Echte Verbesserungen in Pflege und Sozialbereich - So könnte es gehen!

So können die Forderungen der Betriebsrät*innenkonferenz nach 750€ mehr und eine 35 Stundenwoche ab 1.1.2023 erreicht werden.
von Michael Gehmacher (Betriebsrat ASB-WSD) und Christoph Glanninger (ISA-Bundesleitung)

Im Herbst finden nach dreijähriger Pause wieder Kollektivvertragsverhandlungen im privaten Gesundheits- und Sozialbereich (SWÖ, Sozialwirtschaft Österreich) statt und vor dem Sommer gab und gibt es die ersten Aktionen. Die Betriebsrät*innenkonferenz des Wiener Wirtschaftsbereich 17 (in der Gewerkschaft zuständig für den privaten Gesundheits- und Sozialbereich) hat die Forderung nach 750€ mehr und einer 35 Stundenwoche ab 1.1.2023 beschlossen. Nun geht es darum, dies auch zu erreichen.

Diese Verhandlungen sind besonders wichtig nicht nur für die Beschäftigten sondern auch für die Arbeiter*innenbewegung insgesamt und für Sozialist*innen und “Linke”. In diesem Artikel gehen wir darauf ein, warum diese Verhandlungen so wichtig sind und arbeiten zentrale Punkte für die bevorstehende Auseinandersetzung heraus. 

Warum ist die Auseinandersetzung so wichtig?

Nach 3 Jahren Pandemie sind viele Kolleg*innen am Ende. Die Situation in vielen Pflegeheimen und Sozialeinrichtungen war vergleichbar (teilweise aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit sogar schlimmer) wie in den Krankenhäusern. Die Bezahlung ist teilweise noch schlechter. Immer mehr Kolleg*innen überlegen sich einen Berufswechsel - ohne massive Verbesserungen droht ein Teufelskreis. 

In den Jahren vor dem letzten, dem Dreijahresabschluss hat sich der Gesundheits- und Sozialbereich zu einem der kämpferischten Branchen entwickelt. 2018, 2019 und 2020 fanden im Rahmen der Lohnverhandlungen immer Mobilisierungen, Proteste und größere Streikbewegungen statt, bevor die Gewerkschaftsspitze dieser Dynamik mit dem Dreijahresabschluss hinter dem Rücken der Kolleg*innen den Wind aus den Segeln genommen hat. Ein Anknüpfen an diese kämpferischen Traditionen von vor der Pandemie kann nun zum Vorbild für andere Branchen werden. Das gilt besonders auch für andere “Frauenbranchen” und ist auch ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die verschiedensten feministischen Proteste: einerseits sind im Sozialbereich die Beschäftigten mehrheitlich weiblich, aber auch von den Leistungen im Sozialbereich profitieren vor allem Frauen. Deshalb und auch weil wir alle von besserer Versorgung und besseren Arbeitsbedingungen profitieren geht diese Auseinandersetzung uns alle etwas an. 

7 Punkte für die SWÖ-Verhandlungen

Gerade weil es bei den bevorstehenden Verhandlungen um so viel geht ist es besonders wichtig eine Strategie zu entwickeln die auch tatsächlich erfolgreich sein kann. Wir glauben die 7 wichtigsten Punkte dafür sind:

  • Keine Verhandlungen wie jedes Jahr: Nach 3 Jahren Pandemie und einer massiven Teuerungswelle können wir uns Verhandlungen und einen Abschluss “wie sonst auch” nicht leisten. 2018 gab es erste Warnstreiks und die Zahl der kampfbereiten Kolleg*innen steigt jedes Jahr. Auch jetzt zeigen das erste gewerkschaftliche Aktionen und Stimmungsberichte. Aber das bedeutet auch, dass es sowohl bei den Forderungen als auch bei der Eskalations- und Arbeitskampfstrategie eine Abkehr vom klassischen sozialpartnerschaftlichen Ablauf und einen entschlossenen Kampf um echte Verbesserungen braucht. Wenn das nicht passiert besteht auch eine große Gefahr: Kolleg*innen werden sich resigniert vom Widerstand oder sogar vom Bereich insgesamt abwenden. 

  • Es braucht Arbeitszeitverkürzung und Gehaltserhöhung: Die Betriebsrät*innenkonferenz des Wiener Wirtschaftsbereich 17 (in der Gewerkschaft zuständig für den privaten Gesundheits- und Sozialbereich) hat die Forderung nach 750€ mehr und einer 35 Stundenwoche ab 1.1.2023 beschlossen. Diese Forderungen zeigen, dass die zuständigen Betriebsrät*innen sich nicht mehr länger mit Kleinigkeiten abspeisen lassen wollen. Es braucht deutliche Verbesserungen bei Gehalt und Arbeitszeit. Sollte die Gewerkschaft versuchen, von diesen beschlossenen Zielen abzugehen, müssen wir das verhindern! Besonders wichtig ist es dabei auch bei der Arbeitszeitverkürzung keine halben Schritte mehr zu machen, die nur zu Arbeitsverdichtung führen. Deshalb braucht es die 35 Stundenwoche ab 1.1. mit insgesamt mindestens 20% mehr Personal.

  • Mobilisieren, kämpfen, Streiks jetzt vorbereiten: Uns muss klar sein, dass eine entsprechend hohe Forderung nur durch einen deutlich intensiveren und breiteren Arbeitskampf gewonnen werden kann. Deshalb braucht es von Anfang an einen Aktionsplan der Kampfkraft aufbaut und eine möglichst breite Mobilisierung sicherstellt. 2020 haben viele Kolleg*innen v.a. aus dem Sozialbereich gestreikt. Während der Pandemie gab es viel Wut und viele Aktionen in der Pflege, die jetzt für diese Streikbewegung genutzt werden müssen. Besonders wichtig wird es sein, Solidarität aus anderen Bereichen zu organisieren. Die Demonstration am 23.6. in Wien ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung und sollte auf alle Bundesländer ausgeweitet werden. Eine wichtige Unterstützung ist ein Solidaritätskomitee, bei dem sich Klient*innen und ihre Angehörigen aber auch Organisationen aus der politischen und feministischen Linken sowie aus der Zivilgesellschaft bzw. Nachbarschaften oder Selbstorganisationen von Klient*innen und Patient*innen einbringen können. Optimalerweise organisiert die Gewerkschaft ein solches Komitee, tut sie es nicht, müssen wir auch hier selbst aktiv werden. Auch der Schulterschluss zu anderen Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst ist dringend nötig - von einem guten Abschluss im Gesundheits- und Sozialbereich profitieren schließlich alles. Gerade bei den Verhandlungen der Metaller*innen sollte gegenseitige Solidarität und ein gemeinsamer Kampf aufgebaut werden - im Idealfall macht man einen guten SWÖ-Abschluss zur Voraussetzung für einen Abschluss z.B. im besser organisierten und stärkeren Metallbereich. Zur Vorbereitung der Verhandlungen braucht es Betriebsversammlungen und Betriebrät*innenkonferenzen und Aktionen im Sommer. Im September müssen die beiden verhandelten Gewerkschaften GPA und VIDA die Forderungen im Rahmen einer gemeinsamen bundesweiten Betriebsrät*innen- und Aktivist*innenkonferenz diskutieren und abstimmen. Hierzu gehört auch der Austausch mit anderen Branchen - nicht nur auf Spitzenebene, sondern durch wechselseitige Besuche und Unterstützung. So werden die KV-Verhandlungen demokratisiert, viel mehr Betriebsrät*innen und Betriebe einbezogen. Das ist auch ein Signal der Stärke an Vereine und Regierungen. Wir brauchen dringend einen Abschluss über der Inflation, darum müssen wir den Kampf jetzt beginnen! Und ja: kämpfen im Sozial- und Gesundheitsbereich ist schwierig aber möglich!

  • Diakonie, Caritas, Rotes Kreuz, SWÖ & Co. gemeinsam verhandeln und kämpfen: Ein erster Schritt um die Spaltung in unserem Bereich zu überwinden ist es, sich auf gemeinsame zentrale Forderungen zu einigen und zumindest parallel die Verhandlungen zu führen, gemeinsam zu streiken und auch nur gemeinsam abzuschließen. Bei den letzten Verhandlungen gab es erste Schritte in diese Richtung die jetzt ausgebaut werden müssen. 

  • Kämpferische Strategie braucht Demokratie: Demokratie ist kein Selbstzweck. Gerade in einer Branche mit so vielen kleinen Einheiten braucht es die aktive Beteiligung und echte Mitbestimmung. Denn es sind unsere Löhne/Gehälter und es ist unser Risiko, wenn wir streiken. Neben regelmäßigen Betriebsrät*innenkonferenzen braucht es eine Organisierung der Kolleg*innen von unten. In Wien gibt es eine Aktionsgruppe bestehend aus Betriebsrät*innen und Gewerkschafter*innen aus der GPA, die für die Planung von Aktionen zuständig sind. So eine Gruppe ist ein wichtiger Schritt nach vorne und kann durch Ausweitung (auch auf Betriebe) und demokratische Legitimierung eine wichtige Rolle im Arbeitskampf spielen. Ein nächster Schritt könnte es sein schon Anfang Herbst in Betrieben Streik- bzw. Verhandlungskomitees in allen Betrieben zu bilden um den Arbeitskampf in den Betrieben zu organisieren. Durch eine regionale und bundesweite Vernetzung könnte ein so gebildetes bundesweites Streikkomitee aber auch den gesamten Arbeitskampf auf deutlich breiterer Basis demokratisch organisieren. Ein möglicher KV-Abschluss muss einer Debatte in den Betrieben und einer demokratischen Urabstimmung unterzogen werden.

  • Organisierung von unten: in den letzten Jahren hat die Gewerkschaftsspitze leider nicht selbständig so eine Strategie umgesetzt. Deshalb ist es umso wichtiger sie bewusst von unten einzufordern. Die Vorbereitungen für die Verhandlungen in der Wiener GPA mit der Betriebsrät*innenkonferenz am 30.5. und der Demonstration am 23.6. sind richtige Schritte, die man auch in anderen Bundesländern aufgreifen sollte. Aber darüber hinaus braucht es eine selbstständige Organisierung von kämpferischen Betriebsrät*innen und aktiven Kolleg*innen um die Interessen der Basis zu jedem Zeitpunkt der Verhandlungen aktiv einzubringen. Sozial aber nicht blöd, eine kämpferische Basisinitiative im Gesundheits- und Sozialbereich setzt sich das Ziel genau das gemeinsam mit anderen zu machen. Wir wollen Kolleg*innen und solidarische Menschen aus unterschiedlichen Einrichtungen zusammenbringen, Erfahrungen austauschen und Aktionen organisieren - um einerseits den Arbeitskampf so stark wie möglich zu machen, aber auch von der Gewerkschaftsspitze die notwendigen Schritte einzufordern und zu erkämpfen. 

  • Ausfinanzierung ist möglich und nötig: Die Coronahilfen für Unternehmen und die Aufrüstungspläne zeigen, dass ausreichend Geld da ist. Aber mehr als 2 Jahre Pandemie haben leider gezeigt, dass die Regierung keinerlei Interesse daran hat mehr Geld in Gesundheit und Soziales zu stecken - vielmehr versucht sie den Bereich stillschweigend kaputtsparen. Wir können davon ausgehen, dass sie in den nächsten Jahren auch versuchen werden die Kosten für Corona, Krieg und Krise auf uns abzuladen. Gerade deshalb ist Organisierung und kämpferische KV-Verhandlungen nicht nur notwendig um den Abschluss zu erkämpfen den wir brauchen sondern auch in den nächsten Jahren zu verhindern, dass wir für ihre Krisen zahlen müssen. Die Ausfinanzierung des Bereichs ist nötig als Basis für ein Gesundheits- und Sozialsystem in dem Beschäftigte und Betroffene zählen und nicht Kostenoptimierung und Profit. 

Chance und Verantwortung für die Arbeiter*innenbewegung und Linke

Auf unserer Bundeskonferenz im April haben wir uns intensiv mit Perspektiven für Wirtschaft, Gesellschaft aber auch Klassenkämpfe beschäftigt. Dass der Sozialbereich hier eine zentrale Rolle einnimmt ist offensichtlich. Für uns hat daher die Arbeit in diesem Bereich, die Unterstützung von Strukturen und Kämpfen besondere Bedeutung.  Das gilt für die ISA (früher SLP) ebenso wie für die sozialistisch-feministische Initiative ROSA.

Es gibt aktuell kaum einen anderen Bereich, in dem es für die Arbeiter*innenbewegung und die politische Linke im nächsten Jahr die Möglichkeit für einen größeren Durchbruch gibt, wo reale Verbesserungen für Kolleg*innen erkämpft werden können. Und es geht nicht nur um die Arbeitsbedingungen: Arbeitskämpfe im Sozial- und Gesundheitsbereich sind immer politische Kämpfe. Im Kern geht es um die Frage worum es in unserer Gesellschaft gehen soll: um die Profite von Wenigen oder um die Leben, Gesundheit und Versorgung von Vielen. Der Arbeitskampf ist daher auch eine Chance die Perspektive eines anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem einzubringen. Es ist die Verantwortung von sozialistischen Aktivist*innen, der feministischen und der Arbeiter*innenbewegung alles dafür zutun um den kämpferischen Betriebsrät*innen und Kolleg*innen in der Branche zum Durchbruch zu verhelfen.

Wir laden alle Einzelpersonen, Zusammenhänge und Gruppe dazu ein mit uns und mit der Basisinitiative Sozial aber nicht blöd in Diskussion zu treten darüber wie das gelingen kann.