Internationales

Shutdown in Südafrika

Anna Hiermann

Im Zuge von Kürzungen im Öffentlichen Dienst hatte der Südafrikanische Gewerkschaftsbund (SAFTU) einen nationalen Shutdown am 24. August organisiert. Nicht nur die Kürzungen im Öffentlichen Dienst sind ein Problem: Die steigenden Lebenserhaltungskosten, die Umweltzerstörung, geschlechtsspezifische Gewalt usw. machen der Bevölkerung ebenfalls zu schaffen. Es sollte aber nicht bei diesem einen Protesttag bleiben. Sollte die Regierung die Forderungen nicht umsetzten, kündigte SAFTU weitere Proteste und Streiks an. Am 24. August selbst trauten sich viele Menschen, zumindest in manchen Städten, nicht, von der Arbeit fernzubleiben, aus Angst vor Lohnverlust.

Die Aktivist*innen der WASP (Workers and Socialist Party - ISA in Südafrika) versuchten im Vorfeld ihre Kolleg*innen im Betrieb für den Protesttag zu gewinnen. In manchen Gegenden begann die Gewerkschaft nämlich erst spät mit der Kundmachung. Die WASP begann mit der Mobilisierung bereits früher, um möglichst viele Menschen für den Protest und unsere Forderungen zu gewinnen. Zu unseren Forderungen zählten u.a. eine gute Gesundheitsversorgung, sowie Bildung, die Beseitigung von Arbeitslosigkeit und das Ende geschlechtsspezifischer Gewalt. Als sie an diesem Tag bei den Protesten intervenierten, zeigten sie auch auf, dass diese sowie die Forderungen der SAFTU nicht im Kapitalismus verwirklicht werden können. Diese können nur mit einer Eskalationsstrategie umgesetzt werden, d. h. durch weitere Streiks bis hin zu Betriebsbesetzungen. WASP forderte, dass #NationalShutdown am 24. August der Startpunkt für Massenaktionen werden solle. Diese hätten das Potenzial, das Regime aus Banken und Superreichen zu brechen.

Website der "Workers and Socialist Party" (ISA in Süafrika): https://socialist.org.za/

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Streikwelle in Britannien

Christian Steiner

Britannien erlebt derzeit die größte Streikbewegung seit Jahrzehnten. Angefangen hat es mit den Beschäftigten in ehemals staatlichen Betrieben und Mobilisierungen im Niedriglohnsektor. Nun breitet sie sich weiter aus. Auch in Britannien waren die letzten Jahrzehnte von Kürzungspolitik geprägt und die Ungleichheit wuchs so stark wie nie zuvor. Zur Covid-Krise gesellen sich die Auswirkungen des Brexit, des Ukrainekriegs und all das zu den bestehenden Problemen des Kapitalismus. Die Antwort der Regierung: Angriffe auf die Rechte der Beschäftigten, z.B. mit Anti-Gewerkschafts-Gesetzen. Die Preissteigerung bei Energie trifft britische Haushalte doppelt so hart wie beispielsweise Haushalte in Deutschland. Und das, obwohl Britannien als “Saudi Arabien” für erneuerbare Energien gilt.

RMT tritt Streikwelle los

Im Juni traten Eisenbahner*innen in einen historischen Streik, provoziert von der Regierung, die hoffte, die Bewegung schnell zum Erliegen zu bringen. Die National Union of Rail, Maritime & Transport Workers (RMT) legt ganz Britannien lahm. 50.000 Beschäftigte legten die Arbeit nieder und forderten mehr Gehalt, aber auch den Stopp des geplanten Personalabbaus sowie der Budgetkürzungen für betriebskritische Infrastruktur. Die Bevölkerung unterstützt diese Kämpfe, wohingegen die Unterstützung für die Regierung weiterhin sinkt.

Im August streikten 170.000 Beschäftigte aus der privatisierten Telekommunikationsbranche, darunter auch Royal Mail, acht Tage lang. In Schottland streikten Stadtangestellte in Edinburgh und in Felixstowe, Britanniens größtem Containerhafen, legten Hafenbeschäftigte für acht Tage die Arbeit nieder. Hafenarbeiter*innen in Liverpool folgten diesem Beispiel und streikten im September. Dem schließen sich Streiks von Pflichtverteidiger*innen an, die für mehr Personal und Gehalt kämpfen, sowie die Organisierung von Beschäftigten in Amazon Lagerhäusern und Urabstimmungen von Millionen öffentlich Bediensteter in ganz Britannien.

Die konservative Premierministerin Liz Truss hat angekündigt, gegen Gewerkschaften vorzugehen, wie genau, ist jedoch unklar. Ebenso unklar ist ihr Programm gegen Teuerung, es wurden lediglich Steuererleichterungen beschlossen - für Reiche. Das Vakuum in der Regierung erhöht die Chance der Gewerkschaften, das Potential der Bewegung auch politisch zu nutzen. Dafür müssen sie aber die Streiks wieder aufnehmen, die sie nach dem Tod der “Queen” ausgesetzt haben! Auch dürfen sich die Gewerkschaften nicht von der Labour Party ausbremsen lassen, sondern müssen politisch unabhängig handeln.

Unsere britische Schwesterorganisation Socialist Alternative fordert, dass Streiks branchenübergreifend koordiniert werden, um die Unternehmen und die Regierung zu Änderungen zu zwingen. Die Initiative “Enough is Enough” (EIE) hat das Potenzial, das zu erreichen. Sie fordert echte Lohn/Gehaltssteigerungen, Energiepreise runter, ein Ende der Ernährungsarmut, Wohnraum für alle und Besteuerung der Reichen. Socialist Alternative unterstützt diese Forderungen und ist aktiver Teil von EIE. Doch um auch wirklich Verbesserungen zu erreichen, braucht die Arbeiter*innenbewegung ein Programm und eine Kampfstrategie. EIE fordert z.B. die Verstaatlichung von Schlüsselunternehmen. Diese braucht aber auch Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten, um die Profitlogik draußen zu halten. Insgesamt braucht es eine politische Alternative zu diesem System, die Streikwelle in Britannien kann hier neue Perspektiven eröffnen.

 

Facts:

Die Managements der 100 größten Unternehmen in GB gewährten sich eine Gehaltserhöhung von 39%! Gleichzeitig werden die Lohn/Gehaltsforderungen von Beschäftigten mit der Lüge von der “Lohn-Preis Spirale” abgelehnt.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Interview mit Gewerkschafter aus Belgien

“Wir brauchen einen Eskalationsplan”
Interview mit Wouter, Betriebsrat im Sozialbereich in Gent und Aktivist der LSP/PSL (belgische Sektion der ISA)

Wouter, wie kann die Gewerkschaft so viele Menschen in den Streik führen?

In Belgien sind 55% der Bevölkerung gewerkschaftlich organisiert, da Gewerkschaften unter anderem als Sozialservice fungieren. In den letzten 150 Jahren hat sich eine Streiktradition entwickelt. Momentan mobilisieren wir von der LSP/PSL (ISA in Belgien) mit der “Operation Wahrheit", um zu zeigen, wie viel Gewinn die Konzerne die letzten Jahre gemacht haben. Letztendlich ist das Thema selbst und die Einstellung der Betriebsräte ausschlaggebend. 

Die automatische Inflationsanpassung klingt super. Stimmt die Berechnung?

Die Anpassung stimmt zwar, jedoch sind einzelne Sektoren aus der Berechnung ausgenommen und so sinken die Reallöhne. Z.B. wurden in den 90ern Benzin, Gas, Tabak und Alkohol aus der Berechnung exkludiert. Je nach Sektor wird monatlich, quartalsweise oder jährlich angepasst. All das verzerrt die Berechnung stark. Außerdem sind z.B. Scheinselbstständige von Lieferdiensten etc. ausgenommen. Dafür ist ein Kollektivvertrag nötig.

Was sind die konkreten Forderungen für den Generalstreik?

Unsere Hauptforderung ist die Lohnerhöhung um 2€ pro Stunde statt Einmalzahlungen sowie die Verstaatlichung und die demokratische Kontrolle des Energiesektors. Besonders ist, dass wir keine prozentuale Lohnerhöhung fordern, um kleine Löhne zu bevorzugen. Natürlich sind wir auch für die Abschaffung des Gesetzes von ‘96.

Wie wird der Streik organisiert und wie kann der Kampf gewonnen werden?

Im Juni fand eine Demonstration mit 80.000 Menschen gegen das Gesetz von ‘96 statt. Die sozialistische Gewerkschaft hat die Stimmung aufgegriffen und Aktionen im September angekündigt. Am 21.9. konnten über 10.000 aktive Gewerkschafter*innen mobilisiert werden, um demonstrierend zur Vertretung der Wirtschaft zu gehen. Die Forderung von LSP/PSL nach Verstaatlichung des Energiesektors ist auf offene Ohren gestoßen. Jedoch fehlt es an einem Eskalationsplan. Wir schlagen Betriebsrät*innen vor, Treffen zur “Operation Wahrheit” zu organisieren und Eskalationsmöglichkeiten zu diskutieren, um so Druck von unten aufzubauen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Bahnarbeiter*innen in den USA: Verraten von Biden und den „sozialistischen“ Demokraten

Kshama Sawant (Socialist Alternative, ISA in den USA)

Zur Einordnung, von Anne Engelhardt (Sozialistische Alternative, ISA in Deutschland):

In den USA fand in den letzten Monaten eine wichtige Auseinandersetzung im Bahnsektor statt. Die 115.000 Bahnkolleg*innen verhandelten mit ihren 12 Gewerkschaften einen neuen Tarifvertrag, der alte liegt vier Jahren zurück. Es sind gleichzeitig auch vier Jahre, in denen während der Pandemie über 40 % des Personals entlassen oder ausgetauscht wurde. Vier Jahre ohne Lohnerhöhung bei gleichzeitiger Arbeitszeitverdichtung. Aber um den Lohn geht es bei diesem Kampf nicht. Es geht um das Recht, krank sein zu dürfen. In den USA gibt es in den meisten Branchen kein Recht auf Krankentage. Und damit sind nicht nur bezahlte Krankentage gemeint, sondern generell, das Recht sich krank melden zu dürfen. Insbesondere im Bahngewerbe ist das brisant: Wenn die Kolleg*innen sich krank melden bekommen sie dafür sofort Ärger: Ihnen wird der Lohn gekürzt, Urlaubstage werden einkassiert, es kann sogar zur Kündigung kommen. Die Bewertungen über die Maßnahmen basieren auf einem absurden Punktesystem, das Arbeitende zwingt, trotz Erkältung, Todesfällen in der Familie, ja sogar Schlaganfall und Herzinfarkt weiterzuarbeiten – mit den denkbar tödlichsten Konsequenzen. In den letzten Jahren häuften sich die Meldungen über Eisenbahnfaher*innen, die an einem Herzinfarkt, an Corona und anderen Erkrankungen bei der Fahrt starben. Sie konnten nicht bei den Geburten ihrer Kinder dabei sein, bei der Betreuung von Angehörigen einspringen oder sich einfach von einer Grippe erholen. Insbesondere die Pandemie hat das Problem verschärft. Gleichzeitig arbeiten die Kolleg*innen im Bahnsektor sechs Tage die Woche. Es gibt vermehrt schwere Unfälle. Da die Bahn aber zu den systemrelevanten Infrastrukturen der USA gehört, wurde 1926 in einer Niederlage der US-Arbeiter*innenklasse der sogenannte Rail Act erlassen. Dieser erlaubt es der Regierung, direkt Einfluss auf stockende Verhandlungen zu nehmen und im Falle eines anstehenden Streiks ein Dekret durch den Kongress und den Senat zu bringen, das den Streik verbietet und die Eisenbahner*innen zwingt das letzte vorliegende Angebot anzunehmen. Auch in diesem Jahr wurde dieses Gesetz unter Joe Biden wieder zum Einsatz gebracht, der bisher als arbeitnehmerfreundlichster Präsident der US-Geschichte galt. Die Eisenbahner*innen hatten über ein im September 2022 erwirktes vorläufiges Angebot abgestimmt und es mit knapper Mehrheit abgelehnt, da es keinen einzigen Krankentag enthielt. Am 9. Dezember sollte es zum Streik kommen. Doch die Regierung intervenierte und verbot den Streik.

 

Als AOC [Alexandria Ocasio-Cortez, Mitglied im US-Repräsentantenhaus, Demokraten, Anmerkung der Übersetzung] und andere Mitglieder der “Squad” [DSA-Mitglieder unter den Abgeordneten der Demokraten] zum ersten Mal gewählt wurden, traten die meisten von ihnen als selbsternannte “demokratische Sozialist*innen” an. Sie kandidierten mit Forderungen der Arbeiter*innenklasse wie “Medicare for All” [Krankenversicherung für alle] und einem bundesweiten Mindestlohn von 15 Dollar. Sie versprachen, sich für die Arbeiter*innen und Unterdrückten einzusetzen.

Im ersten Jahr nach Bidens Amtsantritt, als die Demokraten alle Teile der Regierung kontrollierten, ließen die “Squad”-Mitglieder die ersten beiden dieser Versprechen fallen, als erstes indem sie sich weigerten, die Abstimmung über “Medicare for All” zu erzwingen, und danach, als sie jede Art von Kampf für den Mindestlohn von 15 Dollar ablehnten.

Jetzt ist das dritte dieser Versprechen endgültig gebrochen, da alle bis auf ein Mitglied von “The Squad” die Streikpostenlinien überquert haben und mit einer Mehrheit von Demokraten und Republikanern im Kongress dafür gestimmt haben, den Streik der Eisenbahner*innen zu brechen – und damit das Recht dieser Arbeiter*innen, ihre Arbeit legal niederzulegen, zu beschneiden. Damit haben sie sich eindeutig auf die Seite der Milliardär*innen gegen die Arbeiter*innen gestellt, die seit Jahrzehnten unter unerträglichen Bedingungen leiden.

Dies ist ein schwerer Verrat an der Arbeiter*innenklasse.

Jahrelange Verhandlungen zwischen 12 Gewerkschaften, die 115.000 Eisenbahner*innen vertreten, und der Handvoll Konzerne, die 90 Prozent des Güterbahnverkehrs (sowie die Gleise, auf denen die meisten Personenzüge verkehren) kontrollieren, sind nun unter der Führung eines demokratischen Präsidenten, der sich selbst als “arbeitnehmer*innenfreundlich” bezeichnet, zusammen mit der “Linken” seiner Partei zunichte gemacht worden.

“The Squad” und der Congressional Progressive Caucus [Vereinigung von Abgeordneten, den dem “linken” Flügel der Demokraten nahestehen], zu dem auch die Abgeordnete Pramila Jayapal gehört, versuchten, sich einen linken Anschein zu geben, indem sie für einen zweiten Gesetzentwurf stimmten, der zusätzlich zum ersten Gesetzentwurf zur Beendigung des Streiks auch die Hauptforderung der Arbeiter*innen nach bezahltem Krankenurlaub enthielt.

Dieses Täuschungsmanöver sollte jedoch niemanden täuschen, denn es war offensichtlich, dass der Gesetzentwurf zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im Senat ein jähes Ende finden würde (was am folgenden Tag auch geschah), und dass nur ein gebrochener Streik übrig bleiben würde.

Schlechte Bedingungen für die Arbeiter*innen im Bahnsektor

Arbeiter*innen aus vier Gewerkschaften, die zusammen eine Mehrheit der Belegschaft vertreten – die Sheet Metal, Air, Rail, and Transport Workers’ Transportation Division, die Brotherhood of Railway Signalmen, die Brotherhood of Maintenance of Way Employees-Teamsters und die International Brotherhood of Boilermakers – hatten den vorgeschlagenen Vertrag abgelehnt. Doch die Stimmen von 80 US-Senator*innen und 290 US-Repräsentant*innen reichten aus, um den von den Eisenbahnmagnaten gewünschten Vertrag durchzusetzen. Mit diesem Ergebnis hatten die Bosse von Anfang an gerechnet, da sie wissen, dass sie beide politischen Parteien in der Hand haben.

Der immense Druck, unter dem die Arbeiter*innen bei der Bahn nach jahrelangem Personalabbau stehen, ist gut dokumentiert. Dennoch behauptete Präsident Biden mit geübter Heuchelei, im Namen der Millionen Arbeiter*innen zu handeln, die durch diesen Streik geschädigt werden könnten.

Trotz der Tatsache, dass die Regale der Einzelhändler*innen bereits für Weihnachten gefüllt sind, haben die Demokraten angedeutet, dass das Bedürfnis anderer Arbeiter*innen, “ihren Urlaub zu genießen”, über dem Bedürfnis der Eisenbahner*innen steht, über ihr Leben, ihre Familien oder ihre Gesundheit zu bestimmen. Doch diese Logik ist völlig verkehrt. Ein Sieg für die Eisenbahner*innen wäre ein Sieg für Arbeiter*innen in den gesamten USA gewesen, die zunehmend von Überarbeitung und dem Wissen erdrückt werden, dass sie leben, um zu arbeiten, und nicht arbeiten, um zu leben.

Nach der heutigen Abstimmung schrieb ein pensionierter Eisenbahner und Gewerkschaftsfunktionär:

“Es geht nicht nur um Geld. Es geht um die Lebensqualität. Die Presse lässt einen glauben, dass eine Lohnerhöhung von 25 % über 5 Jahre viel ist. Das ist es nicht, nicht wenn die Inflation zwischen 8 und 10% pro Jahr liegt. Das ist nicht einmal kostendeckend. Aber das größere Problem ist die Lebensqualität.

Güterbahnen arbeiten 24/7/365. Fast alle Bahnangestellten arbeiten auf Abruf, mit nur 2 Stunden oder weniger Vorlaufzeit, bevor sie zur Arbeit gehen, die Reisezeit nicht eingerechnet. Aufgrund der massiven Kürzungen in der letzten Zeit müssen alle auf Abruf leben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Angestellte bei einigen Eisenbahnen drei oder mehr Wochen arbeiten, ohne wirklich frei zu haben, abgesehen von den staatlich vorgeschriebenen Ruhezeiten zwischen den Schichten (von denen die meiste Zeit zum Schlafen genutzt wird). Viele Beschäftigte wurden disziplinarisch belangt, d. h. sie wurden ohne Bezahlung suspendiert. In einigen Fällen wurde ihnen unter Androhung der Suspendierung und/oder Entlassung sogar die Teilnahme an Familienbegräbnissen verweigert. Deshalb wehren sich die Beschäftigten dieses Mal. Genug ist genug.”

Vor diesem Hintergrund ist Bidens ausgehandeltes TA (tentative agreement [vorläufige Vereinbarung]) zu sehen, dessen einzige Verbesserung ein einziger bezahlter persönlicher Tag ist, der durch absurde Bedingungen ausgehöhlt wird: Er kann nur an einem Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag genommen werden und muss 30 Tage im Voraus geplant werden.

Auch wenn einige Linke zu einem illegalen wilden Streik aufriefen: Das absolute Versagen der Anführer*innen der Gewerkschaften, zu mobilisieren oder einen Streik vorzubereiten, macht das zu einer äußerst schwierigen Option für ihre Mitglieder, trotz der lodernden Wut Tausender Arbeiter*innen über diesen brutalen Angriff auf ihre Rechte. Die Anführer*innen der Gewerkschaften zogen es stattdessen vor, auf die bewährte und gescheiterte Strategie zurückzugreifen, Politiker*innen der Demokratischen Partei anzuflehen, sich für sie einzusetzen.

Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die Arbeiter*innen der Bahn angesichts dieses Verrats selbstständig Maßnahmen ergreifen, und die Socialist Alternative [Schwesterorganisation der SAV in den USA] und mein Büro werden sie bei der Umsetzung solcher Maßnahmen auf Schritt und Tritt unterstützen. Die erfolgreiche Durchführung von wilden Streiks in dem erforderlichen Umfang würde voraussetzen, dass sofort unabhängige und demokratische Organisationsstrukturen geschaffen werden, dass in den verschiedenen Betrieben Streikführer*innen gewählt werden und dass ein Streikfonds eingerichtet und schnell aufgebaut wird.

Die Kapitulation von “The Squad” und der DSA

Als klar wurde, dass der Kongress aufgefordert werden würde, einzugreifen, um einen Streik zu verhindern, suchte Bernie Sanders nach Verfahrensmöglichkeiten, um den Schlag dieser Niederlage für die Arbeiter*innen abzuschwächen. Seine Lösung bestand darin, einen Änderungsantrag einzubringen, der den Arbeiter*innen sieben Tage bezahlte Krankheitszeit zugesteht – etwas weniger als die Hälfte der ursprünglichen Forderung der Arbeiter*innen. Bernie war von Anfang an klar, dass er ohne diesen Zusatz nicht für die Durchsetzung der TA stimmen würde, und als sein Änderungsantrag scheiterte, stimmte er mit “Nein”.

Es ist äußerst beschämend, dass dies nicht auch von AOC und der Mehrheit von “The Squad” im Repräsentantenhaus gesagt werden kann – die mit einer Ausnahme alle für die Niederschlagung des Streiks stimmten.

AOC rechtfertigte ihr Abstimmungsverhalten mit der Behauptung, sie kämpfe “mit Zähnen und Klauen” für die zusätzlichen Krankheitstage. Jamaal Bowman behauptete, er habe “immer in Solidarität mit den Arbeiter*innen gekämpft”. Doch was der Congressional Progressive Caucus veranstaltete, war ein Betrug, und zwar ein ziemlich plumper. Sie haben sich mit Pelosi abgesprochen, um die Abstimmung in zwei Teile aufzuteilen, und versprachen ihre rund 100 Stimmen für den faulen TA. Im Gegenzug bekamen sie eine getrennte Abstimmung über den Änderungsantrag zu Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, von dem sie genau wussten, dass er im Senat zu Fall gebracht werden würde. Es brauchte nur einen Tag, um die brutale Realität zu bestätigen: dass die Mehrheit von “The Squad” in Abstimmung mit den Anführer*innen des Congressional Progressive Caucus die Arbeiter*innen im Stich gelassen hat, während sie über bezahlte Krankheitstage schwadronierten.

Am 30. November veröffentlichte die Bundeszentrale der Demokratischen Sozialist*innen von Amerika (DSA) eine Unterstützungserklärung für die Arbeiter*innen der Bahn, die diesen Satz enthielt:

“Jedes Mitglied des Kongresses, das für das vorläufige Abkommen stimmt, stellt sich auf die Seite der Milliardär*innen und zwingt den Arbeiter*innen einen Vertrag auf, der ihre dringendste Forderung nach bezahlten Krankentagen nicht berücksichtigt.”

Was ist dann mit ihren eigenen Mitgliedern und den von ihnen unterstützten Abgeordneten im Kongress, die mit Ja gestimmt haben? Was diese Aussage impliziert und was die Aktionen von “The Squad” definitiv beweisen, ist, dass diese gewählten Volksvertreter*innen Teil des kapitalistischen Staates sind und sich selbst als solche sehen, als Vertreter*innen eines Staates, der für die Milliardär*innen und gegen die Interessen der Mehrheit, der Arbeiter*innen, handelt.

Ein Sozialist*in kann kein Streikbrecher sein. Es muss Schluss sein mit der Behauptung der DSA, “The Squad” sei sozialistisch, und sie sollten aus der Organisation ausgeschlossen werden. Andernfalls wird der Verrat von “The Squad” an der Arbeiter*innenklasse zu einem Verrat der DSA selbst.

Abgesehen von der offensichtlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität der Eisenbahner*innen selbst besteht die Gefahr dieses Ausverkaufs darin, dass er die Arbeiter*innen in die Arme des rechten Flügels treibt, der sich als politische Alternative der Arbeiter*innen zu den Demokraten aufspielen kann. Die Tatsache, dass mehr republikanische Senatoren gegen die Durchsetzung der TA gestimmt haben als Demokraten, ist ein schlagender Beweis dafür.

Die Aufgabe, eine linke Alternative aus der Arbeiter*innenklasse zur “progressiven” Politik der Demokratischen Partei des Großkapitals aufzubauen, war noch nie so dringend wie heute.

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Bolsonaristische Demonstrant*innen stürmen Regierungsgebäude

LSR (ISA in Brazil)

Die schwerwiegenden Ereignisse von heute (Sonntag, 08.01.2023) bestätigen einmal mehr, dass der Kampf gegen die bolsonaristische Giftschlange und der Kampf gegen die extreme Rechte im Allgemeinen weiterhin eine zentrale Aufgabe der Arbeiter*innenbewegung, der brasilianischen Bevölkerung und der Linken ist. Diese Konfrontation muss auf der Straße stattfinden, durch die Massenmobilisierung der Arbeiter*innenklasse. Wir können nicht länger auf die Institutionen warten, wie es seit den Wahlen von uns verlangt wird.

Die gewaltsame Invasion des Sitzes der “drei Gewalten” (des Präsidentenpalastes, des Kongresses und des Obersten Gerichtshofes) in Brasília durch den bolsonaristischen Mob mit der Komplizenschaft und Unterstützung der Regierung des Bundesdistrikts [Bestehend aus der Stadt Brasília und ihrem Umland, Anmerkung der Übersetzung] und anderer Behörden muss in angemessener Weise beantwortet werden. Sie muss nicht nur vehement zurückgewiesen werden, sondern auch zur Bestrafung aller Verantwortlichen führen.

Es ist notwendig, das Übel bei der Wurzel zu packen und die wahren Führer*innen dieser rechtsextremen Putschbewegung zur Verantwortung zu ziehen, einschließlich Jair Bolsonaro selbst, seinen ruchlosen Clan und ihre Verbündeten.

Es reicht nicht aus, nur auf Reaktionen der Regierung zu warten. Es ist notwendig, sofort die Gewerkschaften, die sozialen Bewegungen, die Jugendorganisationen und die unterdrückte brasilianische Bevölkerung an der Basis zu mobilisieren. Es können und müssen Betriebs-, Studien- und Wohnungsversammlungen einberufen werden, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen und zu großen Demonstrationen aufzurufen, die im ganzen Land, auch in Brasilia, die Straßen besetzen.

Eine große Demonstration, mächtig und gut organisiert, die die Stärke der Arbeiter*innenklasse in diesem Moment wiederspiegelt, wird dazu dienen die bolsonaristischen Schurken einzuschüchtern und Druck auf die Sektoren auszuüben, die angesichts der Schwere dieser Putschversuche schwanken.

Es wird auch dazu dienen, Druck auf die Institutionen auszuüben und die sofortige Bestrafung der Verantwortlichen, insbesondere ihrer Anführer*innen, zu fordern und auch den Kampf für die Agenda der Arbeiter*innenklasse zur Verteidigung der demokratischen Freiheiten und sozialen Rechte und einer tiefgreifenden sozialen Transformation zu stärken.

Freiheit, Sozialismus und Revolution (LSR – ISA in Brasilien) steht in allen Bereichen an der Seite aller Organisationen der Arbeiter*innenklasse und sozialer Bewegungen im Kampf gegen die extreme Rechte von Bolsonaro.

https://lsr-asi.org/

Foto: Afonso Ferreira/TV Globo – https://www.progresso.com.br/policia/bolsonaristas-terroristas-invadem-e..., CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=127563746

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Türkei & Iran: Kombinierter Angriff auf Kurdistan – deutsche Bundesregierung fordert “Mäßigung” beim Töten von Kurd*innen

Claus Ludwig, Sozialistische Alternative (ISA in Deutschland)

Dieser Artikel erschien zuerst am 24. November 2022 auf der Website der Sozialistischen Alternative (ISA in Deutschland).

Die türkische Luftwaffe bombardiert kurdische Gebiete in Nordsyrien, mehrere Dutzend Menschen wurden getötet. Der türkische Präsident Erdogan hat die Bodenoffensive angekündigt, um den gesamten Norden Syriens zu besetzen. Schon jetzt werden weite Gebiete von türkischen Truppen und den ihnen unterstellten rechtsgerichteten islamistischen Einheiten kontrolliert. Hat die Bundesregierung angesichts der Verbrechen Erdogans sofort Sanktionen gegen die Türkei verhängt? Welche Luftabwehrwaffen liefert Deutschland an die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG)? 

Am 22. November besuchte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Ankara und sagte, die Bundesregierung stehe im Kampf gegen den Terrorismus “an der Seite der Türkei”. Sie rief zur “Mäßigung” auf. Was meinte sie damit – sollen die türkischen Truppen etwa maßvoll Zivilist*innen töten, vielleicht halb so viele wie bisher? Die türkische Regierung hat für ihren Angriff auf syrisches und irakisches Territorium und die Bombardierung ziviler und militärischer Einrichtungen der kurdischen Selbstverwaltung die faktische Unterstützung der Bundesregierung und der NATO. Die deutsche Regierung ist Komplize dieses Verbrechens.

Regionale Diktaturen gemeinsam

Die türkische Luftwaffe bombardierte gleichzeitig kurdische Orte im Nordirak. Ebenso wie die des Iran. Iranische Bodentruppen gehen seit September gewaltsam gegen die demonstrierende Bevölkerung vor, die größte Brutalität haben die “Revolutionsgarden”, Basiji und Polizei in den kurdischen Gebieten im Westen Irans entfaltet. In der Stadt Mahabad schossen sie wahllos auf Wohnhäuser. Innerhalb weniger Tage Mitte November erschoss sie mehrere Dutzende Menschen, darunter auch einen neunjährigen Jungen.

Erdogan greift Rojava (kurdisch für Westen, so der Name des Gebiets in Nordsyrien) einerseits an, weil er von seiner innenpolitischen Krise und den wirtschaftlichen Problemen ablenken will, in Vorbereitung auf die Wahlen 2023. Äußere Feinde sind für unter Druck stehende Herrschende immer nützlich. Aber es geht um mehr: Mit dem Krieg gegen die Kurd*innen schiebt Erdogan die nationale Spaltung in den Vordergrund. Das iranische Regime eskaliert gleichzeitig in den kurdischen Gebieten, um die Bewegung im gesamten Land zu schwächen, indem es den Kampf für Frauenrechte, demokratische Rechte und für die Interessen der arbeitenden Klassen und der Armen in den Hintergrund drängt und eine ethnische Konfrontation provoziert. Das Regime will an den Kurd*innen ein blutiges Exempel statuieren und die Menschen in anderen Regionen des Iran einschüchtern.

NATO-Heuchelei

Die NATO rüstet die angegriffene Ukraine ebenso aus wie den Angreifer Türkei. Ihre Empörung über den russischen Angriff auf die Ukraine ist pure Heuchelei. Das NATO-Mitglied Türkei geht genauso vor. Die NATO liefert keine Waffen zur Rettung der Demokratie, sondern für die Durchsetzung ihrer Interessen.

Die Menschen in Kurdistan und im Iran können sich nicht auf die Bekundungen der westlichen Regierungen verlassen, sie stünden für Menschenrechte oder gar eine “feministische Außenpolitik”. Diese sind keine Hilfe im Kampf für die Befreiung von der Unterdrückung.

Im Rahmen der Erweiterung der NATO zum Kampf gegen Russland bekam das Erdogan-Regime direkte Unterstützung zur Unterdrückung der Kurd*innen. Erdogan wurde erlaubt, die Auslieferung kurdischer Aktivist*innen und das Verbot kurdischer Organisationen in Schweden und Finnland zur Voraussetzung für die NATO-Mitgliedschaft dieser Staaten zu machen.

Der deutsche Staat betätigt sich auch hierzulande als Erfüllungsgehilfe Erdogans, indem er gegen kurdische Aktivist*innen vorgeht. Sogar Fans der zweiten Mannschaft von Bayern München wurden bei einem Spiel der Regionalliga von Polizist*innen verprügelt, weil sie ein Banner mit der Aufschrift “FC Bayern Fanclub Kurdistan” hochhalten. Auch ein Kind wurde verletzt, als die Polizist*innen losprügelten. Bei Demos gegen den aktuellen Angriff geht die Polizei immer wieder gewaltsam gegen Kurd*innen vor, die Fahnen kurdischer Organisationen tragen – selbst von solchen, die wie YPG und YPJ, offiziell in Deutschland gar nicht verboten sind.

USA und EU sind mit dem iranischen Mullah-Regime verfeindet und wollen dieses durch ein Regime ersetzen, welches mit dem Westen verbunden ist und die iranische Wirtschaft an denselben verkauft. Sie hoffen, den Aufstand im Iran dahingehend politisch beeinflussen zu können. Doch während sie den “regime change” im Iran befürworten, ist es ihnen kurzfristig wichtiger, der Regierung Erdogan den Spielraum zu lassen, die kurdische Bewegung in Nordsyrien anzugreifen. Damit sind sie indirekt auch verantwortlich für die tödlichen Angriffe des iranischen Staates auf die kurdischen Städte.

Die Angriffe in Syrien und dem Iran gehören zusammen. Sie sollen die revolutionären Bewegungen gegen Unterdrückung und Ausbeutung ablenken, spalten und zerschlagen.

Die Gewerkschaftsbewegung und die Linke in Deutschland müssen sich endlich aufraffen und selbst die Solidarität organisieren, sowohl mit der revolutionären Bewegung im Iran als auch mit den angegriffenen Kurd*innen in Syrien, dem Irak und der Türkei. Dabei kann es nicht darum, gemeinsam mit bürgerlichen Politiker*innen salbungsvolle Reden zu halten, wie sie auf den Iran-Demos schon häufiger zu hören waren. Linke und Gewerkschaften müssen die Heuchelei der Herrschenden in Deutschland aufdecken, müssen die Geschäfte anprangern, die deutsche Konzerne sowohl mit dem Mullah-Regime als auch mit der Regierung Erdogan machen, müssen die Ampel-Regierung dafür kritisieren, dass sie Erdogan den Rücken stärkt.

  • Solidarität mit der revolutionären Bewegung im Iran, nieder mit der Diktatur der Mullahs!
  • Türkische Truppen raus aus Nordsyrien!
  • Demokratische Rechte für die Kurd*innen, für ein demokratisches, sozialistisches Kurdistan, für eine sozialistische Föderation des Mittleren Ostens!
  • Weg mit dem Verbot der PKK und der kurdischen Vereine!

 

Chinas Massenaufstand – Wohin geht’s?

Die größten Proteste seit der Demokratiebewegung von 1989
Li Yong and Vincent Kolo, chinaworker.info (ISA in China, Hong Kong und Taiwan)

Dieser Artikel erschein zuerst am 30. November 2022 auf der Website der ISA in China, Hong Kong und Taiwan - chinaworker.info

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts ist die Polizei in chinesischen Städten in Massen unterwegs, um die jüngste Protestwelle auszumerzen. Die Proteste an den Universitäten gehen weiter. Am kommenden Wochenende könnte es zu neuen Straßenprotesten in Städten im ganzen Land kommen. Die Demonstrationen, die in den letzten Tagen über China hinwegfegten, stellen die größte Herausforderung seit dreißig Jahren für die Diktatur der so genannten Kommunistischen Partei (KPCh) und ihren neu gekrönten “Kaiser” Xi Jinping dar.

Nach drei Jahren erstickender und unsagbar brutaler “Zero-Covid”-Kontrollen und Lockdowns sind die Menschen am Ende ihrer Kräfte. Auch wenn “Zero Covid” und der tödliche Brand in Xinjiang am Donnerstag der Auslöser waren, so ist die aktuelle Protestwelle doch viel mehr als eine “Anti-Lockdown”-Bewegung, so wichtig dieses Thema auch ist.

Bei Studierendenprotesten an mehr als 80 Universitäten im ganzen Land wurde “Freiheit oder Tod” gerufen – ein Slogan aus dem Kampf von 1989, was den meisten chinesischen Jugendlichen überhaupt nicht bewusst ist. Die Forderungen nach demokratischen Rechten und einem Ende der Diktatur haben sich mit der Empörung über das wahnwitzige, unwissenschaftliche Beharren der Diktatur auf Ausrottung eines unausrottbaren Virus um jeden Preis verbunden.

In der vergangenen Woche haben die täglichen Covid-Infektionsraten einen Rekordwert von über 40.000 erreicht. Das ist zwar immer noch wenig im Vergleich zu den Zahlen in vielen westlichen Ländern auf dem Höhepunkt der Pandemie, aber die Regierung reagiert mit immer mehr Lockdowns, weil sie sich selbst in die Enge getrieben hat und darauf besteht, dass “Zero Covid” erfolgreich sein wird.

Die Diktatur hat blindlings eine aussichtslose Strategie verfolgt, die durch die persönliche Rolle Xi Jinpings noch verstärkt wurde: Er hat a) “Zero Covid” als Waffe im internen Machtkampf der KPCh eingesetzt, indem er die Regionalregierungen zur “Loyalität” zwang, und b) er hat die Politik dazu genutzt, die Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten der Diktatur massiv auszubauen.

Xi´s “Zero Covid”-Strategie hat das Impfen heruntergespielt und sich stattdessen auf intensive Massentests, die Rückverfolgung von Kontaktpersonen, Quarantäne und brutal durchgesetzte Lockdowns konzentriert. Eine Million Chines*innen – darunter auch die Familie eines der Autoren – befinden sich derzeit in Quarantänezentren (fancang), die allgemein als “schlimmer als Gefängnisse” beschrieben werden. Eine Rekordzahl von fünfzig Städten, in denen etwa ein Viertel der chinesischen Bevölkerung lebt, befindet sich derzeit in irgendeiner Form von Quarantäne, so Nomura, das wöchentlich aktuelle Informationen liefert.

Eine jetzige, grundlegende Änderung, eine Hinwendung zu “Koexistenz mit Covid”, wie sie von den meisten anderen Regierungen praktiziert wird, könnte Chinas unterfinanzierten Gesundheitssektor überfordern und zu Hunderttausenden Todesfällen führen. Eine kürzlich von Bloomberg Intelligence durchgeführte Studie hat gezeigt, dass China nur über vier Intensivbetten pro 100.000 Einwohner verfügt, was weit unter den Raten in den Industrieländern liegt. Eine Kehrtwende wäre auch eine demütigende persönliche Niederlage für Xi Jinping, da die aktuelle Politik als sein politisches Flaggschiff angesehen wird. Daher befindet sich der Diktator in einem “politischen Zugzwang”, wie die Bloomberg-Kolumnistin Clara Ferreira Marques es ausdrückte, in dem jede Option die Situation verschlimmert.

Warnzeichen

Die Anzeichen für eine bevorstehende soziale Explosion waren eindeutig. Der Massenausbruch von Tausenden von Arbeiter*innen der weltgrößten iPhone-Fabrik (Foxconn) in Zhengzhou im Oktober hatte eine enorme Auswirkung auf das Massenbewusstsein, da diese Szenen trotz aller Bemühungen der Zensoren in den sozialen Medien weithin sichtbar waren. Die Stadt Urumqi, in der die jüngste Welle beispielloser Proteste ihren Anfang nahm, ist seit über 100 Tagen abgeriegelt, wobei es – wie bei fast allen Lockdowns – zu Engpässen bei Lebensmitteln und Medikamenten kam.

Die Lockdowns haben zu einer Krise der psychischen Gesundheit von unvorstellbarem Ausmaß geführt. Bereits im Jahr 2020 ergab eine landesweite Umfrage, dass fast 35 Prozent der Befragten unter psychischen Problemen infolge der Pandemie litten. In diesem Jahr hat sich das Gesundheitsministerium geweigert, Selbstmordstatistiken zu veröffentlichen.

Viele der Universitäten, an denen spontane Proteste gegen die Lockdowns und die Regierung ausgebrochen sind, haben mehrere Quarantäne-Wellen erlebt, bei denen die Studierenden wochenlang in ihren Wohnheimen festsaßen und sich darüber beklagten, dass es an allem mangelte, auch an Hygieneartikeln. Als die Fußballweltmeisterschaft in Katar angepfiffen wurde, war die Wirkung in China schockierend. Der Anblick der riesigen Menschenmassen ohne Masken oder sichtbare Covid-Beschränkungen veranlasste einige zu der Frage: “Ist China auf demselben Planeten?”

Ein Genosse in China beschrieb die Situation wie folgt: “Soweit ich es in meinem sozialen Umfeld überblicken kann, stehen fast alle, abgesehen von einigen Bürokrat*innen und jungen Beamt*innen, die sich überhaupt nicht äußern, fest an der Seite der Demonstrierenden – einschließlich der üblichen ‘schweigenden Mehrheit’.”

“Das Bemerkenswerte an diesem Sturm ist, dass die Unzufriedenheit mit dem Xi-Regime in den Vordergrund getreten ist, wobei die Öffentlichkeit ihre Wut nicht mehr nur auf lokale Beamte oder andere Mitglieder des inneren Kreises des Regimes beschränkt, sondern sogar auf Xi selbst.”

Zehn Tote in Urumqi

Am 26. und 27. November entlud sich schließlich der aufgestaute öffentliche Zorn über die “Zero Covid”-Politik, als sich Menschen im ganzen Land versammelten, um die Aufhebung der Blockade zu fordern, und es sogar auf sich nahmen, die Zäune und Testeinrichtungen zu demontieren und zu zerstören, wobei sie Beamt*innen der Pandemieprävention und Polizist*innen angriffen, die ihnen im Weg standen. Bis zum 27. November protestierten Student*innen von mindestens 85 Universitäten im ganzen Land, wobei die Zahl der Teilnehmenden von Dutzenden bis zu Hunderten reichte.

Auslöser des Vorfalls war ein Brand am 24. November in einem Wohnblock in einem uigurischen Viertel von Urumqi, der Hauptstadt der Provinz Xinjiang. Urumqi ist eine Stadt, die zu 80 Prozent von Han-Chines*innen bewohnt wird. Dies ist von großer Bedeutung, wenn man die spontane Einigkeit zwischen Han und Uigur*innen sieht, trotz der jahrelangen bösartigen rassistischen Propaganda der KPCh gegen die Uigur*innen als “Terrorist*innen”.

Das Feuer selbst war nicht groß, aber die Feuerwehr konnte wegen der Absperrungen, die zur Durchsetzung der Quarantäne errichtet wurden, nicht rechtzeitig eintreffen, um das Feuer zu löschen. Es wird vermutet, dass die Opfer nicht fliehen konnten, weil ihre Türen und Fluchtwege verschlossen waren. Videoaufnahmen von Menschen, die schreiend die Öffnung ihrer Türen forderten, wurden im Internet verbreitet, bevor sie von der Zensur gelöscht wurden.

Zehn Menschen, allesamt Uigur*innen, kamen bei dem Brand ums Leben. Einige Online-Berichte deuten jedoch darauf hin, dass die Zahl der Todesopfer höher ist. Später entzogen sich Beamt*innen der KPCh ihrer Verantwortung, indem sie leugneten, dass die Ausgänge blockiert waren, und den Bewohner*innen vorwarfen, die Fluchtwege nicht zu kennen. Dies schürte den Zorn der Öffentlichkeit noch weiter, und in dieser Nacht durchbrach eine große Zahl von Urumqi-Bürger*innen, sowohl Han als auch Uigur*innen, die Pandemie-Sperren und marschierte zu den Büros der Stadtregierung, um zu protestieren.

Die Saat des Aufruhrs ist in die Herzen der Menschen gepflanzt worden, als Ergebnis der immer wiederkehrenden kollateralen Katastrophen mit Todesfolge.

Dazu gehören das Busunglück in der Provinz Guizhou, bei dem 27 Passagier*innen starben, die zwangsweise in ein abgelegenes Quarantänezentrum gebracht wurden, und zahllose Tragödien von Menschen, die starben, weil ihnen ohne negativen PCR-Test die Aufnahme in ein Krankenhaus verweigert wurde.

In den letzten Wochen haben Menschen in Orten wie Zhengzhou und Guangzhou die Pandemieabsperrungen durchbrochen und sich der Polizei entgegengestellt. In Chongqing erregte ein Video junger Menschen, die vor den Polizeikontrollen “Freiheit oder Tod” riefen, Aufmerksamkeit. Die Proteste in Urumqi lösten eine Welle aus, die sich innerhalb von zwei Tagen über das ganze Land ausbreitete und die Wut und Unzufriedenheit ausdrückte, die sich durch die unmenschliche “Zero-Covid-Politik” aufgestaut hat, aber noch tiefer geht. Xi Jinpings rigorose Pandemiepolitik hat auch Millionen von Menschen die Realität einer erdrückenden, brutal repressiven Diktatur vor Augen geführt. Sie hat gezeigt, wie weit das Regime bereit ist, mit Repression und Überwachung zu gehen.

“Nieder mit der Kommunistischen Partei!”

In der Nacht zum 26. November durchbrachen die Menschen in Shanghai die Pandemie-Absperrung und marschierten die nach der Stadt Urumqi benannte Wulumuqi Straße entlang, um den Opfern des Brandes zu gedenken und ihrer Wut Luft zu machen. Tage später entfernte die Polizei alle Straßenschilder für die Wulumuqi Straße als Teil ihrer Maßnahmen, um weitere Proteste zu verhindern. Die Menge in Shanghai skandierte “Nieder mit der Kommunistischen Partei! Stürzt Xi Jinping!” Sie blockierten auch Polizeifahrzeuge und kämpften für die Freilassung von Demonstrant*innen, die von der Polizei festgenommen worden waren. Die Demonstrationen wurden den ganzen Tag und Abend des 27. November fortgesetzt, und die Menschen forderten die Freilassung der verhafteten Demonstrant*innen. Neben Shanghai kam es auch in Beijing, Nanjing, Guangzhou, Chengdu, Wuhan und anderen Städten zu großen Protesten.

Eine Bewegung solchen Ausmaßes hat China seit 1989 nicht erlebt. Die aktuellen Proteste haben dieses Niveau noch nicht erreicht, aber wir werden die Entwicklung schon noch sehen. Die wirtschaftliche und soziale Krise Chinas ist in vielerlei Hinsicht ernster als 1989. Die aktuellen Proteste werden von vielen sozialen Schichten getragen: Wanderarbeiter*innen wie in Zhengzhou und Guangzhou, Student*innen, ethnische Minderheiten wie die Uiguren und viele junge Frauen, die an vorderster Front der Demonstrationen stehen. Das sich entwickelnde politische Bewusstsein hat viele verschiedene Elemente, aber es ist bereits über eine Bewegung gegen die Lockdowns hinausgewachsen, hin zu politischen Forderungen nach Demokratie, gegen Unterdrückung, für ein Ende der Diktatur und für die Absetzung von Xi Jinping.

In Urumqi machte die lokale Regierung nach dem Brand sofort eine Kehrtwende und verkündete, dass sich der Covid-Ausbruch in der Stadt “geklärt” habe und die Kontrollen daher gelockert würden. Doch die Menschen gingen weiter auf die Straße, um zu protestieren. Viele andere Regierungen haben eine ähnliche Haltung eingenommen, indem sie eilig ankündigten, die Abriegelungen aufzuheben und einige kosmetische Änderungen vorzunehmen.

Dies ist die klassische KPCh-Strategie zur Entschärfung von Protesten: Eine Mischung aus anfänglichem “Zuckerbrot”, d.h. Zugeständnissen, und anschließender “Peitsche”, d. h. Repression und Verhaftungen. In den sozialen Medien wurde weithin Skepsis darüber geäußert, dass der Virus wie in Urumqi sofort und auf wundersame Weise verschwunden sei. Die KPCh-Diktatur ist berüchtigt dafür, “falsche” Versprechen und Zugeständnisse zu machen. Sie hat zahllose Umweltproteste abgewiegelt, indem sie ankündigte, die umweltverschmutzenden Industrien zu schließen, nur um sie dann weiterlaufen zu lassen, sobald die unmittelbaren Unruhen entschärft waren. In Wukan, in der Provinz Guangdong, versprachen die KPCh-Behörden begrenzte Kommunalwahlen, um die Proteste gegen Landraub und Korruption zu entschärfen. Die Wahlen wurden gefälscht, und dann begann das harte Durchgreifen, und viele der Protestführer*innen sind jetzt im Gefängnis oder im Exil. “Sie gaben uns einen Scheck über eine Million Dollar”, sagte ein Wukan-Aktivist später, “aber er platzte”.

Bei dieser Protestwelle haben Han-Chines*innen und Uigur*innen Solidarität gezeigt und die Spaltungstaktik der KPCh überwunden. In Urumqi gab es herzerwärmende Szenen, in denen Han-Chinesen von vorbeigehend*innen Uiguren beklatscht und umarmt wurden, als sie auf den Straßen Transparente zum Gedenken an die Opfer des Brandes vom Donnerstag aufhängten. Einige Medienkommentator*innen in China bezeichneten diese Situation als beispiellos seit dem Vorfall vom 5. Juli (tödliche ethnische Unruhen und Pogrome) in Xinjiang im Jahr 2009.

Welche Forderungen?

Auf dem Universitätsgelände schlossen sich zahlreiche Studenten der Solidarität an. An der Tsinghua-Universität in Beijing hielten am 27. November Hunderte von Student*innen aus Protest leere Papierbögen hoch und skandierten “Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit”, “Es lebe das Proletariat”, und sangen außerdem die Internationale.

Im Gegensatz zu früheren Protesten zeigt die aktuelle Welle eine Verlagerung hin zu einer expliziteren Opposition gegen die Diktatur, mit der Verbreitung von sonst seltenen Slogans direkt gegen die KPCh und Xi Jinping. Auch dies ist das erste Mal seit 1989. Der Vorfall auf der Sitong-Brücke im Oktober, als ein einzelner Demonstrant, Peng Lifa, im Zentrum Beijings Transparente mit Slogans gegen die Diktatur aufhängte, hat viele der Forderungen, die heute erhoben werden, eindeutig beeinflusst. Während in den meisten Ländern ein Ein-Personen-Protest keine so große Wirkung hätte, war die Wirkung in China, wo alle unabhängigen Organisationen, Politik verboten sind und es keine demokratische Rechte gibt, elektrisierend.

In unserer Stellungnahme zum Sitong-Brücken-Protest (“New Tank Man protest gets huge response”, chinaworker.info, 17. Oktober) erkannten wir diese Wirkung und lobten viele der Bannerslogans, erklärten aber gleichzeitig, dass dies kein ausreichend vollständiges oder klares Programm für den Aufbau einer Bewegung gegen die KPCh-Herrschaft sei. Einige der Forderungen – die Unterstützung von “Reformen” – verstärken leider die Illusion, dass die Diktatur oder einige ihrer Elitefraktionen reformierbar seien und demokratische Zugeständnisse machen könnte.

Die KPCh hat immer wieder gezeigt, dass das ein Trugschluss ist. Das einstige Versprechen der KPCh, begrenzte demokratische Rechte in Hongkong zuzulassen, wurde zurückgezogen und zerschlagen. Wenn die KPCh eine verstümmelte und begrenzte Form der bürgerlichen “Demokratie” in der relativ separaten Region Hongkong nicht tolerieren kann, so kann sie dies sicherlich auch nicht in China tun.

Marxist*innen und chinaworker.info haben in unseren Artikeln gezeigt, dass kein autokratisches System in der Geschichte jemals aus seiner Existenz heraus “reformiert” worden ist. Massenkämpfe, meist angeführt von einer Streikwelle und entschlossenen Interventionen der Arbeiter*innenbewegung, waren immer die wichtigsten Zutaten für eine erfolgreiche Bewegung, um ein diktatorisches Regime zu besiegen und demokratische Rechte zu erringen. Die Niederlage und anschließende Unterdrückung der Hongkong-Bewegung im Jahr 2019 hat gezeigt, dass bei allen heldenhaften Anstrengungen der Bevölkerung es in einer Diktatur, die von Natur aus die volle Kontrolle behalten muss, keine Möglichkeit für “Reformen” gibt, keine Begegnung auf halbem Weg.

Die massenhafte Wut gegen die ” Zero Covid”-Politik, die mit Xi Jinping persönlich identifiziert wird, hat die Stimmung gegen die Diktatur weiter angeheizt. Der Ausbruch der Proteste ist zweifellos eine Demütigung und ein schwerer Rückschlag für Xi, der gerade seine dritte Amtszeit angetreten hat. Zum Zeitpunkt von Xis Krönung auf dem 20. Parteitag der KPCh sagten wir voraus: “Wie auch immer das Ergebnis ausfällt, es wird die Perspektiven für das KPCh-Regime, das auf den größten aller Stürme zusteuert, nicht grundlegend ändern” (chinaworker.info, Xi Jinping’s 20th Congress caps five years of political disasters, 17. Oktober).

Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen der heutigen Situation in China und dem Aufstand im Iran. In beiden Fällen löste ein brutaler Vorfall eine landesweite Protestbewegung aus, in der politische Forderungen gegen das gesamte Regime in den Vordergrund traten. Beeindruckend war auch die Einigkeit zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, die instinktiv die bösartige rassistische und nationalistische Propaganda überwunden haben. Auch in Hongkong brach 2019 die Massenbewegung wegen eines neuen Auslieferungsgesetzes aus, doch innerhalb weniger Wochen wurde dieses Thema von einer Welle von Straßenprotesten nach der nächsten überholt, die ihre Forderungen auf demokratische Rechte und die Beendigung der staatlichen Repression konzentrierte.

Lehren von Hongkong

Ein wichtiges Merkmal der heutigen Proteste in China sind die vielen öffentlichen Äußerungen des Bedauerns, dass “wir Hongkong hätten unterstützen sollen”. Dies zeigt, dass das Bewusstsein zu wachsen beginnt. Damit der Kampf in China vorankommt, sind entscheidende Lehren aus den Ursachen der Niederlage der Hongkong-Bewegung zu ziehen. Es mangelte ihr nicht an Teilnehmer*innenzahlen oder Militanz. Aber es fehlte an Massenorganisationen, insbesondere an Arbeiter*innenorganisationen, die den Kampf durch viele unerwartete Wendungen, Angriffe der Regierung und Fehlinformationen hätte aufrechterhalten können. Sie war auf eine einzige Stadt beschränkt und konnte daher nicht darauf hoffen, die KPCh-Diktatur im Alleingang zu besiegen. Die Dominanz der liberalen Ideologie im Hongkonger Kampf, die bankrotte Kompromissstrategie der pan-demokratischen Oppositionsparteien und die noch extremere, nach innen gerichtete Mentalität der Hongkonger Lokalisten wurden zu einem selbstverschuldeten Hindernis.

Eine Anti-Organisations-Philosophie, die sich nur auf Spontaneität und Online-Plattformen stützt, hat den Kampf in Hongkong ebenfalls behindert, denn wenn man einem rücksichtslosen Staat mit riesigen Ressourcen gegenübersteht, braucht man Planung, Strategie, die Entwicklung eines klaren Programms, ein Verständnis für eine alternative Gesellschaft und ein alternatives Regierungssystem. Und das erfordert Organisation: Arbeiter*innen- und Studierendengewerkschaften und Protestkomitees an der Basis. Entscheidend ist das Vorhandensein einer Partei der Arbeiter*innenklasse mit einem klaren Programm für demokratische Rechte und Sozialismus.

Letzteres würde zeigen, dass die KPCh-Diktatur untrennbar mit dem chinesischen Kapitalismus verbunden ist. Sie ist der größte Industrie- und Finanzkonzern der Welt und verfügt über eine eigene Armee und Polizei. Illusionen in die kapitalistische Demokratie, die in der Regel und vielleicht unvermeidlich in einem antiautoritären Kampf aufkommen, muss mit klaren Warnungen begegnet werden – wie wir es während des Kampfes in Hongkong getan haben -, dass der einzige Weg, demokratische Rechte zu erlangen, darin besteht, entschieden mit dem Kapitalismus zu brechen, dem System, auf dem die KPCh-Diktatur ruht.

Xi Jinping ist wie üblich angesichts der tiefen Krise aus der Öffentlichkeit verschwunden, aber wir dürfen die Entschlossenheit und Grausamkeit der kaltblütigen Unterdrückung durch die KPCh nicht unterschätzen. Die KPCh wird die Forderungen der Massen nicht leichtfertig akzeptieren, nicht einmal Teilforderungen nach einer Änderung der Pandemiepolitik, aus Angst, dass dies ihre Moral stärken und eine Kettenreaktion auslösen könnte, die zu weiteren Massenkämpfen führen würde. Noch viel weniger wird die KPCh selbst begrenzten demokratischen Reformen zustimmen, die im Kontext Chinas, seiner schieren Größe und seiner tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme die Diktatur sprengen würden.

Die wichtigste soziale Kraft ist in China wie überall die Arbeiter*innenklasse, die bereits ein bedeutender Faktor bei den Protesten ist, aber über keinerlei Organisationen verfügt, nicht einmal über Gewerkschaften, um für ihre Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Die Arbeiter*innenklasse ist, indem sie sich zunächst am Ort der Produktion und dann in der Gesellschaft insgesamt organisiert, die natürliche und in der Tat einzige konsequente Triebkraft einer erfolgreichen Bewegung gegen Unterdrückung, Diktatur und Kapitalismus.

Um sich an die Spitze der gegenwärtigen Protestwelle zu stellen, müssen die Arbeiter*innen den Aufruf zu einer Streikbewegung erheben und auch die Studierenden auffordern, diesem Beispiel zu folgen. Ein Generalstreik wäre die stärkste Waffe gegen die Diktatur von Xi, wenn er mit der Organisierung durch Streikkomitees, neuen unabhängige Gewerkschaften und einer neue Arbeiter*innenpartei des demokratischen Sozialismus verbunden wäre.

Wir fordern:

  • Aktive Solidarität mit der Massenrevolte in China – Aufbau weiterer Proteste.
  • Keine weiteren Lockdowns mehr, Schluss mit dem “Zero Covid”-Irrsinn.
  • Eskalation der Bewegung hin zu Studierenden- und Arbeiter*innenstreiks.
  • Massive Investitionen für den Aufbau und die Ausstattung des Gesundheitssektors, Intensivierung des Impfprogramms und sofortige Aufhebung des Verbots ausländischer mRNA-Impfstoffe.
  • Überführung der Pharmakonzerne und der superprofitablen Covid-Firmen in demokratisches öffentliches Eigentum ohne Entschädigung, Nutzung ihrer Ressourcen im öffentlichen Krankenhaussystem.
  • Nein zu “996” [Arbeitstag von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, 6 Tage die Woche]. Junge Menschen und Hochschulabsolvent*innen wollen gute Arbeitsplätze und Gehälter. Erhöhung der Mindestlöhne, Verstaatlichung alle Konzerne, die ihre Mitarbeiter*innen nicht bezahlen.
  • Aufbau eines starken Sozialsystems, anständige Renten, Kranken- und Arbeitslosenversicherung für alle.
  • Unverzügliche und uneingeschränkte demokratische Rechte: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Abschaffung der Zensur, Versammlungsfreiheit, Streikrecht, Recht auf Organisation.
  • Aufbau unabhängiger und demokratischer Arbeiter*innen- und Studierendengewerkschaften.
  • Bildung von Untergrundkomitees zur Koordinierung, Strategieentwicklung und zum Aufbau des Massenkampfes. Nutzt die sozialen Medien, aber erkennt deren Grenzen –  die Niederlage der rein spontanen Bewegung in Hongkong zeigt, eine echte Organisation ist notwendig.
  • Freilassung der politischen Gefangenen.
  • Abschaffung des Gesetzes über die nationale Sicherheit. Abschaffung der Gefangenenlager. Demokratische Rechte für Hongkong, Tibet und Xinjiang, einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung.
  • Gemeinsamer Kampf der Arbeiter*innenklasse in China, Hongkong, Xinjiang und Taiwan gegen Nationalismus und Kapitalismus.
  • Keine Illusionen in die Selbstreformierung des KPCh-Regimes. Nieder mit Xi Jinping und der Diktatur. Nieder mit der staatlichen Repression. Auflösung der Geheimpolizei.
  • Für eine, in allgemeinen Wahlen gewählte, revolutionäre Volksversammlung mit dem Mandat, eine echte sozialistische Politik einzuführen, um den Reichtum der Milliardäre und roten Kapitalist*innen zu beschlagnahmen.
  • Für den internationalen Sozialismus. Kein Kalter Krieg, sondern Klassenkampf gegen die Kapitalist*innen in Ost und West.

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Atomgespräche in Wien: Der Deal der Herrschenden ist keine Lösung!

Protest am 17.11. um 17:30 vor der UNO-City
Nina Mo

Vor dem Hintergrund der Massenbewegung im Iran gegen das Regime und den ersten Todesurteilen gegen die Gefangenen, die seit Beginn der Bewegung festgenommen wurden, der brutalen Repression usw. sind die Gespräche zwischen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und einer Delegation des Iranischen Regimes in Wien ein Schlag ins Gesicht für den Aufstand im Iran. Während die Menschen im Iran ihr Leben riskieren, um gegen das verbrecherische Regime zu protestieren, wird die iranische Delegation in Wien hofiert. Den Herrschenden und Regierenden waren und sind ihre Deals mit dem Regime immer wichtiger als Menschenrechte. Seit Beginn der Protestbewegung ist die Heuchelei, insbesondere der westlichen Staaten, sehr offensichtlich. Die “Diplomatie” der Herrschenden bedeutet immer nur Deals über die Köpfe der Mehrheit der Bevölkerung hinweg und gegen unsere Interessen. Deshalb hoffen wir nicht auf diese Diplomatie, sondern auf die Macht der arbeitenden Bevölkerung im Iran selbst, das Regime zu stürzen. 

Hintergrund des Atom-Deals

In den vergangenen Tagen sind die Töne der westlichen Herrschenden gegen die iranische Regierung etwas härter geworden. Eine Videobotschaft von Olaf Scholz und ein Treffen von Macron mit einer Gruppe von liberalen Oppositionellen haben nicht zufällig gleichzeitig stattgefunden. Das Vorgehen von Deutschland und Frankreich setzt immer ein Beispiel für die restlichen EU-Staaten. Gleichzeitig gehen auch die Interessen von Deutschland und Frankreich und den USA auseinander - Deutschland sucht aufgrund der großen Abhängigkeit von russischem Öl und Gas verzweifelter nach einem Ersatz. Die zuletzt angekündigte vorläufige Einstellung der Gespräche von US-Seite macht diese unterschiedlichen Strategien deutlich. Wir sollten uns von den Worten der US-Diplomaten nicht täuschen lassen, obwohl Druck von unten wahrscheinlich eine Rolle bei der Aufkündigung der Verhandlungen gespielt hat, ist der entscheidende Faktor eben eine geänderte Strategie. Die USA werden jetzt versuchen, durch Sanktionen und andere Maßnahmen ihre geopolitischen Ziele durchzusetzen, die Interessen der iranischen Bevölkerung werden aber auch dabei keine Rolle spielen. 

Es ist nicht klar, welches Kalkül hinter diesem Vorgehen steckt, es bedeutet jedenfalls nicht unbedingt, dass die EU das Regime am Rande des Zusammenbruchs sieht und sich auf eine Politik nach dem Islamischen Regime bzw. einen Regime-Change vorbereitet. Sicher spielt der Druck von unten durch die weltweite Solidaritätsbewegung eine Rolle dabei, westliche Regierende dazu zu zwingen, sich zu äußern. Aber eben weil von ihnen keine echten Lösungen kommen können sind sie zahnlos und die westlichen Herrschenden nützen es sogar für ihre eigenen Interessen: Es geht auch darum, Zugeständnisse vom jetzigen Regime zu bekommen, allen voran bezüglich der Atomverhandlungen und dem Versuch einer Rückkehr zum Deal von 2015. Neben dem Atomdeal geht es auch um außenpolitische Strategien des Regimes, die dem Westen angesichts des neuen kalten Krieges ein Dorn im Auge sind, wie die zunehmende Zusammenarbeit mit Russland und China.

Der JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) soll auf Papier den atom-industriellen Komplex Irans auf einem Niveau halten, auf dem das Regime diese Kapazitäten nicht militärisch nutzen kann. Das Abkommen verpflichtet den Iran, internationalen Inspektoren Zugang zu Atomanlagen und militärischen Objekten zu gewähren. Im Gegenzug würden Teile der Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden mit der Möglichkeit eines schnellen Wiederinkrafttretens. In den Verhandlungen, die in den letzten Monaten und Jahren massiv stagnieren, wurden aus geopolitischen Überlegungen auch die Atommächte China und Russland einbezogen. In diesem Sinne ging es bei dem Deal auch immer um geopolitische und wirtschaftliche Interessen des Westens, unter anderem durch eine wirtschaftliche Öffnung Irans gegenüber dem Westen - was auch das Ziel vergangener Regierungen wie unter Präsident Rohani war. Kurz gesagt: Für den Westen geht es darum, sich Zugriff auf die Ressourcen des Irans zu sichern und gleichzeitig eine atomare Bewaffnung zu verhindern - Menschenrechte spielen in diesen Überlegungen keine Rolle.

Rolle des Imperialismus und der Sanktionen

Das Interesse der europäischen Staaten und des US-Imperialismus am Atomdeal hängt also mit dem Interesse an einer Normalisierung der Beziehungen für Profite durch zunehmende Privatisierungen innerhalb des Land zusammen. Die Einschätzung eines Großteils der herrschenden Klasse im Westen, zumindest der europäischen Staaten, ist aktuell, dass eine zunehmende Konfrontation oder sogar mögliche Kriegsgefahr ihren Interessen in der Region eher schadet. Gleichzeitig steigt mit dem aktuellen Kurs der USA, die Gespräche vorläufig einzustellen und stärker auf Sanktionen zu setzen, nicht nur die Gefahr härterer Wirtschaftssanktionen auf Kosten der Bevölkerung, sondern auch die Kriegsgefahr.

Die Wirtschaftssanktionen der vergangenen Jahre hatten verheerende Folgen für die ärmsten Teile der Bevölkerung und die Arbeiter*innenklasse. Sie haben außerdem dem Regime in die Hände gespielt, indem es von seinen eigenen Verbrechen ablenken konnte. Die europäischen Staaten haben diese Sanktionen immer mitgetragen. Gleichzeitig haben die Sanktionen auch wirtschaftliche Folgen für das Profitinteresse westlicher Konzerne gehabt. Es ging bei der Wiederaufnahme des Atomdeals und besonders dem Drängen einiger Staaten auch um das direkte Interesse westlicher/transnationaler Konzerne, diese Wirtschaftssanktionen zu durchbrechen.  

Keine Lösung im kapitalistischen Rahmen

Eine mögliche atomare Bewaffnung des Iran macht zu Recht Angst. Atomwaffen gehören zu den gefährlichsten Waffen. Die Tatsache, dass die Atommächte (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich,China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea) insgesamt rund 13.000 Atomsprengköpfe besitzen, ist eine tödliche Bedrohung für die gesamte Menschheit. Natürlich ist es scheinheilig, wenn die USA, die im Irak und in Syrien Uranmonition eingesetzt hat und über fast die Hälfte der gesamten Atomsprengköpfe weltweit verfügt, sich gegenüber dem Iran als “Friedensengel” aufspielt. Doch die Antwort ist kein “Gleichgewicht des Schreckens", sondern weltweite Abrüstung - etwas, das im Rahmen des kapitalistischen Wettbewerbs nicht möglich ist.

Wir stellen uns also mit unserem Protest am Donnerstag, 17.11. vor der UN, nicht nur gegen das iranische Regime, sondern auch gegen die UN und die westlichen Staaten. Wir haben weder Illusionen in einen Atomdeal, noch in seine Aufkündigung. Tatsächlich gibt es im kapitalistischen Rahmen für die Arbeiter*innenklasse nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Bei einem erfolgreichen Atomdeal (der sowieso immer unwahrscheinlicher wird) würden die korrupten Mullahs noch mehr Profite erwirtschaften und Repressionen gegen die Bevölkerung weiter fortsetzen, bei einer Aufkündigung würden regionale Auseinandersetzungen (bis hin zu militärischen) ebenso wie brutale Unterdrückung und Sanktionen zunehmen. Beide Szenarien bedeuten eine Fortsetzung des Leidens der iranischen Arbeiter*innenklasse und Jugend.

Der einzige Weg, das Iranische Regime als Atommacht und regional-imperialistische Macht zu brechen - genauso wie die Macht der imperialistischen Länder ob Russland, China, USA oder EU ist eine erfolgreiche Revolution im Iran durch Frauen, Jugendliche, Arme, unterdrückte Minderheiten und der gesamten Arbeiter*innenklasse. Beschäftigte der Atomindustrie müssen in diesen Kampf gegen das Regime einbezogen werden - sie wissen am besten, wie sie umgebaut werden kann. Jede Form der imperialistischen Einmischung wäre dabei fatal. Eine siegreiche iranische Revolution hat kein Interesse an nuklearer Aufrüstung. Und gleichzeitig kann sie der Anlass sein auch gegen die imperialistische Aufrüstung und nuklearer Bewaffnung anderer Staaten von den USA, über die Türkei, Israel, Saudi Arabien bis Russland oder China zu kämpfen. Die Krise des Kapitalismus verstärkt auch die Kriegsgefahr weltweit - eine Alternative kann nur durch erfolgreiche Bewegungen von unten geschaffen werden, die die Ursache von Krieg - die kapitalistische Konkurrenz - abschafft. 

Alle Sanktionen des Westens, die die iranische Arbeiter*innenklasse treffen gehören aufgehoben. Stattdessen braucht es Maßnahmen, die das Regime wirklich treffen (siehe Forderungskasten am Ende) Deals mit dem Regime sind keine Lösung - die Staatschefs die diese Deals voranbringen, haben selbst Blut an ihren Händen kleben. Von Afghanistan bis Syrien haben sie die gesamte Region in Krieg und Zerstörung gestürzt. Die Solidaritätsbewegung mit dem Iran darf deshalb keine Illusionen in die Politik und die Herrschenden dieser Staaten haben. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen und werden alles daran setzen, diese bei einem erfolgreichen Sturz des jetzigen Regimes auch durchzusetzen. 

Wir kämpfen deshalb in Ländern wie Österreich dafür, dass das Regime und sein Spionagenetzwerk, die Botschaften und Vermögen durch die Kraft der Solidaritäts- und Arbeiter*innenbewegung von unten bekämpft werden:

- Aufbau einer internationalen Solidaritätsbewegung von unten - in Betrieben, Schulen, Universitäten und Nachbarschaften mit der Frauen-, LGBTQI+-, Jugend-, Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung an vorderster Front.

- Schluss mit der Heuchelei: Gegen Waffenlieferungen der imperialistischen Staaten und imperialistische Kriege in der gesamten Region und weltweit. Das bedeutet die vollständige Öffnung aller Firmenunterlagen und deren Überprüfung durch Vertreter*innen der Arbeiter*innenbewegung in Unternehmen, die direkt oder indirekt mit dem Iran Geschäfte machen.

- Dem Spionagenetz des Regimes weltweit den Kampf ansagen: Weg mit allen diplomatischen Privilegien, keine Zusammenarbeit mit den Behörden des Regimes, die Botschaften und Netzwerke dieses Terrorregimes müssen weg! Öffnung aller Firmenunterlagen, Vereinbarungen und Verträge, um wirtschaftliche Beziehungen aufzudecken, aber auch um zu erfahren, welche Aktivist*innen bedroht sind.

- Volle Rechte für Menschen aus dem Iran, die in anderen Ländern leben oder dorthin fliehen müssen - ihr Aufenthaltsrecht darf nicht von den iranischen Behörden kontrolliert oder beeinflusst werden, also weg mit Visa und anderen Beschränkungen.

- Gewinne, die Unternehmen durch Kooperation oder Duldung des Regimes gemacht haben, müssen durch die Solidaritätsbewegung eingezogen und zur Unterstützung der Bewegung und eines demokratischen Wiederaufbaus verwendet werden. Die Beschäftigten dieser Unternehmen dürfen nicht dafür zahlen, sondern nur die Eigentümer*innen und Aktionär*innen.

- Übernahme der Botschaften, Reichtümer und Vermögenswerte des Regimes und seiner Unterstützer*innen im Ausland durch die Solidaritätsbewegung.

- Der Atomdeal der Herrschenden ist keine Lösung – Weg mit allen Sanktionen, die die arbeitenden und armen Menschen treffen! Eine erfolgreiche Revolution ist die größte Garantie für Frieden, Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung in der gesamten Region.

- "Frau, Leben, Freiheit" überall: für eine weltweite Bewegung zum Sturz des globalen kapitalistischen Systems, das Frauen- und LGBTQI+-Unterdrückung, Diktaturen, Krieg, Elend und Ausbeutung überall produziert, und für den Aufbau einer weltweiten sozialistischen Demokratie.

 

 

Bild: European External Action Service / Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Protest anlässlich von Atomgesprächen in Wien am 17.11.

Frau, Leben, Freiheit - Internationaler Widerstand gegen das iranische Regime!

Protestkundgebung vor der UNO-City

Donnerstag, 17.11. - 17:30 (Achtung: geänderte Uhrzeit)

Am 17.11. und 18.11. finden in Wien Gespräche der IAEA (Internationale Atomenergie-Organisation) mit einer Delegation des Iranischen Regimes statt. Während das Regime brutal gegen Protestierende vorgeht und zuletzt eine große Mehrheit der Parlamentsabgeordneten die Hinrichtung der mindestens 14.000 Gefangenen seit Beginn der Protestbewegung angeordnet hat, versuchen international Staaten und Konzerne sich durch einen Deal mit dem Iran Zugriff auf Ressourcen zu sichern. Schon die letzten Wochen seit Ausbruch der Proteste haben die Heuchelei der westlichen Staaten und imperialistischer Mächte deutlich gemacht. Das zentrale Interesse dieser Regierungen und Institutionen ist die Normalisierung der Beziehungen zu diesem kriminellen Regime. Bei dem Atomdeal ging es nie um Menschenrechte. Westliche Staaten versuchen durch Sanktionen auf Kosten der iranischen Arbeiter*innenklasse und Armen ihre eigenen geopolitischen Interessen durchzusetzen.

Wir nehmen in diesen Tagen die Gespräche zum Anlass, lautstark gegen das Regime protestieren:

- Widerstand gegen das Regime und alle seine Vertreter*innen in Österreich & international!

- Weg mit den Botschaften als Spionagenetzwerk und Vorposten des Regimes und Übernahme durch die Solidaritätsbewegung

- Untersuchung der Unterlagen und Verträge, um herauszufinden, wer für das Regime arbeitet oder durch Zusammenarbeit profitiert

- Beschlagnahmung aller Vermögenswerte des Iranischen Regimes und aller, die durch die Ausbeutung der Menschen im Iran profitiert haben

- Stopp aller Waffenlieferungen in die gesamte Region. Ob Russland, China, USA oder EU: Keine imperialistische Einmischung - Freiheit kommt nur durch eine revolutionäre Bewegung von unten!

Aufrufer*innen (wird laufend ergänzt):

Internationale Sozialistische Alternative
ROSA Sozialistische Feminist*innen
Uki - Unterstützungskomiteee zur Integration von Migrant*innen
Verein zur Förderung der Demokratie und Menschenrechte im Iran
Alarm Wien
SOS Balkanroute
Avesta kurdische Frauen Wien

 

Wiener Arbeiterkammer Vollversammlung unterstützt Proteste im Iran

AK Wien unterstützt auf Initiative von Rosa und ISA die Bewegung im Iran

Am 9. November fand die 178. Vollversammlung der Wiener Arbeiterkammer statt. Auf Initiative von Rosa und der ISA brachte die Liste KOMintern einen Antrag zur Unterstützung der Proteste im Iran ein. Aktivistinnen von Rosa, ISA und der Solidaritätsbewegung organisierten eine Kundgebung vor der Sitzung: Die Teilnehmer*innen erhielten Flugblätter und Informationen - v.a. über die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den “reichen und mächtigen” in Österreich und dem Iran. Zahlreiche Wirtschaftsdelegationen, ein Aussenminister der keine klaren Worte zum Mord an Gina Amini findet und zahlreiche Firmen die die iranische Polizei beliefern, Geschäfte mit den Revolutionsgarden machen und auch sonst von der Ausbeutung und Unterdrückung im Iran profitieren - all das ist nur die Spitze des Eisberges. Neben der Resolution gab es auch zahlreiche Vorschläge an die Teilnehmer*innen, was sie konkret machen können: dazu gehört die Forderung unterstützen, z.B. nach Offenlegung und Prüfung der Firmenunterlagen um zu sehen, wer von der brutalen Unterdrückung im Iran profitiert. Aktivist*innen von Rosa und der Solidaritätsbewegung kommen gerne zu Sitzungen von Betriebsräten oder Betriebsversammlungen um über die aktuelle Lage zu berichten. Der beschlossene Antrag kann gemeinsam mit der Einladung zur Demonstration am 25.11.: https://www.facebook.com/events/785992132551641?acontext=%7B%22event_action_history%22%3A[%7B%22surface%22%3A%22page%22%7D]%7D über diverse Verteiler abgeschickt und am Schwarzen Brett ausgehängt werden. Um nur einige der Vorschläge zu nennen. Eine Kollegin aus dem Iran bedankte sich ausdrücklich für unsere Aktion, viele waren auch an der ISA-Broschüre zum Iran interessiert. 

 

Der Antrag wurde - mit einer Abschwächung durch die sozialdemokratische FSG - angenommen. Hier der Text - verbreitet ihn weiter damit den Worten auch Taten folgen!

Resolution 1

Solidarität mit den revolutionären Frauen, den streikenden Arbeiter*innen und den progressiven Kräften im Iran

Der im Iran stattfindende Aufstand gegen das repressive Regime und insbesondere gegen die Unterdrückung der Frauen hat auch für andere Regionen und uns hier in Österreich Signalwirkung und fordert unsere Unterstützung. In den Protesten, ausgelöst durch die Ermordung der 22jährigen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini durch die Polizei, verknüpft sich seither der Kampf für die Abschaffung des Zwang-Hijabs und der Kleiderordnung sowie der Emanzipation der Frau mit Forderungen nach progressiven Umgestaltungen und emanzipatorischen Perspektiven - inklusive dem Recht auf freie gewerkschaftlicher Organisierung - und ein Ende des Autokratismus der Islamischen Republik Iran. 

In dem teils Charakterzüge eines Volksaufstands annehmenden und von Streiks begleiteten Aufstand neben dem zur Hauptlosung gewordenen, Seite an Seite gerufenen kurdischen Slogan „Frauen, Leben, Freiheit“ (Jin Jîan Azadî) erschallt vielfach auch bewusst die Losung: „Gegen das Mullah-Regime wie den Schah“. Entsprechend gilt es, sich von den die Gunst der Stunde witternden subversiven Kräften abzugrenzen, die in ihrer Allianz mit den USA die Selbstbestimmung im Inneren und iranische Souveränität nach Außen zur Disposition zu stellen gewillt sind oder sich für eine Destablisierung des Irans instrumentalisieren lassen. 

Die Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien erklärt sich solidarisch mit dem Aufstand der Frauen um gesellschaftlichen Wandel und unterstützt insbesondere den Streikaufruf der Lehrer*innen, Ölarbeiter*innen, der Beschäftigten in der Petrochemie und allen anderen Bereichen um ihre sozialen Interessen und Selbstbestimmung. Streik ist die gewerkschaftlich stärkste Waffe der Arbeiter*innenklasse und höchste gewerkschaftliche Kampfform, um für ihre Rechte zu kämpfen. Wir sind empört über die Unterdrückung und die Tötungen durch das Regime.

Als Arbeiternehmer*innen und Gewerkschafter*innen ist Solidarität für uns mehr als nur ein Wort. Das Gros der westlichen Regierungen, die das iranische Regime kritisieren, greifen ebenfalls Frauenrechte, demokratische Rechte und die Rechte von Arbeitnehmer*innen an und erschweren Migrant*innen und Asylsuchenden die Flucht vor repressiven Regimen. Gleichzeitig steigen die nicht minder reaktionären, frauenfeindlichen und diktatorischen Scheichtümer, Emirate und Königreiche Saudi-Arabien, Qatar, Kuwait, VAE oder Marokko zu willkommenen Geschäfts- und Bündnispartnern und Hoffnungsträgern auf „Energiepartnerschaften“, auch für die österreichische Regierung, auf.

Wir möchten allen fortschrittlichen und um innere Selbstbestimmung und außenpolitische Souveränität, ihre sozialen Rechte in Arbeitskämpfen Stehenden sowie um mehr Minderheitenrechte ringenden Kräfte im Iran (KurdInnen, Be­lut­schIn­nen, Aser­bai­dscha­ne­rIn­nen, AraberInnen, oder ArmenierInnen) – allen voran Frauen, Arbeiter*innen, StudentInnen und SchülerInnen – unsere herzlichsten Grüße und Solidarität übermitteln.

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