Geschichte und politische Theorie

Ehrenamt: Kapitalismus profitiert von Menschlichkeit

Der Kapitalismus missbraucht den Drang von Menschen zu helfen schamlos zur Profitsteigerung.
Moritz C. Erkl

Menschen haben keinen Job, Flüchtlinge kein Essen und Geld ist keines da. Wie soll das bewältigt werden? Glücklicherweise gibt uns „unser“ Staat“ flink eine Antwort: durch das Ehrenamt, die Freiwilligenarbeit. Denn diese hat im „Abendland“ Tradition. „Der individuelle Beitrag zum allgemeinen Wohl“ gehörte schon in der Antike zum guten Ton. Alleine die „kirchliche Arbeit“ für das „Seelenwohl“ hat in vergangenen Jahrhunderten Unzählige zu freiwilliger Arbeit animiert (bzw. verpflichtet). Alle Religionen stellen so ein Bindeglied her: Zwischen der Menschlichkeit des Individuums, das andere unterstützen will, und den Begehrlichkeiten der Klassengesellschaft, die dafür sorgt, dass es Armut und Elend gibt. An diesem Spagat hat auch die aufgeklärte bürgerliche Gesellschaft nichts geändert. Zwar konnte die ArbeiterInnenbewegung v.a. in den Industriestaaten öffentliche Sozialeinrichtungen erkämpfen, doch sind diese nicht ausreichend und werden weggekürzt. Daher ging der Neoliberalismus seit den 1980er Jahren auch einher mit einer ideologischen Offensive, in der ehrenamtliche Tätigkeit gelobt und gefördert wurde. Hilft sie doch die Löcher stopfen, die der Sozialabbau reißt.

Heute engagieren sich laut CEV (European Volunteer Centre) 3 von 10 EuropäerInnen ehrenamtlich. „Nichtregierungsorganisationen“ sprießen, die Landeshauptstädte bieten über ihre Web-Auftritt Ehrenamtsbörsen an und die großen Sozialträger und –institutionen können sich meist nur durch freiwilliges Engagement über Wasser halten. Statistiken der BMASK (2013) zählen 14,7 Millionen Arbeitsstunden, welche in Österreich jährlich freiwillig geleistet werden. Diese Arbeitsleistung entspricht 230.000 Vollzeitstellen. Wären es bezahlte Jobs, könnte die Arbeitslosigkeit um mehr als die Hälfte reduziert werden. Und es ist davon auszugehen, dass im Rahmen der unglaublichen Solidarisierung mit Flüchtlingen diese Zahl rapide angestiegen ist.

Die kostenlose (oft von Frauen geleistete) Arbeit spart dem Kapital Milliarden. Die brutalen Folgen des Neoliberalismus werden so kaschiert. Und die Hilfsbereitschaft wird auch ausgenützt, um Löhne zu drücken und Arbeitsschutzbestimmungen aufzuweichen. Anstatt angesichts der vielen Fahrten mit Flüchtlingen ausreichend Personal einzustellen setzte die Regierung z.B. einfach die Regelung für die Ruhezeiten bei den PostbusfahrerInnen außer Kraft. Der Umgang der Herrschenden mit dieser Arbeit ist mehr als zynisch. Denn „entlohnt“ werden jene, die Gutes tun, meist nur durch einen feuchten Händedruck oder ein symbolisches Dankeschön (ein medienwirksames Danke-Fest z.B.).

Es ist gut, wenn der ÖGB die Rechte von Ehrenamtlichen verteidigt (z.B. wenn die Neos Menschen unbezahlt beschäftigen wollen oder das Team Stronach Geld von Ehrenamtlichen verlangt). Doch das reicht bei weitem nicht. Es wäre die Aufgabe der Gewerkschaft, nicht nur Resolutionen zu verabschieden, sondern gut bezahlte Vollzeitjobs zu erkämpfen. Es darf hier keine Spaltung in Ehrenamtliche und „Profis“ zugelassen werden. Wenn Freiwilligenarbeit als Grund für Lohnsenkungen verwendet wird, muss der ÖGB dies mit einer Kampagne für eine saftige Lohnerhöhung und Jobs für die Ehrenamtlichen (und die Hauptamtlichen) kontern. Gerade vor dem Hintergrund der steigenden Arbeitslosigkeit wäre dies eine Maßnahme, welche mehr bringt als jedes Regierungs-„konzept“ der vergangenen Jahrzehnte.

Die Hilfsbereitschaft der unzähligen HelferInnen und ehrenamtlich arbeitenden Menschen ist großartig und zeigt, dass es nicht möglich ist, dem Menschen seine soziale Veranlagung auszutreiben. Auch wenn wir hin zu Egoismus und Ellenbogengesellschaft erzogen werden. Das zeigt auch, dass all das Gerede, dass der Sozialismus am Egoismus der Menschen scheitern würde, Blödsinn ist. Diese Arbeit ist – wenn wirklich freiwillig – selbstbestimmter und weniger entfremdet als die zum Überleben nötige „Lohnarbeit“. Neben diesem Element der Selbstverwirklichung durch sinnstiftende Arbeit gibt es auch noch die Notwendigkeit dazu. In der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung ist in die unterschiedlichsten politischen Aktivitäten freiwillig Arbeitszeit investiert worden. Zehntausende BetriebsrätInnen, GewerkschafterInnen und politische AktivistInnen arbeiten ehrenamtlich. Sie sind es auch, die immer wieder darauf achten müssen, dem Helfen eine politische Dimension zu geben. Zu verhindern, dass sich HelferInnen aufreiben um die Löcher zu stopfen, die die öffentliche Hand lässt und das Helfen mit dem politischen Kampf für mehr bezahlte Ressourcen und auch mit dem Kampf für eine andere, eine bessere Gesellschaft zu verbinden.

In einer sozialistischen Gesellschaft, wo Arbeit nicht mehr Zwang und Ausbeutung ist, sondern kreativ, interessant und sinnvoll ist und wo die Arbeitszeit durch den technischen Fortschritt auf ein Minimum reduziert wird, haben wir alle genug Zeit und Möglichkeit, uns „ehrenamtlich“ einzubringen. Nicht pervertiert und missbraucht wie so viele Dinge in der kapitalistischen Normalität.

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Marx aktuell: Lenins Imperialismustheorie ist hochaktuell

Theresa Reimer

Der Austromarxist Rudolf Hilferding veröffentlichte 1910 mit „Das Finanzkapital“ ein wesentliches Werk zur Imperialismustheorie, dass auch eine Grundlage für Lenins oder Bucharins Analyse darstellte. Hilferding beschreibt darin die Entwicklungen der fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten, von einem konkurrierenden Kapitalismus hin zum Monopolkapitalismus, also den Aufstieg von Aktiengesellschaften und Finanzkapital. Durch multinationale Akteure wie Konzerne und Banken werden kleine Unternehmen verdrängt und es kommt zur Monopolisierung (als dominanten Trend, was nicht bedeutet, dass es nicht auch Klein- und Mittelunternehmen gibt). Jeder Winkel der Welt ist dem Kapitalismus unterworfen, auch wenn in vielen Gegenden noch feudale und mittelalterliche Herrschaftsstrukturen regieren.

Lenin hat diese Ansätze in „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ noch weiter entwickelt. Er erklärt, dass der Imperialismus das monopolistische Endstadium des Kapitalismus sei und es zu einer Ablösung der freien Konkurrenz kapitalistischer Unternehmen kommt. "Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf einer Entwicklungsstufe, auf der die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausbildet, der Kapitalexport eine hervorragende Bedeutung gewonnen, die Verteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde zwischen den größten kapitalistischen Ländern abgeschlossen ist." (Lenin 1917, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus).

Lenin charakterisiert Imperialismus u.a. als Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital zum Finanzkapital. Doch das ändert nichts an der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus. Besonders in Krisenzeiten ist die Schaffung neuer Märkte oder Rückgewinnung dieser mithilfe von Krieg für das Kapital überlebensnotwendig. Fehlen diese Märkte im Produktionssektor, so weicht man auf die Finanz- und Aktienmärkte aus. Für die Debatte über Syrien besonders wichtig ist die Analyse, dass im imperialistischen Stadium des Kapitalismus die einzelnen kapitalistischen Staaten als verlängerter Arm „ihrer“ Unternehmen auf der Suche nach neuen Märkten in Konflikt mit anderen imperialistischen Mächten kommen. Russlands Kredite an Syrien sind Ausdruck des imperialistischen Kapitalexports. Die Konflikte zwischen den verschiedenen Akteuren in Zusammenhang mit Syrien haben weder etwas mit Religion, noch mit Menschenrechten zu tun, sondern folgen der ökonomischen Notwendigkeit der imperialistischen Staaten. Es geht um Einfluss, (potentielle) Zugriff auf Märkte und aktuell um Stabilität. Wichtig ist, dass alle wichtigen marxistischen TheoretikerInnen Imperialismus nicht nur als ein Zeichen der militärischen Dominanz mancher weit entwickelten kapitalistischen Staaten über andere sehen, sondern gerade die ökonomischen oder auch geopolitischen Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Doch die internationalen monopolistischen, kapitalistischen Verbände und Staaten, die den Weltmarkt unter sich aufteilen bzw. um eine Neuaufteilung streiten, sind auch bereit, diese Ansprüche militärisch durchzusetzen – auch das ein wesentlicher Punkt in Lenins Imperialismustheorie.

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Marx aktuell: Wirtschaft demokratisch planen: Es ist möglich!

Sebastian Kugler

Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist fundamentaler Bestandteil marxistischer Theorie. „Arbeit“ ist bei Marx die gesellschaftliche Tätigkeit, durch die der Mensch seine Umwelt (v.a. die Natur) verändert. Das bringt aber auch eine Veränderung des Menschen mit sich. Dies beschreibt Marx als „Stoffwechsel“. 1865, im ersten Band des „Kapital“, analysiert er: "Mit dem stets wachsenden Übergewicht der städtischen Bevölkerung, die sie in großen Zentren zusammenhäuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andrerseits den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde". Wie der US-Marxist Foster herausarbeitete, beschreibt Marx hier einen „metabolischen Bruch“ (Metabolismus = Stoffwechsel): Die kapitalistische Produktionsweise hat so stark in natürliche Abläufe eingegriffen, dass als Reaktion die Existenz der Menschheit auf dem Spiel steht.

SozialistInnen fordern, wirtschaftliche Abläufe zu planen, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur unter Kontrolle zu bekommen und die gegenseitige Vernichtung aufzuhalten. Eine geplante Wirtschaft ist alles andere als utopisch. Jeder kapitalistische Betrieb plant. Internationale Firmen haben weitreichende Planungsmethoden entwickelt - jedoch nur, um auf betrieblicher Ebene kurzfristig Profite zu realisieren. Die Input-Output-Analysen des sowjetischen Wirtschaftswissenschafters Leontieff brachten ihm zwar den Nobelpreis - ihr Potential, wirtschaftliche Abläufe zu planen, wurde jedoch weder von ihm noch von der stalinistischen Bürokratie voll erkannt. Die Allende-Regierung experimentierte ab 1971 bis zum Pinochet-Putsch mit einem „sozialistischen Internet“: „Cybercyn“ koordinierte 12 der 20 größten Unternehmen Chiles und machte eine effektive Steuerung der Abläufe möglich – obwohl es in ganz Chile nur 50 Computer gab (vgl. Eden Medina: The Cybercyn Revolution, in: Jacobin Nr.17). Die schottischen Ökonomen Cockshott und Cottrell entwickelten die Ideen wirtschaftlicher Demokratie in den 1990ern in dem Buch „Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie“ anhand neuerer Technologien weiter. Kaum auszumalen, welches Potential mit den heutigen Mitteln des Internets existiert! Die technischen Möglichkeiten sind also da – es braucht soziale Kämpfe, um sie den gesellschaftlichen Notwendigkeiten anzupassen. Durch einen Bruch mit der kapitalistischen Logik, dem Erkämpfen von ArbeiterInnenverwaltung und die Überführung der Schlüsselsektoren der Wirtschaft in öffentliches Eigentum hätten alle Zugang zu den Abläufen und Entscheidungen, die sie betreffen. Planwirtschaft benötigt zwar zentrale Koordination, genauso jedoch Kontrolle von unten. Diese geschieht durch demokratische Strukturen, welche Möglichkeiten und Notwendigkeiten erörtern und an die nächste Ebene kommunizieren, durch sektorale und regionale Vernetzung der Wirtschaft, durch demokratische Gremien, deren VertreterInnen jederzeit abwählbar sind. Das Sammeln zentraler Input-Output-Daten ermöglicht die Rahmenplanung. Motiv wirtschaftlicher Prozesse wäre nicht mehr Profit, sondern die Befriedigung der Bedürfnisse von Mensch und Umwelt – eine Wiederherstellung des Stoffwechsels auf höherer Ebene.

 

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Am Beispiel Nicaragua: Wie geht eigentlich kritische Solidarität?

Anmerkungen zu Jan Rybaks Buch über die österreichische Nicaragua Solidaritätsbewegung.
Michael Gehmacher

In den 80ern war viel von Nicaragua die Rede. Nach einer brutalen Militärdiktatur kamen 1979 die linksgerichteten Sandinisten an die Macht. Insbesondere der Kampf der sandinistischen Regierung gegen die von den USA finanzierten "Contras" und die militärischen Drohungen von US-Präsident Reagan waren damals viel in den bürgerlichen Medien. Die sandinistische Revolution gab vielen Linken Hoffnung. Viele fuhren "auf Brigade" zum Arbeiten nach Nicaragua. Da viele NicaraguanerInnen, zum Kampf gegen die Contras zum Militär eingezogen wurden, gab es akuten Arbeitskräftemangel. Viele "BrigadistInnen" arbeiteten daher bei der Kaffeernte, am Bau und bei anderen Projekten. Doch neben der Arbeitsleistung ging es noch um viel mehr, um sichtbare Solidarität. Man hoffte auch, durch die Anwesenheit vieler europäischer und nordamerikanischer Brigaden, eine US-Invasion möglichst zu erschweren. Zu den Brigaden kamen noch die zahlreichen Solidaritätsprojekte zu Hause.

Aber: Was waren die Motive sich für Nicaragua zu engagieren?

Der langjährige SLP-Aktivist Jan Rybak hat dazu ein spannendes Buch geschrieben. Der Titel: "Eine sehr besondere Revolution die ich kennenlernen wollte" bringt schon auf den Punkt, worum es vielen AktivistInnen ging: um eine "besondere Revolution", um eine linke Alternative zum kapitalistischen Österreich und dem grauen und autoritären "Sozialismusmodell" des Stalinismus. BrigadistInnen und SolidaritätsaktivistInnen kommen in Jan Rybaks Buch ausführlich zu Wort. Ein Umstand der es zusätzlich sympathisch macht. Wer es liest, kommt eindeutig zu dem Schluss, dass es vielen BrigadistInnen um eine "echte" Revolution und um einen "echten Sozialismus" ging. Aber: Was ist eine "echte" oder eine "besondere" Revolution? Und wie übt man praktische Solidarität, ohne darauf zu verzichten, Fehlentwicklungen zu bekämpfen? Diese Fragen versucht das Buch zu untersuchen.

Viele BrigadistInnen sahen in der Einbindung kirchlicher Kreise in die sandinistische Regierung, in der Nähe der SandinistInnen zur Sozialdemokratie und in der "gemischten Wirtschaft" eine Art "undogmatische" linke Entwicklung. Eine Entwicklung in Richtung sozialistische Alternative zum Stalinismus. Diese Hoffnung war ein Trugschluss, wie Jan Rybaks Buch gut aufzeigt. Denn "gemischte Wirtschaft" bedeutete in Wirklichkeit den Kapitalismus zu erhalten. Die Sandinisten verstaatlichten 1979 nur den Besitz des Ex-Diktators Samoza. Hier wurde Platz für verschiedene Modelle wie z.B. Genossenschaften geschaffen. Da die Familie Samoza fast 80% des Landes und viele Betriebe besessen hatte, spielte der staatliche und der genossenschaftliche Teil der Wirtschaft eine große Rolle. Der Kapitalismus selbst blieb aber trotzdem unangetastet. Die Beibehaltung des Kapitalismus war mit vielen undemokratischen Maßnahmen verbunden. Sie bedeutete weitere Ausbeutung und soziale Einschnitte. Proteste dagegen wurden unterdrückt, zum Teil militärisch. Etwa bei den großen Streiks der LehrerInnen oder der BauarbeiterInnen. Eine linke maoistische Gruppe wurde wegen ihrer linken Kritik an den Zuständen verboten. Ende der 80er Jahre bürdete die sandinistische Regierung der Bevölkerung ein Sozialkürzungspaket auf, welches viele NicaraguarInnen noch weiter verarmen ließ. Die große Mehrheit der BrigadistInnen bedauerte diesen Kurs zwar, verteidigte ihn aber als notwendig, angesichts der Bedrohung des kleinen Nicaraguas durch die USA und die Contras. Menschlich nachvollziehbar, da die rechten Contras überall in Nicaragua mordeten und zerstörten und die BrigadistInnen ja die Revolution verteidigen wollten, politisch aber falsch.

"Sowohl das Regime, als auch die Solidaritätsbewegung haben an die Spitze gestellt: das Regime gehört verteidigt gegenüber der Konterevolution und da haben alle Probleme oder Konflikte (...) da hinten angestellt (zu werden). und sind zweitrangig. Und so ist das auch in der Solidaritätsbwegung (...) diskutiert worden, mehrheitlich. Und in meinen Augen war das eine sehr unkritische Unterstützung des Regimes, was nach sich gezogen hat, dass man praktisch genau diese Arbeiter, die da für bessere und höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gekämpft haben, dass man die dadurch politisch im Stich gelassen hat" meint z.B. der ehemalige Brigadist und SLP-Aktivist Gerhard Ziegler.

Die Beibehaltung des Kapitalismus bedeutete nicht nur weitere Verarmung und undemokratische Maßnahmen, sie bedeutete letztlich auch eine Untergrabung der Revolution, die in einem bürgerlichen Wahlsieg 1990 endete. Der massive militärische Druck der USA war sicher ein wichtiger Grund für die Abwahl der Sandinisten. Es ist aber ein Trugschluss vieler NicaraguaaktivistInnen, die politischen Fehlentwicklungen dahinter nicht zu sehen bzw. damals nicht gesehen zu haben. Das Buch ist auch deswegen politisch wertvoll, weil es die politischen Fehlentwicklungen, von einem marxistischen Blickwinkel aus, nachzeichnet.

"Die wiedersprüchliche Situation, wenn die Kapitalisten noch immer die Wirtschaft, aber nicht den Staat kontrollieren, kann nicht immer andauern. Die sozialen Konflikte können nur gelöst werden, in den die gesamte Wirtschaft vergesellschaftet und geplant wird. Sonst wird die Konterevolution siegen, und die alten Herrschaftsverhältnisse werden wieder hergestellt." bringt ein Zitat aus dem "Vorwärts" von 1989 die Situation auf den Punkt.

Schade, dass das Buch bei diesen Debatten unter den BrigadistInnen, nicht mehr in die Tiefe geht. Eine echte sozialistische Alternative und die Möglichkeiten von Maßnahmen in Richtung echter sozialistischer Demokratie werden nur wenig behandelt. Echte sozialistische Maßnahmen wie etwa eine ArbeiterInnendemokratie in Betrieben, eine Enteignung des gesamten Großgrundbesitzes mit einer demokratischen Planung der Landwirtschaft durch die LandarbeiterInnen oder demokratische Milizen, werden nur am Rande besprochen. Vielleicht auch, weil diese Debatten unter den NicaraguaaktivistInnen oft verdrängt, oder gar nicht geführt, wurden.

Bei diesen Fragen geht es letztlich auch darum, wie sich SozialistInnen gegenüber Projekten wie der sandinistischen Machtergreifung verhalten sollen. Wie hilft man einem wichtigen Projekt ganz konkret, ohne aber auf eine notwendige, marxistische, solidarische Kritik zu verzichten? Die Frage ist heute durch viele Bewegungen wie etwa der Flüchtlingsbewegung oder linken Regierungen wie in Griechenland oder linken Projekten wie Rojava hoch aktuell. Jan Rybaks Buch ermöglicht es, bei diesen Fragen, auf die Erfahrungen der NicaraguaaktivistInnen zurückgreifen zu können. Die Frage nach der kritischen Solidarität, macht das Buch zusätzlich spannend. Dazu kommen noch gute Einblicke in die Entwicklung der österreichischen Linken und die Entwicklung Nicaraguas. Ein echt lesenswertes Buch.

Jan Rybak, Eine sehr besondere Revolution, die ich kennenlernen wollte: Die österreichische Nicaragua-Solidaritätsbewegung 1979-1990, 2015, ISBN/EAN 9783944590261

In Wien erhältlich u.a. bei http://radicalbookstore.com/

 

Organisier dich! Aber wie?

Eine revolutionäre Organisation ist ein unverzichtbares Instrument, um die Gesellschaft zu verändern.
Christoph Glanninger

Ausnahmezustände, Massenbewegungen, politische Erdbeben – die Nachrichten sind voll. In den letzten Monaten ist auch die „Insel“ Österreich in den Sturm von Wirtschafts- und Flüchtlingskrise geraten. Demonstration und Konzert gegen die herrschende Asylpolitik in Wien am 3.10., mit insgesamt etwa 150.000 Menschen, wird vielen in Erinnerung bleiben. Nun entbrennen unter denen, die aktiv geworden sind, heftige Debatten. Die Selbstorganisation der HelferInnen hat Übermenschliches geleistet – doch sie stößt an Grenzen, weil es gesamtpolitische Veränderungen braucht, um grundlegende Verbesserungen zu erreichen.

Die instinktive Ablehnung vieler, „politisch“ zu sein (auch wenn man es objektiv ist), oder sich gar zu organisieren, ist verständlich. Schließlich ist die offizielle Politik schuld an dem ganzen Desaster, und die Parteien schielen nur auf Posten. Doch ein Problem verschwindet nicht, wenn man es ignoriert. Das Sagen haben noch immer Faymann, Mikl-Leitner, Strache & Co. Schon der britische Philosoph Hobbes wusste: „Nicht an [politische] Macht zu glauben ist wie nicht an die Schwerkraft zu glauben.“

Wer die Macht hat, Grenzen zu öffnen oder zu schließen, Löhne zu erhöhen oder Massen zu entlassen, ist eine Frage gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Ob eine gesellschaftliche Kraft stark genug ist, Verhältnisse zu verändern, hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie es schafft, ihren Interessen eine organisierte Form zu geben. Deswegen haben Menschen, die gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit kämpfen, sich immer wieder zu politischen Parteien formiert. Eine politische Partei ist nichts anderes als eine organisierte gesellschaftliche Kraft – Menschen, die sich zusammenschließen, um gemeinsam mehr zu erreichen.

Wenn wir also eine neue politische Kraft brauchen, stellt sich die Frage, wie diese beschaffen sein soll. Auf dem aktuellen Stand der Bewegung und des Bewusstseins braucht es eine neue, breite Linkspartei, in der verschiedene Bewegungen und Zugänge zusammenkommen. Eine solche Partei wäre ein wichtiger Fortschritt und ein Raum für Debatten, welches Programm es braucht, um eine andere Gesellschaft zu erkämpfen. Doch in Zeiten wie diesen stoßen solche Formationen schnell auf Prüfsteine. Der Kapitalismus duldet keine langfristigen innersystemischen Verbesserungen mehr. In dieser fundamentalen Krise bedeutet er nur noch mehr Krieg und Armut. Der Fall Syriza hat gezeigt, dass es heutzutage selbst, um „kleine“ Verbesserungen wie Lohnerhöhungen oder Abschiebestopps zu erreichen, die Bereitschaft braucht, über dieses System hinauszugehen – also „revolutionär“ zu sein und mit der kapitalistischen Logik zu brechen, was Syriza nicht getan hat.

Die Geschichte ist voll von Versuchen, dieses System durch eine gerechte Gesellschaft ohne Krieg, Flucht, Unterdrückung und Ausbeutung zu ersetzen. All diese Versuche, von der Pariser Commune 1871 über die Russische Revolution 1917 bis zu den arabischen Revolutionen 2011, bergen wertvolle Erfahrungen für künftige Bewegungen und Revolten. Es braucht also auch in neuen Linksparteien Leute, die sich bereits jetzt zusammenschließen, diese Lektionen lernen und als „kollektives Gedächtnis“ der Bewegung agieren. Eine zentrale Lehre ist die Notwendigkeit einer revolutionären politischen Kraft, die stark genug ist, um in revolutionären Perioden den entscheidenden Unterschied zu machen und einer Revolution zum Sieg zu verhelfen. Die SLP baut eine solche Organisation auf. Unter (noch) nicht revolutionären Umständen wirkt das vielleicht sehr ambitioniert. Doch der italienische Marxist Labriola meinte bereits 1890: „Ich weiß nicht, warum man nicht einer kleinen Partei angehören sollte, wenn man sich bewusst ist, auf dem richtigen Weg zu sein. Aber die kleine Partei schafft offene Feinde, fordert große Willenskraft, öffnet nicht den Weg zur politischen Karriere, verschafft kein dankbares Publikum“… und ist gerade deshalb unverzichtbar. Auch in scheinbar ruhigen Zeiten können sie Kämpfe zum Erfolg bringen, wie in den USA, wo unsere Schwesterorganisation Socialist Alternative den Kampf für einen 15$-Mindestlohn in Seattle gewonnen hat. Sie können, wie unsere irische Schwesterorganisation Socialist Party, Bewegungen aufbauen und radikalisieren – denn am Massenwiderstand gegen die Wassersteuer verzweifelt gerade die irische Regierung. Gleichzeitig verlieren sie nie aus den Augen, dass diese Kämpfe im Endeffekt nur erfolgreich sein können, wenn sie das kapitalistische System als Ganzes bekämpfen. Sie arbeiten eng zusammen, und das auf internationaler Ebene. Die SLP hat Schwesterorganisationen in über 40 Ländern. RevolutionärInnen diskutieren innerhalb ihrer Organisation gründlich und demokratisch ihre Positionen, um nach außen umso geschlossener auftreten zu können. Mitglied einer revolutionären Partei ist man nicht nur „am Papier“. Ihre AktivistInnen schulen sich in theoretischen Fragen und verbinden diese Theorie mit der regelmäßigen Praxis in ihrem jeweiligen Umfeld. Je stärker die revolutionäre Organisation jetzt ist, desto höhere Erfolgschancen haben soziale Bewegungen heute – und Revolutionen morgen. 

 

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Für Jobs und sinnvolle Produktion – Vergesellschaftung der Waffenfirmen

Moritz C. Erkl

Österreichische Waffen morden weltweit – und spielen damit Milliarden zu österreichischen KapitalistInnen. Zwei der bekanntesten heimischen Kriegsgewinnler sind die Waffenproduzenten Glock GmbH und die Steyr Mannlicher Waffenfabriksgesellschaft. Erstere beliefert nicht nur eine Vielzahl von offiziellen Polizei- und Armeeeinheiten (z.B. 2/3 der US-Polizeikräfte), sondern auch „Aggressoren“ wie die libysche Arme unter Gaddafi, das den „Islamischen Staat“ unterstützende Saudi-Arabien oder die zerrüttete irakische Armee. Waffen von Steyr werden aktuell unter anderem in Syrien von den „Rebellen“ ebenso wie von den Truppen des IS genutzt. Nicht nur, dass diese „wirtschaftlich notwendigen“ Exporte seitens des österreichischen Innenministeriums genehmigt werden, „unser“ „neutraler“ Staat scheffelt selbst Millionen durch den Verkauf von ausrangiertem Bundesheermaterial. Die Profite durch die sich ständig ausbreitenden Kriegsherde wachsen somit ins Unermessliche.

Zu Recht gab es bereits in der Vergangenheit immer wieder Proteste gegen Waffenfirmen (z.B. als Steyr Panzer an die chilenische Diktatur verkaufte). Dabei könnten die Fabriken auch sinnvoll genutzt werden, die Produktion könnte auf zivile Güter umgestellt und so auch die Jobs gesichert werden. Dazu dürfen die Firmen aber nicht in Privatbesitz sein und müssen unter der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten und der ArbeiterInnenbewegung stehen. Eingebettet in eine demokratische Planung der Gesamtwirtschaft geht’s dann nicht mehr darum, für die Profitinteressen weniger über Leichen zu gehen, sondern für das Wohl Aller gesellschaftlich notwendige Güter von ordentlich bezahlten Beschäftigten in sicheren Jobs zu erzeugen. 

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Debatte SLP-KP-Steiermark zur Grenzfrage

Die SLP debattiert mit Werner Murgg, KPÖ-Steiermark

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise entfaltet sich eine Debatte unter Linken und GewerkschafterInnen: Führt der Zuzug von Flüchtlingen zu verstärktem Verdrängungswettbewerb? Sind geschlossene Grenzen eine Antwort? Die SLP debattiert mit Werner Murgg, Landtagsabgeordneter der KPÖ Steiermark.

1) Über „Refugees welcome“ hinausdenken!

Die derzeitige Fluchtbewegung hat mit den Einmischungen des Westens in die Heimatländer der Flüchtenden zu tun. Überall wo USA und EU im Namen der Menschenrechte mit Bomben eingegriffen haben, blieben Tod und Verderben zurück. Wer vor Krieg und Terror flüchtet, hat ein Recht auf Schutz! Diesen Schutz zu gewähren ist Aufgabe der Weltgemeinschaft. Wie es ein Recht auf Asyl gibt, existiert umgekehrt kein Recht auf freie Wahl des Aufnahmelandes. Genauso wahr ist, dass sich viele Millionen auf den Weg machen, um in Europa der Armut ihrer Heimat zu entfliehen. Spricht man mit Österreicherinnen und Österreichern, wird man kaum jemanden finden, der von persönlicher Verfolgung Bedrohten keinen Schutz gewähren wollte. Viele haben jedoch Sorge, eine ungeregelte Einwanderung könnte das soziale Gefüge unseres Landes in Schieflage bringen. Sie sind keine Rassisten! Massenhafte Arbeitsmigration bei gleichzeitigem Bestand einer industriellen Reservearmee macht die Klassensolidarität generell brüchig und gefährdet das in langem Kampf erreichte Sozialniveau. Sie kann auch zu dauerhaft in ethnische Mehrheiten und Minderheiten gespaltene Nationen führen. Die kleinbürgerliche Chimäre der „Interkulturalität“ ist keine Lösung. Die Frage muss lauten: Wie viel Migration verträgt die Aufnahmegesellschaft? Integration, die den Namen verdient, ist nur dann möglich, wenn der Überlieferungszusammenhang, in dem wir stehen und der jeder Gesellschaft halt gibt, nicht verloren geht. Deshalb bedarf es Regeln, wie mit Einwanderung umzugehen ist. Diese Regeln werden auf absehbare Zeit auf nationalstaatlicher Ebene zu definieren sein. Der Nationalstaat ist immer noch die erste Schutzgemeinschaft gerade auch für die unterprivilegierten Schichten. Im „supranationalen“ Staat geht sie verloren. Wer den Nationalstaat aus diesen Gründen verteidigt, anerkennt auch seine Grenzen. Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer begrüßen eine ungezügelte Arbeitsmigration zur Sicherung ihrer Profitraten; EU-Kapitaleliten propagieren vermehrte Migration als eine Maßnahme den Nationalstaat als politischen Rahmen für die Unterschichten aufzulösen und sie zur Durchsetzung ihrer Interessen auf eine abstrakte EU-Bürokratie zu verweisen. Hier treffen sich auf gespenstische Weise reaktionärste Kapitalinteressen mit Vorstellungen „linker“ EU-Sozialstaatsträumer. Die revolutionäre Linke wird in Europa nur mehr dann geschichtsmächtig werden, wenn sie das Knäuel aus Migration und Asyl gemeinsam und mit Zustimmung ihrer Arbeiterklasse entwirrt!

Werner Murgg, KP-Steiermark, Abgeordneter Landtag Steiermark

2) Über den Kapitalismus hinausdenken!

Werner Murgg hat recht, dass nicht jedeR, der/die sich um mögliche Probleme durch Migrationsbewegungen sorgt, einE RassistIn ist. Bürgerliche Medien schüren die Angst, durch Zuwanderung werde der ohnehin geschrumpfte Sozialstaat kollabieren. Wenn Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte ArbeiterInnen diese Angstmacherei für bare Münze nehmen, ist es falsch, sie dafür moralisierend als RassistInnen abzustempeln.

Aber eine der Hauptaufgaben von Linken in dieser Situation ist gerade die Aufklärung darüber, dass es einen solchen Automatismus nicht gibt. Darüber, dass das Geld da ist, allen – migrantischen wie nichtmigrantischen ArbeiterInnen und Armen – ein Leben in Sicherheit und Würde zu garantieren. Dass dieses Geld sich aber in den Händen einer kleinen Minderheit von AusbeuterInnen konzentriert. Linke müssen aufzeigen, dass diejenigen, die den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse wirklich bedrohen, ganz sicher keine mittellosen Flüchtlinge sind, sondern die KapitalistInnen in Österreich und dass die Panikmache gegenüber Flüchtlingen ein Ablenkungsmanöver davon darstellt.

Wenn Murgg schreibt, dass der Nationalstaat "die erste Schutzgemeinschaft gerade auch für die unterprivilegierten Schichten" sei, ist das eine für den Vertreter einer linken Partei haarsträubende Verdrehung. Der Nationalstaat ist in erster Linie die Interessenvertretung der herrschenden Klasse eines Landes und hat die Aufgabe, die "unterprivilegierten Schichten" zu disziplinieren und ruhigzustellen. Die Spaltung der ArbeiterInnenklasse entlang ethnischer Linien ist dafür ein gutes Instrument. Und Murgg macht dabei de facto mit, indem er "MigrantInnen" und "ArbeiterInnenklasse" gegenüberstellt statt zu erkennen, dass MigrantInnen ein elementarer Bestandteil der österreichischen ArbeiterInnenklasse sind.

Die tatsächliche Schutzgemeinschaft der migrantischen wie nichtmigrantischen ArbeiterInnenklasse sind die Organe der ArbeiterInnenbewegung, wie Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien. Marxistische Politik muss gerade darin bestehen, den Mythos von der angeblichen Interessengemeinschaft Nationalstaat zu entlarven und ihn als das Instrument der Reichen und Mächtigen bloßzulegen, das er ist. Die Souveränität des Nationalstaates und die Integrität seiner Grenzen um ihrer selbst willen zu verteidigen ist kein Projekt für MarxistInnen. Deren Aufgabe besteht, im Gegenteil, darin, für das einheitliche Handeln migrantischer wie nichtmigrantischer ArbeiterInnen und Armer gegen die KapitalistInnen zu wirken, deren Schutzgemeinschaft der Nationalstaat wirklich ist.

Fabian Lehr, SLP

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Marx aktuell: Flucht und Migration – Einheit und Solidarität!

Stefan Gredler

Bevölkerungsverschiebungen sind kein neues Phänomen. Doch die Ursachen von Flucht und Migration sind heute beim Kapitalismus selbst zu finden. Niemand müsste fliehen, wenn der vorhandene Reichtum weltweit gesellschaftlich aufgeteilt und nicht nur in den Händen einer kleinen Minderheit wäre. Der Kapitalismus scheitert nicht nur bei der Hilfestellung bei z.B. Naturkatastrophen, sondern erzeugt auch noch zusätzliche Fluchtursachen wie Umweltzerstörung.

Seit dem Bestehen der ArbeiterInnenbewegung ist der Umgang mit MigrantInnen und ihre Rolle in einer kapitalistischen Klassengesellschaft zentral. Anhand der irischen ArbeiterInnen in England schrieb Marx 1870:“[...]die englische Bourgoisie (hat) das irische Elend nicht nur ausgenutzt, um durch die erzwungene Einwanderung der armen Iren die Lage der Arbeiterklasse in England zu verschlechtern, sondern sie hat überdies das Proletariat in zwei feindliche Lager gespalten.“ (Der Generalrat an den Föderalrat der romanischen Schweiz). Marx zeigt hier auf, dass die KapitalistInnen jene sind, die Migration und Flucht zu ihren Gunsten nutzen, um durch niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen Extraprofite aus unterdrückten und ausgebeuteten MigrantInnen zu ziehen. Gleichzeitig wird damit die Lage von einheimischen ArbeitnehmerInnen verschlechtert und rassistisches Gift von oben gezielt innerhalb der ArbeiterInnenklasse verbreitet. Am Ende stehen sowohl zugewanderte, als auch einheimische Arbeitskräfte als Verlierer da, während das Kapital als großer Gewinner hervorgeht. Deshalb haben die ArbeiterInnen Interesse daran, einen gemeinsamen Kampf für gleiche Rechte zu führen.

Hier haben sich revolutionäre SozialistInnen immer schon von ReformistInnen unterschieden. So stellte Karl Liebknecht am Internationalen Sozialistenkongress 1907 klar: „Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung!“. Revolutionäre zeig(t)en auf, dass die Einheit der ArbeiterInnenklasse und nicht der nationale Schulterschluss geboten ist. In Österreich werden im Zuge von Flüchtlingsströmen von VertreterInnen der Wirtschaft die Forderungen nach einem raschen Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge lauter, während es gleichzeitig zu Generalangriffen auf Kollektivverträge kommt. Eine Abschottung des Arbeitsmarktes, wie teilweise von Gewerkschaften und auch der FPÖ gefordert, führt aber nur zu Schwarzarbeit und damit Lohndumping und schadet der gesamten ArbeiterInnenklasse – MigrantInnen ebenso wie ÖsterreicherInnen. Hier darf Rassismus keinen Platz bekommen, hier braucht es einen Kampf für gleiche Rechte, gemeinsame soziale Forderungen und besonders auch eine gemeinsame gewerkschaftliche Organisierung! Der ÖGB hat es jahrzehntelang versäumt, migrantische ArbeitnehmerInnen ernsthaft einzubinden, zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen, das muss sich ändern. Migration und Flucht finden weltweit nicht wahllos statt. Es sind kapitalistische Ausbeutung und imperialistische Unterdrückung, die Menschen aus Kriegsgebieten und vollkommen ausgebeuteten Regionen in die Industriestaaten des Nordens peitschen, es sind die selben Kräfte, die sie dort dann weiter unterdrücken und rassistische Hetze gegen sie betreiben, dagegen braucht es gemeinsamen Widerstand von unten.

 

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SLP-Programm genau erklärt: Arbeitzeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich

Wir brauchen eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich auf 30 Stunden pro Woche!

Aus der Gewerkschaft kommen Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung. Das ist gut. Die SLP fordert schon lange eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich. Durch die Aufteilung der vorhandenen Arbeit auf alle kann Arbeitslosigkeit wirklich bekämpft werden. Aber das macht nur dann Sinn, wenn es keine Lohnverluste gibt. Sonst spielt es den Unternehmen in die Hände. Denn in der Krise müssen sie Kosten drücken, um Profite zu sichern – sie bauen Jobs ab und schaffen höchstens Teilzeitjobs. Viele, gerade Frauen, verdienen bereits so wenig, dass sie sich weitere Lohnverluste nicht leisten können. Wichtig ist die Anstellung von zusätzlichem Personal. Wenn bei reduzierter Arbeitszeit keine neuen Jobs entstehen, dann gibt es nur mehr Überstunden (viele un- bzw. unterbezahlt). Aufgrund des niedrigen Lohnniveaus sind viele Menschen auf Überstunden angewiesen. Die Gewerkschaft muss daher nicht nur für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn, sondern auch für höhere Löhne kämpfen. Eine 35-Stundenwoche, geschweige denn eine 30-Stundenwoche, wird nicht vom Himmel fallen – man muss sie erkämpfen. Gerade in der Krise werden die KapitalistInnen keinen Cent freiwillig hergeben. Die Gewerkschaft muss eine umfassende Kampagne mit aktiver Einbeziehung der Basis bis hin zu Kampfmaßnahmen organisieren, um die Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen. Tatsächlich kratzt eine 30-Stundenwoche an den Grenzen des Systems. Es stimmt, dass sie im Kapitalismus nur bedingt durchsetzbar ist – aber genau darum müssen wir ihn überwinden und durch eine sozialistische Gesellschaft ersetzen.

 

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Die EU und die Linke

Griechenland zeigt: Gerade für Linke ist ein marxistischer Zugang zur EU wichtig!
Christoph Glanninger

Verzweifelt hat sich die griechische Regierung immer wieder an die europäischen Eliten gewandt, um ihnen einen vernünftigen, fairen bzw. menschlichen Kompromiss vorzuschlagen. Das hat die Vertreter der europäischen KapitalistInnen, Schäubl, Dijsselbloem und Co. nicht davon abgehalten, Griechenland ein brutales Sparpaket zu verordnen, das weiter das Leben hunderttausender GriechInnen zerstören wird.

Der Grund für dieses Scheitern liegt in einem völlig falschen Verständnis des Charakters der EU. Große Teile der europäischen Linken, z.B. die Führung von Syriza, aber auch die der deutschen LINKE und der österreichischen KPÖ, gehen davon aus, dass die EU ein neutraler „Gestaltungsrahmen“ ist, den man nur mit linken Inhalten füllen muss.

Aber schon die Geschichte der EU zeigt, dass sie dem europäischen Kapital dazu dient, seine gemeinsamen Interessen umzusetzen. Dazu wurden wirtschaftliche Schranken UND Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung abgebaut.

Durch die Einführung des Euros wurden Staaten gezwungen, zu Lohn- und Sozialabbau zu greifen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, da sie die Währung nicht mehr abwerten können. Die Haushaltskriterien zwingen, bei öffentlichen Ausgaben (Gesundheit, Soziales, Bildung) zu kürzen und zu privatisieren.

Zu Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs gelang es der EU noch eher, ihren Charakter zu verbergen. Deshalb (und wegen massiver Propaganda) verbinden auch jetzt noch Menschen die EU mit Wohlstand, Stabilität und Frieden. Aber in der Krise wird die EU immer mehr gezwungen, ihr wahres Gesicht zu zeigen: neoliberal, undemokratisch und kriegstreiberisch.

Die Verhandlungen über das arbeiterInnenfeindliche Freihandelsabkommen TTIP werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Die meisten EU-Institutionen sind nicht gewählt und das gewählte EU-Parlament hat kaum Macht. Dafür tummeln sich in Brüssel Heerscharen an WirtschaftslobbyistInnen.

Die „Rettungspakete“ für Griechenland gingen zu 94% an den Finanzsektor, ca. 50% direkt an deutsche und französische Banken. Gleichzeitig ist die griechische Wirtschaftsleistung seit 2008 um 25% gesunken und über 60% der Jugendlichen sind arbeitslos. In Spanien sind zwei Millionen Kinder unterernährt und in Irland mussten 400.000 Menschen auswandern.

Von den 28 Nato-Mitgliedsstaaten sind 21 EU-Mitglieder. EU-Staaten führten in der Vergangenheit Kriege z.B. in Jugoslawien und Libyen. Aktuell schrecken sie, im imperialistischen Wettstreit mit Russland, nicht davor zurück FaschistInnen in der Ukraine zu unterstützen.

Im Zuge der Krise brechen auch die Widersprüche zwischen den Staaten der EU wieder auf. Der Versuch eines europäischen Wirtschaftsblocks zeigt die Tendenz des Kapitalismus, sich über die Grenzen des Nationalstaates hinaus zu entwickeln. Gleichzeitig zeigt das Scheitern der EU, dass er das nicht schaffen kann. Die KapitalistInnen brauchen weiterhin einen Nationalstaat, den sie gegen die heimische ArbeiterInnenklasse und ausländische Konkurrenten nutzen können. In ganz Europa nehmen deshalb auch nationalistische Strömungen zu. Rechte EU-kritische Kräfte (FPÖ, Front National, UKIP, AfD…) wachsen.

Die linke Strömung innerhalb von Syriza (nun Teil der neuen linken Formation) meint korrekt: „Die Eurozone und die EU lassen sich hier, wo sie angelangt sind, nicht reformieren, noch auf ein neues Fundament stellen: Sie lassen sich nur stürzen.“

Aber es ist genauso eine Illusion, zu erwarten, dass durch einen Euro- bzw. EU-Austritt die Probleme der kapitalistischen Krise gelöst werden können. Auf kapitalistischer Basis bleiben Staaten weiterhin der Willkür der Märkte ausgeliefert. Es gibt keine nationale, sondern nur eine sozialistische Lösung.

SozialistInnen haben von Anfang an auf den Klassencharakter der EU hingewiesen. Trotzdem haben sie klargemacht, dass die Lösung nicht im Rückzug auf den Nationalstaat liegt - sondern im internationalen Kampf gegen den Kapitalismus und seine Institutionen, egal ob EU-Kommission oder österreichische Bundesregierung.

So ein Kampf braucht ein sozialistisches Programm. In Griechenland hätte das u.a. bedeutet: Stopp der Schuldenrückzahlung an die Banken und starke Besteuerung der Reichen und der Kirche, um ausreichend Mittel für Gesundheit, Bildung und Soziales zu haben. Sabotage durch KapitalistInnen und Kapitalflucht müssten verhindert werden – Durch die Verstaatlichung der großen Banken und Konzerne unter demokratischer Kontrolle der Gesellschaft und der Beschäftigten. Außerdem braucht es Kapitalverkehrskontrollen und ein staatliches Außenhandelsmonopol.

Solche sozialistischen Maßnahmen würden wahrscheinlich zu einem automatischen Ausschluss aus EU und Euro führen. Klar ist, dass ein sozialistisches Programm nicht mit einer vom Kapital kontrollierten Währung umgesetzt werden kann.

Eine Regierung, die tatsächlich in der Lage ist, so ein Programm umzusetzen, hätte enorme Vorbildwirkung auch über die nationalen und europäischen Grenzen hinaus. Das könnte der Ausgangspunkt für eine europaweite Bewegung sein, die sich zum klaren Ziel setzt, mit dem Kapitalismus und seinen Institutionen zu brechen. Um so eine echte Alternative aufzubauen – ein sozialistisches Europa der Millionen statt eine EU der Millionäre.

 

 

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