Debatte SLP-KP-Steiermark zur Grenzfrage

Die SLP debattiert mit Werner Murgg, KPÖ-Steiermark

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise entfaltet sich eine Debatte unter Linken und GewerkschafterInnen: Führt der Zuzug von Flüchtlingen zu verstärktem Verdrängungswettbewerb? Sind geschlossene Grenzen eine Antwort? Die SLP debattiert mit Werner Murgg, Landtagsabgeordneter der KPÖ Steiermark.

1) Über „Refugees welcome“ hinausdenken!

Die derzeitige Fluchtbewegung hat mit den Einmischungen des Westens in die Heimatländer der Flüchtenden zu tun. Überall wo USA und EU im Namen der Menschenrechte mit Bomben eingegriffen haben, blieben Tod und Verderben zurück. Wer vor Krieg und Terror flüchtet, hat ein Recht auf Schutz! Diesen Schutz zu gewähren ist Aufgabe der Weltgemeinschaft. Wie es ein Recht auf Asyl gibt, existiert umgekehrt kein Recht auf freie Wahl des Aufnahmelandes. Genauso wahr ist, dass sich viele Millionen auf den Weg machen, um in Europa der Armut ihrer Heimat zu entfliehen. Spricht man mit Österreicherinnen und Österreichern, wird man kaum jemanden finden, der von persönlicher Verfolgung Bedrohten keinen Schutz gewähren wollte. Viele haben jedoch Sorge, eine ungeregelte Einwanderung könnte das soziale Gefüge unseres Landes in Schieflage bringen. Sie sind keine Rassisten! Massenhafte Arbeitsmigration bei gleichzeitigem Bestand einer industriellen Reservearmee macht die Klassensolidarität generell brüchig und gefährdet das in langem Kampf erreichte Sozialniveau. Sie kann auch zu dauerhaft in ethnische Mehrheiten und Minderheiten gespaltene Nationen führen. Die kleinbürgerliche Chimäre der „Interkulturalität“ ist keine Lösung. Die Frage muss lauten: Wie viel Migration verträgt die Aufnahmegesellschaft? Integration, die den Namen verdient, ist nur dann möglich, wenn der Überlieferungszusammenhang, in dem wir stehen und der jeder Gesellschaft halt gibt, nicht verloren geht. Deshalb bedarf es Regeln, wie mit Einwanderung umzugehen ist. Diese Regeln werden auf absehbare Zeit auf nationalstaatlicher Ebene zu definieren sein. Der Nationalstaat ist immer noch die erste Schutzgemeinschaft gerade auch für die unterprivilegierten Schichten. Im „supranationalen“ Staat geht sie verloren. Wer den Nationalstaat aus diesen Gründen verteidigt, anerkennt auch seine Grenzen. Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer begrüßen eine ungezügelte Arbeitsmigration zur Sicherung ihrer Profitraten; EU-Kapitaleliten propagieren vermehrte Migration als eine Maßnahme den Nationalstaat als politischen Rahmen für die Unterschichten aufzulösen und sie zur Durchsetzung ihrer Interessen auf eine abstrakte EU-Bürokratie zu verweisen. Hier treffen sich auf gespenstische Weise reaktionärste Kapitalinteressen mit Vorstellungen „linker“ EU-Sozialstaatsträumer. Die revolutionäre Linke wird in Europa nur mehr dann geschichtsmächtig werden, wenn sie das Knäuel aus Migration und Asyl gemeinsam und mit Zustimmung ihrer Arbeiterklasse entwirrt!

Werner Murgg, KP-Steiermark, Abgeordneter Landtag Steiermark

2) Über den Kapitalismus hinausdenken!

Werner Murgg hat recht, dass nicht jedeR, der/die sich um mögliche Probleme durch Migrationsbewegungen sorgt, einE RassistIn ist. Bürgerliche Medien schüren die Angst, durch Zuwanderung werde der ohnehin geschrumpfte Sozialstaat kollabieren. Wenn Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte ArbeiterInnen diese Angstmacherei für bare Münze nehmen, ist es falsch, sie dafür moralisierend als RassistInnen abzustempeln.

Aber eine der Hauptaufgaben von Linken in dieser Situation ist gerade die Aufklärung darüber, dass es einen solchen Automatismus nicht gibt. Darüber, dass das Geld da ist, allen – migrantischen wie nichtmigrantischen ArbeiterInnen und Armen – ein Leben in Sicherheit und Würde zu garantieren. Dass dieses Geld sich aber in den Händen einer kleinen Minderheit von AusbeuterInnen konzentriert. Linke müssen aufzeigen, dass diejenigen, die den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse wirklich bedrohen, ganz sicher keine mittellosen Flüchtlinge sind, sondern die KapitalistInnen in Österreich und dass die Panikmache gegenüber Flüchtlingen ein Ablenkungsmanöver davon darstellt.

Wenn Murgg schreibt, dass der Nationalstaat "die erste Schutzgemeinschaft gerade auch für die unterprivilegierten Schichten" sei, ist das eine für den Vertreter einer linken Partei haarsträubende Verdrehung. Der Nationalstaat ist in erster Linie die Interessenvertretung der herrschenden Klasse eines Landes und hat die Aufgabe, die "unterprivilegierten Schichten" zu disziplinieren und ruhigzustellen. Die Spaltung der ArbeiterInnenklasse entlang ethnischer Linien ist dafür ein gutes Instrument. Und Murgg macht dabei de facto mit, indem er "MigrantInnen" und "ArbeiterInnenklasse" gegenüberstellt statt zu erkennen, dass MigrantInnen ein elementarer Bestandteil der österreichischen ArbeiterInnenklasse sind.

Die tatsächliche Schutzgemeinschaft der migrantischen wie nichtmigrantischen ArbeiterInnenklasse sind die Organe der ArbeiterInnenbewegung, wie Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien. Marxistische Politik muss gerade darin bestehen, den Mythos von der angeblichen Interessengemeinschaft Nationalstaat zu entlarven und ihn als das Instrument der Reichen und Mächtigen bloßzulegen, das er ist. Die Souveränität des Nationalstaates und die Integrität seiner Grenzen um ihrer selbst willen zu verteidigen ist kein Projekt für MarxistInnen. Deren Aufgabe besteht, im Gegenteil, darin, für das einheitliche Handeln migrantischer wie nichtmigrantischer ArbeiterInnen und Armer gegen die KapitalistInnen zu wirken, deren Schutzgemeinschaft der Nationalstaat wirklich ist.

Fabian Lehr, SLP

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