Geschichte und politische Theorie

Marxismus und die Umwelt-Frage

Was die Analyse und Kritik der destruktiven Folgen für Natur und Gesellschaft durch die kapitalistische Industrialisierung angeht, kam Marx eine Vorreiterrolle zu
von Per-Åke Westerlund. „Rättvisepartiet Socialisterna“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Schweden)

Dem Marxismus wird häufig vorgeworfen, Natur und Umwelt als etwas Selbstverständliches zu betrachten. Schließlich bräuchte es wirtschaftliches Wachstum, um überhaupt in der Lage zu sein, Armut und Not lindern zu können. Fakt ist, dass diese Art der Darstellung ziemlich weit von der Wahrheit entfernt ist. Indem er die Arbeiten von Marx und Engels sowie die Erfahrungen heranzieht, die in den ersten Jahren nach der Russischen Revolution gemacht worden sind, versucht PER-ÅKE WESTERLUND von der Rättvisepartiet Socialisterna alle derartigen Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Der folgende Artikel erschien ursprünglich in der Socialism Today, Ausgabe 194 (Dezember 2015 / Januar 2016), dem Magazin der Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in England und Wales).

Wenn es um das Thema Umweltschutz geht, werden dem Marxismus von der politischen Rechten, manchen Öko-AktivistInnen aber auch von Teilen der Linken für gewöhnlich zwei wesentliche Vorwürfe gemacht: Auf der einen Seite wird behauptet, Karl Marx habe die Industrialisierung viel zu positiv dargestellt und Natur und Umwelt als grenzenlosen Quell betrachtet, den man bedenkenlos ausbeuten kann. Der zweite Vorwurf lautet, dass der Marxismus für einige der schlimmsten ökologischen Katastrophen verantwortlich zeichnet, zu denen es in der Sowjetunion gekommen ist.

Demgegenüber steht, dass es für MarxistInnen nichts Neues ist, sehr bewusst mit dem Thema Umwelt wie auch mit dem Kampf für den Umweltschutz umzugehen. In Wirklichkeit kam Marx bei der Analyse und Kritik der negativen Folgen der kapitalistischen Industrialisierung für Natur und Umwelt wie auch für die menschliche Gesellschaft eine Vorreiterrolle zu. Sowohl Marx als auch Friedrich Engels, die Autoren des „Kommunistischen Manifests“ von 1848, haben sich intensiv mit der Wissenschaft in all ihren Facetten auseinandergesetzt und deren Erkenntnisse angewendet.

Die kapitalistische Industrieproduktion, die Arbeiterklasse (das Proletariat) wie auch ihre Arbeitskraft waren zwar wenige Jahrzehnte zuvor erst entstanden, doch Marx verstand sie sofort als die Triebkräfte für die Entwicklung der Gesellschaft. Dass er die Bedeutung der Arbeiterklasse hervorhob, bedeutet jedoch nicht, dass er Natur und Umwelt dabei außer Acht gelassen hätte.

Interessanterweise betrachtete Marx die Arbeit als „Prozess zwischen Mensch und Natur, ein[en] Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert“ (Marx, Karl: „Das Kapital“, Bd. 1, Dritter Abschnitt). Dies wird in der „Kritik des Gothaer Programms“ von Karl Marx betont, in der er sich mit dem 1875 beschlossenen Gründungsprogramm der „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ (SAPD, die 1890 in SPD unbenannt worden ist; Erg. d. Übers.) auseinandersetzte. Marx widmet sich darin unter anderem der Erklärung, wonach die „Arbeit […] die Quelle alles Reichtums und aller Kultur“ sei. Im Gegensatz dazu schreibt Marx: „Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft“. Die falsche Annahme, wonach die Arbeit die einzige Quelle sei, geht auf Ferdinand Lassalle zurück und nicht auf Marx.

Marx warnte vor den Folgen, wenn die Beziehung zwischen Mensch und Natur falsch interpretiert wird. Dementsprechend sah er die Entfremdung der ArbeiterInnen in der kapitalistischen Produktion als Bestandteil desselben Prozesses wie die Entfremdung des Menschen von der Natur. Zu Marx´ Lebzeiten war dies vor allem im Falle der Industrialisierung der Landwirtschaft offenkundig.

Die Arbeiterklasse stand und steht an vorderster Front, wenn es darum geht, die Auswirkungen des Kapitalismus auf die Umwelt zu spüren zu bekommen. So stellen die Energieunternehmen in der Öl-, Kohle- und Atomindustrie eine direkte Bedrohung für die Beschäftigten in diesen Branchen dar – genau wir für die Menschen und die Umwelt ganzer Regionen oder gar Länder. ArbeiterInnen, die in diesen Industrien beschäftigt sind, gehören oft zu denen, denen die entsprechenden Gefahren am stärksten bewusst sind. Der Kampf für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist ein wesentlicher Bestandteil des Kampfes für vernünftige Umweltbedingungen.

Hinzu kommt, dass die marxistische Philosophie, der dialektische Materialismus, die Mittel zur Verfügung stellt, mit denen die Klimaproblematik von heute analysiert und erklärt werden können. Marx und Engels haben in der Mitte des 19. Jahrhunderts gezeigt, welchen Entwicklungen sowohl die Gesellschaft als auch die Natur durch die Anhäufung von Widersprüchen unterliegen, die zu qualitativen Sprüngen führen. Heute wenden KlimaforscherInnen diese Methode erneut an, wenn sie vor kritischen Punkten warnen, vor einem Moment, ab dem die Umwelt von jetzt auf gleich irreversiblen Veränderungen unterliegt.

Viele von denen, die Marx vorwerfen, er würde die Umwelt stiefmütterlich behandeln, haben sich nicht mit seinen Werken befasst, sondern wohl eher mit den Schriften seiner selbsternannten „Anhänger“ aus der Sozialdemokratie oder dem Stalinismus. Die Gesellschaften, die sie konstruiert und als Sozialismus bezeichnet haben, haben Marx in puncto Arbeiterdemokratie, was die Rolle des Staates angeht und auch hinsichtlich ihres Umgangs mit der Umwelt vollkommen konterkariert. Im Gegensatz dazu hat Marx geradezu prophezeit, dass „die Naturwissenschaft […] die Basis der menschlichen Wissenschaft werden [wird], wie sie jetzt schon […] zur Basis des wirklich menschlichen Lebens geworden ist […].“ (Marx, Karl: „Ökonomisch-philosophische Manuskripte“, 1844).

Marx und das Thema Umwelt

Will man verstehen, wie der Marxismus mit dem Thema Umwelt umgeht, so ist es unerlässlich, die Methode des Marxismus zu begreifen – dass Marx die Welt und ihre Geschichte immer in ihrer Gesamtheit betrachtet und als Ausgangspunkt für seine Analyse und sein Programm genommen hat. Die Tatsache, dass Marx den Kapitalismus als ein im historischen Maßstab fortschrittliches System wahrgenommen hat, ist von vielen falsch verstanden und verdreht dargestellt worden. So schrieb beispielsweise Michael Löwy vom „Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale“, dass Marx „eine ziemlich unkritische Haltung zur industriellen Zivilisation, vor allem ihrer destruktiven Beziehung zur Natur, hatte“. Löwy behauptete auch, dass „Marx keine durchgängige ökologische Perspektive anbietet.“ (übersetzt aus: „For a Critical Marxism“: „Against the Current“, November/Dezember 1997).

Marx zufolge besteht die fortschrittliche Seite des Kapitalismus zunächst in seinem Verhältnis zum Feudalismus und ist, was das angeht, nur vorübergehend. Die wesentliche Errungenschaft war, dass es sich beim Kapitalismus um die erste Gesellschaftsform gehandelt hat, die nicht nur die Grundlage zur eigenen Beseitigung sondern überhaupt erst die Klassen-Gesellschaft geschaffen hat. Wenn die Arbeiterklasse mit Unterstützung der armen Bauernschaft die Macht übernimmt, dann würde das zur Herrschaft der Mehrheit führen und den Beginn eines Prozesses hin zu einer vollkommen anderen Gesellschaftsform markieren. Und schon 1871, als die „Pariser Commune“ gegründet wurde und die ArbeiterInnen zwei Monate lang die Macht in ihren Händen hielten, stellten sich die Perspektiven von Marx als korrekt heraus.

Will man die Rolle, die dem Kapitalismus zukommt, verstehen, so bedeutet das nicht, dass man dieses System auch verteidigt. Vor allen anderen und in weit stärkerem Umfang als andere verstand Marx den Kapitalismus als ein System, das aus dem Mehrwert der Arbeit seinen Profit geriert. Zu diesem Zweck werden die Wissenschaften und die Naturkräfte entsprechend angepasst bzw. ausgebeutet. Die Gesundheit der ArbeiterInnen wird dabei ignoriert und ähnlich ergeht es Natur und Umwelt, die die Folgen entsprechend zu spüren bekommen. Marx erkannte deutlich die Schritte, die unternommen wurden, um die Natur den Bedürfnissen des Kapitalismus anzupassen, wovor er ausdrücklich warnte. Einige Kritiker meinen, Marx habe die Natur als etwas betrachtet, das kostenlos zu haben sei und unbegrenzt zur Verfügung stehe. Sein Ansatz bestand hingegen darin festzustellen, dass Natur und Umwelt im Kapitalismus keinen Wert haben. Seine eigene Schlussfolgerung war, dass auch die unberührte und nicht ausgebeutete Natur ebenfalls einen Gebrauchswert hat: so zum Beispiel die Luft, Wälder und Fischvorkommen.

Marx studierte insbesondere den non-mechanistic materialism nicht-mechanistischen Materialismus von Epikur (341-270 vor unserer Zeitrechnung) und die Dialektik von Hegel (1770-1831). Das brachte ihn zu seiner eigenen Philosophie, dem dialektischen Materialismus. Es war ein genialer Blick auf die Welt, der nahezu perfekt in die damalige historische Phase passte. Das bedeutsamste Ereignis jener Epoche, die Französische Revolution, war das Resultat sowohl ihrer materiellen Grundlagen – der kapitalistischen Ökonomie und einer Gesellschaft, die den Feudalismus überholt hatte – als auch des bewussten Agierens der revolutionären Massen.

Die Ideen von Marx waren von allen Philosophien, die mit der religiösen Vergangenheit gebrochen hatten, die, die am weitesten entwickelt war. Anstatt die Erde als unveränderlich und im Zentrum aller Dinge stehend zu betrachten, bei der die Menschheit wiederum das Zentrum von allem ausmache, geht der Marxismus – in Übereinstimmung mit dem klassischen Materialismus – davon aus, dass die Welt permanenter Veränderung unterworfen und sogar endlich ist. Das Leben sei demnach ein Produkt der Erde (der Natur) und keine Schöpfung Gottes. Die Menschheit war eins mit der Natur und stand nicht außerhalb der Natur. Desgleichen hat Marx auch die Geschichte nicht nach einem sozial-geschichtlichen und einem natur-geschichtlichen Teil unterschieden. Stattdessen betrachtete er sie als zusammenhängendes Ganzes. Dialektische Gesetze gelten sowohl für Natur und Umwelt als auch für die Gesellschaft. Ihre jeweilige Fortentwicklung hängt miteinander zusammen, beide beeinflussen sich gegenseitig. Marx benutzte den Begriff des „Metabolismus“, womit er eine Kette von Prozessen bezeichnete, die miteinander zu einem großen Ganzen verknüpft sind.

Marx zeigte, dass die zunehmende Unterteilung zwischen Stadt und Land einen Bruch in diesem Metabolismus darstellte. Zusammengefasst wurde dies mit dem Terminus „metabolic rift“ (dt.: „metabolischer Riss“) von John Bellamy Foster, dem Autoren des sehr hilfreichen Buchs „Marx’s Ecology: Materialism and Nature, 2000“. Im dritten Band von „Das Kapital“, das 1894 nach dem Tod von Marx (1883) veröffentlicht worden ist, beschreibt Marx den Kapitalismus als einen Bruch mit den Naturgesetzen des Lebens: „Auf der anderen Seite reduziert das große Grundeigentum die agrikole [von der Landwirtschaft lebende] Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in großen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riß hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens.“ (Marx, Karl: „Das Kapital“, Bd. 3, Sechster Abschnitt, 1894).

Vor dem Hintergrund einer Diskussion über den langfristigen Verfall des Erdbodens in Folge des Einsatzes von chemischen Düngemitteln in der Landwirtschaft, schrieb Marx, dass „jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur […] nicht nur ein Fortschritt in der Kunst [ist], den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit“ ist (Marx, Karl: „Das Kapital“, Bd. 1, Vierter Abschnitt, 1867).

Er erklärte: „Mit dem stets wachsenden Übergewicht der städtischen Bevölkerung, die sie in großen Zentren zusammenhäuft […] stört [die kapitalistische Produktion] den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d.h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit“ (ebd.). Und weiter: „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (ebd.). In einer sehr weitsichtigen Prognose warnte Marx, dass die ständige Modernisierung durch den Kapitalismus „diese[n] Zerstörungsprozeß“ (ebd.) verstärkt.

Engels fasste die Abhängigkeit von der Natur zusammen und betonte wie notwendig es ist, von ihr zu lernen: „Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ (Engels, Friedrich: „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“, 1876).

Marx und das Thema Sozialismus

Einige werfen Marx auch vor, er habe kein ausgearbeitetes Modell davon geliefert, wie eine zukünftige sozialistische Gesellschaft aussehen wird. Diese KritikerInnen glauben, sein Sozialismus würde bedeuten, dass die Arbeiterklasse die Macht ergreift, während die Ökonomie, die Produktion und der Umgang mit Natur und Umwelt im Grunde genommen so bleiben wie unter dem Kapitalismus. Es ist wahr, dass Marx und Engels sich von den utopischen SozialistInnen unterschieden, die detaillierte Pläne für die ideale Gesellschaft vorlegten. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie in ihren Schriften nicht die Unterschiede zwischen Kapitalismus und Sozialismus beschrieben hätten.

Marx und Engels haben die enormen Kosten für die kapitalistische Produktion erfasst, die von den ArbeiterInnen, Bäuerinnen und Bauern, der Natur und der Gesellschaft zu tragen sind. Sie stehen für die völlige Veränderung der Produktion, die durch das ersetzt werden soll, was Marx die kooperative Produktion nannte. Das anarchistische System des Kapitalismus würde durch soziale Kontrolle ersetzt und dadurch, dass Produktion und Verteilung zum Eigentum der Gesellschaft werden. Organisiert werden müsse dies durch gesellschaftliche Planung.

Wie aber sieht es mit den Voraussagen von Marx über den Sozialismus als eine Gesellschaft aus, in der die Produktion ausgeweitet wird und die Ressourcen im Überfluss zur Verfügung stehen? Würde das nicht nur zu weiteren Katastrophen für Natur und Umwelt führen? Sowohl zu Marx’ Lebzeiten wie auch heute gilt ganz eindeutig, dass das oberste Ziel darin besteht, jeder und jedem ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dies wird zu einer Steigerung der Lebensmittelproduktion führen, zur Bereitstellung von Wohnraum, Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge, Bildung und auch zu einer stärkeren Verbreitung moderner Technik. Im 19. Jahrhundert wäre die Deckung dieses entsprechenden Bedarfs auf Kosten der Herstellung von Waffen, Luxusgütern o.ä. möglich gewesen. Heute gilt dies umso mehr! Schließlich werden aktuell enorme Ressourcen verschwendet, um sie für militärische Zwecke zu nutzen oder sie dem Konsum von Luxusartikeln des viel zitierten „einen Prozent der Bevölkerung“ zu überlassen.

In seiner „Kritik des Gothaer Programms“ und in „Das Kapital“ diskutierte Marx die Notwendigkeit, die Ressourcen zwischen individuellem Konsum und der nötigen Erhöhung des gesellschaftlichen Konsums ins richtige Gleichgewicht zu bringen. Er fasste dabei ebenso ins Auge, dass Ressourcen ja auch für Investitionen aber gleichfalls als gesellschaftliche Reserve zurückgelegt werden müssen. Dementsprechend ging es auch um eine Balance zwischen Arbeitszeit, die es demnach zu senken galt, und der Freizeit. In einer solchen Gesellschaft, würde jede und jeder arbeiten, jede und jeder könnte die eigenen Fähigkeiten und den eigenen Verstand weiterentwickeln, und alle würden Zeit haben, sich an der Organisierung der Gesellschaft zu beteiligen.

Die sozialistische Gesellschaft würde die Entfremdung aufheben und es allen erlauben, sich frei von den Einschränkungen durch die heutige Lohnarbeit und das Kapital zu entwickeln. Das würde auch bedeuten, dass „die vollendete Wesenseinheit des Menschen mit der Natur, die wahre Resurrektion [das Wiedererwachen] der Natur, der durchgeführte Naturalismus des Menschen und der durchgeführte Humanismus der Natur“ ist (Marx, Karl: „Ökonomisch-philosophische Manuskripte“). Eine sozialistische Revolution würde nicht nur die ArbeiterInnen und die Menschheit befreien sondern ebenso die Natur. Wenn der Boden zum Eigentum der Gesellschaft geworden ist, dann wird die Umwelt nicht länger ein Produkt sein, von dem man profitieren kann.

Unter den Programmpunkten, die im „Kommunistischen Manifest“ vorgeschlagen werden, finden sich einige Forderungen, die heute genauso wichtig sind und ihre Bedeutung für Natur und Umwelt haben wie früher (vgl.: Marx, Karl/Engels, Friedrich: „Manifest der Kommunistischen Partei“, 1848). Die erste Forderung lautet: „Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente [Grundsteuer] zu Staatsausgaben“. Dies kann bei jedem Protest angewendet werden, der sich gegen gefährliche Bergbauprojekte richtet, gegen Ölfelder und das Fracking. Der zweite Teil dieser Forderung unterstreicht, dass Einnahmen, die mit dem Land erzielt werden, von öffentlichen Unternehmen verwaltet werden sollten. Forderung Numero sechs bringt die Notwendigkeit ins Spiel, bei Transport und Verkehr zu einer Lösung kommen zu müssen: „Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staates“.

Auch die siebte Forderung beinhaltet wichtige Bezüge zur Umweltfrage: „Vermehrung der [in staatlichem Besitz befindlichen] Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung aller Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan“. Gefordert wird eine gemeinsame Planung, die auf dem gemeinsamen Eigentum statt auf der Ausbeutung durch Privateigner basiert, um den Boden sorgsam behandeln und seine Qualität verbessern zu können. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Frage, wie die Stoßrichtung der Gesellschaft verändert werden kann, damit einhergeht, wie es um die Eigentumsverhältnisse bestellt ist, wer die Macht inne hat und wer was kontrolliert. Das gilt auch, wenn es um den Umgang mit Natur und Umwelt geht.

Bolschewiki waren Pioniere

Die Arbeiterklasse in Russland und Völker, die vom Zar unterdrückt worden sind, übernahmen im Oktober 1917 die Macht. Ganz im Gegensatz zu heute, da die Regierung der Bolschewiki übel verleumdet wird, revolutionierte sie in allen Bereichen der Gesellschaft die Politik. So war das revolutionäre Russland das erste Land der Welt, in dem Rassismus und Antisemitismus verboten worden sind, und das erste Land, das das Recht auf Abtreibung, Scheidung und Homosexualität gewährleistete. Auf ganz ähnliche Weise leisteten die Bolschewiki unter der Führung von Lenin und Leo Trotzki mit ihrer radikalen Politik auch im Bereich der Umweltbelange Pionierarbeit.

Vor der Revolution war Russland auf diesem Gebiet – wie auch in etlichen anderen Bereichen – ein ökonomische zurückgebliebener Staat. „Unter der Herrscherdynastie der Romanows scheiterten die WissenschaftlerInnen damit, Regierungsvertreter, Geschäftsleute und sogar die eigenen KollegInnen zu überzeugen, moderne wissenschaftliche Techniken zu übernehmen, um die Ressourcen zu schonen und ihr Vorhandensein für aktuelle wie auch künftige Generationen sicherzustellen [„Umweltschutz“] … die meisten der angedachten Projekte mussten bis nach der Russischen Revolution warten, da die zaristische Regierung sie als zu teuer betrachtete und wohl meinte, sie seien ohnehin unnötig“ (Josephson, Paul u.a.: „An Environmental History of Russia“ [Sammelband], 2013).

Unter der Führung der Bolschewiki kam die Arbeiterklasse in einem Land an die Macht, das durch den Ersten Weltkrieg schwer verwüstet worden war. Und das Erste, was sie danach erleben mussten, war, dass sie sogleich selbst zum Ziel von militärischen Angriffen durch einfallende Armeen und ehemals zaristische Generäle wurden. Dennoch handelte die neue Regierung sofort – auch was die Umweltbelange anging. Zwei Tage nach der Übernahme der Macht wurde das „Dekret über den Boden“ erlassen, mit dem alle Wälder, Bodenschätze und das Wasser verstaatlicht wurden. Ein halbes Jahr später, im Mai 1918, folgte ein weiteres Dekret mit dem Titel „Über die Wälder“. Damit wurde die Kontrolle über die Wiederaufforstung und den Schutz der Wälder zentral in eine Hand gelegt. Der Waldbestand wurde in zwei Kategorien aufgeteilt, wovon die eine vor Ausbeutung geschützt wurde. Dies war ein wichtiger Schritt, da viele Wälder unter dem Zaren komplett gerodet worden waren. In ähnlicher Weise verfuhr man auch bei der Jagd, die reglementiert wurde und nur noch während einer bestimmten Saison erlaubt war. „Überraschender Weise ermöglichte die Russische Revolution den Aufbau moderner Forschungseinrichtungen, mit denen die ozeanographischen Fischbestände wie auch die der Binnengewässer erforscht wurden.“ („Environmental History“).

All dies waren Entscheidungen, die in extrem turbulenten Zeiten gefällt worden sind. „Während des Aufruhrs durch den Bürgerkrieg und den Kriegskommunismus schaffte es die bolschewistische Regierung dennoch, WissenschaftlerInnen zu unterstützen, von denen einige auch an Schwerpunkten arbeiteten, die für die Umwelt von Belang waren. Und mit dieser Unterstützung bauten WissenschaftlerInnen ihre Aktivitäten im Bereich der Umweltforschung aus“. 1920 war Lenin an der Gründung des ersten Naturschutzgebiets der Welt, dem Il’menskii, beteiligt, das vom Staat finanziert wurde und ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken diente. 1924 existierten bereits vier solcher Reservate („zapovedniks“). Es wurden zahlreiche neue Forschungsinstitute gegründet. Russische WissenschaftlerInnen waren als führende ÖkologInnen angesehen, und an der Moskauer Universität wurden Seminare zur Umwelt-Thematik abgehalten. Der Wissenschaftler Wladimir Wernadski und sein Konzept der „Noosphäre“ wurden weltbekannt. Das war „ein neuer Status für die Biosphäre, in der die Menschen bei der Veränderung eine aktive Rolle spielen, die auf der Anerkennung von Männern und Frauen basiert, dass es eine Verbindung zur Natur gibt.“ („Environmental History“).

Die Revolution ebnete den Weg für das explosionsartige Entstehen von Umweltorganisationen, eine Entwicklung, die von den Bolschewiki begrüßt und befördert wurde. Das TsBK (Zentrales Büro zur Erforschung lokaler Überlieferungen) hatte 70.000 Mitglieder in 2.270 Ortsverbänden. Eine ähnliche Bedeutung hatte das VOOP (All-Russische Gesellschaft zum Schutz der Natur). Die AktivistInnen und WissenschaftlerInnen gaben Magazine wie z.B. „Probleme der Ökologie und Biozönologie“ heraus. Sie veranstalteten auch Versammlungen und organisierten Treffen für Studien vor Ort, um darüber das Interesse an der Wissenschaft im ländlichen Raum zu erhöhen. Führende Bolschewiki, unter ihnen auch Nadeschda Krupskaja, diskutierten, wie man die Umweltbedingungen in den Groß- und Kleinstädten verbessern kann. Das mündete im Modell der „grünen Stadt“ mit mehr Parks und begrünten Arealen.

Diese revolutionären Ansätze fanden allerdings ihr abruptes Ende, da die gesellschaftliche und politische Konterrevolution des Stalinismus auch eine ökologische Konterrevolution war. „Nach der Russischen Revolution, im Zuge des gesellschaftlichen Aufbruchs und während der politischen Experimentierphase der 1920er Jahre, breiteten sich die erst im Entstehen begriffenen ökologischen Wissenschaften extrem schnell aus. Staatsbedienstete, WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen arbeiteten ein ambitioniertes Programm zur Elektrifizierung des ganzen Landes aus […]“. Dann, als Stalin die Macht übernahm, wurden auch „einige der fähigsten BiologInnen, SpezialistInnen der Forst- und Fischereiwirtschaft, AgrarwissenschaftlerInnen und ÖkologInnen“ Opfer seiner Jagd auf sogenannte „Verräter“.

Stalinismus contra Umwelt

Unter der Herrschaft des Stalinismus kam es zu einigen der schlimmsten Umweltkatastrophen: zur Zerstörung des Aralsees zwischen Kasachstan und Usbekistan, der atomaren Katastrophe von Tschernobyl (in der Ukraine) und zu mehreren aufgrund von Umweltzerstörung lebensfeindlich gewordenen Städten. Wie war dies möglich? Und: Stand diese Entwicklung in irgendeinem Zusammenhang zu den Bolschewiki und dem Sozialismus?

Der Zusammenhang bestand darin, dass Stalins Regime die bolschewistische Partei, die die Revolution von 1917 angeführt hatte, ermorden und zerstören ließ. Möglich war dies vor dem Hintergrund niedergeschlagener Revolutionen in allen anderen Ländern und der vorherrschenden Lage in Russland. Das Land war wirtschaftlich und kulturell weiterhin als rückständig zu bezeichnen, was durch die Zerstörungen, die auf den Ersten Weltkrieg und den anschließenden Bürgerkrieg zurückzuführen waren, noch verstärkt worden war.

Als Stalins Regime sich gefestigt hatte, verfolgte sie keine andere Ideologie als die, sich selbst an der Macht zu halten. Um dies zu erreichen, musste Stalin eine grundlegende Errungenschaft der Revolution beibehalten: Die verstaatlichte Wirtschaft, auf der die ganze stalinistische Bürokratie aufbaute. Somit konnte die brutale Diktatur auch noch fälschlicher Weise behaupten, das Erbe der Revolution angetreten zu haben. Dabei war es weder Sozialismus noch Kommunismus. Stalin legte eine 180-Grad-Wendung hin, wovon auch Natur und Umwelt betroffen waren. Unter seinem Regime wurde die Landwirtschaft gewaltsam kollektiviert, der Schutz der „zapovedniks“ wieder aufgehoben und der Kahlschlag der Wälder wurde wieder aufgenommen.

Die stalinistischen Methoden gegen jedwede Opposition waren brutal: „Verhaftungen, Verhöre und Folter, um Schuldgeständnisse und Falschaussagen zu erzwingen. Einher ging dies mit Anklagen wegen Spionage, Umsturz und Verleumdung der Sowjetunion auch gegen WissenschaftlerInnen, die scheinbar in Opposition zum stalinistischen Programm standen“. VOOP und TsBK wurden so lange „gesäubert“, bis sie im Prinzip nicht mehr existierten. Die Diktatur „machte unabhängige und vernünftige Aktivitäten nahezu unmöglich“ (An Environmental History).

Alle unabhängigen Organisationen von ArbeiterInnen und AktivistInnen wurden verboten, was auch den Weg zur Zerstörung der Umwelt ebnete. Zuvor bestehende, ganz hervorragende Vorschriften und Gesetze, sind nie umfassend umgesetzt worden. Verschwendung und Missmanagement nahmen Überhand. Die Wissenschaft büßte die ihr als Voraussetzung nötige Meinungsfreiheit ein. In den 1930er Jahren legte Trotzki Wert darauf, dass die Planwirtschaft auf Arbeiter-Demokratie basieren muss, wie der Körper den Sauerstoff zum Leben braucht. Andernfalls würde sie (die Planwirtschaft) degenerieren und letztendlich absterben. Trotzkis Führung der Opposition gegen Stalin und sein Einsatz für eine politische Revolution gegen das Regime zeigen, wie MarxistInnen zum System des Stalinismus standen – das betrifft auch die Umwelt-Frage.

Das parasitäre Regime unter Stalin nutzte die riesigen Arbeitslager, in denen unzählige politische Gefangene saßen, um eine rasante industrielle Expansion voranzutreiben. Das Lager von Workuta, in denen viele TrotzkistInnen interniert waren, ist 1932 eingerichtet worden, um den Kohlebergbau auch nördlich des Polarkreises durchzusetzen. Millionen von Gefangenen sind unter dem wachsamen Auge der Geheimpolizei des NKWD als ZwangsarbeiterInnen bei Bauprojekten, in Bergwerken und in der Forstwirtschaft eingesetzt worden. Die meisten der Großprojekte im Stalinismus waren das Ergebnis zentral gefällter Entscheidungen, bei denen die unterschiedlichen geografischen Gegebenheiten nicht mit in Betracht gezogen worden sind.

Anstatt sich nach dem Zweiten Weltkrieg der enormen Verwüstungen und sogar des Hungers in Russland zu widmen, brachte seine ganze Anmaßung und Überheblichkeit Stalin dazu, einen bombastischen „Plan zur Umformung der Natur“ aufzulegen. Das führte zur Umlegung ganzer Flüsse und der Umgestaltung von Wald- zu Industriegebieten. Bei Trofim Lyssenko, dem Ideologen, der hinter diesem Plan stand, handelte es sich um einen Scharlatan, der vorgab, Pflanztechniken erfunden zu haben, die in Wirklichkeit zum Absterben ganzer Wälder führten. Unter dem Stalinismus und dem nach o.g. Lyssenko benannten Lyssenkoismus hatte die Natur keinen eigenen Wert mehr.

Der Stalinismus ist als System auch nach dem Tod von Stalin im Jahr 1953 beibehalten worden. Einige Jahre später, 1957, kam es zur Atomkatastrophe von Kyshtym im südlichen Ural, die vom Regime, das nun unter der Führung von Nikita Chruschtschow stand, geheimgehalten worden ist. Umweltverschmutzung, Großprojekte und das völlige Verbot jeder Umweltschutz-Aktivität blieben fortbestehen.

Die kapitalistische Kritik am Stalinismus – die das stalinistische System unverändert mit dem Sozialismus gleichsetzt, um letzteren in Verruf zu bringen – hat nicht viel, auf das sie stolz sein kann. „In vielerlei Hinsicht sind die westlichen Demokratien denselben Weg einer halsbrecherischen Entwicklung und verschwenderischer Ausnutzung der Naturreserven gegangen. Auch unter ihrer Ägide wurden Ökosysteme zerstört und reichlich spät erst wurden Gesetze und Regularien eingeführt, mit denen künftige Probleme abgestellt oder eingegrenzt worden sind […] In den 1990er Jahren meinten viele Beobachter, dass die Demontage der zentralisierten Planwirtschaft automatisch zu einer Verbesserung der Umweltbedingungen führen würde […] Die Realität hat gezeigt, dass das exakte Gegenteil richtig ist. Es existieren nun neue Gefahren für die Nachhaltigkeit, wie etwa der Ausverkauf von Ressourcen, die Neustrukturierung der Wirtschaft, die die Ausgaben für den Umweltschutz dramatisch zusammengestrichen hat, und die Entscheidung von Präsident Putin aus dem Jahr 2000, die >Umweltschutzbehörde der Russischen Föderation< endgültig aufzulösen“ (An Environmental History).

Marxismus heute

Heute engagieren sich immer mehr Menschen zu den Themen Klima und Umwelt. Überall auf der Welt kommt es zu zahlreichen Kämpfen gegen große Ölkonzerne, Fracking, gefährliche Industrieabfälle, geplante Autobahnen und Bergbauprojekte. Diese Kämpfe richten sich allzu oft auch gegen damit zusammenhängende leere Versprechungen von Politikern. MarxistInnen beteiligen sich an diesen Kämpfen: vom Kampf im US-amerikanischen Seattle gegen die „Shell“-Bohrinsel über den Kampf, der den Autobahntunnel im australischen Melbourne stoppte, und die riesigen lokalen Bewegungen gegen Goldbergwerke in Griechenland bis hin zum Kampf gegen das Fracking in Irland.

Unter den KlimaaktivistInnen findet der Antikapitalismus immer stärkere Verbreitung. In ihrem neuesten Buch, „This Changes Everything“, das den Untertitel „Kapitalismus contra Klima“ nicht zufällig trägt, berichtet Naomi Klein, wie rechtslastige Aktivisten vom Schlag der „Tea Party“ meinen, dass der Klimawandel nur eine Erfindung von „Kommunisten“ sei, weil diese die Planwirtschaft einführen wollen. Mit diesem verdrehten Ansatz meinen sie, die Unfähigkeit des Kapitalismus erklären zu können, der diese enorme Krise einfach nicht in den Griff bekommt. Das System, so beschreibt es Klein, befindet sich mit dem Leben auf der Erde im Krieg, und dazu zählt auch das menschliche Leben.

Seit der Zeit von Marx und Engels hat sich die Welt natürlich verändert. Heute hätte Marx zweifelsfrei mit großem Eifer die Berichte der Umwelt- und KlimaforscherInnen verfolgt. Der „Riss“, den er hinsichtlich der interdependenten Funktionen der Erde entdeckt hatte, hat sich enorm und in beschleunigtem Tempo vergrößert. Zuallererst sind MarxistInnen heute in der Lage, einen Ausweg aufzuweisen. Zunehmende Krisen in den Bereichen Umwelt und Gesellschaft sind auf ein und dasselbe System, den Kapitalismus, zurückzuführen, und der Kampf gegen sie hängt eng miteinander zusammen.

Freiwillig werden die Ölkonzerne und ihre Verbündeten niemals aufgeben. Die einzige Kraft in der Gesellschaft, die in der Lage ist, die Klimakrise in den Griff zu bekommen, ist die stärkste kollektive Kraft überhaupt: die Arbeiterklasse. Sie muss mit der wachsenden Anzahl an ohnehin schon kämpfenden Menschen, die sich für die Umwelt einsetzen (von denen viele indigenen Volksgruppen angehören, Bäuerinnen und Bauern sind bzw. zur Landbevölkerung zählen), ein Bündnis schmieden. Krisen und damit zusammenhängende Kämpfe türmen sich bis hin zur sozialen Revolution auf, wodurch der Kapitalismus abgeschafft wird.

Die Klima- und Umweltkrise ist bereits sehr weit vorangeschritten, wodurch noch einmal hervorgehoben wird, wie dringend nötig es ist, endlich entschieden zu handeln. Die einzige wirkliche Alternative ist der demokratische und nachhaltig planvolle Einsatz der Ressourcen in globalem Maßstab. Eine solche demokratische, sozialistische Gesellschaft wird die Lebensstandards für die große Mehrheit der Menschen verbessern, da Natur und Menschheit als ein ineinander verwobener Körper verstanden werden.

 

 

Weshalb es keinen ökologischen Kapitalismus geben kann

von Pete Dickenson, „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in England und Wales)

Die immensen Betrugsvorgänge bei „Volkswagen“, dem zweitgrößten Autohersteller der Welt, fassen förmlich zusammen, wie das kapitalistische System zu unserer Umwelt steht. VW hat weltweit die Abgasuntersuchungen für seine Fahrzeuge manipuliert, um den kurzfristigen Profit in die Höhe schnellen zu lassen. Und die EU hat – unter dem Druck der Regierungen, die die heimische Autoindustrie stützen – nichts unternommen. Dass tausende Menschen an Krankheiten sterben, die direkt auf diese Umweltbelastung zurückgehen, oder dass der Ausstoß von Treibhausgasen das Leben auf der Erde bedroht, spielt absolut keine Rolle. PETE DICKENSON untersucht dieses systematische Versagen. Sein Artikel erschien zuerst in der Socialism Today (Ausgabe 194, Dezember 2015 / Januar 2016), dem Magazin der Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in England und Wales).

Es ist mehr als ein Vierteljahrhundert her, dass die herrschenden Klassen dieser Welt ernsthafte Gespräche über die globale Erwärmung begonnen habe. Damals bereiteten sie sich auf ihren „Weltklimagipfel“ vor, der 1992 in Rio stattfand und von der UNO organisiert worden ist. Bislang sind allerdings keine nennenswerten Schritte unternommen worden, um das Problem in den Griff zu bekommen; und dass, obwohl die Mehrheit des kapitalistischen Establishments tatsächlich begriffen hat, dass etwas geschehen muss. Auch der Klimagipfel von Paris macht nicht den Anschein, aus diesem Muster auszubrechen. Woran aber liegt es, dass so unheimlich wenig getan wird?

Vor allem an zwei Beispielen wird klar, was die tieferliegenden Ursachen dafür sind, dass ein der Lage angemessenes Abkommen ausgeblieben ist. Da wäre zunächst das System des Emissionshandels, das vollkommen gescheitert ist. Ursprünglich sollten damit die Treibhausgasemissionen reduziert werden, die für die Erderwärmung verantwortlich sind. Zweitens ist das Schicksal der staatlichen Subventionen für erneuerbare Energien (wie z.B. Solar- und Windkraft) zu nennen.

Von Anfang an ist der Emissionshandel als das marktwirtschaftliche Instrument zur Reduzierung von Treibhausgasen angepriesen worden. Nach jahrelangem Streit einigte man sich 1997 dann im japanischen Kyoto auf eine Vereinbarung zur Einführung eines Emissionshandels für Kohlenstoff. Dieser schloss auch rechtlich bindende Obergrenzen für den Ausstoß von CO2-Emissionen mit ein, was eines der wichtigsten Treibhausgase darstellt. Mit diesem Vertrag bekam jedes Land seine eigenen Höchstwerte für Emissionen zugewiesen. In den Ländern erhielten die einzelnen Unternehmen dann eigene Richtwerte, die nur dann überschritten werden durften, wenn eine Genehmigung zur zusätzlichen Luftverschmutzung ausgestellt wurde. Die Kosten für eine solche Genehmigung sollten so hoch angesetzt werden, dass Konzerne von einer Überschreitung der Werte Abstand nehmen würden.

Von Anbeginn zwang der Druck der Länder mit relativ hohen Emissionsmengen die Fürsprecher dieses Abkommens dazu, eine ganze Reihe von Schlupflöchern in das Machwerk einzubauen. Das ist der Grund, weshalb die gesetzten Obergrenzen äußerst moderat ausfielen. Die Emissionen sollten nur um wenige Prozentpunkte reduziert werden, was der Problemlage in keinster Weise mehr entsprach. Hinzu kam, dass auch noch Vereinbarungen zur „Verrechnung“ eingeräumt wurden, über die die Unternehmen grüne Projekte in armen Ländern fördern und somit die Genehmigung zu stärkerer Verschmutzung erlangen konnten. Diese Option führte zu einer Reihe von skandalösen Betrugsfällen.

Mit wesentlich mehr Ernsthaftigkeit sind die Regierungen schließlich darangegangen, so viele Sondergenehmigungen auszustellen, wie es ihnen passte. Schätzungen gehen davon aus, dass der Preis für eine solche Genehmigung wenigstens 35 Dollar je zusätzlich ausgestoßener Tonne Kohlenstoff betragen muss, damit ein Unternehmen überhaupt an die Möglichkeit einer Emissionsverringerung zu denken beginnt. In der Praxis mussten für Sondergenehmigungen Zahlungen geleistet werden, die nur sehr selten über einstellige Beträge je zusätzlicher Tonne hinausgingen, und am Ende wurden diese Genehmigungen – nach dem Einsetzen der Wirtschaftskrise von 2007/-08 – mehr oder weniger kostenlos ausgestellt, weil die Regierungen mehr oder weniger alles unterschrieben haben, was die Unternehmen von ihnen verlangten.

Das Scheitern des Kyoto-Abkommens ist ein sehr bedeutsames Beispiel dafür, wie der Kapitalismus nicht in der Lage ist, angemessen auf die Gefahren der globalen Erwärmung zu reagieren. Selbst für Kapitalisten stellt dieses Scheitern wahrscheinlich keine besonders große Überraschung dar. Das Ziel bestand darin, die USA, den weltgrößten Umweltverschmutzer jener Zeit, dazu zu motivieren überhaupt teilzunehmen. Versucht wurde dies, indem man das Genehmigungsverfahren so schmerzfrei wie möglich gestaltete. Den Todesstoß bekam das Kyoto-Protokoll versetzt, als die US-Regierung eine Beteiligung daran ablehnte und die Interessen des US-Kapitalismus über alles andere stellte.

Selbst wenn das Abkommen von Kyoto erfolgreich umgesetzt worden wäre, ist immer noch zweifelhaft, ob es die nötigen Auswirkungen gehabt hätte. Auch wenn es sich nicht um eine Steuer auf CO2 -Emissionen im klassischen Sinn gehandelt hat, so hat die Methode des Handels mit Emissionswerten in einer Monopolwirtschaft dennoch dazu geführt, dass die Unternehmen ihre daraus resultierenden Zusatzkosten (für die Genehmigungen) an die VerbraucherInnen weitergegeben haben. Das führte zum selben Problem wie es auch der Idee von der Öko-Steuer anhaftet: In welchem Umfang und wie schnell würde ein Anstieg bei den Energiekosten zu ökologischerem Umgang mit den Energieträgern führen?

Die meisten VerbraucherInnen haben gar nicht erst die Möglichkeit, sich beispielsweise für einen Ökostrom-Anbieter zu entscheiden. Sie können nicht anders als auf die derzeit zur Verfügung stehenden umweltschädlichen Technologien zurückzugreifen. Selbst wenn der Preis für eine Sondergenehmigung spürbar steigen würde – was höhere Energiekosten zur Folge hätte –, so würden die Treibhausgasemissionen nur geringfügig zurückgehen. Jedenfalls nicht merklich im Verhältnis zu dem, was nötig wäre. Und nötig ist ein Emissionsrückgang von 40 Prozent bis zum Jahr 2020. Obwohl diese Branche wesentlich flexibler mit Preisschwankungen umgehen kann als der Energiesektor, trifft dieselbe Aussage auch auf das öffentliche Verkehrswesen zu. Ein Anstieg der Kraftstoffpreise würde auch hier nicht zu einem schnelleren Übergang hin zu effizienteren Energiesystemen führen, da es zu lange dauern würde, das öffentliche Verkehrswesen ökologisch auszurichten.

Für SozialistInnen geht mit dieser sehr wichtigen Frage auch das Problem der gerechten Verteilung einher. Bei der CO2-Steuer, auf die das System des Emissionshandels hinausgelaufen wäre, handelt es sich um eine regressive Steuer, weil die Ärmeren einen größeren Prozentanteil ihres Einkommens für Energiekosten aufwenden müssen. Wenn der Preis für eine Sondergenehmigung für zusätzliche Emissionen hoch genug wäre, um überhaupt eine positive Auswirkung auf die Umwelt zu haben, dann würde sich damit die ohnehin schon bestehende Ungleichheit bei der Verteilung weiter verschärfen. Abgesehen davon würde das, wenn ein solch hoher Preis für die Genehmigungen durchgesetzt wäre, die Profite der Unternehmen schmälern und zu massivem Widerstand von Seiten der multinationalen Konzerne führen.

Aufstieg und Fall der erneuerbaren Energieträger

Weil sie eine direktere Form der staatlichen Intervention darstellten, hätte man von den Subventionen für erneuerbare Technologien weitaus mehr erwarten können, die im ersten Jahrzehnt zu Beginn dieses Jahrhunderts in großem Stil eingeführt worden sind. Fakt ist, dass diese Subventionen einen – wenn auch zu kleinen – Effekt hatten. 2013 machten die erneuerbaren Energien 8,5 Prozent der weltweit erzeugten Energiemenge aus (Quelle: United Nations Environment Programme [UNEP], Global Trends in Energy Investment, 2014). Darüber hinaus speisten sich 43 Prozent der 2013 neu hinzugekommenen Energiekapazitäten aus den erneuerbaren Energieträgern. Oberflächlich betrachtet war die Statistik ermutigend, was einige ökologisch motivierte KommentatorInnen zu der Aussage brachte, dass die (kapitalistische) Welt am Ende doch noch aufgewacht sei und das Problem der globalen Erwärmung erkannt habe.

Will man überprüfen, ob diese Aussage stimmt, so ist es nötig, die Investitionstätigkeit für jedes einzelne Land zu betrachten und sich die Trends bei den Ausgaben anzusehen sowie zu hinterfragen, welche Motive dahinterstehen mögen. Das Ergebnis dieser Untersuchungen muss dann mit der Investitionstätigkeit verglichen werden, die insgesamt nötig wäre, um den weltweiten Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius (im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit) zu halten. Klimaforscher gehen nämlich davon aus, dass jede Erwärmung über dieser Grenze zu nicht mehr kontrollierbaren weiteren Temperaturanstiegen führen wird. Am Ende und vielleicht am wichtigsten ist es, den Zeitraum mit einzubeziehen, in dem dieses Ziel erreicht werden muss.

Im Welt-Maßstab haben die Investitionen in erneuerbare Energieträger 2011 mit 257 Milliarden Dollar ihren Höhepunkt erreicht und sind seither wieder um 23 Prozent zurückgegangen. Die Austerität in Europa war dafür ein ganz wesentlicher Grund. In Deutschland sind die Ausgaben um 56 Prozent zurückgegangen und in Italien sogar um 75 Prozent (Quelle: Bloomberg, New Energy Finance, 2014). Die Folgen für die Umwelt sind in der Realität wesentlich schlimmer, als der Rückgang um 23 Prozent vermuten lässt. Das ist auf besondere Faktoren auf dem Energiemarkt Japans zurückzuführen, die nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 ihre Wirkung zeigten. Der UNEP-Bericht hat auch gezeigt, dass die Stückkosten für Solarzellen gesunken und die Herstellungskosten folglich gestiegen sind. Diese Umstände tragen signifikant dazu bei, dass eine auf den ersten Blick so beeindruckende Zahl von 43 Prozent, die bei den neu hinzugekommenen Energiekapazitäten auf die erneuerbaren Energieträger fielen, zustande gekommen ist. Sieht man sich das Bild aber im Detail an, so zeigt sich, dass diese Zahlen vor allem auf Zufällen bzw. unerwarteten Ereignissen basieren. Von daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich dieser Trend wiederholen wird.

Die Zunahme bei den Herstellungskapazitäten für Solaranlagen stand mit mehreren Faktoren in Verbindung. Egal, ob sie (wie in Europa) relativ offen geleistet oder (wie im Falle Chinas) eher verdeckt praktiziert worden sind, haben staatliche Unterstützungsmaßnahmen und Subventionen beim zunehmenden Einsatz von Solarzellen eine sehr große Rolle gespielt. Der Rückgang in Folge der Wirtschaftskrise von 2007/-08 und der im Anschluss einsetzenden Austerität hat die Preise für Solarzellen ebenfalls gedrückt. Schließlich ist im Zuge dessen die Nachfrage nach Strom und Energie zurückgegangen. Überkapazitäten in der großen Solarindustrie Chinas haben diesen Trend weiter verstärkt. Gleichzeitig ist der Ölpreis auf einem historischen Höchststand geblieben, untermauert von geopolitischen Instabilitäten und der Politik des OPEC-Kartells. Diese Faktoren haben die Solarenergie zeitweilig wieder attraktiv werden lassen.

Jetzt haben sich diese vorteilhaften Umstände in ihr Gegenteil verkehrt. Der Ölpreis ist von seinem Höchststand von 140 Dollar je Barrel auf 50 Dollar zurückgegangen, was mit der wirtschaftlichen Verlangsamung in China zusammenhängt. Hinzu kommt, dass in Europa die Subventionen aufgrund der Austerität zusammengestrichen worden sind. In Großbritannien betreibt die neue rechts-konservative Regierung eine Austeritätspolitik der verbrannten Erde. Was die Umwelt angeht, so gilt diese Feststellung beinahe wörtlich. Praktisch alle kleinen Fortschritte, die in den letzten 25 Jahren bei den Umweltgesetzen erreicht worden sind, stehen wieder in Frage. Subventionen für Windanlagen auf dem Festland sind auf Eis gelegt worden und Unterstützung für Solaranlagen gibt es kaum noch. Alle verbliebenen Subventionen für umweltfreundliche Investitionen (und seien sie noch so gering) stehen auf dem Prüfstand – und könnten zur Disposition stehen. Obwohl die Kosten für die Subventionen minimal sind, legt die Regierung ihre Priorität darauf, auf die verarmten Schichten und die Umweltbelange einzuschlagen, damit den Großkonzernen Steuererleichterungen angeboten werden können. Letzteren wird unter die Arme gegriffen, damit sie ihre Profite aufrechterhalten können.

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass ein signifikanter globaler Wirtschaftsaufschwung bevorsteht, der auch die Bedingungen zur Unterstützung der erneuerbaren Energien verbessern könnte. Die Austerität ist von den europäischen Regierungen über Jahre hinweg festgelegt worden, und momentan gibt es keine Hinweise, die darauf hindeuten, dass die Führung Chinas ihren Kurs ändern und den Geldhahn wieder aufdrehen wird.

Selbst wenn es wieder zu vorteilhaften marktwirtschaftlichen Bedingungen für die erneuerbaren Energien kommen würde, so würden die negativen Perspektiven, denen die Umwelt entgegensieht, nicht behoben. Der „Stern Report“, der 2006 von der letzten sozialdemokratischen britischen Regierung unter der „Labour Party“ in Auftrag gegeben worden aber nie in die Tat umgesetzt worden ist, sagt aus, dass Investitionen in erneuerbare Energieträger im Wert von einem Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung über 40 Jahre hinweg nötig wären, um die globale Erwärmung in den Griff zu bekommen. Selbst 2011, als ein ökonomisches Hoch zu verzeichnen war, hat die Investitionstätigkeit zu keinem Zeitpunkt dieses Niveau erreicht. Es ist undenkbar, dass in den nächsten 40 Jahren und ohne Unterbrechung ausreichend vorteilhafte Marktbedingungen vorherrschen, um den Vorgaben von Stern je entsprechen zu können.

Die Rolle der Nationalstaaten in einer globalisierten Welt

Wenn man sich die Geschichte der Subventionen für erneuerbare Energien und des Emissionshandels ansieht, besteht der springende Punkt darin, dass die Regierungen mit diesen beiden ernsteren Versuchen, die globale Erwärmung in den Griff zu bekommen, komplett gescheitert sind. Der tieferliegende Grund dafür besteht in ihrer Unfähigkeit, internationale Vereinbarungen zustande zu bringen. Ferner lehnen sie es voll und ganz ab, Maßnahmen zu ergreifen, die die Profite der multinationalen Konzerne, die sie vertreten, direkt oder indirekt schmälern könnten. Historisch war es nicht immer so, dass bürgerliche Politiker es abgelehnt haben Maßnahmen zu ergreifen, mit denen den umweltzerstörerischen Exzessen ihrer Kapitalisten Grenzen gesetzt werden. Der „Stern-Report“ hat auch ganz klar gezeigt, dass die langfristigen Kosten dafür, dass man in puncto globale Erwärmung untätig bleibt, die Kosten für die Eindämmung derselben bei weitem übersteigen werden. Was ist es also, das die heutigen Vertreter der herrschenden Klasse davon abhält, entsprechend zu agieren?

Wieso können die uns heute Regierenden nicht einfach ihren Vorgängern aus dem 19. Jahrhundert nacheifern und beispielsweise strafrechtliche Sanktionen gegen Unternehmen geltend machen, die die Umwelt zerstören? Die Antwort auf diese Frage reicht bis zu der Erklärung, weshalb wir uns heute in einer derartigen Sackgasse befinden. Vor anderthalb Jahrhunderten war es wesentlich einfacher für die kapitalistische Klasse die Umweltverschmutzung einzudämmen, weil sich das Problem im Großen und Ganzen innerhalb der Grenzen des Nationalstaats abspielte. Darüber hinaus sind die Konflikte zwischen den Ländern, was die Handelspolitik und die damit einhergehenden Profite angeht, heute wesentlich stärker als zur Zeit, da Großbritannien noch die dominante Weltmacht war und sich noch nicht so sehr von ausländischen Rivalen bedroht sah. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Kapitalismus zu einem weltumspannenden System geworden, das sich anfangs nur durch einen enormen Anstieg des Warenhandels und dann durch den Export von Kapital auf höchstem Niveau ausgezeichnet hat. Aufgrund des protektionistischen Drucks folgte der Export der Produktion, weil multinationale Unternehmen weltweit expandierten.

Trotz dieser Globalisierung des Kapitals wurde der Nationalstaat als Verteidiger (nötigenfalls auch mit gewaltsamen Mitteln) der Konzerne wichtig, die seiner Rechtsprechung unterliegen. Da der Wettbewerb um Profite zwischen den Konzernen immer mehr an Intensität gewann, nahm auch die Bedeutung des Staates immer mehr zu. Der Widerspruch zwischen den Bedürfnissen der einzelnen Kapitalisten, die auf der Jagd nach Profiten die Schranken des Nationalstaats niederreißen wollen, und ihrem Vertrauen in den eigenen Staat, der ihre Interessen verteidigen soll, besteht nach wie vor in vollem Umfang.

Die 147 Unternehmen, die nach Angaben der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (Oktober 2011) 40 Prozent des weltweiten Reichtums unter Kontrolle haben und die Weltwirtschaft dominieren, wehren sich gegen alles, was ihre Profite auch nur im Geringsten schmälern könnte. Und sie berufen sich auf ihre Heimatländer, die ihnen dann beistehen sollen. Indem sie so agieren, haben sie wiederholt gezeigt, dass sie sich nur mit kurzfristigen Vorteilen beschäftigen. In dieser Blindheit, die auf den intensiven Wettbewerb zurückzuführen ist, lassen sie langfristige Probleme außer Acht, die – wie etwa durch die Zerstörung der Umwelt – unter Umständen sogar ihre eigene Existenz bedrohen.

Kapitalistische Kooperation wie zur Zeit des Kalten Kriegs

Verteidiger und Apologeten des kapitalistischen Systems werden einwenden, dass diese Analyse des Imperialismus den Antagonismus zwischen den Großmächten überspitzt darstellt und das Potential für Kooperation und Zusammenarbeit ignoriert, das doch durchaus vorhanden sei. Solche Fürsprecher des Kapitalismus könnten einräumen, dass vor 1945 „natürlich Fehler“ gemacht worden sind, die Lehren aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs aber doch gezogen worden seien und dass die Nachkriegsphase charakterisiert war durch bedeutende Beispiele der Kooperation der imperialistischen Mächte; da sei etwa die Gründung der UNO, der EU und der „Welthandelsorganisation“ zu nennen. Möglicherweise wird in diesem Zusammenhang dann auch das „Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen“ von 1987 zur Sprache kommen und als Beispiel herangezogen, das für ein internationales Abkommen steht, mit dem man einen gefährlichen Eingriff in die Umwelt unter Kontrolle bekommen habe. Von daher sei es eben doch nicht aussichtslos, an ein Abkommen auch hinsichtlich der globalen Erwärmung zu glauben, so könnten sie einhaken.

Auf Montreal werden wir später noch zurückkommen. Wahr ist, dass die beständige Neugliederung des Weltmarkts mit Waffengewalt, in die die Großmächte verwickelt waren und die von Lenin, einem der führenden Köpfe der Russischen Revolution von 1917, geradezu prophezeit worden ist, charakteristisch für die Phase vor dem Zweiten Weltkrieg war. Diese Phase schien nach 1945 von einer neuen historischen Wirklichkeit abgelöst worden zu sein. Nach dem Krieg, als die Siegermächte dann aus den USA und der nicht-kapitalistischen Sowjetunion bestanden, hat sich die Balance der internationalen Beziehungen grundlegend verändert. Die jeweiligen kapitalistischen Klassen in den einzelnen Ländern mussten zähneknirschend miteinander kooperieren, um in der Phase des Kalten Krieges eine gemeinsame Front gegenüber der UdSSR zu bilden, deren nicht-kapitalistisches Gesellschaftssystem – auch wenn es sich dabei nur um eine Karikatur des wirklichen Sozialismus handelte – für die wichtigsten imperialistischen Mächte trotz allem eine echte Bedrohung war.

Dem Aufbau einer solchen gemeinsamen Front kamen zwei Faktoren zugute: Der erste bestand in der Dominanz der USA über die anderen kapitalistischen Länder, sodass dieser Staat bis zu einem gewissen Grad die politische Agenda vorgeben konnte. Der zweite Faktor war der Nachkriegsaufschwung, der dabei half, die tieferliegenden Interessenskonflikte zwischen den einzelnen Mächten zu kaschieren. Die Staaten Europas waren überdies bereit, der EU ein gewisses Maß an Souveränität einzuräumen um darüber zu versuchen, die ökonomische Hegemonie der USA herauszufordern.

Nun sind diese besonderen Faktoren, die die Kapitalisten – wenn auch nur in begrenztem Umfang – zur Kooperation gezwungen haben, dabei, sehr schnell wieder zu verschwinden. Wesentliche Wendepunkte waren der Kollaps der Sowjetunion im Jahr 1991 und die Große Rezession von 2008. Beide Ereignisse markierten ganz entschieden das Ende des sogenannten ökonomischen „Goldenen Zeitalters“ der Jahrzehnte von 1950 bis -75. Heute wird die Agenda zunehmend von der Konfrontation zwischen den Großmächten bestimmt, was sogar mit der Kriegsgefahr einhergeht. Die multilateralen Institutionen, die nach 1945 geschaffen worden sind, brechen in sich zusammen oder sind dem Untergang geweiht. Zu einem gewissen Zeitpunkt wird die EU von Auflösungserscheinungen bedroht sein, und die Welthandelsorganisation (WTO) wirkt schon herrenlos. Sie wird durch bilaterales Geplänkel wie zum Beispiel durch die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) ersetzt. Die UNO ist vollkommen unfähig, für Frieden und Sicherheit zu sorgen. Das Scheitern der Versuche, mit denen der Klimawandel angegangen werden sollte, war ein Vorbote für die Abkehr von der Nachkriegs-Kooperation. Auch wenn die Kosten für entsprechende Maßnahmen vergleichsweise gering waren, standen die zunehmenden Spannungen zwischen den Großmächten einem entsprechenden Abkommen im Wege.

Weltweites Ozon-Abkommen

Bleibt die Frage, wie es zum „Protokoll von Montreal“ als Beispiel internationaler Zusammenarbeit beim Umweltschutz kommen konnte. In den 1980er Jahren wurde klar, dass Chemikalien, die sogenannten FCKWs (Fluorchlorkohlenwasserstoffe), die man für Sprühdosen verwendete, zur Zerstörung der Ozonschicht in der Atmosphäre beitragen. Dies führte zu einer umfassenden Zunahme von Hautkrebserkrankungen. In Montreal wurde unter der Ägide der UNO eine Vereinbarung getroffen, die für eine spürbare Verringerung der FCKW-Vorkommen um 77 Prozent zwischen den Jahren 1988 und 1994 sorgte. Kann dieser Erfolg bei der Bekämpfung der globalen Erwärmung wiederholt werden?

Was diese beiden Problembereiche angeht, so sind einige wesentliche Unterschiede festzustellen. Da wäre zum einen der Umfang des Problems, das im aktuellen Fall wesentlich größer ist als es bei den FCKWs je war. Die Kosten für die Einstellung der Produktion einer bestimmten chemischen Verbindung waren – vor allem, weil ein Ausweichprodukt bereits zur Verfügung stand – unvergleichlich geringer als es im Vergleich dazu bei der Umstellung der weltweiten Energieerzeugung der Fall sein wird. Wenn man das Pro-Kopf-BIP als Grundlage nimmt, haben zweitens alle Industrieländer mehr oder weniger gleich viel von den Kosten getragen, die bei der Beseitigung der FCKWs entstanden sind. Von daher ist sehr vielsagend, dass die USA dennoch mehrere Jahre brauchten, bevor auch sie das Abkommen von Montreal unterzeichnet haben. Außerdem hat man nur deshalb unterschrieben, weil das US-amerikanisches Chemiekonsortium „DuPont Inc.“ schlussendlich in der Lage war, den technischen Durchbruch zu schaffen und den Markt für FCKW-Ersatzprodukte zu dominieren.

Vergleicht man die Kosten für die Rettung der Ozonschicht mit denen, die zur Bekämpfung der globalen Erwärmung nötig wären, dann wird der große Unterschied rasch klar. Im Falle der Erderwärmung sind die USA einer der größten Übeltäter, weil für schätzungsweise 20 Prozent aller Emissionen verantwortlich; und dass, obwohl dieses Land nur fünf Prozent der Weltbevölkerung stellt. Der Pro-Kopf-Anteil an den Emissionswerten liegt vier Mal über dem Welt-Durchschnitt und entspricht beinahe dem Doppelten der Emissionen, die in der EU pro Kopf in die Luft geblasen werden. Wenn es nach den rivalisierenden Staaten ginge, die für eine proportionale Kostenverteilung in Bezug auf die Ausstoßmengen eintreten, wären daher die USA in dem Fall, dass es zu echten Schritten gegen die Klimaerwärmung kommen sollte, der große Verlierer. Bei der Bekämpfung des Ozon-Problems sah das noch anders aus. Das hat eine internationale Vereinbarung unmöglich werden lassen. Und die Situation wird dadurch noch brisanter, dass mittlerweile China zum größten Produzenten von Treibhausgasen aufgestiegen ist.

China hat immer darauf bestanden, historisch nicht für den Klimawandel verantwortlich zu sein und von daher auch keine entsprechenden Zahlungen zu leisten. Die Ablehnung des Regimes in China, sich an einem Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll zu beteiligen, hat dem US-Kongress die Möglichkeit gegeben, sich diesem Vorgehen anzuschließen. Das hat den ganzen Ansatz im Keim erstickt. Die Folge davon ist, dass in Paris nur Vorschläge für eine freiwillige Reduzierung von Emissionen auf der Tagesordnung stehen. Und die Fristen zur Umsetzung dieser freiwilligen Reduktionswerte unterliegen ebenfalls dem Prinzip der Freiwilligkeit.

Auf der Suche nach einer technischen Lösung

Die Funktionsträger und Staatsdiener, die den Klimagipfel von Paris durchführen, werden die Bedeutung dieses bedeutungslosen Diskutierzirkels herunterzuspielen versuchen. Dabei werden sie behaupten, dass Durchbrüche errungen worden sind. Doch nichts wird den Bankrott der herrschenden Klassen dieser Welt vertuschen können. Weil sie dieses Problem erkannt haben, ziehen sich einige von ihnen schon auf den verzweifelten Versuch zurück, eine Strategie der letzten Chance zu vertreten: Sie meinen, dass die „Genialität“ des Kapitalismus, immer wieder mit Innovationen aufwarten zu können, dabei helfen wird, ein technologisches Kaninchen aus dem sprichwörtlichen Hut zu zaubern, mit dem das Problem behoben werden kann.

Orthodoxe rechtslastige Ökonomen meinen, dass Innovationen, die aus ihrer Sicht nur die Folge des Wettbewerbs in der Marktwirtschaft sein können, zur allgemeinen Steigerung der Produktivität und somit ab einem bestimmten Grad an Verbrauch zu weniger Energiebedarf führen werden. Es ist wahr, dass die Produktivität in den Industrieländern seit der Krise von 2008 um rund zwei Prozent jährlich angestiegen ist. Und es stimmt, dass dies zu einer geringeren Nachfrage an Naturreserven geführt hat, die für einen bestimmten Grad an Konsum nötig sind. Allerdings gibt es keinen Beleg dafür, dass dies auch zu einem Rückgang bei der Umweltverschmutzung geführt hätte. Abgesehen davon ist die Produktivität in Großbritannien seit der Krise von 2008 abgeschmiert und macht bislang auch nicht den Eindruck, wieder das alte Niveau zu erreichen.

Selbst wenn wir – allein, um die Debatte nicht ausufern lassen zu wollen – einmal annehmen, dass diese Theorie der ultra-neoliberalen Anhänger des freien Marktes stimmt, so bräuchte es mehrere Jahrzehnte, bis hinlängliche Auswirkungen spürbar würden und die Verschmutzung soweit wie nötig zurückgefahren wäre. Dann wäre es aber zu spät, um ein völliges Umweltdesaster noch abwenden zu können. Damit die Theorie des freien Marktes funktionieren kann und dabei die Emissionen soweit reduziert werden, dass auch noch die Ziele hinsichtlich der globalen Erwärmung erreicht werden, bräuchte es Produktivitätsgewinne durch neue Innovationen, die einen schnellen und umfangreichen Rückgang des Verbrauchs von Naturreserven möglich machen. Parallel dazu müsste auch noch für das entsprechende Wirtschaftswachstum gesorgt werden. Im Kapitalismus wird es dazu allerdings nicht kommen.

Weil sie sehen, dass die Ideen vom freien Markt an ihr Ende gekommen sind, halten einige Teile der Bourgeoisie nach interventionistischen Ansätzen aus der Umweltökonomik Ausschau. Diese Ideen stehen manchmal mit sogenannten „win-win“-Theorien in Verbindung. Im Kern geht es darum, dass Firmen nichts von den Möglichkeiten wissen, die neue Technologien sowohl in puncto Eindämmung der Umweltprobleme als auch hinsichtlich des Profit-Machens bieten. Demnach sei es die Aufgabe der Regierungen, so die Theorie, Institutionen zu fördern und Regularien einzuführen. Das hat Elemente der Theorie von Zuckerbrot und Peitsche: Die Arbeitgeber und Konzernherren sollen dazu veranlasst werden, sich für den „einfacheren Weg“ zu entscheiden.

Das Problem bei diesem Ansatz ist, dass er der Logik des Kapitalismus diametral entgegensteht. Die Bourgeoisie ist auf der Suche nach dem Heiligen Gral, nach einer Innovation, die dafür sorgt, dass die erneuerbaren Energieträger billiger werden als Öl und Kohle. Doch das System der Marktwirtschaft ist nicht in der Lage gewesen, für die technischen Durchbrüche zu sorgen, die (auch dafür) so dringend nötig wären.

Keine halben Sachen mehr!

Wegen der hohen Kosten und der Folgen für ihre Profite, sind Regierungen und Unternehmen widerstrebt zu investieren. Wenn die US-Regierung 1995 dieselben Ressourcen in die Kernschmelze, bei der es sich um eine potentielle Quelle für überreichlich viel erneuerbare Energie handelt, gesteckt und dabei mit derselben Eile vorgegangen wäre wie im Zweiten Weltkrieg bei ihrem „Manhattan Project“ für die Atombombe, dann bestünde eine angemessene Chance mittlerweile erfolgreich gewesen zu sein. Das Atombomben-Projekt beanspruchte zehn Prozent des gesamten Energieverbrauchs der USA. Dieses Engagement wurde deshalb an den Tag gelegt, weil alle kriegführenden Mächte um ihr Überleben kämpften. Heute ist es unvorstellbar, dass es zu ähnlichen Anstrengungen kommt, weil die Kapitalisten im Kampf gegen die globale Erwärmung nicht annähernd die Notwendigkeit sehen wie im o.g. Fall.

Letztlich bleibt das Lockmittel namens schneller Profit der einzige Grund für Investitionen in neue Technologien – ganz egal, ob es die Konzerne selbst sind oder die Regierungen, die in ihrem Auftrag handeln. Im Kontext der vorherrschenden intensiven Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten, werden nach jedem Investment kurzfristige Renditen erwartet. Damit ist ausgeschlossen, dass ernsthaft Projekte wie die Kernfusion in Angriff genommen werden. Als sie sich noch in der Opposition befanden, waren Tony Blair und Gordon Brown noch Anhänger des interventionistischen Konzepts. Als sie aber merkten, dass sie damit dem Kern des Profitsystems entgegenstehen, haben sie sich schnell wieder davon verabschiedet und auch die kleinsten Ansätze in dieser Richtung wieder fallengelassen. Jeremy Corbyn und John McDonnell nehmen den Interventionismus zweifellos ernster, und natürlich würden wir jede beabsichtigte Maßnahme, die tatsächlich ihre Auswirkungen auf die globale Erwärmung hätte (wie etwa entsprechende Subventionen) wärmstens begrüßen. Je umfangreicher die Intervention, desto wahrscheinlicher ist eine positive Wirkung.

Doch man kann der Logik des imperialistischen Kapitalismus nicht entrinnen, vor allem wenn es um ein Thema wie den Klimawandel geht, bei dem die Zeit, in der halbe Sachen zu tun vermeintlich ausreichten, längst vorbei ist. Für eine künftige linke Regierung wird es unmöglich sein, die dringend notwendigen Dinge zu tun, wenn sie weiterhin im Rahmen eines antagonistischen, räuberischen Wirtschaftssystems verharrt. Deshalb muss die Kampagne gegen die globale Erwärmung und Umweltzerstörung auch Hand in Hand gehen mit dem Kampf für Sozialismus. Die Zukunftsperspektive besteht allein in der Veränderung der sozialen und ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft. Und weil die globale Erwärmung vor Ländergrenzen keinen Halt macht, muss dies auf internationaler Basis geschehen.

 

SLP-Führung 12. Februar

Helmut Swoboda

Albert Kropf leitete die Stadtführung in Wien 20 über den Widerstand im Jahr 1934 gegen die faschistische Diktatur. Sie begann am Engelsplatz. Als die Aufstände in Linz starteten, war dort die Lage ruhig, da es keine Kommunikation nach Oberösterreich gab. Die Heimwehr besetzte alle Donaubrücken. Als in Floridsdorf die Aufstände ausbrachen, schwammen ArbeiterInnen durch die eiskalte Donau, um den Schutzbündlern dort beistehen zu können.

Am Goethehof gab es heftigen Widerstand gegen die Heimwehr, die den Bau sogar durch Kampfflugzeuge beschießen ließ.

Die dritte Station war der Höchstädtplatz beim Hrdlicka-Denkmal. Beim von der KPÖ gestifteten Mahnmal „Den Opfern und Kämpfern“, beschäftigten wir uns mit der Rolle der KP in den Februarkämpfen. Anschließend gab es im SLP-Büro Lieder über die Februarkämpfe zu hören.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Marx aktuell: Weder "gottgewollt" noch biologisch erklärbar

Sebastian Kugler

Friedrich Engels analysierte 1884 in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" die Entstehung der Klassengesellschaft, basierend auf den Forschungen von Lewis H. Morgan über die Iroquois. Die Iroquois waren eine Gesellschaft, in der es (noch) keine Klassen gab, kein Privateigentum und deswegen keine strukturelle Unterdrückung der Frau. Der marxistische Archäologe Gordon Childe (Man makes Himself, 1936) bestätigte diese Theorien. Seine Forschungen prägten den Begriff der "neolithischen Revolution": Als Gesellschaften durch verbesserte Kulturtechniken in der Lage waren, ständig mehr als unmittelbar zum Überleben nötig war zu erzeugen, entstanden privilegierte Schichten, die nicht am unmittelbaren Produktionsprozess teilnahmen. Es wurde wichtig, die Privilegien zu vererben - und somit die Sexualität der Frau zu kontrollieren.

Wo der Staat die Ungleichheit auf gesellschaftlicher Ebene festschrieb, tat die Ehe dies auf der privaten. Erbschaft wurde nun über die väterliche Linie weitergegeben - Engels bezeichnet dies als die "historische Niederlage der Frau". Gerda Lerner, US-amerikanische Kommunistin und Pionierin der Frauengeschichte, schreibt dazu: "Die sexuelle Unterordnung der Frauen wurde in den frühesten Rechtsordnungen institutionalisiert und mit allen dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln durchgesetzt. Die Kooperation der Frauen in diesem System wurde auf verschiedene Art sichergestellt: durch Anwenden von Gewalt, durch ökonomische Abhängigkeit vom männlichen Familienoberhaupt, durch das Gewähren von klassenspezifischen Privilegien für sich anpassende und abhängige Frauen der Oberschichten und durch die künstlich-willkürliche Unterteilung der Frauen in respektable und nichtrespektable Frauen." (Die Entstehung des Patriarchats, 1991)

Frauenunterdrückung ist also mit der Klassengesellschaft entstanden und kann nur mit ihr komplett abgeschafft werden. Dies versuchten die Bolschewiki nach 1917. Sie ergriffen sofort weitreichende Maßnahmen zu Befreiung der Frau, die sie als unverzichtbaren Teil des Aufbaus des Sozialismus begriffen. "Kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung, keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus!" war die Parole der Bolschewikin und Begründerin des internationalen Frauenkampftags, Clara Zetkin. Auch Alexandra Kollontai und Nadeshda Krupskaja waren unermüdliche VorkämpferInnen. Sieben Wochen nach der Revolution wurde die kirchliche Ehe als Institution abgeschafft, Scheidung radikal erleichtert und uneheliche Kinder legalisiert. Vergewaltigung in der Ehe wurde strafbar - in Österreich dauerte das bis 2004. Die Bolschewiki wussten, dass nicht nur der Staat absterben muss, um die klassenlose Gesellschaft aufzubauen, sondern auch die klassische Familie. Denn diese reproduziert, wie der marxistische Psychologe Wilhelm Reich darlegte, die Ideologie der Klassengesellschaft schon durch ihre Struktur (Die Sexualität im Kulturkampf, 1936). Inessa Armand, Vorsitzende des Frauenflügels der Bolschewiki, verkündete: „Solange die alten Formen der Familie, des häuslichen Lebens und der Kindererziehung nicht abgeschafft sind, wird es unmöglich sein, Ausbeutung und Versklavung abzuschaffen und den Sozialismus aufzubauen".

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

12. Februar 1934: Stadtführung & Musik

Anlässlich des Jahrestages der Februarkämpfe organisiert die SLP auch dieses Jahr eine Stadtführung. Wir bewegen uns im ArbeiterInnenbezirk Brigittenau auf den Spuren des Widerstandes der österreichischen ArbeiterInnenklasse gegen den Faschismus. Es werden Orte besucht, die Beispielhaft sind für die Kämpfe, den Verrat der sozialdemokratischen Führung und den Heldenmut von einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern. 

Im Anschluss gibt es im warmen SLP-Büro eine Präsentation von ArbeiterInnenliedern zum Februar 1934: Der Experte für ArbeiterInnenlieder Peter Grusch führt durch historische und aktuelle Werke zum Thema, darunter die in Österreich weitgehend unbekannte Koloman Wallisch Kantate und das Erwin-Weissl-Lied.

12. Februar 17:00, Friedrich Engels Platz (Wien 1200)

So pseudo ist die „Kapitalismuskritik“ von Rechts

Auch die Rechte versucht von der wachsenden antikapitalistischen Stimmung zu profitieren.
Theresa Reimer

Neoliberale Kürzungspolitik, die steuerliche Entlastung von Unternehmen und Superreichen, Gewerkschaftsfeindlichkeit und Lobbyismus sind charakteristisch für rechte Politik. Doch auch die extreme Rechte versucht von der kapitalismuskritischen Stimmung, die v.a. seit Beginn der Wirtschaftskrise zunimmt, mitzunaschen. Z.B. versuchen die rechtsextremen „Autonomen Nationalisten“ Vorgangsweise, aber auch Erscheinungsbild und Auftreten von Teilen der Linken zu kopieren. Gerade die Neue Rechte nutzt das Potential kritischer Bewegungen, versucht linke Jugendkulturen oder Symbole der Linken zu kopieren. So finden sich auch auf der Facebook-Seite der neofaschistischen Identitären Zitate von Luxemburg, Liebknecht und Brecht.

Doch nicht nur in der Form, auch im Inhalt gibt sie sich kapitalismuskritisch. Ziel ist, an eine existierende Stimmung anzudocken und darauf rechte, rassistische bzw. völkische Antworten zu geben. Rechte Kapitalismus“kritik“ geht unter dem Label „Nationaler Sozialismus“ auf das Jahr 1890 zurück. Es war ein Versuch in die erstarkende ArbeiterInnenbewegung einzudringen und dem Internationalismus des Marxismus eine nationalistische Ideologie, verbrämt mit antikapitalistischer Rethorik entgegen zu setzen. Zentrales Instrument dafür war später bei den Nazis die SA von Strasser, Goebbels und Röhm. Diese war auch ein Versuch, ArbeiterInnen in die Partei mit einzubinden. Denn die ArbeiterInnen standen dem Faschismus ablehnend gegenüber und ein großer Teil war bis zum Verbot von SP und KP in diesen ArbeiterInnenorganisationen organisiert.

Eine Rhetorik, die Scheinantworten auf die soziale Frage gab, war notwendig für den Aufstieg der NSDAP (wie auch „Sozialismus“ im Namen), doch der Faschismus war immer eine arbeiterInnenfeindliche Ideologie. Auch im Betrieb galt das Führerprinzip, Betriebswechsel war nur mit Erlaubnis möglich, jede Form von Klassenkampf (und sei es nur die Forderung nach höheren Löhnen) wurde lebensgefährlich, alle Organisationen der ArbeiterInnenbewegung wurden zerschlagen. Der Faschismus dient als Handlanger des Kapitals.

Bis heute versuchen Nazis Strasser, die SA und andere als die „wahren“ Faschisten des Volkes, den „linken“ Teil des Nationalsozialismus darzustellen. Ein Mythos und eine Lüge! Die SA war eine Massenorganisation, doch setzte sie sich v.a. aus KleinbürgerInnen zusammen, der ArbeiterInnenanteil lag unter 20%. FunktionärInnen von KPD, SPD und Gewerkschaften standen auf den „Schwarzen Listen“ der brutalen Schläger der SA ganz oben. Beim Kampf zwischen SA und Hitler ging es nicht um einen Klassenkampf in der faschistischen Bewegung, sondern um einen Machtkampf zwischen verschiedenen Flügeln. Die SA wurde nicht entmachtet, weil sie „links“ gewesen wäre, sondern als Zugeständnis an die Heeresleitung, der die paramilitärische SA ein Dorn im Auge war. Die SA und die SS trennten keine ideologischen, sondern bestenfalls taktische Fragen.

Auch bei den heutigen, sich „antikapitalistisch“ präsentierenden Neonazis, werden nicht der Kapitalismus und seine Widersprüche kritisiert. Die Beantwortung der sozialen Frage ist auf nationaler Ebene nicht möglich, die Rechten liefern nur Scheinantworten. Da wird „ausländisches“ Kapital und der „Zins“ kritisiert, die die nationale Wirtschaft schwächen würden. V.a. seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise wird unverhohlen die „Ostküste“ und das „Finanzkapital“ kritisiert. Das sind rechte Kampfbegriffe, die eigentlich „die Juden“ meinen. Die (künstliche) Unterscheidung zwischen „raffendem“ und „schaffenden“ Kapital findet sich schon bei den Nazis. Und im Einklang mit diversen, meist antisemitischen, Verschwörungstheorien schreibt dann auch die Zeitung der NPD, dass Jüdinnen und Juden „in den privaten und staatlichen Machtzentren des Weltkapitalismus“ eine „Schlüsselstellung“ inne hätten.

Doch spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Trennung in Bank- und Industriekapital nicht mehr möglich. Die Finanzmärkte sind das Schmiermittel des Kapitalismus und produzierender und finanzierender Sektor längst zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen. Die sozialen Probleme und die Krisen sind nicht nur die Folgen eines „parasitären Finanzsektors“ sondern entspringen aus den Widersprüchen des Kapitalismus selbst. Es gibt keine „gute alte Marktwirtschaft“, der ein „böser, raffgieriger Kapitalismus“ entgegenstehen würde. Neben all ihrer „sozialen“ Rethorik greifen die Rechten daher auch weder das Privateigentum an Produktionsmitteln, noch die kapitalistische Produktionsweise, die von den ArbeiterInnen unbezahlte Arbeit in Form von Mehrwert stiehlt, an. Dafür lehnen sie aber Gewerkschaften ab und bekämpfen sie. Das „Volk“ soll die Klassen ersetzen, was bedeutet, die Interessen der ArbeiterInnenklasse unter jene des Kapitals unterzuordnen. Im Sinne eines angeblichen „Volks“ Interesses.

Es liegt an uns, ob RassistInnen und AntisemitInnen soziale Rhetorik als Mittel zum Aufbau nutzen können. Echter Antifaschismus braucht daher auch eine fundierte Kapitalismuskritik und eine daraus resultierende Praxis!

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Nationale Befreiung durch Sozialismus

Christoph Glanninger

Der wieder aufflammende BürgerInnenkrieg in den kurdischen Gebieten der Türkei zeigt einmal mehr die brutale Unterdrückung jeglicher Versuche nach kurdischer Selbstbestimmung. Der nationale Befreiungskampf ist nicht zu verwechseln mit dem reaktionären Nationalismus von europäischen oder türkischen FaschistInnen. Es geht um die Befreiung von Unterdrückung und nicht um die Unterdrückung anderer.

Schon immer haben verschiedenste Imperialismen und Diktaturen aus Angst davor, einen Teil des Staatsgebietes von Ressourcen, Absatzmärkten, Arbeitskräften etc. zu verlieren, alles getan um kurdische Selbstbestimmung zu verhindern. Und obwohl westliche Imperialismen im Moment aus taktischen Gründen die linke kurdische Bewegung in Rojava (Nordsyrien) bzw. die kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak unterstützen, halten sie trotz des gleichzeitigen Massenmords an KurdInnen weiter zu Erdogan.

Die nationale Befreiung des kurdischen Volkes ist aber im 21. Jahrhundert v.a. eine Aufgabe der ArbeiterInnenklasse. Denn auch unter den KurdInnen in Syrien, der Türkei, dem Irak und dem Iran gibt es Großgrundbesitzer und KapitalistInnen, die andere Interessen haben als ArbeiterInnen und arme Bauern. Im kurdischen Regime im Nordirak kann eine kleine Minderheit durch Ölgeschäfte mit dem Westen, der Türkei und sogar dem IS enormen Reichtum scheffeln, während die große Mehrheit in Armut lebt.

Die nationale Unterdrückung lässt sich mit einem fetten Bankkonto leichter ertragen und die KapitalistInnen der unterdrückten Nationen sind meist eine „Kompradorenbourgoise“, also abhängig vom Imperialismus und eng mit ihm verwoben. Auch in einem unabhängigen Kurdistan würde das türkische Kapital weiter herrschen – wenn es kapitalistisch bleibt.

Die nationale Befreiung ist ohne Sturz des Kapitalismus nicht möglich. Nur durch ein sozialistisches System, indem tatsächlich ArbeiterInnen und Arme über Wirtschaft und Wohlstand eines Landes verfügen, kann nationale Selbstbestimmung möglich werden, auch weil es keine Notwendigkeit und keine Nutznießer einer nationalen Unterdrückung mehr gibt.

Um das zu erreichen, braucht es die größtmögliche Einheit der ArbeiterInnen verschiedener Nationen. Die Methoden oder Forderungen von SozialistInnen müssen sich daran orientieren. Deshalb lehnen z.B. MarxistInnen Individualterrorismus ab: Die Selbstverteidigung von KurdInnen ist absolut legitim, doch Attentate der PKK mit der Ermordung von ZivilistInnen bzw. einfacher Soldaten und Polizisten treiben türkische ArbeiterInnen dem Staat in die Arme.

Wenn eine nationale Befreiungsbewegung ein sozialistisches Programm hat, dann bietet die Perspektive eines besseren Lebens und nationaler Selbstbestimmung für alle die Möglichkeit, ArbeiterInnen im Kampf für Sozialismus zu vereinen. „Sozialismus ... bedeutet keine privilegierte Elite, sondern das Recht der Menschen ihre Angelegenheiten selber zu lenken. Es bedeutet die Schaffung einer internationalen Gemeinschaft, eine Einheit basierend auf dem Respekt für Unterschiede und in der alle Rechte von Nationalitäten und Minderheiten respektiert werden. Es ist die Einheit der ArbeiterInnenklasse, die in einem Kampf für diese Gesellschaft entsteht, die die nationale Frage...lösen wird.“ (Peter Hadden, Troubled Times, 1995)

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

12. Februar: Führung & Musik

Wir bewegen uns auf den Spuren des Widerstandes der österreichischen ArbeiterInnenklasse gegen den Faschismus . Beispiele für die Kämpfe, den Verrat der sozialdemokratischen Führung und den Heldenmut von einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern. Mit musikalischen Beispielen von und über die Februarereignisse.

 

Freitag 12. Februar 2016 – Treffpunkt um 17.00 am Friedrich-Engels-Platz (Wien 20)

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Frisch gekämpft ist halb gewonnen

Flo Klabacher

Österreichische Rüstungskonzerne wie Glock oder die Steyr Mannlicher GmbH machen Profite mit Waffenlieferungen an Diktaturen und in Krisenregionen – mit Genehmigung der Bundesregierung. Das ist nichts neues und sorgt immer wieder für mediales Aufsehen. Wie solche Waffenlieferungen verhindert werden können, zeigt ein Beispiel aus der ersten Republik: Zum Jahreswechsel 1932/33 will die Dollfuß-Regierung klammheimlich fast 85.000 Karabiner und Maschinengewehre aus Italien an die faschistische Horthy-Regierung in Ungarn liefern, um deren Diktatur zu stärken. Ein Teil der Waffen ist für die Aufrüstung der faschistischen Heimwehren bestimmt, den bewaffneten Arm der Christlich-Sozialen Partei (heute ÖVP). In der Hirtenberger Waffenfabrik sollen die alten Waffen vor dem Weitertransport überholt werden. Den Eisenbahnern, die für den Transport gebraucht werden, werden Prämien versprochen, wenn sie nur kein Wort über die Lieferung verlieren. Doch die Verschwörung wird von Eisenbahnern aufgedeckt. Die „Arbeiter Zeitung“ berichtet über die „Hirtenberger Waffenaffäre“. Offensichtlich sollen die Waffen gegen die ArbeiterInnenbewegung in Österreich und Ungarn gerichtet werden. Die Gewerkschaft der Eisenbahner kündigt an, den Transport der Waffen mit Streiks zu verhindern, sollte die Regierung an ihren Plänen festhalten und zwingt sie dadurch, das Vorhaben aufzugeben. So wird die Aufrüstung der faschistischen Horthy-Banden fürs Erste verhindert.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

12. Februar 1934: Stadtführung & Musik

Anlässlich des Jahrestages der Februarkämpfe organisiert die SLP auch dieses Jahr eine Stadtführung. Wir bewegen uns im ArbeiterInnebezirk Brigittenau auf den Spuren des Widerstandes der österreichischen ArbeiterInnenklasse gegen den Faschismus. Es werden Orte besucht, die Beispielhaft sind für die Kämpfe, den Verrat der sozialdemokratischen Führung und den Heldenmut von einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern. 

Im Anschluss gibt es im warmen SLP-Büro eine Präsentation von ArbeiterInnenliedern zum Februar 1934: Der Experte für ArbeiterInnenlieder Peter Grusch führt durch historische und aktuelle Werke zum Thema, darunter die in Österreich weitgehend unbekannte Koloman Wallisch Kantate und das Erwin-Weissl-Lied.

Treffpunkt für die Führung ist am 12. Februar um 17.00 in Wien 20, Friedrich Engels Platz

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