Beschäftigte auf den Barrikaden

Im Sozial- und Gesundheitsbereich gibt es immer mehr Proteste - und zwar international!
Moritz Erkl

Wer Menschen pflegt und betreut, die von einem abhängig sind, tut sich mit dem Kämpfen schwer. Auf dieses hohe Verantwortungsgefühl haben die Herrschenden lange zählen können. Doch in den letzten Jahren ist die Stimmung gekippt. Die Selbstausbeutung im Pflege- und Sozialbereich ist in Wut und Widerstand umgeschlagen. 

Die chronische Unterfinanzierung des ganzen Bereichs ist durch Corona noch einmal deutlicher geworden. So sind z.B. die Gesundheitssysteme in Afrika derart unterfinanziert, dass auf 1.000 Einwohner*innen gerade einmal 2,2 Beschäftigte kommen – und nur 0,3 Ärzt*innen. Diese Situation – gepaart mit unzureichender Schutzausrüstung und mangelhaften Möglichkeiten, Corona-Tests durchzuführen – hat dem Kontinent bereits eine Million Corona-Infizierte beschert (ohne Dunkelziffer).

Doch wie auf jedem anderen Flecken der Erde beweisen die Kolleg*innen im Sozial- und Gesundheitsbereich Afrikas seit vielen Wochen, dass sie sich wehren müssen und können. Ärzt*innen und Pflegepersonal in Nigeria, Simbabwe, dem Kongo und Sierra Leone sind bereits Anfang Juli in den Streik getreten. Ihre Forderungen sind so simpel wie notwendig: Bessere Schutzausrüstung und bessere Bezahlung. Letzteres wird in Simbabwe in US-Dollar gefordert, da die rasante Inflation ansonsten jede Lohnerhöhung auffrisst.

Auch in Indien steht das Pflegepersonal an der Spitze des Widerstands. Die sogenannten „Ashas“ (akkreditierte Aktivist*innen für soziale Gesundheit) sind Mitte August in den Streik getreten. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass ihre Löhne von gerade mal 22 €/Monat regelmäßig bezahlt werden - für pünktliche und mehr Bezahlung kämpfen sie.

In Israel wiederum sind die Pflegekräfte inzwischen den bereits seit Monaten immer wieder streikenden Sozialarbeiter*innen in den Arbeitskampf gefolgt. Ihre Wut entlädt sich nicht nur wegen der miesen Arbeitsbedingungen und dem mangelhaften Krisenmanagement der Regierung Netanjahu (Tage in Quarantäne werden als Krankentage berechnet), sondern richtet sich auch generell gegen die wirtschaftlich miese, im Kapitalismus jedoch normale Zukunftsperspektive. So hat die Arbeitslosigkeit in Israel mit 21% inzwischen ein Rekordhoch erklommen.

Das zeigt, dass sich der Widerstand für höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingung von anderen, auch politischen Forderungen nicht trennen lässt. In Weißrussland verarzten Ärzt*innen und Pfleger*innen die gefolterten Aktivist*innen im Protest gegen das Regime von Lukaschenko. 

Die Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich haben nicht die selbe wirtschaftliche Macht wie ihre Kolleg*innen in der Industrie. Doch durch die zunehmende Privatisierung in diesem Bereich können sie mit Kampfmaßnahmen auch die Profite “ihrer” Kapitalist*innen bestreiken. Aber durch die Größe des Sektors und die Tatsache, dass jedeR irgendwas mit dem Bereich zu tun hat, als Patient*in/Klient*in, als Elternteil, als AngehörigeR etc. ist die Verankerung in der Bevölkerung sehr groß. In Kombination mit einerseits dem gesteigerten Selbstbewusstsein durch das Wissen um die Wichtigkeit der eigenen Arbeit und andererseits der Wut über die Missstände handelt es sich um einen Bereich mit hoher Sprengkraft. Viele junge Kolleg*innen, viele Frauen die auch über andere Fragen zunehmend politisiert sind, viele Menschen mit Migrationshintergrund - eine widerständige Beschäftigtengruppe ist hier entstanden.

Weltweit sind es Sozialarbeiter*innen, Pflegekräfte, Betreuer*innen und Ärzt*innen, die tagein, tagaus mit den Gräueln des barbarischen kapitalistischen Systems konfrontiert werden. Sie sollen für die Herrschenden und ihre Speichellecker*innen einen simplen Zweck erfüllen: Probleme verschleiern und optimalerweise Betroffene wieder fit machen für die kapitalistische Produktion. Doch diese emotional belastende Arbeit führt immer öfter nicht nur ins Burnout, sondern in den (internationalen) Widerstand. Manchmal findet der Widerspruch eine Vertretung in den offiziellen Gewerkschaften, oft ist es aber auch nötig, dass sich die Kolleg*innen selbst, in den Gewerkschaften oder sogar außerhalb, organisieren müssen, um kämpferisch ihre Interessen vertreten zu können.

Nicht umsonst ist die internationale Organisation, deren Mitglied die SLP in Österreich ist – Internationale Sozialistische Alternative – Teil dieser Proteste. Wir waren in Österreich an vorderster Front bei den Streiks Anfang des Jahres, mobilisieren in Belgien mit der Pfleger*innen-Organisation „Gesundheit im Kampf“ („La Santé en Lutte“) zu einer Großdemonstration im September oder gründeten in Russland eine „Virus-Gewerkschaft“, um für bessere Schutzmaßnahmen gegen Corona zu kämpfen. Wir sind Teil aller Proteste für unmittelbare Verbesserungen. Und wir zeigen auf, dass es keinen gesunden Kapitalismus gibt, sondern ein wirklich gutes Gesundheits- und Sozialsystem für Alle mit guten Arbeitsbedingungen im Widerspruch zur Profitlogik steht. 

All diese Beispiele zeigen gut, was wir – vor allem wenn wir uns in Gewerkschaften oder revolutionären Parteien organisieren – erreichen können. Die Corona-Pandemie ist genauso weltumspannend wie das System, in welchem wir leben – leisten wir gemeinsam international Widerstand dagegen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: