilisieren, indem er den kompletten Verhandlungsverlauf mittels Plakaten bekannt machte und so, anders als die Jahre zuvor, Diskussionen schon vor dem Ende entfachte. Schnell wurde während der Verhandlungen klar, dass sich diese heuer nicht auf den diplomatischen Kurs beschränken, da nach der ersten Verhandlungsrunde eine österreichweite Betriebsrätekonferenz einberufen wurde. Thomas startete eine Unterschriftenliste, die verlangte, dass die Forderung nach 6% Lohnerhöhung konsequent verteidigt wird. Weiters konnten die Kolleg*innen ankreuzen, ob sie dafür auch streiken würden. So kamen in drei Tagen 337 Unterschriften zusammen, wovon 290 Streikbereitschaft ankreuzten. Von den Angesprochenen waren gerade mal vier dabei, die nicht unterschreiben wollten.  Auf der Betriebsrät*innen-Konferenz berichtete Thomas von der Aktion, was sehr gut ankam. Weiters sprach er von der Notwendigkeit der Verbindung mit anderen Branchen und von Urabstimmungen, die dem Verhandlungsverlauf die Berechenbarkeit nehmen würden und die Entscheidung den betroffenen Kolleg*innen gibt. Das wurde von den Gewerkschaftsspitzen rund um ProGe-Chef Wimmer mit fadenscheinigen Argumenten abgewunken. Allerdings bekam das Thema selbst so viel Raum. Das Interesse an einem kämpferischen Kurs zeigte sich auch daran, dass wir dutzende Streikbroschüren und Zeitungen verkauften. Die Abschlüsse waren dann 4,9-5% bei den Mindestlöhnen, 4,75-4,8% bei den IST-Löhnen und eine Mindesterhöhung von 120-130 €, was in der Elektronik-/Elektroindustrie bis zu +6,7% bedeutet. Nicht ganz so schlecht wie in den letzten Jahren, aber weit hinter den Möglichkeiten!

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

So geht Kämpfen in Pflege und Sozialbereich!

Vorschläge, um die Situation der mehr als 250.000 Kolleg*innen in privater Pflege und Sozialeinrichtungen nachhaltig zu verbessern.
Michael Gehmacher, Betriebsrat ASB-WSD
  • Keine Verhandlungen wie jedes Jahr: Nach 3 Jahren Pandemie und einer massiven Teuerungswelle ist ein guter Abschluss für den unterbezahlten Pflege- und Sozialbereich besonders wichtig (v.a. nach dem schlechten 3-Jahresabschluss). 2018 gab es erste Warnstreiks und jedes Jahr zeigen mehr Kolleg*innen, dass sie kämpfen wollen. Eine offensive Bewegung für echte Verbesserung ist gewünscht und notwendig.
  • Es braucht Arbeitszeitverkürzung und Gehaltserhöhung: Wir brauchen einen Abschluss von mindestens 10% und 300 Euro Sockelbetrag (hilft kleineren und mittleren Einkommen). Aber eine Gehaltserhöhung darf nicht gegen die Umsetzung der 35-Stundenwoche (die schon bei den letzten Verhandlungen gefordert wurde) ab 2023 ausgespielt werden. Eine Arbeitszeitverkürzung ist dann ein erster wichtiger Schritt gegen Überlastung, wenn sie ohne Lohnverlust und mit zusätzlichem Personal erfolgt. Um eine weitere Arbeitsverdichtung zu verhindern, braucht es mindestens 20% mehr Personal!
  • Mobilisieren, kämpfen, Streiks jetzt vorbereiten: Von Anfang an braucht es einen Aktionsplan mit möglichst breiter Mobilisierung. 2020 haben viele Kolleg*innen v.a. aus dem Sozialbereich gestreikt. Während der Pandemie gab es viel Wut und viele Aktionen in der Pflege, die jetzt für Streiks genutzt werden müssen. Besonders wichtig wird es sein, Solidarität aus anderen Bereichen zu organisieren. Die Demonstration am 23.6. in Wien ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung und sollte auf alle Bundesländer ausgeweitet werden. Ein nächster nötiger Schritt sind Betriebrät*innenkonferenzen und Aktionen im Sommer. Im September müssen die beiden verhandelnden Gewerkschaften GPA und VIDA die Forderungen im Rahmen einer gemeinsamen bundesweiten Betriebsrät*innen- und Aktivist*innenkonferenz diskutieren und abstimmen. So werden die KV-Verhandlungen demokratisiert, viel mehr Betriebsrät*innen und Betriebe einbezogen. Das ist auch ein Signal der Stärke an Vereine und Regierungen. Wir brauchen dringend einen Abschluss über der Inflation, darum müssen wir den Kampf jetzt beginnen!
  • Diakonie, Caritas, Rotes Kreuz, SWÖ & Co. gemeinsam verhandeln und kämpfen: Ein erster Schritt, um die Spaltung in unserem Bereich zu überwinden ist es, sich auf gemeinsame zentrale Forderungen zu einigen und zumindest parallel die Verhandlungen zu führen, gemeinsam zu streiken und auch nur gemeinsam abzuschließen. 
  • Kämpferische Strategie braucht Demokratie: Demokratie ist kein Selbstzweck. Gerade in einer Branche mit so vielen kleinen Einheiten braucht es die aktive Beteiligung und echte Mitbestimmung. Denn es sind unsere Löhne/Gehälter und es ist unser Risiko, wenn wir streiken. Neben Betriebsrät*innenkonferenzen braucht es eine Organisierung der Kolleg*innen von unten. Ein möglicher KV-Abschluss muss einer Debatte in den Betrieben und einer demokratischen Urabstimmung unterzogen werden.
  • Organisierung von unten: Weil die Gewerkschaftsführung in den letzten Jahren keine entsprechende Strategie umgesetzt hat, müssen wir uns selbst organisieren und uns dafür einsetzen. Betriebsrät*innenkonferenz (30.5.) und Demonstration (23.6.) sind richtige Schritte, die wir nutzen müssen, um schon vor Verhandlungsbeginn ein starkes Zeichen zu setzen. Darauf können wir aufbauen! Organisieren wir uns im Betrieb und über Betriebe hinaus, um nicht nur den Arbeitskampf so stark wie möglich zu machen, sondern auch einen konsequenten Kurs von der Gewerkschaft einzufordern und zu erkämpfen. 
  • Ausfinanzierung ist möglich und nötig: Die Coronahilfen für Unternehmen und die Aufrüstungspläne zeigen, dass ausreichend Geld da ist. Die Organisierung und kämpferische KV-Verhandlungen sind daher auch notwendig, um zu verhindern, dass die Kosten für Krieg und Krisen auf dem Gesundheitsbereich abgeladen werden und um für ein Gesundheits- und Sozialsystem zu kämpfen, in dem Beschäftigte und Betroffene zählen und nicht Kostenoptimierung.
Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Sozialbereich bereitet heißen Herbst vor

Kämpferische Demonstration zum Auftakt der SWÖ-Verhandlungen fordert mehr Geld für den Gesundheits- und Sozialbereich!

 

Wir haben uns am Donnerstag den 23.6. als ISA (früher SLP) an der Demonstration zum Auftakt der SWÖ-Verhandlungen beteiligt. Für uns hat die Arbeit in diesem Bereich, die Unterstützung von Strukturen und Kämpfen besondere Bedeutung. Das gilt für die ISA (früher SLP) ebenso wie für die sozialistisch-feministische Initiative ROSA.

Es gibt aktuell kaum einen anderen Bereich, in dem es für die Arbeiter*innenbewegung und die politische Linke im nächsten Jahr die Möglichkeit für einen größeren Durchbruch gibt, wo reale Verbesserungen für Kolleg*innen erkämpft werden können. Und es geht nicht nur um die Arbeitsbedingungen: Arbeitskämpfe im Sozial- und Gesundheitsbereich sind immer politische Kämpfe. Im Kern geht es um die Frage worum es in unserer Gesellschaft gehen soll: um die Profite von Wenigen oder um die Leben, Gesundheit und Versorgung von Vielen. Der Arbeitskampf ist daher auch eine Chance die Perspektive eines anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem einzubringen. Es ist die Verantwortung von sozialistischen Aktivist*innen, der feministischen und der Arbeiter*innenbewegung alles dafür zu tun um den kämpferischen Betriebsrät*innen und Kolleg*innen in der Branche zum Durchbruch zu verhelfen.

Einen ausführlichen Artikel zu den Verhandlungen findet ihr hier: https://www.slp.at/artikel/echte-verbesserungen-in-pflege-und-sozialbere...

Wir veröffentlichen einen Bericht der kämpferisches Basisinitiative „Wir sind sozial aber nicht blöd“ von der Demonstration am 23.6.2022:

 

Kämpferische Demonstration zum Auftakt der SWÖ-Verhandlungen fordert mehr Geld für den Gesundheits- und Sozialbereich!

Trotz zurückhaltender Bewerbung durch die zuständigen Fachgewerkschaften demonstrierten gestern über 400 Kolleg*innen aus dem privaten Gesundheits- und Sozialbereich für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Die Demonstration wurde vor allem organisiert von einer Aktionsgruppe aus Betriebsrät*innen die schon deutlich vor dem Start der Lohnverhandlungen im September ein deutliches Zeichen setzen wollten. 

Aber am wichtigsten war die kämpferische Stimmung unter den teilnehmenden Kolleg*innen. Nach mehr als 2 Jahren Pandemie gibt es eine enorm große Stimmung für deutliche Verbesserungen zu kämpfen. Gleichzeitig waren die negativen Auswirkungen des letzten 3 Jahresabschluss deutlich sichtbar. Sowohl unter den Redner*innen als auch unter den Demoteilnehmer*innen wurde massive Kritik an dem undemokratischen Abschluss vor 2 Jahren geübt. Viele Kolleg*innen merkten auch an, dass es der letzte Abschluss jetzt auch schwieriger macht Kolleg*innen für die Lohnrunde zu mobilisieren – eine Warnung vor jedem weiteren schlechten Kompromiss hinter dem Rücken der Kolleg*innen. 

„Sozial, aber nicht blöd“ beteiligte sich mit Flyern, Tafeln und einem kämpferischen Block an der Demonstration. Dabei betonten wir vor allem, dass es in diesem Jahr mit Rekordteuerung und Pandemie keinen Abschluss wie jedes Jahr sondern einen deutlichen Sprung nach vorne braucht. Ein guter Schritt in diese Richtung wären die Forderungen der Betriebsrät*innenkonferenz der Wiener GPA unter anderem nach 750€ mehr pro Monat und einer 35-Stundenwoche ab 1.1.2023 auch zu den bundesweiten Forderungen werden (hier ein Bericht von der Konferenz: https://www.facebook.com/sozialabernichtbloed/photos/a.578322722240761/7...). Gleichzeitig haben wir aber auch eingebracht, dass die Durchsetzung dieser, oder ähnlichen Forderungen, eine deutlich breitere Streikbewegung braucht die wir schon jetzt aufbauen müssen. Gleichzeitig betonten SANB Aktivist*innen auch in ihren Reden die Forderung nach einer demokratischen Kontrolle des Arbeitskampfes unter anderem durch Urabstimmungen über das Verhandlungsergebnis. Um das alles umzusetzen wird es nicht ausreichen sich einfach nur an Mobilisierungen der Gewerkschaft zu beteiligen, sondern es braucht eine selbstständige Mobilisierung von unten. Deshalb haben wir die Chance auch genützt um Demoteilnehmer*innen dazu einzuladen mit SANB aktiv zu werden. Mehr als 50 der 400 Teilnehmer*innen haben sich in unsere Streikbereit-Listen eingetragen um mehr Infos zu bekommen oder aktiv zu werden. 

Wir wollen den Sommer nützen um uns auf die KV-Verhandlungen im Herbst vorzubereiten. Die nächste Gelegenheit dafür ist unser offenes Treffen am 29.6.2022. Kommt vorbei.

(Foto Komintern)

Echte Verbesserungen in Pflege und Sozialbereich - So könnte es gehen!

So können die Forderungen der Betriebsrät*innenkonferenz nach 750€ mehr und eine 35 Stundenwoche ab 1.1.2023 erreicht werden.
von Michael Gehmacher (Betriebsrat ASB-WSD) und Christoph Glanninger (ISA-Bundesleitung)

Im Herbst finden nach dreijähriger Pause wieder Kollektivvertragsverhandlungen im privaten Gesundheits- und Sozialbereich (SWÖ, Sozialwirtschaft Österreich) statt und vor dem Sommer gab und gibt es die ersten Aktionen. Die Betriebsrät*innenkonferenz des Wiener Wirtschaftsbereich 17 (in der Gewerkschaft zuständig für den privaten Gesundheits- und Sozialbereich) hat die Forderung nach 750€ mehr und einer 35 Stundenwoche ab 1.1.2023 beschlossen. Nun geht es darum, dies auch zu erreichen.

Diese Verhandlungen sind besonders wichtig nicht nur für die Beschäftigten sondern auch für die Arbeiter*innenbewegung insgesamt und für Sozialist*innen und “Linke”. In diesem Artikel gehen wir darauf ein, warum diese Verhandlungen so wichtig sind und arbeiten zentrale Punkte für die bevorstehende Auseinandersetzung heraus. 

Warum ist die Auseinandersetzung so wichtig?

Nach 3 Jahren Pandemie sind viele Kolleg*innen am Ende. Die Situation in vielen Pflegeheimen und Sozialeinrichtungen war vergleichbar (teilweise aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit sogar schlimmer) wie in den Krankenhäusern. Die Bezahlung ist teilweise noch schlechter. Immer mehr Kolleg*innen überlegen sich einen Berufswechsel - ohne massive Verbesserungen droht ein Teufelskreis. 

In den Jahren vor dem letzten, dem Dreijahresabschluss hat sich der Gesundheits- und Sozialbereich zu einem der kämpferischten Branchen entwickelt. 2018, 2019 und 2020 fanden im Rahmen der Lohnverhandlungen immer Mobilisierungen, Proteste und größere Streikbewegungen statt, bevor die Gewerkschaftsspitze dieser Dynamik mit dem Dreijahresabschluss hinter dem Rücken der Kolleg*innen den Wind aus den Segeln genommen hat. Ein Anknüpfen an diese kämpferischen Traditionen von vor der Pandemie kann nun zum Vorbild für andere Branchen werden. Das gilt besonders auch für andere “Frauenbranchen” und ist auch ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die verschiedensten feministischen Proteste: einerseits sind im Sozialbereich die Beschäftigten mehrheitlich weiblich, aber auch von den Leistungen im Sozialbereich profitieren vor allem Frauen. Deshalb und auch weil wir alle von besserer Versorgung und besseren Arbeitsbedingungen profitieren geht diese Auseinandersetzung uns alle etwas an. 

7 Punkte für die SWÖ-Verhandlungen

Gerade weil es bei den bevorstehenden Verhandlungen um so viel geht ist es besonders wichtig eine Strategie zu entwickeln die auch tatsächlich erfolgreich sein kann. Wir glauben die 7 wichtigsten Punkte dafür sind:

  • Keine Verhandlungen wie jedes Jahr: Nach 3 Jahren Pandemie und einer massiven Teuerungswelle können wir uns Verhandlungen und einen Abschluss “wie sonst auch” nicht leisten. 2018 gab es erste Warnstreiks und die Zahl der kampfbereiten Kolleg*innen steigt jedes Jahr. Auch jetzt zeigen das erste gewerkschaftliche Aktionen und Stimmungsberichte. Aber das bedeutet auch, dass es sowohl bei den Forderungen als auch bei der Eskalations- und Arbeitskampfstrategie eine Abkehr vom klassischen sozialpartnerschaftlichen Ablauf und einen entschlossenen Kampf um echte Verbesserungen braucht. Wenn das nicht passiert besteht auch eine große Gefahr: Kolleg*innen werden sich resigniert vom Widerstand oder sogar vom Bereich insgesamt abwenden. 

  • Es braucht Arbeitszeitverkürzung und Gehaltserhöhung: Die Betriebsrät*innenkonferenz des Wiener Wirtschaftsbereich 17 (in der Gewerkschaft zuständig für den privaten Gesundheits- und Sozialbereich) hat die Forderung nach 750€ mehr und einer 35 Stundenwoche ab 1.1.2023 beschlossen. Diese Forderungen zeigen, dass die zuständigen Betriebsrät*innen sich nicht mehr länger mit Kleinigkeiten abspeisen lassen wollen. Es braucht deutliche Verbesserungen bei Gehalt und Arbeitszeit. Sollte die Gewerkschaft versuchen, von diesen beschlossenen Zielen abzugehen, müssen wir das verhindern! Besonders wichtig ist es dabei auch bei der Arbeitszeitverkürzung keine halben Schritte mehr zu machen, die nur zu Arbeitsverdichtung führen. Deshalb braucht es die 35 Stundenwoche ab 1.1. mit insgesamt mindestens 20% mehr Personal.

  • Mobilisieren, kämpfen, Streiks jetzt vorbereiten: Uns muss klar sein, dass eine entsprechend hohe Forderung nur durch einen deutlich intensiveren und breiteren Arbeitskampf gewonnen werden kann. Deshalb braucht es von Anfang an einen Aktionsplan der Kampfkraft aufbaut und eine möglichst breite Mobilisierung sicherstellt. 2020 haben viele Kolleg*innen v.a. aus dem Sozialbereich gestreikt. Während der Pandemie gab es viel Wut und viele Aktionen in der Pflege, die jetzt für diese Streikbewegung genutzt werden müssen. Besonders wichtig wird es sein, Solidarität aus anderen Bereichen zu organisieren. Die Demonstration am 23.6. in Wien ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung und sollte auf alle Bundesländer ausgeweitet werden. Eine wichtige Unterstützung ist ein Solidaritätskomitee, bei dem sich Klient*innen und ihre Angehörigen aber auch Organisationen aus der politischen und feministischen Linken sowie aus der Zivilgesellschaft bzw. Nachbarschaften oder Selbstorganisationen von Klient*innen und Patient*innen einbringen können. Optimalerweise organisiert die Gewerkschaft ein solches Komitee, tut sie es nicht, müssen wir auch hier selbst aktiv werden. Auch der Schulterschluss zu anderen Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst ist dringend nötig - von einem guten Abschluss im Gesundheits- und Sozialbereich profitieren schließlich alles. Gerade bei den Verhandlungen der Metaller*innen sollte gegenseitige Solidarität und ein gemeinsamer Kampf aufgebaut werden - im Idealfall macht man einen guten SWÖ-Abschluss zur Voraussetzung für einen Abschluss z.B. im besser organisierten und stärkeren Metallbereich. Zur Vorbereitung der Verhandlungen braucht es Betriebsversammlungen und Betriebrät*innenkonferenzen und Aktionen im Sommer. Im September müssen die beiden verhandelten Gewerkschaften GPA und VIDA die Forderungen im Rahmen einer gemeinsamen bundesweiten Betriebsrät*innen- und Aktivist*innenkonferenz diskutieren und abstimmen. Hierzu gehört auch der Austausch mit anderen Branchen - nicht nur auf Spitzenebene, sondern durch wechselseitige Besuche und Unterstützung. So werden die KV-Verhandlungen demokratisiert, viel mehr Betriebsrät*innen und Betriebe einbezogen. Das ist auch ein Signal der Stärke an Vereine und Regierungen. Wir brauchen dringend einen Abschluss über der Inflation, darum müssen wir den Kampf jetzt beginnen! Und ja: kämpfen im Sozial- und Gesundheitsbereich ist schwierig aber möglich!

  • Diakonie, Caritas, Rotes Kreuz, SWÖ & Co. gemeinsam verhandeln und kämpfen: Ein erster Schritt um die Spaltung in unserem Bereich zu überwinden ist es, sich auf gemeinsame zentrale Forderungen zu einigen und zumindest parallel die Verhandlungen zu führen, gemeinsam zu streiken und auch nur gemeinsam abzuschließen. Bei den letzten Verhandlungen gab es erste Schritte in diese Richtung die jetzt ausgebaut werden müssen. 

  • Kämpferische Strategie braucht Demokratie: Demokratie ist kein Selbstzweck. Gerade in einer Branche mit so vielen kleinen Einheiten braucht es die aktive Beteiligung und echte Mitbestimmung. Denn es sind unsere Löhne/Gehälter und es ist unser Risiko, wenn wir streiken. Neben regelmäßigen Betriebsrät*innenkonferenzen braucht es eine Organisierung der Kolleg*innen von unten. In Wien gibt es eine Aktionsgruppe bestehend aus Betriebsrät*innen und Gewerkschafter*innen aus der GPA, die für die Planung von Aktionen zuständig sind. So eine Gruppe ist ein wichtiger Schritt nach vorne und kann durch Ausweitung (auch auf Betriebe) und demokratische Legitimierung eine wichtige Rolle im Arbeitskampf spielen. Ein nächster Schritt könnte es sein schon Anfang Herbst in Betrieben Streik- bzw. Verhandlungskomitees in allen Betrieben zu bilden um den Arbeitskampf in den Betrieben zu organisieren. Durch eine regionale und bundesweite Vernetzung könnte ein so gebildetes bundesweites Streikkomitee aber auch den gesamten Arbeitskampf auf deutlich breiterer Basis demokratisch organisieren. Ein möglicher KV-Abschluss muss einer Debatte in den Betrieben und einer demokratischen Urabstimmung unterzogen werden.

  • Organisierung von unten: in den letzten Jahren hat die Gewerkschaftsspitze leider nicht selbständig so eine Strategie umgesetzt. Deshalb ist es umso wichtiger sie bewusst von unten einzufordern. Die Vorbereitungen für die Verhandlungen in der Wiener GPA mit der Betriebsrät*innenkonferenz am 30.5. und der Demonstration am 23.6. sind richtige Schritte, die man auch in anderen Bundesländern aufgreifen sollte. Aber darüber hinaus braucht es eine selbstständige Organisierung von kämpferischen Betriebsrät*innen und aktiven Kolleg*innen um die Interessen der Basis zu jedem Zeitpunkt der Verhandlungen aktiv einzubringen. Sozial aber nicht blöd, eine kämpferische Basisinitiative im Gesundheits- und Sozialbereich setzt sich das Ziel genau das gemeinsam mit anderen zu machen. Wir wollen Kolleg*innen und solidarische Menschen aus unterschiedlichen Einrichtungen zusammenbringen, Erfahrungen austauschen und Aktionen organisieren - um einerseits den Arbeitskampf so stark wie möglich zu machen, aber auch von der Gewerkschaftsspitze die notwendigen Schritte einzufordern und zu erkämpfen. 

  • Ausfinanzierung ist möglich und nötig: Die Coronahilfen für Unternehmen und die Aufrüstungspläne zeigen, dass ausreichend Geld da ist. Aber mehr als 2 Jahre Pandemie haben leider gezeigt, dass die Regierung keinerlei Interesse daran hat mehr Geld in Gesundheit und Soziales zu stecken - vielmehr versucht sie den Bereich stillschweigend kaputtsparen. Wir können davon ausgehen, dass sie in den nächsten Jahren auch versuchen werden die Kosten für Corona, Krieg und Krise auf uns abzuladen. Gerade deshalb ist Organisierung und kämpferische KV-Verhandlungen nicht nur notwendig um den Abschluss zu erkämpfen den wir brauchen sondern auch in den nächsten Jahren zu verhindern, dass wir für ihre Krisen zahlen müssen. Die Ausfinanzierung des Bereichs ist nötig als Basis für ein Gesundheits- und Sozialsystem in dem Beschäftigte und Betroffene zählen und nicht Kostenoptimierung und Profit. 

Chance und Verantwortung für die Arbeiter*innenbewegung und Linke

Auf unserer Bundeskonferenz im April haben wir uns intensiv mit Perspektiven für Wirtschaft, Gesellschaft aber auch Klassenkämpfe beschäftigt. Dass der Sozialbereich hier eine zentrale Rolle einnimmt ist offensichtlich. Für uns hat daher die Arbeit in diesem Bereich, die Unterstützung von Strukturen und Kämpfen besondere Bedeutung.  Das gilt für die ISA (früher SLP) ebenso wie für die sozialistisch-feministische Initiative ROSA.

Es gibt aktuell kaum einen anderen Bereich, in dem es für die Arbeiter*innenbewegung und die politische Linke im nächsten Jahr die Möglichkeit für einen größeren Durchbruch gibt, wo reale Verbesserungen für Kolleg*innen erkämpft werden können. Und es geht nicht nur um die Arbeitsbedingungen: Arbeitskämpfe im Sozial- und Gesundheitsbereich sind immer politische Kämpfe. Im Kern geht es um die Frage worum es in unserer Gesellschaft gehen soll: um die Profite von Wenigen oder um die Leben, Gesundheit und Versorgung von Vielen. Der Arbeitskampf ist daher auch eine Chance die Perspektive eines anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem einzubringen. Es ist die Verantwortung von sozialistischen Aktivist*innen, der feministischen und der Arbeiter*innenbewegung alles dafür zutun um den kämpferischen Betriebsrät*innen und Kolleg*innen in der Branche zum Durchbruch zu verhelfen.

Wir laden alle Einzelpersonen, Zusammenhänge und Gruppe dazu ein mit uns und mit der Basisinitiative Sozial aber nicht blöd in Diskussion zu treten darüber wie das gelingen kann. 

 

Es reicht! Wir brauchen Kampfmaßnahmen gegen Teuerung und Krise!

ISA-Flyer für die Teuerungskonferenz
  • Automatische Anpassung von Löhnen/Gehältern und Sozialleistungen an die Inflation, Verhandlungen über Reallohnerhöhungen!

  • Weg mit Umsatz- und Mehrwertssteuer - Her mit der Vermögenssteuer!

  • Milliardeninvestitionen in Gesundheit, Bildung, Soziales und Klima!

  • Für einen Aktionsplan ab sofort und einen bundesweiten Aktions- und Streiktag im September zur Durchsetzung unserer Forderungen!

Das ganze System ist in der Krise. Der Gesundheits- und Sozialbereich stehen am Rand des Zusammenbruchs während die Konzernen Extraprofite machen. Die Inflation ist höher als die Politik zugibt, viele Kolleg*innen haben zu Recht Angst um ihre Existenz. Und nun wollen sie uns auch noch die Kriegs- und Aufrüstungskosten umhängen.

Gut, dass der ÖGB heute so viele Kolleg*innen zusammenbringt. ABER: symbolische Aktionen und Appelle reichen schon längst nicht mehr: wir brauchen einen echten Kurswechsel und einen Aktions- und Kampfplan! Wir können es uns nicht mehr leisten, zu hoffen und zu bitten. Wir brauchen JETZT den Aufbau von Kampfkraft um die für uns dringend notwendigen Forderungen durchzusetzen. 

Pflegereform & Frühjahrslohnrunden zeigen Sackgasse der Sozialpartnerschaft

Sowohl die Pflegereform als auch die Frühjahrslohnrunde bleiben weit hinter dem zurück, was nötig ist. Es ist nicht die Aufgabe der Gewerkschaftsführung faule Kompromisse auszuhandeln sondern sie muss Streiks und andere Kampfmaßnahmen zur Durchsetzung unserer Forderungen organisieren.

Vorbild privater Gesundheits- und Sozialbereich und Linzer Universitätskliniken

Die gute Beteiligung an vielen gewerkschaftlichen Mobilisierungen zeigt die Kampfbereitschaft der Kolleg*innen.  Das zeigt die Kampfbereitschaft! Die Lohnverhandlungen im Gesundheits- und Sozialbereich starten schon deutlich vor Forderungsübergabe mit ersten Mobilisierungen und einer Wiener Betriebsrät*innenkonferenz. Diese hat Forderungen nach +750€ und der 35-Stundenwoche ab 1.1.2023 beschlossen. Richtig so! Wir dürfen uns bei unseren Forderungen nicht daran orientieren, was die Bosse vielleicht hergeben, sondern daran was wir brauchen. Wie viel wir durchsetzen ist eine Frage der Kampfkraft. Die Linzer Universitätskliniken haben für 21.6. einen Warnstreik zur Durchsetzung von Unterstützungspersonal, Arbeitszeitverkürzung und 20% mehr Personal angekündigt.

  • Am 23.6. demonstriert der Sozialbereich - Unterstützen wir die Kolleg*innen, denn gemeinsam sind wir stärker!

JETZT mit Aktionsplan beginnen

Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Wenn die Gewerkschaftsbewegung angesichts der größten Reallohnverluste in der Nachkriegszeit und zahlreichen historischen Krisen nicht in die Gänge kommt, dann werden sich viele Kolleg*innen enttäuscht abwenden und die Bosse diese Schwäche für weitere Angriffe nutzen. 

Die Eckpunkte eines solchen Aktionsplanes müssen sein:

  • Öffnung der heutigen Konferenz für echte Diskussionen über Forderungen und Aktionen.

  • Großdemonstrationen in allen Landeshauptstädten noch vor Ferienbeginn

  • Heißer Herbst: Sollte die Regierung keine ausreichenden Maßnahmen einleiten, wird der Sommer zur Vorbereitung einer Offensive im Herbst genutzt bei dem offensive und gemeinsame Forderungen im Rahmen der Lohnverhandlungen mit allgemeinen Forderungen an die Politik verbunden werden.

  • Bundesweiter Aktions- und Streiktag als Auftakt dieser Offensive. Gefolgt von einem offensiven Kurs in den Lohnverhandlungen und branchenübergreifenden Aktionen und Streiktagen bis unsere Forderungen umgesetzt sind.  

Nutzen wir den heutigen Tag, damit sich kämpferische Betriebsrät*innen und aktive Beschäftigte vernetzen und Schritte setzen um den nötigen, kämpferischen Kurs durchzusetzen. Melde dich bei uns.

Sozialistische Perspektive für die Gewerkschaftsbewegung - aktiv werden mit der Internationalen Sozialistischen Alternative

Die letzten zwei Jahre Pandemie haben endgültig gezeigt, dass die sozialpartnerschaftliche Orientierung der Gewerkschaftsspitze eine Katastrophe für Beschäftigte bedeutet. Ein Mitverwalten dieses maroden und gefährlichen Systems schadet uns nur. Denn dieses kapitalistische System beruht darauf, dass viele Reichtum schaffen aber nur wenige davon profitieren. Um das zu verändern braucht die Gewerkschaftsbewegung dringend eine klassenkämpferische und systemverändernde Perspektive, die über den Tellerrand des Kapitalismus hinausgeht - anders können wir die zunehmenden Krisen nicht bewältigen.

Als Internationale Sozialistische Alternative (ISA, früher Sozialistische LinksPartei) setzen wir uns genau für so einen Kurs ein und bauen in Betrieben und darüber hinaus einen Basis dafür auf. Wenn du Interesse am Austausch mit anderen kämpferischen Betriebsrät*innen und Beschäftigten hast. Melde dich einfach bei uns.

 

VORWÄRTS-Schwerpunkt zur Rolle des Sozialbereichs im Kapitalismus

Klatschen zahlt die Miete nicht!

von Michael Gehmacher, Betriebsrat beim Arbeiter-Samariterbund – Wohnen und soziale Dienste

Pflege & Soziales: Verschiedene Jobs - gleiche Probleme mit niedriger Bezahlung und zu wenig Personal

Corona rückte uns als “Systemerhalter*innen” in die Öffentlichkeit. An den oft katastrophalen Bedingungen in unserer Branche hat das aber nichts geändert. Am einfachsten ist es ja, auf jene Menschen einzuschlagen, die sich schwerer wehren können. Klingt wie eine Binsenweisheit aus dem Lehrbuch für Kapitalist*innen und ist genau das, was verschiedene Regierungen seit Jahrzehnten im Sozial-, Pflege- und Gesundheitsbereich machen. Und zwar bei den Beschäftigten sowie jenen Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind – ganz gleich ob nun auf Grund von gesundheitlichen Gebrechen, Armut, psychischen Erkrankungen oder sonstigen Beeinträchtigungen.

In unserer Branche arbeiten viel mehr Frauen. Für sie werden Überlastung und Burn-Out Gefahr durch die Mehrfachbelastung von Job und Familie noch verstärkt. Gerade sie sind in der dauernden Zwickmühle: Vollzeitarbeiten und Ausbrennen oder Teilzeit bzw. keine Nacht- und Wochenenddienste und zu wenig Einkommen. Denn: Wer nur Grundgehalt und eventuell Erschwerniszulage bekommt, verdient wenig. Es ist zwar möglich, das Einkommen durch Arbeit am Wochenende und in der Nacht mit Zuschlägen „aufzufetten“. Doch das geht auf die Gesundheit und erschwert soziale Beziehungen. Menschen mit Betreuungspflichten - meistens Frauen - können das nicht. 

Ein Teil der Beschäftigten arbeitet im Öffentlichen Dienst, andere bei privaten Trägern. V.a. dort wird fast immer genau das bezahlt, was der zuständige Kollektivvertrag (z.B. Sozialwirtschaft Österreich, Caritas, Diakonie, usw) vorsieht. Eine „Überzahlung“ (also mehr als nach KV), gibt es selten. Es ist daher kein Zufall, dass bei den Kollektivvertragsverhandlungen 2019 die 35 Stundenwoche und 6% mehr Lohn und Gehalt sowie weitere dringend nötige Verbesserungen gefordert wurden. Viele Kolleg*innen können die niedrigen Gehälter nicht mehr hinnehmen und sind bereit, für mehr zu kämpfen. Die Protestwelle der letzten Jahre in der Branche sowie mehrere Streiks im Februar/März 2020 unterstreichen das.

Personalknappheit, Druck und dauernde starke psychische Belastung prägen die Arbeitssituation. Die Tatsache, dass Viele hier arbeiten, weil sie anderen Menschen helfen wollen, wird ausgenutzt. Kolleg*innen arbeiten häufig mehr als gut für sie selbst ist, da sie wissen, dass die Leidtragenden die Patient*innen und Klient*innen sind. Der dauernde Geldmangel in der Branche führt dazu, dass all die guten Konzepte, die man in der Ausbildung lernt, mit Dienstantritt unmöglich werden. Die Menschenwürde der Beschäftigten sowie jene der zu betreuenden fällt dem Sparzwang zum Opfer.

Wer es sich irgendwie leisten kann, versucht oft sich in die Bildungskarenz zu flüchten oder bleibt länger in der Arbeitslosigkeit. Wer sich‘s nicht leisten kann, arbeitet bis er/sie selbst krank wird.

Denn der finanzielle Druck wird oft 1:1 an die Kolleg*innen weitergegeben. Ist eine Einrichtung einmal nicht zu 100% ausgelastet, reagieren die Träger häufig mit Kürzungen beim Personal. Steigt die Auslastung, steigt auch der Arbeitsdruck, weil nicht automatisch mehr Personal angestellt wird. Die Finanzierungen der privaten Träger durch die öffentliche Hand sind oft befristet, die Verlängerungen kommen oft viel zu spät. In Wien kann es schon mal geschehen, dass eine Finanzierungszusage des „Fond Soziales Wien - FSW“ (er wickelt die Finanzierung des Sozialbereichs) so spät kommt, dass die Kolleg*innen bereits gekündigt wurden. Kommt dann noch rechtzeitig vor Auslaufen eines Projektes eine neue Zusage (das Geld kommt oft noch später), wird die Kündigung zurückgenommen. Diese Situation erzeugt Stress und Unsicherheit.

Die ganze Situation mit Corona inklusive nötiger Schutzmaßnahmen (die oft nicht gegeben waren!) hat die Situation weiter verschärft. Das Budget ist wegen des größeren finanziellen Aufwandes (etwa für Masken, Desinfektion etc) überstrapaziert, andererseits bedeutet Erarbeiten und Umsetzen von Schutzmaßnahmen mehr Arbeit. Teams werden durch Sonderbetreuungszeiten, Freistellung von Risikogruppen, Home-Office usw. personell reduziert. Wer noch an der Dienststelle ist, muss noch mehr arbeiten. Der erhöhte psychische Stress, dem viele Klient*innen unter Corona ausgesetzt sind, bringt noch mehr Arbeit. Mit Corona sind Einsamkeit, Depressionen usw. weiter gestiegen, das kriegen z.B. die Kolleg*innen in der Hauskrankenpflege, die oft die einzigen Ansprechpersonen über Wochen sind, voll ab. Als ersten Schritt braucht es hier 20% mehr Personal, eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei vollem Gehalt und Personalausgleich sowie eine Woche Corona-Sonderurlaub pro Monat Arbeit unter den verschärften Corona-Bedingungen. In der Branche gärt es weiter, neue Proteste könnten schneller kommen als der herrschenden Politik lieb ist.

 

Zahlen und Fakten zum Gesundheits- und Sozialbereich

  • In Österreich sind fast 1,5 Millionen Menschen armutsgefährdet, über 22.000 Menschen sind wohnungslos, die Jugendarbeitslosigkeit ist massiv angestiegen, psychische Erkrankungen nehmen dramatisch zu.

  • Der Sozial- und Gesundheitsbereich umfasst eine ganze Reihe von unterschiedlichen Arbeitsbereichen, Trägern und Vereinen: Von der Kranken- und Altenpflege, über Flüchtlingsbetreuung, Obdachlosenhilfe, Suchthilfe, Frauenhäusern bis hin zu Jugendzentren und Nachmittagsbetreuung für Kinder. 

  • Insgesamt arbeiten rund 400.000 Menschen in Österreich im Gesundheits- und Sozialbereich, damit handelt es sich um eine der beschäftigungsstärksten Branchen. Davon arbeiten 160.000 im privaten Gesundheits- und Sozialbereich, ein großer Teil davon sind religiöse Träger (wie z.B. Caritas und Diakonie, die trotz der reichen “Mütter” staatliche Gelder erhalten und schlecht bezahlen).

  • Die Gesundheitsausgaben beliefen sich 2019 auf 41,5 Millionen Euro, das sind nur knapp über 10% des BIP.

  • Der Bedarf an Personal, insbesondere an Pflegekräften, wächst immer mehr. Die Zahl der zusätzlich benötigten Pflegekräfte wird bis 2030 voraussichtlich auf über 75.000 steigen. 

  • Die schwarz-grüne Landesregierung in Vorarlberg will gerade in der Corona-Krise 5% im Sozialbereich und sogar 10% bei den Spitälern kürzen.

  • 2018 lag das Durchschnittseinkommen im Sozial- und Gesundheitsbereich bei nur knapp über 1.900 Euro netto.

  • Der Sozialbereich ist mit 78% die Branche mit dem höchsten Frauenanteil. Gleichzeitig verdienen sie in der Branche rund 13% weniger als Männer.

  • Nur 44% der Beschäftigten in dem Bereich arbeiten Vollzeit, 22% arbeiten weniger als 30 Stunden. 

  • Die Burnout-Quote im Gesundheits- und Sozialbereich ist enorm hoch. Laut einer Befragung der GPA djp haben rund 20% der Beschäftigung ein sehr hohes Risiko, ein Burnout-Syndrom zu entwickeln.

 

Der Sozial- und Gesundheitsbereich: zwischen Unterstützungs- und Repressionsinstrument

von Sarah Moayeri, Lehrerin

Wir brauchen Milliarden für einen öffentlichen, bedarfsorientierten Gesundheits- und Sozialbereich

Menschen waren zu jeder Zeit auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Die Frage nach der gesellschaftlich organisierten Hilfe für jene, die aus unterschiedlichen Gründen nicht ohne Hilfe im jeweiligen gesellschaftlichen System leben und am sozialen Leben teilhaben können, hat sich in allen Klassengesellschaften gestellt und war immer mit den jeweiligen ökonomischen und politischen Bedingungen verbunden. 

Der Ursprung der modernen Sozial- und Gesundheitsarbeit liegt in der Entwicklung der Armenhilfe/Armenpflege. Das Almosenwesen im Mittelalter basierte auf der religiösen Verpflichtung von Kirche und wohlhabenden Privatleuten, Hilfe zu leisten. In der feudalistischen Gesellschaft wurde im europäischen Raum das Klassenverhältnis ideologisch durch das Christentum gestützt. Die Armen boten dem Feudaladel die Möglichkeit, sich durch Almosen von Sünden freizukaufen. Private Stiftungen und freiwillige Zusammenschlüsse setzten diese Hilfe um. Die Beginen, ein Zusammenschluss frommer Frauen, gründeten beispielsweise Spitäler, pflegten kranke und alte Menschen und leisteten damit Armenhilfe.

Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft kam es zur Gründung von sogenannten Armen- und Arbeitshäusern, die oft auch gleichzeitig Zuchthäuser waren. Ziel war nicht nur das “Wegsperren”, sondern auch eine Disziplinierung zur Arbeit. Arbeitsfähige Arme, Jugendliche und Kinder wurden an Betriebe vermietet. Die zahlreichen Waisenhäuser im 18. und 19. Jahrhundert waren auf ökonomischen Interessen begründet und sollten durch Strafe und Erziehung Kinder auf Lohnarbeit abrichten. Gleichzeitig gab es auch die ersten kommunalen Versuche, mit Armut systematisch umzugehen. Ein Beispiel dafür waren “Bettelordnungen”, die Bettler*innen zum Tragen von Kennzeichnungen nötigten. Das zeigt, dass sich auch ideologisch das Bild von Armut wandelte. Sie wurde nicht mehr als unveränderbarer Zustand, sondern in erster Linie als individuell verschuldet gesehen - daraus resultierte die Verpflichtung der Bedürftigen zur Arbeit. Das unsystematische Almosenwesen war unter den neuen wirtschaftlichen Bedingungen und mit der Entwicklung neuer Klassen kein geeignetes Mittel mehr, um der Masse von Bedürftigen begegnen zu können. Durch die Industrialisierung explodierten Elend und Armut. Die sich entwickelnde Arbeiter*innenbewegung basierte auf Solidarität und dem Kampf um einen staatlich organisierten Umgang damit (Versicherungen etc.). 

Gleichzeitig gab es zum Teil auch ein Interesse der Herrschenden an diesen ersten Elementen des “Sozialstaats”, wo es zur Stabilisierung half. Die Armenfürsorge wurde so aber auch zum Instrument zur Erziehung zur Arbeit und zur Reproduktion der Arbeitskraft des Proletariats (mehr dazu Marx aktuell).

Im Zuge der weitgehend hart durch die Arbeiter*innenbewegung erkämpften sozialen Verbesserungen fand auch eine Professionalisierung und Institutionalisierung des Bereichs statt. Mit dem Nachkriegsaufschwung und der Entwicklung des Sozialstaats unter dem Einfluss der Sozialpartnerschaft vollzog sich auch ein Ausbau der sozialen Versorgung, nicht ohne Druck der Arbeiter*innenbewegung. 

In den 60er und 70er Jahren entwickelten sich in Deutschland und Österreich - auch unter dem Einfluss der 68-er Bewegung - zunehmend kritische Tendenzen, auch in Abgrenzung zu den institutionalisierten Strukturen. Ein wichtiger Teil davon war das Streben nach Selbstorganisation der Klient*innen, unterstützt durch Sozialarbeiter*innen und Aktivist*innen. Beispiele dafür waren Jugendwohlkollektive, entstanden aus Revolten von Jugendlichen in den Heimen, Zusammenschlüsse wie das Sozialistische Patientenkollektiv, autonome Vereine etc. Die Pathologisierung von Klient*innen, Disziplinierungsmaßnahmen und andere repressive Elemente wurden zunehmend hinterfragt. 

Selbst reformistische Ansätze einer “kritischen sozialen Arbeit”, die gar nicht das Ziel der Systemüberwindung haben, sind seitdem aber auch stets in Widerspruch zu den gesellschaftlichen Verhältnissen und der Stellung des Gesundheits- und Sozialbereichs im neoliberalen Kapitalismus geraten. Die Auswirkungen des Neoliberalismus auf diese Bereiche umfassen Kürzungen und Angriffe auf Errungenschaften und Veränderungen der Arbeit selbst. Die Ökonomisierung des Sozial- und Gesundheitsbereichs bedeutet auch eine Zunahme von privaten, gewinnorientierten Trägern und Einrichtungen, die nach marktwirtschaftlichen Prinzipien agieren, aber auch öffentliche Einrichtungen müssen im Kapitalismus zumindest kostendeckend arbeiten. Die Öffnung gegenüber profitorientierten Unternehmen bedeutet einen zunehmenden Widerspruch zwischen dem Charakter der Arbeit und einem größeren wirtschaftlichen Druck. Die Entwicklung von immer mehr freien Trägern hat also einen widersprüchlichen Charakter. Autonome, nichtstaatliche Vereine sind einerseits Ausdruck fortschrittlicher Elemente, andererseits fällt diese Entwicklung auch zusammen mit den Auswirkungen neoliberaler Politik. 

Gerade der Gesundheitsbereich bewegt sich im Zusammenhang mit dieser Ökonomisierung im Widerspruch, größtmögliche Gesundheit zu gewährleisten und andererseits in möglichst wenig Zeit und möglichst ressourcenschonend Patient*innen zu versorgen. Diesen Widerspruch spüren Beschäftigte tagtäglich, wenn sie die Versorgung so wie es eigentlich notwendig wäre, nicht umsetzen können. Gleichzeitig hat Neoliberalismus und damit Sozialabbau auch bedeutet, dass der Druck für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialbereich durch die Zunahme an Bedarf, an Klient*innen, Patient*innen etc. gestiegen ist. Der gesamte Bereich bewegt sich im Kapitalismus im Spannungsfeld zwischen ihrem Disziplinierungs- und Integrationsauftrag für das System einerseits und der Durchsetzung sozialstaatlich erkämpfter Rechte für Klient*innen andererseits. Insbesondere in der Flüchtlings- und Jugendarbeit wird das Element der “Integration ins System” sehr deutlich. Im besten Fall ist der Sozialbereich im Rahmen des Kapitalismus Symptombekämpfung, im schlimmsten Fall ein “harmloses” Gesicht staatlicher Repression gegen die größten Verlierer*innen des Systems (Exekution der Kürzung von Sozialleistungen, Zusammenarbeit mit Polizei etc.).

Der Kapitalismus produziert immer Armut und Elend. Gerade in Krisenzeiten werden sozialstaatliche Errungenschaften, und damit eng verbunden der Gesundheits- und Sozialbereich, angegriffen. Die Herrschenden sind in der Krise auf der einen Seite aus rein finanziellen Gründen darauf angewiesen, bei Sozialem zu sparen, auf der anderen Seite können sie es sich auch immer weniger leisten, auf “unterstützende”, “friedliche” Sozialarbeit für das System statt auf direkte Repression zu setzen. Die Notwendigkeit von einem Ausbau des Gesundheits- und Sozialbereichs und einer bedarfsgerechten Ausfinanzierung ist heute mehr als offensichtlich. Die prekären Arbeitsbedingungen zeigen gleichzeitig, dass Staat und Kapital immer weniger zu einer Ausfinanzierung bereit bzw. in der Lage sind. Die Streik- und Kampfbereitschaft der Beschäftigten ist aber auch Ausdruck von dem Potential für Veränderungen: Um Verbesserungen zu erreichen, aber auch um die Grundlage der Notwendigkeit vieler Bereiche der Sozialen Arbeit zu überwinden, müssen wir uns als Beschäftigte zur Wehr setzen und auch für eine Überwindung des kapitalistischen Systems kämpfen.

 

Braucht der Kapitalismus den Gesundheits- und Sozialbereich?

von Till Ruster

Zu Arbeitsbeginn halbwegs gesund, erholt, gut ernährt und sauber sein: Das ist der Anspruch, den die Unternehmen an die Beschäftigten haben, damit sie ihre Arbeit leisten und Profite für sie erwirtschaften können. Die Arbeitsfähigkeit muss also nur soweit wie nötig vorhanden sein, das ist etwas ganz Anderes als das Erholungsbedürfnis... der Beschäftigten.

Die Arbeitskraft muss „wiederhergestellt“ werden, oder „reproduziert“, wie Marx das nennt. Das muss nach jedem Arbeitstag passieren, aber auch wenn Arbeitskraft durch Pension oder Tod entfällt. Kindererziehung und Bildung gehören also auch dazu. Marx schreibt dazu im Kapital Bd 1:

„Der Wert der Arbeitskraft schließt aber den Wert der Waren ein, welche zur Reproduktion des Arbeiters oder zur Fortpflanzung der Arbeiterklasse erheischt sind. Wenn also die naturwidrige Verlängerung des Arbeitstags (...) die Lebensperiode der einzelnen Arbeiter und damit die Dauer ihrer Arbeitskraft verkürzt, wird rascherer Ersatz der verschlissenen nötig, also das Eingehen größerer Verschleisskosten in die Reproduktion der Arbeitskraft, ganz wie der täglich zu reproduzierende Wertteil einer Maschine um so größer ist, je rascher sie verschleißt. Das Kapital scheint daher durch sein eigenes Interesse auf einen Normalarbeitstag hingewiesen.”

In der Geschichte des Kapitalismus wurden bestimmte Teile dieser „Reproduktionsarbeit“ professionalisiert. Zum Einen, weil die Arbeiter*innenbewegung hier wichtige Fortschritte zB bei Krankenversicherungen erkämpft hat. Aber auch, weil es unter bestimmten Bedingungen effizienter und damit billiger für die Kapitalist*innen war. Wenn zB ein Arbeitskräftemangel entsteht, lohnt es sich auch für das Kapital, über Pflegeheime oder Kindergärten „Haushaltsaufgaben“ zu kollektivieren und so vor allem Frauen für den Arbeitsmarkt „frei“ zu spielen. So entsteht ein Bereich der bezahlten Reproduktionsarbeit, obwohl der allergrößte Teil weiter unbezahlt und vor allem von Frauen erledigt wird. Der professionelle Gesundheits- und Sozialbereich ist aus Sicht von Arbeiter*innen und Frauenbewegung eine Errungenschaft, die es zu verteidigen und auszubauen gilt. Aus Sicht der Kapitalist*innen ist er ein notwendiges Übel, das möglichst auf ein Minimum beschränkt werden sollte und sehr abhängig ist von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage.
Genau diesen Widerspruch hat Corona noch einmal deutlich gemacht: Kindergärten werden nicht wieder eröffnet, weil das für Kinder und Eltern das Beste ist, sondern weil die Arbeitskraft der Eltern sonst nur eingeschränkt zur Verfügung steht. So lange Viele in Kurzarbeit waren, blieben sie daher auch geschlossen. Mit steigenden Arbeitslosenzahlen kann sich das schnell ändern und zu (weiteren) Einsparungen bei u.a. Kindergärten führen.

Zur Vertiefung empfiehlt sich natürlich „Das Kapital“, in dem Marx sich ausführlich mit den Reproduktionskosten auseinandersetzt. Für den Einstieg ist es aber vielleicht besser, sich an die wesentlich kürzere Darstellung seiner ökonomischen Theorie in „Lohn, Preis und Profit“ von 1865 zu halten.

 

Beschäftigte auf den Barrikaden

von Moritz Erkl

Im Sozial- und Gesundheitsbereich gibt es immer mehr Proteste - und zwar international!

Wer Menschen pflegt und betreut, die von einem abhängig sind, tut sich mit dem Kämpfen schwer. Auf dieses hohe Verantwortungsgefühl haben die Herrschenden lange zählen können. Doch in den letzten Jahren ist die Stimmung gekippt. Die Selbstausbeutung im Pflege- und Sozialbereich ist in Wut und Widerstand umgeschlagen. 

Die chronische Unterfinanzierung des ganzen Bereichs ist durch Corona noch einmal deutlicher geworden. So sind z.B. die Gesundheitssysteme in Afrika derart unterfinanziert, dass auf 1.000 Einwohner*innen gerade einmal 2,2 Beschäftigte kommen – und nur 0,3 Ärzt*innen. Diese Situation – gepaart mit unzureichender Schutzausrüstung und mangelhaften Möglichkeiten, Corona-Tests durchzuführen – hat dem Kontinent bereits eine Million Corona-Infizierte beschert (ohne Dunkelziffer).

Doch wie auf jedem anderen Flecken der Erde beweisen die Kolleg*innen im Sozial- und Gesundheitsbereich Afrikas seit vielen Wochen, dass sie sich wehren müssen und können. Ärzt*innen und Pflegepersonal in Nigeria, Simbabwe, dem Kongo und Sierra Leone sind bereits Anfang Juli in den Streik getreten. Ihre Forderungen sind so simpel wie notwendig: Bessere Schutzausrüstung und bessere Bezahlung. Letzteres wird in Simbabwe in US-Dollar gefordert, da die rasante Inflation ansonsten jede Lohnerhöhung auffrisst.

Auch in Indien steht das Pflegepersonal an der Spitze des Widerstands. Die sogenannten „Ashas“ (akkreditierte Aktivist*innen für soziale Gesundheit) sind Mitte August in den Streik getreten. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass ihre Löhne von gerade mal 22 €/Monat regelmäßig bezahlt werden - für pünktliche und mehr Bezahlung kämpfen sie.

In Israel wiederum sind die Pflegekräfte inzwischen den bereits seit Monaten immer wieder streikenden Sozialarbeiter*innen in den Arbeitskampf gefolgt. Ihre Wut entlädt sich nicht nur wegen der miesen Arbeitsbedingungen und dem mangelhaften Krisenmanagement der Regierung Netanjahu (Tage in Quarantäne werden als Krankentage berechnet), sondern richtet sich auch generell gegen die wirtschaftlich miese, im Kapitalismus jedoch normale Zukunftsperspektive. So hat die Arbeitslosigkeit in Israel mit 21% inzwischen ein Rekordhoch erklommen.

Das zeigt, dass sich der Widerstand für höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingung von anderen, auch politischen Forderungen nicht trennen lässt. In Weißrussland verarzten Ärzt*innen und Pfleger*innen die gefolterten Aktivist*innen im Protest gegen das Regime von Lukaschenko. 

Die Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich haben nicht die selbe wirtschaftliche Macht wie ihre Kolleg*innen in der Industrie. Doch durch die zunehmende Privatisierung in diesem Bereich können sie mit Kampfmaßnahmen auch die Profite “ihrer” Kapitalist*innen bestreiken. Aber durch die Größe des Sektors und die Tatsache, dass jedeR irgendwas mit dem Bereich zu tun hat, als Patient*in/Klient*in, als Elternteil, als AngehörigeR etc. ist die Verankerung in der Bevölkerung sehr groß. In Kombination mit einerseits dem gesteigerten Selbstbewusstsein durch das Wissen um die Wichtigkeit der eigenen Arbeit und andererseits der Wut über die Missstände handelt es sich um einen Bereich mit hoher Sprengkraft. Viele junge Kolleg*innen, viele Frauen die auch über andere Fragen zunehmend politisiert sind, viele Menschen mit Migrationshintergrund - eine widerständige Beschäftigtengruppe ist hier entstanden.

Weltweit sind es Sozialarbeiter*innen, Pflegekräfte, Betreuer*innen und Ärzt*innen, die tagein, tagaus mit den Gräueln des barbarischen kapitalistischen Systems konfrontiert werden. Sie sollen für die Herrschenden und ihre Speichellecker*innen einen simplen Zweck erfüllen: Probleme verschleiern und optimalerweise Betroffene wieder fit machen für die kapitalistische Produktion. Doch diese emotional belastende Arbeit führt immer öfter nicht nur ins Burnout, sondern in den (internationalen) Widerstand. Manchmal findet der Widerspruch eine Vertretung in den offiziellen Gewerkschaften, oft ist es aber auch nötig, dass sich die Kolleg*innen selbst, in den Gewerkschaften oder sogar außerhalb, organisieren müssen, um kämpferisch ihre Interessen vertreten zu können.

Nicht umsonst ist die internationale Organisation, deren Mitglied die SLP in Österreich ist – Internationale Sozialistische Alternative – Teil dieser Proteste. Wir waren in Österreich an vorderster Front bei den Streiks Anfang des Jahres, mobilisieren in Belgien mit der Pfleger*innen-Organisation „Gesundheit im Kampf“ („La Santé en Lutte“) zu einer Großdemonstration im September oder gründeten in Russland eine „Virus-Gewerkschaft“, um für bessere Schutzmaßnahmen gegen Corona zu kämpfen. Wir sind Teil aller Proteste für unmittelbare Verbesserungen. Und wir zeigen auf, dass es keinen gesunden Kapitalismus gibt, sondern ein wirklich gutes Gesundheits- und Sozialsystem für Alle mit guten Arbeitsbedingungen im Widerspruch zur Profitlogik steht. 

All diese Beispiele zeigen gut, was wir – vor allem wenn wir uns in Gewerkschaften oder revolutionären Parteien organisieren – erreichen können. Die Corona-Pandemie ist genauso weltumspannend wie das System, in welchem wir leben – leisten wir gemeinsam international Widerstand dagegen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Zahlen und Fakten zum Gesundheits- und Sozialbereich

  • In Österreich sind fast 1,5 Millionen Menschen armutsgefährdet, über 22.000 Menschen sind wohnungslos, die Jugendarbeitslosigkeit ist massiv angestiegen, psychische Erkrankungen nehmen dramatisch zu.

  • Der Sozial- und Gesundheitsbereich umfasst eine ganze Reihe von unterschiedlichen Arbeitsbereichen, Trägern und Vereinen: Von der Kranken- und Altenpflege, über Flüchtlingsbetreuung, Obdachlosenhilfe, Suchthilfe, Frauenhäusern bis hin zu Jugendzentren und Nachmittagsbetreuung für Kinder. 

  • Insgesamt arbeiten rund 400.000 Menschen in Österreich im Gesundheits- und Sozialbereich, damit handelt es sich um eine der beschäftigungsstärksten Branchen. Davon arbeiten 160.000 im privaten Gesundheits- und Sozialbereich, ein großer Teil davon sind religiöse Träger (wie z.B. Caritas und Diakonie, die trotz der reichen “Mütter” staatliche Gelder erhalten und schlecht bezahlen).

  • Die Gesundheitsausgaben beliefen sich 2019 auf 41,5 Millionen Euro, das sind nur knapp über 10% des BIP.

  • Der Bedarf an Personal, insbesondere an Pflegekräften, wächst immer mehr. Die Zahl der zusätzlich benötigten Pflegekräfte wird bis 2030 voraussichtlich auf über 75.000 steigen. 

  • Die schwarz-grüne Landesregierung in Vorarlberg will gerade in der Corona-Krise 5% im Sozialbereich und sogar 10% bei den Spitälern kürzen.

  • 2018 lag das Durchschnittseinkommen im Sozial- und Gesundheitsbereich bei nur knapp über 1.900 Euro netto.

  • Der Sozialbereich ist mit 78% die Branche mit dem höchsten Frauenanteil. Gleichzeitig verdienen sie in der Branche rund 13% weniger als Männer.

  • Nur 44% der Beschäftigten in dem Bereich arbeiten Vollzeit, 22% arbeiten weniger als 30 Stunden. 

  • Die Burnout-Quote im Gesundheits- und Sozialbereich ist enorm hoch. Laut einer Befragung der GPA djp haben rund 20% der Beschäftigung ein sehr hohes Risiko, ein Burnout-Syndrom zu entwickeln.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Der Sozial- und Gesundheitsbereich: zwischen Unterstützungs- und Repressionsinstrument

Wir brauchen Milliarden für einen öffentlichen, bedarfsorientierten Gesundheits- und Sozialbereich
Sarah Moayeri

Menschen waren zu jeder Zeit auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Die Frage nach der gesellschaftlich organisierten Hilfe für jene, die aus unterschiedlichen Gründen nicht ohne Hilfe im jeweiligen gesellschaftlichen System leben und am sozialen Leben teilhaben können, hat sich in allen Klassengesellschaften gestellt und war immer mit den jeweiligen ökonomischen und politischen Bedingungen verbunden. 

Der Ursprung der modernen Sozial- und Gesundheitsarbeit liegt in der Entwicklung der Armenhilfe/Armenpflege. Das Almosenwesen im Mittelalter basierte auf der religiösen Verpflichtung von Kirche und wohlhabenden Privatleuten, Hilfe zu leisten. In der feudalistischen Gesellschaft wurde im europäischen Raum das Klassenverhältnis ideologisch durch das Christentum gestützt. Die Armen boten dem Feudaladel die Möglichkeit, sich durch Almosen von Sünden freizukaufen. Private Stiftungen und freiwillige Zusammenschlüsse setzten diese Hilfe um. Die Beginen, ein Zusammenschluss frommer Frauen, gründeten beispielsweise Spitäler, pflegten kranke und alte Menschen und leisteten damit Armenhilfe.

Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft kam es zur Gründung von sogenannten Armen- und Arbeitshäusern, die oft auch gleichzeitig Zuchthäuser waren. Ziel war nicht nur das “Wegsperren”, sondern auch eine Disziplinierung zur Arbeit. Arbeitsfähige Arme, Jugendliche und Kinder wurden an Betriebe vermietet. Die zahlreichen Waisenhäuser im 18. und 19. Jahrhundert waren auf ökonomischen Interessen begründet und sollten durch Strafe und Erziehung Kinder auf Lohnarbeit abrichten. Gleichzeitig gab es auch die ersten kommunalen Versuche, mit Armut systematisch umzugehen. Ein Beispiel dafür waren “Bettelordnungen”, die Bettler*innen zum Tragen von Kennzeichnungen nötigten. Das zeigt, dass sich auch ideologisch das Bild von Armut wandelte. Sie wurde nicht mehr als unveränderbarer Zustand, sondern in erster Linie als individuell verschuldet gesehen - daraus resultierte die Verpflichtung der Bedürftigen zur Arbeit. Das unsystematische Almosenwesen war unter den neuen wirtschaftlichen Bedingungen und mit der Entwicklung neuer Klassen kein geeignetes Mittel mehr, um der Masse von Bedürftigen begegnen zu können. Durch die Industrialisierung explodierten Elend und Armut. Die sich entwickelnde Arbeiter*innenbewegung basierte auf Solidarität und dem Kampf um einen staatlich organisierten Umgang damit (Versicherungen etc.). 

Gleichzeitig gab es zum Teil auch ein Interesse der Herrschenden an diesen ersten Elementen des “Sozialstaats”, wo es zur Stabilisierung half. Die Armenfürsorge wurde so aber auch zum Instrument zur Erziehung zur Arbeit und zur Reproduktion der Arbeitskraft des Proletariats (mehr dazu Marx aktuell).

Im Zuge der weitgehend hart durch die Arbeiter*innenbewegung erkämpften sozialen Verbesserungen fand auch eine Professionalisierung und Institutionalisierung des Bereichs statt. Mit dem Nachkriegsaufschwung und der Entwicklung des Sozialstaats unter dem Einfluss der Sozialpartnerschaft vollzog sich auch ein Ausbau der sozialen Versorgung, nicht ohne Druck der Arbeiter*innenbewegung. 

In den 60er und 70er Jahren entwickelten sich in Deutschland und Österreich - auch unter dem Einfluss der 68-er Bewegung - zunehmend kritische Tendenzen, auch in Abgrenzung zu den institutionalisierten Strukturen. Ein wichtiger Teil davon war das Streben nach Selbstorganisation der Klient*innen, unterstützt durch Sozialarbeiter*innen und Aktivist*innen. Beispiele dafür waren Jugendwohlkollektive, entstanden aus Revolten von Jugendlichen in den Heimen, Zusammenschlüsse wie das Sozialistische Patientenkollektiv, autonome Vereine etc. Die Pathologisierung von Klient*innen, Disziplinierungsmaßnahmen und andere repressive Elemente wurden zunehmend hinterfragt. 

Selbst reformistische Ansätze einer “kritischen sozialen Arbeit”, die gar nicht das Ziel der Systemüberwindung haben, sind seitdem aber auch stets in Widerspruch zu den gesellschaftlichen Verhältnissen und der Stellung des Gesundheits- und Sozialbereichs im neoliberalen Kapitalismus geraten. Die Auswirkungen des Neoliberalismus auf diese Bereiche umfassen Kürzungen und Angriffe auf Errungenschaften und Veränderungen der Arbeit selbst. Die Ökonomisierung des Sozial- und Gesundheitsbereichs bedeutet auch eine Zunahme von privaten, gewinnorientierten Trägern und Einrichtungen, die nach marktwirtschaftlichen Prinzipien agieren, aber auch öffentliche Einrichtungen müssen im Kapitalismus zumindest kostendeckend arbeiten. Die Öffnung gegenüber profitorientierten Unternehmen bedeutet einen zunehmenden Widerspruch zwischen dem Charakter der Arbeit und einem größeren wirtschaftlichen Druck. Die Entwicklung von immer mehr freien Trägern hat also einen widersprüchlichen Charakter. Autonome, nichtstaatliche Vereine sind einerseits Ausdruck fortschrittlicher Elemente, andererseits fällt diese Entwicklung auch zusammen mit den Auswirkungen neoliberaler Politik. 

Gerade der Gesundheitsbereich bewegt sich im Zusammenhang mit dieser Ökonomisierung im Widerspruch, größtmögliche Gesundheit zu gewährleisten und andererseits in möglichst wenig Zeit und möglichst ressourcenschonend Patient*innen zu versorgen. Diesen Widerspruch spüren Beschäftigte tagtäglich, wenn sie die Versorgung so wie es eigentlich notwendig wäre, nicht umsetzen können. Gleichzeitig hat Neoliberalismus und damit Sozialabbau auch bedeutet, dass der Druck für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialbereich durch die Zunahme an Bedarf, an Klient*innen, Patient*innen etc. gestiegen ist. Der gesamte Bereich bewegt sich im Kapitalismus im Spannungsfeld zwischen ihrem Disziplinierungs- und Integrationsauftrag für das System einerseits und der Durchsetzung sozialstaatlich erkämpfter Rechte für Klient*innen andererseits. Insbesondere in der Flüchtlings- und Jugendarbeit wird das Element der “Integration ins System” sehr deutlich. Im besten Fall ist der Sozialbereich im Rahmen des Kapitalismus Symptombekämpfung, im schlimmsten Fall ein “harmloses” Gesicht staatlicher Repression gegen die größten Verlierer*innen des Systems (Exekution der Kürzung von Sozialleistungen, Zusammenarbeit mit Polizei etc.).

Der Kapitalismus produziert immer Armut und Elend. Gerade in Krisenzeiten werden sozialstaatliche Errungenschaften, und damit eng verbunden der Gesundheits- und Sozialbereich, angegriffen. Die Herrschenden sind in der Krise auf der einen Seite aus rein finanziellen Gründen darauf angewiesen, bei Sozialem zu sparen, auf der anderen Seite können sie es sich auch immer weniger leisten, auf “unterstützende”, “friedliche” Sozialarbeit für das System statt auf direkte Repression zu setzen. Die Notwendigkeit von einem Ausbau des Gesundheits- und Sozialbereichs und einer bedarfsgerechten Ausfinanzierung ist heute mehr als offensichtlich. Die prekären Arbeitsbedingungen zeigen gleichzeitig, dass Staat und Kapital immer weniger zu einer Ausfinanzierung bereit bzw. in der Lage sind. Die Streik- und Kampfbereitschaft der Beschäftigten ist aber auch Ausdruck von dem Potential für Veränderungen: Um Verbesserungen zu erreichen, aber auch um die Grundlage der Notwendigkeit vieler Bereiche der Sozialen Arbeit zu überwinden, müssen wir uns als Beschäftigte zur Wehr setzen und auch für eine Überwindung des kapitalistischen Systems kämpfen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Braucht der Kapitalismus den Gesundheits- und Sozialbereich?

Till Ruster

Zu Arbeitsbeginn halbwegs gesund, erholt, gut ernährt und sauber sein: Das ist der Anspruch, den die Unternehmen an die Beschäftigten haben, damit sie ihre Arbeit leisten und Profite für sie erwirtschaften können. Die Arbeitsfähigkeit muss also nur soweit wie nötig vorhanden sein, das ist etwas ganz Anderes als das Erholungsbedürfnis... der Beschäftigten.

Die Arbeitskraft muss „wiederhergestellt“ werden, oder „reproduziert“, wie Marx das nennt. Das muss nach jedem Arbeitstag passieren, aber auch wenn Arbeitskraft durch Pension oder Tod entfällt. Kindererziehung und Bildung gehören also auch dazu. Marx schreibt dazu im Kapital Bd 1:

„Der Wert der Arbeitskraft schließt aber den Wert der Waren ein, welche zur Reproduktion des Arbeiters oder zur Fortpflanzung der Arbeiterklasse erheischt sind. Wenn also die naturwidrige Verlängerung des Arbeitstags (...) die Lebensperiode der einzelnen Arbeiter und damit die Dauer ihrer Arbeitskraft verkürzt, wird rascherer Ersatz der verschlissenen nötig, also das Eingehen größerer Verschleisskosten in die Reproduktion der Arbeitskraft, ganz wie der täglich zu reproduzierende Wertteil einer Maschine um so größer ist, je rascher sie verschleißt. Das Kapital scheint daher durch sein eigenes Interesse auf einen Normalarbeitstag hingewiesen.”

In der Geschichte des Kapitalismus wurden bestimmte Teile dieser „Reproduktionsarbeit“ professionalisiert. Zum Einen, weil die Arbeiter*innenbewegung hier wichtige Fortschritte zB bei Krankenversicherungen erkämpft hat. Aber auch, weil es unter bestimmten Bedingungen effizienter und damit billiger für die Kapitalist*innen war. Wenn zB ein Arbeitskräftemangel entsteht, lohnt es sich auch für das Kapital, über Pflegeheime oder Kindergärten „Haushaltsaufgaben“ zu kollektivieren und so vor allem Frauen für den Arbeitsmarkt „frei“ zu spielen. So entsteht ein Bereich der bezahlten Reproduktionsarbeit, obwohl der allergrößte Teil weiter unbezahlt und vor allem von Frauen erledigt wird. Der professionelle Gesundheits- und Sozialbereich ist aus Sicht von Arbeiter*innen und Frauenbewegung eine Errungenschaft, die es zu verteidigen und auszubauen gilt. Aus Sicht der Kapitalist*innen ist er ein notwendiges Übel, das möglichst auf ein Minimum beschränkt werden sollte und sehr abhängig ist von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage.
Genau diesen Widerspruch hat Corona noch einmal deutlich gemacht: Kindergärten werden nicht wieder eröffnet, weil das für Kinder und Eltern das Beste ist, sondern weil die Arbeitskraft der Eltern sonst nur eingeschränkt zur Verfügung steht. So lange Viele in Kurzarbeit waren, blieben sie daher auch geschlossen. Mit steigenden Arbeitslosenzahlen kann sich das schnell ändern und zu (weiteren) Einsparungen bei u.a. Kindergärten führen.

 

Zur Vertiefung empfiehlt sich natürlich „Das Kapital“, in dem Marx sich ausführlich mit den Reproduktionskosten auseinandersetzt. Für den Einstieg ist es aber vielleicht besser, sich an die wesentlich kürzere Darstellung seiner ökonomischen Theorie in „Lohn, Preis und Profit“ von 1865 zu halten.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Beschäftigte auf den Barrikaden

Im Sozial- und Gesundheitsbereich gibt es immer mehr Proteste - und zwar international!
Moritz Erkl

Wer Menschen pflegt und betreut, die von einem abhängig sind, tut sich mit dem Kämpfen schwer. Auf dieses hohe Verantwortungsgefühl haben die Herrschenden lange zählen können. Doch in den letzten Jahren ist die Stimmung gekippt. Die Selbstausbeutung im Pflege- und Sozialbereich ist in Wut und Widerstand umgeschlagen. 

Die chronische Unterfinanzierung des ganzen Bereichs ist durch Corona noch einmal deutlicher geworden. So sind z.B. die Gesundheitssysteme in Afrika derart unterfinanziert, dass auf 1.000 Einwohner*innen gerade einmal 2,2 Beschäftigte kommen – und nur 0,3 Ärzt*innen. Diese Situation – gepaart mit unzureichender Schutzausrüstung und mangelhaften Möglichkeiten, Corona-Tests durchzuführen – hat dem Kontinent bereits eine Million Corona-Infizierte beschert (ohne Dunkelziffer).

Doch wie auf jedem anderen Flecken der Erde beweisen die Kolleg*innen im Sozial- und Gesundheitsbereich Afrikas seit vielen Wochen, dass sie sich wehren müssen und können. Ärzt*innen und Pflegepersonal in Nigeria, Simbabwe, dem Kongo und Sierra Leone sind bereits Anfang Juli in den Streik getreten. Ihre Forderungen sind so simpel wie notwendig: Bessere Schutzausrüstung und bessere Bezahlung. Letzteres wird in Simbabwe in US-Dollar gefordert, da die rasante Inflation ansonsten jede Lohnerhöhung auffrisst.

Auch in Indien steht das Pflegepersonal an der Spitze des Widerstands. Die sogenannten „Ashas“ (akkreditierte Aktivist*innen für soziale Gesundheit) sind Mitte August in den Streik getreten. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass ihre Löhne von gerade mal 22 €/Monat regelmäßig bezahlt werden - für pünktliche und mehr Bezahlung kämpfen sie.

In Israel wiederum sind die Pflegekräfte inzwischen den bereits seit Monaten immer wieder streikenden Sozialarbeiter*innen in den Arbeitskampf gefolgt. Ihre Wut entlädt sich nicht nur wegen der miesen Arbeitsbedingungen und dem mangelhaften Krisenmanagement der Regierung Netanjahu (Tage in Quarantäne werden als Krankentage berechnet), sondern richtet sich auch generell gegen die wirtschaftlich miese, im Kapitalismus jedoch normale Zukunftsperspektive. So hat die Arbeitslosigkeit in Israel mit 21% inzwischen ein Rekordhoch erklommen.

Das zeigt, dass sich der Widerstand für höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingung von anderen, auch politischen Forderungen nicht trennen lässt. In Weißrussland verarzten Ärzt*innen und Pfleger*innen die gefolterten Aktivist*innen im Protest gegen das Regime von Lukaschenko. 

Die Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich haben nicht die selbe wirtschaftliche Macht wie ihre Kolleg*innen in der Industrie. Doch durch die zunehmende Privatisierung in diesem Bereich können sie mit Kampfmaßnahmen auch die Profite “ihrer” Kapitalist*innen bestreiken. Aber durch die Größe des Sektors und die Tatsache, dass jedeR irgendwas mit dem Bereich zu tun hat, als Patient*in/Klient*in, als Elternteil, als AngehörigeR etc. ist die Verankerung in der Bevölkerung sehr groß. In Kombination mit einerseits dem gesteigerten Selbstbewusstsein durch das Wissen um die Wichtigkeit der eigenen Arbeit und andererseits der Wut über die Missstände handelt es sich um einen Bereich mit hoher Sprengkraft. Viele junge Kolleg*innen, viele Frauen die auch über andere Fragen zunehmend politisiert sind, viele Menschen mit Migrationshintergrund - eine widerständige Beschäftigtengruppe ist hier entstanden.

Weltweit sind es Sozialarbeiter*innen, Pflegekräfte, Betreuer*innen und Ärzt*innen, die tagein, tagaus mit den Gräueln des barbarischen kapitalistischen Systems konfrontiert werden. Sie sollen für die Herrschenden und ihre Speichellecker*innen einen simplen Zweck erfüllen: Probleme verschleiern und optimalerweise Betroffene wieder fit machen für die kapitalistische Produktion. Doch diese emotional belastende Arbeit führt immer öfter nicht nur ins Burnout, sondern in den (internationalen) Widerstand. Manchmal findet der Widerspruch eine Vertretung in den offiziellen Gewerkschaften, oft ist es aber auch nötig, dass sich die Kolleg*innen selbst, in den Gewerkschaften oder sogar außerhalb, organisieren müssen, um kämpferisch ihre Interessen vertreten zu können.

Nicht umsonst ist die internationale Organisation, deren Mitglied die SLP in Österreich ist – Internationale Sozialistische Alternative – Teil dieser Proteste. Wir waren in Österreich an vorderster Front bei den Streiks Anfang des Jahres, mobilisieren in Belgien mit der Pfleger*innen-Organisation „Gesundheit im Kampf“ („La Santé en Lutte“) zu einer Großdemonstration im September oder gründeten in Russland eine „Virus-Gewerkschaft“, um für bessere Schutzmaßnahmen gegen Corona zu kämpfen. Wir sind Teil aller Proteste für unmittelbare Verbesserungen. Und wir zeigen auf, dass es keinen gesunden Kapitalismus gibt, sondern ein wirklich gutes Gesundheits- und Sozialsystem für Alle mit guten Arbeitsbedingungen im Widerspruch zur Profitlogik steht. 

All diese Beispiele zeigen gut, was wir – vor allem wenn wir uns in Gewerkschaften oder revolutionären Parteien organisieren – erreichen können. Die Corona-Pandemie ist genauso weltumspannend wie das System, in welchem wir leben – leisten wir gemeinsam international Widerstand dagegen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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