Geschichte und politische Theorie

Gewerkschaften: Kämpfen oder Verwalten?

Jan Millonig

Gewerkschaften sind der Zusammenschluss von ArbeiterInnen, um ihre Interessen gemeinsam umzusetzen. Doch der Kapitalismus durchlebt eine strukturelle Krise. Der Verteilungskampf zwischen Kapital und Arbeit wird härter. Zentrale Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung werden angegriffen. Da stößt eine Politik, die einen „gerechteren“ Kapitalismus erreichen will, rasch an Grenzen.

Gute Argumente, Verhandlungen etc. funktionieren nicht, die Gewerkschaft steht mit dem Rücken zur Wand. Sie hofft, den Staat für eine gerechtere Politik gewinnen zu können. Doch der ist kein neutraler Schlichter. Ganz im Gegenteil, er ist ein Instrument der herrschenden Klasse. Diese Verbandelung zwischen VertreterInnen der ArbeiterInnenschaft, Politik und Wirtschaft wird in Österreich durch Sozialpartnerschaft und SPÖ-Anbindung deutlich. Doch so machen sich die Gewerkschaften letztlich zum Handlanger der Wirtschaft und Regierung.

„Sie [die Gewerkschaften, Anm.] haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. Für die Gewerkschaften – soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum [an Unternehmen, Anm.] anpassen – entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben.“ (Leo Trotzki, Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs, August 1940)

Und doch sind und bleiben Gewerkschaften die erste Anlaufstation von ArbeiterInnen, um ihre Situation zu verbessern. Sie sind Klassenorganisationen, der Druck der Beschäftigten spiegelt sich in ihnen wider. Solange es keine organisierte Opposition in der Gewerkschaft gibt, kann sich die Bürokratie auf Dampfablassaktionen beschränken. Sie gibt dem Druck bis zu einem gewissen Grad nach, um ihre Existenzberechtigung nicht zu verlieren. Doch konsequente Kämpfe sind nicht ihr Ziel. Die Gefahr ist zu groß, dass diese weiter gehen würden und die Grundfesten des kapitalistischen Systems in Fragen stellen.

Die Gewerkschaft steht also im Spannungsfeld zwischen Rettung des Systems der Ausbeutung, oder aktiver Teil bei dessen Sturz. Die Lage der ArbeiterInnenklasse zu verbessern, ist in einem krisengeschüttelten Kapitalismus längerfristig nur durch dessen Sturz möglich. Wenn sie kämpft, entstehen in einer Wechselwirkung auch demokratische Strukturen. Eben weil die Gewerkschaften auch die „Kriegsschule der Arbeiter(Innen)“ (Friedrich Engels in: Die Lage der Arbeitenden Klasse in England, 1845) sind, wird dort in den Klassenkämpfen auch das nötige Rüstzeug für eine künftige Revolution gelernt.

Daher setzen sich SozialistInnen in Gewerkschaften, bei Streiks, aber auch in Basisinitiativen an vorderster Front für einen konsequenten Kampf um die jeweiligen Forderungen ein. Über den täglichen Kämpfen darf die Ursache dahinter, der Kapitalismus, nicht vergessen werden. Konsequente gewerkschaftliche Arbeit braucht daher einen politischen Bündnispartner, eine sozialistische Partei mit antikapitalistischem Programm. Denn es ist klar, dass in einem Wirtschaftssystem, wo es nur um Profite Weniger geht, die Bedürfnisse der Menschen immer zu kurz kommen werden. Das System kann nicht reformiert, sondern muss als ganzes ersetzt werden.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

10.5.: Fahr mit zur Befreiungsfeier Mauthausen

Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen organisiert die SLP wieder einen Bus aus Wien. Im Anschluss an den Einmarsch bei der offiziellen Gedenkfeier laden wir zur Führung mit dem Historiker Dr. Rudolf Kropf, Experte für das System der Konzentrationslager im NS-Faschismus, ein. (Bei Anreise aus anderen Orten organisieren wir auch Gruppen).

 

10. Mai 2015 Abfahrt 7.00 Wien
Anmeldung: till@slp.at, Unkostenbeitrag: 5€/8€

70 Jahre Ende des 2. Weltkriegs: Nie wieder Faschismus!

Der Krieg ist aus, wir gehen nach Haus‘ – labimmel, labammel, labumm
Albert Kropf

Mit 8. Mai war der 2. Weltkrieg in Europa zu Ende. Bis heute wird der Nationalsozialismus oft als Werk eines einzelnen Verrückten dargestellt. Doch auch nach Hitlers Tod führte die deutsche Militärkaste sinnlose Verteidigungskämpfe und hoffte auf einen Separatfrieden mit den Westalliierten, um im Osten gemeinsam weiterkämpfen zu können; angesichts des glühenden Antikommunisten Churchill („Wir haben das falsche Schwein geschlachtet“) nicht so abwegig, wie es heute scheinen mag.

Sind im 2. Weltkrieg Nationalsozialismus bzw. Faschismus bekämpft worden? Italien und Deutschland hatten faschistische Regime. Portugal und Spanien auch, gegen die aber nicht gekämpft wurde. In Österreich konnte sich die austrofaschistische Vaterländische Front als ÖVP neugründen. In Italien gab es eine Amnestie und die faschistische Partei bestand legal weiter. Zum Jahrestag werden sich USA und Alliierte wieder rühmen, Europa vom Joch des Faschismus befreit zu haben. Doch bestanden nach 1945 noch faschistische Regime.

Und als Befreier kamen die Alliierten auch nicht. Schon ihre Kriegsführung ging nie davon aus, Teile der deutschen Bevölkerung zu gewinnen. Im Gegenteil wurde der Krieg hauptsächlich gegen sie geführt. Der Bombenkrieg gegen die Großstädte verursachte Elend und Leid in der Zivilbevölkerung, ohne den Widerstand zu unterstützen. Ganz im Gegenteil: Die deutsche Propaganda konnte sie ausschlachten. Trotzdem wurden sie weitergeführt, während die Industrie großteils verschont blieb.

Die militärische Niederlage Deutschlands war absehbar und in ähnlicher Situation war der italienische Faschismus durch eine soziale Bewegung gestürzt worden. Seither mussten sich die Alliierten mit den „Begehrlichkeiten“ und sozialistischen Plänen der italienischen PartisanInnen herumschlagen. Das zu verhindern war erklärtes Ziel, auch der Sowjetunion. Stalin wollte zwar seinen Einflussbereich vergrößern; er hatte aber, wie alle Alliierten, kein Interesse an unkontrollierbaren Volksaufständen und sozialistischen Revolutionen. Deshalb musste auch die Zivilbevölkerung niedergerungen werden.

Der 2. Weltkrieg wie auch der Erste waren v.a. Kriege um Einflussgebiete, Rohstoffe und Absatzmärkte. Es war kein Krieg unterschiedlicher Ideologien, oder Demokratie gegen Diktatur. Die Alliierten hatten sofort unmittelbar nach 1945 kein Problem damit, sich in den Kolonien als Quasi-Diktaturen einzusetzen bzw. ihnen getreue Diktatoren zu unterstützen.

Die ersten Opfer des Faschismus waren die normalen deutschen Frauen, Männer, Kinder. Ihre Löhne, ihr Lebensstandard, ihre Gewerkschaften und ArbeiterInnen-Parteien wurden verboten und ihre Vertreter- und KämpferInnen verfolgt und ermordet. Dagegen profitierten die deutschen Konzerne und Eliten von Nationalsozialismus und Krieg. Hitler verschaffte ihnen immense Profite und „befreite“ sie von den für sie lästigen Gewerkschaften und der ArbeiterInnen-Bewegung.

Der Zusammenhang zwischen Aufstieg des Faschismus und maßgeblichen Teilen der Wirtschaft ist bekannt. Selbst die CDU sah sich 1945 genötigt, sich antikapitalistisch zu geben. Das zeigt, wie stark das Bewusstsein von der Schuld des Kapitalismus an der Katastrophe des 2. Weltkriegs war. Das spiegelt auch die Buchwald-Erklärung der Internationalistischen Kommunisten wieder. Diese KZ-Häftlinge verfassten am 20. April eine Erklärung über die Ursachen und v.a. Lehren des 2. Weltkriegs und des Faschismus. Sie prangerten die deutsche Wirtschaft als Hauptprofiteur an. Daher lautete auch eine ihrer Forderungen: „Keinen Mann, keinen Pfenning für die Kriegs- und Reparationsschulden der Bourgeoisie! Die Bourgeoisie muss zahlen!“.

Damit stellt sich die auch heute aktuelle Frage, wie der Faschismus bekämpft hätte werden können. Während in Spanien und Österreich die Errichtung von faschistischen Regimes bekämpft wurde, konnte Hitler die Macht ohne Gegenwehr von der deutschen Industrie und Großgrundbesitz übergeben werden. Die Schuld daran trägt die sektiererische Politik der beiden Großparteien der ArbeiterInnenbewegung – SPD und KPD. Anstatt eine Einheitsfront zu bilden, bekämpften sie sich. 1920 putschten rechte Militärs gegen die junge Republik in Deutschland. Die ArbeiterInnen-Bewegung war auch damals in unterschiedliche Parteien und Strömungen gespalten. Trotzdem gelang es, den Putsch in einem einheitlichen, kräftigen Schlag mittels Generalstreik und sozialer Bewegung zu zerschlagen. Dazu waren aber 1933 die Führungen von SPD und KPD nicht bereit.

Wie der Faschismus wirklich und dauerhaft geschlagen werden könnte, zeigte der Spanische BürgerInnen-Krieg gegen den faschistischen Franco-Putsch. Großgrundbesitz und Wirtschaft wurden enteignet und gemeinsam demokratisch verwaltet und betrieben. Faschisten und das rechte Militär wurden durch demokratische Milizen binnen weniger Tagen aus den Gebieten vertrieben. Erst als die soziale Revolution zu Gunsten der bürgerlichen Volksfrontregierung rückgängig gemacht wurde, brach das auch der antifaschistischen Bewegung das Genick.

Diese Lehre findet sich auch in der Buchenwalderklärung. Darin wird die sofortige Enteignung der Banken, Schwerindustrie und Großgrundbesitz gefordert. Dass es letztlich nicht so gekommen ist, lag weniger an den Menschen in Europa, sondern den Parteien, die sie betrogen haben.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

02.05. - Marxismus im 21. Jahrhundert

Die Krise des Kapitalismus nimmt kein Ende. Perspektiven für Jugendliche? Fehlanzeige. Massenarbeitslosigkeit und Armut sind die neue Normalität. Banken crashen, Staaten stehen am Rande des Kollapses. Ganze Regionen versinken im Krieg. Umweltzerstörung und Klimawandel bedrohen die Existenz der Menschheit. In diesem System gibt es für junge Menschen keine Zukunft.

Gerade in diesen Zeiten ist es wichtiger denn je, gegen dieses System zu kämpfen und den Kapitalismus zu überwinden. Weltweit gibt es Millionen, die tagtäglich gegen das System und seine katastrophalen Auswirkungen Widerstand leisten. Doch um den Kapitalismus bekämpfen zu können, benötigt es ein grundlegende Analyse: davon, wie der Kapitalismus „funktioniert“ und wie er gestürzt werden kann. Die von Karl Marx und Friedrich Engels erstmals formulierten und seither von zahlreichen TheoretikerInnen und KämpferInnen weiterentwickelten Theorien sind heute brandaktuell. Sie stellen eine umfassende, wissenschaftliche und radikale Kritik des Kapitalismus dar – kein Wunder, dass seit Ausbruch der Krise die Verkaufszahlen marxistischer Schriften nach oben schnellen!

 

Wir werden uns im Rahmen eines eintägigen Seminars mit den Grundlagen marxistischer Theorie befassen. Sowohl EinsteigerInnen als auch Fortgeschrittene sind herzlich eingeladen!

Doch Theorie und Praxis müssen Hand in Hand gehen, um tatsächlich etwas verändern zu können. Deswegen werfen wir auch einen Blick auf aktuelle soziale Bewegungen auf der ganzen Welt – von dem Kampf der MindestlohnarbeiterInnen in den USA über den Widerstand der griechischen ArbeiterInnenklasse bis zu den sich abzeichnenden ArbeiterInnenaufständen in China.

 

Die Sozialistische LinksPartei ist keine Partei wie jede andere. Wir sind eine internationale Organisation von AktivistInnen, die gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Rassismus und Sexismus kämpfen. Wir sind keine BerufspolitikerInnen – sondern ArbeiterInnen, Angestellte, Arbeitslose, Jugendliche usw, die genug haben von einem System, dass uns nichts als Armut, Arbeitslosigkeit und Krisen zu bieten hat. Gemeinsam mit Schwesterorganisationen in über 45 Ländern kämpfen wir für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung und für eine demokratische, sozialistische Gesellschaft. Werde mit uns aktiv!

 

Wann: 02.05., 14:00

Wo: SLP - Büro, Pappenheimgasse 2

Mit Keynes zum krisenfreien Kapitalismus?

Nikita Tarasov

Bürgerliche ÖkonomInnen suchen nach Auswegen aus der Krise, um das Bestehen des Kapitalismus zu sichern. Die Ideen von John Maynard Keynes (1883-1946) werden oft als Wegweiser gepriesen. Der Kern des Keynesianismus: In regelmäßigen Abständen muss der Staat eingreifen, um Angebot und Nachfrage auszugleichen, er muss antizyklisch handeln, um die „Dellen“ der Krisen auszubeulen. Senkung der Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Steigerung der Kaufkraft scheinen dabei zentral. Die zahlungsfähige Nachfrage muss gesteigert werden, damit die Wirtschaft wieder brummt. Dafür sind alle Mittel recht: staatliche Beschäftigungsprogramme, Anreize für Unternehmen, Ankurbelung der Kriegsproduktion etc. Keynesianismus wird oft als „links“ gesehen. Doch dieser Schein trügt. Und dabei lassen wir seine Sympathien mit der „ausgeprägteren staatlichen Führung“ der Nazis im Dritten Reich im Hintergrund. Oder seine Befürwortung von Kriegsproduktion und folglich Krieg.

KeynesianerInnen ignorieren wesentliche Merkmale des Kapitalismus. So hat Keynes (auch Piketty) keinen wissenschaftlichen Begriff von Wert oder Kapital. Er ignoriert die Arbeitswerttheorie (die Lehre, das in einem Produkt so viel Wert steckt, wie menschliche Arbeit zur Herstellung nötig war), die schon bei Smith und Ricardo gefunden werden kann und von Marx vollendet wurde. Marx nennt das „Vulgärökonomie“. Ohne Werttheorie gelangen Keynes & Co nur zu oberflächlichen Betrachtungen von Waren und deren Austausch. Seine Lösungen liegen daher auch nicht im Produktionsprozess, sondern bleiben an der Oberfläche, im Tauschprozess; daher auch seine Fixierung auf Zins, Angebot und Nachfrage. Die Quelle der Ausbeutung, die Aneignung unbezahlter Arbeit („Mehrwert“), interessiert Keynes ebensowenig, wie der Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse.

Diese unbezahlte Mehrarbeit der ArbeiterInnen muss als Profit realisiert werden, um Kapital zu vermehren. Die Ware muss verkauft werden. Weil alle so handeln müssen, kommt es zu Überproduktion. Um die Konkurrenz auszustechen, müssen KapitalistInnen durch den Einsatz von Maschinen mehr und effizienter produzieren. Dadurch untergraben sie jedoch die Quelle des Mehrwerts, den nur menschliche Arbeit schaffen kann. Sie haben somit ständig gegen den „tendenziellen Fall der Profitrate“ zu kämpfen.

Krisen sind in der „DNA“ des Kapitalismus angelegt: „In schneidenden Widersprüchen, Krisen, Krämpfen drückt sich die wachsende Unangemessenheit der produktiven Entwicklung der Gesellschaft zu ihren bisherigen Produktionsverhältnissen aus. Gewaltsame Vernichtung von Kapital, nicht durch ihm äußre Verhältnisse, sondern als Bedingung seiner Selbsterhaltung, ist die schlagendste Form, worin ihm der Rat gegeben wird, abzutreten und einer höheren Stufe der sozialen Produktion Platz zu machen.“ (Karl Marx, Grundrisse, S. 635f)

Krisen lassen sich überwinden – wenn die Wirtschaft demokratisch geplant wird. Ohne Privateigentum an Produktionsmitteln und Konkurrenz kann der Bedarf gesamtgesellschaftlich ermittelt und gedeckt werden. Technischer Fortschritt und Produktivitätssteigerungen können dann endlich im Interesse von Mensch und Umwelt genutzt werden.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Patriotismus als Chance oder Gift?

Pegida und FPÖ stellen sich gern als „wahre“ PatriotInnen dar. Oder sind die Linken, wie Stefan Klingersberger in der Dezemberausgabe (der Uni:press, anm.) schreibt, die „echten“ PatriotInnen?
Eine Klärung aus marxistischer Sicht von Fabian Lehr und Sebastian Kugler.

Tatsächlich steht Klingersberger hier in einer Linie mit den sozialdemokratischen Kriegstreibern, die mit ebendiesem Argument des Patriotismus die ArbeiterInnen 1914 in einen Burgfrieden und einen blutigen Weltkrieg hetzten. Eines sei klargestellt: Fragen von Nation und Nationalismus können nicht statisch, sondern müssen dynamisch betrachtet werden, gerade weil kulturelle Phänomene nach Marx Ausdruck sozioökonomischer Veränderungen sind.

Die Bildung von Nationen ist eine historisch junge Entwicklung und gekoppelt an die Entstehung des Kapitalismus: Die Kleinstaaterei wurde zum Hindernis, das interregional agierende Bürgertum entwickelte als Erstes eine über ihre engere Heimatregion hinausgehende nationale Identität. Ihren ökonomischen Interessen entsprach der Wunsch nach einem größeren Wirtschaftsraum. Die neuen effizienten Zentralstaaten waren damals durchaus progressiv, v.a. weil es dadurch zur Entwicklung von Wirtschaft und Technik kam. Diese Fortschrittlichkeit ließ Marx und Engels auch ganz praktisch die bürgerliche Revolution in Deutschland 1848 unterstützen – ohne aber darauf zu vergessen, für die eigenständigen Interessen des Proletariats zu kämpfen. Denn spätestens seit 1789 war klar, dass die Bourgeoisie nicht bereit war und ist, die politische und v.a. die ökonomische Macht mit den unterdrückten Massen der ArbeiterInnen und BäuerInnen zu teilen. Schon damals wurde die Ideologie des Nationalismus von den neuen Herrschenden geschürt, um den nationalen Schulterschluss – etwa in Kriegen – gegen andere „Nationen“ (lies: für die Interessen der eigenen herrschenden Klasse) herzustellen. Die anfangs fortschrittliche Rolle des Nationalstaates kehrte sich um als der Kapitalismus immer weniger in der Lage war, die Wirtschaft und Gesellschaft weiterzuentwickeln. Nationalismus kann also nicht, wie es Stefan Klingersberger, aber auch Dominik Gruber in seiner Antwort suggerieren, nach Belieben mit reaktionärem oder fortschrittlichem Inhalt gefüllt werden, sondern hängt von der historischen Epoche und den sozioökonomischen Rahmenbedingungen ab.

In den heute entwickelten kapitalistischen Staaten wurde das Entstehen der Nationalstaaten durch die Bourgeoisie vorangetrieben. Doch nicht überall ist diese zentrale Aufgabe der bürgerlichen Revolution erfüllt. In den kolonialen bzw. neo-kolonialen Teilen der Welt konnten oft keine unabhängigen Nationalstaaten entstehen. Beispiel dafür ist Kurdistan, das lange als Nation existiert, aber keinen Staat besitzt. Aufgrund der verzögerten kapitalistischen Entwicklung kann eine nationale Unabhängigkeit, die die Armut beseitigt, im Rahmen des Kapitalismus nicht errungen werden. Der Kampf für einen eigenen Staat muss hier mit dem Kampf gegen kapitalistische (und feudale) Ausbeutung einhergehen.

Und so unterschiedlich der Entwicklungsstand und die Rolle der jeweiligen Nation sind, so flexibel muss auch die Haltung von Linken zu einem etwaigen Nationalismus sein. Anders als der Kampf der KurdInnen hat der Nationalismus eines vermeintlichen österreichischen Herrenmenschen gegenüber vermeintlich minderwertigen „Ausländern“ nichts Progressives. Doch bei genauerem Hinsehen gilt das auch für einen als „Schutz der eigenen Leute“ getarnten Rassismus, sei es in der Frage, ob Gemeindewohnungen auch an MigrantInnen vergeben werden dürfen (was die KPÖ in der Steiermark lange ablehnte), ob der Arbeitsmarkt für Menschen aller Nationalitäten geöffnet werden soll (was der ÖGB ablehnt) oder ob Deutsche in Österreich studieren dürfen sollen.

Ist der/die deutsche Studierende schuld an der Bildungsmisere in Deutschland oder Österreich? Mitnichten! Aber können wir im kleinen Österreich die ganzen europäischen Bildungsprobleme auffangen? Müssen wir nicht die Anzahl der deutschen StudentInnen beschränken, um zumindest den österreichischen Studierenden einen Platz zu sichern? Ein kurzsichtiges Argument, das die Ursachen der Bildungsmisere übersieht. Denn diese ist in allen Ländern das Ergebnis einer kapitalistischen Politik – und ein Rückzug auf eine nationalistische Position („österreichische Studienplätze für österreichische Studierende“) schwächt nur die Möglichkeiten auch der österreichischen Studierenden, sich für Verbesserungen in diesem Bereich einzusetzen.

Wenn „Linke“ einen Patriotismus von ArbeiterInnen benützen, um die ArbeiterInnenklasse per se als reaktionär abzustempeln, dann fehlt ihnen das Verständnis für die Entwicklung von Bewusstsein. Doch der Patriotismus in Österreich ist aufgrund des Charakters des österreichischen – imperialistischen – Staates ein rechter. Diese Tatsache schönzureden, wie Stefan Klingersberger es versucht, ist also kaum besser. Jenen, die die ArbeiterInnenklasse abgeschrieben haben, aber auch Stefan Klingersberger und Domink Gruber, fehlt ein unabhängiger Klassenstandpunkt, in dessen Zentrum die Stärkung der Solidarität und der internationalistischen Traditionen der ArbeiterInnenklasse steht.

In einem imperialistischen Staat geht es nicht mehr darum, den absterbenden Feudalismus durch den vormals modernen Nationalstaat zu ersetzen. Nun geht es darum, den überreifen Kapitalismus, der zum Hindernis für die Entwicklung der Menschheit geworden ist, der Krieg, Umweltzerstörung und Krisen produziert, der Rassismus und Sexismus nicht beendet, sondern gefördert hat, zu beseitigen – und mit ihm letztlich auch den Nationalstaat. MarxistInnen verteidigen das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Doch sind diese Nationalstaaten nicht das Ziel an sich, sondern das Respektieren existierender nationaler Gefühle, insbesondere von bisher auf Grund ihrer Nationalität unterdrückten Menschen. Das Ziel ist die Errichtung einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft – frei von der Diktatur des Marktes, frei von Nationalismus, Rassismus und Sexismus. Und um dieses Ziel zu erreichen ist in den entwickelten kapitalistischen Staaten der Nationalismus nichts, was den Weg dorthin fördert, sondern etwas, das ihn im Gegenteil massiv verhindert und von den herrschenden Eliten auch gezielt zu diesem Zweck eingesetzt wird. Gerade in der aktuellen schweren Wirtschaftskrise können wir beobachten, wie Politik und bürgerliche Medien den nationalen Zusammenhalt beschwören und damit Sozialkahlschlag, Sparpolitik, Lohnkürzungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zu rechtfertigen suchen. Diesen Versuchen, das Klassenbewusstsein der ArbeiterInnen in nationalistischen Nebelschwaden zu ersticken, müssen SozialistInnen energisch entgegentreten, statt sie dadurch zu erleichtern, dass sie der nationalistischen Ideologie irgendwelche in der heutigen Situation progressive Seiten abzugewinnen versuchen. Nicht zuletzt, weil damit auch der Strategie von FPÖ und Co. Vorschub geleistet würde, die ArbeiterInnen nach ethnischen Linien zu spalten und damit ihre Kraft zu schwächen, indem „echt österreichische ArbeiterInnen“ gegen „ausländische ArbeiterInnen, die uns die Jobs wegnehmen“ ausgespielt werden, um die Herrschaft ihrer gemeinsamen AusbeuterInnen zu stabilisieren.

Als Liebknecht schrieb „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, wollte er damit darauf verweisen, dass es keinen nationalen Schulterschluss gegen den nationalen und internationalen Terror des Kapitalismus geben kann. Die EU bzw. die Troika dirigieren die Angriffe des Kapitals auf Löhne und Sozialleistungen. Die Lösung ist aber nicht ein Rückzug aufs Nationale – denn auch das österreichische Kapital hat ein Interesse an niedrigen Löhnen und niedrigen Unternehmenssteuern. Die EU ist ein Instrument des Kapitals, doch der österreichische Staat ist das um nichts weniger. Die Antwort auf die kapitalistische EU ist daher nicht ein kapitalistisches abgeschottetes Österreich, sondern die vereinigten sozialistischen Staaten von Europa.

Eine zentrale Frage ist: Wer gehört im Weltbild von Stefan Klingersberger eigentlich zum „Volk“, zur „Nation“? Wodurch wird die Zugehörigkeit bestimmt? Durch den Geburtsort? Die Blutlinie? Die Wahl des Wohnortes? Zu welcher „Nation“ oder welchen „Nationen“ gehören MigrantInnen, Menschen mit Migrationshintergrund?

Er beantwortet diese Frage nicht, umreißt aber einen Nationenbegriff, der die Interpretation zulässt, dass eigentlich nur Teile der unterdrückten Klassen der ArbeiterInnen, BäuerInnen etc. zur Nation gehören, während die jeweiligen VertreterInnen der herrschenden Klasse durch ihre „antinationale Rolle“ eigentlich ohnehin nicht dazu gehören. Also ist die ArbeiterInnenklasse gleich „dem Volk“, gleich „der Nation“? Stefan Klingersbergers Perspektive stammt aus einer stalinistischen Tradition, und hier wurzelt auch dieser theoretische Spagat: Die herrschende Clique in der Sowjetunion setzte angesichts der Bedrohung durch den faschistischen deutschen Imperialismus zur Sicherung ihrer eigenen Position das Überleben der russischen Nation über alles. Nation wurde wichtiger als Klasse. Die stalinistischen Mörder traten den Marxismus und die besten Traditionen der Russischen Revolution mit Füßen und ermordeten eine Unzahl von InternationalistInnen (u.a. unter dem Vorwurf des „Kosmopolitentums“). Statt eines internationalen Kampfes von ArbeiterInnen und Ausgebeuteten gegen Faschismus und Kapitalismus versuchte die stalinistische Bürokratie in einem Zick-Zack-Kurs, mit der Sowjetunion, ihre eigenen Privilegien zu retten. Sie setzte u.a. auf Abgrenzung von sozialdemokratischen ArbeiterInnen. Dem Bündnis mit Nazi-Deutschland (Hitler-Stalin-Pakt) wurde nicht nur die nationale Identität von Polen und Finnland geopfert, es wurden auch in die Sowjetunion geflohene AntifaschistInnen an die Gestapo übergeben. Es folgte die Allianz mit dem Imperialismus (inklusive Zurückhalten nationaler Befreiungsbewegungen wie in Indien). Die Frage „was nützt der ArbeiterInnenklasse“ wurde „was nützt der Sowjetunion“ untergeordnet und die Interessen der internationalen ArbeiterInnenklasse quasi als gleich mit jenen der stalinistischen Bürokratie angenommen. Nation über Klasse – das ist auch der Ausgangspunkt von Stefan Klingersberger, wenn er schreibt „Die Aufgabe der SozialistInnen besteht folglich darin, theoretisch herzuleiten, überzeugend und mobilisierend darzulegen und schließlich auch praktisch zu beweisen, warum gerade der Sozialismus der Nation am meisten nützt.“ Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist nicht das Klasseninteresse, sondern das Interesse einer vermeintlich klassenübergreifenden Nation. Da befremdet es dann gleich weniger, dass er Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ anführt – einen der heiligen Texte des völkischen Nationalismus in Deutschland. Stefan Klingersberger bleibt in seiner Position auf kapitalistischer Grundlage, egal wie „links“ man den Nationenbegriff auch besetzt, er bleibt immer klassenübergreifend. Und die Antworten auf die dramatischen sozialen Probleme, aber auch auf nationale Unterdrückung, sind auf kapitalistischer Grundlage nicht zu finden.


 

Die nationale Frage zwischen Theorie und Praxis

Im Zuge sozialer Spannungen gewinnt die nationale Frage wieder an Bedeutung: Ein Test für Linke!
Clemens Wiesinger

Aufgrund der Krise des Kapitalismus seit 2007/8 spitzt sich weltweite die soziale Lage weiter zu. Unwille und Unfähigkeit der politischen und ökonomischen Eliten, diese im Interesse der Massen zu beenden, führte zu Protesten auf der Straße, Streiks, Hausbesetzungen und ähnlichen Widerstandsformen. Auch die nationale Frage – die Forderung nach mehr Autonomie oder auch Unabhängigkeit – hat in diversen Ländern als Ventil für die Unzufriedenheit an Bedeutung hinzugewonnen, bzw. wurde als solche wiederentdeckt. In vielen Fällen war die nationale Frage immer eine zentrale, wie in Kurdistan. In anderen Fällen bricht eine gelöst geglaubte nationale Frage als Folge der ökonomischen Krise wieder auf. So in Schottland, wo das Recht auf nationale Selbstbestimmung seit der Thatcher-Regierung und ihrem Neoliberalismus wieder an Bedeutung gewann und nun im Referendum zur Unabhängigkeit mündete. Für die ArbeiterInnenklasse stellt sie dort eine Ausdrucksform des Widerstands dar, mit der dem Wunsch nach einem Ausweg daraus Ausdruck verliehen wurde.
Die Schwesterpartei der SLP in Schottland, die Socialist Party Scotland (SPS), fordert ein unabhängiges sozialistisches Schottland und führte eine Kampagne rund um die sozialen, die Klasseninteressen durch. Zentral waren die Ablehnung jeglicher Sozialkürzungen und die Forderung nach Übernahme der Reichtümer Schottlands durch die Öffentlichkeit, mit demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die ArbeiterInnenklasse. Diese Positionen wurden in Massenkundgebungen verbreitet und führten auch zu einem starkem Wachstum der SPS. Die „richtige Position“ der SPS bestand dabei sowohl in der Verteidigung des Selbstbestimmungsrechte für eine jede sich selbst als Volksgruppe sehende Gemeinschaft, als auch auf der essentiellen Verbindung der nationalen mit der sozialen Frage. Denn eine reine Konzentration auf den nationalen Aspekt führt in eine Sackgasse: Nur weil sich eine Nation konstituiert, bedeutet es nicht, dass Klassengegensätze überwunden werden. Sollte also Schottland sich von Großbritannien trennen, würde das für die ArbeiterInnenklasse noch keine Zukunft ohne Ausbeutung heißen. Nur die Kombination von Lösung der nationalen Frage und Überwindung des Kapitalismus können zu einer tatsächlichen Perspektive für die unterdrückten Klassen werden.

Gut ersichtlich war diese Problematik in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Formal war Jugoslawien ein „sozialistischer“ Republikenbund, der zwei Alphabete, drei Religionen, vier Sprachen, fünf Nationalitäten in sechs Ländern mit sieben Nachbarn und acht Minderheiten zusammenhalten sollte. Real fehlte echte ArbeiterInnendemokratie, die soziale Frage war nicht gelöst, und damit auch die nationale nicht, da die Verteilung der knappen Ressourcen diese wieder anheizte. Und mit der Zuspitzung der sozialen Probleme ab den 1980er Jahren brach die nationale Frage unter dem erhöhten sozialen Druck wieder auf, führte zum Zerfall Jugoslawiens und blutigen Kriegen. Die stalinistische Etappentheorie (zuerst national, dann sozial), der auch der Titoismus folgte, führte somit letztlich auch zum späteren reaktionär-nationalistischen Backlash in den einzelnen Teilrepubliken.

MarxistInnen stehen grundsätzlich für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker. Doch eine Lösung der konkreten Fälle kann nicht in einem bloßen Zitieren aus historischen Schriften gefunden werden. Die theoretische Basis ist dort gelegt, doch an aktuelle Herausforderungen muss dynamisch herangegangen werden. Zur Illustration hervorragend geeignet: Die Israel/Palästina-Frage. Teile der „Linken“ ziehen Trotzki-Texte von vor der Gründung Israels als Argumentationsgrundlage heran. Trotzki lehnte eine solche Gründung ab, erklärte, dass damit kein sicherer Hafen für JüdInnen zu schaffen wäre. Doch seither sind Jahrzehnte vergangen. Israel existiert, hat eine eigene Bourgeoisie und Proletariat entwickelt, es ist damit umzugehen wie mit anderen bürgerlichen und imperialistischen Staaten auch. Holocaust/Shoa einerseits und die Vertreibung und Unterdrückung der PalästinenserInnen andererseits haben die Situation weiter verkompliziert.

Auf kapitalistischer Grundlage kann gerade diese nationale Frage nicht gelöst werden. Die gemeinsamen sozialen Anliegen der israelischen und palästinensischen ArbeiterInnenklasse müssen ebenso ein Ansatzpunkt sein, wie die jeweils berechtigten Wünsche nach Sicherheit, Frieden und eigenem Land. Um diesen gordischen Knoten zu lösen, liegt die Lösung nicht in einem starrem Überstülpen von Texten, die in einer anderen Situation geschrieben wurden, sondern in der Anwendung des Instruments des dialektischen Materialismus. Ein sozialistisches Israel und ein sozialistisches Palästina als Teil einer sozialistischen Föderation im Nahen Osten verbinden nationale wie soziale Bedürfnisse. Nationalismus ist nicht progressiv, wenn er Instrument einer herrschenden Klasse zur Unterdrückung Anderer ist. Nur die ArbeiterInnenklasse kann in einem vereinigtem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft die nationale Unterdrückung und Spaltung auf Dauer lösen und überwinden.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Die Krise ist kein Unfall, sondern System

Dominik Unter

Im Kapitalismus kommt es immer wieder zu Krisen. Bürgerliche Medien nennen es „vorübergehender Tiefgang“, die Politik spricht von „Korrekturen“. Uns wollen sie weismachen, dass die Krisen auf Fehlentscheidungen und unvorhersehbaren Faktoren basieren. Als MarxistInnen wissen wir, dass kapitalistische Crashs keine „Unfälle“ sind, sondern ein unvermeidbarer Bestandteil des Systems. Die Ursache sind die Grundwidersprüche dieses Systems:  Arbeit wird gesellschaftlich verrichtet, jedoch eignet sich nur eine kleine Spitze, die im Produktionsprozess selbst keine Rolle spielt, die erwirtschafteten Werte an. EinE ArbeiterIn kann Waren herstellen, produzieren, verwalten; dazu bedarf es keiner Bosse. Der/ die KapitalistIn ist jedoch von den ArbeiterInnen abhängig, denn nur durch den Besitz an Konzernen werden keine Werte geschaffen. Das heißt im Klartext: Die KapitalistInnen sind auf die ArbeiterInnen angewiesen, müssen diese jedoch mit allen Mitteln ausbeuten und unterdrücken, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Logisch ist auch: ArbeiterInnen wollen möglichst wenig für viel Geld arbeiten, die KapitalistInnen sind darauf angewiesen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. „Wir sehen also, dass selbst, wenn wir innerhalb des Verhältnisses von Kapital und Lohnarbeit stehnbleiben, die Interessen des Kapitals und die Interessen der Lohnarbeit sich schnurstracks gegenüberstehn.“- Karl Marx (in „Lohnarbeit und Kapital“, 1849)
Dadurch, dass die ArbeiterInnen nur einen Teil der von ihnen geschaffenen Werte als Lohn bzw. Gehalt, aber auch als Sozialleistungen, ausbezahlt bekommen, können sie auch nicht alle von ihnen hergestellten Waren kaufen. Es ist also kein ausgeglichener Kreislauf von Produktion und Konsum, sondern es kommt zwangsweise zu Überproduktion. Durch technische Neuerungen werden immer mehr Arbeitsbereiche von Maschinen übernommen. Da jedoch nur menschliche Arbeit neue Werte schaffen kann, sinkt die Profitrate der Konzerne immer weiter. Weil das Kapital versucht, diesem Verfall entgegen zu wirken, nennt Marx das den „tendenziellen Fall der Profitrate“. Hinzu kommt noch, dass die Produktion zwar in den einzelnen Unternehmen, aber nicht gesamt geplant wird, hier also Chaos herrscht.
Wie man es dreht und wendet, der Kapitalismus bringt Krisen am laufenden Band. Ob die staatliche Regulierung zunimmt oder nicht, die Widersprüche lassen sich nicht wegreformieren. Es werden nur Symptome bekämpft, nicht aber die Ursache der Misere - der Kapitalismus selbst. Und selbst in der Krise werden die Reichen noch reicher!
Es zeigt sich immer deutlicher: Der Kapitalismus ist nicht IN DER Krise, der Kapitalismus IST DIE Krise. Lösungsvorschläge innerhalb der kapitalistischen Logik führen in Sackgassen, wie uns die Geschichte zeigt. Der wirtschaftliche Aufschwung der 1950er und 1960er war kein Normalzustand, sondern die Folge der Zerstörung im 2. Weltkrieg. Der Kapitalismus bringt uns nichts als Krisen und Kriege. Um eine wirkliche Alternative zu schaffen, benötigt es den Sturz des Systems und das Erkämpfen einer klassenlosen Gesellschaft. Es ist noch kein Sozialismus vom Himmel gefallen, daher braucht es aktiven Widerstand gegen den Kapitalismus, gegen Unterdrückung und Ausbeutung!

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

13.2. Stadtführung Februar 1934

Februar 1934: Der erste bewaffnete Aufstand gegen Faschismus

Anlässlich einer von der SLP organisierten Stadtführung zu den Geschehnissen des Februar 1934 in Wien (Floridsdorf und Brigittenau) veröffentlichen wir noch einmal den vor einem Jahr erschienenen Artikel zu den Frebruaraufständen!

Stadtführung: 13.02.2015, 17:00, Wien 21 - Floridsdorfer Bahnhof - in der Kassenhalle vor dem Anker

Der 12. Februar 1934 war ein Signal für ganz Europa. Nachdem es dem Faschismus in Deutschland gelungen war, an die Macht zu gelangen, ohne dass auch nur ein Schuss gefallen wäre, kämpften österreichische ArbeiterInnen gegen den Austrofaschismus.

Die Februartage

Schon seit Monaten erhöhte das faschistische Dollfuß-Regime den Druck auf die österreichische Sozialdemokratie und ihre zahlreichen Vorfeld­organisationen. Der bewaffnete Verband der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei), der Schutzbund, war sogar bereits verboten worden. Ständig fanden Hausdurchsuchungen durch Regierungseinheiten in Arbeiter­Innenheimen statt, um Waffen aufzuspüren und die BewohnerInnen einzuschüchtern. Dennoch blieb die Führung der SDAP passiv. Ihre „Verhandlungen“ mit der Regierung bestanden eigentlich nur aus Zugeständnissen an Selbige. Die Basis der Partei wurde immer ungeduldiger: Sie hatten kein Verständnis für diese Politik des Zurückweichens gegenüber einem Gegner, der offensichtlich das Äußerste wollte. Richard Bernaschek, Kommandant des Linzer Schutzbunds, war eigentlich ein treuer Sozialdemokrat. Am 11. Februar 1934 stellte er die Führung der SDAP aber dennoch, oder besser deswegen, vor vollendete Tatsachen. Er kündigte für den Fall einer Hausdurchsuchung im Linzer ArbeiterInnenheim „Hotel Schiff“ bewaffneten Widerstand an. Die Partei-Führung versuchte zwar noch, den Linzer Schutzbund zurückzupfeifen und auf kommende Verhandlungen zu vertrösten, Bernaschek reagierte aber nicht mehr. Als am 12. Februar dann tatsächlich Regierungstruppen vor dem „Hotel Schiff“ vorfuhren eröffneten die ArbeiterInnen das Feuer. Der Aufstand breitete sich rasch über viele Städte in Österreich aus; am Heftigsten waren die Kämpfe im „Roten Wien“.

Führende SDAP-FunktionärInnen z.B. in Niederösterreich und Kärnten verhandelten mit der faschistischen Regierung und verurteilten den Aufstand. ParteifunktionärInnen wie Renner waren nicht bereit, gegen die Faschist­Innen zu kämpfen und setzten völlig wirklichkeitsfremd immer noch auf Verhandlungen. Währenddessen versuchten die kämpfenden Schutzbündler und ihre UnterstützerInnen verzweifelt, im Kampf die Oberhand zu gewinnen. In Wien war der Kampf aber bald nichts anderes mehr als die Verteidigung von einigen der wichtigsten Gemeindebauten wie dem Karl-Marx-Hof. Und selbst dieser Kampf war nicht lückenlos. Immer wieder stellten sich Schutzbundoffiziere, die oft als einzige die Waffenverstecke kannten, freiwillig der Polizei, obwohl viele ArbeiterInnen verzweifelt nach Waffen suchten. Praktisch ohne überregionale Führung hatten die ArbeiterInnen kaum eine Chance. Ein Generalstreik blieb aus und sogar die Eisenbahner, vor kurzem noch eine Hochburg der SDAP, transportierten Regierungstruppen und faschistische Milizen zu den Kampfplätzen.

Nach wenigen Tagen war alles vorbei. Die Wohnstätten der ArbeiterInnen waren von den Kanonen des Austrofaschismus zerbombt. Der Schutzbund war besiegt, die SDAP und die (sozialdemokratischen) Freien Gewerk­schaften wurden verboten (mit der KPÖ geschah dies bereits 1933). Alle Strukturen der ArbeiterInnenbewegung - z.B. die Konsumgenossenschaften, Arbeit­erInnensportvereine, Freizeitclubs etc. - wurden zerschlagen. Tausende emigrierten, und viele kamen nach Wöllersdorf, dem Lager für politische Gefangene. Andere wurden im Schnellverfahren verurteilt und hingerichtet.

Viele Fragen beschäftigen uns noch heute. Warum wurde der General­streikaufruf der SDAP am 12. Februar nicht befolgt? Warum fuhren die Eisenbahner, einst Stolz der Sozialdemokratie? Warum beteiligten sich so wenige Schutzbündler am Aufstand - wie konnte es also zu dieser Niederlage kommen? Wenn man versucht, die Ereignisse des Februar 1934 zu verstehen, darf man mit der Analyse nicht erst am Beginn der Kämpfe einsetzen.

Revolution 1918

Die Wurzeln für den Sieg des Austrofaschismus liegen tiefer. 1918 markierte eine große Streikbewegung, der Jännerstreik, den Beginn der öster­reichischen Revolution. Auch in Österreich-Ungarn bildeten sich, so wie in vielen anderen europäischen Ländern, Räte, die eine neue, eine sozialistische Gesellschaftsordnung herbeiführen wollten. Aber anders als in Russland fehlte in Westeuropa eine starke und gut organisierte Partei wie die der Bolschewiki, die die Revolution anführen hätte können. Ja nicht einmal eine kurzfristige Räteregierung wie in Bayern oder Ungarn konnte etabliert werden. Die Sozialdemokratie schaffte es, die Bewegung vollständig zu vereinnahmen und zu kanalisieren. Und Otto Bauer, der Anführer der österreichischen Sozialdemokratie, war stolz darauf: ”Nur Sozialdemokraten konnten wild bewegte Demonstrationen durch Verhandlungen und Ansprachen friedlich beenden, die Arbeitermassen vor der Versuchung zu revolutionären Abenteuern abhalten” und weiter “ Keine bürgerliche Regierung hätte diese Aufgabe bewältigen können. Sie wäre binnen acht Tagen, durch Straßenaufruhr gestürzt, von ihren eigenen Soldaten verhaftet worden. Nur Sozialdemokraten konnten diese Aufgabe von beispielloser Schwierigkeit bewältigen”. Es war, nach der Zustimmung der öster­reichischen Sozialdemokratie zum 1. Weltkrieg, bereits die zweite schwere Niederlage der Arbeiterbewegung innerhalb weniger Jahre. In Deutschland führte dieser Verrat der sozialdemokratischen Führung zur Gründung der KPD, in Österreich schaffte es die SDAP, den Aufbau einer starken kom­munistischen Partei zu verhindern, indem sie einerseits kommunistische Arbeiter zusammenschießen ließ (bereits kurz nach Ausrufung der Republik schoss die Polizei und die sozialdemokratisch geführte Volkswehr in eine kommunistische Demonstration, es gab 20 Tote), aber andererseits andauernd vom Aufbau des Sozialismus schwärmte. Und die Mehrheit der Arbeiter­Innen nahm ihrer Partei diese scheinbare Radikalität ab. Aber auch in dieser Zeit gab es Erfolge und Zugeständnisse der Bürgerlichen, bewirkt durch den Druck der Straße.

Rotes Wien

Nachdem die SDAP in die Koalitionsregierung eingetreten war und die revolutionäre Bewegung abgewürgt hatte, saßen die Bürgerlichen wieder in der Regierung. In Wien propagierte die SDAP mit einem großangelegten Reformprogramm ihr Konzept vom “Sozialismus in einer Stadt”. Zweifellos hat das Rote Wien Modellcharakter. “Licht in der Wohnung, Sonne im Herzen” war das Motto, unter dem die Gemeindebauten entstanden, mit Waschküche, Kindergarten, Konsum und SDAP-Sektion. Viel Positives geschah auch in der Erziehung, im Gesundheitswesen etc.; es gab Wäsche­pakete für werdende Mütter, Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, Freibäder und vieles mehr. Finanziert wurde das alles durch die “Breitner-Steuern”, benannt nach Hugo Breitner, dem sozialdemokratischen Finanzstadtrat. Es waren stark ansteigende Steuern (“Progressivsteuern”) auf Einkommen und Besitz, mit denen auch der kommunale Wohnbau finanziert wurde. Aber sie zeigten auch schon die Schwäche der SDAP. Es wurde nicht verstaatlicht und so die wirtschaftliche Machtstellung der UnternehmerInnen gebrochen, sondern nur stückweise vom Kuchen mitgenascht. Die SDAP wurde bei den ersten Wahlen bundesweit mit 40,76% stimmenstärkste Partei, in Wien bekam sie die absolute Mehrheit. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich dennoch zusehends. Es gab Massenarbeitslosigkeit und im Zusam­menhang damit eine zunehmende Radikalisierung in der Gesellschaft. Und die Bürgerlichen agierten immer frecher.

Justizpalastbrand 1927

Im Jänner 1927 wurden bei einem Schutzbundaufmarsch im burgen­ländischen Schattendorf ein Invalide und ein Kind von rechtsgerichteten Frontkämpfern erschossen. Ein Prozess findet statt, im Juli 1927 werden die Angeklagten freigesprochen. Nach dem Bekanntwerden des Urteils am nächsten Tag, dem 27. Juli, stieg eine Welle der Empörung auf. In vielen Betrieben wurde spontan gestreikt, und die ArbeiterInnen zogen in die Innenstadt. Und wieder fehlte eine organisierte Führung. Schließlich ging der Justizpalast in Flammen auf, berittene Polizei traf ein, und Polizeipräsident Schober gab den Schießbefehl. 89 Tote forderte dieser Tag, ohne dass irgend etwas damit erreicht worden wäre. Im Gegenteil, das Gefühl der Ohnmacht wurde immer größer, aber nicht einmal darauf reagierte die Sozialdemokratie entsprechend. Ein eintägiger Generalstreik wurde ausgerufen, um den ArbeiterInnen wieder einmal das Gefühl zu geben, die Partei ginge mit ihnen. Doch die Realpolitik sah anders aus. Da sich die Polizei in einigen Wiener Bezirken nicht mehr blicken lassen konnte, stellte die SDAP Schutzbündler als Hilfspolizisten auf. Im Parteivorstand ging die Anbiederung sogar noch weiter, es wurde ernsthaft diskutiert, in eine Koalitionsregierung einzutreten. Die Katastrophe von 1927 war eine schwere Niederlage der österreichischen Arbei­terInnenklasse.

Wirtschaftskrise

1929 kam der “schwarze Freitag”, die Börse brach zusammen. Massen­arbeitslosigkeit und Inflation führten zu enormer Frustration in der Arbeiter­Innenschaft. Die ArbeiterInnenbewegung war endgültig in der Defensive. Die sozialdemokratische Führung schwieg und beschwichtigte weiter. Trotzdem wollten sich die GroßkapitalistInnen nicht mehr darauf verlassen, dass die SDAP ihre Mitglieder und SympathisantInnen vollständig unter Kontrolle hatte. Für einen Teil der UnternehmerInnen schien es an der Zeit, angesichts der unsicheren Lage eine Gruppe zu fördern, die bis dahin fast bedeutungslos geblieben war, aber eine vollständige Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung versprach: die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpar­tei). Die Nazis versuchten auch, von der Sozialdemo­kratie enttäuschte ArbeiterInnen anzusprechen. Der entscheidende Teil der Bourgeoisie setzte zunächst noch auf den faschistischen Flügel der Christlichsozialen. Die grundsätzliche historische Aufgabe (im Sinne des Kapitalismus) sowohl von Nazis als auch Austrofaschisten war die gleiche - Kampf gegen die organisierte ArbeiterInnenbewegung, deren Zerschlagung und permanente Unterdrückung.

1932 waren wieder Wahlen. Nur wenige Mandate trennten die SDAP von der absoluten Mehrheit. Und sie versprach, die absolute Mehrheit bedeute den Sozialismus. Kein Wort davon, dass sich die ArbeiterInnenklasse bereits in der Defensive befand und organisatorisch abbröckelte, kein Wort von den alarmierenden Stimmengewinnen des Heimwehrfaschismus. Kein Wort auch davon, dass Sozialismus nicht durchs Parlament, sondern nur durch die Aktion der ArbeiterInnen und durch die Zerschlagung des alten und den Aufbau eines neuen, demokratischen und sozialistischen Staatsapparates verwirklicht werden kann. Der Schutzbund hieß nicht umsonst “Republi­kanischer”, also die bürgerliche Republik beschützend, und das viel gelobte “Linzer Programm” von 1926 war nicht zufällig passiv. Die oft beschworene Phrase “Wenn sich aber die Bourgeoisie (der Machtausübung nach dem Wahlsieg der SDAP) durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Kräften widersetzen sollte, wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen” heißt im Klartext: Ihr könnt euch darauf verlassen, von selber tun wir nichts, wir warten, bis ihr uns angreift.

Man versuchte aber doch, radikalisierte - vor allem jüngere - Parteimitglieder an der Abwanderung zur KPÖ und immer mehr zu den Nazis zu hindern. Man gründete die “Sozialistische Jungfront”, eine von der Parteispitze geleitete Gruppierung, die aber trotzdem zu einer weiteren Linksentwicklung der Jugendorganisationen beitrug. Viele JungsozialistInnen gingen aus Enttäuschung über die passive Haltung der SDAP zur KPÖ. Doch das Kapital, die Heimwehr, Nazis und die Regierung bekämpften die öster­reichische Arbei­terInnenbewegung mit allen Mitteln. Polizei und Militär gingen immer offener und brutaler gegen ArbeiterInnen vor.

Die letzten Schritte zur Diktatur

Und 1933 war es dann soweit: Die Generalprobe für die Februarkämpfe begann. Anlass war eine Diskussion im Parlament zu einem großen Eisenbahnerstreik. Wenn man auch den Streik in Straße und Betrieb durch den Verrat der sozialdemokratisch dominierten Führung verloren hatte (der Grund, warum dann am 12. Februar 1934 die Eisenbahnen fuhren), so wollte man zumindest im Parlament Standfestigkeit beweisen. Nachdem in einer Abstimmung Stimmengleichheit herrschte, traten nacheinander alle drei Nationalratspräsidenten zurück, um so auch selbst abstimmen zu können. Dies gab Bundeskanzler Dollfuß den Vorwand, das Parlament aufzulösen. Keinesfalls löste sich das Parlament selbst auf, wie bis heute oft behauptet. Ab diesem Zeitpunkt wurde per Ermächtigungsgesetz regiert, das ursprünglich für Kriegszeiten eingeführt worden war.

Der Schutzbund wurde in Alarmbereitschaft versetzt, alles wartete auf den Befehl zum Angriff. Doch nichts passierte, auch diese, vielleicht letzte, Chance wurde vertan. Der Schutzbund und die KPÖ wurden verboten, die Arbeiterzeitung, das Zentralorgan der SDAP, wurde unter Vorzensur gestellt. Und als auch noch der Maiaufmarsch verboten wurde, lautete die Parole nicht “Wir lassen uns den Maiaufmarsch nicht verbieten”, sondern “Wir gehen friedlich auf der Straße spazieren”.

Nicht nur in Österreich, Deutschland und Italien, sondern auch in vielen anderen Ländern in Europa kamen in dieser Zeit faschistische Diktaturen an die Macht. Dies gelang ihnen, weil sie vom Großkapital ausgehalten und politisch unterstützt wurden und die sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien lieber den gegenseitigen Kleinkrieg führten, als eine Einheitsfront gegen den Faschismus zu bilden und offensiven Widerstand zu organisieren. Wir haben das Ergebnis gesehen - und wir sollten daraus unsere Schlüsse ziehen. Denn wer nicht aus den Fehlern der Geschichte lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen. In vielen Ländern hat sich gezeigt, dass die ArbeiterInnenklasse durchaus bereit war, mit der Waffe in der Hand die faschistische Gefahr zu bekämpfen. Was gefehlt hat, war “nur” eine starke revolutionäre Partei, die diesen Kampf erfolgreich hätte führen und organisieren können.

Austromarxismus - Große Reden ohne Taten

Der Austromarxismus war keine politisch einheitliche Strömung. Vom “Linken” Max Adler über Otto Bauer bis zum Rechten Karl Renner reichte das Spektrum austromarxistischer Vorstellungen.

Die AustromarxistInnen kennzeichnete, dass sie ihre reformistische und zurückweichende politische Praxis mit einer revolutionär klingenden Rhetorik und Theorie kombinierten. Mit ihrer revolutionären Sprache haben sie die ArbeiterInnenschaft hinters Licht und mit ihrer Politik des Kapitu­lierens vor den Bürgerlichen die ArbeiterInnen in die tragische Niederlage des Februar ‘34 geführt.

Die österreichische Sozialdemokratie stimmte nicht, wie ihre deutsche Schwesterpartei, für die Kriegskredite, weil sie dazu nicht die Gelegenheit erhielt. Aber sie stimmte ebenso in die nationalistische Kriegspropaganda ein. 1914 erschien die Arbeiterzeitung mit einem Artikel zum Beginn des 1.Weltkrieges mit dem Titel “Tag der deutschen Nation”. Teile der austromarxistischen Führung der SDAP haben die internationale Solidarität verraten, waren deutschnational und haben den 1.Weltkrieg, in dem die Arbei­terInnen für die Interessen der Kapitalisten starben, gerechtfertigt.

1918 überzogen Streiks Europa. In dieser revolutionären Situation, in der sich auch in Österreich ArbeiterInnenräte gebildet hatten, war es die einzige Sorge der AustromarxistInnen, die ArbeiterInnen zu beschwichtigen und von sogenannten “revolutionären Abenteuern” abzuhalten. In Ungarn und Bayern bildeten sich Räterepubliken. Aber Österreich hat die Lücke nicht geschlossen. Angeblich war das “Kräfteverhältnis ungünstig". Doch es sollte sich danach nie wieder als so günstig erweisen. Wie schon Trotzki meinte, war der Austromarxismus nie darin schwach, Erklärungen zu finden, warum gerade jetzt alles ungünstig für den Sozialismus oder auch nur für Kämpfe der ArbeiterInnenklasse sei. Sie stellten sich auch an die Spitze der Räte­bewegung, aber nicht um sie zur Macht zu führen, sondern um, “Exzesse zu vermeiden, alles in geordnete Bahnen zu lenken, den normalen Alltag wiederherzustellen und die Situation zu beruhigen”. 1923 lies die SDAP-Führung die Räte auflösen.

Die österreichische Sozialdemokratie war organisatorisch sehr stark. Sie hatte in den 1920ern 800.000 Mitglieder und im Schutzbund waren 70.000 Leute bewaffnet. Doch sie nützte diese Stärke nicht. In der Zeit nach 1918 gestanden die Bürgerlichen aus Angst vor der Revolution viele soziale Rechte zu. Aber nachdem “dank” der austromarxistischen Führung die Revolution verhindert wurde, gewannen die KapitalistInnen und ihre Parteien wieder an Selbstvertrauen und setzten alles daran, diesen “revolutionären Schutt” wieder zu beseitigen. Die Parteiführung hat immer davor zurückgeschreckt, die ArbeiterInnen gegen die Angriffe der Reaktion einzusetzen. Jedes Mal wurde die ArbeiterInnenschaft darauf vertröstet, beim nächsten Angriff werde man sich zur Wehr setzen. Diese Politik führte in die Niederlage, und die so starke Partei erwies sich wegen der reformistischen Führung als unfähig, den Faschismus wirksam zu bekämpfen. Die AustromarxistInnen wollten den bürgerlichen Parteien zeigen, dass sie ja sowieso zu Zugeständnissen bereit seien. Aber sie erkannten nicht, dass das die Bürgerlichen nur noch angriffslustiger machte, die an keiner Zusam­menarbeit, sondern nur noch an der Schwächung und Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung interessiert waren. Die Zugeständnisse der SDAP gingen an die Grenzen der Selbstauflösung.

Lassen wir Otto Bauer selber sprechen: “Die Partei war sich der Gefahren einer revolutionären Erhebung vollkommen bewusst.” (Der Gefahr des Faschismus war sie sich anscheinend nicht so ganz bewusst!) - “Wir haben darum alles, was nur irgend möglich war, getan, um der gewaltsamen Entscheidung auszuweichen.” Nach der Zerschlagung des Parlaments 1933 sah man davon ab, die ArbeiterInnen zu mobilisieren. Vielmehr bot die SDAP-Führung Dollfuß “Verhandlungen über eine Verständigung an; über eine Reform der Verfassung und der Geschäftsordnung des Parlaments”. (Dieser war daran nicht interessiert, das hatte er nicht mehr nötig.) “Wir boten ihm weitergehende Zugeständnisse an, um eine friedliche Lösung zu ermöglichen. Wir ließen Dollfuß wissen, dass wir bereit wären, der Regierung auf verfassungsmäßige Weise außerordentliche Vollmachten für zwei Jahre zu bewilligen ..., selbst dem Gedanken der “berufsständischen” Organisation der Gesellschaft und des Staates Zugeständnisse zu machen, um nur eine Verständigung zu ermöglichen.”

Die Mitglieder der riesigen kampfbereiten Organisation mussten zusehen, wie diese unterging und die Reaktion und der Faschismus auf ganzer Linie triumphierten. Die Konfrontation war unvermeidlich, weil die Kapital­istInnen es darauf abgesehen hatten, die demokratischen und sozialen Rechte der ArbeiterInnen zu vernichten. Zugeständnisse machten sie nur noch gieriger. Man muss für den heutigen Kampf gegen Rassismus und Faschismus die richtigen Lehren ziehen, soll sich die Geschichte doch nicht auf dramatische Art und Weise wiederholen.

Geteilte Schuld - Eine Geschichtslüge

Immer wieder wird von verschiedenen “offiziellen” HistorikerInnen die These von der “geteilten Schuld” zwischen Sozialdemokratie und bürger­lichem Lager an den Februarkämpfen `34 aufgeworfen. Mit der Feststellung, beide Seiten wären halt radikal gewesen und hätten einfach Fehler gemacht, sollen die Mörder von 1934 entschuldigt und die historischen Zusammen­hänge verschleiert werden.

Dabei musste jedes fundamentale demokratische Recht gegen den erbitterten Widerstand der Bürgerlichen (Christlich-soziale Partei, Vorgängerin der ÖVP) erkämpft werden. Alle Verbesserungen für die Masse der Bevölkerung, die 1918 zugestanden werden mussten, wurden von Beginn an von den KapitalistInnen als “revolutionärer Schutt” bekämpft. Die Kosten der kapital­istischen Krise, die Ende der 20er Jahre einsetzte, sollten die ArbeiterInnen bezahlen. Die Sozialdemokratie erwies sich als unfähig, die Rechte der ArbeitnehmerInnen durch entschlossenen Kampf zu verteidigen (darin besteht deren Schuld). Durch die immer schwereren Niederlagen der Arbei­terInnenbewegung wurde das Kapital mehr und mehr ermutigt, “endgültig” die ArbeiterInnenbewegung niederzuwerfen. Die 1934 errichtete faschis­tische Diktatur setzte den Endpunkt unter eine über eineinhalb Jahrzehnte dauernde Entwicklung, die mit dem Versuch begann, eine neue, freie, sozial­istische Gesellschaftsordnung zu errichten.

Auch das Argument, der Austrofaschismus sei notwendig gewesen, um den um vieles härteren Nazifaschismus zu verhindern, ist eine Geschichtslüge. Die blutige Unterdrückung der ArbeiterInnenbewegung machte Österreich zur leichten Beute für Hitler. Schuschnigg hingegen holte Nazis in die Regierung und ließ keinen einzigen Schuss beim Anschluss 1938 abgeben: “Weil Deutsche nicht auf Deutsche schießen”. Das Bundesheer wurde zwar 1934 gegen die ArbeiterInnen eingesetzt, als z.B. auf Wohnhäuser ge­schossen wurde, aber nicht 1938, um den Einmarsch Deutschlands zu verhindern.

Austrofaschismus

Überall in Europa tauchten mit Ende des 1. Weltkrieges faschistische Gruppen auf, die im Zuge der Klassenkämpfe und des Versagens der ArbeiterInnenorganisationen in den 1920er und 1930er zu Massen­organisationen wurden. Trotz unterschiedlicher Ausformungen und Stärke in den verschiedenen Ländern war ihre historische Rolle und ihr Programm im Grunde überall dasselbe: Ihre Programme waren von extremem Antikommunismus, Rassismus, Nationalismus und oft auch Antisemitismus geprägt. Gerne gaben sie sich vordergründig „antikapitalistisch“, um in die Krise geratene KleinbürgerInnen und auch ArbeiterInnen zu gewinnen. Diese wurden dann auf die organisierte ArbeiterInnenbewegung losgelassen um diese einzuschüchtern und sie schließlich, wo möglich, zu zerschlagen.

Dafür wurden diese Gruppen schon bald mit Unsummen Geldes von den KapitalistInnen unterstützt und aufgebaut.

War die ArbeiterInnenbewegung erst mal zerschlagen, galt es, sie durch eine umfassende politische “Umorganiserung” der Gesellschaft (Ständestaat, Volksgemeinschaft) am Boden zu halten. Für die ArbeiterInnenklasse bedeutet das extreme Ausbeutung und vollkommene politische Recht­losigkeit bzw. physische Vernichtung der besten Kräfte.

Der österreichische Faschismus entwickelte sich aus der “Frontkämpfervereinigung”, die Anfang der 1920er Jahre von frustrierten Militärs in Wien gegründet wurde, um “das Vaterland zu retten” (vor dem “jüdischen Kommunismus”). Aus ihr entwickelten sich sowohl österreichische Nazis wie auch die austrofaschistischen Heimwehren um ihren Führer Fey. Das Verhältnis zwischen beiden war stets von wechselnder Rivalität und Einigkeit geprägt sowie von der jeweiligen Unterstützung, die der Austrofaschismus von Mussolini, die Nazis von Hitler erhielten. Von Beginn an hatten faschistische Kräfte großen Einfluss auf die bürgerliche Hauptpartei, die Christlich-Sozialen. Die Heimwehren waren mehrfacher Juniorpartner bei Bürgerblockregierungen. Mit dem Gemetzel von 1927 erhielt der Heimwehrfaschismus enormen Auftrieb. Schritt für Schritt nahmen sie immer wichtigere Positionen im politischen System ein und gewannen immer größere Teile der Christlich-Sozialen Partei für ihren Kurs. Offen proklamierte die Creme de la Creme des bürgerlichen Lagers im Korneuburger Eid Anfang der 1930er ihr Ziel nach Errichtung eines autoritären, klerikal-faschistischen Ständestaates. Mit dem 12. Februar 1934 setzten die Heimwehren Seite an Seite mit Bundesheer und Polizei dieses Ziel unter dem christlich-sozialen Bundeskanzler Dollfuß durch.

1934 wurden auch die Nazis in Österreich kurzfristig verboten. Das führte zu wachsenden Spannungen zwischen dem illegalen und legalen Faschismus, die in der Erschießung von Dollfuß und einem gescheiterten Putschversuch der Nazis endete. Doch der Austrofaschismus war eine relativ schwächliche Diktatur, und die österreichischen UnternehmerInnen begannen zunehmend auf den immer stärker drängenden Hitler zu setzen. Dollfuß' Nachfolger verhandelte mit Hitler, legalisierte die Nazis, integrierte sie in den Staatsapparat und der österreichische Faschismus gab sich 1938 seinem großen deutschen “Bruder” kampflos geschlagen.

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USA: Wieder 16 % für Sozialistin

Die Sozialistin Jess Spear machte bei den Wahlen den Kampf gegen Klimawandel und hohe Mieten populär.

„Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten“, sagte einst die Anarchistin Emma Goldman. Es scheint immer nur die Wahl zwischen Pest und Cholera zu geben.

Dennoch gibt es Situationen, die sich vom „Normalbetrieb“ abheben, wie der Sieg der Sozialistin Kshama Sawant, Mitglied der Socialist Alternative (CWI-USA), in Seattle. Sie ist das Sprachrohr einer starken Bewegung, die einen Mindestlohn von 15 $ erkämpfte. Ihre Genossin Jess Spear ist Teil dieser Bewegung und hat für das Amt des Speaker of the House im Staat Washington kandidiert. Ihr Gegner, Frank Chopp, wurde von Unternehmen massiv unterstützt – man wollte sich keine „zweite Kshama“ leisten.

Durch ihren Wahlkampf mussten Themen wie Mietobergrenzen, die globale Erwärmung und das unterfinanzierte Bildungssystem in der ganzen Stadt angesprochen werden. Die Fernsehdebatten machten sozialistische Ideen einer breiten Masse zugänglich. Auch wenn sie nicht gewann, sind 16 % für ein sozialistisches Programm in den USA ein weiterer beachtlicher Erfolg.

Wenn SozialistInnen zu Wahlen antreten, geht es nicht nur um Stimmen. Wir glauben nicht, dass sich die Gesellschaft allein dadurch verändert, dass die richtigen Leute gewählt werden. Stattdessen wollen wir einer möglichst breiten Schicht von ArbeiterInnen und Jugendlichen unsere Ideen zugänglich machen. Nur im Kampf auf der Straße, in den Betrieben und Schulen können die derzeitigen Verhältnisse überwunden werden.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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