Internationales

Belgiens Generalstreik braucht mehr

Lena Goeth

Im Juni entlud sich der Unmut über Teuerung und Arbeitsbedingungen in einer Demonstration mit 80.000 Teilnehmer*innen. Die Gewerkschaften waren durch Druck von unten gezwungen, einen Generalstreik auszurufen, der am 9.11. auch stattfand. Handel und Gastro waren zwar nicht vollständig beteiligt, der Öffentliche Vekehr aber im Notbetrieb. Der Flughafen Brüssel-Charleroi war vollständig außer Betrieb und am Hauptflughafen Brüssel fielen 60% aller Flüge aus. Vor zahlreichen Firmen sammelten sich Streikposten, Putzkräfte versammelten sich an einem der größten Bahnhöfe in Brüssel. Auch viele unorganisierte Beschäftigte schlossen sich der Arbeitsniederlegung an. Die Hafenarbeiter*innen drückten ihre Solidarität mit den Niedriglohnsektoren aus. Generell war “Solidarität” ein zentraler Begriff bei den Streikenden.

PSL/LSP (belgische Sektion der ISA) hatte im Vorfeld mobilisiert und war am 9.11. landesweit im Einsatz. Allein in Brüssel waren 34 Genoss*innen im Einsatz. Studierende fuhren die Streikposten ab, um unsere Forderungen und Organisierungsvorschläge zu diskutieren. Andere unterstützten Betriebsräte. Selbiges wurde auch in Antwerpen und Gent organisiert.

Doch die Forderungen der Gewerkschaften sind lasch. Angesichts der Teuerung stellte die PSL/LSP die nötigen Forderungen auf, Energiekonzerne unter demokratischer Kontrolle zu vergesellschaften sowie eine Lohnerhöhung von 2€ pro Stunde (ca. 330€ mtl.) durchzusetzen. Auffallend war, dass in der Pharma-, Metall- und Chemieindustrie die Forderungen bzgl. der Energiepreise als wichtiger empfunden wurden, als bei Reinigungskräften sowie im Sozial- und Gesundheitsbereich. In diesen Branchen war die Lohnerhöhung ein großes Thema.

Eine große Frage begleitet den ganzen Streik: Was jetzt? Im Flugblatt der PSL/LSP steht dazu: “Dieser erste Generalstreik muss in großen demokratischen Versammlungen bilanziert werden, an denen Beschäftigte aus verschiedenen Branchen teilnehmen. Dies ist ein idealer Zeitpunkt, um die Stärken, aber auch die Schwächen des Streiks zu diskutieren, um durch sektorspezifische Forderungen zu verfeinern und Pläne für den weiteren Aufbau der Bewegung zu diskutieren und demokratisch abzustimmen.”

www.socialisme.be

 

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

International & queer in Taiwan

Severin Berger

Wir in Österreich sind es mittlerweile gewohnt, große Pride-Paraden und auch Pride-Proteste im öffentlichen Raum zu sehen. Aber nicht überall auf der Welt ist es möglich, öffentlich Queerness positiv darzustellen - so zum Beispiel in Festland-China, wo es immer wieder zu brutalem Vorgehen gegen queere Menschen seitens des Regimes kommt. In Taiwan wurde erst vor 3 Jahren die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Bisher wurde jedoch verabsäumt, ein Gesetz zu verabschieden, das wirklich eine Gleichsetzung schafft. Diese Probleme wurden, unter anderen, von Aktivist*innen der ISA in Taiwan angesprochen, als sie im November an der Pride in Taipeh, mit mehr als 120.000 Besucher*innen die größte Asiens, und in Kaohsiung, mit etwa 10.000 Menschen, teilnahmen. Die Genoss*innen intervenierten mit einem klaren antikapitalistischen Programm, scharfer Kritik sowohl an der liberalen Regierung Taiwans wie auch der chinesischen Diktatur und dem Aufruf zur Solidarität mit allen LGBTQI+ Menschen, die in Festland China und Hong Kong verfolgt werden. Besonders durch diesen Aufruf zum internationalen gemeinsamen Kampf stachen sie heraus und schafften es, zahlreiche neue Kontakte zu knüpfen und über 500€ für ihre Arbeit zu sammeln und etwa 100 Magazine zu verkaufen!

www.chinaworker.info / www.revolution.tw

 

Mehr zum Thema: 
Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Iran: Stoppt die Vereinnahmung der Revolution!

Eine "geeinte" pro-kapitalistische Opposition ist keine Lösung für Frauen, Arbeiter*innen und Arme
ISA-Arbeitsgruppe Iran

Am Freitag, den 10. Februar, am Vorabend des 44. Jahrestages der Gründung der Islamischen Republik, kamen prominente iranische Oppositionelle zusammen, um sich als eine Art vereinte liberale Opposition zu präsentieren. Was wie ein Schritt nach vorn aussieht, könnte in Wirklichkeit die Bewegung vor Ort schwächen und ihre Ziele untergraben.
Die Gruppe von Personen, die hier zusammen gekommen ist, repräsentiert die Reichen und Wohlhabenden, die Elite dessen, was sie als den zukünftigen säkularen Iran darstellen. Bei dieser Veranstaltung am Institut für Frauen, Frieden und Sicherheit  der Georgetown University (GIWPS) kamen acht Personen zusammen, einige in echt, einige nur online. Zu ihnen gehörte das derzeitige Familienoberhaupt der ehemaligen Schah-Familie, "Prinz" Reza Pahlavi, einer Familie, die mit Terror regierte und am Ausverkauf des Reichtums des Landes an den Imperialismus mitwirkte, eine Familie, die nicht auf den Thron verzichtet hat. Weitere Teilnehmer*innen waren Shirin Ebad (Friedensnobelpreisträgerin von 2003), Hamed Esmaeilion (Aktivist rund um den Flug PS752, ein ziviles Flugzeug, das 2020 von den "Revolutionsgarden" abgeschossen wurde was fast 200 Menschen tötete), Masih Alinejad (Schriftstellerin und Frauenrechtlerin), Nazanin Boniadi und Golshifteh Frahani (Schauspielerinnen und Aktivistinnen), Ali Karimi (ehemaliger Kapitän der Fußballnationalmannschaft) und Abdullah Mohatadi, der Generalsekretär der iranischen Kurdenpartei Komala.

Diese Initiative, die eine Kapitulation der liberalen Opposition vor Reza Pahlavi bedeutet, ist ein Schlag ins Gesicht der Ölarbeiter*innen, die sich öffentlich gegen den "Prinzen" ausgesprochen haben, eins Schlag ins Gesicht der Jugend, die "Tod dem Diktator, ob Schah oder religiöser Führer" rief und die sich klar gegen imperialistische Interventionen aussprach - wie in einer kürzlich veröffentlichten Erklärung:http://https://bit.ly/40SGvx4

Warum jetzt?

Nach vier Monaten von Protesten und brutaler Unterdrückung ist die Bewegung immer noch nicht vorbei, auch wenn sie nicht mehr so groß ist wie auf ihrem Höhepunkt. Das Regime hat vor allem unter der städtischen Jugend an Einfluss verloren, und es gibt Befürchtungen, dass die Wahlbeteiligung bei den nächsten Wahlen im Jahr 2024 auf insgesamt nur 15 % sinken könnte - und in den Städten sogar noch weniger. Anfang 2023 waren Frauen ohne den - formal immer noch - vorgeschriebenen Hijab ein alltäglicher Anblick auf den Straßen von Teheran, Isfahan oder Mahabad. Aber das Regime ist immer noch an der Macht, ebenso wie seine brutalsten Teile, die "Revolutionswächter" und die Sittenpolizei. Das Regime ist sich bewusst, dass jede neue Welle der Unterdrückung eine neue Protestwelle auslösen könnte. Daher ist das neue Budget, das die Unterstützung für die "Sicherheit" einschließlich der verhassten "Revolutionsgarden" überproportional erhöht, sowohl eine Warnung als auch eine Provokation für die Bewegung. Andererseits hängt die Bewegung irgendwie in der Luft, da sie noch keine wirkliche Alternative zum Regime darstellt. Dieses Vakuum nutzen die acht selbsternannten "Anführer*innen", um die Bewegung zu kapern. Ihr Ziel ist auch eine deutliche Botschaft an den westlichen Imperialismus: Keine Sorge, wir werden eure zuverlässigen Partner*innen in einem zukünftigen Iran sein.

Es ist nicht nur ein Versuch, an den Imperialismus zu appellieren, sondern es gibt auch Anzeichen dafür, das der US-Imperialismus direkt in diesen Schritt involviert ist (wie bei Guaidó in Venezuela). Auch werden Unterschiede zwischen dem US-Imperialismus und dem EU-Imperialismus sichtbarer. Während die EU immer noch Verhandlungen mit dem Regime zu bevorzugen scheint, sieht es so aus als ob die USA ihre Strategie ändert und sich auf die Destabilisierung des Regimes konzentrieren und versuchen, einen Regimewechsel zu erzwingen.

Bislang hat sich der westliche Imperialismus in Bezug auf den Iran relativ ruhig verhalten. Die herrschenden Eliten in Washington, London und Brüssel blicken gierig auf die reichen iranischen Öl- und Gasfelder, die sie gerne nutzen würden, um ihre Abhängigkeit vom russischen Öl zu verringern. Das war auch der Grund für den jüngsten Versuch, die Verhandlungen über das Atomabkommen wieder aufzunehmen. Für "den Westen" geht es nicht um "Werte", sondern um Stabilität und Öl, auch wenn ersteres im Moment noch wichtiger ist. Ein relativ aktuelles Beispiel ist der Ausverkauf des irakischen Öls an westliche Unternehmen nach der "Befreiung" des Iraks. Ihre "Sanktionen" sind also eher weich, da sie sich bewusst sind, dass das Regime noch einige Zeit an der Macht bleiben könnte, aber sie scheinen sich zunehmend ihren Einfluss für den Fall eines Sturzes des Regimes sichern zu wollen. Diese Entwicklung ist auch im größeren Kontext der inner-imperialistischen Spannungen zu sehen - auch das mindestens zwei dieser acht zufällig ausgewählten "Anführer*innen" am Nato-Gipfel in München teilnehmen werden. Die Gruppe der Acht versucht, den imperialistischen Anführer*innen zu versichern, dass sie nach dem Sturz der Mullahs dafür sorgen werden, dass ein neues Regime für die nötige Stabilität in der Region sorgen und den westlichen imperialistischen Mächten Zugang zu den dringend benötigten natürlichen Ressourcen verschaffen wird.

Die Wahrheit ist, dass diese zufällige Auswahl von acht Persönlichkeiten des Establishments, darunter Reza Pahlavi, weder die Menschen im Iran noch die Bewegung repräsentieren. Pahlavi und die Anhänger*innen der Schah-Familie versuchen, aufgrund ihres enormen Reichtums (dessen Umfang sie geheim halten, so dass die Schätzungen von mehreren hundert Millionen bis zu mehreren Milliarden reichen) Einfluss zu gewinnen, den sie auch über scheinbar "unabhängige" Medienplattformen ausüben. Derselbe Pahlavi unterstützte Trumps Sanktionen, die zwar nicht das Regime im Iran, wohl aber die einfachen Menschen treffen! Selbst wenn dieses "Bündnis" der zufälligen Acht einzelne Vertreter*innen der Bewegung im Iran selbst einbeziehen würde, wären sie nicht bereit, den organisierten Gewerkschaften oder den vielen Studierendenorganisationen, die sich gebildet haben, tatsächlich Macht zu überlassen. Dieser Schritt ist ein Versuch der ehemaligen Eliten, wieder an die Macht zu kommen und sicherzustellen, dass das kapitalistische Fundament des Iran unangetastet bleibt. Im Iran selbst haben sich verschiedene Basisstrukturen entwickelt, insbesondere unter der Jugend, aber auch in Verbindung mit (bereits bestehenden oder neu gegründeten) Strukturen von Arbeiter*innen. Eine neue Erklärung eines Bündnisses von Gewerkschaften, Studierenden- und Rentner*innenorganisationen und anderen macht sehr deutlich, dass sie gegen jede Macht "von oben" sind und die Revolution zur Befreiung von allen Formen der Unterdrückung, Diskriminierung, Ausbeutung, Tyrannei und Diktatur wollen. Das repräsentiert die Frauen, die Arbeiter*innen und die Jugend, die Bewegung vor Ort 100x mehr als diese Acht mehr zufällig ausgewählten!
Trotz der Unterdrückung durch das Regime gibt es eine reiche Geschichte von Kämpfen der Arbeiter*innenklasse und auch von Komitees und Räten von Arbeiter*innen wie den berühmtesten der Beschäftigten der Haft-Tappeh-Zuckerfabrik, aber auch von anderen wie Busfahrer*innen, Lehrer*innen und in der Öl- und Gasindustrie. Die Schwäche der Bewegung besteht darin, dass diese Grundstrukturen einer zukünftigen wirklichen Demokratie nicht auf breiter Ebene in demokratischen Strukturen des Widerstandes zusammengeführt werden, um ein Programm für den Kampf und eine gemeinsame Strategie zu diskutieren und das Vakuum zu füllen, das dort entsteht, wo sich die staatlichen Kräfte zurückziehen müssen.
In einem Programm, das von Aktivist*innen in Europa und im Iran bereits im Oktober 22 ausgearbeitet wurde, hat die ISA eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie die Bewegung weitergehen kann, die unserer Meinung nach immer noch gültig sind: https://internationalsocialist.net/en/2022/10/iranian-revolution. Sie bilden die Grundlage für Diskussionen mit Aktivist*innen, aber auch für den Aufbau einer kohärenten revolutionären Organisation für die nächste Phase der Revolution im Iran.

Die Selbsternannten 8: "Einheit", die auf die Bewegung zurückschlagen wird

Die "Selbsternannten 8" sind sich nicht einig, wie ein zukünftiger Iran aussehen soll: Einige streben eine bürgerliche Demokratie nach westlichem Vorbild an, andere eine konstitutionelle Monarchie, einige verteidigen die Rechte von Minderheiten wie Kurd*innen oder in Belutschistan, andere spielen sie mit dem Argument herunter, es gäbe nur "Iraner*innen". Ihre Argumentationslinie lautet: Vereint euch gegen die Mullahs, um alles andere kümmern wir uns später. Was wie ein vernünftiger Plan klingt, ist in Wirklichkeit eine Bedrohung für die Bewegung. Das ganze Konzept reduziert den Kampf auf ein gigantisches Schachspiel, bei dem der König auf Kosten des Lebens von Hunderttausenden von "Bauern" (sprich: Arbeiter*innen und Jugendlichen) gerettet werden muss. Doch die Menschen im Iran und in der Diaspora wollen das nicht und wollen in ihrer großen Mehrheit nicht, dass die Pahlavi-Familie wieder an die Macht kommt. Mehr noch, diese selbsternannten Acht können nicht liefern, was die Jugend und die Arbeiter*innen, die sich im Iran erhoben haben, wollen: ein Ende der Herrschaft der Wenigen, ein Ende der Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen und Arbeiter*innen, ein Ende der Armut und volle Rechte für Minderheiten. Im Kapitalismus sind die demokratischen Rechte begrenzt und in einem Land, das stark vom westlichen Imperialismus abhängig wäre, erst recht. Die USA selbst hat gerade erst Frauen als zu unreif erklärt, um über ihren eigenen Körper zu entscheiden. Davor haben sie die reaktionären islamistischen Mudschaheddin-Guerillas in Afghanistan ausgerüstet (die Vorläufer der Taliban), die von 1979 bis 1989 die sowjetischen Truppen und die moskautreue Regierung bekämpften und so Afghanistan zur Hochburg dieser religiösen Fanatiker und Frauenfeinde gemacht. Derselbe Westen, der Erdogan unterstützt, der auch nach dem mörderischen Erdbeben kurdische Gebiete angreift.

1979 nutzten die Mullahs die antiimperialistischen Gefühle und den Wunsch nach einer Republik der Armen, um große Teile der Bewegung, einschließlich der wichtigsten linken Organisationen, um die Idee zu scharen, dass "das Wichtigste ist, den Schah loszuwerden", selbst als Teile der Arbeiter*innenklasse die Teilhabe an der Führung des Landes forderten und eine "Republik der Armen" forderten. Aber der Ansatz der linken Organisationen ließ die Frage unbeantwortet, was an die Stelle des Schahs treten sollte und das führte zur brutalen Diktatur der Mullahs: ein Fehler, der nicht wiederholt werden darf. Also NEIN, die selbsternannten Acht sind kein kleineres Übel, kein erster Schritt, kein akzeptabler Kompromiss, sondern eine Bedrohung für die Bewegung und ihre Forderungen.

Also ja, die Bewegung braucht einen nächsten Schritt nach vorne, aber die selbsternannten 8 sind nicht was gebraucht wird, sondern sie wollen dafür sorgen, dass die einfachen Leute wieder keine Stimme haben, selbst wenn die Mullahs gestürzt werden. Ein Bündnis pro-kapitalistischer Kräfte ist keine Antwort auf die Preisexplosion und Energiekrise, die die Menschen im Iran hungern und frieren lässt. Aber der Zusammenschluss der sich vor Ort entwickelnden Strukturen, der Arbeiter*innenkomitees, der Studierendengruppen, der Selbstverteidigungsstrukturen - das ist die Richtung nach vorne. Die Ölarbeiter*innen haben im Jänner erneut gestreikt, was auf die potenzielle Macht der Arbeiter*innenklasse im Iran hinweist. Während sich das Land in einer schweren Wirtschafts- und Energiekrise befindet, können diese Arbeitskämpfe einen Weg nach vorne zeigen. Für die Ölarbeiter*innen ist glasklar, warum ein Ausverkauf an westliche Unternehmen die Krise im Iran nicht lösen würde und dass sie selbst das Wissen und die potenzielle Macht haben, die Industrie zu übernehmen und den Reichtum des Landes für die ganze Bevölkerung zu nutzen. Einen solchen Kampf mit dem Kampf für die Rechte aller Frauen und queeren Menschen im Iran und für alle Minderheiten zu verbinden, ist die Grundlage für einen wirklich anderen Iran, eine Arbeiter*innen-Demokratie, in der die Vielen und nicht die Wenigen entscheiden, in der die reichen Ressourcen nicht für eine in- oder ausländische Elite ausgebeutet werden, sondern den einfachen Arbeiter*innen, Bäuer*innen und Armen zugute kommen und in der die Gesellschaft von denen geführt wird, die sie am Laufen halten. Eine solche Fortsetzung des revolutionären Prozesses hin zum Sturz nicht nur des Mullah-Regimes, sondern auch seiner wirtschaftlichen Basis würde eine Welle der Panik unter den Machthabern in Afghanistan und anderen Diktaturen schicken und Wellen der Unterstützung von Arbeiter*innen und Unterdrückten in der ganzen Welt auslösen. Das wird nur durch den Sturz des kapitalistischen Regimes möglich sein und wenn es durch eine demokratisch geplante Wirtschaft und ein sozialistisches System ersetzt wird. Ein solches wäre keine Widerholung der autoritären stalinistischen Regimes der Vergangenheit sondern echte Arbeiter*innendemokratie in der sichergestellt ist, dass die Ressorcen der Gesellschaft für alle genutzt werden, wo diDiskriminierung auf der Basis von Geschlecht, Nationalität oder sexueller Orientierung verschwindet und wo nationale Minderheiten das Recht auf Selbstbestimmung haben - damit der Iran ein gleichberechtiger Partner in einer weltweiten Föderation sozialistscher Staaten werden kann.
Die Bewegung ist geschwächt, aber sie ist nicht besiegt und nicht vorbei - es ist eine offene Frage, wann sie in einer nächsten großen Welle zurückkommen wird, aber sie wird wiederkommen. Wenn Du Teil der Bewegung im Iran oder im Ausland bist und mit unseren Analysen und unserem Programm übereinstimmst, dann kontaktiere uns, um mit uns zu diskutieren und die Kräfte aufzubauen, die in der Lage sind, alle Diktaturen und selbsternannten Anführer*innen sowie ihre wirtschaftliche Basis, das kapitalistische System, zu stürzen.

Erdbeben in Türkei/Syrien/Kurdistan

Zehntausende liegen noch immer unter den Trümmern und die Zahl der Toten steigt: Das Schicksal hat nichts damit zu tun
Serge Jordan

Mehrstöckige Gebäude stehen neben pulverisierten. Ein Vater, der die Hand seiner toten Tochter hält, während ihr Körper, noch auf einer Matratze liegend, zwischen den Betonmassen eingeklemmt ist. Kleine Kinder, die im kalten Regen nach ihren verlorenen Eltern weinen. Verzweifelte Überlebende, die sich mit bloßen Händen durch die Trümmer wühlen, um nach Lebenszeichen zu suchen. Die Szenen nach den Erdbeben der Stärke 7,8 und 7,6, die am frühen Montagmorgen weite Teile der Türkei, Syriens und Kurdistans erschütterten und zu denen Hunderte von Nachbeben hinzukamen, sind erschütternd.

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts hat die Zahl der Todesopfer bereits die 21.000er Grenze überschritten und steigt mit jeder Sekunde; die endgültige Zahl wird wahrscheinlich noch viel höher sein, da Zehntausende noch immer unter den Trümmern verschüttet sind und das Zeitfenster, um sie noch zu retten, immer kleiner wird. Da es sich bei den betroffenen Gebieten in Syrien größtenteils um Kriegsgebiete handelt, die zwischen dem Regime von Bashar al-Assad, islamistischen bewaffneten Gruppen wie Hayat Tahrir al Sham und einigen kurdischen Enklaven aufgeteilt sind, ist die offizielle Zahl der Todesopfer auf syrischer Seite ebenfalls nicht verlässlich zu beziffern.

Zehntausende von Menschen wurden verletzt, und Millionen sind obdachlos und versuchen, bei winterlichen Minusgraden zu überleben, oft ohne Zugang zu Strom, Gas, sauberem Wasser oder Lebensmitteln. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass bis zu 23 Millionen Menschen direkt von den Erdbeben betroffen sind. Darunter sind auch Millionen syrischer Flüchtlinge, die in den erdbebengeschädigten Gebieten der Türkei oft auf engstem Raum untergebracht sind, nachdem sie auf der Suche nach Sicherheit aus ihrer Heimat geflohen sind.

Neben Trauer und Verzweiflung wächst auf beiden Seiten der Grenze die Wut auf die Behörden, die für die Katastrophe verantwortlich sind und auch darüber, wie sie darauf reagieren. "Jeder wird von Minute zu Minute wütender", so ein Mann aus Sarmada, einer Stadt in der syrischen Provinz Idlib, da die Menschen sich selbst überlassen wurden. In den meisten Gebieten der Türkei traf in den ersten, kritischen 24 Stunden nach den Beben kein Rettungsteam ein; in einigen Gebieten schien dies auch noch drei Tage später der Fall zu sein. "Die Menschen revoltierten (am Dienstag) morgens. Die Polizei musste eingreifen", berichtete ein 61-jähriger Überlebender aus der türkischen Stadt Gaziantep, der von der Nachrichtenagentur AFP zitiert wurde. In einigen stark betroffenen Ortschaften wie Adıyaman und Ordu wurden seitdem Proteste von Erdbebenopfern gemeldet.

Der Präsident des Landes, Recep Tayyip Erdoğan, hat die Verzögerungen auf die beschädigten Straßen und Flughäfen geschoben, aber das dient nur dazu, die eigene Schuld seines Regimes an dieser Situation zu verschleiern. Der Flughafen Hatay, dessen Start- und Landebahn durch die Erdbeben zweigeteilt und unbrauchbar geworden ist, wurde trotz wiederholter Warnungen von Umweltaktivist*innen und Protesten von Anwohner*innen in der Amik-Ebene, einem tektonisch aktiven Gebiet, gebaut.

Nach einem schweren Erdbeben im Nordwesten der Türkei im Jahr 1999 wurde eine "Erdbebensteuer" eingeführt, die angeblich dazu dienen sollte, den Katastrophenschutz und die Notdienste auszubauen und ähnliche Tragödien in Zukunft zu vermeiden. Doch niemand weiß genau, wohin das Geld geflossen ist, und trotz des unermüdlichen Einsatzes der Rettungskräfte ist es offensichtlich, dass der Staat selbst furchtbar unvorbereitet war, obwohl die Region für seismologische Ereignisse dieser Art prädestiniert ist. "Wo ist der Staat?" ist eine Frage, die sich viele Menschen stellen, denn die verwüsteten Kommunen, die ohnehin schon in einigen der ärmsten Gegenden des Landes liegen, sind ohne angemessene Ausrüstung und Unterstützung auf sich allein gestellt. Erschwerend kommt hinzu, dass ehrenamtlich tätige Einzelpersonen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Hilfsgruppen und die Unterstützung von Städten, die von der Opposition regiert werden, aufgrund von bürokratischen Hürden, die ihnen von der AKP-Regierung auferlegt wurden, ebenfalls daran gehindert wurden, sich an den Rettungsmaßnahmen zu beteiligen.

Erdoğan hat inzwischen eingeräumt, dass es in der Anfangsphase der Hilfsmaßnahmen "Unzulänglichkeiten" gegeben habe, und hinzugefügt, dass die Situation nun "unter Kontrolle" sei. Doch gerade in der Anfangsphase hätten die meisten Menschenleben gerettet werden können, wenn eine angemessene Vorbereitung und Planung sowie ausreichende Ressourcen vorhanden gewesen wären.

Profitgier der Unternehmen ist der Kern des Problems

Erdoğan hat den "Plan des Schicksals" für das Ausmaß der Katastrophe verantwortlich gemacht. Obwohl die Erdbeben vom Montag die stärksten in der Region seit 1939 waren, hat das Ausmaß der menschlichen und materiellen Zerstörung nichts mit dem Schicksal zu tun und ist auch nicht natürlich. "In der Georisikoforschung gibt es ein Sprichwort, das besagt, dass Erdbeben nicht wirklich Menschen töten - Gebäude schon" erklärt Carmia Schoeman, Masterabsolventin in Erdwissenschaften mit Schwerpunkt Erdrutschgeologie und Mitglied der WASP (ISA in Südafrika). Sie erklärt: "Obwohl in dieser Region aufgrund ihrer geologischen Lage am anatolischen Verwerfungssystem mit großen Erdbeben zu rechnen ist, ist das Ausmaß der Tragödie, die diese Ereignisse verursachen, fast ausschließlich menschengemacht. Seit vielen Jahrzehnten gibt es Wissenschaft und Technik, die nicht nur vorhersagen können, welche Gebiete am stärksten von solchen Ereignissen betroffen sein werden, sondern auch, wie die Schäden durch erdbebensichere Bauweise von Gebäuden minimiert werden können".

Expert*innen sind sich in der Tat einig, dass ordnungsgemäß gebaute Gebäude in der Lage gewesen wären, den Erschütterungen zu widerstehen. Ähnlich die Ansicht von David Alexander, Professor für Notfallplanung und -management am University College London, "Von den Tausenden von Gebäuden, die zusammengebrochen sind, halten fast alle keinen vernünftig zu erwartenden Erdbebenbauvorschriften stand."

Nach der Katastrophe von 1999 führte die Türkei neue Bauvorschriften für Erdbebengebiete ein. Doch diese Vorschriften wurden bestenfalls sehr lax durchgesetzt, schlimmstenfalls ganz ignoriert, während ältere Gebäude nicht nachgerüstet wurden, um den neuen Standards zu entsprechen. Ein vom Regime unterstützter Bauboom führte zu einer Vielzahl großer Wohnbauprojekte, die oft mit minderwertigem Material und ohne angemessene Qualitätskontrolle durchgeführt wurden, um die finanziellen Erträge einiger führender Immobilienunternehmen zu maximieren, die eng mit der Regierungspartei verbunden sind.

Diese Bauwut, die durch enorme staatliche Unterstützung begünstigt und durch groß angelegte Korruption zur Umgehung der Vorschriften geschmiert wurde, entwickelte sich zu einem Goldesel für diese regierungsnahen Unternehmen. Auch der Bau und die Renovierung zahlreicher öffentlicher Gebäude wie Krankenhäuser, Schulen, Postämter, Verwaltungsgebäude usw. wurden unter der AKP-Regierung über staatliche Ausschreibungen an diese privaten Kumpane vergeben. Obwohl diese Gebäude der Öffentlichkeit im Katastrophenfall hätten Schutz bieten sollen, gehörten sie zu den ersten, die einstürzten - darunter auch der Hauptsitz der türkischen Behörde für Katastrophen- und Notfallmanagement (AFAD) in Hatay.

Die kriminelle Politik der Regierung in dieser Angelegenheit ging so weit, dass sie in regelmäßigen Abständen "Bauamnestien" gewährte - d. h. eine rückwirkende rechtliche Absicherung, die gegen eine Gebühr für Bauwerke gewährt wurde, die ohne die erforderlichen Sicherheitsgenehmigungen errichtet worden waren. Wenige Tage vor den jüngsten Erdbeben lag sogar ein neuer Gesetzesentwurf zur parlamentarischen Genehmigung vor, der eine weitere Amnestie für kürzlich durchgeführte Bauarbeiten vorsah. Kurz gesagt, während Millionen von Menschen im Begriff waren, ihr Leben zu verlieren, war die türkische Regierung damit beschäftigt, ihren Milliardär*innen nach Bestechungen eine Lizenz zum Töten aus Profitgier zu erteilen.

Das Regime bringt kritische Stimmen zum Schweigen

Das Erdoğan-Regime hat es nicht nur versäumt, angemessen auf die Katastrophe zu reagieren, sondern wendet auch kostbare staatliche Ressourcen, Zeit und Mühe auf, um gegen diejenigen vorzugehen, die das Krisenmanagement kritisieren. Das Regime ist nervös, weil es befürchtet, dass sich die Wut der Bevölkerung - die aufgrund einer dramatischen Wirtschaftskrise und einer der höchsten Inflationsraten der Welt bereits in Aufruhr ist - zu etwas kristallisiert, das seine Herrschaft stürzen könnte, während sich das Land den für den 14. Mai angesetzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nähert. Unter diesen Umständen könnten die Erdbeben als Anlass dienen, die Wahl zu verschieben oder zu annullieren.

Am Dienstag verkündete der Präsident einen dreimonatigen Ausnahmezustand in zehn von den Erdbeben betroffenen Städten. Dieser gibt der Polizei weitreichende Befugnisse und erlaubt das Verbot von öffentlichen Versammlungen und Protesten. Mehrere Berichte belegen, dass unabhängige Journalist*innen, die über die Folgen der Katastrophe berichteten, verhaftet und eingeschüchtert wurden, insbesondere wenn sie über den Mangel an Rettungskräften berichteten. Die Staatsanwaltschaft von Istanbul leitete eine strafrechtliche Untersuchung gegen zwei Journalisten ein, die sich kritisch über die Reaktion des Staates geäußert hatten. Auch der Twitter-Zugang wurde angesichts der Empörung der Menschen im Internet eingeschränkt. Die türkische Polizei räumte ein, dass zahlreiche Verhaftungen wegen " provokanter Beiträge " über die Beben in den sozialen Medien vorgenommen wurden.

Diese neuen Angriffe auf demokratische Rechte stehen im Einklang mit der autoritären Politik des Regimes vor den Erdbeben, die die Fähigkeit des Landes, eine humanitäre Katastrophe dieses Ausmaßes zu bewältigen, beeinträchtigt hat. Die Ärzt*innen und ihre Gewerkschaften, die in der gegenwärtigen Situation eine wichtige Rolle spielen, waren in den letzten Jahren der politischen Hexenjagd des Regimes ausgesetzt, vor allem weil sie die Militäroperationen des Staates gegen die kurdische Bevölkerung Syriens angeprangert haben.

Syrien: Die Auswirkungen des Erdbebens werden durch den Krieg und die weltpolitischen Auseinandersetzungen noch verstärkt

Doch die Gefühllosigkeit und der Zynismus der herrschenden Klassen machen hier nicht Halt. Am 7. Februar bombardierten türkische Streitkräfte Häuser im mehrheitlich kurdischen und erdbebengeschädigten Bezirk Tel Rifaat in Nordsyrien, noch bevor die Menschen die Trümmer der Beben beseitigen konnten. Auch die syrische Armee bombardierte nur wenige Stunden nach der Katastrophe die von der Opposition gehaltenen Gebiete, die von den Erdbeben betroffen waren.

Zwölf Jahre Krieg in Syrien, angeheizt durch das Assad-Regime sowie vielseitige imperialistische Interventionen, haben die Infrastruktur des Landes und die Wohnverhältnisse der Menschen bereits in Trümmer gelegt. Einem Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2017 zufolge war bereits fast ein Drittel der Häuser in Aleppo und Idlib durch den Krieg beschädigt oder zerstört worden. 70 % der Bevölkerung waren hilfsbedürftig und 2,9 Millionen Menschen im ganzen Land waren vom Hungertod bedroht, noch bevor die Erdbeben die schreckliche Situation weiter verschärft haben. Millionen von Syrer*innen wurden durch den Krieg mehrfach vertrieben, und nun werden viele weitere durch diese Katastrophe folgen.

Fast unmittelbar nach den Erdbeben mobilisierten mehrere westliche Regierungen Hilfs- und Rettungsteams in die Türkei, boten Syrien jedoch aufgrund ihrer konfliktreichen Beziehungen zum Assad-Regime nur sehr wenig oder gar nichts an. Die Opfer der Erdbeben zahlen den Preis für den andauernden Machtkampf zwischen dem westlichen Imperialismus und der syrischen Diktatur; beide spielen mit dem Leben der Menschen, um ihre Macht und ihr Prestige zu stärken. Die von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen behindern die Lieferung von Hilfsgütern in die betroffenen Gebiete, während das Regime selbst Hilfsgüter für die von den Rebellen kontrollierten Gebiete zurückhält. Dies ist ein weiterer Grund, warum das Sammeln und Verteilen von Hilfsgütern nicht reaktionären Kräften und korrupten Parteien überlassen werden darf. Durch die Wahl eigener Komitees könnten sich die Menschen selbst darum bemühen, diese Aufgaben auf der Grundlage der tatsächlichen Bedürfnisse zu bewältigen und zu koordinieren.

Die Katastrophe entwickelt sich in Wellen

Zu den unmittelbaren Auswirkungen der Erdbeben wird nun vorhersehbar eine neue Ebene der Katastrophe hinzukommen. Menschen, die nicht unter den Trümmern gestorben sind, sind von Kälte, Hunger und der möglichen Verbreitung von Krankheiten bedroht. Wie der Zusammenbruch eines Staudamms in der syrischen Provinz Idlib am Donnerstag gezeigt hat, werden sich aus der gegenwärtigen Situation zwangsläufig weitere gefährliche Unglücke entwickeln.

"Leider ist es sehr wahrscheinlich, dass es in den nächsten Tagen zu weiteren verheerenden Ereignissen kommen wird, die durch dieses Erdbeben ausgelöst wurden, darunter Erdrutsche, Dolinen (Karsttrichter), mehrere Nachbeben und Tsunamis. Dies wiederum kann große Schäden an der Infrastruktur, an Häusern und Lebensgrundlagen verursachen"

Carmia kommentiert: "Der US Geological Survey hat beispielsweise eine Karte erstellt, auf der die Gebiete verzeichnet sind, in denen nach diesem Erdbeben am ehesten mit Erdrutschen zu rechnen ist, so dass die Rettungsdienste dafür sorgen sollten, dass die dort lebenden Menschen evakuiert werden. Die Fähigkeit, solche Ereignisse vorherzusagen und darauf zu reagieren, wird jedoch durch die fehlende Finanzierung grundlegender Notfallsysteme auf der einen Seite und das unstillbare Bedürfnis des Kapitalismus, profitable Immobilien zu entwickeln, auf der anderen Seite stark beeinträchtigt. Während die Regierungen den Wohnungsbau dem Privatsektor überlassen, der bei der Bauqualität und der Einhaltung der Bauvorschriften immer wieder Abstriche macht, werden die Menschen der Arbeiter*innenklasse in den städtischen Zentren in beengte Verhältnisse gezwungen, um Arbeit zu finden und zu überleben. Da die unvermeidlichen Naturereignisse wie Erdbeben nicht geplant werden, kommt es zu tragischen und chaotischen Szenen der absoluten Verwüstung. Die Wissenschaft zur Vorhersage der Auswirkungen von Georisiken wie Erdbeben ist auf kurze Sicht einfach nicht rentabel, ebenso wenig wie Investitionen in Notfallsysteme."

Diese Tragödie verkörpert in vielerlei Hinsicht die völlig dysfunktionale und barbarische Natur des Kapitalismus. Wie immer bei solchen Megakatastrophen reiben sich auch die großen Unternehmen die Hände in Gier, während sie über die Möglichkeiten nachdenken, aus dem Elend und dem Tod der Menschen Profit zu schlagen - von Zementunternehmen, deren Aktien an der Börse kurz nach den Erdbeben in die Höhe schnellten, bis hin zu einigen westlichen Banken, die ihren Kund*innen überhöhte Gebühren für Überweisungen in die Türkei berechnen.

Im Gegensatz dazu eilten überall zahlreiche Freiwillige herbei, um Menschen aus den Trümmern zu bergen, Blut zu spenden oder lebensnotwendige Güter zu sammeln, um den Überlebenden zu helfen. Diese instinktive Solidarität der Arbeiter*innenklasse ist der Keim, aus dem über die dringend erforderliche Hilfe zur Rettung von Menschenleben hinaus eine Bewegung erwachsen könnte, die Gerechtigkeit für die zahlreichen und weitgehend vermeidbaren Opfer dieser Katastrophe fordert. Aber auch, um für eine neue Gesellschaft zu kämpfen, eine Gesellschaft, die das Leben und die Sicherheit der Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht die Profitinteressen einiger weniger, um sicherzustellen, dass sich solche Schrecken nie wieder ereignen.

Die ISA fordert:

  • Beschlagnahmung von Hotels, öffentlichen Gebäuden und leerstehenden Immobilien nach einer Sicherheitsüberprüfung, um die Obdachlosen unterzubringen;
  • die sofortige Evakuierung von allen Menschen aus Gebieten, in denen ein hohes Risiko für Nachbeben und Erdrutsche besteht
  • die Bereitstellung von staatlichem Wohnraum und eine angemessene Entschädigung für alle Opfer der Katastrophe;
  • die Aufhebung aller Sanktionen gegen Syrien, die sofortige Einstellung aller Bombardierungen und die Rückführung aller türkischen Truppen nach Hause;
  • Die Öffnung aller Grenzübergänge nach Syrien, um humanitäre Konvois zu ermöglichen;
  • Die Bildung lokaler Rettungs- und Hilfskomitees, die demokratisch von Arbeiter*innen und Anwohner*innen kontrolliert werden, um die demokratische und koordinierte Bereitstellung von lebensnotwendigen Gütern und die Organisation von Rettungsmaßnahmen zu gewährleisten und die Korruption von Hilfslieferungen zu verhindern;
  • die vollständige Offenlegung der Verwendung der durch die türkische "Erdbebensteuer" eingenommenen Mittel;
  • die sofortige Enteignung der "Fünferbande" unter demokratischer Arbeiter*innenkontrolle, d.h. der fünf türkischen Baufirmen, die unter dem AKP-Regime fast alle großen öffentlichen Ausschreibungen gewonnen und mit dem Leben und der Sicherheit der Menschen Berge von Profiten gemacht haben. Verwendung ihres Reichtums zur Finanzierung der Hilfe für die Millionen Bedürftigen in den betroffenen Gebieten;
  • Eine unabhängige Untersuchung der Katastrophe, um alle Verantwortlichen im Staat und in der Privatwirtschaft zu ermitteln und sie für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Untersuchung könnte von Vertreter*innen der Familien der Opfer, Anwohner*innen, Wissenschaftler*innen und Arbeiter*innen geleitet werden;
  • Große Unternehmen dürfen nicht von der Katastrophe profitieren. Die Lebensmittel-, Wasser- und Energieversorgung muss in die öffentliche Hand überführt werden. Für einen öffentlichen Plan für den Wiederaufbau von Notunterkünften, der auf erdbebensicheren Techniken beruht und die Umwelt respektiert und demokratisch von Wissenschaftler*innen, Arbeiter*innen und Anwohner*innen der betroffenen Kommunen beaufsichtigt wird;
  • Erdoğan und Assad haben Blut an ihren Händen, sie müssen gehen! Für den Aufbau einer vereinigten Arbeiter*innenklasse und einer sozialistischen Alternative zu Diktatur, Krieg und Kapitalismus.

 

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Frankreich: Der Kampf gegen die Pensionsreform beginnt

Arno, ISA in Belgien

Wie im Präsidentschaftswahlkampf angekündigt, hat die Regierung Macron ihre Pensionsreform auf den Weg gebracht. Auf der Tagesordnung stehen die Anhebung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre und die Anhebung der Mindestversicherungszeiten für eine volle Pension von 41 auf 43 Jahre. Mehr als 70 % der Bevölkerung sind gegen diese Reform, die darauf abzielt, dass alle länger arbeiten müssen.

Wir kennen das alte Argument: Wir leben länger, also müssen wir auch länger arbeiten. Dabei spielt es keine Rolle, dass im Alter von 64 Jahren volle 5% der ärmsten 29% von Beschäftigten bereits tot sind und daher nie in den Genuss des Pensionssystems kommen werden, in das sie ihr Leben lang eingezahlt haben. Geradezu undenkbar ist für sie auch, dieses System mit mehr öffentlichen Geldern zu refinanzieren - die ja nicht vorhanden sind. Tatsächlich sind die Steuern auf Unternehmensgewinne von 33,3 % (2017) auf 25 % (2022) gesunken, d. h. in den ersten fünf Jahren von Emmanuel Macrons Amtszeit von einem Drittel auf ein Viertel.

Nahezu 160 Milliarden Euro an öffentlichen Hilfen für Unternehmen jedes Jahr. „Ihr, die Armen, versteht nichts von Wirtschaft". Und „Es ist unmöglich, 10 Milliarden für die Pensionen aufzutreiben". (Kredit: Allan BARTE. http://www.allanbarte.com/)

Die Regierung versucht, den Deal mit vermeintlich progressiven Maßnahmen zu versüßen, wie der Anhebung der Mindestpension von 900.- auf 1.200.- Euro. Unter Berücksichtigung aller Anspruchsvoraussetzungen hat die Gruppe Mediapart jedoch errechnet, dass gerade einmal 48 Personen Anspruch auf diese Pension haben würden!

Diese Reform kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Lage schon sehr brenzlig ist, weil die französischen Arbeiter*innen von den steigenden Preisen betroffen sind und - mit Ausnahme des Mindestlohns - nichts von der Lohnindexierung haben. Und doch ist Geld vorhanden! Zum einen haben die Unternehmen des CAC40, der größten an der Pariser Börse vertretenen Unternehmen, im Jahr 2022 einen Rekordbetrag von 80,1 Milliarden Euro an ihre Aktionär*innen ausgeschüttet! Zum anderen teilen sich die 42 französischen Milliardär*innen ein Vermögen von 544 Milliarden Euro (das entspricht fast dem gesamten belgischen BIP). Auch das ist ein Rekord. Schließlich ist der größte Ausgabenposten des französischen Staates die öffentliche Unterstützung von Unternehmen: 157 Milliarden Euro pro Jahr.

Angriff ist die beste Verteidigung

Die acht wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen des Landes (CFDT, CGT, FO, CFE-CGC, CFTC, Unsa, FSU und Solidaires) haben sich zusammengeschlossen, was in Frankreich seit 2010 (als das Pensionsantrittsalter unter Sarkozy von 60 auf 62 Jahre angehoben wurde) nicht mehr der Fall war. Ende 2019 und Anfang 2020 führte ein weiterer Angriff auf die Pensionen zu heftigem Widerstand, aber das Fehlen eines mutigen Aktionsplans für einen Generalstreik führte dazu, dass der Schwung verloren ging. Wie ein Gewerkschafter der CGT kürzlich in der Tageszeitung Libération bemerkte: "Ohne die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hätte es nicht geklappt."

Wir müssen über die bloße Abfolge von lose miteinander verbundenen Streik- und Mobilisierungstagen hinausgehen, wenn wir verhindern wollen, dass der Bewegung ohne Sieg die Luft ausgeht. Denn genau darauf setzt die Regierung. Es ist dringend notwendig, kämpferische Betriebsversammlungen und - gruppen zu organisieren, offen für alle Kolleg*innen, egal ob sie Gewerkschaftsmitglieder sind oder nicht. Wir brauchen ähnliche Komitees in Schulen, Universitäten und Stadtvierteln, um die Bewegung für einen Generalstreik aufzubauen, der wiederholt und ausgebaut werden kann wenn nötig. Auf diese Weise werden wir in der Lage sein, die gesamte Pensionsreform zurückzudrängen, aber auch die Regierung unter Élisabeth Borne und die gesamte Austeritätspolitik zu Fall zu bringen.

Die Organisierung von unten ist der Schlüssel, um zu verhindern, dass der Kampf von oben verraten wird (vor allem von der CFDT-Führung). Der Streik der Eisenbahner*innen der SNCF (Anmerkung: staatliche Eisenbahngesellschaft Frankreichs) während der Winterferien war ein Schritt in diese Richtung. Sie organisierten sich über eine Facebook-Seite ("Collectif National ASCT"), um Aktionen durchzuführen und die Gewerkschaftsführung dazu zu zwingen, dass sie ihre Streikankündigung in die Tat umsetzen. In ähnlicher Weise hatten die Beschäftigten von Total während des Raffineriestreiks (im September und Oktober 2022) einen rollenden Streik durchgeführt, bei dem die Beschäftigten täglich in einer demokratischen Abstimmung entschieden, ob der Streik fortgesetzt werden sollte. Mit dieser Methode wird die Beteiligung aller Beschäftigten und damit der Erfolg des Kampfes sichergestellt. Die Schwäche der Bewegung in den Raffinerien war ihre Isolation, die es den Behörden ermöglichte, die Beschäftigten teilweise per Verordnung und unter Androhung von Strafen zurück zur Arbeit zur zwingen. Dies unterstreicht nur die Notwendigkeit, eine Bewegung aufzubauen, die sich auf die maximale Beteiligung der gesamten Arbeiter*innenklasse stützt.

 

 

Britannien: „Die Arbeiter*innenklasse ist zurück" - Streikwelle setzt sich 2023 fort

Claire Laker-Mansfield, ISA in England, Wales und Schottland

Dieser Artikel erschien zuerst am 14. Jänner 2023 auf der internationalen Website der ISA.

Wie wichtig eine Verallgemeinerung und Eskalation der Aktionen ist, wird durch die Ankündigung neuer Angriffe auf das Streikrecht noch deutlicher. Die Regierung hat den Einsatz wieder einmal erhöht. Unsere Bewegung muss darauf reagieren, indem sie ihre ganze Kraft mobilisiert.

"Die Arbeiter*innenklasse ist zurück". Dies sind die Worte von Mick Lynch, dem Generalsekretär der Eisenbahngewerkschaft RMT. Und sie könnten kaum treffender sein. Im Dezember 2022 fielen so viele Arbeitstage durch Streiks aus wie in keinem anderen Monat seit 1989. Die landesweiten Streiks der Eisenbahner*innen brachten den Verkehr wieder einmal zum Erliegen. In der hektischen Vorweihnachtszeit streikten die Postbeschäftigten. In einer wahrhaft historischen Aktion legten die Beschäftigten des staatlichen Gesundheitsdienstes (NHS), darunter Krankenpfleger*innen, die Arbeit nieder, um gegen die geringe Bezahlung zu protestieren und die Sicherheit der Patient*innen zu verteidigen. Andernorts traten im Dezember Busfahrer*innen, Beschäftigte der Müllabfuhr und der Gepäckabfertigung, Grenzbeamt*innen und Fahrprüfer*innen in den Ausstand. Diese Liste ist bei weitem nicht vollständig.

Diese Streiks haben jede Vorstellung, dass die Arbeiter*innenbewegung Schnee von gestern wäre, kategorisch widerlegt. Die Nachrichten in Britannien sind derzeit voll von den Streiks und der Reaktion der Regierung auf die Aktionen der Gewerkschaften. Premierminister Rishi Sunak hat versucht, seine zerstrittene Konservative Partei - für die das Jahr 2022 eine einzige lange Dauerkrise war - durch eine harte Haltung gegenüber den Gewerkschaften und Angriffe auf die Rechte von Beschäftigten zu vereinen. Gleichzeitig gibt es jedoch Anzeichen dafür, dass er und seine Regierung auf dem Rückzug sind.

Der Schwung und die Initiative liegen derzeit bei der Gewerkschaftsbewegung. Die Inflation und die Krise der Lebenshaltungskosten setzen den Arbeiter*innen auf allen Ebenen zu. Die Arbeiter*innenklasse erkennt instinktiv die Notwendigkeit sich zu wehren. In den letzten Monaten sind neue Gruppen von Beschäftigten in den Kampf eingetreten - vor allem im NHS – und das hat die Moral und die Zuversicht jener gestärkt, die an den erbittertsten und langwierigsten Konflikten beteiligt sind - vor allem bei Bahn und Post. Der Aufruf zum Generalstreik findet breite Zustimmung. Die Beschäftigten verstehen, dass Koordination der Schlüssel ist und dass Einigkeit Stärke bedeutet.

Wie wichtig eine Verallgemeinerung und Eskalation der Streiks ist wird durch die Ankündigung neuer Angriffe auf das Streikrecht noch deutlicher. Die Regierung hat den Einsatz wieder einmal erhöht. Unsere Bewegung muss darauf reagieren, indem sie ihre ganze Kraft mobilisiert.

Sunak hat angekündigt, neue drakonische Gesetze einzuführen, die sich gerade gegen jene Gruppen von Beschäftigten richten, die sich an den Aktionen vom 9. Jänner beteiligt haben. Für Beschäftigte bei der Bahn, im NHS, im Bildungswesen und im Grenzschutz sollen "Mindestdienstniveaus" eingeführt werden. Diese zutiefst undemokratische Maßnahme zielt darauf ab, die Wirksamkeit potenzieller künftiger Streiks gerade jener Beschäftigter, die an der Spitze dieser aktuellen Welle von Aktionen stehen, einzuschränken.

Diese neuen Angriffe gehen jedoch mit einem schwankenden Ansatz bei den Lohnverhandlungen einher. Die öffentliche Unterstützung für die Streiks ist nach wie vor groß. Insbesondere die Unterstützung für die Beschäftigten des NHS ist überwältigend - mehr als zwei Drittel der Öffentlichkeit unterstützen laut Umfragen die Aktionen des Pflegepersonals. Sunaks Kalkül war, dass die „Störungen“ durch die Streiks mit der Zeit zur Verschlechterung der öffentlichen Stimmung und zu zunehmenden Feindseligkeit gegenüber den Streikenden führen würden. Bislang hat sich dies jedoch nicht bewahrheitet. Unter den Tory-Abgeordneten und den Minister*innen der Regierung gibt es zunehmende Spannungen darüber, wie sie diesen Geist wieder in seine Flasche zurück bekommen. Für Sunak ist die Frage, wie mit den Streiks umzugehen ist, nicht die Frage, um die sich seine Partei versammeln und vereinigen kann, wie er gehofft hatte, sondern sie bereitet ihm zunehmend Kopfschmerzen.

Bisher hatten die Minister*innen sich hartnäckig geweigert, über die Löhne zu verhandeln – gut möglich dass die Drohung weiterer Streiks sie erstmals an den Verhandlungstisch gezwungen hat. Am 9. Jänner kündigte die Regierung nicht nur drakonische neue Gesetze an sondern traf zum ersten Mal in dieser Serie von Kämpfen mit jenen Gewerkschaften zusammen, die die Beschäftigten des NHS, der Lehrer*innen und der Eisenbahnen vertreten. Obwohl sie erklärt hatten, die Lohnfrage sei "vom Tisch" gibt es Berichte darüber dass sie den NHS-Beschäftigten eine einmalige „Pauschalzahlung“ angeboten haben im Versuch, den Konflikt zu beenden. Doch das ist kein echtes Angebot für eine Gehaltserhöhung, sondern um einen armseligen Versuch, die Kontrolle über das Geschehen zurückzugewinnen – und zwar indem man eine armselige Einmalzahlung leistet, die keine Gewerkschaft, die etwas auf sich hält, ernsthaft in Betracht ziehen würde. Der Gesundheitsminister deutete an, dass eine solche Zahlung nur im Gegenzug für eine "Produktivitätssteigerung" der NHS-Beschäftigten möglich wäre, ein Versuch der nach hinten los ging. Dieser Vorschlag ist ein Schlag ins Gesicht der ohnehin schon stark überlasteten NHS-Beschäftigten und wird deren Wut nur vergrößern gerade weil sie logischerweise die Pflege von Menschen nicht als Frage von "Produktivität" betrachten. Dennoch ist die Tatsache, dass die Regierung gezwungen wurde, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und mehr Geld anzubieten - wie unzureichend auch immer - ein kleines Signal, dass Widerstand funktioniert. Es ist eine Erinnerung daran, dass die Arbeiter*innen gewinnen können.

Die enorme Schwäche der Tory-Regierung bedeutet, dass die Möglichkeit besteht, dass die Aktionen der Arbeiter*innen diesem sterbenden Regime den Todesstoß versetzen können. Die Lehrer*innen werden die nächsten sein, die sich dem Kampf anschließen, und gibt Gerüchte über einen koordinierten Aktionstag im Februar. Bislang haben jene Gewerkschaften die die Arbeitskämpfe führen zwar ein gewisses Maß an Koordinierung erreicht, aber das reicht bei weitem nicht aus. Tatsächlich haben sie keine ausreichenden Schritte unternommen, um den Kampf auszuweiten - vor allem, um diese Gelegenheit zu nutzen, um die riesigen Massen jener Arbeiter*innen zu organisieren, die derzeit nicht in Gewerkschaften organisiert sind, insbesondere im privaten Sektor.

Die Gründung der Kampagne "Enough is Enough" („Genug ist Genug“ oder auch „Es reicht“), die von der Führung der Communication Workers' Union, die die Postbeschäftigte vertritt, initiiert wurde, hat das Potential zu zeigen, was möglich sein könnte. Zahlreiche Menschen aus der Arbeiter*innenklasse waren von dieser Initiative begeistert. Aber zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels (Mitte Jänner 2023, Anm.) hat die Kampagne noch keinen klaren Aufruf zum Handeln im Jahr 2023 gemacht und ist nicht klar, was das Ziel ist. Socialist Alternative hat eine Petition bezüglich Enough is Enough gestartet mit damit ein Tag für koordinierte Streiks und Proteste im Februar festgelegt wird. In den Regionalgruppen, in denen unsere Mitglieder eine führende Rolle spielen, kämpfen wir dafür, Aktionen rund um die Streiks am 1. Februar zu initiieren und zu unterstützen, an denen sich Öffentlich Beschäftigte, Lehrer*innen und möglicherweise viele andere Beschäftigte beteiligen.

Die aktuelle Streikwelle, hat „Klassenkampf“ zum festen Bestandteil der Politik gemacht. Täglich werden Vorsitzende von Gewerkschaften in Fernsehen und Radio interviewt. Das ist eine große Veränderung in Britannien, wo betriebliche und gewerkschaftliche Fragen seit 20-30 Jahren kaum in der Presse behandelt wurden. Wie nicht anders zu erwarten, zielt der Großteil dieser Berichterstattung darauf ab, die Aktionen der Arbeiter*innen zu untergraben. Doch trotz einer Flut von gewerkschaftsfeindlicher Propaganda in den Mainstream-Medien finden die wirklichen Probleme, die die Beschäftigten aufwerfen, nicht nur bei der Mehrheit der Arbeiter*innen Anklang sondern werden auch die Streiks weiter unterstützt.

Trotzdem hat sich die neue rechte Führung der "oppositionellen" Labour-Partei standhaft geweigert, auch nur einen Hauch von Unterstützung für die Streiks zu zeigen. Darüber hinaus hat sich geweigert, auch nur die minimalste Zusage zu machen, die Löhne und Gehälter entsprechend der Inflation zu erhöhen. Da bei den nächsten Wahlen ein Regierungswechsel ansteht, unterstreicht dies, wie wichtig es ist, Basisstrukturen und eine breite Linke innerhalb der Gewerkschaften auf zu bauen - dieser Kampf wird weitergehen müssen. Auch wird der Kampf um die politische Vertretung der Arbeiter*innen noch wichtiger.

Das Ergebnis dieser Streikwelle ist noch nicht abzusehen. Die Arbeiter*innenklasse spürt zum ersten Mal seit vielen Jahren ihre eigene kollektive Stärke. Ein (wenn auch nur knapper) Sieg einer der wichtigsten beteiligten Teilen von Beschäftigten könnte die Situation elektrisieren und den Weg für eine weitere Eskalation ebnen. Ebenso könnte eine Niederlage oder ein Ausverkauf durch eine rechte Gewerkschaftsführung einen Rückschlag bedeuten. Aber wie auch immer die Konturen des Kampfes in den nächsten Wochen aussehen werden, die Dinge können nicht einfach so weitergehen wie bisher. Die allgemeine globale Krise des Kapitalismus in Verbindung mit dem "besonderen Niedergang" des Systems in Britannien wird die Arbeiter*innen weiterhin zu den Ketten der Streikposten und auf die Straße treiben. Dies ist die Musik einer neuen und stürmischen Zukunft.

 

Kshama Sawant, sozialistische Stadträtin in Seattle (USA): Warum ich nicht wieder für den Stadtrat kandidiere

"Workers Strike Back" wird Anfang März in Städten im ganzen Land gestartet - von Seattle über New York, Chicago, Minneapolis, Oakland bis Houston und darüber hinaus.
Kshama Sawant

Dies ist nun das zehnte Jahr, in dem ich die Ehre habe, als gewählte Vertreterin der arbeitenden Menschen in Seattle zu dienen. Die Arbeiter*innen in Seattle haben durch ihre Organisierung an der Seite meines sozialistischen Stadtratsbüros und meiner Organisation Socialist Alternative historische Siege errungen, vom Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde über die Amazon-Steuer bis hin zu bahnbrechenden Rechten für Mieter*innen.

Diese Siege waren starke Signale, die nationale und sogar internationale Auswirkungen hatten. Bei unseren vier Wahlsiegen und in jedem Kampf mussten wir die geballte Macht des Großkapitals, der Konzernmedien und des politischen Establishments überwinden. Jedes Mal haben sich die arbeitenden Menschen geweigert, klein beizugeben, und wir haben wieder und wieder gesiegt.

Das ist die wichtigste Lehre aus unserem Beispiel sozialistischer Politik in Seattle. Wenn sich Arbeiter*innen und junge Menschen organisieren und kämpfen, können wir gewinnen. Dass im Kapitalismus keine bedeutenden Verbesserungen erreicht werden können ohne den erbitterten Widerstand der Reichen und ihrer politischen Diener*innen. Und dass wir nicht zurückweichen dürfen, sondern die Einheit der Arbeiter*innenklasse stärken und uns mit Stolz und Leidenschaft wehren müssen.

Eine räuberische und schmarotzende kapitalistische Klasse hat mit der Arbeit von Milliarden von Beschäftigten ein unermessliches Vermögen angehäuft. Doch ihr System befindet sich in einer tiefen Krise und kann sich nicht selbst erhalten. In der Zwischenzeit wird der Lebensstandard der einfachen Leute durch eine Inflation historischen Ausmaßes ausgehöhlt, und über 800 Millionen Menschen gehen jede Nacht hungrig zu Bett. Die Rechten gehen gegen Abtreibungsrechte und LGBTQ+ Personen vor. Die Zukunft der menschlichen Zivilisation steht angesichts der existenziellen Bedrohung durch die Klimakatastrophe auf Messers Schneide. Die arbeitenden und jungen Menschen können sich den Status quo der Unternehmenspolitik nicht leisten.

Bei meiner Amtseinführung im Jahr 2014 sagte ich: "Lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Es wird keine Hinterzimmerdeals mit Konzernen oder ihren politischen Diener*innen geben. Es wird keinen miesen Ausverkauf der Menschen geben, die ich vertrete." Unser sozialistisches Stadtratsbüro hat sich daran gehalten. Es ist äußerst bedauerlich, dass nur sehr wenige andere gewählte Amtsträger*innen in diesem Land dasselbe sagen können. Seit meiner Wahl im Jahr 2013 wurden landesweit mehr als zweihundert selbsternannte "demokratisch-sozialistische" Kandidat*innen gewählt. Doch leider hat die überwältigende Mehrheit von ihnen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ihre Wahlversprechen nicht eingehalten und es versäumt, dem politischen Establishment die Stirn zu bieten. Erst letzten Monat erlebten wir den historischen und beschämenden Verrat an den Eisenbahner*innen durch Mitglieder des „Congressional Progressive Caucus“, darunter die Caucus-Vorsitzende Pramila Jayapal und selbsternannte demokratisch-sozialistische "Squad"-Mitglieder wie AOC (der „Squad“ ist eine Gruppe von Abgeordneten der Demokraten die sich als sozialistisch sehen, Anm.). Das Brechen des Eisenbahnstreiks durch die Progressiven im Kongress schadet nicht nur den Eisenbahner*innen, sondern ist ein Verrat an der gesamten Arbeiter*innenklasse.

Ein solcher Ausverkauf hat noch viel schlimmere Folgen. Er gibt den Rechten die Möglichkeit so zu tun, als stünden sie auf der Seite der Eisenbahner*innen (wie wir bei fünf republikanischen Senatoren gesehen haben, die scheinheilig gegen das streikbrechende Gesetz gestimmt haben). Diese Republikaner, die in Wirklichkeit unverhohlen den Interessen der Reichen dienen, dürfen so tun, als sei ihre Partei die Partei der Arbeiter*innen. Wie ist das möglich? Nur weil die Demokratische Partei in ihrer loyalen Unterstützung der Unternehmenselite immer weiter nach rechts rückt. Es ist sehr bedauerlich, dass es der rechte „Freedom Caucus“ war, der gezeigt hat, wie man Druckmittel einsetzt, um Zugeständnisse des Establishments zu erzwingen, und nicht der "Squad". Angesichts des anhaltenden Versagens einer echten Führung auf der Linken hat der Kampf um den Vorsitz im Repräsentantenhaus gezeigt, wie schnell und gefährlich die Rechten die Lücke füllen können. Es ist ein erschreckender Rückblick darauf, wie Trump seine Wahl überhaupt erst gewonnen hat.

Die arbeitenden Menschen und die Linke können nicht tatenlos zusehen und auf „fortschrittliche“ Abgeordnete warten. Wir können unser Vertrauen nicht in die AOCs oder die Pramila Jayapals setzen, auch wenn ich verstehe, dass viele hohe Erwartungen in sie gesetzt haben. AOC hat kürzlich behauptet, sie könne nicht gegen die führenden Politiker*innen der Demokraten im Namen der Arbeiter*innen kämpfen, weil ihre "Beziehung" zu diesen „schädigen“ würde. Was ist mit dem enormen und sehr realen Schaden, der durch das Fehlen eines solchen Kampfes für unsere aller Bedürfnisse entsteht?

In der Zwischenzeit scheint die Organisation, die AOC und den „Squad“ zur Rechenschaft ziehen sollte, die „Democratic Socialists of America“ (DSA), nicht bereit zu sein, dies zu tun. Es macht mir keine Freude, dies zu sagen, denn ich bin aktuell Mitglied der DSA. Aber die DSA-Führung hat die Irreführung durch den „Squad“ größtenteils gedeckt.

Es gibt ein Vakuum an echter linker Führung, auf lokaler und nationaler Ebene. Wir brauchen eine neue Partei für die Arbeiter*innenklasse - eine, die gewählte Vertreter*innen zur Verantwortung zieht, die sich auf soziale Bewegungen stützt, die sich an der Seite der Arbeiter*innen auf der Straße und in den Betrieben organisiert. Wahlen sind nicht der einzige, geschweige denn der wichtigste Weg zu politischen Veränderungen, denn das politische System ist im Kapitalismus von oben bis unten verrottet. Nun, da sich die globale Krise verschlimmert, breitet sich die Fäulnis immer weiter aus, und die Gefahr einer weiteren Korruption durch die extreme Rechte schwebt über uns allen. In Indien, dem Land, in dem ich geboren wurde, ist die extreme Rechte an der Macht und baut sie rasch aus. In den USA waren die Zwischenwahlen nur eine vorübergehende Galgenfrist, wenn wir uns nicht organisieren.

Der Kapitalismus muss gestürzt werden. Wir brauchen eine sozialistische Welt. Und das ist nur möglich, wenn wir viele Millionen Werktätige für echte sozialistische Ideen mobilisieren und unerbittlich für unsere Interessen als Klasse kämpfen. Aber die Aufgabe, den Klassenkampf in Amerika wieder aufzubauen, wird nicht gelingen, wenn Jugendliche und die Basis der Arbeiterbewegung sich nicht über die Rolle der Demokratischen Partei und die Notwendigkeit einer neuen Partei im Klaren sind, die uns dient und nicht den Reichen. Die arbeitenden Menschen müssen erkennen, dass wir unabhängig von den beiden Parteien des Großkapitals und von jenen Anführer*inne, die sie entschuldigen, kämpfen müssen.

Im vergangenen Jahr kämpften Hunderttausende Beschäftigte für die gewerkschaftliche Organisierung ihrer Arbeitsplätze oder streikten für einen guten Vertrag, sei es bei Amazon, bei Starbucks oder an der Universität von Kalifornien. Wir erlebten den historischen Sieg der Amazon-Beschäftigten am JFK8 in New York durch die neu gegründete Amazon-Gewerkschaft. Im Jahr zuvor erlebten wir den Striketober (Oktober 2021 mit zahlreichen Streiks, Strike & October = Striketober, Anm.), der historische Kämpfe wie den Streik bei John Deere und hier in Seattle den Streik der Pacific Northwest Carpenters umfasste. Und vor weniger als drei Jahren fand die größte Protestbewegung auf den Straßen der USA in der Geschichte statt - der Kampf von Black Lives Matter nach der Ermordung von George Floyd durch die Polizei.

Die arbeitenden Menschen wollen zurückschlagen, aber wir müssen uns besser organisieren. Wir brauchen eine landesweite Bewegung - eine unabhängige, von der Basis getragene Kampagne, die sich in den Betrieben und auf den Straßen organisiert. Es sollten fortschrittliche Gewerkschaften sein, die ihre Ressourcen nutzen, um eine solche Bewegung ins Leben zu rufen, wie es die Gewerkschaften in Britannien mit der Kampagne "Enough Is Enough" getan haben. Aber das ist nicht geschehen. Leider ist ein Großteil der Gewerkschaftsführung in diesem Land eng mit dem demokratischen Establishment verbunden und hat Angst, die Demokraten herauszufordern, unabhängige Kandidat*innen aufzustellen und starke Streikaktionen auf der Grundlage mutiger Forderungen zu entwickeln – sie haben Angst für Unruhe zu sorgen.

Deshalb kündige ich zusammen mit der Sozialistischen Alternative und anderen die Gründung einer solchen nationalen Bewegung, „Workers Strike Back“, an, anstatt selbst wieder für die Wiederwahl im Bezirk 3 von Seattle zu kandidieren. Wir machen uns keine Illusionen, dass eine Massenbewegung über Nacht aufgebaut werden kann, aber wir müssen dringend damit anfangen. Die arbeitenden Menschen haben in dieser Stadt ein starkes Beispiel gesetzt. Es ist an der Zeit, darauf auf nationaler Ebene aufzubauen, den Klassenkampf auszuweiten und zu stärken.

„Workers Strike Back“ wird Anfang März in Städten im ganzen Land - von Seattle bis New York, von Chicago bis Minneapolis, von Oakland bis Houston und darüber hinaus - gestartet. Hier in Seattle werden wir am 4. März eine Auftaktkundgebung abhalten. Schließen Sie sich uns an. Die Hauptforderungen von „Workers Strike Back“ sind:

  • Für echte Reallohnerhöhungen
  • Gute gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze für alle
  • Kampf gegen Rassismus, Sexismus und jegliche Unterdrückung
  • Erschwingliche Wohnungen und kostenlose Gesundheitsversorgung für alle
  • Keine Ausverkäufe mehr - wir brauchen eine neue Partei

Sie können unser komplettes Programm auf unserer Website lesen (https://www.workersstrikeback.org/), und jeder, der dem zustimmt, sollte die Petition unterzeichnen und sie weit verbreiten. Zusammen mit „Workers Strike Back“ werden wir einen Video-Broadcast starten, um den arbeitenden Menschen auf nationaler und internationaler Ebene sozialistische Politik und Strategie nahe zu bringen. Dieses Programm, das ich mit moderieren werde, trägt den Titel „On Strike“ und wird ab diesem Sommer ausgestrahlt. Immer mehr Medien, die sich selbst als unabhängig und links bezeichnen, schauen weg oder decken aktiv jene Politiker*innen, die die arbeitenden Menschen verraten. Das hat einen hohen Preis - denn es schafft Verwirrung und Demoralisierung und verrät die arbeitenden Menschen effektiv ein zweites Mal.

Ein letzter Punkt: Ich bin mir zwar sicher, dass das Establishment in Seattle über die Nachricht, dass ich nicht wieder kandidiere, sehr glücklich sein wird, aber sie sollten sich noch nicht beeilen, ihre Martinis zu mixen, denn wir sind hier noch nicht fertig. Mein Büro im Stadtrat wird bis zu den letzten Tagen meiner Amtszeit unermüdlich für die arbeitenden Menschen kämpfen. Wir werden über die Mietpreiskontrolle abstimmen lassen, und zusammen mit unserer neuen Organisation „Workers Strike Back“ werden wir unsere Bewegung für die Rechte von Mieter*innen und Arbeiter*innen ausbauen. Und wenn diese Amtszeit vorbei ist, werden wir weiterhin den politischen Frieden in Seattle und auf nationaler Ebene stören, sei es innerhalb oder außerhalb des Rathauses. Ich fordere Jugendliche, Arbeiter*innen und Gewerkschaftsmitglieder auf, sich „Workers Strike Back“ anzuschließen!

Dieser Artikel wurde zuerst in der Zeitung „The Stranger“ veröffentlicht.

 

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VORWÄRTS-Schwerpunkt zum Aufstand im Iran

„Jin, jiyan, azadi!“ (dt. Frau, Leben, Freiheit) lautet das Motto der revolutionären Bewegung im Iran. Seit September gehen vor allem Frauen, ethnische Minderheiten und junge Menschen mutig auf die Straße. Auch Lehrer*innen und Beschäftigte der Öl- und Petrochemischen Industrie schließen sich durch Streiks der Bewegung an.

Der Mord an Jina Amini, einer 22-jährigen Kurdin, am 13.9. durch die Sittenpolizei war der Auslöser der Proteste. Daraufhin brachen Demonstrationen los, die sich rasch zur landesweiten Bewegung entwickelten. Gegen die Proteste wird brutal vorgegangen, doch aufgrund der Instabilität des Regimes schreckt es vor einer vollen Niederschlagung zurück.

Unterdrückung von ethnischen Minderheiten und Armut sind wichtige Themen, aber zentral ist die institutionelle Gewalt gegen Frauen. Diese ist eine tragende Säule des reaktionären Mullah-Regimes, die man nicht einfach “wegreformieren” kann. Dem gegenüber steht eine junge Generation, die mit aller Entschlossenheit für ihre Rechte kämpft. 

Der “Westen” präsentiert sich zwar als Gegner des Regimes; der Grund sind aber nicht Menschenrechte, sondern wirtschaftliche Interessen. Der wichtigste Grund, warum sie in Opposition zum Mullah-Regime stehen, ist, dass dieses ihnen keinen Zugang zu den Ölquellen des Irans ermöglicht. Zwar wurden nun Konten der “Revolutionsgarden” eingefroren, aber wirkliche Unterstützung der Bewegung durch die herrschende Klasse des Westens kann und wird es nicht geben.

Doch Solidarität von unten gibt es international: Die Bewegung inspirierte weltweit Solidaritätsproteste. Wir organisierten in Wien Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmer*innen, aber auch in Kanada, Frankreich, Deutschland und vielen anderen Ländern gab es Proteste. Diese Solidaritätsaktionen sind nicht nur symbolisch – wie bei der “Konferenz der linken Solidaritätsbewegung in Unterstützung der Bewegung im Iran” am 23.10. in Wien schlagen wir Strategien zum Kampf vor und bieten ein sozialistisch-feministisches Programm an. Außerdem inspirierte die Situation im Iran u.a. Kämpfe von Mädchen und Frauen gegen die Taliban in Afghanistan. Wenn das Regime im Iran fällt, werden die Auswirkungen weltweit enorm sein und können in der Region einen Flächenbrand von Aufständen auslösen.

Nico Rastelli

 

Weder Mullahs noch Schah! Warum eine echte Alternative nötig ist

Die Bilder von den Straßen Irans erinnern an die revolutionären Ereignisse der Vergangenheit. Jugendliche tanzen und singen und verbrennen ihren Hidschab. Männer und Frauen marschieren Seite an Seite gegen die Unterdrückung der Frauen. Wenn das Regime die Repression verschärft, spornt es die Massen an. Die Polizeibrutalität treibt die Ölarbeiter*innen in den Streik. Das war die Dynamik im Iran 1979.

Die Jahrzehnte bis zum Sturz des Schahs waren von Instabilität und massiver Ungleichheit geprägt. Während die Schah-Familie ihren Anteil an der lukrativen Ölindustrie genoss, deren massive Gewinne vom britischen Imperialismus geplündert worden waren, litten die Massen unter extremer Armut. Proteste zwangen die Regierung in den 1950er Jahren, die Ölindustrie zu verstaatlichen. Aber die imperialistischen Geheimdienste intervenierten, um die Herrschaft des Schahs und den imperialistischen Zugriff auf das Öl zu garantieren. Die Unzufriedenheit unter den Arbeiter*innen wuchs. Und mit zunehmender Ungleichheit und Armut wuchsen auch die repressiven Maßnahmen des Regimes mit seinen Geheimdiensten, die versuchten, jede Opposition zu zerschlagen, politische Aktivist*innen folterten und die Bevölkerung terrorisierten.

Das Schah-Regime bedeutete Armut und Terror

Doch Jugendliche, Arbeiter*innen und Linke organisierten sich weiter. 1977 forderten sie in Protesten und illegalen Massendemonstrationen demokratische Rechte und riefen zum Sturz des Schahs auf. Die Arbeiter*innen organisierten sich in Streikkomitees und lokalen Räten, um ihre Aktionen zu koordinieren, und initiierten Massenstreiks in der Industrie. Als protestierende Studierende vom Regime erschossen wurden, antwortete die Bewegung mit einem Generalstreik. Als Tausende von Demonstrant*innen in Teheran massakriert wurden, wurde der Generalstreik ausgeweitet. Die Arbeiter*innen begannen, die Kontrolle über jene Betriebe zu übernehmen, wo die Bosse aus Angst vor einer Revolution geflohen waren.

Armut, Elend, Ungleichheit, Unterdrückung und vor allem die brutale Ausbeutung durch die herrschenden Eliten, die mit dem westlichen Imperialismus kollaborierten, waren die Grundlage für den Massenwiderstand. 

Khomeini und die Mullahs (die selbst vom Schah in ihren Privilegien beschnitten worden waren) stellten sich ebenfalls gegen den imperialistischen Einfluss. In den Jahren vor der Revolution konnte sich Khomeini als wichtigster Regimegegner etablieren. Die Mullahs spielten mit einem Netzwerk von 100.000 Moscheen und ihren 180.000 Mitgliedern eine aktive Rolle bei der Organisation und Leitung von Demonstrationen und versetzen Khomeini in die Lage, führend in der Bewegung zu werden. Während Sozialist*innen und Kommunist*innen in den Foltergefängnissen des Schahs starben, waren die Moscheen zu wichtigen Zentren der Opposition geworden, die einen relativ sicheren Raum für Diskussion und Organisation boten. Sie gewannen auch Popularität, da sie materielle Unterstützung boten, wo der Staat versagte. In der breiten Arbeiter*innenklasse musste sich Khomeini einer “linken” Rhetorik bedienen, um die Unterstützung der aufständischen Massen zu gewinnen. Seine Forderung nach einer islamischen Republik bzw. einem unabhängigen Iran wurde von Teilen der Bewegung als Forderung nach einem demokratischen Arbeiter*innenstaat interpretiert, einer Republik für das Volk, in der seine Forderungen erfüllt werden und die Ausbeutung ein Ende findet.

Wo war die Linke?

Obwohl die Mullahs ihre reaktionären Ideen keineswegs verschwiegen, verzichteten linke Kräfte darauf, das offen anzuprangern oder irgendeine Form der Opposition anzubieten. Es gab drei oppositionelle Kräfte zur Linken des Schahs, die über eine bedeutende Basis verfügten: Die Volksmudschahedin, die Volksfedajin und Tudeh, die kommunistische Partei, die hunderttausende Mitglieder und enge Verbindungen zur stalinistischen Bürokratie in der Sowjetunion hatte. 

Überall gab es Aufstände, die nach einer Führung verlangten, um die Massen zum Sieg zu führen. Die Mullahs übernahmen diese Führungsrolle während Tudeh einen Schritt zurücktrat. Tudeh und die Mehrheit der Volksfedajin erkannten nicht die historische Aufgabe und Chance, die vor den revolutionären Massen lag - nämlich die Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen. Sie sahen eine reaktionäre islamische Revolution als notwendige Etappe, bevor eine sozialistische Revolution in Angriff genommen werden könnte. Tudeh und andere stalinistische Kräfte wollten zuerst den Schah stürzen, egal mit welchen Mitteln. 1979, als das neue Regime bereits gegen Streiks, Arbeiter*innen-Komitees, gegen Frauen und nationale Minderheiten vorging, erklärte Tudeh immer noch öffentlich, dass sie mit Khomeinis Programm einverstanden seien. Ihre Mitglieder wurden nur wenig später von eben jenem Regime, das sie unterstützt hatten, verfolgt und inhaftiert.

“Mädchen und Frauen der Revolution - Am Tag des Sieges wird die ganze Welt sich vor euch verbeugen. Ihr habt allen gezeigt was es bedeutet sich zu erheben und zu wehren….Vorwärts zu einem Streik im ganzen Land!" (aus dem Statement der Haft Tappeh Arbeiter*innen)

Weniger als zwei Monate nach der Rückkehr Khomeinis aus dem Exil gingen 20.000 Frauen auf die Straße, um gegen sein Gesetz zur Hidschab-Pflicht zu protestieren. Das zeigt, wie schwach das Regime noch war, denn diese mutige Reaktion erzwang die Rücknahme des Gesetzes. Erst nach einigen Jahren Repression konnte es eingeführt werden. Wegen der starken Arbeiter*innenbewegung und Unterstützung für sozialistische Ideen war das neue Regime gezwungen, weitere Zugeständnisse zu machen, wie die Verstaatlichung der von den Beschäftigten übernommenen Fabriken. Die Mullahs versprachen einen höheren Lebensstandard mit kostenlosem Wohnen, Wasser, öffentlichen Verkehrsmitteln und Bildung. Stattdessen bekamen die Menschen Arbeitslosigkeit und Armut - das BIP fiel 1979-87 um 47 % - sowie Unterdrückung und Repression. Das Khomeini-Regime baute das vom Schah errichtete Spitzel- und Folter-Netzwerk aus. Es waren die massiven Fehler der Linken im Iran, die die Saat für die erfolgreiche Konterrevolution legten. Fehler, die zu einem der grausamsten Regimes führten.

Die Fehler dürfen wir nicht wiederholen!

Es ist mehr als ein Jahrzehnt her, dass eine revolutionäre Welle über Nordafrika und den Nahen Osten hinwegfegte und eine Initialzündung für weitere revolutionäre Bewegungen legte: Sudan, Weißrussland, Myanmar, Kasachstan, Sri Lanka um nur einige zu nennen. Auch wenn die entsetzlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die Unterdrückung von Frauen und nationalen Minderheiten immer und immer wieder die Massen zum Handeln bewegen - das Ergebnis einer revolutionären Bewegung ist niemals garantiert. Mit dem Sturz eines Regimes öffnet sich ein Zeitfenster, das andere, auch reaktionäre Kräfte, füllen können. Die schiere Kraft der Massen reicht zwar, um eine herrschende Elite zu stürzen, aber sie reicht allein nicht aus, um sie durch die Herrschaft der Arbeiter*innenklasse zu ersetzen. Für diese Aufgabe ist es notwendig, schon vorher eine politische Organisation aufzubauen, die sich eben nicht mit diesen reaktionären Kräften verbündet. Eine Kraft, die in der Lage ist, die Kämpfe der Massen zu bündeln und ihnen zu Erfolg zu verhelfen. Die Macht liegt auf der Straße, es geht darum sie zu übernehmen und eine völlig neue Gesellschaft zu errichten, die demokratisch von den Massen in ihrem Interesse geführt wird. Eine Gesellschaft, die nicht nur Grundrechte, wie jenes, sich zu kleiden wie man will, garantiert, sondern auch Essen auf dem Tisch und es im Winter warm zu haben. Eine Gesellschaft, die echte Demokratie, Freiheit von jeglicher Ausbeutung und Ungleichheit, die Wohlstand und Frieden bietet. 

Yasmin Morag

 

Marx Aktuell: Permanente Revolution

“Die Mullahs müssen weg!” schallt es von Teheran bis Toronto. Doch was kommt danach? Vielen, vor allem in Exil und internationaler Solidaritätsbewegung, schwebt als Alternative zur islamischen “Republik” ein Staat nach dem Vorbild bürgerlicher – „westlicher“ – Demokratien vor, zumindest als “erster Schritt”. Das klingt naheliegend - und ist dennoch ein gefährlicher Irrtum.

Im Zeitalter der großen demokratischen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts hatte das aufstrebende Bürgertum noch ein Interesse daran, Demokratie sowie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit durchzusetzen - es benötigte diese Freiheiten, um seine ökonomische Grundlage, die kapitalistische Produktion, auszuweiten. Seit der Kapitalismus sich jedoch im Weltmaßstab durchgesetzt hat, kann das Bürgertum auf Freiheitsrechte inklusive Rechte für Frauen und LGBTQI+ Personen gut verzichten - im Gegenteil nützen ihm nun politische Entrechtung, Frauen- und nationale Unterdrückung beim Profite machen. Leo Trotzki analysierte anhand der Russischen Revolution 1905, dass das Bürgertum in Russland kein Interesse hatte, wirklich gegen den Zaren zu kämpfen, weil es seinen Platz im kapitalistischen Weltsystem bereits gefunden hatte. Er formulierte die Theorie der „permanenten Revolution“: Demokratische und soziale Rechte, die früher vom bzw. gemeinsam mit dem Bürgertum erkämpft wurden, können heute nur gegen es erkämpft werden. Das bedeutet auch, dass die Entstehung neuer „westlicher“ Demokratien immer unmöglicher wird – besonders in Zeiten vielfacher weltweiter kapitalistischer Krisen, die auch in den bereits existierenden den wirtschaftlichen Spielraum für Sozialstaat, demokratische Rechte und wenn nötig auch Frauenrechte entscheidend einschränken.

Trotzkis Analysen sind heute deswegen aktueller denn je: Nicht nur was die Sprengkraft von Frauenunterdrückung angeht, sondern auch, dass demokratische Rechte wie jene von Frauen dauerhaft nur durch eine soziale Revolution, welche die kapitalistische Ausbeutung abschafft, erreicht und gesichert werden können.

Sebastian Kugler

 

"Frau, Leben, Freiheit": Ein Programm zum Sieg

Die Zeit für ein Ende des Regimes ist überreif. Die Aktivist*innen lassen sich nicht einschüchtern. Und doch: Die Erfahrung mit vielen revolutionären Erhebungen zeigt: Entschlossenheit reicht nicht, es braucht Programm und Kampfstrategie. Mit Aktivist*innen im Iran und Österreich haben wir Eckpunkte eines Programms entwickelt. Es setzt beim unmittelbaren Auslöser der Proteste an und fordert eine echte Untersuchung der Morde an Jina (Mahsa) Amini, Nika Shakarami und allen anderen Fällen durch demokratisch gewählte Vertreter*innen der Bewegung“. Das unmittelbarste Ziel ist die körperliche Selbstbestimmung von Frauen. Echte Unabhängigkeit ist untrennbar verbunden mit dem Recht auf Scheidung, Verhütung und Abtreibung, mit vollen LGBTQI+ Rechten, und dem Recht auf einen ordentlich bezahlten Job und sich zu organisieren, in Gewerkschaften und Parteien.

Kampf für Frauenrechte = Kampf für demokratische Rechte

An die staatlichen Verbote hält sich die Bewegung schon lange nicht mehr. Längst bilden sich Aktionsgruppen, Vernetzungen, Komitees etc. Wir schlagen u.a. vor: „Bildung von Versammlungen, um die Selbstverteidigung der Bewegung zu organisieren und die Repression zu beenden.“ Solche Komitees bzw. halblegale gewerkschaftliche Strukturen gibt es schon länger. U.a. die Lehrer*innen, mehrheitlich Frauen, haben schon zu Beginn der Bewegung zu Streiks aufgerufen. Die Arbeiter*innen in der starken Ölindustrie und der Petrochemie folgten Mitte Oktober. Notwendig ist die „Ausweitung der Streikbewegung zu einem Generalstreik mit einem Programm zur Beendigung aller Unterdrückung, Diskriminierung und Ausbeutung; Kampf für volle körperliche Selbstbestimmung und Unabhängigkeit für Frauen und LGBTQI+, für volle Gewerkschaftsrechte, für Lohnerhöhungen über der Inflation, gleichen Lohn, menschenwürdige Arbeitsplätze, Wohnraum und Sozialleistungen für alle, unabhängig von jeglichem religiösen Einfluss.“

Die aktuelle Bewegung stellt die Macht des Regimes in Frage. Vertreter*innen der früheren Schah-Diktatur bieten sich als „Alternative“ an. Natürlich ist jede kleine Verbesserung ein Erfolg, aber die Menschen auf den Straßen fordern zu Recht mehr. Die Lösung kann nicht sein, das alte Regime durch ein neues, bisschen besseres zu ersetzen. „Für eine revolutionäre verfassungsgebende Versammlung, die sich aus Arbeiter*innenräten in den Betrieben und allen demokratischen Kräften in der Bewegung zusammensetzt, unter Ausschluss all jener, die in der Vergangenheit an Unterdrückung, Diskriminierung und Ausbeutung beteiligt waren, um das Mullah-Regime durch eine demokratische sozialistische Arbeiter*innenrepublik mit vollen Rechten für Minderheiten inklusive dem Recht auf Selbstbestimmung zu ersetzen.“

Macht = politische + wirtschaftliche Macht

Echte demokratische Rechte können nicht von der Frage getrennt werden, wer die wirtschaftliche Macht hat. „Enteignung der ‚Revolutionswächter‘ und ihrer Mitarbeiter, um die Schlüsselsektoren der Wirtschaft unter die Kontrolle der Arbeiter*innen zu bringen.“ muss daher der erste Schritt sein. Gefolgt von der Übernahme der restlichen Wirtschaft – egal ob ausländische Konzerne, iranische Besitzer*innen oder formal im Staatsbesitz – durch die Beschäftigten und Vertreter*innen der Bewegung. Die Inflation galoppiert auch im Iran, die soziale Situation der Bevölkerung ist auch in Folge der westlichen Sanktionen katastrophal. Wir fordern nicht nur ein Ende jener Sanktionen, die die Bevölkerung und nicht das Regime treffen, sondern machen auch klar: „Kein Vertrauen in imperialistische Mächte. Keine Interventionen, sondern Solidarität der Arbeiter*innen; Ausweitung der Bewegung für demokratische und Arbeiter*innenrechte und Religionsfreiheit in der gesamten Region, Beschlagnahme des Auslandsvermögens der Mullahs - und ihrer Verbündeten - unter Arbeiter*innenkontrolle. Solidarität im Westen ist am besten, wenn sie die (Geschäfts-)Partner und Verbündeten des Regimes, die Kapitalist*innen und ihre Regierungen bekämpft.“ Der revolutionäre Prozess im Iran hat gerade erst begonnen, doch er kann zu Umbrüchen in der ganzen Region führen, die den Mittleren Osten von einem Ort des religiösen Fundamentalismus und der Repression zu einem Vorreiter für sozialistische Demokratie macht.

Sonja Grusch

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Bye, bye, Mrs. Britain Prime

Margarita Wolf

Nach nur 45 Tagen verabschiedet sich Liz Truss aus der Nummer 10 in der Downing Street. Ein Ausdruck der tiefen Krise, in der sich das kapitalistische Mutterland Großbritannien befindet. Sie wollte mit den Tories hart durchgreifen und die Auswirkungen der weltweiten Krisen auf die arbeitende Bevölkerung abwälzen. Als Hardlinerin und in den „besten“ Traditionen von Thatcher wollte sie die Arbeiter*innenbewegung in die Schranken weisen. Die 56. Premierministerin ist Geschichte, die Streiks gehen weiter. Die Sozialistische Alternative in England/Schottland/Wales fordert dazu auf, die Streiks auszuweiten und mit Hilfe eines Generalstreiks Neuwahlen durchzusetzen.

Mit Rishi Sunak kommt ein Mann an die Macht, der mehr Reichtum besitzt als der britische König. Die Vorzeichen stehen auf Privatisierung, Kürzungen und Steuererhöhungen - Umverteilung von unten nach oben. Die Arbeiter*innenklasse kämpft seit Monaten mit Streiks und Demonstrationen unter dem Banner „Enough is Enough“ („Es reicht“) gegen die steigenden Preise an, und fordert massive Lohnerhöhungen. Einzelne Erfolge wurden bereits erzielt, Lohnabschlüsse mit 15% besiegelt. Socialist Alternative unterstützt die Streikenden und ist mittendrin beim Organisieren von Streiks in Schlüsselbereichen wie Royal Mail. Dabei diskutieren wir mit den Beschäftigten über Forderungen und wie der Kampf weitergehen kann.Doch der Kampf muss weiter gehen. Die Socialist Alternative macht klar: „Während wir dafür kämpfen, die Tories aus dem Amt zu drängen, müssen wir in die Offensive gehen, um die Veränderung zu erzwingen, die wir auch unter einer Labour-Regierung brauchen. Dazu gehört auch der Aufbau einer neuen linken Kampfpartei, die den Protesten von Arbeiter*innen, jungen Menschen, Frauen, Flüchtlingen und all jenen, die sich wehren wollen, einen politischen Ausdruck verleihen kann. Dazu gehört auch, dass wir eine Organisation aufbauen müssen, die den Kampf gegen die kapitalistische Krise und für einen revolutionären Wandel führen kann, um die Wirtschaft aus den Händen der Superreichen zu nehmen und das Chaos des Marktes zu beenden. Die Sozialistische Alternative steht für genau das.“

Webiste der Socialist Alternative (ISA in England, Wales und Schottland): www.socialistalternative.info

 

 

 

 

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Wahlen in Schweden: “Organisieren!“

Anna Hiermann

Am 11. September fanden in Schweden die Parlamentswahlen, sowie jene der Landtage und Gemeinden statt. Nach der Sozialdemokratischen Partei sind die rechtsextremen Schwedendemokraten die stärksten. Darüber sind viele Menschen schockiert. Dabei kommt dieses Ergebnis nicht überraschend: Wie alle anderen sozialdemokratischen Parteien ist auch die schwedische im Laufe der letzten Jahrzehnte verbürgerlicht. Viele Arbeiter*innen sehen diese nicht mehr als ihre Partei, ist sie doch für Sozialabbau und Privatisierungen mitverantwortlich. Die Schuld für Probleme haben aber für alle Parteien nicht Großkonzerne oder Banken, sondern Migrant*innen. Das führte zu massivem Rassismus während des Wahlkampfes. Neben der politischen Resignation in Kommentaren zur Wahl gibt es auch kämpferische Stimmen und einige Proteste. 

Auch die Rättvisepartiet Socialisterna (RS - Sozialistische Gerechtigkeitspartei, ISA in Schweden) trat auf lokaler Ebene an, in Lulea und Haninge. Ihr ging es v.a. darum, ihren Forderungen eine Plattform zu geben. Als einzige stellten sie die Teuerung ins Zentrum, aber die Bekämpfung des Rassismus wurde immer zentraler, da dieser in diesem Zeitraum (und davor) ein großes Problem darstellt. Eine wichtige Forderung war “Stopp Rassismus - gemeinsamer Kampf für Arbeit, Wohnraum und Gesundheitsversorgung für alle.” Anstatt ausschließlich mit Wahlplakaten aufzutreten, haben unsere Genoss*innen direkt Aktionen auf der Straße abgehalten, um die Menschen in den Kampf für die genannten Forderungen einzubinden. So wurden u.a Proteste in Lulea abgehalten für den Ausbau der Altenpflege, d.h. für 200 mehr Krankenpfleger*innen, eine 30 Stunden Woche (anstatt der üblichen 12- Stunden Schichten). Außerdem für Arbeit und bezahlbaren Wohnraum. Ein weiterer Teil der Wahlkampagne war das Klopfen an Wohnungstüren, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. In Luela klopften wir insgesamt an 10.700 Türen und in Haninge an 8.900. Unser 12-seitiges Wahlkampfmanifest verkauften wir knapp 5.000 Mal. Am Ende gelang es unserer schwedischen Sektion, unsere zwei Sitze in Lulea wieder zu erlangen.

Website der "Rättvisepartiet Socialisterna" (ISA in Schweden): www.socialisterna.org

 

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