Antifaschismus und Antirassismus

Der Mord an Walter Lübcke

Aufklärung und Widerstand sind nötig!
Anne Engelhardt, SAV (dt. Schwesterorganisation der SLP)

Am Samstag, den 22. Juni gingen in Kassel etwa 1.200 Menschen auf die Straße gegen Rechtsterrorismus und für das Verbot von Combat 18.

Die SAV Kassel unterstützte gemeinsam mit etwa 60 anderen Organisationen den Demo-Aufruf. Die Demonstration forderte die restlose Aufklärung des Mordes an Walter Lübcke. Am 27. Juni riefen die Stadt und das Land Hessen zu einer weiteren Kundgebung auf, an der sich 10.000 Menschen beteiligten. Der Regierungspräsident für Nordhessen war am 2. Juni in seinem Garten aus nächster Nähe erschossen worden. Polizeiliche Ermittlungen wollten zunächst nicht von einem rechtsterroristischen Motiv ausgehen, obwohl es im Internet eine Welle rechter Hetze auf den CDU Politiker gab, die den Mord begrüßte. Kurze Zeit später wurde jedoch Stephan Ernst, Mitglied von Combat 18 und Neonazi, der in der Vergangenheit schon mehrfach Anschläge und Angriffe sowohl auf Migrant*innen als auch Gewerkschafter*innen verübte, festgenommen. Dieser hat die Tat inzwischen vor dem Amtsgericht Kassel gestanden, das führte auch zum Fund weiterer Mordwaffen und der Festnahme von Mittätern. Bei der Erneuerung des Haftbefehls durch die Übernahme des Falls durch den Bundesgerichtshof hatte Ernst jedoch sein Geständnis widerrufen. Parallelen und Zusammenhänge zu den NSU Morden werden vermutet. Wie können wir eine Aufklärung des NSU Komplex und dem Mord an Lübcke erreichen? Wie organisieren wir antirassistischen Widerstand von unten?

Drei riesige Fragezeichen

Die Ermordung des CDU Politikers aus nächster Nähe wirft mindestens folgende drei Fragen auf.

1. Wieso stand er auf der Liste des NSU?

Laut dem Spiegel und anderen Medien stand Walter Lübcke auf der Liste der 10.000 Namen, die der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) bis 2011 zusammengetragen hatte. In den Medien wird das Motiv der Ermordung von Walter Lübcke jedoch vor allem mit dem Vorfall von 2015 in Zusammenhang gebracht. Im Zuge der Migrationsbewegung kamen tausende Geflüchtete nach Nordhessen und wurden zum Teil zunächst in Zelten nahe des Caldener Flughafens untergebracht. In dem Zusammenhang war Lübcke verantwortlich für die Verteilung von Geflüchteten in der Region. Am 14. Oktober 2015 sprach er bei einer Anwohner*innenversammlung in Lohfelden nahe Kassel und informierte über eine neue Erstaufnahmeunterkunft. In dieser Zeit war „Kagida“ (in Anlehnung an Pegida) in Kassel zwar gerade abgeflaut, dennoch mischten sich Anhänger der rechten Bewegung unter die Versammlung und störten diese. In dem Zusammenhang soll Lübcke gesagt haben: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Diese Aussage wurde gefilmt und geisterte monatelang, teilweise verzerrt, vor allem durch rechtsradikale Kanäle, versehen mit Mordfantasien und Hassbotschaften.

2. Wieso tauchte das Video kurz vor seinem Mord wieder auf?

Laut Recherchen von T-online war das Video, mit dieser Aussage von 2015 im Februar 2019 erneut auf rechten Blogs geteilt worden und löste einen neuen Shitstorm im Internet gegen Lübcke aus, der schon 2015 zeitweise Polizeischutz beantragen musste. Möglicherweise steht das Video in Verbindung mit dem Mord. Es ist auch wahrscheinlich, dass Stephan Ernst bei dieser Versammlung 2015 selbst anwesend war und Lübcke zu dieser Aussage provozierte. Teilten er und seine Anhänger*innen das Video, in Vorbereitung auf den bevorstehenden Mord? Hätte der Verfassungsschutz schon vorher wissen können, dass ein Anschlag auf Lübcke geplant wurde?

3. Welche Verbindungen gibt es zu Verfassungsschutz und NSU?

Als 2006 Halit Yozgat in seinem Internetcafé von einem Mitglied des NSU ermordet wurde, war der „Verfassungsschützer“ Temme anwesend. Seitdem stellt sich die Frage: Kannte Temme den Mörder von Halit Yozgat? Oder hat er sogar selbst gemordet? Aufgrund seiner widersprüchlichen Aussagen wurde Temme, der unter Kolleg*innen auch den Spitznamen „Klein-Adolf“ trägt, versetzt: in das Regierungspräsidium, dessen Chef Walter Lübcke war. Unklar ist, ob er auch in den aktuellen Mord verwickelt ist, klar ist aber, dass sowohl Andreas Temme, als auch Stephan Ernst enge Verbindungen zum NSU haben. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung ist es zynisch, dass Behörden, wie das Oberlandesgericht München 2013 davon ausgingen, der NSU sei verschwunden und sogar die Kommunikationsbeschränkungen für Beate Zschäpe aufhoben. Hinsichtlich der Tatsache, dass die Ausführung der Tat in vieler Hinsicht der Art und Weise des NSU ähnelte – direkte Hinrichtung aus nächster Nähe durch einen Kopfschuss – kann man davon ausgehen, dass es sich um eine NSU-Nachahmertat handelt, wie auch die Linke Abgeordnete des Hessischen Landtags Jeannine Wissler aussagte. Auch die Verbindung zu Andreas Temme ist gegeben, der laut Frankfurter Rundschau auch mit Stephan Ernst bekannt gewesen war. Zudem taucht Ernst in den NSU Akten des Hessischen Verfassungsschutz auf, die jedoch für 120 Jahre gesperrt sind! Aufgrund des Mordes soll die Sperrung nun jedoch auf 30 Jahre verkürzt werden. Damit kann sie trotzdem erst 2044 eingesehen werden, was angesichts der Umstände ein Skandal bleibt. Obwohl neun Migrant*innen und eine Polizistin ermordet wurden, ein Nagelbombenanschlag mit 22 Verletzten in einem von Arbeiter*innen und Migrant*innen bewohnten Viertel verübt, ein Regierungspräsident durch einen Kopfschuss getötet wurde, wollen die Behörden den NSU Komplex nicht auflösen.

Abgesehen davon scheint der Verfassungsschutz ein Hort rechter Kräfte zu sein. Allein der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen ist ein Indiz dafür, dass der Betrieb vom Kopf her stinkt. So verharmloste dieser die Hetzjagd auf Migrant*innen und Linke in Chemnitz im Sommer 2018 und wirbt aktuell für eine schwarz-blaue Regierung von AfD und CDU.

Wer war Lübcke?

Es ist rühmlich, dass Walter Lübcke sich im Oktober 2015 gegen die Anfeindungen der Pegida Anhänger stemmte. Allerdings tat er bei der Umverteilung der Geflüchteten im Raum Nordhessen auch Arbeit nach Vorschrift. In dem Zeltlager am Flughafen Calden lebten zeitweise auch hunderte Migrant*innen, die aus Mazedonien und anderen Balkanregionen vor Armut und Elend geflohen waren. Diesen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ gebrandmarkten Menschen wurde kein Asyl zugestanden, stattdessen wurden sie direkt vom Flughafen Calden und anderen Orten wieder abgeschoben. Auch dafür war Lübcke mitverantwortlich. Die Aussage „Wir schaffen das“ von seiner Chefin Angela Merkel, war nicht mehr als ein moralischer Appell an überlastete Staatsstrukturen und Auslandsbehörden, die in den Jahren vor dem Migrationssommer 2015 dramatisch zusammengekürzt wurden, den Krankenhäusern, die völlig unterversorgt und mit einem riesigen Personalmangel zu kämpfen haben, die Schulen, die mit Ach und Krach die „Inklusion“ durchführen und nun auch noch tausende Kinder mit fehlenden Sprachkenntnissen versorgen sollen. Es war der peinliche Appell einer Bundeskanzlerin, die in den letzten Jahren daran beteiligt war, die Kommunen auszubluten, Wohnraum zu verkaufen, strukturelle Investitionen zurückzuhalten und das mit der „Schwarzen Null“ zu begründen. Dass viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst und in den Kommunen über diese Aussagen „Wir schaffen das“ wütend waren, weil sie bereits an der Überlastungsgrenze angelangt waren und keine Perspektive bekamen, dass der öffentliche Dienst ausgebaut würde, ist nachvollziehbar. Die Antwort kann jedoch nicht „Ausländer raus“ oder das Aushöhlen des Asylrechts lauten, wobei die vom Kapitalismus am stärksten betroffenen Schichten noch mehr leiden müssen. Sondern die Antwort muss eine radikale Umverteilung, eine Überführung der größten Banken und Konzerne in Gemeineigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung und einen Bruch mit dem kapitalistischen System beinhalten, das auf Spaltung, Ausbeutung und systematischer Gewalt basiert und diese vor allem in Krisenzeiten schürt.

Alltagsrassismus und rechte Angriffe bekämpfen!

Die Ermordung von Walter Lübcke wird momentan auch in der internationalen Presse breit diskutiert. Sie gilt als Zäsur, da es seit 1945 keine vergleichbaren Fälle mehr gab. Das ist jedoch nicht völlig korrekt. Zwar gab es bisher keine Angriffe auf Politiker*innen mit Todesfolge, doch sowohl in Köln als auch in Altena wurden 2015 und 2017 je die Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Bürgermeister Andreas Hollstein Opfer rechtsextremer Messerangriffe, die beide nur knapp überlebten. Beide erhielten nach der Ermordung von Lübcke auch E-Mails mit gleichem Inhalt. In denen stand, dass sie und eine Liste weiterer Politiker*innen bald hingerichtet würden im Zuge einer „Phase bevorstehender Säuberungen“. Darüber hinaus gab und gibt es unzählige Todesdrohungen und Anschläge auf Politiker*innen der LINKE, auf LINKE Regionalbüros, Wohnhäuser, Fahrtzeuge und linke Aktivist*innen.

Von 1949 bis 1990 gab es gar keine Erfassung rechtsradikaler Morde in West- oder Ostdeutschland. Die Statistiken, die seit 1990 geführt werden, schwanken zwischen 169 und 188 Morden, wobei es auch eine Reihe von tödlichen Anschlägen auf Obdachlose und Menschen in Polizeigewahrsam gab, die bisher nie aufgeklärt wurden, doch höchstwahrscheinlich dazugehören. Derweil werden aktuell 467 Neonazis per Haftbefehl gesucht – und offensichtlich seit Jahren nicht gefunden.

Wesentlich weniger wird thematisiert, dass der staatlich und medial befeuerte Alltagsrassismus zunimmt. Das Asylgesetz ist erneut geschliffen worden, Orte wie das jüdische Restaurant ‘Schalom’ im Chemnitz werden immer wieder angegriffen, deren Besitzer mit Drohanrufen eingeschüchtert. Auch Angriffe im öffentlichen Nahverkehr gegenüber Menschen mit anderen Hautfarben, sexueller Orientierung, Kopftuch, Kippa oder linken Symbolen nehmen zu. Gewerkschaften und auch die Partei die LINKE muss dieser Stimmung entschlossen entgegentreten. Demonstrationen sind ein guter Anfang, reichen jedoch allein nicht aus. Wichtig ist die klare Verbindung von Fluchtursachen mit Kapitalismus, der Kampf für Umverteilung, den Bau von sozialem Wohnraum für alle, für die Errichtung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, die Organisation von Veranstaltungen und der Aufbau von antirassistischen Strukturen in jedem Betrieb und jedem Kiez.

Der Täter, die rechte Szene und der Verfassungsschutz

Spätestens seit dem Auffliegen des NSU 2011 wurde die Forderung laut, den Verfassungsschutz aufzulösen. Denn entweder wussten die Behörden nichts vom NSU und waren unfähig dieses über viele Jahre mordende Netzwerk aufzudecken. Oder sie wussten vom NSU und haben die Morde jahrelang nicht verhindern können oder wollen. Allein die merkwürdige Verbindung von Andreas Temme, der als V-Mann-Führer in die Ermordung von Halit Yozgat verwickelt ist und auch den Mörder von Lübcke sehr wahrscheinlich kannte – deutet eher auf letzteres hin.

Die Gelder, die mit der Auflösung des VS frei werden würden, könnten für Jobs im öffentlichen Dienst, wie Pflege, soziale Arbeit, sozialen Wohnraum für alle etc. und vor allem für professionelle Recherchearbeit, wie sie vor allem linke Antifanetzwerke betreiben, ausgegeben werden. Auch in dem aktuellen Fall um Walter Lübcke zeigt sich der ganze Unwille und die Unfähigkeit des Verfassungsschutzes: Laut des aktuellen Präsidenten Thomas Haldenwang war Lübckes Mörder zuletzt 2009 als Neonazi in Erscheinung getreten und deshalb nicht mehr beobachtet worden. Fähigere Nachforschungen von Exif haben jedoch ergeben, dass Stephan E. sogar noch im März 2019 an einem Treffen mit Mitgliedern von „Combat 18“ und der „Brigade 8“ teilnahm. Wir brauchen den VS offensichtlich nicht.

Erhöhte Gefährdungslage?

Nicht erst seit dem Mord an Walter Lübcke gibt es Hinweise darauf, wie eng einige Staatsstrukturen mit rechtsradikalen Netzwerken verknüpft sind. Es wurde am Anfang in den Medien davon gesprochen, Stephan Ernst sei Einzeltäter gewesen. Doch in den letzten Tagen wurden zwei weitere Mittäter festgenommen, die die Tatwaffe verkauft bzw. vermittelt haben sollen. Einer davon ist Markus H. der sowohl Halit Yozgat kannte, der vom NSU erschossen wurde, als auch mit Ernst 2009 beim Angriff auf eine gewerkschaftliche 1. Mai Kundgebung in Dortmund dabei gewesen sein soll.

Darüber hinaus flog erst kürzlich ein Netzwerk von dreißig sogenannten „Preppern“, der Gruppe ‚Nordkreuz‘ auf, also Menschen, die von der absoluten Katastrophe ausgehen und sich mit massenhaft Konserven und Waffen versorgen, um auf den ‚Tag X‘ vorbereitet zu sein. Diese Szene ist zum Teil, vermischt mit Reichsbürgern, die immer noch an das Fortbestehen des Dritten Reichs glauben und von einer jüdischen oder US-geführten Verschwörung faseln, gleichzeitig aber auch Angst vor der ‚Überflutung‘ durch muslimische Geflüchtete und deren Kultur haben. Auf einer Liste sammelte das Netzwerk über 25.000 Namen von Linken, Muslim*innen, Gewerkschafter*innen und anderen, um deren Ermordung zu planen. Laut der Frankfurter Rundschau vom 27.06 besteht beispielsweise Nordkreuz aus Mitgliedern von „Bundeswehr und Polizei, darunter mehrere Ehemalige sowie ein aktives Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) des Landeskriminalamts (LKA) Mecklenburg-Vorpommern“.

Seehofer und andere sprechen angesichts des Anstiegs rechtsradikaler Aktivitäten und Netzwerken derzeit von einer „erhöhten Gefährdungslage“. Dabei verschweigen oder verharmlosen sie ihre eigene Rolle als geistige Brandstifter, die Geflüchtete alle in die Ecke des Terrorismus schiebt, Obergrenzen fordert und die AfD und deren faschistische Verstrickungen und deren hohe Unterstützung von Beschäftigten bei Polizei, Militär, Verfassungsschutz und privaten Sicherheitsfirmen absolut verharmlost.

Diese Verstrickungen machen deutlich: Wir können und dürfen uns bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht auf den Staatsapparat verlassen!

Für die Offenlegung dieser terroristischen Netzwerke braucht es wirklich unabhängige Institutionen: Komitees aus Vertreter*innen von Gewerkschaften, Migrant*innenverbänden und antirassistischen Initiativen müssten diese Arbeit übernehmen. Ihnen sollte auch die Überprüfung der Mitarbeiter*innen von Polizei, Versammlungsbehörde und Justiz obliegen. Zudem wäre es an ihnen, zukünftiges polizeiliches Verhalten zu beobachten und einzuschätzen.

Richter*innen sollten demokratisch gewählt und jederzeit abwählbar sein.

Zudem wird es immer dringender, dass die Organisationen der Arbeiterbewegung, allen voran die Gewerkschaften, eine aktivere Rolle einnehmen, um Schutz vor rechter Gewalt zu organisieren. Durch Gewerkschaften, Linken, Migrantenorgansationen sollten auf lokaler Ebene flächendeckend Komitees zur Vernetzung aufgebaut werden, um bei Drohungen von rechts und Aktionen rechter Gewalt Schutz zu organisieren.

 

Wir fordern:

Verfassungsschutz abschaffen

Für unabhängige Untersuchungsausschüsse von Migrationsorganisationen, Gewerkschaften und Opferverbänden zur Aufklärung des NSU und weiterer rechter mit dem Staat verwickelter Strukturen

Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von Richter*innen, Rechenschaftspflicht

In Schulen, Betrieben, Stadtteilen und Unis Komitees gemeinsam mit Gewerkschaften gegen staatlichen- und Alltagsrassismus sowie gegen rechte Gewalt organisieren

Für die Abschaffung der Schuldenbremse auf Landes- und Bundesebene – Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Einführung einer Millionärssteuer von zehn Prozent

Für bedarfsgerechte Kommunalhaushalte, massive Investitionsprogramme in die Bereiche Bildung, Soziales, Gesundheit

Enteignung der Immobilienkonzerne und massiver Ausbau von sozialen Wohnungen und sozialer Infrastruktur

Verstaatlichung der Banken und Schlüsselindustrien unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung

Für eine sozialistische Demokratie

Antisemitismus bekämpfen: offensiv und sozialistisch!

Statt falsche Freunde: konsequent antikapitalistische Antwort auf steigende Gewalt und Unsicherheit.
Sebastian Kugler

Pittsburgh (USA), 27.10.2018: Der 46-jährige Robert G. Bowers tötet in der Tree-of-Life Synagoge während der Sabbat-Feierlichkeiten mit einem halbautomatischen Gewehr und drei Pistolen 11 Menschen und verwundet 7. Dabei brüllt er: „All diese Juden müssen sterben!“ Dieser Anschlag ist der blutigste, aber bei weitem nicht einzige Fall antisemitischer Gewalt in den letzten Monaten. Im Gegenteil: Zahlreiche Länder melden ein Ansteigen antisemitischer Übergriffe.

Immer mehr Jüd*innen auf der ganzen Welt fühlen sich bedroht. Auch wenn es stimmt, dass die absoluten Zahlen zwar steigen, jedoch im Vergleich zur Gewalt an z.B. Muslimen gering sind, müssen Sozialist*innen diese Angst ernst nehmen und sich als die entschiedensten Kämpfer*innen gegen Antisemitismus erweisen. Tun sie dies nicht, überlassen sie der bürgerlichen Rechten das Feld. Diese nutzt die Gefahr des Antisemitismus für ihre Zwecke. In Britannien wird Labour-Vorsitzender Corbyn für seine Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung von Konservativen und Medien als Antisemit beschimpft. Dabei geht es ihnen nicht um den Schutz jüdischer Bevölkerung im Palästina-Konflikt, sondern darum, sein Programm gegen die brutale Kürzungspolitik zu diskreditieren. Genauso zynisch ist die israelische Regierung selbst. Netanjahu treibt die rassistische Gewaltspirale im Nahen Osten immer wieder voran, um sich dann als Beschützer zu präsentieren. Genau diesen Schutz verwehrt der israelische Staat aber oft genau jenen, die ihn am dringendsten brauchen: Seit Jahrzehnten hält er sich äthiopische Jüd*innen vom Hals. Sie harren in Lagern in Äthiopien und im Sudan aus – über 3.000 haben das Warten nicht überlebt. Wer es doch nach Israel schafft, ist dort mit strukturellem Rassismus und Polizeigewalt konfrontiert, was 2015 zu großen Protesten führte. Währenddessen unterstützt Netanjahu kräftig Orbans antisemitische Kampagne gegen Soros, der als Strippenzieher hinter Migrationsbewegungen vor allem aus muslimischen Ländern hingestellt wird.

Die „Anti-Soros“-Kampagne, die auch aus FPÖ-Kreisen unterstützt wird, vereint Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus. Genau dasselbe tat der Mörder von Pittsburgh: Er wählte die Tree-of-Life-Synagoge aus, weil er ihr vorwarf (muslimische) Migrant*innen ins Land zu schleusen. Ebenso John T. Earnest, der am 27.4.2019 eine Synagoge in Poway (Kalifornien) stürmte, einen Menschen tötete und drei verwundete. Er nannte das Attentat auf die Moschee in Neuseeland als Inspiration.

Die schwarz-blaue Regierung leugnet diese Verbindung von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus. Im Gegenteil: Sie gibt vor, gegen Antisemitismus einzustehen und hetzt in Wahrheit gegen Muslime. Das neueste Beispiel ist die von Nationalratspräsident Sobotka (ÖVP) beauftragte Antisemitismus-Studie. Diese beinhaltet zwar einen statistisch seriös gearbeiteten Teil mit ca. 2.100 repräsentativen Interviews, die alarmierend genug sind – 39% der Befragten stimmten etwa der Aussage zu, dass „die Juden die internationale Geschäftswelt beherrschen“. Doch zusätzlich beinhaltet sie völlig unseriöse „Aufstockungsgruppen“ türkisch- und arabischsprachiger Befragter, die selbst laut Studienautoren „nicht repräsentativ“ sind. Der Regierung genügten jedoch die nicht repräsentativen Ergebnisse dieser Befragungen dafür, Muslime für Antisemitismus in Österreich hauptverantwortlich zu machen.

Ja, es gibt Antisemitismus unter Muslimen - reaktionäre Regime wie in der Türkei und Saudi-Arabien säen ihn bewusst. Das tun sie, um Muslime, die auf der Suche nach Antworten auf ihre eigene Unterdrückung sind, für geopolitische kapitalistische Zwecke zu missbrauchen. Dabei bedienen sie sich derselben Hetze wie die klassische Rechte in Österreich. Diese ist aber hierzulande eindeutig die Hauptquelle des Antisemitismus: Burschenschaften, die noch heute in Liedern von „der siebenten Million“ getöteter Juden und Jüdinnen träumen, sind einflussreiche Netzwerke der rechtsextremen Eliten und besetzen wichtige Ämter im Staat. Die überwältigende Mehrheit antisemitischer Vorfälle ist österreichisch-rechtsextremer Herkunft.

Antisemitische Hetze jeglicher Art nutzt die Wut über die Missstände im Kapitalismus sowie das Unverständnis ihrer Wurzeln. Sie schieben die Schuld für den alltäglichen kapitalistischen Wahnsinn – allgemeine Konkurrenz, undurchschaubare und unkontrollierbare wirtschaftliche Abläufe usw. – auf das Judentum, um somit den Kapitalismus freizusprechen. Die Antwort kann deswegen nur der Kampf gegen den Kapitalismus sein, der den Antisemitismus (wie andere Formen des Rassismus) immer wieder als Reaktion auf seine Widersprüche hervorbringt. Dieser Kampf ist der Kampf der Arbeiter*innenklasse in ihrer ganzen Vielfalt. Ein erster Schritt könnte eine Kampagne des ÖGB sein, der sich selbst am Kongress 2018 als „Bollwerk gegen Antisemitismus“ bezeichnet hat: Mit echten Mobilisierungen gegen Antisemitismus und für soziale Verbesserungen für alle und Veranstaltungen in Betrieben und Bildungseinrichtungen, in denen über die echten Ursachen für Unterdrückung und Ausbeutung aufgeklärt wird.

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Vor 20 Jahren ….

Am 1.5.1999 erstickt Markus Omofuma bei der Abschiebung, weil ihm Polizisten den Mund verkleben Die Wut der afrikanischen Community verwandelt sich in Widerstand auf der Straße. Tausende solidarisieren sich. Doch die Reaktion schläft nicht. Die FPÖ startet eine Großoffensive, in der Afrikaner*innen pauschal als Drogendealer verunglimpft werden. Polizei und Staatsanwaltschaft folgen, Hunderte mit afrikanischem Background werden verhaftet, lange in U-Haft genommen und angeklagt. „Anonyme“ Zeugen liefern „Beweise“, was zu drakonischen Urteilen führt. Der Staat ist bereit, Tote in Kauf zu nehmen, wenn es darum geht, die Abschiebepolitik durchzusetzen.

Michael Gehmacher

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Andere über uns: Aktion gegen "Identitäre"

Ganz schön peinlich: Da wollten die "Identitären" in Salzburg ihr Image durch eine Straßenaktion verbessern, doch Dutzende Antifaschist*innen folgten dem Aufruf der SLP und anderer Gruppen, sich ihnen in den Weg zu stellen. Die "identitäre" Website „Tagesstimme“ erwähnt die SLP als Mitorganisatorin der Aktion und meint, diese habe mehr Leute angezogen als abgeschreckt – Ja, zur Gegendemo angezogen!

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Salzburg schirmt Idis ab

Katka

In Salzburg hatten für 30. März die Identitären eine "Patriotische Zone" geplant. Um diese Aktion wortwörtlich abzuschirmen, versammelten sich kurzfristig rund 50 Antifaschist*innen, darunter auch wir von der SLP. Durch das Entsorgen der Flyer hatten die Identitären kaum die Möglichkeit, ihre menschenverachtenden Inhalte zu verbreiten. Die Passant*innen waren ihnen gegenüber meist kritisch. Sie freuten sich über die antifaschistische Gegenaktion: "Wichtig dass ihr hier seid!". Viele kannten die Neofaschisten auch wegen der Verbindung zum Attentäter von Christchurch. Nach über vier Stunden begannen die Identitären, eine Stunde vor dem gemeldeten Aktionsende aufzuräumen. Da sie aber nicht aufhören werden, ihre Hetze zu verbreiten, ist es wichtig, dass wir weiterhin aktiv sind und werden!

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Der rechte Rand: Christchurch

Till Ruster

Tarrant, der Mörder von mindestens 50 Personen in Christchurch, sei ein Einzeltäter, das stand für die Behörden früh fest. Er sei „nicht Teil unserer Gesellschaft“, meinte Neuseelands Premierministerin. Abgesehen von der juristischen Bewertung: Aus politischer Sicht war er alles andere als ein Einzeltäter. Wie bei rechtsradikalen Mördern anderer Attentaten in Norwegen, Quebec, Parkland, Oak Creek, Charlottesville... gibt es einen klaren Zusammenhang zum rassistischen und faschistischen Umfeld. Es geht nicht „nur“ um Foren im Internet, sondern um eine reale, internationale Bewegung. Nicht zufällig bezieht sich Tarrant auf Trump, das gefeierte Idol vieler Rechtsextremer. Klar bedient er sich auch der Sprache der „neuen Rechten“, wie sie auch die österreichischen „Identitären“ führen. Wie diese spricht er vom „Großen Austausch“. Gemeint ist eine Verschwörung der „Eliten“ (der antisemitische Bezug ist kein Zufall), um die „weiße“ Bevölkerung durch Muslime auszutauschen. Was Identitäre&Co auf die Straße tragen und oft von etablierten Rechtspopulisten von FPÖ über ÖVP bis Orban aufgegriffen wird, setzen Tarrant & Co. in die Tat um. Die Rechten erfinden ein Bedrohungsszenario und rufen zum gewaltsamen Widerstand. Nichts anderes tun Identitäre, wenn sie sich auf Prinz Eugen, Reconquista und Türkenbelagerung beziehen. Wer das nächste rechtsextreme Attentat verhindern will, muss auch hierzulande gegen die Rechten mobilisieren und den Kampf gegen die echten Bedrohungen wie Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalt gegen Frauen,... aufnehmen!

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Was tun mit „Gefährdern“?

Die rassistische Maßnahme kann auf alle ausgeweitet werden, die der Regierung in die Quere kommen.
Monika Jank

Asylwerber*innen sollen nunmehr per Verdacht, ohne dass eine Straftat begangen wird, eingesperrt werden. Das plant zumindest FPÖ-Innenminister Kickl mit der Einführung der Sicherungshaft. Sein Vorschlag wird von vielen Seiten mit Entsetzen entgegengenommen. Härtere Strafen reduzieren nicht die vorhandene Kriminalität und Gewalt - das zeigen unzählige Untersuchungen.

Die Sicherungshaft zeigt die Scheinheiligkeit der Regierung auf: Sie präsentiert sich als Unterstützer von Sicherheit, obwohl sie auf verschiedenen Ebenen Maßnahmen setzt, die genau diese reduzieren. Ziel ist es, den Repressionsapparat auszubauen. Durch die Sicherungshaft gibt die Regierung also schlicht vor, Probleme zu lösen, die sie eigentlich selbst geschaffen hat. Die Darstellung von Asylwerber*innen als potenziell gefährlich liegt ganz im Sinne ihrer rassistischen Propaganda und lenkt von ihrer eigentlichen Politik ab. Die ist nämlich Sozialabbau zugunsten der Reichen, nicht der Wähler*innen. Obwohl Kickl jetzt versichert, dass die Maßnahme „nur“ gewalttätige Asylwerber*innen betrifft, so kann die Regelung sehr schnell auf andere Gruppen – z.B. linke Aktivist*innen, kämpferische Gewerkschafter*innen – ausgeweitet werden, sofern diese zu einem Problem für die Regierung werden. Um die Umsetzung der Sicherungshaft und die benötigte Verfassungsänderung zu verhindern, reicht es nicht, auf eine Ablehnung durch SPÖ und NEOS im Parlament zu hoffen. Wir müssen selbst aktiv werden und Druck auf der Straße und von unten aufbauen.

Die Sicherungshaft reduziert Gewalt gegen Frauen nicht

Wenn Frauen eine Anzeige erstatten, wird dieser oft nicht nachgegangen bzw. erst gehandelt, wenn es zu spät ist. Die verständliche Hoffnung mancher ist, durch die Sicherungshaft jene, die Gewalttaten androhen, wegsperren zu können. Doch der Regierung geht es nicht darum, Gewalt gegen Frauen tatsächlich zu bekämpfen. Durch die Fokussierung auf Asylwerber, vor denen  „unsere“ Frauen geschützt werden müssen, wird von der Tatsache abgelenkt, dass der absolute  Großteil der Täter aus dem unmittelbaren familiären Umfeld kommt, egal welcher Herkunft. Womit kann Gewalt an Frauen tatsächlich entgegengewirkt werden? Durch soziale Sicherheit wird die finanzielle Abhängigkeit beendet, die es oft unmöglich macht, einer gewalttätigen Beziehung zu entfliehen. Ein Mindestlohn von 1.700 ist dabei eine zentrale Forderung.

 

Rassismus als Grundzutat von Regierungsmaßnahmen

Wie bei anderen Maßnahmen (z.B. Mindestsicherung) auch, werden Kürzungen und Repressalien zuerst bei Asylwerber*innen und „Ausländern“ „ausprobiert“, bevor sie auf die ganze Bevölkerung übertragen werden. Statt sich tatsächlich mit der Ursache von Problemen zu beschäftigen, soll eine ganze Bevölkerungsgruppe als Sündenbock herhalten. Durch Beschränkung auf die Inhaftierung von „potenziell gefährlichen“ Asylwerber*innen werden alle Asylwerber*innen als gefährlicher als der Rest der Bevölkerung abgestempelt. Rassismus - und die Regierung kann weitermachen frei nach dem Motto „wenn sich zwei streiten freut sich der Dritte“. Die Gewerkschaft schweigt, obwohl der Abbau demokratischer Rechte sich immer auch gegen die Arbeiter*innenbewegung richtet, beginnend bei Arbeiter*innen ohne Staatsbürgerschaft – aber nicht dort stehenbleibend.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Aktiv gegen Burschis

Demos sind gut, doch um die Rechtsextremen zurückzudrängen, braucht es Organisation und Programm.
Peter Hauer und Sebastian Kugler

Von weitem sichtbare Transparente. Ein starkes Auftreten gegen Rassismus, Sexismus und reaktionäre Gewalt, gefolgt von Redebeiträgen von den Betroffenen der herrschenden Politik. So sah die Beteiligung der SLP auf den verschiedenen Demonstrationen gegen die Burschenschafterbälle dieses Jahr aus. Ob in Wien, Graz, oder Linz: Wir zeigten auf, wie die Rechten wirklich zurückgeschlagen werden können: Durch das Verbinden der verschiedenen Kämpfe. So sprach etwa ein SLP-Aktivist und Krankenpfleger am 2.2. auf der Linzer Demo über die Missstände in der Pflege, den Arbeitskampf im Sozialbereich, und lud zur Streikschulung der Initiative „Sozial aber nicht blöd“ ein.

Wir reden nicht nur abstrakt über den Sozialismus. Wir wollen zeigen, wie wir eine Bewegung aufbauen können, die die Wurzel von Rassismus und Ausbeutung, das kapitalistische System, überwinden und eine sozialistische Alternative durchsetzen kann. Im 6-Punkte Programm, das wir auch in die Demos trugen, schlagen wir vor: 1. Komitees an Arbeitsplätzen, Nachbarschaften usw. aufbauen 2. Diese Komitees vernetzen 3. Offensivprogramm für soziale Verbesserungen für alle erstellen 4. KVs verteidigen 5. Eine massive Streikbewegung aufbauen, um die Regierung zu stürzen 6. In dieser Bewegung eine neue linke, sozialistische Massenpartei aufbauen. Werde auch du mit uns für dieses Programm aktiv!

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FPÖ = Partei der Reichen!

Klebt die Gewerkschaftsführung an der SPÖ, muss die Basis was für eine neue Arbeiter*innenpartei tun!
Flo Klabacher

Arbeiterkammer (AK)- & EU-Wahlen sind sind die ersten bundesweiten Tests für die Regierungspartei FPÖ. Die Auflösung ihrer Tiroler AK-Fraktion als Reaktion auf die Einführung des 12-Stunden-Tages zeigt die Enttäuschung von Arbeiter*innen, die der sozialen Rhetorik der FPÖ geglaubt hatten: Kürzungen bei AUVA, Krankenkassen, AMS, Mindestsicherung, Notstandshilfe, Senkung von Unternehmenssteuern in Form von Lohnnebenkosten,… machen deutlich: Die FPÖ ist keine Arbeiter*innenpartei.

Trotzdem halten ihre aktuellen Umfrageergebnisse (für Nationalrats- & EU-Wahl) im Vergleich zu den letzten Wahlen das Niveau. Vor Allem, weil es keine Partei gibt, die als politische Alternative wahrgenommen wird. Umfragen zeigen: Der Großteil der ÖVP- & FPÖ-Wähler*innen vertraut diesen Parteien nicht. Aber warum sollte jemand Rendi-Wagner wählen? Dass die SPÖ heute eine völlig angepasste bürgerliche Partei ist, hat der FPÖ die Chance gegeben, sich als ungeschliffene Protestpartei mit sozialer Rhetorik zu geben. Auch in der Regierung versucht sie, ihr Anti-Establishment-Image so weit aufrecht zu erhalten, wie es dem Kapital nicht weh tut. Der Zusatz „sozial“ musste aus dem Heimatpartei-Slogan allerdings entfernt werden.

Unabhängigkeit der Justiz, Menschenrechtskonventionen oder Medienfreiheit (in dem beschränktem Ausmaß, in dem sie existieren) in Frage stellen oder versuchen, EU und UNO weiter nach rechts zu drücken oder zu ignorieren, stört das Kapital kaum. So kann die FPÖ auch von der Regierungsbank aus von der Krise und dem Vertrauensverlust dieser Institutionen der bürgerlichen Demokratie profitieren. Denn: Es gibt keine Arbeiter*innenpartei, die eine wirkliche Alternative zum bürgerlichen Sumpf anbietet. Die ist allerdings nötig, um die Politik der FPÖ (egal, von welchen Parteien sie umgesetzt wird) zu bekämpfen. Der ÖGB nimmt die Verantwortung, Schritte in diese Richtung zu beginnen, nicht wahr. Er versucht stattdessen, als SPÖ-Anhängsel die verwesende Sozialpartnerschaft zu reanimieren und will Teil des Establishments bleiben.

 

Was braucht eine Arbeiter*innenpartei?

Wer im Nationalrat 14x €8.930 einsteckt, spürt nichts von Preiserhöhungen bei Wohnen & Verkehr, leistet sich private Zusatzverischerungen, finanziert der Familie private Bildung und hat mit den Problemen von „Normalos“ nichts zu tun. Funktionär*innen sollten nie mehr verdienen, als die Leute, die sie vertreten: Ein durchschnittlicher Facharbeiter*innenlohn muss reichen.

Arbeiter*innenparteien sind lebendige Strukturen und in der Klasse verankert. Grundsätze, Programm und Kampagnen werden von der Basis bei Aktivist*innentreffen, Konferenzen und Veranstaltungen diskutiert, beschlossen und umgesetzt. Funktionär*innen müssen rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar sein. So wird sichergestellt, dass demokratische Beschlüsse nicht „von oben“ gekippt werden können.

Frühere große Arbeiter*innenparteien sind an der Logik des „kleineren Übels“ gescheitert: Um „schlimmeres zu verhindern“ werden Koalitionen mit dem Bürgertum eingegangen, Kürzungen, Rassismus,… mitgetragen, der Kapitalismus nur verwaltet. Diese Parteien wurden Teil des Establishments und sind kein Werkzeug mehr im Kampf gegen den Kapitalismus. Ein unabhängiges Klassenprogramm ist also essentiell.

Die wahre Macht liegt in den Betrieben. Kapitalismus lässt sich nicht abwählen. Selbst eine linke Mehrheit im Parlament wird mit Sabotage durch das Bürgertum bis hin zum Putschversuch konfrontiert sein. Eine Arbeiter*innenpartei kann die Institutionen der bürgerlichen Demokratie nützen, soweit es geht – aber immer mit dem Ziel, so die entscheidenden Bewegungen in Betrieben und auf der Straße zu stärken.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Der rechte Rand: rechtsextreme Liste bei den EU-Wahlen

Helga Schröder

„Die Stimme“ konnte jüngst rund 700 vermutlich großteils ahnungslose Personen zum „Trauermarsch“ anlässlich eines Frauenmordes in Wr. Neustadt mobilisieren. Nun versucht sie eine Kandidatur bei den EU-Wahlen. Dahinter steht der wegen seiner Nähe zum Neonazismus aus der FPÖ ausgeschlossene Markus Ripfl. Er ist Gemeinderat in Orth an der Donau, schlagender Burschenschafter (Olympia) und war RFS- und RFJ-Funktionär. Weitere „Die Stimme“-Gründer sind die schlagenden Burschenschafter Viktor Erdesz und Bernhard Neuhofer, welcher ebenfalls die FPÖ verlassen musste, nachdem er Beiträge neonazistischer Seiten geteilt hatte. Die „Einzelfälle“ der FPÖ also. Ripfl beschwört den "Endkampf um unser Volk", wehrt sich gegen die Central European University in Wien, da Wien "nicht zur Ausbildungsstätte der Volkszerstörer von morgen verkommen" dürfe, beklagt den „Schuldkult“... Er trat bei der deutschen NPD auf, wo er sich „für unser gemeinsames Volk“ eine „deutsche Zukunft“ wünschte. Neonazistische Wortwahl, rassistisches und reaktionäres Programm sind auch die „Grundsatzpunkte“ der „Stimme“. Sie sind voll von „Bedrohung des Volkserhaltes“, „deutschstämmigem, österreichischen Volk“, Beschränkung „der Ausgaben für diejenigen, welche sich nicht um den Staat verdient gemacht haben“, „Vorteile der Gründung einer klassischen Familie“, „Volksbewusstsein“. Es ist jener rechte Rand der FPÖ, den sich diese als vermeintlich staatstragende Regierungspartei nicht mehr leisten möchte, wenn es zu arg und öffentlich wird.

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