Geschichte und politische Theorie

Der Kampf James Baldwins gegen Rassismus und Kapitalismus

Filmbesprechung zu „I am not your Negro“
von Ryan Watson, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV in den USA), Chicago

„Ich kann kein Pessimist sein, weil ich lebe. Pessimist zu sein bedeutet, dass man zugestimmt hat, das menschliche Leben als rein akademische Angelegenheit zu betrachten. Deshalb sehe ich mich gezwungen, ein Optimist zu sein. Ich bin gezwungen davon auszugehen, dass wir überleben können, was immer es zu überleben gilt.“ (James Baldwin, Schriftsteller, der die Grundlage für das Filmdrehbuch lieferte)

Wie so viele Persönlichkeiten, die um die letzte Jahrtausende herum gelebt und gewirkt haben, ist mir auch James Baldwin zunächst vollkommen unbekannt gewesen. Damals ging ich noch zur High School oder war gerade aufs College gewechselt. Als ich Baldwin entdeckte, wurde mir mit seinem ersten Roman, den ich las, klar, dass er ein ganz herausragender Schriftsteller ist. Es ging um die Werke „Go Tell It On The Mountain“ und „The Fire Next Time“, dauerte jedoch, bis ich auf „YouTube“ Filme sah wie die Debatte zwischen Baldwin und William F. Buckley, in der es um die Frage geht, „ob der American Dream auf Kosten des American Negro“ gelebt wird. Ab diesem Zeitpunkt, da ich James Baldwin auch auf „facebook“ und „twitter“ erleben konnte, übte er einen intensiven Einfluss auf mich aus. In der heutigen Zeit, in der etwa die neue Bürgerrechtsbewegung „Black Lives Matter“ entstanden ist, sind seine Aussagen von vor 50 Jahren offenbar genauso relevant wie damals.

Der Kinostart des für den Oscar nominierten Dokumentarfilms „I Am Not Your Negro“ (dt.: „Ich bin nicht dein Sklave“) des in Haiti geborenen Regisseurs Raoul Peck mit Samuel L. Jackson als Erzähler ist bahnbrechend und sehr beeindruckend. Zu Pecks filmischen Werken zählen Streifen wie „Lumumba“, eine biografische Darstellung des Staatsstreichs, den die USA und Belgien im Kongo durchgeführt und am Ende den ersten demokratisch gewählten Premierminister des Landes, Patrice Lumumba, haben ermorden lassen. Diesen Sommer wird Pecks nächster Film mit dem Titel „Der junge Karl Marx“ in die US-amerikanischen Kinos kommen.

„I Am Not Your Negro“ basiert auf einem unvollendeten Manuskript von James Baldwin aus dem Jahr 1979, das den Titel „Remember This House“ trägt und von Baldwins Freundschaft zu so berühmten Persönlichkeiten wie Medgar Evers, Malcolm X und Dr. Martin Luther King sowie dem politischen Einfluss erzählt, den sie auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung ausgeübt haben. Alle drei dieser Schlüsselfiguren der damaligen Zeit sind ermordet worden. Raoul Peck besitzt die umfassenden Lizenzrechte und hatte freien Zugang zu Baldwins Nachlass. Dass der Filmemacher auf das gesamte Material zurückgreifen konnte, belegt der Dokumentarfilm in seiner vollen Länge.

Ein Sohn Harlems

Baldwin wurde am 2. August 1924 in Harlem, New York, geboren und ist dort auch aufgewachsen. Er entstammte einer harten Realität aus Armut, Rassismus und elterlicher Strenge vor allem von Seiten seines Stiefvaters.

„I Am Not Your Negro“ stellt in atemberaubender Weise die Beziehung Baldwins, die er zu einem/r seiner LehrerInnen hatte, in den Vordergrund. James Baldwin, ein Kind des öffentlichen Schulsystems von New York City, zeigte schon früh, wie viel Neugier in ihm steckt und dass er die Dinge verstehen wollte. Er weckte damit das Interesse seiner Lehrerin, einer jungen „weißen“ Frau namens Orilla Miller. Miller, die vom jungen Baldwin den Spitznamen „Bill“ erhielt, sollte grundlegenden Einfluss auf sein weiteres Leben haben. Sie führte Regie bei seinem ersten Theaterstück und förderte sein Talent. Die beiden diskutierten über Literatur und sahen sich gemeinsam Ausstellungen in Museen an. Miller ging sogar so weit, David Baldwin um Erlaubnis zu bitten, seinen damals minderjährigen Sohn James mit ins Theater nehmen zu dürfen, was zuvor verboten war. Später sollte Baldwin es ihr hoch anrechnen, dass sie ihm stets ohne rassistische Vorurteile begegnet ist. Er erklärte, dass es „vor allem auch auf sie, die sie vergleichsweise früh in mein ansonsten schreckliches Leben trat, zurückzuführen ist, dass ich es nie wirklich vermocht habe, Hass gegenüber hellhäutigen Menschen zu empfinden“.

Als Kinobesucher habe ich sowohl bei Baldwin als auch bei „Bill“ eine tiefgehende Geschichte wahrgenommen. So beschreibt er sie an einer Stelle wie folgt: „Bill Miller war weiß“, aber sie war „für mich nicht auf dieselbe Weise weiß wie zum Beispiel eine Joan Crawford“ (berühmte Schauspielerin der damaligen Zeit; Anm. d. Übers.). Auch, so führt er weiter aus, war sie nicht in dem Sinne „weiß“ für mich „wie die Vermieter und die Ladenbesitzer und die Polizisten und die meisten meiner Lehrer, die weiß waren. Auch sie […] ist wie ein Nigger behandelt worden; vor allem von den Cops. Und für die Hausbesitzer hatte sie rein gar nichts übrig“. Baldwin lernte von ihr, dass „weiße Menschen nicht so handeln, weil sie weiß sind“.

Obwohl es den Anschein machte, dass all die Menschen, die einem Probleme machten, „weiß“ waren, ging Baldwin nicht davon aus, dass umgekehrt alle „Weißen“ in der amerikanischen Gesellschaft Probleme machen. Seine herausragende sprachliche Begabung hat sich in den drei bis vier Jahren ausgebildet, die er als Prediger in der Kirchenkanzel verbracht hat. Baldwin hat der Kirche schließlich den Rücken gekehrt, weil er dies als Form der Befreiung aus der gewalttätigen Beziehung zu seinem Stiefvater betrachtete und weil er begann, die christliche Lehre in Frage zu stellen. Dieses Problem durchzieht seine Schriften ebenso wie seine Gesellschaftskritik gegenüber amerikanischem Kapitalismus und Rassismus.

Baldwin als Zeitzeuge

Der Dokumentarfilm arbeitet mit Bildern, zitiert die Arbeiten von Medgar Evers, Malcolm X sowie Dr. Martin Luther King und bedient sich dabei der poetischen Ausdrucksweise von Baldwin, der den Dreien positiv gegenüber stand. Der Effekt, den dieser Ansatz hat, ist abschreckend. Darüber hinaus zeichnet der Film auch die Rückkehr Baldwins aus Frankreich in die USA nach, zu der es kommt, da die Bürgerrechtsbewegung gerade im Entstehen begriffen ist.

Es ist natürlich einfach anzunehmen, dass die drei ermordeten Medgar Evers, Malcolm X und Dr. Martin Luther King auf andere Weise am Kampf beteiligt waren als James Baldwin selbst. Meiner Meinung nach dient der Film dazu, Baldwins Beitrag bewusst von dem der drei Ermordeten abzugrenzen. Das würde Baldwin sicher ähnlich sehen, der sich selbst als Zeuge und nicht als Mitwirkender beschreibt. Natürlich musste Baldwin als Homosexueller und „Schwarzer“ in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts einen dramatischen Kampf für Akzeptanz und Anerkennung führen. Schließlich bewegte er sich auch noch in einer stark hierarchischen, vor „Männlichkeit“ nur so strotzenden und an der Kirche angelehnten dunkelhäutigen Emanzipationsbewegung.

Am Anfang, als der Film im „tiefen Süden“ der USA beginnt, bedient sich Samuel L. Jackson, der als Sprecher dieser Dokumentation fungiert, mit ergreifender Melancholie der Worte Baldwins. Zu Beginn wird der tapfere Kampf gegen Lynchmorde und die Rassentrennung im Bundesstaat Mississippi dargestellt. Medgar Evers, führender Aktivist der NAACP („Bundesweite Organisation zur Förderung dunkelhäutiger Menschen“), war eine Schlüsselfigur der Bewegung, die in den Südstaaten den Kampf gegen die Rassentrennung führte [auf juristischer Ebene war die Rassentrennung in Form der sogenannten „Jim Crow-Gesetze“ bis in die 1960er Jahre in Kraft; Erg. d. Übers.]. Evers war einer der ersten von Baldwins Freunden, die durch Rassisten umgebracht worden sind. Als er gerade nach Hause gekommen war, schoss man ihm auf seiner Auffahrt vor den Augen seiner Frau und Kinder in den Rücken.

Die bekannteren „black freedom“-Kämpfer, Malcolm X und Dr. King, die aus ganz unterschiedlichen Denkrichtungen kamen und verschiedene Aktionsformen propagierten, stehen ebenfalls im Fokus der Betrachtung. Der Film zeichnet die Unterschiede zwischen Malcolm X und Dr. King wie auch die Entwicklung hin zu einer sehr ähnlichen Herangehensweise der beiden nach. Am Ende entschieden sie sich kaum noch voneinander. Obwohl Baldwins Leben nicht – wie das seiner drei Freunde und Protagonisten des Films – gewaltsam beendet worden ist, bestand sein Ziel in den Folgejahren immer darin, die Perspektiven und Ideen von Martin Luther King und Malcolm X nach deren Ermordung für eine neue Generation von AktivistInnen zugänglich zu machen. Er erklärte zwar, wie sehr er King schätzte, sagte aber, dass die Menschen ihm irgendwann nicht mehr zuhören wollten. Er verstand, dass Malcolm X für junge dunkelhäutige Leute interessanter war, weil er die Realität beschrieb, in der sie lebten, und weil er sie in ihrer Realität ernst nahm. Baldwin sprach in höchsten Tönen über Malcolm X, weil dieser die verarmten Schichten ebenso wenig vergaß wie die Menschen, die als Reinigungskräfte arbeiteten oder gar im Knast saßen. Baldwin schloss sich der „Nation of Islam“ (NOI) deshalb nicht an, weil er keinen Hass auf „weiße“ Menschen verspürte und weil er weder mit Elijah Muhammad, dem Leiter der NOI, noch mit dessen „schwarzer“ amerikanischer Version des Islam übereinstimmte. Baldwin wurde auch nicht Mitglied der „Black Panthers“ oder der „Gay Liberation movement“, weil er sich in keine Schublade stecken lassen und sich keinem organisatorischen oder ideologischen Konzept unterordnen wollte. Baldwin war ein unabhängiger Kopf und Ideengeber.

Der Kampf geht weiter

„Ich bin nicht nur geboren worden, um kein Sklave zu sein: Ich wurde genauso wenig geboren, um zu hoffen, so zu werden wie der Sklavenhalter.“ (James Baldwin)

Die Doku leistet einen ganz hervorragenden Beitrag, wenn es darum geht, den Kampf der 1960er Jahre mit den Bedingungen in Zusammenhang zu bringen, denen dunkelhäutige ArbeiterInnen und junge Leute im heutigen Kapitalismus und Rassismus ausgesetzt sind. Der Dokumentarfilm glänzt durch Baldwins einfühlsame Gedanken über Themen wie Rasse, das Weiß-Sein und die Macht. Seine Ideen dazu werden im Film aufgegriffen. Es wird aber auch gezeigt, welchen Wert diese Debatten für heute haben. Heute, in einer Zeit, da die meisten Nachrichtenredaktionen von fünf großen Konzernen kontrolliert werden, hat das Establishment gelernt, dass es niemals wieder solchen Persönlichkeiten wie Malcolm X oder Martin Luther King oder auch nur einem James Baldwin eine derartige Plattform bieten darf, von der aus sie die Menschen erreichen können. Allerdings haben die von Konzernen kontrollierten Medien auch an Macht eingebüßt, da es zur Entstehung neuer und alternativer Nachrichtenkanälen gekommen ist.

Vergleichbar mit der Videosequenz auf „youtube“, in der es um die Frage geht, „ob der American dream auf Kosten des American Negro“ gelebt wird, fragt auch der Film von Raoul Peck danach, weshalb Amerika die „negroes“ braucht. Baldwin geht auf diese Frage ein:

„Festzustellen, dass die Fahne, der man mit all den anderen zusammen Treue geschworen hat, einem selbst keine Treue schwört, mag einem wie ein schwerer Schock vorkommen. Es mag einem wie ein schwerer Schock vorkommen, wenn man mit fünf oder sechs Jahren noch Gary Cooper zujubelt, wie er die Indianer abschlachtet, und feststellt, dass man selbst zu den Indianern gehört. Es ist wie ein schwerer Schock festzustellen, dass das Land, in dem du geboren bist und dem du dein Leben und deine Identität verdankst, in seiner gesamten realen Systematik gar keinen Platz für dich vorgesehen hat.“

Die jungen Leute aus Ferguson sind in einem Städtchen auf die Barrikaden gegangen, dessen mehrheitlich dunkelhäutigen EinwohnerInnen aus der Arbeiterschaft von einem Polizeistaat und einer Politik behandelt und kriminalisiert worden sind, dass man sich an die „Jim Crow-Gesetze“ von damals erinnert fühlt. Baldwin hat diesen Punkt schon im Jahre 1963 aufgegriffen: „Ich bin sicher, dass sie ausnahmslos nichts gegen Negroes haben. Aber dass ist tatsächlich nicht der Punkt, verstehen Sie?“. In einem anderen Fernsehinterview geht er abermals darauf ein: „Die Frage ist wirklich eine Form von Apathie und Ignoranz, was der Preis ist, den wir für die Rassentrennung bezahlt haben. Genau das ist Rassentrennung: Man weiß nicht, was auf der anderen Seite der Mauer geschieht, weil man es nicht wissen will“. Ferguson, Baltimore, Tulsa und das Entstehen der Bewegung „Black Lives Matter“ haben gezeigt, dass sich das unterdrückende System und somit die Realität der dunkelhäutigen ArbeiterInnen und jungen Leute auch nach 50 Jahren immer noch nicht zum Besseren geändert haben.

Weshalb „I Am Not Your Negro“ wichtig ist

Am 1. Dezember dieses Jahres jährt sich der Todestag von James Baldwin zum 30. Mal. Die Dokumentation „I Am Not Your Negro“ kann mit Fug und Recht als angemessene Würdigung und Anerkennung des Beitrags bezeichnet werden, den Baldwin für den Kampf zur Beendigung von Ausbeutung, institutionalisiertem Rassismus und der Konzernherrschaft über unser Leben geleistet hat. Der Film ermöglicht einer neuen Generation den Einstieg in Baldwins reichhaltige Wortwelt, Erkenntnisse und Sprache. Beim Aufbau einer multi-ethnischen Bewegung der Arbeiterklasse, die den Krieg von Trump und der „Wall Street“ stoppen will, der gegen die arbeitenden Menschen, die verarmten Schichten und „people of color“ geführt wird, kann das nur hilfreich sein.

 

Hausnummern und Schulpflicht?

Helga Schröder

Schon wieder wird ein verklärtes Bild von der „guten alten Zeit“ beschworen und mit falscher, romantisierender Darstellung der österreichischen Monarchie verbunden. Nach Prinz Eugen und Franz Josef ist heuer Maria Theresias 300. Geburtstag dran. Im Mittelpunkt steht wie immer das Privatleben der Herrscherin, während Armut und Elend der von ihr Beherrschten außen vor gelassen werden. Von einer „großen Reformerin“ ist die Rede und von einer „starken Frau“. Doch gerade Frauen gehörten zu den am ärgsten von der katholischen Fundamentalistin Verfolgten. Die radikale Abtreibungsgegnerin schuf 1768 die „Constitutio Criminalis Theresiana“ mit umfangreichen Foltermethoden und Todesstrafen. Für Abtreibung hat sie darin vorgesehen: „…§. 16. ... solle auf die gewöhnliche Richtstatt geführet, ihr beyde Brüste mit glüenden Zangen herausgerissen, und sie folgends mit dem Schwerd vom Leben zum Tod hingerichtet werden.“ Auch Massenvertreibung gehörte zum politischen Programm Maria Theresias. Sie verfolgte besonders ProtestantInnen und 1744 ließ sie 20.000 JüdInnen aus Prag vertreiben. Die überwiegend positive Bezugnahme auf Maria Theresia zeigt, dass man auch heute noch kein kritisches Wort über die Herrschenden verlieren möchte...

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Die Russische Revolution und die „Black Freedom“-Bewegung in den USA

Eljeer Hawkins, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SLP in den USA)

Vor 100 Jahre Jahren: Eine Revolution, die die Welt erschütterte

Die Russische Revolution von 1917 unter der Führung der Bolschewiki war ein leuchtendes Beispiel für die ganze Welt. Das schwächste Glied in der Kette des Weltkapitalismus brach auseinander. In den Vereinigten Staaten beeindruckte die Idee, dass die Arbeiterklasse, die verarmten Schichten und die am stärksten Unterdrückten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und der Tyrannei, der Gewalt und dem Privateigentum der kapitalistischen Klasse ein Ende setzen. Die Russische Revolution und die Gründung der ersten demokratischen Arbeiterrepublik war eine Zäsur im politischen Denken, die starken Einfluss auf die karibische und afrikanische Diaspora hatte. Die führenden politischen und kulturellen VertreterInnen der historischen „Black Freedom“-Bewegung schauten auf die Revolution, um wertvolle Lehren für den eigenen Kampf zu ziehen und sich an den angewendeten Methoden zu orientieren.

Von Harlem nach Russland

Zu ihnen zählten auch bedeutende AktivistInnen wie A. Philip Randolph, schwarzes Mitglied der „Socialist Party“ und Gewerkschaftsführer, der zusammen mit Chandler Owens das in Harlem publizierte Magazin „The Messenger“ herausbrachte. Sie unterstützten die Revolution voll und ganz und wurden als „Lenin und Trotzki von Harlem“ bezeichnet.

Die Revolution beeinflusste das Denken und das politische Programm von Organisationen wie der „African Blood Brotherhood“ (ABB), die von Cyril Briggs gegründet worden ist, einem radikalen Denker und Verfechter der Rechte von Schwarzen, der aus der Karibik stammte. Die ABB war eine Organisation, die revolutionäre mit kommunistischen Ansätzen verband und dabei einen „schwarzen Nationalismus“ vertrat. Man knüpfte enge Verbindungen zur „Communist Party” (CP) und leistete einen bedeutenden Beitrag zur theoretischen Auseinandersetzung innerhalb der „Black Freedom“-Bewegung. Der Historiker Mark Solomon beschrieb es wie folgt: Die ABB von Briggs „wollte die Themen „schwarzer Patriotismus“, Antikapitalismus, Antikolonialismus miteinander in Einklang bringen und organisierte die Verteidigung gegen rassistische Übergriffe” (Solomon, The Cry Was Unity: Communists and African-Americans, 1917-1936).

Die Russische Revolution gab KünstlerInnen und politischen AktivistInnen eine neue ideologischen Grundlage, mit der sie nun der „National Association for the Advancement of Colored People“, die unter der Führung der reformistischen Mittelschicht stand, aber auch dem politischen Ansatz von Marcus Garvey und seiner pan-afrikanistischen „Universal Negro Improvement Association“ (UNIA) entgegentraten. Bei der UNIA handelte es sich zum damaligen Zeitpunkt um die größte Bewegung unter schwarzer Führung. Ein Beispiel ist der in Jamaika geborene Aktivist und Romanautor Claude McKay, von dem das berühmte Gedicht „If We Must Die“ stammt. Er nahm als Delegierter aus den USA am 4. Kongress der „Kommunistischen Internationale“ im Jahr 1922 teil und verbrachte über ein Jahr in Russland. Dort befand er sich im Austausch mit führenden Mitgliedern der „Komintern“, darunter auch Leo Trotzki.

Aus welchem Grund befassten sich die AktivistInnen der „Black Freedom“-Bewegung so stark mit der Russischen Revolution und dem Vorgehen der Bolschewiki? In unserer kürzlich erschienenen Broschüre „Marxism and the Fight for Black Freedom“ (vgl.: https://manifest-buecher.de/produkt/marxism-and-the-fight-for-black-free...) beantworten wir diese Frage folgendermaßen:

„Entscheidend für den Erfolg der Oktoberrevolution war die Position der Bolschewiki zur nationalen Frage. Dies gilt insbesondere aufgrund ihres energischen Eintretens für das Recht auf Selbstbestimmung aller Nationalitäten, die vom Zarenreich unterdrückt worden waren. Hinzu kam, dass die Bolschewiki sich jedem Anzeichen von groß-russischem Chauvinismus entgegenstellten. Das waren wesentliche Punkte, um im Verlauf der Revolution für die Einheit der Arbeiterklasse sorgen zu können.“

Mit dieser Herangehensweise richtete sich die Revolution auch an die radikalen Köpfe der anderen unterdrückten Völker in der Welt. Die Bolschewiki brachten die SozialistInnen in Amerika dazu, ihr bisheriges Verhältnis zur „race“ („Rasse“, auf deutsch würden wir heute von „Ethnie“ sprechen; Anm. d. Übers.) zu überdenken . In diesem Zusammenhang äußerte sich auch James Cannon, ein führender Vertreter des Marxismus in den USA. Er meinte: „Lenin und die Bolschewiki unterschieden sich von allen anderen in der internationalen sozialistischen und Arbeiterbewegung, weil sie die Probleme, denen sich die unterdrückten Nationen und nationalen Minderheiten gegenüber sahen, verstanden und ernst nahmen. Sie unterstützten ihre Kämpfen für Freiheit, Unabhängigkeit und das Recht auf Selbstbestimmung […] Die VertreterInnen Russlands in der Komintern wendeten sich mit energischen Forderungen an die amerikanischen KommunistInnen, diese sollten ihre unausgesprochenen Vorurteile ablegen, den besonderen Problemlagen und Entbehrungen der AfroamerikanerInnen Aufmerksamkeit schenken, sich ihnen widmen und sich auch unter der weißen Bevölkerung für ihre Belange einsetzen“ (On Black Nationalism and Self-Determination, Trotsky).

Die „Communist Party“ und die „Black Freedom“-Bewegung

Wenn es um den Aufbau einer Bewegung heute geht, ist die Rolle der frühen „Communist Party“ (CP, Kommunistische Partei) im Kampf für „Black Freedom“ für ArbeiterInnen, junge Leute und „People of Color“ äußerst aufschlussreich.
Es sollte bis in die 1930er Jahre dauern, bis die CP eine wirklich bedeutende Basis innerhalb der schwarzen Arbeiterklasse erreichen konnte. Die Arbeit der CP im Fall der „Scottsboro Boys“, in dem neun junge schwarze Männer gegen falsche Anschuldigungen verteidigt wurden (ihnen wurde die Vergewaltigung von zwei weißen Frauen in Alabama vorgeworfen) war wesentlich für den Aufbau ihrer Basis unter AfroamerikanerInnen.

Tragischerweise waren die Sowjetunion und die Komintern zu jenem Zeitpunkt vom Stalinismus dominiert, der dazu führte, dass alle nationalen Sektionen zum verlängerten Arm der Politik des Kreml wurden. Um die Herrschaft der Stalinisten zu sichern, wurde dem Klassenkampf eine untergeordnete Rolle zugewiesen. In den USA bestand die Rolle der CP in dieser Phase im Allgemeinen darin, als Hürde zu dienen, mit der es der Arbeiterklasse und den verarmten Schichten erschwert werden sollte, eine eigene Massenpartei zu formieren, die unabhängig von „Demokraten“ und „Republikanern“ sein würde. Die Folgen davon sind heute noch offensichtlich.

Doch trotz der umfassenden politischen Fehler, die auf das Konto der CP gehen, stellen ihre Bemühungen, die Tagesforderungen der schwarzen ArbeiterInnen aufzugreifen und sich zur Durchsetzung ethnischer Gleichberechtigung für den Aufbau des Klassenkampfs einzusetzen, immer noch ein beeindruckendes Beispiel dar.

Im Norden der USA befasste sich die Arbeit der CP in erster Linie damit, die Erwerbslosen zu organisieren, Zwangsräumungen abzuwehren, die Polizeigewalt zu beenden und darin, gewerkschaftliche Massenaktionen zu organisieren. In den Südstaaten beteiligte sich die CP an der Organisierung von Kampagnen in der Textil-, Stahl- und Verpackungsbranche. Ferner führte sie bedeutende Streiks an wie z.B. den Streik der TextilarbeiterInnen in Gastonia, North Carolina, im Jahr 1929 und den Bergarbeiterstreik in Harlan County, Kentucky, 1931. Die CP versuchte auch, eine Gewerkschaft für FarmpächterInnen zu organisieren.

Sie organisierten anti-rassistische Arbeit in den Gewerkschaften gegen „white supremacy“ (dt.: Ideologie von der Überlegenheit der „weißen Rasse“; Erg. d. Übers.) und Fanatismus. Das führte in den Südstaaten zu einem Mitgliederrückgang bei einigen weißen ArbeiterInnen. Dies war kurzfristig zwar unausweichlich. Beim Aufbau einer Massenpartei der ArbeiterInnen hat die CP aber eine korrekte Herangehensweise an den Tag gelegt. Auf diese Weise konnte sie einen großen Teil der weißen ArbeiterInnen in den Südstaaten für sich gewinnen. So wuchs die Mitgliedschaft der CP zu Hochzeiten auf 100.000 an. Vor allem im Norden hatte die Partei eine beträchtliche Basis unter schwarzen ArbeiterInnen.

Das Vermächtnis der bolschewistischen Russischen Revolution und die Arbeit der „Communist Party“ unter schwarzen ArbeiterInnen und jungen Leuten in den 1930er Jahren und vor allem im Zusammenhang mit dem Fall der „Scottsboro boys“ half, die Saat zu sähen, die zum Entstehen der „Black Freedom“-Bewegung in den Südstaaten der 1950er, ‘60er und ‘70er Jahre führte. Trotz aller Fehler, die die CP begangen hat, zeigte dies auch, was eine sozialistische Organisation mit einem antirassistischen Programm und Wurzeln in der Arbeiterklasse erreichen kann.

 

Neu aufgelegt: „Basiswissen Marxismus“

Sebastian Kugler

150 Jahre nach der Erscheinung des „Kapitals“ ist Marx wieder in aller Munde. Das „Profil“ widmet ihm ein Cover, die „Zeit“ einen Schwerpunkt zum „Prophet der Krisen“. Was in den bürgerlichen Medien steht, ist jedoch im besten Fall oberflächlich, meist verfälscht oder schlicht gelogen. Deswegen legen wir unsere (bisher) 4-teilige Broschüren-Serie „Basiswissen Marxismus“ neu auf. Ohne Vorwissen vorauszusetzen, führen die Broschüren in „Materialistische Dialektik“, „Historischen Materialismus“, „Politische Ökonomie“ und „Marxismus und Staat“ ein. Anhand ausgewählter Stellen aus Originaltexten von Marx, Engels und anderen werden deren Gedanken leicht verständlich dargestellt. Marxismus ist keine Hexerei und keine Ideologie – sondern die kritische Analyse der Gesellschaft und gleichzeitig ein Instrument, sie zu verändern. In einer Zeit, in der der Kapitalismus uns von der einen Katastrophe in die nächste schleudert, ist die Beschäftigung mit revolutionärer Theorie besonders wichtig, um einen Weg zu finden, dieses mörderische System abzuschaffen. „Basiswissen Marxismus“ bietet dafür den geeigneten Einstieg!

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Die Kunst der russischen Revolution

Fabian Lehr

Vom stürmischen Aufbruch zur stalinistischen Erstarrung

Die Russische Revolution brachte auch in Kunst und Kultur große Veränderungen. Im Zarenreich war die Kunst ein Privileg der herrschenden Klassen gewesen, während die von Bildung ausgeschlossenen Massen kaum Zugang zu ihr hatten. So trug die Kunst vor 1917 einen entweder konservativen oder elitären, sich nur an eine kleine bürgerliche Avantgarde richtenden Charakter. Die Revolution zerbrach nicht nur die Schranken, die der Kunst bisher durch die zaristische Zensur gesetzt waren, sondern weitete durch Bildungsprogramme für die Massen auch ihr Publikum aus. In den 20ern wurde die junge Sowjetunion zu einem Mittelpunkt moderner Kunst - Majakowski in der Literatur, Schostakowitsch in der Musik, Eisenstein im Film oder Malewitsch in der Malerei stehen für diese Aufbruchstimmung. Der Staat förderte durch den Aufbau öffentlicher Bibliotheken, durch Ausstellungen, Konzerte und Filmvorführungen für ArbeiterInnen deren Verbreitung. Und schließlich sollte die Trennung zwischen KunstproduzentInnen- und konsumentInnen aufgehoben, allen der Weg zur künstlerischen Produktion geöffnet werden.

Aber mit der Machtübernahme durch die stalinistische Bürokratie und der Ausschaltung der alten Parteistrukturen setzte auch hier ein schroffer Umschwung ein. Passend zu den gesellschaftlich konservativen Tendenzen des Stalinismus wurde der sogenannte "Sozialistische Realismus" autoritär durchgesetzt. Er war weder sozialistisch noch realistisch und schrieb KünstlerInnen vor, in konventionellen Formen einerseits konservative Werte wie Mutterschaft und Nation zu verherrlichen, andererseits eine für die ferne Zukunft versprochene glänzende sozialistische Gesellschaftsordnung als jetzt schon verwirklicht darzustellen und alle Nöte der sozialen Wirklichkeit auszublenden. Loyale StaatskünstlerInnen gaben nun den Ton an, die Massen blieben im Staat und in der Kunst von der Mitwirkung ausgeschlossen. Die Rückkehr bürgerlicher Werte in der stalinistischen Kultur und Gesellschaft spiegelt sich auch in diesen an die vorrevolutionäre Kunst erinnernden Werken.

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Marx aktuell: Feminismus und Klassenkampf

Sebastian Kugler

„Es gibt einen besonderen Platz in der Hölle für Frauen, die einander nicht helfen.“ – so die Ex-US-Außenministerin Albright auf einer Wahlkampfkundgebung für Clinton. Sie meint: Frauen sollen Clinton wählen, denn die ist eine Frau. Gloria Steinem, auch Unterstützerin Clintons, beschwerte sich über junge Frauen, die stattdessen die linke Kampagne des alten Mannes Sanders unterstützten: „Wenn du jung bist, denkst du dir: Wo sind die Jungs? Die Jungs sind bei Bernie.“ Aus Protest marschierten junge Frauen auf Demos für Sanders mit Schildern: „Nicht wegen der Jungs hier“.

Diese Frauen fühlten sich den klassenkämpferischen Tönen der Sanders-Kampagne und den antikapitalistischen Ansichten ihrer Aktivisten näher als Millionärin Clinton und Kriegstreiberin Albright. Deren Feminismus passt zur Forderung der Grünen nach „mehr Chefinnen“. Er bietet keine Antwort für brennende Probleme der meisten Frauen, wie Doppelbelastung in Arbeit und Familie, Lohnschere und Mangel an Kinderbetreuungsplätzen und Gesundheitseinrichtungen. Ihr Ruf nach Frauensolidarität bindet Frauen an die Interessen der KapitalistInnen. Sie jedoch fühlen sich keiner Frauensolidarität verpflichtet, wenn sie Löhne kürzen, Jobs streichen oder im Gesundheits- und Sozialbereich kürzen. Prokapitalistische Politik ist immer patriarchale Politik, egal von wem sie durchgeführt wird.

Die Klassengesellschaft basiert darauf, dass Frauen in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bestimmte Stellungen einnehmen – als „Hausfrau“ und „Krankenschwester“. „Wenn es stimmt, dass die Geschlechtsidentität in der kapitalistischen Gesellschaft zur Trägerin bestimmter Arbeitsfunktionen wurde, dann sollte Gender nicht als rein kulturelle Angelegenheit betrachtet werden, sondern als spezifische Ausprägung von Klassenverhältnissen“ (Silvia Federici: Caliban und die Hexe, 2004) Darum sind die meisten Frauen keine Chefinnen und werden es nie werden – und müssen ihre Befreiung auch gegen ihre Chefinnen erkämpfen.

Doch viele Formen des Sexismus betreffen alle Frauen: von Schönheitsnormen bis zu sexualisierter Gewalt. Das hängt eng damit zusammen, wie die kapitalistische Gesellschaft funktioniert – dass Körper „verwertbar“ sein müssen und zu Objekten werden. Konsequent dagegen zu kämpfen bedeutet ebenfalls, den Kapitalismus und seine VerteidigerInnen zu bekämpfen. Dabei können wir uns nicht auf die Frauen der herrschenden Klasse verlassen, da sie mit den Interessen ihrer Klasse brechen müssten.

Deswegen verstehen MarxistInnen den Kampf um Frauenbefreiung als notwendigen Bestandteil des Klassenkampfes, den die ArbeiterInnenbewegung zu führen hat. Das bedeutet, jeden Kampf gegen Sexismus mit antikapitalistischen Forderungen zu verbinden - aber auch, innerhalb der ArbeiterInnenbewegung gegen Sexismus zu kämpfen anstatt Frauen zu sagen, sie sollten ihre Forderungen auf „später“ verschieben. Nur die Abschaffung jeglicher Klassengesellschaft hebt die ökonomische Basis des Patriarchats auf und ermöglicht eine Gesellschaft ohne Sexismus: „Emanzipation der Frau heißt die vollständige Veränderung ihrer sozialen Stellung von Grund aus, eine Revolution ihrer Rolle im Wirtschaftsleben.“ (Clara Zetkin: Für die Befreiung der Frau, 1889)

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Der Kampf von Frauen, der zur Revolution führte

Die Oktoberrevolution wäre ohne das Bewusstsein von Frauen, dass sich grundsätzlich etwas ändern muss, nicht möglich gewesen.
Theresa Reimer

Die russische Oktoberrevolution im Jahre 1917 gilt auch heute noch als wichtigstes Beispiel einer gelungenen sozialistischen Revolution. Lenin nennt Umstände, die charakteristisch für eine revolutionäre Situation sind: Die Unmöglichkeit der Bourgeoisie, ihre Herrschaft aufrecht zu erhalten und ihre Zerrissenheit über die notwendige Taktik, die verschärfte Not des Proletariats und damit einhergehende verstärkte Aktivität der Massen sowie das Gefühl, dass es einfach nicht so weitergehen kann.

Bereits im Jahr 1914 waren rund ein Drittel des russischen Industrieproletariats Frauen, 1917 waren es schon 40 %. Viele hunderte Frauen waren schon vor der Revolution in der bolschewistischen Partei organisiert. Dies nicht nur, weil sie konsequent für das Proletariat Stellung bezog, sondern auch, weil die Partei (wenn auch nicht alle ihre Mitglieder) die Forderungen und Rolle der Frauen verstanden hatte. Zum Beispiel begriffen die Bolschewiki, dass sowohl Männer als auch Frauen die Einheit der ArbeiterInnenschaft bildeten und entwickelten Forderungen wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Verbot von Zwangsehen, Schwangerschaftsurlaub, Recht auf Schwangerschaftsabbruch und Schutz vor Gewalt in der Ehe und Familie etc.

In der ArbeiterInnenbewegung gab es damals auch Stimmen, die die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollten, indem alle arbeitenden Frauen, deren Ehemänner ebenfalls arbeiteten, entlassen würden. Die Bolschewiki stellten sich quer. Sie gründeten eine Frauenorganisation mit eigener Zeitung namens Rabotznika (Die Arbeiterin), die auch zu Massendemonstrationen gegen Krieg, gegen die weiter anhaltende Preissteigerung und für Brot, aufrief. Damit sprach sie ganz bewusst Frauen an. Am 23. Februar 1917 (8. März nach unserem Kalender) löste ein Streik von Textilarbeiterinnen die Februarrevolution aus. Die Bewegung führte weiter zur Oktoberrevolution und läutete radikale Veränderungen für das Proletariat, aber v.a. auch für Arbeiterinnen und Bäuerinnen ein. Frauen waren erstmals per Gesetz gleichgestellt und erhielten dieselben Rechte wie Männer, die Ehe wurde zum Verwaltungsakt, Scheidungen leicht möglich. 

Ohne die Bolschewiki als revolutionäre Partei wäre der Sieg der Russischen Revolution nicht möglich gewesen. Doch für die Revolution selbst war die Entwicklung des Bewusstseins notwendig, und dazu gehörte auch, dass viele Frauen und Männer die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes verstanden. Dieses Bewusstsein war nicht von Anfang an vorhanden, es hat sich entwickelt. Frauen unterstützten nicht nur Männer in ihrem Kampf, sondern leiteten die Revolution mit Massenprotesten ein und stellten eine wichtige Triebkraft der Bewegung dar. Für viele wurde so in der Praxis deutlich, dass Frauen ein wichtiger Teil der ArbeiterInnenklasse und der revolutionären Bewegung sind.

Schon immer haben Frauen für ihre Rechte gekämpft - und waren Teil von Protestbewegungen, Streiks und Revolutionen. Im spanischen BürgerInnenkrieg spielten gerade Frauen eine wichtige Rolle, sie beteiligten sich in den Milizen direkt an den Kämpfen gegen den Faschismus. In der Pariser Commune waren Frauen federführend beteiligt. Auch in Burkina Faso wurde ein gesellschaftlicher Umsturz durch das politische Bewusstsein von Frauen initiiert. Durch Militärputsch kam 1987 Blaise Compaoré an die Macht und konnte sich 27 Jahre im Amt halten. Er baute die Errungenschaften der Revolution von 1983 gänzlich ab. Von 1983-87 hat das linke Regime unter Sankara mit sozialistischer Rhetorik Verbesserungen für die Massen, und v.a. für Frauen gebracht. Im Jahr 2014 erfasste eine Protestwelle das Land, ausgelöst durch Demonstrationen von tausenden Frauen, die seinen Rücktritt und ein Ende der Korruption forderten. Compaoré floh daraufhin aus dem Land.

Frauen werden von Bildung und vom gesellschaftlichen Leben eher ausgeschlossen, es wird daher oft behauptet, Frauen hätten ein niedrigeres Bewusstsein. Doch Frauen sind aufgrund der Rolle, die ihnen in der Familie aufgedrängt wird, besonders sensibel für soziale Verschlechterungen. Die Folgen von Krieg und Krise betreffen sie sehr rasch und unmittelbar. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Frauen die Demonstrationen am 8. März angeführt haben und dass die Forderung der Bolschewiki „Land, Frieden, Brot“ gerade auch bei Frauen viel Unterstützung fand.

Das zeigt auch, wie notwendig der gemeinsame Kampf von Frauen und Männern für Verbesserungen ist. Die Kämpfe von ArbeiterInnen für eine freie, sozialistische Gesellschaft und der Kampf von Frauen für ein Ende von Diskriminierung und Gewalt bedingen einander. Gerade auch Proteste, die von Frauen angeführt werden, zeigen wie sprunghaft sich Bewusstsein in Bewegungen entwickeln kann. Der Kampf um Frauenbefreiung stellt eine Notwendigkeit für den Sieg und das Gelingen der Revolution dar, denn wie auch schon Alexandra Kollontai gesagt hat: „Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau.“

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Parteiprogramm und Parteigeschichte wieder erhältlich

Lange waren Parteiprogramm und Parteigeschichte der SLP ausverkauft. Jetzt ist beides neu aufgelegt, die Parteigeschichte sogar vollständig überarbeitet.

  • SLP-Parteiprogramm: Den Wahnsinn des Kapitalismus beenden – Sozialismus erkämpfen

48 Seiten A5 um 2.- (plus Porto)

  • SLP-Parteigeschichte: Keine faulen Kompromisse – Vorwärts zum Sozialismus: Ein historischer Abriss unserer Arbeit und Methoden

92 Seiten A5 um 5.- (plus Porto)

  • Und ein Paket-Angebot: Programm & Geschichte * 10-Ausgaben Vorwärts-Abo um 25.-

Einfach Einzahlen auf unser Konto IBAN: AT256000000008812733 BIC: OPSKATWW und bei Verwendungszweck P&G&V-Paket angeben. Einzelbroschüren bitte Preis + 2.- fürs Porto überweisen.

 

 

Mehr zum Thema: 
Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Fake News und „seriöse“ Medien: Ihre Wahrheit gegen unsere

Sebastian Kugler

Auch „seriöse“ Medien geben eine einseitige Wahrheit wieder: die „Wahrheit“, die den Herrschenden nützt.

„Postfaktisch“ ist das Modewort dieser Tage. Das Oxford Dictionary wählte es zum internationalen Wort des Jahres 2016, und auch die Gesellschaft für deutsche Sprache verlieh ihm diesen Titel. Die „seriösen“ Medien sind voller Empörung über postfaktische Fake News: Nicht mehr Fakten, sondern Emotionen oder gar politische Motive bestimmen die gesellschaftliche und politische Debatte, so der Vorwurf.

Natürlich wird im Internet allerlei Unsinn verbreitet. Natürlich greifen Boulevardblätter jedes Gerücht auf, um eine Sensation zu verkaufen. Aber ist die „seriöse“ Presse deswegen neutral? Josef Urschitz schreibt in der Presse vom 30.12.2016 ganz nüchtern: „Stärkere Besteuerung der Erträge aus Besitz und „intellectual property“ sind schwer ideologisch belastet und greifen in bestehende Besitzstände ein“, und bezeichnet das Sozialsystem als „nicht mehr zeitgemäß“ – Niemand von den HüterInnen journalistischer Professionalität würde ihm hier vorwerfen, er verbreite Fake News. Eine neutrale „Wahrheit“ ist das jedoch auch nicht - Er drückt hier nur die Interessen der Klasse aus, für die er schreibt: die KapitalistInnen, die ihre Profite verteidigen wollen. In ihre Besitzstände (die aus unserer Arbeit kommen) einzugreifen, ist für ihn tabu. Die kapitalistische Ausbeutung ist auch für die „seriöse“ Presse ein Naturgesetz, das zu kritisieren oder gar zu bekämpfen unvernünftig oder „ideologisch vorbelastet“ ist.

Die herrschenden Medien drücken immer die allgemeinen Interessen der Klasse aus, die von den grundlegenden Mechanismen dieses Systems profitiert – und stellt sie als tatsächliche Interessen der ganzen Gesellschaft, als „Wahrheit“ dar. Vom Standpunkt all jener, die tagtäglich unter diesem System leiden, ist jedoch an dieser „Wahrheit“ nicht mehr dran als an einer wissentlich verbreiteten Lüge. Das Problem ist also nicht, dass die herrschende Presse lügt, wie die rechtsextremen „Lügenpresse“-Schreier behaupten, sondern dass sie die Wahrheit sagt: die Wahrheit ihrer Klasse. Was den Interessen der Herrschenden widersprach, war hingegen immer schon „unvernünftig“: Im 19. Jahrhundert die Idee der Gleichstellung von Frauen, im 20. Jahrhundert die Gegnerschaft zu imperialistischen Weltkriegen usw.

Im Zuge der wirtschaftlichen Krise wird immer klarer, dass es keine gemeinsamen Interessen verschiedener Klassen gibt. Der wehmütige Blick in vergangene, „sachlichere“ Zeiten ist die Sehnsucht nach einer Ära, in der die Herrschaft der KapitalistInnen noch stabiler war. Der „Brexit“ war für die Presse unvernünftig und postfaktisch – weil ihre Klasseninteressen, die Stabilität der EU, nicht mehr als oberstes Kriterium galten. Auch untereinander kriegen sie sich immer mehr in die Haare: Dieselben Medien, die gegen „Fake News“ ankämpfen, finden nun russische Verschwörungen hinter jeder Ecke, z.B. bei der US-Präsidentschaftswahl – Währenddessen schreiben putintreue Medien seit Jahren die NATO-Invasion Russlands herbei. Die zunehmende Rivalität zwischen westlichen Medien und z.B. dem russischen Sender RT ist Ausdruck der steigenden zwischen-imperialistischen Spannungen.

Aber (Falsch-)Informationen, ja sogar plumpe Lügen können sich nur in dem Maße verbreiten, in dem sie an ein bestehendes Bewusstsein anknüpfen. In dem Sinne sind sie nie Ursache, wohl aber Auslöser von Aktivitäten. Über die Zeit der bürgerlichen Revolutionen schreibt Marx: „So reif war Spanien für eine Revolution, dass selbst falsche Nachrichten genügten, sie hervorzurufen. Auch 1848 waren es falsche Nachrichten, die den revolutionären Orkan entfesselten.“ (Das revolutionäre Spanien, MEW 10, 481)

„Postfaktische“ Phänomene wie der Brexit, die Wahl Trumps oder der Aufstieg des europäischen Rechtspopulismus haben einen gemeinsamen Kern: In ihnen drückt sich Angst vor den Folgen der zerstörerischen kapitalistischen Krise und der Wunsch nach Veränderung aus. Gerade deswegen darf die Linke heute nicht „realistisch“ oder „vernünftig“ im Sinne der Herrschenden sein. „Verantwortungsvolle“, „sachorientierte“, „pragmatische“ Politik zu machen, bedeutet, sich mit den Herrschenden ins gleiche, sinkende Boot zu setzen. Das gibt wiederum der rechtsextremen Hetze Munition, die sich dann als einzige Alternative darstellen kann. Den Sachzwängen der Herrschenden müssen die Bedürfnisse von ArbeiterInnen und Arbeitslosen jeglicher Herkunft und aller Geschlechter kompromisslos entgegengestellt werden. Es braucht mehr linke Medien und Kräfte, die die existierende Wut auf das bestehende System aufgreifen und organisieren, auch wenn das als „unseriös“ diffamiert wird. Für die herrschende Klasse ist der Bruch mit der kapitalistischen Logik unvernünftig und den Fakten widersprechend. Für uns ist er notwendig.

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Wohnen zwischen Reform und Revolution

Tilman M. Ruster

Sozialistische Wohnpolitik ist viel mehr als leistbarer Wohnraum, denn Wohnen ist ja auch mehr als im Warmen schlafen. Im Kapitalismus hängt das Wohnen und damit der Lebensentwurf v.a. am Einkommen. Der angeblich perfekte Lebensentwurf braucht Geld: Das eigene Haus am Stadtrand, bewohnt von der „klassischen“, bürgerlichen Familie. Auch wenn das für die Mehrheit unerreichbar ist, gilt das in Medien und bürgerlicher Politik als die gesunde Norm. Die Ideal-Familie ist das Spiegelbild der kapitalistischen Gesellschaft: Strenge Hierarchien und Rollenbilder, jedeR hat einen fixen Platz und gewöhnt sich so daran, nicht aufzumucken. Die Aufteilung der Hausarbeit in der Familie ist hier wesentlicher Bestandteil: Bis heute verrichten Frauen den Großteil der Hausarbeit. Das wird aber nicht bezahlt, was in unserer Gesellschaft bedeutet, diese Arbeit sei weniger wert, die Unterdrückung der Frau also gerechtfertigt. In dicht besiedelten Städten wird versucht, dieses „Idealbild“ der bürgerlichen Familie aus dem 19. Jahrhundert in die Wohnungen der ArbeiterInnenklasse zu pressen. Das funktioniert natürlich nicht. Statt aber anderen/neuen Lebensweisen Raum zu geben, wird ein Abweichen von dieser „Norm“ als Scheitern gebrandmarkt. Wer also arm ist, ist außerdem irgendwie nicht „normal“.

Doch wie sieht der sozialistische Gegenentwurf beim Wohnen aus? Die vor-marxistischen Sozialisten, wie Owen oder Fourier, entwarfen detailreiche Projekte für tausende BewohnerInnen, wo von der Wohnung ausgehend ein kollektives Leben organisiert werden sollte. Arbeit, Freizeit, Bildung… alles sollte kollektiv stattfinden und zwar nach einem vorab festgelegten, starren Plan bis hin zu einer minutengenauen Einteilung des Tagesablaufs. Obwohl die Umsetzung solcher Versuche scheiterte, bleibt ein Gedanke doch richtig: Wo viele Menschen zusammen leben, kann das genutzt werden, um durch gute Planung Vorteile für alle zu schaffen.

Trotzki lud nach der russischen Revolution 1923 in seinem Artikel zu „Fragen des Alltagslebens“dazu ein, gemeinsam auf freiwilliger Basis Experimente für kollektiviertes Wohnen zu wagen. Die Idee beruhte auf der demokratischen Gestaltung der Wohnprojekte durch ihre BewohnerInnen und die Gesellschaft. Was dabei entstehen könnte, beschreibt er so:

Das Waschen muss in einer öffentlichen Wäscherei geschehen, die Versorgung mit Essen in einem öffentlichen Restaurant, Nähen durch öffentliche Einrichtungen. Die Kinder müssen durch gute öffentliche Lehrer erzogen werden, die eine echte Berufung für diese Arbeit spüren. Dann wird das Band zwischen Mann und Frau von allen äußeren und zufälligen Dingen befreit und der eine würde aufhören, das Leben des anderen völlig für sich in Anspruch zu nehmen. Echte Gleichberechtigung würde schließlich erreicht.“

Trotzki versprach sich von der Selbstbestimmung frei von Profitzwängen letztlich den Sprung „aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“ und damit in einer neuen Gesellschaft auch neue Formen des Wohnens und Zusammenlebens. Solange neue Wohnformen als Inseln im kapitalistischen Meer bleiben, sind sie bestenfalls sehr begrenzte Projekte, aber ändern an den gesellschaftlichen Normen noch nichts.

 

Mehr zum Thema: 
Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Seiten