Syrien: Eliten führen Krieg für ihre Interessen

Interventionen regionaler und internationaler Mächte verschärften den sektiererischen Bürgerkrieg.
Georg Maier

Seit 2011 tobt in Syrien ein weitgehend sektiererischer, großteils entlang ethnisch-religiöser Bruchlinien geführter, Bürgerkrieg. Das Überschwappen des Konfliktes auf die Nachbarländer und das Entstehen des „Islamischen Staates“ (IS) zeigen ebenso wie die ausländischen Militärinterventionen, dass auf dem syrischen Schauplatz heute einige der großen regionalen und globalen Konflikte ausgetragen werden.

Der syrische Konflikt begann Anfang 2011 als regionaler Aufstand verarmter Teile der Bevölkerung gegen das Regime. Viele hofften, wie in Ägypten und Tunesien, einen Bruch innerhalb des Regimes zu verursachen, der letztlich zum Sturz des Diktators und in Folge demokratischen Spielräume führen würde. Der Grund warum dies in Syrien nicht gelang war nicht – wie rechtsextreme und stalinistische Assad-Fans behaupten – ein vermeintlich säkular-progressiver Charakter des Regimes und daher breitere Unterstützung für dieses, sondern die besondere sektiererisch-kapitalistische Herrschaftskonstruktion des baathistischen Syrien. Die wirtschaftliche Liberalisierung seit den 90ern Jahren hatte eine bürgerliche Schicht hervorgebracht, die durch enge Verbindungen zu Staatsführung und Präsidentenfamilie bemerkenswerten Reichtum angehäuft hatte. Die zweite Stütze des Regimes ist der überdimensionierte Militärapparat – 2010 gingen 25,39% der Staatsausgaben ans Militär; 6,69% der nationalen Arbeitskraft war bei den Streitkräften, eine Quote, die weltweit nur von Irak, Nordkorea und Eritrea übertroffen wurde. Beide hatten kein Interesse an einer Opposition zum Regime.

Für die Masse der Bevölkerung hatte der syrische Neoliberalismus die Zerstörung von Lebensgrundlagen bedeutet. 2007 lebten 35,2% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze (+14,49% seit 2004). Für sie war der Kampf um soziale Gerechtigkeit mit jenem um demokratische Rechte aufs engste verbunden. Von Anfang an begegnete der Staatsapparat den Demonstrationen mit Gewalt. Trotz zahlreicher Desertionen auf niedriger Ebene blieb der Apparat intakt. Diesem hatten die RevolutionärInnen wenig entgegenzusetzen. Im schrittweise eskalierenden Bürgerkrieg fand das Assad-Regime Unterstützer in Russland, einem Gläubiger Syriens, und Iran. Für die Diktatur in Teheran ist Assad der wichtigste regionale Verbündete von der es im zunehmend westlich-saudisch dominierten Nahen/Mittleren Osten nicht mehr viele gibt. Ähnliches gilt für Russland, das in gewissem Sinne die alte Partnerschaft des Kalten Krieges weiterführt und sich neben einem Verbündeten in der Region vor allem den direkten Zugang zum Mittelmeer über die Marinebasis in Tartus sichern will.

Nach dem Zerfall des Irak in Folge der vom Imperialismus losgetretenen Kriege war die jahrzehntelange Stabilität der Region Geschichte und die verschiedenen regionalen und internationalen Mächte versuchen sich ihr Stück vom Kuchen zu holen. Die weitgehend zersplitterte Opposition, die ohne konkretem Programm und vollkommen ohne Organisation angetreten war, hatte wenig aufzuweisen. Unabhängige Organisationen der ArbeiterInnenbewegung waren zu schwach, um eine zentrale Rolle zu spielen.

Der westliche Imperialismus verhielt sich zu den Ereignissen ambivalent. Ähnlich wie Gaddafi in Libyen war das Assad-Regime zwar kein verlässlicher Verbündeter des Westens, jedoch v.a. als Garant für Stabilität tolerabel. Die neoliberalen Reformen von Assad hatten v.a. eine syrische Elite reich gemacht. Westliche Investitionen in privatisierte Betriebe blieben aber hinter den westlichen Begehrlichkeiten zurück. Angesichts der Desintegration des Landes entschloss man sich in Washington, London und Berlin dafür, Teile der Opposition nun aktiver zu unterstützen.

Das Auftreten des „Islamischen Staates“ und sein Versuch seine barbarische Utopie in Syrien und im Irak zu realisieren war eine der wichtigsten Konsequenzen der sektiererischen Logik des Konfliktes. Dabei hat die Organisation wenig mit dem Islam zu tun; auch sind die allermeisten Opfer Muslime. Der IS ist vielmehr eine terroristische Wirtschaftsmafia. Die Ausplünderung der Region – auch über den Verkauf von Öl an türkische und westliche Energiekonzerne – finanziert den Krieg der Miliz, die sich zudem auf (zumindest informelle) türkische Unterstützung beim Kampf gegen die syrischen KurdInnen verlassen kann.

Die vom IS ausgehende Gefährdung westlicher strategischer Interessen und die Anschläge in Europa haben auch EU/USA als aktive Teilnehmer in den Konflikt gebracht. Zynisch behaupten Obama, Cameron und Hollande in Syrien die Menschenrechte herbeizubomben, während sie ihre Grenzen für jene Menschen dicht machen, die vor den Zerstörungen und den Morden in ihrer Heimat fliehen. Der „Krieg gegen den Terror“ dient aktuell tatsächlich in erster Linie der Befriedung der Region, um sie zu stabilisieren und dadurch weitere internationale Auswirkungen, die für die Herrschenden und die Wirtschaft negative Folgen hätten, einzudämmen. Dafür wird die Anfangs unliebsame Diktatur wieder zur bevorzugten Alternative und zum möglichen Garanten für Stabilität angedacht. Dass Syrien strategisch gut liegt, um Europa von russischen Öllieferungen unabhängiger zu machen, ist ein günstiger Nebeneffekt.

Für das türkische Regime, das lange ein enger Partner Assads war, geht es um die Stärkung der eigenen Rolle als Regionalmacht. Die Doppelstrategie gegen Assad und gegen jegliche kurdische Selbständigkeit macht das Erdoğan-Regime dabei zunehmend zu einem – zumindest informellen – Partner des IS. Im Mittelpunkt steht der Anspruch in einem, durch den Zerfall Iraks und Syriens neugeordneten, Nahen Osten zur dominanten Regionalmacht zu werden.

Das wollen andere auch: In das anfängliche politische Vakuum stießen die fundamentalistischen Regimes am Golf, die Verbündeten des Westens; hier insbesondere das Saudische Königreich und Katar. Die beiden sunnitisch-fundamentalistischen Staaten wählten ebenso wie die schiitische iranische Diktatur Syrien als nächsten Schauplatz des großen regionalen Konfliktes zwischen schiitischem und sunnitischem Kapital, der seit Pandoras Büchse 2003 im Irak geöffnet wurde die Region überschattet. Tatsächlich geht es aber nicht um den uralten religiösen Streit aus dem 8. Jahrhundert, sondern darum, dass verschiedene regionale Kapitalfraktionen die sektiererische Konstitution der Gesellschaften ausnützen, um sich (vermeintlich) stabile Partner zu suchen um ihre strategischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Während die schiitischen Quds-Brigaden aus Teheran eingeflogen wurden und die libanesisch-schiitische Hisbollah-Miliz die Grenze überschritt, um an der Seite Assads zu kämpfen, bewaffneten und finanzierten die Golfstaaten sunnitische Milizen.

Die erdrückende Logik des sektiererischen Bürgerkriegs, die bereits in der Struktur des Regimes weitgehend angelegt war, wurde dadurch um ein Vielfaches gesteigert. Angesichts der aktuellen weiteren Eskalation – durch das offene Eingreifen Russlands und das verstärkte Eingreifen des Westens – ist es notwendig zu betonen, dass der Krieg und alle seine schrecklichen Folgen nicht durch ausländische Militärinterventionen gelöst werden können. Diese verschärfen die Lage nur, es wird nur eine weitere Ebene addiert, die Tod und Vertreibung noch steigert.

Erscheint in Zeitungsausgabe: