Antifaschismus und Antirassismus

Für antirassistische Kämpfe im Bildungsbereich!

von Sarah Moayeri, ISA- und ROSA-Aktivistin sowie Mittelschullehrerin

Die Ausweitung von DNA-Tests, auch unterstützt von der SPÖ, Hetz-Kampagnen gegen angebliche “Fake-Familien”, der “Vorarlberger Kodex”, den sich NEOS-Bildungslandesrat Wiederkehr in Wien zum Vorbild nehmen will: Die etablierten Parteien nutzen den Familiennachzug geflüchteter Menschen zynisch, um Rechte weiter zu beschneiden. Die Situation an Schulen, die in der Tat miserabel ist, wird genutzt, um Menschen gegeneinander auszuspielen. Obwohl seit November 2023 die Anzahl der Asylanträge aufgrund des rassistischen EU-Grenzregimes stetig gesunken ist, wird rassistisch Panik geschürt. 

Fragiles Bildungssystem auf Kosten der Schwächsten

Warum fragt niemand, wie es sein kann, dass schon um die 300 Kinder pro Monat mehr (noch nicht einmal alle im Schuleintrittsalter) den Wiener Bildungsbereich angeblich “an den Rand des Kollaps” bringen? Der Ressourcen-, Platz- und Personalmangel an Schulen war schon vorher dramatisch, Kolleg*innen wurden massenhaft ins Burnout getrieben. Die Situation wird jetzt instrumentalisiert, um gegen Geflüchtete zu hetzen. Natürlich ist der Bildungsbereich unhaltbar - und diejenigen, die am meisten darunter leiden, sind Kinder und Jugendliche, die traumatisierende Fluchterfahrungen haben, kein Deutsch sprechen, in einer fremden und oft feindlichen Umgebung aufwachsen und nicht die Bildung bekommen, die ihnen zusteht. Die “Lösung” der Containerklassen ist nicht nur unsinnig, weil sie das Personal- und Ressourcenproblem nicht löst, sondern auch unmenschlich. Die Opposition gegen diese Klassen kommt oft von Rechts und ist rassistisch gefärbt, aber wir müssen aus einer antirassistischen Sicht gegen solche “Lösungen” kämpfen, weil sie allen Kindern, insbesondere geflüchteten, das Recht auf gute Bildungsumgebung und Lehrer*innen das Recht auf gute Arbeitsbedingungen nehmen. 

Gemeinsame Kämpfe und Streiks an Schulen nötig

Kimberger (FCG/ÖVP) stimmt als Vorsitzender der Pflichtschullehrer*innengewerkschaft in die rassistische Hetze ein, anstatt einen Kampf um mehr Ressourcen zu organisieren. Er sagte in einem Interview: “Es ist nicht nur eine Frage der Sprachförderung, es geht auch um Demokratie und unsere Werte”. Auch wenn das nicht überraschend ist, zeigt es, dass wir uns nur auf uns selbst verlassen können. Wir müssen den Bildungsaktionstag zum Anfang einer Offensive nehmen, um durch Streiks und Organisierung die Dinge zu erkämpfen, die es im Interesse aller Schüler*innen, Beschäftigten und Eltern braucht: Kleinere Klassen, mehr Personal für Alphabetisierung, psychologische Betreuung, Sozialarbeiter*innen, Schulgebäude, eine gemeinsame Pflichtschule für alle und mehr. So ein Kampf muss explizit antirassistische Forderungen, wie integrative Deutschförderung statt rassistisch-selektiver Deutschförderklassen aufstellen, denn der Mangel verstärkt Diskriminierung. Es gibt genug Geld, um die Ressourcen für gute Bildung für alle, besonders für die, die es am schwersten haben, zur Verfügung zu stellen: Die reichsten 5% in Österreich besitzen 53,5% des Vermögens, während Kinderarmut, von der geflüchtete Familien besonders betroffen sind, immer weiter zunimmt. FPÖ & Co lenken davon ab. Gegen ihre rassistische Hetze hilft nur ein Kampf im Bildungsbereich, der alle Betroffenen einschließt, sich den Reichtum und das Geld dort holt, wo er konzentriert ist und sich gegen ein System stellt, das Menschen zur Flucht zwingt. 

 

Info:

Mehrsprachigkeit ist eine wichtige Ressource, um Deutsch zu lernen. Deutschpflicht an Schulen bzw. das Verbot, andere Sprachen zu sprechen, lässt Kinder verstummen und hat katastrophale psychische Auswirkungen: (https://www.derstandard.at/story/2000145174328/mehrsprachigkeits-expertin-das-system-laesst-kinder-verstummen)

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Antirassismus & Feminismus: Same Struggle, same fight!

ROSA Flyer

Antirassismus & Feminismus: Same Struggle, same fight!

Jetzt organisieren gegen jeden Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Rechtsruck und Kapitalismus!

Vor vier Jahren wurden wir Zeug*innen von dem rassistischen Mord an George Floyd durch einen Polizeibeamten. Das war der letzte Tropfen, der in einem Land, in dem täglich schwarze Menschen von der Polizei und durch Waffengewalt ermordet werden, das Fass zum Überlaufen brachte. Millionen, darunter Schüler*innen und Arbeiter*innen, gingen gemeinsam auf die Straßen in US Städten, riefen “Black Lives Matter!” und forderten ein Ende der Polizeigewalt, des racial profilings und des tagtäglich erlebten Rassismus. Auch weltweit begann eine Welle an Protesten. Allein in Wien nahmen 50.000 an der Demo teil, um gegen Rassismus und Polizeigewalt an Black & People of Colour und Menschen mit Migrationgeschichte laut zu sein. Vier Jahre später müssen wir immer wieder von Nachrichten wie dem rassistischen Angriff auf ghanaische Mädchen lesen. Hierzulande ist Rassismus tief in den Strukturen verankert, hat tiefe Wurzeln in Institutionen wie der MA35 (Magistrat für Einwanderung und Staatsbürgerschaft), BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), im Parlament, in der Polizei und Justiz. Abschiebungen bedeuten tägliche Gewalt. Auch am Arbeitsplatz dürfen und sollten wir unsere Muttersprache nicht sprechen. In Schulen werden wir in Deutschförderklassen gesteckt, die noch mehr soziale Ausgrenzung erzeugen. Laut Dokustelle sind Mädchen und Schüler*innen am stärksten von antimuslimischem Rassismus betroffen. All diese Strukturen befördern Ausgrenzung, Armut, Diskriminierung und Vorurteile und legitimieren rassistische Vorfälle und Ungleichheiten.

“In a racist society it is not enough to be non-racist, we must be anti-racist.” ― Angela Y. Davis

Vier Jahre nach Floyds Tod leben wir in einer Zeit, in der es seit 1945 noch nie so viele Krisen und Kriege gab. Während europäische Waffen und imperialistische Regierungen das Massenmorden in Gaza ermöglichen, wird Protest dagegen kriminalisiert. Palästina-Solidarität wird als “antisemitisch” diffamiert, um Hetze gegen Muslim*innen zu schüren. Menschen, die zur Flucht gezwungen werden, haben hier keine Aussicht auf ein lebenswertes Leben, wenn sie nicht schon an den EU-Außengrenzen ermordet werden. Pushbacks, 3100 im Mittelmeer ertrunkene Menschen allein 2023. Österreich finanziert menschenrechtsverletzende Lager u.a. in Bosnien mit. Wir sehen einen massiven internationalen Rechtsruck, der unser und das Leben unserer Geliebten täglich bedroht. Auch in Österreich stehen wir vor der Nationalratswahl, bei der eine FPÖ/ÖVP Koalition wahrscheinlich ist. Eine rechte Regierung bedeutet härtere Asyl- und Grenzpolitik, es bedeutet dass mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken, mehr Polizeigewalt und mehr Alltagsrassismus, weil Rechte und Polizei mehr Selbstbewusstsein bekommen und Rassismus akzeptierter wird. Sie wollen geflüchtete Menschen zum “Ehrenamt” zwingen - eine Form der modernen Sklaverei. Es bedeutet für Menschen, die Opfer von Rassismus werden, in der Schule schlechter benotet und gefragt zu werden, woher man “wirklich” kommt. Es bedeutet, keine Wohnung zu bekommen oder ohne Grund von der Polizei kontrolliert zu werden. Es bedeutet, nicht in Clubs hineingelassen werden, komische Blicke abzubekommen oder es bedeutet, sich an Ereignisse wie das ekelhafte Sylt Video zu gewöhnen. Es kann auch physische Gewalt bedeuten, angespuckt zu werden oder sogar aus rassistischen Motiven, so wie Marcus Omofuma, umgebracht zu werden. 

Wir dürfen kein Vertrauen in die etablierten Parteien haben. Die SPÖ stimmt in den rassistischen Chor mit ein und steht auch für Abschiebungen. Die Grünen haben jede rassistische Schweinerei der ÖVP mitgetragen. Sogar die KPÖ schweigt noch viel zu oft über Alltagsrassismus. Es ist positiv, dass viele Menschen letzt links und die KPÖ wählen und auch wir rufen dazu auf - aber noch wichtiger ist, dass wir uns antirassistisch organisieren und von KPÖ, Gewerkschaften & Co verlangen, dass sie klare Kante gegen jeden Rassismus zeigen. Wir dürfen nicht die Illusion haben, dass die etablierten Parteien für unsere Rechte kämpfen. Es war und ist der westliche Imperialismus, der in unsere Heimatländer gekommen ist und für Verwüstung, Armut, Ausbeutung, Sklaverei und Gewalt verantwortlich war und ist! Es sind Parteien wie die ÖVP, die uns gegeneinander aufhetzen, die BIPOC verantwortlich für Femizide und Sexismus machen und es auf “Kultur, Herkunft und Religionen” schieben. Sie spielen auch Transpersonen gegen Frauen aus. Wir sagen: Unsere Kämpfe gehören zusammen! 

“If you're not careful, the newspapers will have you hating the people who are being oppressed, and loving the people who are doing the oppressing.” Malcolm X

Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit und andere Unterdrückungsformen haben ihre Wurzel im profitorientierten Kapitalismus. Der Kapitalismus braucht Rassismus, um durch billige Arbeitskräfte mehr Profite zu machen. Das aktuellste Beispiel sind die Fahrradbot*innen und ihre Streiks während der Zeit der Österreich Spiele in der EM. Angst vor Abschiebungen und ein unsicherer Asylstatus erschweren es genau diesen Menschen, für ihre Rechte - am Arbeitsplatz und darüber hinaus - zu kämpfen. Viele haben nicht nur Angst ihren Job zu verlieren, sondern auch ihren Aufenthaltstitel. Die Fahrradbot*innen brauchen unsere volle Solidarität im Kampf gegen Armutslöhne! Es sind die Mächtigen, die Rassismus nutzen, um bestimmte Gruppen noch mehr auszubeuten. Der Kapitalismus, in dem Frauen, Queere und BIPOC mehrfach aufgrund des Aufeinandertreffens der Unterdrückungsformen benachteiligt sind. Der Kapitalismus, in dem Banken an den Wolken kratzen und die große Mehrheit unter prekären Bedingungen lebt. Aber hier liegt auch unsere Stärke - wie es Çetin Gültekin in seiner Rede anlässlich des 4. Jahrestages des Anschlags in Hanau betonte "Vielleicht sollten alle Migrant*innen mal für eine Woche die Arbeit niederlegen. Welcher Bus würde noch fahren? Wer würde den Müll abholen? Wer würde die Straßen und Häuser bauen? Wer würde die Alten pflegen?"

“We are not outnumbered. We are out-organized” -Malcolm X

Um gegen Unterdrückung vorgehen zu können, brauchen wir eine starke und politisch klare Bewegung, die gegen alle Arten von Ausbeutung und jede Ungleichheit laut wird. Die sich an Schulen, Arbeitsplätzen, Universitäten und Co. ausbreitet und auf jeden Angriff reagiert und eine Basis für eine grundlegende Systemveränderung schafft. Bewegungen wie Black Lives Matter, die Solidaritätsbewegung mit Gaza, oder Frau Leben Freiheit, die den Kampf gegen unterschiedliche Unterdrückung miteinander verbinden. Aber auch die Streiks der Freizeitpädagogi*innen oder Fahradbot*innen die aufzeigen welche Rolle migrantisierte Beschäftigte in dieser Gesellschaft spielen. Eine Bewegung für eine Welt für alle, in der unsere Interessen vertreten werden und nicht die der obersten Zehntausend. 

ROSA ist eine antirassistische, sozialistisch-feministische Initiative gegen jede Unterdrückung. Werde jetzt mit uns aktiv, um eine starke Bewegung gegen Rechts und jeden Rassismus aufzubauen, um unter anderem für diese Forderungen und eine sozialistische Alternative zum rassistischen, imperialistischen Kapitalismus zu kämpfen:

-> Gegen Polizeigewalt, rassistische Polizeikontrollen und rassistische Behördenwillkür (MA35): für ein unabhängiges Organ zur Kontrolle der Polizei und Behörden!​

-> Nein zur Festung Europa! Bleiberecht für alle! Zugang zu Arbeit, leistbarem Wohnraum, kostenloser Gesundheitsversorgung und Bildung für alle!

​-> Gratis Therapie für alle und vor allem für Menschen, die von Rassismus betroffen sind!

-> Gegen rassistische und ausgrenzende Strukturen im Bildungssystem: Schluss mit Deutschförderklassen, Hijab-Verboten und Verbot von Erstsprachen. Für eine ausfinanzierte inklusive Gesamtschule ohne Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit, in der alle die gleichen Chancen haben, organisiert und geleitet von Lehrpersonen, Pädagog*innen und Schüler*innen selbst.

-> Solidarität mit dem Arbeitskampf der Fahradbot*innen! Für eine gewerkschaftliche Kampagne für bessere Arbeitsbedingungen und gegen Rassismus gerade in schlecht organisierten und migrantisierten Berufen! 

-> Diskriminierung am Wohnungsmarkt beenden! Immobilienspekulant*innen enteignen! Wir brauchen leistbaren öffentlichen Wohnbau frei verfügbar für alle um nicht mehr der Willkür von rassistischen Makler*innen und Vermieter*innen ausgesetzt zu sein!

-> Wahlrecht für alle Menschen, die hier leben! 

-> Bekämpfen wir ein System, das Menschen zur Flucht zwingt: Bauen wir die Bewegung gegen das Massaker in Gaza, Besatzung und Imperialismus und für einen sofortigen Waffenstillstand auf!

-> Organisieren wir uns überall wo wir wohnen, leben, lernen und arbeiten, um jede Form von Rassismus zurückzudrängen: Für antirassistische und antifaschistische Gruppen an Schulen, Arbeitsplätzen, in Unis und in Nachbarschaften als Basis für eine Bewegung gegen das gesamte ausbeuterische System!

 

Aktiv werden 

ROSA im Park:

Wir wollen den Sommer nutzen, um uns politisch weiterzuentwickeln und uns auf Kämpfe im Herbst vorzubereiten, u.a. werden wir über Antifaschismus diskutieren. Die Termine werden wir online posten.

Antirassistisches, feministisches und sozialistisches Sommercamp von ISA & ROSA 18-25.8.

Eine Woche lang werden wir über unterschiedliche politische Themen diskutieren und Erfahrungen über Bewegungen teilen.

Widerstand gegen den Rechtsruck, Femizide und Kapitalismus

Im Herbst wollen wir rund um die Nationalratswahlen Aktionen gegen Rechts organisieren und eine Kampagne und Demo zum internationalen Tag gegen geschlechterspezifische Gewalt am 25.11. 

Wenn du mehr Infos haben und aktiv werden willst melde dich einfach bei uns!

Instagram: @rosa_oesterreich

WhatsApp: +43 660 9543696

,Mei Favoriten is ned deppat‘ – Nein zur rassistischen Hetze!

von Celina Brandstötter

Der 10. Wiener Gemeindebezirk Favoriten gilt bereits seit längerem als  ,Neukölln 2.0’, Negativschlagzeilen mit rassistischem Ton um Wiens einwohner*innenstärksten Bezirk häufen sich jedoch seit Jahresbeginn zunehmend. In Zentrum stehen hierbei vor allem Delikte wie Körperverletzung, Diebstähle, Drogenhandel oder sexualisierte Übergriffe, die durch die Polizei vermeldet werden. Diese Probleme im Bezirk sind ernstzunehmen, sie werden jedoch einerseits medial überzeichnet, andererseits politisch und medial ganz klar mit einer ,außer Kontrolle geratenen’ Migrations- und Asylpolitik in Verbindung gebracht. Mehr Polizei im Bezirk oder eine neue Waffenverbotszone werden keine längerfristige Lösung für soziale Probleme im Bezirk sein. Letztlich sind sie auch Mittel zum Zweck, um zusätzlich rassistische Vorurteile und antimuslimischen Rassismus zu schüren, der Favoriten spalten soll. 

Der Stadtpolitik sind Frauen und Favoriten egal!

Sowohl FPÖ und ÖVP nutzen Vorfälle im Bezirk in der derzeitigen Vorphase zur Nationalratswahl gezielt, um soziale Probleme mit dem Bild des nicht integrierbaren migrantischen Jugendlichen zu verbinden. Neben rassistischer Hetze (,Selbst Ausländer warnen vor diesen Örtlichkeiten’) fordern beide Parteien einen massiven Ausbau der Polizei im Bezirk. Die ÖVP fordert zudem die Senkung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre. Etliche Forderungen der ÖVP und FPÖ stellen ganz klar muslimische migrantische Jugendliche per se als Gruppe gefährlicher potenzieller Straftäter*innen dar. Diese Hetze ist nicht nur gefährlich für Migrant*innen und spaltet die Gesellschaft - sie soll auch von der eigenen Rolle im System von Armut und Perspektivlosigkeit ablenken. Doch auch Wiens Regierungsparteien, die SPÖ und NEOS (früher auch die Grünen), sind mitverantwortlich für die soziale Misere, in der sich besonders Migrant*innen in einem von Wiens ärmsten Bezirken befinden: Mangelnder und teils schlecht instand gehaltener geförderter Wohnraum sowie fehlende schulische Strategien zur psychosozialen Unterstützung während Krisen wie der Corona-Pandemie sind hier nur einige Beispiele. Echte Lösungen von der Stadtregierung? Fehlanzeige. Stattdessen fordern auch SPÖ und Neos mehr Polizeipräsenz. 

Soziale Perspektiven statt rechter Hetze!

Wer Kriminalität in Favoriten wirklich beenden will, muss sich den realen sozialen Problemen und der gesellschaftlichen Ausgrenzung von migrantischen Menschen in Wien widmen. Gerade in Zeiten der kapitalistischen Mehrfachkrisen sind besonders für junge Menschen Zukunftsängste und psychische Belastung allgegenwärtig. Armut und soziale Isolation von der sogenannten ,Leitkultur’ treffen insbesondere Migrant*innen. Nicht zufällig sind die ärmsten Bezirke Wiens auch jene mit den höchsten Migrant*innenanteil. Sie brauchen echte Zukunftsperspektiven, die ihnen sichere Jobs, Wohnraum und genügend Geld zum Leben bieten. Für solche Perspektiven braucht es aber auch eine Politik abseits kapitalistischer Sachzwänge und rechter Hetze. 

Info:

Ein Blick in die polizeiliche Statistik zu Strafdelikten zeigt, dass Favoriten in seiner Kriminalitätsrate durchaus mit Städten wie Linz oder Innsbruck vergleichbar ist. Diese weisen bei gleicher Einwohner*innenanzahl eine ähnlich hohe statistische Kriminalitätsrate auf. Ebenso zeigt der Vergleich verschiedener Wiener Bezirke, dass bei Favoriten nicht von DEM ,Problembezirk’ gesprochen werden kann. Bemessen an der Einwohner*innenzahl liegen in der allgemeinen Kriminalitätsstatistik Bezirke wie Mariahilf oder Alsergrund vorne. Bei spezifischen Delikten wie Gewalttaten befinden sich der 16. und 2. Bezirk an der Spitze. In Favoriten selbst sind neben dem ‚verschrieenen'  Reumannplatz vor allem der Hauptbahnhof Wien und das Fußballstadion der Wiener Austria Konfliktzonen, in denen Straftaten gemeldet werden.   

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Hanau, 19. Februar 2020: “Der Tag, an dem ich sterben sollte”

Buchrezension: Said Etris Hashemi, "Der Tag, an dem ich sterben sollte - Wie der Terror in Hanau mein Leben für immer verändert hat"
Sarah Moayeri

Vier Jahre nach dem rassistischen, rechtsextremen Terroranschlag in Hanau veröffentlicht Said Etris Hashemi, der bei dem Anschlag seinen jüngeren Bruder und seine Kindheitsfreunde verlor und selbst schwer verletzt überlebte, mit seinem Buch eine erschütternde Anklage gegen ein System, das Hanau erst ermöglichen konnte. Das Buch erscheint zu einer entscheidenden Zeit, in der wir diskutieren müssen, wie wir den gefährlichen Rechtsruck bekämpfen können. Zuletzt hat ein Brandanschlag in Solingen, bei dem eine türkisch-bulgarische Familie ums Leben gekommen ist, viele Menschen an die rassistischen Mordanschläge 1993 in Solingen erinnert. 700 Menschen nahmen an einer Gedenkdemonstration teil und forderten eine vollständige Aufklärung des Falls, nachdem die Behörden unmittelbar “ein rassistisches Motiv” ausgeschlossen hatten. Antirassistische Aktivist*innen betonen zurecht, dass wir wissen, dass Worte zu Taten führen und verweisen damit auf die Gefahr durch die zunehmende rassistische Hetze, die wir aktuell erleben. Das Buch kann einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen jede Form von Rassismus leisten, weil es die brutale Realität für einen riesigen, von Rassismus betroffenen Teil der Bevölkerung im Detail schildert und eindrucksvoll zeigt, wie Staat, Behörden, Polizei und Regierungen mitschuldig und wesentlicher Teil des rassistischen Systems sind.

Struktureller und systematischer Rassismus - in allen Poren der Gesellschaft

“Vielleicht war damals schon der endlose Gedankenstrom eines typischen Migrantenkindes wie mir schuld daran, dass sich mein Kopf wie ein Bergwerk anfühlte, das niemals zur Ruhe kommt. Irgendwie haben wir ja alle einen Knacks.” 

Mit diesen Sätzen beginnt Said Hashemi den Rückblick auf seine Kindheit und Jugend, es ist ein ständiger Wechsel zwischen diesen Erinnerungen und Erinnerungen an das Attentat sowie an die Prozesse im Rahmen des Untersuchungsausschusses. Seine Eltern kamen in den späten 80ern / frühen 90ern aus Afghanistan nach Deutschland, er wuchs mit seinen Geschwistern in Hanau-Kesselstadt inmitten von Polizeischikanen, Rassismus und sozialen Missständen auf. Er beschreibt in dem Zusammenhang den tiefen Zusammenhalt und die Solidarität der Familie, Freund*innen und Nachbar*innen: “Gewalt, Drogen, Armut atmeten die Wände dieser Blocks genauso wie Zusammenhalt, Liebe und Freundschaft.”  und “Kesselstadt wird von der Polizei und Politik gern als “Migrationshotspot” oder “Problembezirk” bezeichnet. Aber ich empfinde Kesselstadt einfach nur als einen Ort, an dem sehr viele Menschen unterschiedlichster Hintergründe zusammenwohnen. [...] Das Problem war unsere Armut. [...] Und wir hielten zusammen. Nicht nur wenn die Bullen mal wieder irgendwo einritten, um mal zu Recht, mal zu Unrecht Menschen zu kontrollieren und festzunehmen, sondern auch, wenn jemand ein Mittagessen brauchte. [...] Es ist eine ganz komische Zerrissenheit, die wir alle in unseren Seelen tragen. Wir verfluchen und vergöttern den Beton, Asphalt und Rost, in dem wir aufwachsen, zu gleichen teilen.”

Er beschreibt die Geschichte seiner Familie; wie sein Onkel bei einem Bombenangriff in Afghanistan in den Armen seines Vaters starb, wie er mit seinen Cousins in einer zerbombten Nachbarschaft spielte, die Kriegstraumata und wie seine Eltern unter den widrigsten Bedingungen in Deutschland schufteten, um ein Teil des verdienten Geldes nach Afghanistan an die Familie schicken zu können. Er beschreibt, wie sein Vater immer stolz darauf war, eigenes Geld zu verdienen und wie die Bildung seiner Kinder das Wichtigste für ihn war. “Ich weiß nicht, ob sich mein Baba damals schon darüber im Klaren war, was Rassismus ist und wie er wirkt. Aber ich denke, er wollte einfach nicht bestätigen, was man eh von uns dachte. [...] Das ist in den Köpfen aller Migranten drin. Dieses ständige Sichhinterfragen, ständig unter Dauerverdacht stehen.”

Der 19. Februar 2020 war in Wirklichkeit eine Kontinuität von den Verhältnissen, die Hashemi beschreibt. Die Ausgrenzung, die Vorurteile, die Scham, der systematische, strukturelle Rassismus. Mert, sein bester Freund, wurde im Teenageralter vermutlich ermordet, die Tat wurde nie aufgeklärt. Ein anderer Freund wurde mit Absicht von der Polizei angefahren. In der Schule ließ der Lehrer die Schüler*innen auf der Schulbaustelle arbeiten, anstatt Mathematik zu unterrichten: “Die sehen uns voll als Gastarbeiter. Eigentlich sogar schlimmer. Die kriegen wenigstens Stundenlohn.” Rassistische Beleidigungen durch Lehrer*innen und Mitschüler*innen waren Alltag. “Auch die Pädagogen in meinem Leben begegneten mir häufig mit Vorurteilen, die in den meisten Fällen jeden Selbstwert und jede Selbstwirksamkeit in einem Kind auslöschen. Das begann schon im Kindergarten.”

Hashemi schreibt darüber, wie er als Jugendlicher darüber nachdachte, dass Geld und beruflicher Erfolg der Schlüssel waren, um aus diesen Verhältnissen herauszukommen. “Arme Menschen sterben früher. Armut frisst sich buchstäblich in jede Faser des Lebens - und frisst es am Ende auf.” Er beschreibt, wie er in den Jahren vor 2020 stolz auf das war, was er trotz der widrigen Umstände erreicht hatte: “Fester Job, Zukunftsperspektive - das gefiel auch meinen Eltern. [...] Und dann kam der 19.Februar und meine Zukunft zerbrach wie ein Glas.”

Das Attentat und die Mitschuld von Behörden, Polizei & Politik

Die Schilderung der Tatnacht in der Arena-Bar geht unter die Haut. Der Täter hatte sich den Ort des Attentats sehr gezielt ausgesucht, um seine rassistischen Vernichtungsfantasien zu erfüllen. Kurz vor der Tat verschonte er einen Kioskbesitzer, dem er seinen Namen und seine Herkunft nicht ansehen konnte. Mustafa, der Kioskbesitzer, sprach nicht, als der Täter ihn mit der Waffe bedrohte, weil er wusste, dass er gegenüber diesem Rassisten seinen Akzent verstecken musste - das rettete ihm vermutlich das Leben und ist ein erschütterndes Zeugnis für das Wesen rassistischer Gewalt. 

Der Täter von Hanau und sein rechtsextremer Hintergrund waren den Behörden bekannt, sogar nachdem er eine Frau stalkte, eine Sexarbeiterin bedrohte und sie von übergriffigen und gefährlichen Verhaltensweisen berichtete, sah die Polizei keinen Handlungsbedarf. Auch sie berichtete davon, wie die Polizei bei der Vernehmung eher daran interessiert war, “ob sie überhaupt rechtmäßig der Prostitution nachgehen würde”. Hashemi fasst im Buch zusammen, was alles über den Täter und seine rechtsextreme Gesinnung aufgedeckt wurde - entgegen der Fokussierung auf seine psychischen Erkrankungen. “Der Mann hatte offenbar eine Mission und ihm war viel daran gelegen, auch den Rest der Welt davon zu überzeugen.” Strafanzeigen im Jahr 2019 legten deutlich seine rassistische und antisemitische Gesinnung offen, doch die Behörden schauten ein weiteres Mal weg. Er konnte unbehelligt, trotz des Gefahrenpotentials, Waffen besitzen und an Schießübungen teilnehmen. Eine halbe Stunde vor der Tat wurde er noch von der Polizei kontrolliert, das Auto voller Waffen und Munition. 

Zeugenaussagen darüber, wie die Polizei den Barbetreiber angewiesen hatte, die Notausgangstür geschlossen zu halten. Die verspätete medizinische Versorgung, weil zuerst die Ausweise der Verletzten gesucht wurden. Polizisten, die behaupteten, nichts von den Problemen beim Notruf gewusst zu haben. Schockierende Details über die aktive Passivität, das Versagen und die Mitschuld der Behörden und politisch Verantwortlichen zeigen deutlich die Rolle des Staates im Aufrechterhalten rassistischer Strukturen und wie diese Institutionen nicht nur Rechtsxtreme schützen, sondern selbst durchsetzt sind von diesen Ideologien und Rassismus.

Gerade in dem Zeitraum vor der Tat prägte wieder einmal eine Welle der Hetze über Shisha-Bars, “kriminelle Clanstrukturen” und “Parallelgesellschaften” die deutsche Medienlandschaft. Nach dem Attentat war die Rede von “Shisha-Morden”. Hashemi zitiert den Bruder von Gökhan Gültekin, der immer wieder sagt, dass es zwei Anschläge gab. Den ersten am 19.Februar und den zweiten durch den Umgang der Behörden in den folgenden Tagen, Wochen, Jahren. “Als das SEK zum Beispiel Mercedes’ Vater und Familienangehörige mit gezogenen Waffen in seinem Auto umzingelte, weil die Beamten davon ausgingen, dass er ein Täter sein könnte - denn was hat ein Roma sonst um die Zeit am Kurt-Schumacher-Platz zu suchen?” Der Begriff der “sekundären Viktimisierung” taucht im Buch immer wieder auf. Er beschreibt genau diese Art der Täter-Opfer-Umkehr, der Retraumatisierung, des fehlenden Opferschutzes. Ähnlich wie bei den NSU-Morden wurden Familienangehörige verdächtigt. Auch Hashemis Handy wurde beschlagnahmt. Den Hinterbliebenen, Überlebenden und ihren Unterstützer*innen wurde sehr schnell klar: Im Kampf um Aufklärung, Konsequenzen, gegen den systematischen Rassismus können wir uns nur auf unsere eigene Kraft verlassen. 

Der Untersuchungsausschuss 

Durch den Druck der Angehörigen und antirassistischen Aktivist*innen wurde ein Untersuchungsausschuss einberufen, der 2023 endete. Hashemis Buch schildert detailliert Abläufe und Befragungen im hessischen Landtag und beginnt mit der Hoffnung, die viele der Angehörigen in diesen Prozess steckten - und die bitter enttäuscht wurden. “Wenn dieser Untersuchungsausschuss uns eines gelehrt hat, dann, dass sich ein Beamter niemals bei einem Kanaken entschuldigen wird, komme, was wolle.” Hashemi schildert unzählige Aussagen und Situationen in den Untersuchungsausschusssitzungen, die retraumatisierten, relativierten und die Angehörigen verhöhnten. 

“Hier stellt niemand die tatsächlich wichtigen Fragen, und wenn wir wollen, dass etwas vorangeht, müssen wir es selbst machen. Geleakte Gutachten, veröffentlichte Berichte - fast alles, was in diesem Untersuchungsausschuss erkenntnisreich war, lieferten wir Hinterbliebenen - teilweise unerlaubterweise, aber wir hatten ja keine Wahl!”

Viele Fragen bleiben offen, auch wenn der gesellschaftliche Druck dazu beitrug, dass diese Frage überhaupt erst in einem solchen öffentlichen Rahmen und Prozess gestellt wurden:“Unser Hauptanliegen war immer Aufklärung. In gesellschaftlicher Hinsicht haben wir die auch erreicht. Keiner bezweifelt mehr, dass der Notruf nicht richtig funktioniert hat. Dass der Notausgang verschlossen war. Dass der Vater des Täters ein Nazi ist, der nach wie vor unsere Heimatstadt terrorisiert.”

All diese Aufklärungsarbeit haben die Hinterbliebenen und Aktivist*innen im Laufe der letzten vier Jahre geleistet. Doch das Ergebnis der Untersuchungsausschusses ist ein weiterer Schlag ins Gesicht für sie - denn es werden keine Konsequenzen gezogen. Die Ermittlungen wegen des versperrten Notausgangs und des nicht funktionierenden Notrufs wurden eingestellt und nicht wieder aufgenommen. Verantwortliche Politiker*innen und Beamt*innen suchen noch immer nach Ausreden und Relativierungen, um von ihrer Schuld abzulenken. Für Hashemi und die Initiative 19.Februar ist letztlich klar:“Für den Mord an meinem Bruder Said Nesar Hashemi, an Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Mercedes Kierpacz, an meinen Jugendfreunden Hamza Kurtović, an dem Helden Vili Viorel Păun, an Fatih Saraçoğlu und Kaloyan Velkov hat es nie ein Verfahren gegeben. Weil der Täter sich selbst gerichtet hat.”

Gegen das Vergessen - Jeden Tag Widerstand gegen Rechtsextremismus und Rassismus aufbauen 

Hashemis Buch ist zu einer entscheidenden Zeit erschienen. AfD, FPÖ & Co verzeichnen neue Umfrage-Rekorde. Die “geheimen Remigrationspläne” der Faschist*innen haben uns in Schock versetzt, und waren doch für viele migrantisierte Menschen, die schon immer den systematischen Rassismus der kapitalistischen Gesellschaft und die rechtsextreme Gefahr auf allen Ebenen ihres Lebens zu spüren bekommen, keine große Überraschung. Eine neue Welle des Rassismus, gezielt gegen muslimische Jugendliche gerichtet, gefährdet heute wieder und immer noch Menschenleben. Wenn wir uns in Österreich beispielsweise aktuell die Nachrichten und die rassistische Hetze über den 10. Wiener Bezirk durchlesen, liegt die Angst vor zunehmender rassistischer Gewalt sehr nahe. Hashemi bringt es selbst auf den Punkt, wie rassistische Gewalt und Morde keine Einzelfälle und die Folge, die Spitze des Eisbergs, einer rassistischen Politik und Hetze sind: “Der Anschlag auf das Oktoberfest in München 1980. die rechtsextremen Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991, ein Jahr später Rostock-Lichtenhagen, Mölln, 1993 dann Solingen. Die unzähligen Brandanschläge auf Asylheime in den 1990er Jahren sorgten zwar für Aufsehen, führten aber nicht zu härterem Durchgreifen in der rechten Szene. Die Antwort der Politik waren verschärfte Asylgesetze - auch dank Hetzkampagnen der Bild-Zeitung, die diese Stimmung weiter anheizte. Nicht zu vergessen der NSU, der sieben Jahre lang Migranten ermorden konnte, während Boulevardblätter es so darstellen, als seien die Migranten selbst schuld, als handele es sich um kriminelle Milieus, Ehrenmorde oder mafiöse Rivalitäten.” 

Da ist es besonders zynisch, wenn von der etablierten Politik, von Parteien, die selbst für diese rassistische Politik verantwortlich sind, versucht wird, die unermüdliche Arbeit und die Errungenschaften der Initiative 19.Februar zu vereinnahmen. Olaf Scholz ließ sich stolz mit Hashemis Buch fotografieren - wenige Monate nach massiven Asyrechtsverschärfungen und seiner Aussage “Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.”

Tatsächlich markierte Hanau einen wichtigen Wendepunkt im Widerstand und in der Selbstorganisierung migrantisierter Communities. Wenige Monate später weiteten sich die black lives matter Proteste auch auf Deutschland und Österreich aus. Wie die Aktivist*innen selbst immer wieder betonen “Wir kämpfen weiter”. Hashemi sagt, “Weil so viele Migranten sich in unseren Namen wiedergefunden haben. Hanau hat eine Schockwelle durch unsere Communities geschickt.”

Dass die Angehörigen die Aufarbeitungs- und Aufklärungsarbeit selbst in die Hand nehmen mussten, die wegweisende Arbeit ihrer Organisierung und Initiative, zeigt, welchen Antirassismus wir brauchen: Von unten, von den Betroffenen und solidarischen Menschen selbst organisiert, die Probleme an der Wurzel packend und für Forderungen wie: Abschiebestopp, gleiche Rechte für alle, eine demokratische Kontrolle der Polizei und Behörden durch antirassistische Initiativen, unabhängige Anlauf- und Beschwerdestellen, Zugang zu guter Arbeit, Wohnraum, sozialer Sicherheit und Bildung sowie entschlossener Widerstand gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung. 

Hashemi beschreibt gegen Ende des Buches, wie im Zuge der Kampagnen der Initiative 19.Februar ein Treffen ihm besonders in Erinnerung geblieben ist und Eindruck hinterlassen hat, nämlich jenes mit der IG Metall: “Die Macht der Gewerkschaften wird oft unterschätzt. Sogar die Gewerkschaften unterschätzen manchmal ihre eigene Macht. Sie haben Millionen von Mitgliedern. Millionen von Stimmen, die vereint tatsächlich etwas verändern können. Nichts trifft einen Konzern so sehr, als wenn die wichtigste Ressource fehlt: die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.”

Eine ähnliche Perspektive zeigte auch Çetin Gültekin in seiner Rede am 17.02.2024 auf der bundesweiten Gedenkdemonstration anlässlich des 4. Jahrestages des Anschlags auf, er sagte: "Vielleicht sollten alle Migrant*innen mal für eine Woche die Arbeit niederlegen. Welcher Bus würde noch fahren? Wer würde den Müll abholen? Wer würde die Straßen und Häuser bauen? Wer würde die Alten pflegen?"

Der Kampf gegen Rassismus muss integraler Bestandteil der Arbeiter*innenbewegung, ihrer Organisationen und aller Kämpfe sein. Wir haben es der Initiative 19.Februar, Said Etris Hashemi, Çetin Gültekin und allen anderen Angehörigen und Aktivist*innen zu verdanken, dass Hanau zu einem derartigen Symbol geworden ist und eine Bewegung angestoßen hat. Sie haben ihren unerträglichen Schmerz in den notwendigen Widerstand verwandelt, so wie Hashemi sagt “nicht weil sie all das tun wollen, sondern weil sie nicht anders können”. Ob im Mittelmeer, in Geflüchtetenlagern, auf den Spargelfeldern oder in den Fleischfabriken - migrantisches Leben und migrantische Arbeit ist in diesem System, im Kapitalismus, nichts Wert. Die Bewegung, die wir als Lehre aus Hanau aufbauen müssen, muss dieses gesamte System von Grund auf überwinden, denn: Hanau ist überall. 

 

 

VORWÄRTS-Schwerpunkt zum aktuellen Rechtsruck

von Sebastian Kugler und Christoph Glanninger

Rechtsruck? Widerstand!

Für das Superwahljahr 2024 wird global ein Rechtsruck vorausgesagt. In neun EU-Ländern, darunter Österreich, stehen rechtspopulistische und -extreme Parteien wie die FPÖ auf Platz 1 in Umfragen. In den USA droht die Rückkehr des stark radikalisierten Trump. In Russland dienen die Wahlen sowieso nur mehr der Festigung von Putins Regime.In Deutschland hält sich die AfD konstant über 20% und wird voraussichtlich bei den Landtagswahlen in einer Reihe von Bundesländern stärkste Kraft. Gleichzeitig driftet die gesamte etablierte politische Landschaft nach rechts. Vor allem die klassischen bürgerlich-konservativen Parteien - von den US-Republikanern über die britischen Tories und die deutsche CDU bis zur ÖVP - übernehmen nun offen die Rhetorik und Programmatik der Rechten. Das zeigt sich anschaulich im “Österreich-Plan” von Kanzler Nehammer, der den Kulturkampf der FPÖ komplett kopiert.Aber auch (ehemals) “linke” politische Kräfte richten ihre Fahnen nach dem rechten Wind. Während zurecht große Empörung über die Pläne zur “Remigration” auf dem faschistischen Treffen von Potsdam herrscht, konnte der deutsche Kanzler Scholz (SPD!) nur kurz davor auf dem Cover des Spiegel verkünden: “Wir müssen im großen Stil abschieben”. Auch SPÖ-Chef Babler, von dem sich viele einen konsequenten Antirassismus erhofften, steht offen zu “Verfahrenszentren” an den EU-Außengrenzen und akzeptierte den Ausschluss von SPÖ-Mitgliedern, die sich für die Rechte von Palästinenser*innen einsetzen. Gerade der Gaza-Krieg diente vielen Liberalen, wie NEOS und Grünen, dazu, ihr dünnes antirassistisches Jäckchen abzustreifen, im Namen “westlicher Werte” die Reihen bis zur FPÖ zu schließen und in die verallgemeinerte Propaganda gegen Migrant*innen und Muslime einzustimmen. Die ach-so-fortschrittliche EU lässt jeden Tag Geflüchtete an ihren Außengrenzen sterben und rollt damit den Rechtsextremen den Teppich aus. Nichts könnte das besser illustrieren als die Kandidatur des früheren Frontex-Chefs auf der Liste der französischen Rechtsextremen Le Pen.Woher kommt dieser Rechtsruck - und was können wir ihm entgegensetzen? Damit beschäftigt sich dieser Vorwärts-Schwerpunkt.

Wer vom Rechtsruck spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen

Liest man die gängigen Analysen zum Rechtsruck, bekommt man einfache Antworten: Die Menschen seien dumm, die Welt sei ihnen zu kompliziert - oder die Gruppen, gegen die sich der Hass richtet, seien selbst Schuld, weil sie diese Reaktion provoziert hätten. Dadurch werden die systemischen Wurzeln der aktuellen Entwicklungen - und Antworten darauf - verdeckt.

Krise des Kapitalismus als wirtschaftlicher Hintergrund

Die tiefe Krise, in der sich der Weltkapitalismus seit der Krise von 2008 befindet, bildet die Grundlage für die Verschiebungen in der Politik. Die Ära der neoliberalen Globalisierung ist zu Ende. Sie war gekennzeichnet durch eine Intensivierung des Welthandels und drückte sich durch internationale Freihandelsabkommen aus, mit denen nationale Märkte für internationale Konzerne auf Kosten der Arbeiter*innenklasse (durch Sozialabbau, Privatisierungen usw.) geöffnet wurden. Der Nationalstaat verlor an Bedeutung, stattdessen entstanden größere Machtblöcke wie die EU. Damit einher ging die Dominanz des globalen Finanzsektors, dessen Kollaps 2008  auch die Kehrtwende einläutete und Millionen Arbeiter*innen weltweit in Armut stürzte. Seither sehen wir einen Trend zur “Deglobalisierung”. Ohne wirkliches Wirtschaftswachstum und angesichts der Entzauberung der internationalen Finanzmärkte setzte in Wirtschaft und Politik ein Umdenken ein: Nun galt es, vor allem den eigenen “Wirtschaftsstandort” zu verteidigen - und der Nationalstaat erlebte als Instrument dafür ein Comeback. An die Stelle des Freihandels trat nun der Handelskrieg, wie Trump ihn gegen China anzettelte. Sein Slogan “America First” drückt den neuen kapitalistischen Zeitgeist aus und wird nicht zufällig überall auf der Welt kopiert: Brazil first, Russia first, China first usw. Bei Handelskriegen bleibt es nicht - im Ukrainekrieg und dem Säbelrasseln um Taiwan äußert sich die imperialistische Konkurrenz bereits militärisch.Die fortwährenden Krisen stellen die Grundlage für den Aufstieg des Rechtspopulismus dar. Er kann an der Wut über Unsicherheit, Krisen und soziale Verschlechterungen ansetzen, die Dauerkrisen einer scheinbar heilen Vergangenheit gegenüber stellen und dabei Feminismus, Migration und Co. die Schuld geben. 

Krise des Establishments als politischer Hintergrund

Auf der politischen Ebene bereitete die etablierte Politik selbst den Boden für den Rechtsruck. Rechte Politik wurde in den letzten Jahrzehnten im liberalen oder sozialdemokratischen Mäntelchen normalisiert - der Abbau des Sozialstaats, genauso wie die Aushöhlung des Asylrechts, wurde in den 1990ern von der SPÖ vorangetrieben. Gleichzeitig schuf der alltägliche rechtsstaatliche Rassismus - kein Wahlrecht, Diskriminierung am Arbeits- und Wohnungsmarkt usw. - erst jene verarmten und entrechteten migrantischen Bevölkerungsschichten, die das bevorzugte Ziel rechter Hetze sind. Andererseits haben Teile des politischen Establishments in den letzten Jahrzehnten fortschrittliche Ideen vereinnahmt. Doch die verschiedenen Formen des bürgerlichen Feminismus haben dabei versagt, die materielle Situation von Frauen und queeren Personen substantiell zu verbessern; der staatstragende Antirassismus hatte höchstens schöne Worte übrig, aber nicht gleiche Rechte und Investitionen in Jobs und Wohnungen für alle, die hier leben und leben wollen; die Klimakrise wurde nur mit hohlen Phrasen bekämpft, während man ihre Kosten auf die breite Bevölkerung statt auf die Profiteure von Umweltzerstörung ablud. Das alles erleichterte den Rechten ihre verlogene Darstellung von diesen zentralen Kämpfen für unsere Klasse als Eliten-Themen. Das politische und mediale Establishment  zieht nach, indem sie nun auch offen antifeministisch und ausländerfeindlich auftreten. Eine wichtige Lehre ist also, dass unsere Kämpfe gegen Sexismus, Rassismus und für Klimagerechtigkeit kein Vertrauen in dieses Establishment haben dürfen.

Rechte Pseudo-Antworten

Die Rechten machen diffuse Versprechungen von einem Systemwandel - obwohl sie gleichzeitig die größten Verteidiger des Profitsystems sind (z.B. spricht sich die FPÖ gegen Vermögenssteuern aus). Deswegen richten sie ihre Propaganda gegen “die Politiker”, aber nicht gegen die Bosse. Deswegen beschwören sie die Illusion eines abgeschotteten nationalen Kapitalismus ohne Krisen. Damit sprechen die Rechten vor allem kleinbürgerliche Mittelschichten an - jene, die sich sowohl von oben (von der Politik oder großen Konzernen) als auch von unten (von rebellischen Arbeiter*innen, Arbeitslosen, Flüchtlingen etc.) bedroht fühlen. Breiteren Schichten der Arbeiter*innenklasse soll diese Politik schmackhaft gemacht werden, indem ihnen vermittelt wird, auch sie wären in derselben Position. Deswegen propagieren die Rechten die angeblich gemeinsamen Interessen von Unternehmer*innen und Beschäftigten und wettern gegen den “Klassenkampf”. Gerade wegen mangelnder gewerkschaftlicher und politischer Kampftraditionen und angesichts fehlender Erfahrungen mit erfolgreichen Arbeitskämpfen trifft diese Ideologie auch unter Arbeiter*innen auf fruchtbaren Boden. Wer nicht das Vertrauen hat, durch betriebliche und politische Organisierung für die eigenen Interessen kämpfen zu können, kann sich Verbesserungen nur auf zwei Wegen erhoffen: nach oben buckeln und nach unten treten. Deswegen führen die Rechten auch Kulturkämpfe, in denen sie jenen, die ohnehin schon unten sind, einreden, sie hätten ganz anderes zu verlieren: ihre Männlichkeit, ihre kulturelle Identität, ihre “traditionellen Werte” usw. würden von Transpersonen, Flüchtlingen oder Klimaaktivist*innen gefährdet werden. In der Hetze gegen diese Gruppen und ihre Anliegen bieten die Rechten die Möglichkeit, doch noch nach unten zu treten und gleichzeitig einen Pseudo-Protest gegen die (angeblich linken) Eliten auszudrücken - ohne dass sich an deren Macht oder der eigenen Ohnmacht etwas ändern würde.

Widersprüche des Rechtsrucks

In der kapitalistischen Dauerkrise überschneiden sich die wirtschaftspolitischen Interessen des Kapitals immer mehr mit zentralen Angelpunkten rechter Ideologie - autoritärerer Staat, Kürzungspolitik, Ablenkung durch Rassismus und Queerfeindlichkeit. Gleichzeitig gibt es (noch) einen wichtigen Widerspruch zwischen den bürgerlichen Parteien, die die Interessen der großen Kapitalfraktionen vertreten, und den meisten ganz Rechten: FPÖ & Co haben sich als pseudo-soziale Opposition aufgebaut. Die EU-Feindlichkeit der FPÖ macht sie z.B. für Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung zu einem Problem - denn die wichtigsten Verbindungen der österreichischen Konzerne liegen im “Westen”.Die Widersprüchlichkeit spitzt sich zu, wenn der Rechtspopulismus in die Regierung kommt - in der Praxis setzt er die aggressivste kapitalistische Politik auch gegen die eigene Basis, bereichert sich selbst (Stichwort Ibiza) und muss durch noch intensivere Hetze davon ablenken. Gleichzeitig zwingen genau die rechten Angriffe immer mehr Menschen in Opposition zu ihnen: vor allem in den Schichten, die direkt angegriffen werden - Migrant*innen, Frauen und queere Personen, Arbeitslose und kämpferische Gewerkschafter*innen, aber auch unter breiteren Schichten der Arbeiter*innenklasse (z.B. rund um den 12-Stundentag) wächst dann das Bewusstsein um die Notwendigkeit, Widerstand zu leisten. Diesen Widerstand zu organisieren und mit einer programmatischen Perspektive auszustatten, die das Problem (den Rechtsruck) an seiner Wurzel (dem Kapitalismus) packt - darin besteht die dringlichste Aufgabe unserer Zeit.

Marx aktuell: Kritik der "Volksfront"

“Alle zusammen gegen Rechts” - dieser Anspruch klingt zunächst absolut logisch. Geht es nicht darum, alle, die z.B. gegen die FPÖ sind, unter einen Hut zu bringen?Eine wichtige Lehre ist hier die der “Volksfront”: Darunter verstand man vor allem in den 1930er Jahren das Bündnis sozialistischer bzw. kommunistischer Arbeiter*innen-Organisationen mit bürgerlichen “Parteien der Mitte” gegen den Faschismus. Die Volksfront scheiterte katastrophal: Als in Spanien 1936 der Putsch des faschistischen Generals Franco einen Bürger*innenkrieg vom Zaun brach, merkten die Massen schnell, dass man die Faschist*innen nur effektiv bekämpfen konnte, indem man ihnen den kapitalistischen Nährboden entzog: So wurden Betriebe und Ländereien enteignet und gemeinschaftlich verwaltet. Doch das oberste Ziel der bürgerlichen “Republikaner” war nicht der Kampf gegen Rechts, sondern die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems. Die Arbeiter*innenorganisationen ordneten sich komplett den Bürgerlichen unter, die Stalin-treue Kommunistische Partei gab das Land den Großgrundbesitzer*innen zurück und ließ antifaschistische Revolutionär*innen im Namen der Volksfront ermorden. Das brach nicht nur der Revolution, sondern auch dem Kampf gegen Franco das Genick. Die Bürgerlichen zogen die Niederlage gegen den Faschismus der sozialen Revolution vor. Die Lehre daraus ist, dass pro-kapitalistische Kräfte im Zweifel immer den Kampf gegen Rechts verraten, um ihr eigenes System nicht zu gefährden.Aber sind dann breite Bewegungen gegen Rechts nicht unmöglich? Keineswegs. Um gegen Rechts zu kämpfen, muss man nicht Marxist*in sein - aber man kann nicht kapitalistische Interessen über die Notwendigkeiten dieses Kampfes stellen. Das tun aber die Führungen aller etablierten Parteien - auch SPÖ und Grüne, die damit den Rechten den Boden bereiten. Was von Marxist*innen historisch als “Einheitsfront” bezeichnet wurde, meint dagegen eine echte Breite: Eine gemeinsame Bewegung für die Interessen derer, die unterschiedlich von rechter und unsozialer Politik betroffen sind - Beschäftigte, Frauen, Migrant*innen, queere Menschen u.a. - ist die beste Waffe gegen Rechts. 

Eine sozialistische Alternative zum Rechtsruck

Der Eindruck eines allgemeinen Rechtsrucks trügt - tatsächlich sehen wir eine Polarisierung: Dem Erstarken der Rechten steht auch ein Anstieg an sozialen Bewegungen gegenüber. Vor wenigen Jahren war “Streik” für viele in Österreich ein Fremdwort - nun gibt es jedes Jahr Streiks, bei denen Zehntausende ihre ersten Erfahrungen im Kampf um die eigenen Interessen machen. Dabei sehen sie auch, auf wessen Seite die Rechten in diesen Kämpfen stehen. Vor allem in Sektoren, welche die kapitalistische Vielfachkrise am stärksten spüren, also z.B. im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich, drückt sich das steigende Selbstbewusstsein in Basisinitiativen und immer mehr kämpferischen Betriebsrät*innen aus. Bis vor kurzem sprach fast niemand über Femizide - nun ist Gewalt gegen Frauen aufgrund einer neuen feministischen Welle ein breites gesellschaftliches Thema. Dazu kommt die massive Politisierung der LGBTQI+-Community - durch die Angriffe von Rechts wächst das Bedürfnis, aktiv für die eigenen Rechte einzustehen. So werden die radikalen Wurzeln der “Prides” und des 8. März wiederentdeckt. Außerdem sahen wir in letzter Zeit nicht nur die Massendemonstration tausender migrantischer Jugendlicher im Zuge von “Black Lives Matter” gegen Polizeigewalt - auch die Bewegungen zur Unterstützung der “Frau-Leben-Freiheit”-Bewegung im Iran und gegen das Massaker in Gaza werden von Migrant*innen geführt, die damit auch gegen den Rassismus hierzulande kämpfen. Diese Entwicklungen zeigen zwar eine Politisierung nach links, aber diese äußert sich erst begrenzt in langfristigen Bewegungen oder im Aufbau von Organisationen.

Kampf gegen jede Ausbeutung und Unterdrückung

Die Stärke der Rechten ist die Schwäche der Linken, diese Prozesse zusammenzuführen und zu organisieren. Die anfängliche Begeisterung für Babler und die lokalen Erfolge der KPÖ haben eine Idee von dem Potential konsequenter linker Politik gegeben - gleichzeitig zeigen sich hier entscheidende Schwächen ihrer reformistischen Strategien: Babler schreckt vor den Konsequenzen seines eigenen Programms zurück, denn dieses ließe sich nur durch die Konfrontation mit Bossen & Bürgerlichen durch Massenmobillisierungen und politische Streiks durchsetzen. Stattdessen setzt er auf Versöhnung mit den rechtesten Teilen der SPÖ wie Doskozil, der mit der FPÖ koalieren will. Die KPÖ präsentiert sich immer mehr als Single-Issue-Partei zum Thema Wohnen und vermeidet vor allem das “heikle” Thema Migration - im Wahlprogramm des “Modellbeispiels” KPÖ Salzburg fehlt jegliche antirassistische Forderung, Antifaschismus kommt nur als Denkmalpflege vor. Es ist ein fataler Irrglaube, zu glauben, man könne die FPÖ dadurch zurückdrängen, indem man einfach ein besseres allgemeines Sozialprogramm aufstellt und zu Fragen von Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie usw. schweigt. Die Rechten trennen nicht zwischen “sozialen” und “kulturellen” Fragen, sie führen den Klassenkampf von oben auch als Kulturkampf - deswegen muss der Widerstand von unten auch einer gegen jegliche Form von spezifischer Unterdrückung sein.Eine Stärkung von Babler und KPÖ auf der Wahlebene ist darum bei Weitem nicht genug, um den Rechtsruck aufzuhalten. Ihre Botschaft “Wählt uns, wir machen das schon für euch” ist ein Problem, weil eine solche Stellvertreterpolitik die Notwendigkeit von Selbstorganisierung und Mobilisierung in Betrieben, Bildungseinrichtungen, Nachbarschaften und auf den Straßen leugnet. Genau das ist jedoch notwendig, um die vorhandenen Kämpfe zusammenzuführen und zu stärken sowie Strukturen und Organisationen aufzubauen, die konsequent für das kämpfen, was notwendig ist: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich; Milliarden für Bildung, Wohnen, Gesundheit und Soziales statt für Aufrüstung und Geschenke an Superreiche, Banken und Konzerne; Bleiberecht und gleiche Rechte für alle, die hier leben und leben wollen; demokratische Kontrolle über die Polizei; legale, kostenlose Schwangerschaftsabbrüche und geschlechtsangleichende Behandlungen sowie gleicher Lohn für gleiche Arbeit; Enteignung der Profiteure von Teuerung und Klimazerstörung und echte Demokratie in Arbeit und Alltag - das sind nur einige Eckpunkte einer revolutionären sozialistischen Alternative zum kapitalistischen Chaos, die wir den Pseudo-Antworten der Rechten entgegensetzen müssen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Antimuslimischen Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus und Antisemitismus an Schulen bekämpfen!

Jetzt aktiv werden gegen den Rechtsruck!
von Sarah Moayeri, ISA- und ROSA-Aktivistin sowie Mittelschullehrerin

Seit Monaten wird in einem Zeitungsartikel nach dem anderen gegen Schüler*innen gehetzt. Das blutige Massaker in Gaza und die Verbrechen der israelischen Regierung - aber auch die verbrecherischen Terrorakte der Hamas - werden von der Regierung hierzulande instrumentalisiert, um Hass zu schüren. Muslimische Schüler*innen werden unter Generalverdacht gestellt, es wird darüber diskutiert, ob deren angeblich “demokratiefeindliche” Einstellungen überhaupt überwunden werden könnten.

Im Kontext eines Rundumschlags gegen Migrant*innen und Geflüchtete (Zunahme von Abschiebungen, Asylrechtsverschärfungen, rechte und rassistische Hetze im Allgemeinen) werden Jugendliche ganz gezielt marginalisiert. Ihre Solidarität mit den Opfern in Gaza wird als “antisemitisch” diffamiert. In der Schule sind sie mit zunehmender Repression und Rassismus durch Lehrpersonen und Schulleitungen konfrontiert. 

“Extremismus”-Workshops durch die Polizei?!

Um “demokratische Werte” zu vermitteln, werden jetzt Extremismus-Workshops durch die Polizei an Schulen durchgeführt. Das wird präsentiert als “politische Bildung”, ist in Wirklichkeit aber ein weiterer Versuch, im eh schon repressiven Schulsystem, das benachteiligte und von Rassismus betroffene Schüler*innen systematisch ausgrenzt, kritisches Denken zu unterdrücken. Die berechtigte Wut auf das (Schul)Ssystem soll möglichst keinen Platz in der Schule finden. Klassenräume sollen keinen Raum für umfassende politische Diskussionen bilden.

Diese angebliche “Terrorismus- und Gewaltprävention” ist 1. nicht wirksam, solange die sozialen Verhältnisse, Rassismus und Ausgrenzung den Nährboden für Gewalt bilden und 2. pure Schikane, besonders dann, wenn sie von Kräften wie der Polizei durchgeführt wird, die eine wesentliche Säule des staatlichen Rassismus darstellen, mit dem Jugendliche tagtäglich konfrontiert sind.

Für eine radikale Demokratisierung von Schule!

Lehrpersonen sind aus guten Gründen mit der Situation überfordert. Mangelndes Personal, mangelnde Ressourcen und gleichzeitig der Druck, das System Schule so gut es geht am Laufen zu halten. Es braucht dringend mehr Schulungen und Fortbildungen zum Umgang mit dem Gaza-Krieg an Schulen und zum Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung. Aber wer führt sie mit welchem ideologischen Hintergrund durch? Wie sind sie politisch gefärbt? Wer kontrolliert, was den Schüler*innen hier erzählt wird? Es ist beispielsweise kein Zufall, dass diese Workshops sich oft auf die Frage von Islamismus konzentrieren, während die Gefahr von Rechtsextremismus ignoriert / ausgeblendet wird.

Die Idee hinter solchen “Extremismus-Workshops” ist, dass Jugendliche sich an den Status Quo anpassen - der aber auf allen Ebenen inakzeptabel ist! Wir wollen keine Schule, die uns für ein kaputtes System, für den rassistischen und sexistischen Kapitalismus, abfertigen soll. Die Klimabewegung, die von Schüler*innen angeführt wurde, hat da schon ein wichtiges Beispiel gesetzt. Wir müssen und werden den Schulalltag bestreiken, weil dieses System unerträglich geworden ist! 

Schüler*innen können nicht mitgestalten oder mitentscheiden, was in den Schulen passiert - sie sind oft machtlos Lehrpersonen und Direktion ausgeliefert, im schlimmsten Fall erfahren sie Übergriffe und diskriminierendes Verhalten. Aber auch Lehrpersonen sind diesem System unterworfen. Was es braucht, ist eine radikale Demokratisierung von Schule und Lehrinhalten. Wir müssen uns diese Kontrolle holen: Durch Organisierung. Der Rechtsruck drückt sich ganz besonders im Schulsystem aus. 

Organisier dich jetzt - Melde dich bei uns, wenn du eine antirassistische und feministische Gruppe an deiner Schule aufbauen willst!

Kämpfen wir gemeinsam - Schüler*innen und Lehrpersonen Hand in Hand - gegen antimuslimischen Rassismus ebenso wie gegen Antisemitismus. Gegen Transfeindlichkeit ebenso wie gegen Frauenfeindlichkeit, repressive Kleiderordnungen, diskriminierende Deutschförderklassen. Gegen Polizei und Bundesheer an unseren Schulen! Bauen wir Strukturen,  Vernetzung, Gruppen an unseren Schulen auf, um all das zu diskutieren - und um dem Rechtsruck vor Ort begegnen zu können. Zehntausende haben in den letzten Tagen schon auf der Straße gegen Rechts protestiert - bringen wir diesen notwendigen Kampf in unseren Schulalltag und kämpfen wir dabei auch um die notwendigen Ressourcen zur Ausfinanzierung eines guten und inklusiven Bildungssystems! Ein erster Schritt kann eine Organisierung für den 8.März - den feministischen Kampftag sein. Melde dich bei ISA und ROSA, wenn du dafür etwas an deiner Schule aufbauen willst! Mit welchen Problemen seid ihr täglich konfrontiert? Was muss sich konkret in deiner Schule ändern? Wir können unterstützen und gemeinsam Kampagnen und Aktionen planen!

 

 

2024 - Gegen den gefährlichen Rechtsruck - Jetzt Solidarität und Widerstand aufbauen!

ROSA und ISA
aktualisiert am 22. Jänner 2024

2024 beginnt mit einer Zuspitzung von rassistischer Hetze und Repression. Die Schwarz-Grüne-Regierung und EU beginnt damit die rechtsextremen Wahnvorstellungen, die bei dem Geheimtreffen in Potsdam diskutiert wurden, weiter in die Praxis umzusetzen. Das drückte sich in der brutalen Abschiebung eines Kurden während seiner Hochzeit, aber auch in der geplanten Verschärfung des EU-Grenzregimes, aus.

Während das blutige Massaker in Gaza weitergeht, haben die Herrschenden hierzulande diesen Krieg gezielt genutzt, um Hass zu schüren - insbesondere muslimische Menschen bekamen dies zu spüren. Palästina-Solidaritätsproteste wurden verboten, Schüler*innen und Studierende schikaniert und unter Generalverdacht des Terrorismus und Antisemitismus gestellt. Sie haben den abscheulichen Angriff der Hamas, das Leid der Angehörigen und die berechtigte Angst vor antisemitischen Übergriffen genutzt, um eine massive Hetze gegen Araber*innen, Türk*innen, Kurd*innen und andere zu entfachen. Sie waren aber nicht bereit, zum Beispiel den jüdischen Friedhof in Wien ausreichend zu schützen. Die Angst von Jüdinnen und Juden wurde missbraucht, um Rassismus zu schüren. 

Die antimuslimische und rassistische Hetze setzt sich nun weiter fort. Die FPÖ ist seit einem Jahr an der Spitze der Umfragen und in Deutschland legt die AfD immer mehr zu. Kickl macht bei seinen Auftritten am Jahresanfang klar, dass er die Wahlen und den Wahlkampf nutzen wird, um weitgehende Angriffe auf uns und unsere Rechte vorzubereiten.

Politik gegen Geflüchtete und Migrant*innen wird immer schärfer

Nach dem Brand in einer Betreuungseinrichtung für Geflüchtete in Steyregg vergangene Woche wurden sofort Rufe nach Abschiebungen laut. Haimbuchner machte deutlich: „Es müssen endlich spürbare Konsequenzen folgen: Die Täter müssen registriert und abgeschoben werden!“ Steyregg hat die unmenschlichen Zustände offengelegt: 120 Jugendliche in einem Gebäude mit nur zwei Betreuer*innen untergebracht. Ohne Perspektive und in völliger Isolation. Tagessätze für die Grundversorgung von minderjährigen Geflüchteten wurden nicht einmal an die Inflation angepasst.

Stefan Sabler, Sozialarbeiter und Aktivist schrieb dazu treffend in einem Posting: “NGO’s wie die Caritas, Diakonie, Samariterbund und co haben in der Vergangenheit ein regelrechtes Wettrennen über die Schließung von Flüchtlingsquartieren hingelegt. Sie haben dem Fördergeber wieder einmal kleinbei gegeben oder haben sich teilweise auch gefreut, die Flüchtlingsbetreuung, die eh keine Spendengelder und Prestige bringt, abzuwerfen. Die karrieregeilen Geschäftsführer*innen der NGO’s wollen lieber die Kontakte mit Wirtschaft und Politik aufrechterhalten, als sich für die Jugendlichen in den Widerstand zu begeben. Aus meiner Zeit als umf Betreuer weiß ich, Fenster und Mülltonnen kann man ersetzen, die Jugendzeit aber nicht.”

Die FPÖ macht die Hetze, die aktuelle Regierung die Gesetze. Susanne Raab führt eine “österreichische Werteklausel” für Integrationsprojekte ein, was trotz “fortschrittlichem Gewand” nur der Stigmatisierung und weiteren Ausgrenzung dient. 2023 sind die Abschiebungen im Vergleich zum Vorjahr um 25% gestiegen. 

Der Rechtsruck gefährdet insbesondere von Migrant*innen, Frauen, queere Personen auf allen Ebenen ihres Lebens. Während antisemitische Angriffe ebenfalls zunehmen, machen die Herrschenden nichts anderes, als muslimische und von Rassismus betroffene Menschen weiter zu dämonisieren und zu marginalisieren. Nur der gemeinsame Kampf von unten gegen jede einzelne Form von Rassismus und Unterdrückung kann die gefährlichen rechtsextremen Elemente zurückdrängen. Wir brauchen eine starke Bewegung, die sich gegen körperliche Angriffe, gegen rassistische Gesetze und Diskriminierung durch Ämter, Schulen und Behören richtet. Staat und Behörden schützen Rechtsextreme und befördern ihren Aufstieg und sind selbst von diesen Elementen durchdrungen.

Schluss mit der Repression gegen die Solidarität mit Gaza!

Versuche, Angriffe auf jüdische Menschen mit legitimen Äußerungen der Opposition und des Widerstands gegen die israelische Kriegsmaschinerie, die ein historisches Massaker gegen Millionen von belagerten Palästinenser*innen anführt, gleichzusetzen müssen von uns zurückgewiesen werden! Antisemitismus, verbale Übergriffe im öffentlichen Raum und Angriffe auf Jüdinnen und Juden und jüdische Einrichtungen sind ein Problem, das wir seit langem bekämpfen. Solidarität mit den Palästinenser*innen ist nicht antisemitisch! Über Trauer und Wut zu sprechen, Widerstand gegen das Massaker in Gaza zu organisieren ist legitim und notwendig!

2024 muss dieser Widerstand stärker werden! Wenn die Herrschenden diesen Kampf mit Übergriffen gegen Jüdinnen und Juden gleichsetzen, schaden sie damit mehrfach. Sie verunglimpfen das Mitgefühl und die Solidarität mit den Opfern. Aus Angst dem Antisemitismus Vorschub zu leisten oder als Antisemit*in abgewertet zu werden, schweigen viele Menschen zu den Massakern und beteiligen sich nicht an der Solidaritätsbewegung. Gleichzeitig wird der reale Antisemitismus verharmlost und seine Hintergründe verwischt. Vor allem wenn Rechtsextreme vom "importierten Antisemitismus" reden. Die Gleichsetzung schadet daher nicht nur dem Kampf gegen das Massaker in Gaza sondern auch dem Kampf gegen Antisemitismus.

Widerstand von unten gegen Rechts!

Die Teuerung bei Lebensmittel, Energie und beim Wohnen löst bei vielen Menschen eine soziale Misere aus. 2023 gab es viele Streiks und Bewegungen mit dem Ziel, die Lebenssituation zu verbessern. Dazu kommen die Wahlerfolge der KPÖ. Es zeigt sich, dass viele Menschen nach einer klassenkämpferischen und linken Antwort auf die soziale Misere suchen, darauf können und wollen wir 2024 aufbauen! Gleichzeitig versucht die FPÖ, die soziale Misere zu nutzen, um Sündenböcke zu präsentieren. Dadurch schützen sie die Profiteure dieses Systems. Sie präsentieren sich als Stimme “von unten” und könnten nicht weiter entfernt davon sein: Ihre Agenda umfasst Angriffe auf Abtreibungsrechte, queere Rechte, Arbeiter*innenrechte, auf Pensionen, Sozialleistungen und mehr.

Die Massenprotetste gegen die AfD in Deutschland mit über 1,5 Millionen Teilnehmer*innen zeigen das Protential für Widerstand dagegen. Bringen wir diese Bewegung auch nach Österreich und bauen wir sie weiter aus! Denn für einen erfolgreichen Kampf gegen die rechte Gefahr und ihre Ursachen brauchen wir eine entschlossene, antirassistische, feministische und sozialistische Bewegung, die wir in unseren Schulen, Universitäten, Nachbarschaften und Betrieben aufbauen müssen.

-> Stoppen wir rechte, rassistische, sexistische und queerfeindliche Hetze, sowohl Islamophobie als auch Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung, immer und überall mit kollektiver Aktion!

-> Stopp aller Abschiebungen, Bleiberecht für alle, Kampf gegen alle rassistischen Gesetze!

-> Die Herkunft der Täter spielt keine Rolle: Nein zur Instrumentalisierung von Frauenrechten, um Rassismus zu schüren - Für einen antirassistischen Kampf gegen Sexismus, Übergriffe, Femizide!

-> Gleiche Rechte für alle! Sofortiger, voller Zugang für alle Menschen zu Arbeit, menschenwürdigen, öffentlichen, leistbaren Wohnraum, Gesundheitsversorgung, sozialer Versorgung und Bildung

-> Schluss mit Armut, Spaltung und brutaler Ausbeutung - während Politiker*innen Geflüchtete zu unbezahlter gemeinnütziger Arbeit verpflichten wollen und die Verhältnisse in den prekärsten Jobs immer schlimmer werden, sagen wir: Jobs und Löhne, von denen wir leben können, für alle! 

-> Keine Profitmacherei mit der Unterbringung oder Versorgung von geflüchteten Menschen! Es ist genug Geld da, um sichere, öffentliche Versorgung mit ausreichend Personal und Ressourcen für alle zu gewährleisten - holen wir es uns bei den Reichen und Konzernen!

-> Bekämpfen wir die Ursachen für Flucht und Vertreibung und bauen wir die Bewegung gegen den Gaza-Krieg und imperialistische Aufrüstung aus: Geld für Wohnraum, Löhne, Gesundheit und Bildung statt für fossile Brennstoffe, Militarisierung und den nächsten imperialistischen Krieg auf unsere Kosten. Enteignung von Industrie und Profiten im Interesse unserer Bedürfnisse unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung von Ressourcen und Wirtschaft durch Beschäftigte und Gesellschaft!

-> Wenn wir uns organisieren, können wir eine Alternative zu Kapitalismus, Rechtsruck Rassismus und Sexismus aufbauen. Auch eine politische Alternative der Arbeiter*innenklasse zum Rechtsruck auf Wahlebene muss auf eine Bewegung von unten aufbauen. Schluss mit einem System, das einige wenige reich macht, während wir um Brotkrümel kämpfen müssen! Jetzt Widerstand gegen eine drohende FPÖ-Regierung aufbauen! Komm dafür zu unseren nächsten Treffen und Aktionen, unter anderem als Vorbereitung auf den 8.März, den internationalen feministischen Kampftag!

-> Bauen wir jetzt Strukturen von unten dafür auf: Überall wo wir leben, arbeiten oder zur Schule gehen. ROSA und ISA werden in den nächsten Wochen und Monaten Aktionen und Kampagnen planen und durchführen, um genau so einen Widerstand aufzubauen.

 

Rassistische Welle im Schatten des Gaza-Kriegs

Gegen Rassismus, Antisemitismus, Besatzung und Krieg

Für internationale Solidarität und Widerstand gegen jede Unterdrückung

Eine Auswirkung der brutalen Eskalation in Israel und Palästina ist auch eine Diskussion über Antisemitismus und neue Welle an antimuslimischem Rassismus. Laura Sachslehner, ehemalige Generalsekretär*in der ÖVP, bringt diese rassistische Stimmung auf den Punkt “Wer den muslimischen Antisemitismus in unserem Land & in Europa an der Wurzel bekämpfen will, der muss die stetige illegale Einwanderung stoppen.” aber auch von Politiker*innen anderen Parteien und den Medien gibt es ähnliche Statements. Aber auch Grüne, SPÖ und ein großer Teil der außerparlamentarischen Linken stellen sich völlig unkritisch hinter die brutale Offensive des israelischen Regimes - ohne Differenzierung zwischen der israelischen Regierung und der Bevölkerung (während eine kleine Minderheit die widerlichen Taten der Hamas verteidigt oder ignoriert). Der “linke” SPÖ-Vorsitzende Babler, aber auch die KPÖ verlieren bis jetzt auf ihren sozialen Medien kein Wort über die Toten auf palästinensischer Seite. Einige fordern offen Abschiebungen.  Es ist wichtig den Opfern der Hamas-Attacke Anteilnahme und Solidarität auszudrücken und sich gegen Antisemitismus zu stellen - z.B. die Attacke auf eine jüdische Einrichtung in Berlin. Aber wenn es gleichzeitig keine Anteilnahme für die tausenden palästinensischen zivilen Opfer gibt und ihre Trauer sogar unterdrückt wird, signalisiert man damit auch klar allen Muslim*a: Eure Leben sind uns egal.

Die Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung soll per se als antisemitisch dargestellt werden und eine ganze Bevölkerungsgruppe wird mit der Hamas gleichgesetzt. Z.B. durch den ÖVP Generalsekretär Christian Stocker “Einem Volk, das sich dazu entschieden hat, willkürlich zu entführen, zu vergewaltigen und zu morden, kann man nicht zur Seite stehen.” In zahlreichen europäischen Städten - darunter auch Wien - werden palästinensische Proteste verboten. An Schulen werden Jugendliche, die Solidarität mit Palästina ausdrücken, schikaniert. Auf Berliner Straßen werden Menschen mit Palästina-Symbolen von der Polizei aufgehalten und verhaftet. Menschen, die jeden Tag Rassismus und Unterdrückung durch diese Gesellschaft erfahren, werden jetzt auch noch dafür stigmatisiert, Solidarität mit den Opfern eines brutalen Kriegs zu zeigen. Das widerlichen Auswirkungen dieser Hetze sieht man auch in der Ermordung eines palästinensischen Kindes durch einen Rassisten in den USA. 

Wie kämpfen gegen Rassismus und Antisemitismus?

Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine wichtige Aufgabe für Linke - gerade in Österreich und Deutschland. D.h. vor allem gegen rechtsextreme Kräfte auftreten - 2022 hatten 55% aller antisemitischen Übergriffe rechtsextremen Hintergrund. Aber auch im Zuge der Solidaritätsdemonstrationen gegen den Krieg in Gaza ist es wichtig sich zu positionieren, wenn es zu Hass gegenüber Jüd*innen kommt und klarzumachen, dass wir den Antisemitismus der Hamas genauso ablehnen wie das rechte, pro-kapitalistische Netanjahu-Regime und die Besatzung als Wurzel des Konflikts. Beide können keinen Weg in Richtung eines sicheren und guten Lebens aufzeigen. Deswegen ist es zentral, zwischen dem israelischen Staat, der für die brutale Besetzung und kollektive Bestrafung und Ermordung von Palästinser*innen verantwortlich ist, und der israelischen Bevölkerung bzw. Jüd*innen zu unterscheiden. Wer  den israelischen Staat mit Jüd*innen gleichsetzt, schadet dem Kampf gegen Antisemitismus, weil man berechtigte Wut über Besatzung nicht auf die Rechtsextremen in der Regierung lenkt, sondern auf alle Jüd*innen.  Im Übrigen ignoriert, dass auch die massive Kritik innerhalb der jüdischen Bevölkerung an der rechtsextremen Netanjahu-Regierung, die in den vergangenen Monaten zu Massenprotesten geführt hat. 

Niemand hat die Corona-Demonstrationen daran gehindert, mit wildem Antisemitismus durch die Innenstädte zu ziehen. Bei antisemitischen militanten Neonazis drücken die Geheimdienste in Österreich und Deutschland beide Augen zu. Dieselbe ÖVP, die jetzt “muslimischen Antisemitismus” kritisiert, regiert in Niederösterreich mit der Landbauer-FPÖ, dessen Burschenschaft die Vergasung von Jüd*innen bejubelt. Alle Parlamentsparteien verfassen ein gemeinsames Statement in Solidarität mit den Opfern des Hamas-Angriffs (das palästinensische Opfer nicht mal erwähnt) mit einer FPÖ, deren Kern noch immer von antisemitischen Burschenschaftern gestellt wird. Tatsächlich trägt diese Rhetorik dazu bei, die historischen Verbrechen des Nationalsozialismus zu verharmlosen, besonders krass, wenn ÖVP-Mandatar Martin Engelberg behauptet, “die Hamas sei schlimmer als die Nationalsozialisten”. 

Rassistische Offensive schadet allen Unterdrückten

Die rassistische Welle der Regierenden hat nichts mit dem Kampf gegen Antisemitismus zu tun. Bei dem aktuellen Versuch Muslim*a kollektiv als antisemitisch darzustellen, geht es um etwas anderes: Rechtfertigung für das brutale Vorgehen des israelischen Staates und das Schüren von antimuslimischem Rassismus hier. Der Krieg in Gaza kommt gleichzeitig mit einer Zunahme an Menschen, die vor Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung nach Europa fliehen. Schon vor dem Beginn des Konfliktes hat sich die EU auf eine härtere Grenzpolitik verständigt. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Hetze gegenüber Muslimen genutzt wird, um damit eine mörderische Flüchtlingspolitik zu rechtfertigen. Es ist kein Zufall, dass wenige Tage nach Ausbruch des Krieges der Spiegel nach einem Interview mit dem deutschen SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz titelt: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben”. 

Diese Politik stärkt vor allem rechte und reaktionäre Kräfte - von FPÖ und Identitären, über Netanjahu und rechte israelische Siedler*innen, bis hin zu reaktionären islamistischen Gruppierungen - zu denen Muslim*a teilweise durch den alltäglichen Rassismus und die Ignoranz der Linken getrieben werden. Dieser Rechtsruck trifft alle Unterdrückten - Migrant*innen, Frauen, LGBTQIA+ Personen und auch Jüd*innen. 

Der einzige Weg Rassismus, Antisemitismus und Unterdrückung zu bekämpfen, ist der Aufbau einer internationalen Bewegung, die klar gegen die Besatzung und die Unterdrückung durch das rechte israelisch Regime kämpft - und sich dabei gegen die Hamas und islamistische Kräfte stellt, die in ihrem Machtbereich gegen jede Opposition vorgehen und Frauen, LGTBQIA+ und Gewerkschaftsaktivist*innen unterdrücken. Der Widerstand von Linken, Feminist*innen und Gewerkschafter*innen muss sich gegen jede Unterdrückung richten, sonst spielt man dem aktuellen Rechtsruck in die Hände. Aktuell bedeutet das besonders sich gegen die Welle an antimuslimischen Rassismus zu positionieren, die pauschale Hetze gegenüber Palästinenser*innen zurückzuweisen und gleichzeitig gegen Antisemitismus aufzutreten.

  

Wie Rassismus überwinden?

von Jan Millonig

Die etablierten Parteien drängen die FPÖ nicht zurück. Ganz im Gegenteil: In Worten und Taten zeigen sie, dass sie selbst auch für eine Politik für Reiche und Großkonzerne sowie für Rassismus stehen. Ob SPÖ und NEOS mit Kürzungen im Bildungsbereich oder Energiepreiserhöhungen in Wien oder ÖVP und Grüne in der Bundesregierung. Aber auch in der rassistischen Hetze versuchen sie, die FPÖ eher einzuholen als zu kontern. Die „das Boot ist voll.“-Logik findet man mittlerweile bei jeder Partei im Programm. Gleichzeitig rollen sie der FPÖ den roten Teppich am Weg zur Macht aus, wie die Koalition von ÖVP und FPÖ in Niederösterreich zeigt, aber auch die Offenheit großer Teile der SPÖ-Führung für Koalitionen.

Nötig wären echte Antworten auf die soziale und wirtschaftliche Krise, die sich nicht der kapitalistischen Profit- und Sparlogik fügen, um enttäuschten Schichten deutlich zu zeigen, dass die Rechten keine Alternative zum Establishment darstellen, sondern Teil davon sind.

Aber auch im Kampf gegen Rassismus dürfen wir uns nicht länger von der Heuchelei und den Lippenbekenntnissen der etablierten Parteien einlullen lassen, sondern müssen Proteste von unten organisieren, um z.B. Diskriminierung oder Zugangsbeschränkungen zu bekämpfen.

Die FPÖ ist vor allem deshalb stark, weil eine sichtbare Alternative zur herrschenden Politik fehlt und das ständige Versagen dieser nicht von Widerstand von unten herausgefordert wird. Wenn Menschen selbst für ihre Rechte kämpfen, merken sie sehr schnell, wer tatsächlich auf ihrer Seite steht und wer nicht. So geriet die FPÖ in der Auseinandersetzung um den 12-h-Tag (eingeführt von der schwarz-blauen Koalition) ziemlich unter Druck. Aber auch die Solidaritätsbewegung mit Flüchtlingen 2015 konnte breiten Schichten zeigen, dass es der Staat ist, der versagt und nicht die Geflüchteten das Problem sind.

Dabei bei moralischen Appellen oder Linkspopulismus a la „Es ist genug für alle da!“ stehen zu bleiben, reicht aber nicht. Denn tatsächlich ist im kapitalistischen System nicht „genug für alle da“. Erst wenn wir den Unterschied zwischen Arm und Reich nicht mehr als gegeben hinnehmen, können wir erkämpfen, dass der Reichtum in der Gesellschaft für die Bedürfnisse aller eingesetzt wird. Diese Perspektive muss eine linke Kraft aufzeigen, sonst gerät sie schnell selbst in eine „Besserverwaltung des Mangels“.

Gemeinsamer Kampf statt Bevormundung

Die Erkenntnis über die eigene Macht gewinnt man am besten, wenn man gemeinsam mit anderen für echte Verbesserungen kämpft. Im Gegensatz zu einer NGO-mäßigen Flüchtlingshilfe, die sich stellvertretend für Betroffene einsetzt, oder die Beschränkung auf “mehr Bildung”, die Menschen oft von oben herab belehrt. Denn das ändert die realen Widersprüche (zu wenig Wohnraum, zu wenig Sozialleistungen usw.) nicht. Aber der gemeinsame Kampf für ein gutes Leben für alle gegen eine herrschende Elite, die von der Ausbeutung und Unterdrückung der Vielen profitiert, ändert die reale Situation und das Bewusstsein. Der gemeinsame Protest von migrantischen und “hiesigen“ Schüler*innen gegen rassistische Angriffe kann klarmachen, dass nicht Migrant*innen das Problem sind, sondern eine Politik, die das Bildungswesen kaputtspart und Schüler*innen (mit und ohne Migrationshintergrund) alleine lässt. Bei Streiks im Sozialbereich wird sehr schnell klar, dass insgesamt viel zu wenig Ressourcen für alle Bereiche zur Verfügung stehen und nicht das bisschen, das für Flüchtlingshilfe aufgewendet wird, am Defizit schuld ist. Ein gemeinsamer Kampf von unten für Verbesserungen wird schnell zeigen, wo wirklich was zu holen ist: Nicht bei denen, die schon nichts haben, sondern bei den Reichen und Unternehmen, die noch dazu während Corona Milliarden an „Hilfen“ bekommen haben, während wir uns hier unten um die Brösel prügeln sollen.

Wie Migrant*innen und People of Colour behandelt werden, macht die Ungerechtigkeit dieses Systems besonders deutlich. BlackLivesMatter und die zahlreichen Beispiele von Selbstorganisierung von migrantischen Beschäftigten in verschiedenen Ländern zeigen auch, dass Betroffene das nicht länger akzeptieren. 

Arbeiter*innenklasse - vielfältig, aber vereint

Die unterdrücktesten Teile zu verteidigen und Spaltung zu bekämpfen, ist im Interesse aller, die letztlich unter diesem System leiden. Der gemeinsame Kampf gegen jede Diskriminierung und für soziale Verbesserungen wird aufzeigen, dass das eigentliche Problem das kapitalistische System ist und wird helfen, rassistische Spaltung überwinden.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Über Österreichs Politik an den EU-Außengrenzen: Lipa im Gespräch

Die imperialistische und rassistische Politik Österreichs zeigt sich erneut an den EU-Außengrenzen. Wir sprechen mit Petar Rosandić (SOS-Balkanroute) über das Gefängnis in Lipa, Österreichs Außenpolitik und Rassismus.
Artikel von Bianca Szabó

Das Flüchtlingslager in Lipa (Bosnien-Herzegowina), knapp an der kroatischen Grenze, ist seit 2020 ein Ort, an dem tausende Geflüchtete auf der Balkanroute verharren. Die SOS-Balkanroute ist eine humanitäre Initiative, die sich für ein menschenwürdiges Leben von Geflüchteten einsetzt. Im Zuge ihrer Recherchen stellte sie fest, dass in Lipa ein Gefängnis gebaut wurde, welches mitunter von Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) als Leiter des ICMPD (International Centre for Migration Policy Development) mit 500.000 € mitfinanziert wurde.

Damit sind österreichische Politiker*innen klare Mittäter*innen an der menschenfeindlichen Politik, an den EU-Außengrenzen. Petar Rosandić stellt klar, dass das, was sich an den EU-Außengrenzen abspielt, einen systematischen Rechtsbruch darstelle. Das isolierte Lager in Lipa sei ohnehin schon abgelegen und befinde sich neben einem Minenfeld. Er verglich die Situation mit Guantanamo und wurde deshalb vom ICMPD geklagt. Die mediale Berichterstattung über die Migrationspolitik in Bosnien-Herzegowina bleibt beabsichtigt irreführend. Die bosnischen Behörden teilten am 8. Juni mit, dass die Inbetriebnahme des Gefängnisses abgesagt wurde. Zur selben Zeit aber verkündeten die EU und das ICMPD die Fortführung des Projekts. Das Leben der schutzsuchenden Menschen ist in Lipa verheerend – Petar fragt daher mit Nachdruck: „Was hat ein Gefängnis überhaupt in einem Camp für schutzsuchende Menschen zu suchen?“

Dass Österreich die Politik in BiH beeinflussen will, ist kein Geheimnis und auch kein Zufall. Österreichische Unternehmen wie der Baukonzern Strabag oder die Raiffeisenbank bauen ihren wirtschaftlichen Einfluss in der Region seit Jahrzehnten aus. Der österreichische Staat nimmt damit die Rolle des Täters und des Profiteurs ein. Das ist imperialistische Politik, die auf dem Rücken der Arbeiter*innen ausgetragen wird. Dass durch ein EU-finanziertes Projekt auf mitunter österreichischer Initiative ein Gefängnis an der Grenze zu Kroatien gebaut wurde, ist der Gipfel der fremdenfeindlichen und kapitalistischen Politik. imperialistische Geschäfte am Balkan sind also von konkretem Interesse für österreichische Politiker*innen. Petar beschreibt die österreichische Asylpolitik im Zusammenhang mit staatlichen Rassismus wie folgt: „Der bürgerliche Rassismus manifestiert sich überall“. Das bedeutet, dass wir uns umso mehr der „dominanten politischen Rolle Österreichs am Balkan“ bewusst sein müssen und eine „moral-politische Verantwortung haben“.

Für Petar ist die abgewiesene Klage gegen die SOS Balkanroute ein erster wichtiger Erfolg gegen das System Rassismus und für die Pressefreiheit. Es bleibt einer von vielen Kämpfen, den wir gegen illegale Gefängnisse, gegen systematischen Rassismus und Sexismus weiterführen müssen. Geflüchtete Menschen verdienen ein menschenwürdiges Leben, so auch in Österreich. Es braucht eine Politik, die den Fokus auf Integration und Inklusion legt, nicht auf systematische Ausgrenzung.

Wir müssen gemeinsam anfangen, die Verantwortung für diese Missstände ganz oben zu suchen. Migrant*innen sind keine Bedrohung. Die tatsächliche Bedrohung geht von jenen aus, die sich durch Ausbeutung bereichern. Das sind im Fall Bosnien-Herzegowinas sowohl der österreichische Staat als auch Konzerne und Banken. Um diese Ausbeutung und den systematischen Rassismus bekämpfen zu können, müssen wir uns gegen Imperialismus und Kapitalismus organisieren: “Am Ende bleibt stets unser Ziel, dieses System zu sprengen und es nicht zu erhalten”, so Petar.

 

Das ganze Interview mit Petar Rosandić (SOS-Balkanroute):

Wie ist der aktuelle Stand um Lipa? Bleibt die Einrichtung geschlossen?

Es ist wie alles was offiziell verkündet wird über die sogenannte Migrationspolitik in Bosnien-Herzegowina: Widersprüchlich, oft auch irreführend, um Chaos zu erzeugen. Der kantonale Premierminister und der dortige Menschenrechtsminister gaben am 8. Juni das Aus bekannt. Bosnien erteilte also seinerseits eine klare Absage. Gleichzeitig verkündeten, im neokolonialen Stil, das Wiener ICMPD und die EU die Fortsetzung des skandalösen und bis heute illegalen Projekts. Sie wollen mit imperialer Macht und Gewalt ein illegales Gefängnis legalisieren, welches der Ziehvater von Sebastian Kurz gebaut hat. Dabei ist Lipa selbst ein Skandal auch ohne Gefängnis, isoliert im Dschungel, nicht auf der Route, neben einem Minenfeld gelegen. Nicht einmal die Schottertstrasse wurde asphaltiert, obwohl die EU seit 2018 120 Millionen Euro Hilfe für Geflüchtete dorthin schickte. Abgesehen davon: Was hat ein Gefängnis überhaupt in einem Camp für schutzsuchende Menschen zu suchen?

Wie erklärst du dir die verfehlte/fehlende Berichterstattung über die entmenschlichte Situation vieler Geflüchtete an den EU-Außengrenzen in bürgerlichen Medien?

Der bürgerliche Rassismus manifestiert sich überall, gepaart mit manipulierend gedeuteten Zahlen und dem Streuen von Bedrohungsszenarien und billig gezüchteter, aber gesellschaftlich äußerst gefährlicher Angst. Es ist völlig irre an sich, was da passiert, weil auch alle Fakten gegen diese irrsinnig brutale und menschenverachtende Asylpolitik sprechen. Was sich an den EU-Außengrenzen abspielt, ist systematischer Rechtsbruch in rechtsfrei gehaltenen Räumen, die man dazu nutzt, um mit menschlichen Schicksalen Ping-Pong am Balkan zu spielen. Spielen ist untertrieben. Sie zu foltern und, ja, sie auch sterben zu lassen.

Und, nein, es kann uns nicht egal sein, wir haben als Land und Gesellschaft aufgrund dieser dominanten politischen Rolle Österreichs am Balkan eine enorme moral-politische Verantwortung, vor allem gegenüber den Bosnier:innen, deren Vertreter:innen klar gesagt haben, dass sie kein Gefängnis dort wollen. Letztendlich denke ich weiß jeder trotz mancher bürgerlicher Medien-Enten hierzulande, was es mit Lipa auf sich hat. Es wurde wirklich viel Seriöses dazu veröffentlicht – auch vom ORF. Und letztendlich gibt es auch ein klares Gerichtsurteil.

Inwiefern siehst du die imperialistische Rolle Österreichs in Bezug auf Jugoslawien mit der heutigen Flüchtlingsthematik verbunden?

Österreich hat mit dem direkten Einsatz an der ungarisch-serbischen Grenze sowie an der serbisch-mazedonischen Grenze, aber auch mit solchen illegalen Projekten wie dem Lipa-Camp eine direkte Täterrolle. Da gibt es für mich keine Diskussion. Zu schlimm ist es, was den Menschen dort in diesen rechtsfreien Räumen passiert, um irgendetwas weich zu spülen.

Wie können wir gegen den institutionellen Rassismus vorgehen? Was schließt du aus der Klage gegen dich und wie geht es nun für die SOSBalkanroute weiter?

Wir müssen diesem mit Fakten immer wieder stark entgegentreten und überall bewusst machen, entpuppen, immer wieder aufzeigen, was da für ein menschenverachtender Unsinn propagiert und praktiziert wird. Wir müssen trotzdem mit möglichst allen reden, mit allen im Dialog sein und gemeinsam tun, wo gemeinsam tun möglich ist. Aber am Ende bleibt stets unser Ziel, dieses System zu sprengen und es nicht zu erhalten. Menschen müssen Menschen wieder als Menschen wahrnehmen. Diese massive Dehumanisierung muss gestoppt werden.

Was schließt du aus der Klage gegen dich und wie geht es nun für die SOSBalkanroute weiter?

Der Sieg vor dem Wiener Handelsgericht war wichtig, die klaren Worte des Richters Balsam für viele, die seit Jahren diese unmenschlichen Zustände kompromisslos benennen und gegen sie ankämpfen. Zugleich war es ein wichtiger Befreiungsschlag für die freie Meinungsäußerung und auch die Pressefreiheit, wenn man bedenkt, dass ein KURIER-Journalist vom BMI und vom ICMPD persönlich unter Druck gesetzt wurde mit Mails und sogar Drohungen. Es war eine Watsche für all jene, die glaubten, die ungarischen und russischen Zustände seien in Österreich zur Gänze angekommen.

Natürlich, es ist noch nicht vorbei. Die Kläger, zugleich Errichter des illegalen Gefängnisses, kündigten Berufung an. Ob bei tagtäglichen humanitären Aktionen oder bei Kriminalisierungsversuchen im Gerichtssaal, ob Klimakleber:innen oder Menschenrechtsverteidiger:innen: Wir werden in Zukunft öfter geschlossen fundamentale Menschenrechte verteidigen müssen. 

 

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