Antifaschismus und Antirassismus

Hanau, 19. Februar 2020: “Der Tag, an dem ich sterben sollte”

Buchrezension: Said Etris Hashemi, "Der Tag, an dem ich sterben sollte - Wie der Terror in Hanau mein Leben für immer verändert hat"
Sarah Moayeri

Vier Jahre nach dem rassistischen, rechtsextremen Terroranschlag in Hanau veröffentlicht Said Etris Hashemi, der bei dem Anschlag seinen jüngeren Bruder und seine Kindheitsfreunde verlor und selbst schwer verletzt überlebte, mit seinem Buch eine erschütternde Anklage gegen ein System, das Hanau erst ermöglichen konnte. Das Buch erscheint zu einer entscheidenden Zeit, in der wir diskutieren müssen, wie wir den gefährlichen Rechtsruck bekämpfen können. Zuletzt hat ein Brandanschlag in Solingen, bei dem eine türkisch-bulgarische Familie ums Leben gekommen ist, viele Menschen an die rassistischen Mordanschläge 1993 in Solingen erinnert. 700 Menschen nahmen an einer Gedenkdemonstration teil und forderten eine vollständige Aufklärung des Falls, nachdem die Behörden unmittelbar “ein rassistisches Motiv” ausgeschlossen hatten. Antirassistische Aktivist*innen betonen zurecht, dass wir wissen, dass Worte zu Taten führen und verweisen damit auf die Gefahr durch die zunehmende rassistische Hetze, die wir aktuell erleben. Das Buch kann einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen jede Form von Rassismus leisten, weil es die brutale Realität für einen riesigen, von Rassismus betroffenen Teil der Bevölkerung im Detail schildert und eindrucksvoll zeigt, wie Staat, Behörden, Polizei und Regierungen mitschuldig und wesentlicher Teil des rassistischen Systems sind.

Struktureller und systematischer Rassismus - in allen Poren der Gesellschaft

“Vielleicht war damals schon der endlose Gedankenstrom eines typischen Migrantenkindes wie mir schuld daran, dass sich mein Kopf wie ein Bergwerk anfühlte, das niemals zur Ruhe kommt. Irgendwie haben wir ja alle einen Knacks.” 

Mit diesen Sätzen beginnt Said Hashemi den Rückblick auf seine Kindheit und Jugend, es ist ein ständiger Wechsel zwischen diesen Erinnerungen und Erinnerungen an das Attentat sowie an die Prozesse im Rahmen des Untersuchungsausschusses. Seine Eltern kamen in den späten 80ern / frühen 90ern aus Afghanistan nach Deutschland, er wuchs mit seinen Geschwistern in Hanau-Kesselstadt inmitten von Polizeischikanen, Rassismus und sozialen Missständen auf. Er beschreibt in dem Zusammenhang den tiefen Zusammenhalt und die Solidarität der Familie, Freund*innen und Nachbar*innen: “Gewalt, Drogen, Armut atmeten die Wände dieser Blocks genauso wie Zusammenhalt, Liebe und Freundschaft.”  und “Kesselstadt wird von der Polizei und Politik gern als “Migrationshotspot” oder “Problembezirk” bezeichnet. Aber ich empfinde Kesselstadt einfach nur als einen Ort, an dem sehr viele Menschen unterschiedlichster Hintergründe zusammenwohnen. [...] Das Problem war unsere Armut. [...] Und wir hielten zusammen. Nicht nur wenn die Bullen mal wieder irgendwo einritten, um mal zu Recht, mal zu Unrecht Menschen zu kontrollieren und festzunehmen, sondern auch, wenn jemand ein Mittagessen brauchte. [...] Es ist eine ganz komische Zerrissenheit, die wir alle in unseren Seelen tragen. Wir verfluchen und vergöttern den Beton, Asphalt und Rost, in dem wir aufwachsen, zu gleichen teilen.”

Er beschreibt die Geschichte seiner Familie; wie sein Onkel bei einem Bombenangriff in Afghanistan in den Armen seines Vaters starb, wie er mit seinen Cousins in einer zerbombten Nachbarschaft spielte, die Kriegstraumata und wie seine Eltern unter den widrigsten Bedingungen in Deutschland schufteten, um ein Teil des verdienten Geldes nach Afghanistan an die Familie schicken zu können. Er beschreibt, wie sein Vater immer stolz darauf war, eigenes Geld zu verdienen und wie die Bildung seiner Kinder das Wichtigste für ihn war. “Ich weiß nicht, ob sich mein Baba damals schon darüber im Klaren war, was Rassismus ist und wie er wirkt. Aber ich denke, er wollte einfach nicht bestätigen, was man eh von uns dachte. [...] Das ist in den Köpfen aller Migranten drin. Dieses ständige Sichhinterfragen, ständig unter Dauerverdacht stehen.”

Der 19. Februar 2020 war in Wirklichkeit eine Kontinuität von den Verhältnissen, die Hashemi beschreibt. Die Ausgrenzung, die Vorurteile, die Scham, der systematische, strukturelle Rassismus. Mert, sein bester Freund, wurde im Teenageralter vermutlich ermordet, die Tat wurde nie aufgeklärt. Ein anderer Freund wurde mit Absicht von der Polizei angefahren. In der Schule ließ der Lehrer die Schüler*innen auf der Schulbaustelle arbeiten, anstatt Mathematik zu unterrichten: “Die sehen uns voll als Gastarbeiter. Eigentlich sogar schlimmer. Die kriegen wenigstens Stundenlohn.” Rassistische Beleidigungen durch Lehrer*innen und Mitschüler*innen waren Alltag. “Auch die Pädagogen in meinem Leben begegneten mir häufig mit Vorurteilen, die in den meisten Fällen jeden Selbstwert und jede Selbstwirksamkeit in einem Kind auslöschen. Das begann schon im Kindergarten.”

Hashemi schreibt darüber, wie er als Jugendlicher darüber nachdachte, dass Geld und beruflicher Erfolg der Schlüssel waren, um aus diesen Verhältnissen herauszukommen. “Arme Menschen sterben früher. Armut frisst sich buchstäblich in jede Faser des Lebens - und frisst es am Ende auf.” Er beschreibt, wie er in den Jahren vor 2020 stolz auf das war, was er trotz der widrigen Umstände erreicht hatte: “Fester Job, Zukunftsperspektive - das gefiel auch meinen Eltern. [...] Und dann kam der 19.Februar und meine Zukunft zerbrach wie ein Glas.”

Das Attentat und die Mitschuld von Behörden, Polizei & Politik

Die Schilderung der Tatnacht in der Arena-Bar geht unter die Haut. Der Täter hatte sich den Ort des Attentats sehr gezielt ausgesucht, um seine rassistischen Vernichtungsfantasien zu erfüllen. Kurz vor der Tat verschonte er einen Kioskbesitzer, dem er seinen Namen und seine Herkunft nicht ansehen konnte. Mustafa, der Kioskbesitzer, sprach nicht, als der Täter ihn mit der Waffe bedrohte, weil er wusste, dass er gegenüber diesem Rassisten seinen Akzent verstecken musste - das rettete ihm vermutlich das Leben und ist ein erschütterndes Zeugnis für das Wesen rassistischer Gewalt. 

Der Täter von Hanau und sein rechtsextremer Hintergrund waren den Behörden bekannt, sogar nachdem er eine Frau stalkte, eine Sexarbeiterin bedrohte und sie von übergriffigen und gefährlichen Verhaltensweisen berichtete, sah die Polizei keinen Handlungsbedarf. Auch sie berichtete davon, wie die Polizei bei der Vernehmung eher daran interessiert war, “ob sie überhaupt rechtmäßig der Prostitution nachgehen würde”. Hashemi fasst im Buch zusammen, was alles über den Täter und seine rechtsextreme Gesinnung aufgedeckt wurde - entgegen der Fokussierung auf seine psychischen Erkrankungen. “Der Mann hatte offenbar eine Mission und ihm war viel daran gelegen, auch den Rest der Welt davon zu überzeugen.” Strafanzeigen im Jahr 2019 legten deutlich seine rassistische und antisemitische Gesinnung offen, doch die Behörden schauten ein weiteres Mal weg. Er konnte unbehelligt, trotz des Gefahrenpotentials, Waffen besitzen und an Schießübungen teilnehmen. Eine halbe Stunde vor der Tat wurde er noch von der Polizei kontrolliert, das Auto voller Waffen und Munition. 

Zeugenaussagen darüber, wie die Polizei den Barbetreiber angewiesen hatte, die Notausgangstür geschlossen zu halten. Die verspätete medizinische Versorgung, weil zuerst die Ausweise der Verletzten gesucht wurden. Polizisten, die behaupteten, nichts von den Problemen beim Notruf gewusst zu haben. Schockierende Details über die aktive Passivität, das Versagen und die Mitschuld der Behörden und politisch Verantwortlichen zeigen deutlich die Rolle des Staates im Aufrechterhalten rassistischer Strukturen und wie diese Institutionen nicht nur Rechtsxtreme schützen, sondern selbst durchsetzt sind von diesen Ideologien und Rassismus.

Gerade in dem Zeitraum vor der Tat prägte wieder einmal eine Welle der Hetze über Shisha-Bars, “kriminelle Clanstrukturen” und “Parallelgesellschaften” die deutsche Medienlandschaft. Nach dem Attentat war die Rede von “Shisha-Morden”. Hashemi zitiert den Bruder von Gökhan Gültekin, der immer wieder sagt, dass es zwei Anschläge gab. Den ersten am 19.Februar und den zweiten durch den Umgang der Behörden in den folgenden Tagen, Wochen, Jahren. “Als das SEK zum Beispiel Mercedes’ Vater und Familienangehörige mit gezogenen Waffen in seinem Auto umzingelte, weil die Beamten davon ausgingen, dass er ein Täter sein könnte - denn was hat ein Roma sonst um die Zeit am Kurt-Schumacher-Platz zu suchen?” Der Begriff der “sekundären Viktimisierung” taucht im Buch immer wieder auf. Er beschreibt genau diese Art der Täter-Opfer-Umkehr, der Retraumatisierung, des fehlenden Opferschutzes. Ähnlich wie bei den NSU-Morden wurden Familienangehörige verdächtigt. Auch Hashemis Handy wurde beschlagnahmt. Den Hinterbliebenen, Überlebenden und ihren Unterstützer*innen wurde sehr schnell klar: Im Kampf um Aufklärung, Konsequenzen, gegen den systematischen Rassismus können wir uns nur auf unsere eigene Kraft verlassen. 

Der Untersuchungsausschuss 

Durch den Druck der Angehörigen und antirassistischen Aktivist*innen wurde ein Untersuchungsausschuss einberufen, der 2023 endete. Hashemis Buch schildert detailliert Abläufe und Befragungen im hessischen Landtag und beginnt mit der Hoffnung, die viele der Angehörigen in diesen Prozess steckten - und die bitter enttäuscht wurden. “Wenn dieser Untersuchungsausschuss uns eines gelehrt hat, dann, dass sich ein Beamter niemals bei einem Kanaken entschuldigen wird, komme, was wolle.” Hashemi schildert unzählige Aussagen und Situationen in den Untersuchungsausschusssitzungen, die retraumatisierten, relativierten und die Angehörigen verhöhnten. 

“Hier stellt niemand die tatsächlich wichtigen Fragen, und wenn wir wollen, dass etwas vorangeht, müssen wir es selbst machen. Geleakte Gutachten, veröffentlichte Berichte - fast alles, was in diesem Untersuchungsausschuss erkenntnisreich war, lieferten wir Hinterbliebenen - teilweise unerlaubterweise, aber wir hatten ja keine Wahl!”

Viele Fragen bleiben offen, auch wenn der gesellschaftliche Druck dazu beitrug, dass diese Frage überhaupt erst in einem solchen öffentlichen Rahmen und Prozess gestellt wurden:“Unser Hauptanliegen war immer Aufklärung. In gesellschaftlicher Hinsicht haben wir die auch erreicht. Keiner bezweifelt mehr, dass der Notruf nicht richtig funktioniert hat. Dass der Notausgang verschlossen war. Dass der Vater des Täters ein Nazi ist, der nach wie vor unsere Heimatstadt terrorisiert.”

All diese Aufklärungsarbeit haben die Hinterbliebenen und Aktivist*innen im Laufe der letzten vier Jahre geleistet. Doch das Ergebnis der Untersuchungsausschusses ist ein weiterer Schlag ins Gesicht für sie - denn es werden keine Konsequenzen gezogen. Die Ermittlungen wegen des versperrten Notausgangs und des nicht funktionierenden Notrufs wurden eingestellt und nicht wieder aufgenommen. Verantwortliche Politiker*innen und Beamt*innen suchen noch immer nach Ausreden und Relativierungen, um von ihrer Schuld abzulenken. Für Hashemi und die Initiative 19.Februar ist letztlich klar:“Für den Mord an meinem Bruder Said Nesar Hashemi, an Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Mercedes Kierpacz, an meinen Jugendfreunden Hamza Kurtović, an dem Helden Vili Viorel Păun, an Fatih Saraçoğlu und Kaloyan Velkov hat es nie ein Verfahren gegeben. Weil der Täter sich selbst gerichtet hat.”

Gegen das Vergessen - Jeden Tag Widerstand gegen Rechtsextremismus und Rassismus aufbauen 

Hashemis Buch ist zu einer entscheidenden Zeit erschienen. AfD, FPÖ & Co verzeichnen neue Umfrage-Rekorde. Die “geheimen Remigrationspläne” der Faschist*innen haben uns in Schock versetzt, und waren doch für viele migrantisierte Menschen, die schon immer den systematischen Rassismus der kapitalistischen Gesellschaft und die rechtsextreme Gefahr auf allen Ebenen ihres Lebens zu spüren bekommen, keine große Überraschung. Eine neue Welle des Rassismus, gezielt gegen muslimische Jugendliche gerichtet, gefährdet heute wieder und immer noch Menschenleben. Wenn wir uns in Österreich beispielsweise aktuell die Nachrichten und die rassistische Hetze über den 10. Wiener Bezirk durchlesen, liegt die Angst vor zunehmender rassistischer Gewalt sehr nahe. Hashemi bringt es selbst auf den Punkt, wie rassistische Gewalt und Morde keine Einzelfälle und die Folge, die Spitze des Eisbergs, einer rassistischen Politik und Hetze sind: “Der Anschlag auf das Oktoberfest in München 1980. die rechtsextremen Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991, ein Jahr später Rostock-Lichtenhagen, Mölln, 1993 dann Solingen. Die unzähligen Brandanschläge auf Asylheime in den 1990er Jahren sorgten zwar für Aufsehen, führten aber nicht zu härterem Durchgreifen in der rechten Szene. Die Antwort der Politik waren verschärfte Asylgesetze - auch dank Hetzkampagnen der Bild-Zeitung, die diese Stimmung weiter anheizte. Nicht zu vergessen der NSU, der sieben Jahre lang Migranten ermorden konnte, während Boulevardblätter es so darstellen, als seien die Migranten selbst schuld, als handele es sich um kriminelle Milieus, Ehrenmorde oder mafiöse Rivalitäten.” 

Da ist es besonders zynisch, wenn von der etablierten Politik, von Parteien, die selbst für diese rassistische Politik verantwortlich sind, versucht wird, die unermüdliche Arbeit und die Errungenschaften der Initiative 19.Februar zu vereinnahmen. Olaf Scholz ließ sich stolz mit Hashemis Buch fotografieren - wenige Monate nach massiven Asyrechtsverschärfungen und seiner Aussage “Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.”

Tatsächlich markierte Hanau einen wichtigen Wendepunkt im Widerstand und in der Selbstorganisierung migrantisierter Communities. Wenige Monate später weiteten sich die black lives matter Proteste auch auf Deutschland und Österreich aus. Wie die Aktivist*innen selbst immer wieder betonen “Wir kämpfen weiter”. Hashemi sagt, “Weil so viele Migranten sich in unseren Namen wiedergefunden haben. Hanau hat eine Schockwelle durch unsere Communities geschickt.”

Dass die Angehörigen die Aufarbeitungs- und Aufklärungsarbeit selbst in die Hand nehmen mussten, die wegweisende Arbeit ihrer Organisierung und Initiative, zeigt, welchen Antirassismus wir brauchen: Von unten, von den Betroffenen und solidarischen Menschen selbst organisiert, die Probleme an der Wurzel packend und für Forderungen wie: Abschiebestopp, gleiche Rechte für alle, eine demokratische Kontrolle der Polizei und Behörden durch antirassistische Initiativen, unabhängige Anlauf- und Beschwerdestellen, Zugang zu guter Arbeit, Wohnraum, sozialer Sicherheit und Bildung sowie entschlossener Widerstand gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung. 

Hashemi beschreibt gegen Ende des Buches, wie im Zuge der Kampagnen der Initiative 19.Februar ein Treffen ihm besonders in Erinnerung geblieben ist und Eindruck hinterlassen hat, nämlich jenes mit der IG Metall: “Die Macht der Gewerkschaften wird oft unterschätzt. Sogar die Gewerkschaften unterschätzen manchmal ihre eigene Macht. Sie haben Millionen von Mitgliedern. Millionen von Stimmen, die vereint tatsächlich etwas verändern können. Nichts trifft einen Konzern so sehr, als wenn die wichtigste Ressource fehlt: die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.”

Eine ähnliche Perspektive zeigte auch Çetin Gültekin in seiner Rede am 17.02.2024 auf der bundesweiten Gedenkdemonstration anlässlich des 4. Jahrestages des Anschlags auf, er sagte: "Vielleicht sollten alle Migrant*innen mal für eine Woche die Arbeit niederlegen. Welcher Bus würde noch fahren? Wer würde den Müll abholen? Wer würde die Straßen und Häuser bauen? Wer würde die Alten pflegen?"

Der Kampf gegen Rassismus muss integraler Bestandteil der Arbeiter*innenbewegung, ihrer Organisationen und aller Kämpfe sein. Wir haben es der Initiative 19.Februar, Said Etris Hashemi, Çetin Gültekin und allen anderen Angehörigen und Aktivist*innen zu verdanken, dass Hanau zu einem derartigen Symbol geworden ist und eine Bewegung angestoßen hat. Sie haben ihren unerträglichen Schmerz in den notwendigen Widerstand verwandelt, so wie Hashemi sagt “nicht weil sie all das tun wollen, sondern weil sie nicht anders können”. Ob im Mittelmeer, in Geflüchtetenlagern, auf den Spargelfeldern oder in den Fleischfabriken - migrantisches Leben und migrantische Arbeit ist in diesem System, im Kapitalismus, nichts Wert. Die Bewegung, die wir als Lehre aus Hanau aufbauen müssen, muss dieses gesamte System von Grund auf überwinden, denn: Hanau ist überall. 

 

 

VORWÄRTS-Schwerpunkt zum aktuellen Rechtsruck

von Sebastian Kugler und Christoph Glanninger

Rechtsruck? Widerstand!

Für das Superwahljahr 2024 wird global ein Rechtsruck vorausgesagt. In neun EU-Ländern, darunter Österreich, stehen rechtspopulistische und -extreme Parteien wie die FPÖ auf Platz 1 in Umfragen. In den USA droht die Rückkehr des stark radikalisierten Trump. In Russland dienen die Wahlen sowieso nur mehr der Festigung von Putins Regime.In Deutschland hält sich die AfD konstant über 20% und wird voraussichtlich bei den Landtagswahlen in einer Reihe von Bundesländern stärkste Kraft. Gleichzeitig driftet die gesamte etablierte politische Landschaft nach rechts. Vor allem die klassischen bürgerlich-konservativen Parteien - von den US-Republikanern über die britischen Tories und die deutsche CDU bis zur ÖVP - übernehmen nun offen die Rhetorik und Programmatik der Rechten. Das zeigt sich anschaulich im “Österreich-Plan” von Kanzler Nehammer, der den Kulturkampf der FPÖ komplett kopiert.Aber auch (ehemals) “linke” politische Kräfte richten ihre Fahnen nach dem rechten Wind. Während zurecht große Empörung über die Pläne zur “Remigration” auf dem faschistischen Treffen von Potsdam herrscht, konnte der deutsche Kanzler Scholz (SPD!) nur kurz davor auf dem Cover des Spiegel verkünden: “Wir müssen im großen Stil abschieben”. Auch SPÖ-Chef Babler, von dem sich viele einen konsequenten Antirassismus erhofften, steht offen zu “Verfahrenszentren” an den EU-Außengrenzen und akzeptierte den Ausschluss von SPÖ-Mitgliedern, die sich für die Rechte von Palästinenser*innen einsetzen. Gerade der Gaza-Krieg diente vielen Liberalen, wie NEOS und Grünen, dazu, ihr dünnes antirassistisches Jäckchen abzustreifen, im Namen “westlicher Werte” die Reihen bis zur FPÖ zu schließen und in die verallgemeinerte Propaganda gegen Migrant*innen und Muslime einzustimmen. Die ach-so-fortschrittliche EU lässt jeden Tag Geflüchtete an ihren Außengrenzen sterben und rollt damit den Rechtsextremen den Teppich aus. Nichts könnte das besser illustrieren als die Kandidatur des früheren Frontex-Chefs auf der Liste der französischen Rechtsextremen Le Pen.Woher kommt dieser Rechtsruck - und was können wir ihm entgegensetzen? Damit beschäftigt sich dieser Vorwärts-Schwerpunkt.

Wer vom Rechtsruck spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen

Liest man die gängigen Analysen zum Rechtsruck, bekommt man einfache Antworten: Die Menschen seien dumm, die Welt sei ihnen zu kompliziert - oder die Gruppen, gegen die sich der Hass richtet, seien selbst Schuld, weil sie diese Reaktion provoziert hätten. Dadurch werden die systemischen Wurzeln der aktuellen Entwicklungen - und Antworten darauf - verdeckt.

Krise des Kapitalismus als wirtschaftlicher Hintergrund

Die tiefe Krise, in der sich der Weltkapitalismus seit der Krise von 2008 befindet, bildet die Grundlage für die Verschiebungen in der Politik. Die Ära der neoliberalen Globalisierung ist zu Ende. Sie war gekennzeichnet durch eine Intensivierung des Welthandels und drückte sich durch internationale Freihandelsabkommen aus, mit denen nationale Märkte für internationale Konzerne auf Kosten der Arbeiter*innenklasse (durch Sozialabbau, Privatisierungen usw.) geöffnet wurden. Der Nationalstaat verlor an Bedeutung, stattdessen entstanden größere Machtblöcke wie die EU. Damit einher ging die Dominanz des globalen Finanzsektors, dessen Kollaps 2008  auch die Kehrtwende einläutete und Millionen Arbeiter*innen weltweit in Armut stürzte. Seither sehen wir einen Trend zur “Deglobalisierung”. Ohne wirkliches Wirtschaftswachstum und angesichts der Entzauberung der internationalen Finanzmärkte setzte in Wirtschaft und Politik ein Umdenken ein: Nun galt es, vor allem den eigenen “Wirtschaftsstandort” zu verteidigen - und der Nationalstaat erlebte als Instrument dafür ein Comeback. An die Stelle des Freihandels trat nun der Handelskrieg, wie Trump ihn gegen China anzettelte. Sein Slogan “America First” drückt den neuen kapitalistischen Zeitgeist aus und wird nicht zufällig überall auf der Welt kopiert: Brazil first, Russia first, China first usw. Bei Handelskriegen bleibt es nicht - im Ukrainekrieg und dem Säbelrasseln um Taiwan äußert sich die imperialistische Konkurrenz bereits militärisch.Die fortwährenden Krisen stellen die Grundlage für den Aufstieg des Rechtspopulismus dar. Er kann an der Wut über Unsicherheit, Krisen und soziale Verschlechterungen ansetzen, die Dauerkrisen einer scheinbar heilen Vergangenheit gegenüber stellen und dabei Feminismus, Migration und Co. die Schuld geben. 

Krise des Establishments als politischer Hintergrund

Auf der politischen Ebene bereitete die etablierte Politik selbst den Boden für den Rechtsruck. Rechte Politik wurde in den letzten Jahrzehnten im liberalen oder sozialdemokratischen Mäntelchen normalisiert - der Abbau des Sozialstaats, genauso wie die Aushöhlung des Asylrechts, wurde in den 1990ern von der SPÖ vorangetrieben. Gleichzeitig schuf der alltägliche rechtsstaatliche Rassismus - kein Wahlrecht, Diskriminierung am Arbeits- und Wohnungsmarkt usw. - erst jene verarmten und entrechteten migrantischen Bevölkerungsschichten, die das bevorzugte Ziel rechter Hetze sind. Andererseits haben Teile des politischen Establishments in den letzten Jahrzehnten fortschrittliche Ideen vereinnahmt. Doch die verschiedenen Formen des bürgerlichen Feminismus haben dabei versagt, die materielle Situation von Frauen und queeren Personen substantiell zu verbessern; der staatstragende Antirassismus hatte höchstens schöne Worte übrig, aber nicht gleiche Rechte und Investitionen in Jobs und Wohnungen für alle, die hier leben und leben wollen; die Klimakrise wurde nur mit hohlen Phrasen bekämpft, während man ihre Kosten auf die breite Bevölkerung statt auf die Profiteure von Umweltzerstörung ablud. Das alles erleichterte den Rechten ihre verlogene Darstellung von diesen zentralen Kämpfen für unsere Klasse als Eliten-Themen. Das politische und mediale Establishment  zieht nach, indem sie nun auch offen antifeministisch und ausländerfeindlich auftreten. Eine wichtige Lehre ist also, dass unsere Kämpfe gegen Sexismus, Rassismus und für Klimagerechtigkeit kein Vertrauen in dieses Establishment haben dürfen.

Rechte Pseudo-Antworten

Die Rechten machen diffuse Versprechungen von einem Systemwandel - obwohl sie gleichzeitig die größten Verteidiger des Profitsystems sind (z.B. spricht sich die FPÖ gegen Vermögenssteuern aus). Deswegen richten sie ihre Propaganda gegen “die Politiker”, aber nicht gegen die Bosse. Deswegen beschwören sie die Illusion eines abgeschotteten nationalen Kapitalismus ohne Krisen. Damit sprechen die Rechten vor allem kleinbürgerliche Mittelschichten an - jene, die sich sowohl von oben (von der Politik oder großen Konzernen) als auch von unten (von rebellischen Arbeiter*innen, Arbeitslosen, Flüchtlingen etc.) bedroht fühlen. Breiteren Schichten der Arbeiter*innenklasse soll diese Politik schmackhaft gemacht werden, indem ihnen vermittelt wird, auch sie wären in derselben Position. Deswegen propagieren die Rechten die angeblich gemeinsamen Interessen von Unternehmer*innen und Beschäftigten und wettern gegen den “Klassenkampf”. Gerade wegen mangelnder gewerkschaftlicher und politischer Kampftraditionen und angesichts fehlender Erfahrungen mit erfolgreichen Arbeitskämpfen trifft diese Ideologie auch unter Arbeiter*innen auf fruchtbaren Boden. Wer nicht das Vertrauen hat, durch betriebliche und politische Organisierung für die eigenen Interessen kämpfen zu können, kann sich Verbesserungen nur auf zwei Wegen erhoffen: nach oben buckeln und nach unten treten. Deswegen führen die Rechten auch Kulturkämpfe, in denen sie jenen, die ohnehin schon unten sind, einreden, sie hätten ganz anderes zu verlieren: ihre Männlichkeit, ihre kulturelle Identität, ihre “traditionellen Werte” usw. würden von Transpersonen, Flüchtlingen oder Klimaaktivist*innen gefährdet werden. In der Hetze gegen diese Gruppen und ihre Anliegen bieten die Rechten die Möglichkeit, doch noch nach unten zu treten und gleichzeitig einen Pseudo-Protest gegen die (angeblich linken) Eliten auszudrücken - ohne dass sich an deren Macht oder der eigenen Ohnmacht etwas ändern würde.

Widersprüche des Rechtsrucks

In der kapitalistischen Dauerkrise überschneiden sich die wirtschaftspolitischen Interessen des Kapitals immer mehr mit zentralen Angelpunkten rechter Ideologie - autoritärerer Staat, Kürzungspolitik, Ablenkung durch Rassismus und Queerfeindlichkeit. Gleichzeitig gibt es (noch) einen wichtigen Widerspruch zwischen den bürgerlichen Parteien, die die Interessen der großen Kapitalfraktionen vertreten, und den meisten ganz Rechten: FPÖ & Co haben sich als pseudo-soziale Opposition aufgebaut. Die EU-Feindlichkeit der FPÖ macht sie z.B. für Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung zu einem Problem - denn die wichtigsten Verbindungen der österreichischen Konzerne liegen im “Westen”.Die Widersprüchlichkeit spitzt sich zu, wenn der Rechtspopulismus in die Regierung kommt - in der Praxis setzt er die aggressivste kapitalistische Politik auch gegen die eigene Basis, bereichert sich selbst (Stichwort Ibiza) und muss durch noch intensivere Hetze davon ablenken. Gleichzeitig zwingen genau die rechten Angriffe immer mehr Menschen in Opposition zu ihnen: vor allem in den Schichten, die direkt angegriffen werden - Migrant*innen, Frauen und queere Personen, Arbeitslose und kämpferische Gewerkschafter*innen, aber auch unter breiteren Schichten der Arbeiter*innenklasse (z.B. rund um den 12-Stundentag) wächst dann das Bewusstsein um die Notwendigkeit, Widerstand zu leisten. Diesen Widerstand zu organisieren und mit einer programmatischen Perspektive auszustatten, die das Problem (den Rechtsruck) an seiner Wurzel (dem Kapitalismus) packt - darin besteht die dringlichste Aufgabe unserer Zeit.

Marx aktuell: Kritik der "Volksfront"

“Alle zusammen gegen Rechts” - dieser Anspruch klingt zunächst absolut logisch. Geht es nicht darum, alle, die z.B. gegen die FPÖ sind, unter einen Hut zu bringen?Eine wichtige Lehre ist hier die der “Volksfront”: Darunter verstand man vor allem in den 1930er Jahren das Bündnis sozialistischer bzw. kommunistischer Arbeiter*innen-Organisationen mit bürgerlichen “Parteien der Mitte” gegen den Faschismus. Die Volksfront scheiterte katastrophal: Als in Spanien 1936 der Putsch des faschistischen Generals Franco einen Bürger*innenkrieg vom Zaun brach, merkten die Massen schnell, dass man die Faschist*innen nur effektiv bekämpfen konnte, indem man ihnen den kapitalistischen Nährboden entzog: So wurden Betriebe und Ländereien enteignet und gemeinschaftlich verwaltet. Doch das oberste Ziel der bürgerlichen “Republikaner” war nicht der Kampf gegen Rechts, sondern die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems. Die Arbeiter*innenorganisationen ordneten sich komplett den Bürgerlichen unter, die Stalin-treue Kommunistische Partei gab das Land den Großgrundbesitzer*innen zurück und ließ antifaschistische Revolutionär*innen im Namen der Volksfront ermorden. Das brach nicht nur der Revolution, sondern auch dem Kampf gegen Franco das Genick. Die Bürgerlichen zogen die Niederlage gegen den Faschismus der sozialen Revolution vor. Die Lehre daraus ist, dass pro-kapitalistische Kräfte im Zweifel immer den Kampf gegen Rechts verraten, um ihr eigenes System nicht zu gefährden.Aber sind dann breite Bewegungen gegen Rechts nicht unmöglich? Keineswegs. Um gegen Rechts zu kämpfen, muss man nicht Marxist*in sein - aber man kann nicht kapitalistische Interessen über die Notwendigkeiten dieses Kampfes stellen. Das tun aber die Führungen aller etablierten Parteien - auch SPÖ und Grüne, die damit den Rechten den Boden bereiten. Was von Marxist*innen historisch als “Einheitsfront” bezeichnet wurde, meint dagegen eine echte Breite: Eine gemeinsame Bewegung für die Interessen derer, die unterschiedlich von rechter und unsozialer Politik betroffen sind - Beschäftigte, Frauen, Migrant*innen, queere Menschen u.a. - ist die beste Waffe gegen Rechts. 

Eine sozialistische Alternative zum Rechtsruck

Der Eindruck eines allgemeinen Rechtsrucks trügt - tatsächlich sehen wir eine Polarisierung: Dem Erstarken der Rechten steht auch ein Anstieg an sozialen Bewegungen gegenüber. Vor wenigen Jahren war “Streik” für viele in Österreich ein Fremdwort - nun gibt es jedes Jahr Streiks, bei denen Zehntausende ihre ersten Erfahrungen im Kampf um die eigenen Interessen machen. Dabei sehen sie auch, auf wessen Seite die Rechten in diesen Kämpfen stehen. Vor allem in Sektoren, welche die kapitalistische Vielfachkrise am stärksten spüren, also z.B. im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich, drückt sich das steigende Selbstbewusstsein in Basisinitiativen und immer mehr kämpferischen Betriebsrät*innen aus. Bis vor kurzem sprach fast niemand über Femizide - nun ist Gewalt gegen Frauen aufgrund einer neuen feministischen Welle ein breites gesellschaftliches Thema. Dazu kommt die massive Politisierung der LGBTQI+-Community - durch die Angriffe von Rechts wächst das Bedürfnis, aktiv für die eigenen Rechte einzustehen. So werden die radikalen Wurzeln der “Prides” und des 8. März wiederentdeckt. Außerdem sahen wir in letzter Zeit nicht nur die Massendemonstration tausender migrantischer Jugendlicher im Zuge von “Black Lives Matter” gegen Polizeigewalt - auch die Bewegungen zur Unterstützung der “Frau-Leben-Freiheit”-Bewegung im Iran und gegen das Massaker in Gaza werden von Migrant*innen geführt, die damit auch gegen den Rassismus hierzulande kämpfen. Diese Entwicklungen zeigen zwar eine Politisierung nach links, aber diese äußert sich erst begrenzt in langfristigen Bewegungen oder im Aufbau von Organisationen.

Kampf gegen jede Ausbeutung und Unterdrückung

Die Stärke der Rechten ist die Schwäche der Linken, diese Prozesse zusammenzuführen und zu organisieren. Die anfängliche Begeisterung für Babler und die lokalen Erfolge der KPÖ haben eine Idee von dem Potential konsequenter linker Politik gegeben - gleichzeitig zeigen sich hier entscheidende Schwächen ihrer reformistischen Strategien: Babler schreckt vor den Konsequenzen seines eigenen Programms zurück, denn dieses ließe sich nur durch die Konfrontation mit Bossen & Bürgerlichen durch Massenmobillisierungen und politische Streiks durchsetzen. Stattdessen setzt er auf Versöhnung mit den rechtesten Teilen der SPÖ wie Doskozil, der mit der FPÖ koalieren will. Die KPÖ präsentiert sich immer mehr als Single-Issue-Partei zum Thema Wohnen und vermeidet vor allem das “heikle” Thema Migration - im Wahlprogramm des “Modellbeispiels” KPÖ Salzburg fehlt jegliche antirassistische Forderung, Antifaschismus kommt nur als Denkmalpflege vor. Es ist ein fataler Irrglaube, zu glauben, man könne die FPÖ dadurch zurückdrängen, indem man einfach ein besseres allgemeines Sozialprogramm aufstellt und zu Fragen von Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie usw. schweigt. Die Rechten trennen nicht zwischen “sozialen” und “kulturellen” Fragen, sie führen den Klassenkampf von oben auch als Kulturkampf - deswegen muss der Widerstand von unten auch einer gegen jegliche Form von spezifischer Unterdrückung sein.Eine Stärkung von Babler und KPÖ auf der Wahlebene ist darum bei Weitem nicht genug, um den Rechtsruck aufzuhalten. Ihre Botschaft “Wählt uns, wir machen das schon für euch” ist ein Problem, weil eine solche Stellvertreterpolitik die Notwendigkeit von Selbstorganisierung und Mobilisierung in Betrieben, Bildungseinrichtungen, Nachbarschaften und auf den Straßen leugnet. Genau das ist jedoch notwendig, um die vorhandenen Kämpfe zusammenzuführen und zu stärken sowie Strukturen und Organisationen aufzubauen, die konsequent für das kämpfen, was notwendig ist: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich; Milliarden für Bildung, Wohnen, Gesundheit und Soziales statt für Aufrüstung und Geschenke an Superreiche, Banken und Konzerne; Bleiberecht und gleiche Rechte für alle, die hier leben und leben wollen; demokratische Kontrolle über die Polizei; legale, kostenlose Schwangerschaftsabbrüche und geschlechtsangleichende Behandlungen sowie gleicher Lohn für gleiche Arbeit; Enteignung der Profiteure von Teuerung und Klimazerstörung und echte Demokratie in Arbeit und Alltag - das sind nur einige Eckpunkte einer revolutionären sozialistischen Alternative zum kapitalistischen Chaos, die wir den Pseudo-Antworten der Rechten entgegensetzen müssen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Antimuslimischen Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus und Antisemitismus an Schulen bekämpfen!

Jetzt aktiv werden gegen den Rechtsruck!
von Sarah Moayeri, ISA- und ROSA-Aktivistin sowie Mittelschullehrerin

Seit Monaten wird in einem Zeitungsartikel nach dem anderen gegen Schüler*innen gehetzt. Das blutige Massaker in Gaza und die Verbrechen der israelischen Regierung - aber auch die verbrecherischen Terrorakte der Hamas - werden von der Regierung hierzulande instrumentalisiert, um Hass zu schüren. Muslimische Schüler*innen werden unter Generalverdacht gestellt, es wird darüber diskutiert, ob deren angeblich “demokratiefeindliche” Einstellungen überhaupt überwunden werden könnten.

Im Kontext eines Rundumschlags gegen Migrant*innen und Geflüchtete (Zunahme von Abschiebungen, Asylrechtsverschärfungen, rechte und rassistische Hetze im Allgemeinen) werden Jugendliche ganz gezielt marginalisiert. Ihre Solidarität mit den Opfern in Gaza wird als “antisemitisch” diffamiert. In der Schule sind sie mit zunehmender Repression und Rassismus durch Lehrpersonen und Schulleitungen konfrontiert. 

“Extremismus”-Workshops durch die Polizei?!

Um “demokratische Werte” zu vermitteln, werden jetzt Extremismus-Workshops durch die Polizei an Schulen durchgeführt. Das wird präsentiert als “politische Bildung”, ist in Wirklichkeit aber ein weiterer Versuch, im eh schon repressiven Schulsystem, das benachteiligte und von Rassismus betroffene Schüler*innen systematisch ausgrenzt, kritisches Denken zu unterdrücken. Die berechtigte Wut auf das (Schul)Ssystem soll möglichst keinen Platz in der Schule finden. Klassenräume sollen keinen Raum für umfassende politische Diskussionen bilden.

Diese angebliche “Terrorismus- und Gewaltprävention” ist 1. nicht wirksam, solange die sozialen Verhältnisse, Rassismus und Ausgrenzung den Nährboden für Gewalt bilden und 2. pure Schikane, besonders dann, wenn sie von Kräften wie der Polizei durchgeführt wird, die eine wesentliche Säule des staatlichen Rassismus darstellen, mit dem Jugendliche tagtäglich konfrontiert sind.

Für eine radikale Demokratisierung von Schule!

Lehrpersonen sind aus guten Gründen mit der Situation überfordert. Mangelndes Personal, mangelnde Ressourcen und gleichzeitig der Druck, das System Schule so gut es geht am Laufen zu halten. Es braucht dringend mehr Schulungen und Fortbildungen zum Umgang mit dem Gaza-Krieg an Schulen und zum Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung. Aber wer führt sie mit welchem ideologischen Hintergrund durch? Wie sind sie politisch gefärbt? Wer kontrolliert, was den Schüler*innen hier erzählt wird? Es ist beispielsweise kein Zufall, dass diese Workshops sich oft auf die Frage von Islamismus konzentrieren, während die Gefahr von Rechtsextremismus ignoriert / ausgeblendet wird.

Die Idee hinter solchen “Extremismus-Workshops” ist, dass Jugendliche sich an den Status Quo anpassen - der aber auf allen Ebenen inakzeptabel ist! Wir wollen keine Schule, die uns für ein kaputtes System, für den rassistischen und sexistischen Kapitalismus, abfertigen soll. Die Klimabewegung, die von Schüler*innen angeführt wurde, hat da schon ein wichtiges Beispiel gesetzt. Wir müssen und werden den Schulalltag bestreiken, weil dieses System unerträglich geworden ist! 

Schüler*innen können nicht mitgestalten oder mitentscheiden, was in den Schulen passiert - sie sind oft machtlos Lehrpersonen und Direktion ausgeliefert, im schlimmsten Fall erfahren sie Übergriffe und diskriminierendes Verhalten. Aber auch Lehrpersonen sind diesem System unterworfen. Was es braucht, ist eine radikale Demokratisierung von Schule und Lehrinhalten. Wir müssen uns diese Kontrolle holen: Durch Organisierung. Der Rechtsruck drückt sich ganz besonders im Schulsystem aus. 

Organisier dich jetzt - Melde dich bei uns, wenn du eine antirassistische und feministische Gruppe an deiner Schule aufbauen willst!

Kämpfen wir gemeinsam - Schüler*innen und Lehrpersonen Hand in Hand - gegen antimuslimischen Rassismus ebenso wie gegen Antisemitismus. Gegen Transfeindlichkeit ebenso wie gegen Frauenfeindlichkeit, repressive Kleiderordnungen, diskriminierende Deutschförderklassen. Gegen Polizei und Bundesheer an unseren Schulen! Bauen wir Strukturen,  Vernetzung, Gruppen an unseren Schulen auf, um all das zu diskutieren - und um dem Rechtsruck vor Ort begegnen zu können. Zehntausende haben in den letzten Tagen schon auf der Straße gegen Rechts protestiert - bringen wir diesen notwendigen Kampf in unseren Schulalltag und kämpfen wir dabei auch um die notwendigen Ressourcen zur Ausfinanzierung eines guten und inklusiven Bildungssystems! Ein erster Schritt kann eine Organisierung für den 8.März - den feministischen Kampftag sein. Melde dich bei ISA und ROSA, wenn du dafür etwas an deiner Schule aufbauen willst! Mit welchen Problemen seid ihr täglich konfrontiert? Was muss sich konkret in deiner Schule ändern? Wir können unterstützen und gemeinsam Kampagnen und Aktionen planen!

 

 

2024 - Gegen den gefährlichen Rechtsruck - Jetzt Solidarität und Widerstand aufbauen!

ROSA und ISA
aktualisiert am 22. Jänner 2024

2024 beginnt mit einer Zuspitzung von rassistischer Hetze und Repression. Die Schwarz-Grüne-Regierung und EU beginnt damit die rechtsextremen Wahnvorstellungen, die bei dem Geheimtreffen in Potsdam diskutiert wurden, weiter in die Praxis umzusetzen. Das drückte sich in der brutalen Abschiebung eines Kurden während seiner Hochzeit, aber auch in der geplanten Verschärfung des EU-Grenzregimes, aus.

Während das blutige Massaker in Gaza weitergeht, haben die Herrschenden hierzulande diesen Krieg gezielt genutzt, um Hass zu schüren - insbesondere muslimische Menschen bekamen dies zu spüren. Palästina-Solidaritätsproteste wurden verboten, Schüler*innen und Studierende schikaniert und unter Generalverdacht des Terrorismus und Antisemitismus gestellt. Sie haben den abscheulichen Angriff der Hamas, das Leid der Angehörigen und die berechtigte Angst vor antisemitischen Übergriffen genutzt, um eine massive Hetze gegen Araber*innen, Türk*innen, Kurd*innen und andere zu entfachen. Sie waren aber nicht bereit, zum Beispiel den jüdischen Friedhof in Wien ausreichend zu schützen. Die Angst von Jüdinnen und Juden wurde missbraucht, um Rassismus zu schüren. 

Die antimuslimische und rassistische Hetze setzt sich nun weiter fort. Die FPÖ ist seit einem Jahr an der Spitze der Umfragen und in Deutschland legt die AfD immer mehr zu. Kickl macht bei seinen Auftritten am Jahresanfang klar, dass er die Wahlen und den Wahlkampf nutzen wird, um weitgehende Angriffe auf uns und unsere Rechte vorzubereiten.

Politik gegen Geflüchtete und Migrant*innen wird immer schärfer

Nach dem Brand in einer Betreuungseinrichtung für Geflüchtete in Steyregg vergangene Woche wurden sofort Rufe nach Abschiebungen laut. Haimbuchner machte deutlich: „Es müssen endlich spürbare Konsequenzen folgen: Die Täter müssen registriert und abgeschoben werden!“ Steyregg hat die unmenschlichen Zustände offengelegt: 120 Jugendliche in einem Gebäude mit nur zwei Betreuer*innen untergebracht. Ohne Perspektive und in völliger Isolation. Tagessätze für die Grundversorgung von minderjährigen Geflüchteten wurden nicht einmal an die Inflation angepasst.

Stefan Sabler, Sozialarbeiter und Aktivist schrieb dazu treffend in einem Posting: “NGO’s wie die Caritas, Diakonie, Samariterbund und co haben in der Vergangenheit ein regelrechtes Wettrennen über die Schließung von Flüchtlingsquartieren hingelegt. Sie haben dem Fördergeber wieder einmal kleinbei gegeben oder haben sich teilweise auch gefreut, die Flüchtlingsbetreuung, die eh keine Spendengelder und Prestige bringt, abzuwerfen. Die karrieregeilen Geschäftsführer*innen der NGO’s wollen lieber die Kontakte mit Wirtschaft und Politik aufrechterhalten, als sich für die Jugendlichen in den Widerstand zu begeben. Aus meiner Zeit als umf Betreuer weiß ich, Fenster und Mülltonnen kann man ersetzen, die Jugendzeit aber nicht.”

Die FPÖ macht die Hetze, die aktuelle Regierung die Gesetze. Susanne Raab führt eine “österreichische Werteklausel” für Integrationsprojekte ein, was trotz “fortschrittlichem Gewand” nur der Stigmatisierung und weiteren Ausgrenzung dient. 2023 sind die Abschiebungen im Vergleich zum Vorjahr um 25% gestiegen. 

Der Rechtsruck gefährdet insbesondere von Migrant*innen, Frauen, queere Personen auf allen Ebenen ihres Lebens. Während antisemitische Angriffe ebenfalls zunehmen, machen die Herrschenden nichts anderes, als muslimische und von Rassismus betroffene Menschen weiter zu dämonisieren und zu marginalisieren. Nur der gemeinsame Kampf von unten gegen jede einzelne Form von Rassismus und Unterdrückung kann die gefährlichen rechtsextremen Elemente zurückdrängen. Wir brauchen eine starke Bewegung, die sich gegen körperliche Angriffe, gegen rassistische Gesetze und Diskriminierung durch Ämter, Schulen und Behören richtet. Staat und Behörden schützen Rechtsextreme und befördern ihren Aufstieg und sind selbst von diesen Elementen durchdrungen.

Schluss mit der Repression gegen die Solidarität mit Gaza!

Versuche, Angriffe auf jüdische Menschen mit legitimen Äußerungen der Opposition und des Widerstands gegen die israelische Kriegsmaschinerie, die ein historisches Massaker gegen Millionen von belagerten Palästinenser*innen anführt, gleichzusetzen müssen von uns zurückgewiesen werden! Antisemitismus, verbale Übergriffe im öffentlichen Raum und Angriffe auf Jüdinnen und Juden und jüdische Einrichtungen sind ein Problem, das wir seit langem bekämpfen. Solidarität mit den Palästinenser*innen ist nicht antisemitisch! Über Trauer und Wut zu sprechen, Widerstand gegen das Massaker in Gaza zu organisieren ist legitim und notwendig!

2024 muss dieser Widerstand stärker werden! Wenn die Herrschenden diesen Kampf mit Übergriffen gegen Jüdinnen und Juden gleichsetzen, schaden sie damit mehrfach. Sie verunglimpfen das Mitgefühl und die Solidarität mit den Opfern. Aus Angst dem Antisemitismus Vorschub zu leisten oder als Antisemit*in abgewertet zu werden, schweigen viele Menschen zu den Massakern und beteiligen sich nicht an der Solidaritätsbewegung. Gleichzeitig wird der reale Antisemitismus verharmlost und seine Hintergründe verwischt. Vor allem wenn Rechtsextreme vom "importierten Antisemitismus" reden. Die Gleichsetzung schadet daher nicht nur dem Kampf gegen das Massaker in Gaza sondern auch dem Kampf gegen Antisemitismus.

Widerstand von unten gegen Rechts!

Die Teuerung bei Lebensmittel, Energie und beim Wohnen löst bei vielen Menschen eine soziale Misere aus. 2023 gab es viele Streiks und Bewegungen mit dem Ziel, die Lebenssituation zu verbessern. Dazu kommen die Wahlerfolge der KPÖ. Es zeigt sich, dass viele Menschen nach einer klassenkämpferischen und linken Antwort auf die soziale Misere suchen, darauf können und wollen wir 2024 aufbauen! Gleichzeitig versucht die FPÖ, die soziale Misere zu nutzen, um Sündenböcke zu präsentieren. Dadurch schützen sie die Profiteure dieses Systems. Sie präsentieren sich als Stimme “von unten” und könnten nicht weiter entfernt davon sein: Ihre Agenda umfasst Angriffe auf Abtreibungsrechte, queere Rechte, Arbeiter*innenrechte, auf Pensionen, Sozialleistungen und mehr.

Die Massenprotetste gegen die AfD in Deutschland mit über 1,5 Millionen Teilnehmer*innen zeigen das Protential für Widerstand dagegen. Bringen wir diese Bewegung auch nach Österreich und bauen wir sie weiter aus! Denn für einen erfolgreichen Kampf gegen die rechte Gefahr und ihre Ursachen brauchen wir eine entschlossene, antirassistische, feministische und sozialistische Bewegung, die wir in unseren Schulen, Universitäten, Nachbarschaften und Betrieben aufbauen müssen.

-> Stoppen wir rechte, rassistische, sexistische und queerfeindliche Hetze, sowohl Islamophobie als auch Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung, immer und überall mit kollektiver Aktion!

-> Stopp aller Abschiebungen, Bleiberecht für alle, Kampf gegen alle rassistischen Gesetze!

-> Die Herkunft der Täter spielt keine Rolle: Nein zur Instrumentalisierung von Frauenrechten, um Rassismus zu schüren - Für einen antirassistischen Kampf gegen Sexismus, Übergriffe, Femizide!

-> Gleiche Rechte für alle! Sofortiger, voller Zugang für alle Menschen zu Arbeit, menschenwürdigen, öffentlichen, leistbaren Wohnraum, Gesundheitsversorgung, sozialer Versorgung und Bildung

-> Schluss mit Armut, Spaltung und brutaler Ausbeutung - während Politiker*innen Geflüchtete zu unbezahlter gemeinnütziger Arbeit verpflichten wollen und die Verhältnisse in den prekärsten Jobs immer schlimmer werden, sagen wir: Jobs und Löhne, von denen wir leben können, für alle! 

-> Keine Profitmacherei mit der Unterbringung oder Versorgung von geflüchteten Menschen! Es ist genug Geld da, um sichere, öffentliche Versorgung mit ausreichend Personal und Ressourcen für alle zu gewährleisten - holen wir es uns bei den Reichen und Konzernen!

-> Bekämpfen wir die Ursachen für Flucht und Vertreibung und bauen wir die Bewegung gegen den Gaza-Krieg und imperialistische Aufrüstung aus: Geld für Wohnraum, Löhne, Gesundheit und Bildung statt für fossile Brennstoffe, Militarisierung und den nächsten imperialistischen Krieg auf unsere Kosten. Enteignung von Industrie und Profiten im Interesse unserer Bedürfnisse unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung von Ressourcen und Wirtschaft durch Beschäftigte und Gesellschaft!

-> Wenn wir uns organisieren, können wir eine Alternative zu Kapitalismus, Rechtsruck Rassismus und Sexismus aufbauen. Auch eine politische Alternative der Arbeiter*innenklasse zum Rechtsruck auf Wahlebene muss auf eine Bewegung von unten aufbauen. Schluss mit einem System, das einige wenige reich macht, während wir um Brotkrümel kämpfen müssen! Jetzt Widerstand gegen eine drohende FPÖ-Regierung aufbauen! Komm dafür zu unseren nächsten Treffen und Aktionen, unter anderem als Vorbereitung auf den 8.März, den internationalen feministischen Kampftag!

-> Bauen wir jetzt Strukturen von unten dafür auf: Überall wo wir leben, arbeiten oder zur Schule gehen. ROSA und ISA werden in den nächsten Wochen und Monaten Aktionen und Kampagnen planen und durchführen, um genau so einen Widerstand aufzubauen.

 

Rassistische Welle im Schatten des Gaza-Kriegs

Gegen Rassismus, Antisemitismus, Besatzung und Krieg

Für internationale Solidarität und Widerstand gegen jede Unterdrückung

Eine Auswirkung der brutalen Eskalation in Israel und Palästina ist auch eine Diskussion über Antisemitismus und neue Welle an antimuslimischem Rassismus. Laura Sachslehner, ehemalige Generalsekretär*in der ÖVP, bringt diese rassistische Stimmung auf den Punkt “Wer den muslimischen Antisemitismus in unserem Land & in Europa an der Wurzel bekämpfen will, der muss die stetige illegale Einwanderung stoppen.” aber auch von Politiker*innen anderen Parteien und den Medien gibt es ähnliche Statements. Aber auch Grüne, SPÖ und ein großer Teil der außerparlamentarischen Linken stellen sich völlig unkritisch hinter die brutale Offensive des israelischen Regimes - ohne Differenzierung zwischen der israelischen Regierung und der Bevölkerung (während eine kleine Minderheit die widerlichen Taten der Hamas verteidigt oder ignoriert). Der “linke” SPÖ-Vorsitzende Babler, aber auch die KPÖ verlieren bis jetzt auf ihren sozialen Medien kein Wort über die Toten auf palästinensischer Seite. Einige fordern offen Abschiebungen.  Es ist wichtig den Opfern der Hamas-Attacke Anteilnahme und Solidarität auszudrücken und sich gegen Antisemitismus zu stellen - z.B. die Attacke auf eine jüdische Einrichtung in Berlin. Aber wenn es gleichzeitig keine Anteilnahme für die tausenden palästinensischen zivilen Opfer gibt und ihre Trauer sogar unterdrückt wird, signalisiert man damit auch klar allen Muslim*a: Eure Leben sind uns egal.

Die Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung soll per se als antisemitisch dargestellt werden und eine ganze Bevölkerungsgruppe wird mit der Hamas gleichgesetzt. Z.B. durch den ÖVP Generalsekretär Christian Stocker “Einem Volk, das sich dazu entschieden hat, willkürlich zu entführen, zu vergewaltigen und zu morden, kann man nicht zur Seite stehen.” In zahlreichen europäischen Städten - darunter auch Wien - werden palästinensische Proteste verboten. An Schulen werden Jugendliche, die Solidarität mit Palästina ausdrücken, schikaniert. Auf Berliner Straßen werden Menschen mit Palästina-Symbolen von der Polizei aufgehalten und verhaftet. Menschen, die jeden Tag Rassismus und Unterdrückung durch diese Gesellschaft erfahren, werden jetzt auch noch dafür stigmatisiert, Solidarität mit den Opfern eines brutalen Kriegs zu zeigen. Das widerlichen Auswirkungen dieser Hetze sieht man auch in der Ermordung eines palästinensischen Kindes durch einen Rassisten in den USA. 

Wie kämpfen gegen Rassismus und Antisemitismus?

Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine wichtige Aufgabe für Linke - gerade in Österreich und Deutschland. D.h. vor allem gegen rechtsextreme Kräfte auftreten - 2022 hatten 55% aller antisemitischen Übergriffe rechtsextremen Hintergrund. Aber auch im Zuge der Solidaritätsdemonstrationen gegen den Krieg in Gaza ist es wichtig sich zu positionieren, wenn es zu Hass gegenüber Jüd*innen kommt und klarzumachen, dass wir den Antisemitismus der Hamas genauso ablehnen wie das rechte, pro-kapitalistische Netanjahu-Regime und die Besatzung als Wurzel des Konflikts. Beide können keinen Weg in Richtung eines sicheren und guten Lebens aufzeigen. Deswegen ist es zentral, zwischen dem israelischen Staat, der für die brutale Besetzung und kollektive Bestrafung und Ermordung von Palästinser*innen verantwortlich ist, und der israelischen Bevölkerung bzw. Jüd*innen zu unterscheiden. Wer  den israelischen Staat mit Jüd*innen gleichsetzt, schadet dem Kampf gegen Antisemitismus, weil man berechtigte Wut über Besatzung nicht auf die Rechtsextremen in der Regierung lenkt, sondern auf alle Jüd*innen.  Im Übrigen ignoriert, dass auch die massive Kritik innerhalb der jüdischen Bevölkerung an der rechtsextremen Netanjahu-Regierung, die in den vergangenen Monaten zu Massenprotesten geführt hat. 

Niemand hat die Corona-Demonstrationen daran gehindert, mit wildem Antisemitismus durch die Innenstädte zu ziehen. Bei antisemitischen militanten Neonazis drücken die Geheimdienste in Österreich und Deutschland beide Augen zu. Dieselbe ÖVP, die jetzt “muslimischen Antisemitismus” kritisiert, regiert in Niederösterreich mit der Landbauer-FPÖ, dessen Burschenschaft die Vergasung von Jüd*innen bejubelt. Alle Parlamentsparteien verfassen ein gemeinsames Statement in Solidarität mit den Opfern des Hamas-Angriffs (das palästinensische Opfer nicht mal erwähnt) mit einer FPÖ, deren Kern noch immer von antisemitischen Burschenschaftern gestellt wird. Tatsächlich trägt diese Rhetorik dazu bei, die historischen Verbrechen des Nationalsozialismus zu verharmlosen, besonders krass, wenn ÖVP-Mandatar Martin Engelberg behauptet, “die Hamas sei schlimmer als die Nationalsozialisten”. 

Rassistische Offensive schadet allen Unterdrückten

Die rassistische Welle der Regierenden hat nichts mit dem Kampf gegen Antisemitismus zu tun. Bei dem aktuellen Versuch Muslim*a kollektiv als antisemitisch darzustellen, geht es um etwas anderes: Rechtfertigung für das brutale Vorgehen des israelischen Staates und das Schüren von antimuslimischem Rassismus hier. Der Krieg in Gaza kommt gleichzeitig mit einer Zunahme an Menschen, die vor Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung nach Europa fliehen. Schon vor dem Beginn des Konfliktes hat sich die EU auf eine härtere Grenzpolitik verständigt. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Hetze gegenüber Muslimen genutzt wird, um damit eine mörderische Flüchtlingspolitik zu rechtfertigen. Es ist kein Zufall, dass wenige Tage nach Ausbruch des Krieges der Spiegel nach einem Interview mit dem deutschen SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz titelt: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben”. 

Diese Politik stärkt vor allem rechte und reaktionäre Kräfte - von FPÖ und Identitären, über Netanjahu und rechte israelische Siedler*innen, bis hin zu reaktionären islamistischen Gruppierungen - zu denen Muslim*a teilweise durch den alltäglichen Rassismus und die Ignoranz der Linken getrieben werden. Dieser Rechtsruck trifft alle Unterdrückten - Migrant*innen, Frauen, LGBTQIA+ Personen und auch Jüd*innen. 

Der einzige Weg Rassismus, Antisemitismus und Unterdrückung zu bekämpfen, ist der Aufbau einer internationalen Bewegung, die klar gegen die Besatzung und die Unterdrückung durch das rechte israelisch Regime kämpft - und sich dabei gegen die Hamas und islamistische Kräfte stellt, die in ihrem Machtbereich gegen jede Opposition vorgehen und Frauen, LGTBQIA+ und Gewerkschaftsaktivist*innen unterdrücken. Der Widerstand von Linken, Feminist*innen und Gewerkschafter*innen muss sich gegen jede Unterdrückung richten, sonst spielt man dem aktuellen Rechtsruck in die Hände. Aktuell bedeutet das besonders sich gegen die Welle an antimuslimischen Rassismus zu positionieren, die pauschale Hetze gegenüber Palästinenser*innen zurückzuweisen und gleichzeitig gegen Antisemitismus aufzutreten.

  

Wie Rassismus überwinden?

von Jan Millonig

Die etablierten Parteien drängen die FPÖ nicht zurück. Ganz im Gegenteil: In Worten und Taten zeigen sie, dass sie selbst auch für eine Politik für Reiche und Großkonzerne sowie für Rassismus stehen. Ob SPÖ und NEOS mit Kürzungen im Bildungsbereich oder Energiepreiserhöhungen in Wien oder ÖVP und Grüne in der Bundesregierung. Aber auch in der rassistischen Hetze versuchen sie, die FPÖ eher einzuholen als zu kontern. Die „das Boot ist voll.“-Logik findet man mittlerweile bei jeder Partei im Programm. Gleichzeitig rollen sie der FPÖ den roten Teppich am Weg zur Macht aus, wie die Koalition von ÖVP und FPÖ in Niederösterreich zeigt, aber auch die Offenheit großer Teile der SPÖ-Führung für Koalitionen.

Nötig wären echte Antworten auf die soziale und wirtschaftliche Krise, die sich nicht der kapitalistischen Profit- und Sparlogik fügen, um enttäuschten Schichten deutlich zu zeigen, dass die Rechten keine Alternative zum Establishment darstellen, sondern Teil davon sind.

Aber auch im Kampf gegen Rassismus dürfen wir uns nicht länger von der Heuchelei und den Lippenbekenntnissen der etablierten Parteien einlullen lassen, sondern müssen Proteste von unten organisieren, um z.B. Diskriminierung oder Zugangsbeschränkungen zu bekämpfen.

Die FPÖ ist vor allem deshalb stark, weil eine sichtbare Alternative zur herrschenden Politik fehlt und das ständige Versagen dieser nicht von Widerstand von unten herausgefordert wird. Wenn Menschen selbst für ihre Rechte kämpfen, merken sie sehr schnell, wer tatsächlich auf ihrer Seite steht und wer nicht. So geriet die FPÖ in der Auseinandersetzung um den 12-h-Tag (eingeführt von der schwarz-blauen Koalition) ziemlich unter Druck. Aber auch die Solidaritätsbewegung mit Flüchtlingen 2015 konnte breiten Schichten zeigen, dass es der Staat ist, der versagt und nicht die Geflüchteten das Problem sind.

Dabei bei moralischen Appellen oder Linkspopulismus a la „Es ist genug für alle da!“ stehen zu bleiben, reicht aber nicht. Denn tatsächlich ist im kapitalistischen System nicht „genug für alle da“. Erst wenn wir den Unterschied zwischen Arm und Reich nicht mehr als gegeben hinnehmen, können wir erkämpfen, dass der Reichtum in der Gesellschaft für die Bedürfnisse aller eingesetzt wird. Diese Perspektive muss eine linke Kraft aufzeigen, sonst gerät sie schnell selbst in eine „Besserverwaltung des Mangels“.

Gemeinsamer Kampf statt Bevormundung

Die Erkenntnis über die eigene Macht gewinnt man am besten, wenn man gemeinsam mit anderen für echte Verbesserungen kämpft. Im Gegensatz zu einer NGO-mäßigen Flüchtlingshilfe, die sich stellvertretend für Betroffene einsetzt, oder die Beschränkung auf “mehr Bildung”, die Menschen oft von oben herab belehrt. Denn das ändert die realen Widersprüche (zu wenig Wohnraum, zu wenig Sozialleistungen usw.) nicht. Aber der gemeinsame Kampf für ein gutes Leben für alle gegen eine herrschende Elite, die von der Ausbeutung und Unterdrückung der Vielen profitiert, ändert die reale Situation und das Bewusstsein. Der gemeinsame Protest von migrantischen und “hiesigen“ Schüler*innen gegen rassistische Angriffe kann klarmachen, dass nicht Migrant*innen das Problem sind, sondern eine Politik, die das Bildungswesen kaputtspart und Schüler*innen (mit und ohne Migrationshintergrund) alleine lässt. Bei Streiks im Sozialbereich wird sehr schnell klar, dass insgesamt viel zu wenig Ressourcen für alle Bereiche zur Verfügung stehen und nicht das bisschen, das für Flüchtlingshilfe aufgewendet wird, am Defizit schuld ist. Ein gemeinsamer Kampf von unten für Verbesserungen wird schnell zeigen, wo wirklich was zu holen ist: Nicht bei denen, die schon nichts haben, sondern bei den Reichen und Unternehmen, die noch dazu während Corona Milliarden an „Hilfen“ bekommen haben, während wir uns hier unten um die Brösel prügeln sollen.

Wie Migrant*innen und People of Colour behandelt werden, macht die Ungerechtigkeit dieses Systems besonders deutlich. BlackLivesMatter und die zahlreichen Beispiele von Selbstorganisierung von migrantischen Beschäftigten in verschiedenen Ländern zeigen auch, dass Betroffene das nicht länger akzeptieren. 

Arbeiter*innenklasse - vielfältig, aber vereint

Die unterdrücktesten Teile zu verteidigen und Spaltung zu bekämpfen, ist im Interesse aller, die letztlich unter diesem System leiden. Der gemeinsame Kampf gegen jede Diskriminierung und für soziale Verbesserungen wird aufzeigen, dass das eigentliche Problem das kapitalistische System ist und wird helfen, rassistische Spaltung überwinden.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Über Österreichs Politik an den EU-Außengrenzen: Lipa im Gespräch

Die imperialistische und rassistische Politik Österreichs zeigt sich erneut an den EU-Außengrenzen. Wir sprechen mit Petar Rosandić (SOS-Balkanroute) über das Gefängnis in Lipa, Österreichs Außenpolitik und Rassismus.
Artikel von Bianca Szabó

Das Flüchtlingslager in Lipa (Bosnien-Herzegowina), knapp an der kroatischen Grenze, ist seit 2020 ein Ort, an dem tausende Geflüchtete auf der Balkanroute verharren. Die SOS-Balkanroute ist eine humanitäre Initiative, die sich für ein menschenwürdiges Leben von Geflüchteten einsetzt. Im Zuge ihrer Recherchen stellte sie fest, dass in Lipa ein Gefängnis gebaut wurde, welches mitunter von Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) als Leiter des ICMPD (International Centre for Migration Policy Development) mit 500.000 € mitfinanziert wurde.

Damit sind österreichische Politiker*innen klare Mittäter*innen an der menschenfeindlichen Politik, an den EU-Außengrenzen. Petar Rosandić stellt klar, dass das, was sich an den EU-Außengrenzen abspielt, einen systematischen Rechtsbruch darstelle. Das isolierte Lager in Lipa sei ohnehin schon abgelegen und befinde sich neben einem Minenfeld. Er verglich die Situation mit Guantanamo und wurde deshalb vom ICMPD geklagt. Die mediale Berichterstattung über die Migrationspolitik in Bosnien-Herzegowina bleibt beabsichtigt irreführend. Die bosnischen Behörden teilten am 8. Juni mit, dass die Inbetriebnahme des Gefängnisses abgesagt wurde. Zur selben Zeit aber verkündeten die EU und das ICMPD die Fortführung des Projekts. Das Leben der schutzsuchenden Menschen ist in Lipa verheerend – Petar fragt daher mit Nachdruck: „Was hat ein Gefängnis überhaupt in einem Camp für schutzsuchende Menschen zu suchen?“

Dass Österreich die Politik in BiH beeinflussen will, ist kein Geheimnis und auch kein Zufall. Österreichische Unternehmen wie der Baukonzern Strabag oder die Raiffeisenbank bauen ihren wirtschaftlichen Einfluss in der Region seit Jahrzehnten aus. Der österreichische Staat nimmt damit die Rolle des Täters und des Profiteurs ein. Das ist imperialistische Politik, die auf dem Rücken der Arbeiter*innen ausgetragen wird. Dass durch ein EU-finanziertes Projekt auf mitunter österreichischer Initiative ein Gefängnis an der Grenze zu Kroatien gebaut wurde, ist der Gipfel der fremdenfeindlichen und kapitalistischen Politik. imperialistische Geschäfte am Balkan sind also von konkretem Interesse für österreichische Politiker*innen. Petar beschreibt die österreichische Asylpolitik im Zusammenhang mit staatlichen Rassismus wie folgt: „Der bürgerliche Rassismus manifestiert sich überall“. Das bedeutet, dass wir uns umso mehr der „dominanten politischen Rolle Österreichs am Balkan“ bewusst sein müssen und eine „moral-politische Verantwortung haben“.

Für Petar ist die abgewiesene Klage gegen die SOS Balkanroute ein erster wichtiger Erfolg gegen das System Rassismus und für die Pressefreiheit. Es bleibt einer von vielen Kämpfen, den wir gegen illegale Gefängnisse, gegen systematischen Rassismus und Sexismus weiterführen müssen. Geflüchtete Menschen verdienen ein menschenwürdiges Leben, so auch in Österreich. Es braucht eine Politik, die den Fokus auf Integration und Inklusion legt, nicht auf systematische Ausgrenzung.

Wir müssen gemeinsam anfangen, die Verantwortung für diese Missstände ganz oben zu suchen. Migrant*innen sind keine Bedrohung. Die tatsächliche Bedrohung geht von jenen aus, die sich durch Ausbeutung bereichern. Das sind im Fall Bosnien-Herzegowinas sowohl der österreichische Staat als auch Konzerne und Banken. Um diese Ausbeutung und den systematischen Rassismus bekämpfen zu können, müssen wir uns gegen Imperialismus und Kapitalismus organisieren: “Am Ende bleibt stets unser Ziel, dieses System zu sprengen und es nicht zu erhalten”, so Petar.

 

Das ganze Interview mit Petar Rosandić (SOS-Balkanroute):

Wie ist der aktuelle Stand um Lipa? Bleibt die Einrichtung geschlossen?

Es ist wie alles was offiziell verkündet wird über die sogenannte Migrationspolitik in Bosnien-Herzegowina: Widersprüchlich, oft auch irreführend, um Chaos zu erzeugen. Der kantonale Premierminister und der dortige Menschenrechtsminister gaben am 8. Juni das Aus bekannt. Bosnien erteilte also seinerseits eine klare Absage. Gleichzeitig verkündeten, im neokolonialen Stil, das Wiener ICMPD und die EU die Fortsetzung des skandalösen und bis heute illegalen Projekts. Sie wollen mit imperialer Macht und Gewalt ein illegales Gefängnis legalisieren, welches der Ziehvater von Sebastian Kurz gebaut hat. Dabei ist Lipa selbst ein Skandal auch ohne Gefängnis, isoliert im Dschungel, nicht auf der Route, neben einem Minenfeld gelegen. Nicht einmal die Schottertstrasse wurde asphaltiert, obwohl die EU seit 2018 120 Millionen Euro Hilfe für Geflüchtete dorthin schickte. Abgesehen davon: Was hat ein Gefängnis überhaupt in einem Camp für schutzsuchende Menschen zu suchen?

Wie erklärst du dir die verfehlte/fehlende Berichterstattung über die entmenschlichte Situation vieler Geflüchtete an den EU-Außengrenzen in bürgerlichen Medien?

Der bürgerliche Rassismus manifestiert sich überall, gepaart mit manipulierend gedeuteten Zahlen und dem Streuen von Bedrohungsszenarien und billig gezüchteter, aber gesellschaftlich äußerst gefährlicher Angst. Es ist völlig irre an sich, was da passiert, weil auch alle Fakten gegen diese irrsinnig brutale und menschenverachtende Asylpolitik sprechen. Was sich an den EU-Außengrenzen abspielt, ist systematischer Rechtsbruch in rechtsfrei gehaltenen Räumen, die man dazu nutzt, um mit menschlichen Schicksalen Ping-Pong am Balkan zu spielen. Spielen ist untertrieben. Sie zu foltern und, ja, sie auch sterben zu lassen.

Und, nein, es kann uns nicht egal sein, wir haben als Land und Gesellschaft aufgrund dieser dominanten politischen Rolle Österreichs am Balkan eine enorme moral-politische Verantwortung, vor allem gegenüber den Bosnier:innen, deren Vertreter:innen klar gesagt haben, dass sie kein Gefängnis dort wollen. Letztendlich denke ich weiß jeder trotz mancher bürgerlicher Medien-Enten hierzulande, was es mit Lipa auf sich hat. Es wurde wirklich viel Seriöses dazu veröffentlicht – auch vom ORF. Und letztendlich gibt es auch ein klares Gerichtsurteil.

Inwiefern siehst du die imperialistische Rolle Österreichs in Bezug auf Jugoslawien mit der heutigen Flüchtlingsthematik verbunden?

Österreich hat mit dem direkten Einsatz an der ungarisch-serbischen Grenze sowie an der serbisch-mazedonischen Grenze, aber auch mit solchen illegalen Projekten wie dem Lipa-Camp eine direkte Täterrolle. Da gibt es für mich keine Diskussion. Zu schlimm ist es, was den Menschen dort in diesen rechtsfreien Räumen passiert, um irgendetwas weich zu spülen.

Wie können wir gegen den institutionellen Rassismus vorgehen? Was schließt du aus der Klage gegen dich und wie geht es nun für die SOSBalkanroute weiter?

Wir müssen diesem mit Fakten immer wieder stark entgegentreten und überall bewusst machen, entpuppen, immer wieder aufzeigen, was da für ein menschenverachtender Unsinn propagiert und praktiziert wird. Wir müssen trotzdem mit möglichst allen reden, mit allen im Dialog sein und gemeinsam tun, wo gemeinsam tun möglich ist. Aber am Ende bleibt stets unser Ziel, dieses System zu sprengen und es nicht zu erhalten. Menschen müssen Menschen wieder als Menschen wahrnehmen. Diese massive Dehumanisierung muss gestoppt werden.

Was schließt du aus der Klage gegen dich und wie geht es nun für die SOSBalkanroute weiter?

Der Sieg vor dem Wiener Handelsgericht war wichtig, die klaren Worte des Richters Balsam für viele, die seit Jahren diese unmenschlichen Zustände kompromisslos benennen und gegen sie ankämpfen. Zugleich war es ein wichtiger Befreiungsschlag für die freie Meinungsäußerung und auch die Pressefreiheit, wenn man bedenkt, dass ein KURIER-Journalist vom BMI und vom ICMPD persönlich unter Druck gesetzt wurde mit Mails und sogar Drohungen. Es war eine Watsche für all jene, die glaubten, die ungarischen und russischen Zustände seien in Österreich zur Gänze angekommen.

Natürlich, es ist noch nicht vorbei. Die Kläger, zugleich Errichter des illegalen Gefängnisses, kündigten Berufung an. Ob bei tagtäglichen humanitären Aktionen oder bei Kriminalisierungsversuchen im Gerichtssaal, ob Klimakleber:innen oder Menschenrechtsverteidiger:innen: Wir werden in Zukunft öfter geschlossen fundamentale Menschenrechte verteidigen müssen. 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

VORWÄRTS-Schwerpunkt zur FPÖ

FPÖ Platz 1: Das macht Angst - zu Recht!

Sonntagsfrage vom 2.3.23, die FPÖ steht auf Platz 1 mit 29%, Zugewinne bei den letzten Wahlen und keine Kraft in Sicht, die es schaffen könnte, sie zu stoppen. Auch international sind die Rechten am Vormarsch, dazu Angriffe auf Frauen und LGBTQIA+ in den USA, Angriffe aufs Streikrecht in England, Deutschland... Auch die außerparlamentarische Rechte wird stärker. All diese Entwicklungen vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise inklusive enormer Inflation, die die Löhne dahinrafft, vergleichbar mit den 1920er Jahren. Es gibt Parallelen zum Aufstieg der faschistischen Parteien. Drohen uns wieder faschistische Regime?

Die Herrschenden setzen wieder vermehrt auf reaktionäre Ideen und die dazu gehörenden Parteien. An faschistischen Systemen aber hat das Kapital aktuell kein Interesse. Die FPÖ agiert in diesem Spannungsfeld, sie profitiert von der wachsenden Unzufriedenheit, aber sie kämpft auch intern mit den unterschiedlichen Interessen. Sie ist, trotz Verbindungen zu den faschistischen Identitären und den vielen Burschenschaftern, nicht selbst als Ganzes faschistisch. Sie pflegt zwar enge Kontakte in die Corona-Leugner Szene, man trifft sie dort auf Demos, allerdings mobilisiert sie selbst kaum und kann das Protestpotential nur bedingt für die dauerhafte Stärkung der Partei nutzen. Und wenn sie in der Regierung ist, setzen sich jene Teile der FPÖ durch, die hauptsächlich an Posten interessiert sind.

Trotz der Zugewinne ist es fraglich, welchen Kurs die FPÖ nimmt. Die alten Konflikte, ob man staatsmännisch agieren und knallharte Sparpolitik im Sinne des Kapitals durchdrücken oder weiter auf Fundamentalopposition machen soll, sind stets da. Aktuell ist die FPÖ für das Kapital noch ein zu großes Wagnis, weil sie Instabilität bringt, aber der Wind kann sich drehen. Auf jeden Fall steigt in ihrem Fahrwasser der Mut rechtsextremer Kleingruppen. Die einen hetzen, die anderen setzen es in die Tat um. Die Gefahr von Rechts, ob FPÖ oder Identitäre, ist real.

Wie können wir die rechte Gefahr, aber auch Rassismus und Kürzungspolitik stoppen? Und welche Rolle können betriebliche Mobilisierungen, die Gewerkschaften und anti-rassistische Bewegungen spielen?

Peter Hauer

 

Was Rechtsextremismus stark und gefährlich macht und wie wir ihn bekämpfen

“Für eine neue politische Kraft links von SPÖ und Grünen, eine neue sozialistische Bewegung und Partei, die konsequent die Interessen von Arbeitnehmer*innen und Jugendlichen vertritt.” (unser Anti-FPÖ-Programm von 1997)

Der Aufstieg rechtsextremer Parteien in den letzten 40 Jahren ist untrennbar mit Hoffnungen und Enttäuschungen der breiten Masse der Bevölkerung verbunden. Die Geschichte wiederholt sich nicht einfach – doch nicht aus ihr zu lernen, bedeutet, Fehler zu wiederholen. Auch heute profitieren Rechtsextreme von der Wut über die Krise des Systems und bedienen in Wirklichkeit die Interessen des Kapitals.

Der Aufstieg des Rechtsextremismus seit 40 Jahren ist untrennbar mit Hoffnungen und Enttäuschungen der breiten Masse der Bevölkerung verbunden. Eine der letzten dieser Hoffnungen war die Wahl Mitterands 1981 zum französischen Präsidenten. Frankreich war seit Ende der 70er Jahre immer stärker in eine wirtschaftliche, dann gesellschaftliche Krise gerutscht. Die Arbeiter*innenklasse bezahlte u.a. mit hoher Arbeitslosigkeit. Die Hoffnungen auf Änderung bündelte Mitterand im Wahlkampf in sozialen Themen: Arbeitszeitverkürzung, Senkung des Pensionsalters, Verstaatlichung von Schlüsselbetrieben usw.

Doch bald sah sich die Regierung einem Unternehmensstreik gegenüber, die Wirtschaft erholte sich nicht, Maßnahmen griffen zu kurz, Eigentumsverhältnisse blieben unangetastet, Reformpläne wurden ausgedünnt. Der Traum war kurz, die Enttäuschung umso tiefer, v.a. bei Arbeiter*innen. Die neoliberale Durchdringung der Wirtschaft und Gesellschaft brachte Deindustrialisierung und Ellbogengesellschaft. Die französische Linke hatte das Vertrauen verspielt. Auf diesem Boden gedeiht der bis dahin unbedeutende, rechtsextreme bis faschistische Front National (heute: Rassemblement National). 1974 erreichte er nicht einmal 1 %, bei den Europawahlen 1984 sind es schon 10 %, 1986, bei Mitterands zweitem „Wahlsieg“ knapp 15 %. Mit rassistischen Parolen dringt er in einstige Hochburgen der Sozialistischen und Kommunistischen Partei ein.

Schauplatzwechsel: Innsbruck 1986, Bundesparteitag der FPÖ. Seit ihrer Gründung war sie Sammelbecken ehemaliger Nazis und Burschenschafter mit kleinem wirtschaftsliberalem Flügel. Die von der ÖVP dominierte Wirtschaftskammer stützt sich auf Klein- und Mittelbetriebe. Die Industriellenvereinigung aber hatte auch immer ein politisches Standbein in der FPÖ. Die SPÖ steht wirtschaftspolitisch für die Großbetriebe der ehemaligen Verstaatlichten bzw. zunehmend für ausländische Konzerne. In manchen wirtschaftspolitischen Fragen spricht das österreichische Kapital nicht mit einer Sprache: Z.B. zur EU oder zu den Russland-Sanktionen. Enge Wirtschaftsbeziehungen zu Russland auf der einen Seite, die engen Bindungen an EU- und US-Markt auf der anderen, der Wunsch nach internationalem Handel oder dem Schutz z. B. durch Zölle – unterschiedliche wirtschaftliche Bedürfnisse setzen auch heute auf unterschiedliche politische Partner.

In den 1950er und 60er Jahren hielt die SPÖ mit dem Argument, das bürgerliche Lager zu spalten, die FPÖ am Leben. Die Wahlrechtsreform 1970 sicherte ihr den Verbleib im Parlament. Die SPÖ-FPÖ-Regierung half ihr 1983 zwar aus dem rechten Schmuddel-Eck, vergraulte aber Wähler*innen. 1986 übernahm Jörg Haider aus dem rechten Lager die Parteiführung vom liberalen Flügel, der in der Regierung bleiben wollte. Ein Widerspruch, in dem die FPÖ bis heute steckt und der sie immer wieder zu zerreißen droht.

Aufstieg der FPÖ geht einher mit Abstieg der SPÖ

Auch Kreisky hatte die Wahlen 1970/71 mit sozialen Themen und einer Aufbruchsstimmung gewonnen, er steht bis heute für die Verbesserung des Lebensstandards weiter Teile der Bevölkerung. In Wirklichkeit brachte er aber v.a. Aufholen, Modernisierung und Heranführen der Wirtschaft an die internationale Konkurrenz. Die Außenwirtschaft blühte, Österreich wurde zum Zulieferer der deutschen Autoindustrie. Alles staatlich gefördert und die Republik stand folglich mit einem Berg Schulden und einer für die jetzt modernisierte Privatindustrie überdimensionierten Verstaatlichten da.

Es folgten Privatisierung, Stellen- und Sozialabbau – und eine FPÖ, die sich als „Opposition“ aufspielte, während die SPÖ ihre Basis in der Arbeiter*innenklasse zunehmend verlor. Der ÖGB hielt, anstatt Kämpfe zu organisieren, die Mitglieder still und winkte „Reformen“ im Parlament und Betrieb ohne nennenswerten Widerstand durch. In dieser Situation hat Haider 1986 die FPÖ übernommen und erkannte das Vakuum, das durch die Verbürgerlichung der SPÖ entstanden war. Er dreht die FPÖ vom Deutschnationalismus zur österreichisch, patriotischen Heimatpartei mit sozialen Themen und Ausländer*innenfeindlichkeit. Durch jahrzehntelange Sozialpartnerschaft entwaffnet und ohne politische Vertretung drang die FPÖ immer tiefer die Arbeiter*innenklasse ein. Auch heute, angesichts einer immer schwierigeren wirtschaftlichen Lage verlangt das Kapital staatliche Unterstützung, die durch Reallohnverluste und weiteres Ausbluten des Sozialsystems finanziert werden soll. Der ÖGB ist zahnlos, der Frust über die Regierung und das ganze System wächst, ohne dass es von links ein nennenswertes Angebot zu Widerstand und Organisierung gibt.

Die Verbürgerlichung der Sozialdemokratie hatte die Arbeiter*innenklasse ohne politische Vertretung zurückgelassen. Ein Vakuum, das damals wie heute von Rechtsextremismus und Populismus gefüllt wird: Der Aufstieg von Bolsonaro wurzelt in der Enttäuschung über Lula, der linke Sanders wäre im Gegensatz zur rechten Clinton oder Biden eine echte Alternative gewesen, auch für Trump-Wähler*innen aus der Arbeiter*innenklasse.

Der Spagat zwischen knallhartem Wirtschaftsliberalismus und Populismus hat die FPÖ immer, wenn sie regierte, in Krisen gestürzt. Denn bei aller Rhetorik blieb sie immer die Partei des Kapitals und Speerspitze des Neoliberalismus. Früher als andere Parteien änderte sie ihre Propaganda hin zur „sozialen Heimatpartei“ und versteckte ihr Programm hinter Populismus. Sie wettert gegen „die da oben“, um sich selbst an den Futtertrögen zu bedienen wenn diese in Reichweite sind. Die Herrschenden brauchen mehr Repression, Rassismus und Sexismus gerade weil ihr ganzes System wankt – und die Rechtsextremen sind dafür gute Bündnispartner auch für „gemässigte“ bürgerliche Parteien.

Der neuerliche Aufstieg der FPÖ – sowohl nach den blau-schwarzen Regierungen 2000-06 wie nach der letzten unter Kurz-Strache – ist auch Ausdruck der tiefen politischen Krise. Spätestens seit Kurz versucht die ÖVP die FPÖ zu kopieren und rechts zu überholen. Damit hat die ÖVP zwar Wahlen gewonnen, aber zum Preis einer erhöhten Instabilität und des Spagats, an dem die FPÖ immer wieder zerrissen ist.

Um die Rechten wirkungsvoll bekämpfen zu können, muss man verstehen, was sie stark macht: Und das sind nicht „charismatische Führer*innen“ oder „dumme“ Wähler*innen, sondern wirtschaftliche und politische Krisen bei gleichzeitigem Fehlen einer kämpferischen Arbeiter*innenbewegung und starken linken Alternative.

Die Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Das Auf und Ab populistischer Rechtsparteien wird sich nicht endlos wiederholen. In jeder „Enttäuschung“ liegt die Gefahr zunehmender Frustration und Radikalisierung der wieder stärker in die Mühlsteine geratenen Mittelschichten. Das kann die Gefahr, die von Parteien wie der FPÖ ausgeht auf eine neue Stufe stellen. In jeder Enttäuschung v.a. breiter Schichten der Bevölkerung liegt aber auch das Potential für Widerstand und soziale Bewegungen. Aufgabe als Sozialist*innen ist es, aktiv in Kämpfe einzugreifen, sie voranzutreiben und den Widerspruch zu sämtlichen etablierten Parteien aufzuzeigen. All das ist nötig, damit eine neue Arbeiter*innen-Partei aus diesen Kämpfen entsteht, eine neue politische Vertretung. Nur so können wir die scheinbare Endlosschleife der Auf und Abs der FPÖ durchbrechen!

Albert Kropf

 

Marx aktuell: Migration

Das Thema Migration ist nicht erst seit dem Aufstieg der FPÖ populär. Schon1870 schrieb Karl Marx über die irischen Arbeiter*innen, die von der englischen Bourgeoisie brutal ausgebeutet und als Lohndrücker*innen missbraucht wurden und die drohte, jene englischen Arbeiter*innen zu entlassen, die die niedrigeren Löhne nicht akzeptierten. Das schürte den Hass der englischen Arbeiter*innen gegen ihre irischen Kolleg*innen. 

In der 2. Internationale ging die Diskussion weiter. Manche in der Sozialdemokratie meinten, dass man unter den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen Arbeiter*innen bestimmter „Rassen“ die Einwanderung verwehren müsse. Das wäre der einzige Weg, die „eigenen“ Leute vor Lohndumping zu schützen. Anstatt die gemeinsamen Klasseninteressen von Arbeiter*innen verschiedener Nationalitäten zu vertreten, halfen sie, die Arbeiter*innenklasse mit der bürgerlichen, nationalistischen Ideologie der Herrschenden zu spalten.

Diese Spaltung wird ebenso heute praktiziert. Vorne voran die FPÖ, getreu ihrer aktuellen Wahlplakate „Festung Österreich- Grenzen schließen – Sicherheit garantieren“. Die SPÖ ist nicht viel besser: Sie möchte Migration mehr kontrollieren. Konkret meint sie damit weniger „Wirtschaftsflüchtlinge“ aufzunehmen. Jedoch ist die Trennung zwischen „Kriegsflüchtlingen“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ künstlich. Klimakrise, imperialistische Ausbeutung, Krieg und wirtschaftliche Probleme hängen zusammen. 

Diese Diskussion erinnert stark an eine andere: In Wirtschaftskrisen werden Frauen wieder zurück an den Herd gedrängt, damit sie Männern nicht die Arbeitsplätze „wegnehmen“. Auch heute behaupten gewisse Rechte, der verstärkte Eintritt von Frauen ins Arbeitsleben hätte zu Lohndumping geführt und daher müssten sich Frauen wieder auf ihre „naturgegebene Rolle“ besinnen. Schlussendlich haben Arbeiter*innen - Österreicher*innen wie Migrant*innen, Frauen und Männer - dasselbe Interesse. Nämlich Löhne und Arbeitsbedingungen, die ein würdevolles Leben ermöglichen. Spaltung entfernt uns von diesem Ziel.

Anna Hiermann

 

Wie Rassismus überwinden?

Die etablierten Parteien drängen die FPÖ nicht zurück. Ganz im Gegenteil: In Worten und Taten zeigen sie, dass sie selbst auch für eine Politik für Reiche und Großkonzerne sowie für Rassismus stehen. Ob SPÖ und NEOS mit Kürzungen im Bildungsbereich oder Energiepreiserhöhungen in Wien oder ÖVP und Grüne in der Bundesregierung. Aber auch in der rassistischen Hetze versuchen sie, die FPÖ eher einzuholen als zu kontern. Die „das Boot ist voll.“-Logik findet man mittlerweile bei jeder Partei im Programm. Gleichzeitig rollen sie der FPÖ den roten Teppich am Weg zur Macht aus, wie die Koalition von ÖVP und FPÖ in Niederösterreich zeigt, aber auch die Offenheit großer Teile der SPÖ-Führung für Koalitionen.

Nötig wären echte Antworten auf die soziale und wirtschaftliche Krise, die sich nicht der kapitalistischen Profit- und Sparlogik fügen, um enttäuschten Schichten deutlich zu zeigen, dass die Rechten keine Alternative zum Establishment darstellen, sondern Teil davon sind.

Aber auch im Kampf gegen Rassismus dürfen wir uns nicht länger von der Heuchelei und den Lippenbekenntnissen der etablierten Parteien einlullen lassen, sondern müssen Proteste von unten organisieren, um z.B. Diskriminierung oder Zugangsbeschränkungen zu bekämpfen.

Die FPÖ ist vor allem deshalb stark, weil eine sichtbare Alternative zur herrschenden Politik fehlt und das ständige Versagen dieser nicht von Widerstand von unten herausgefordert wird. Wenn Menschen selbst für ihre Rechte kämpfen, merken sie sehr schnell, wer tatsächlich auf ihrer Seite steht und wer nicht. So geriet die FPÖ in der Auseinandersetzung um den 12-h-Tag (eingeführt von der schwarz-blauen Koalition) ziemlich unter Druck. Aber auch die Solidaritätsbewegung mit Flüchtlingen 2015 konnte breiten Schichten zeigen, dass es der Staat ist, der versagt und nicht die Geflüchteten das Problem sind.

Dabei bei moralischen Appellen oder Linkspopulismus a la „Es ist genug für alle da!“ stehen zu bleiben, reicht aber nicht. Denn tatsächlich ist im kapitalistischen System nicht „genug für alle da“. Erst wenn wir den Unterschied zwischen Arm und Reich nicht mehr als gegeben hinnehmen, können wir erkämpfen, dass der Reichtum in der Gesellschaft für die Bedürfnisse aller eingesetzt wird. Diese Perspektive muss eine linke Kraft aufzeigen, sonst gerät sie schnell selbst in eine „Besserverwaltung des Mangels“.

Gemeinsamer Kampf statt Bevormundung

Die Erkenntnis über die eigene Macht gewinnt man am besten, wenn man gemeinsam mit anderen für echte Verbesserungen kämpft. Im Gegensatz zu einer NGO-mäßigen Flüchtlingshilfe, die sich stellvertretend für Betroffene einsetzt, oder die Beschränkung auf “mehr Bildung”, die Menschen oft von oben herab belehrt. Denn das ändert die realen Widersprüche (zu wenig Wohnraum, zu wenig Sozialleistungen usw.) nicht. Aber der gemeinsame Kampf für ein gutes Leben für alle gegen eine herrschende Elite, die von der Ausbeutung und Unterdrückung der Vielen profitiert, ändert die reale Situation und das Bewusstsein. Der gemeinsame Protest von migrantischen und “hiesigen“ Schüler*innen gegen rassistische Angriffe kann klarmachen, dass nicht Migrant*innen das Problem sind, sondern eine Politik, die das Bildungswesen kaputtspart und Schüler*innen (mit und ohne Migrationshintergrund) alleine lässt. Bei Streiks im Sozialbereich wird sehr schnell klar, dass insgesamt viel zu wenig Ressourcen für alle Bereiche zur Verfügung stehen und nicht das bisschen, das für Flüchtlingshilfe aufgewendet wird, am Defizit schuld ist. Ein gemeinsamer Kampf von unten für Verbesserungen wird schnell zeigen, wo wirklich was zu holen ist: Nicht bei denen, die schon nichts haben, sondern bei den Reichen und Unternehmen, die noch dazu während Corona Milliarden an „Hilfen“ bekommen haben, während wir uns hier unten um die Brösel prügeln sollen.

Wie Migrant*innen und People of Colour behandelt werden, macht die Ungerechtigkeit dieses Systems besonders deutlich. BlackLivesMatter und die zahlreichen Beispiele von Selbstorganisierung von migrantischen Beschäftigten in verschiedenen Ländern zeigen auch, dass Betroffene das nicht länger akzeptieren. 

Arbeiter*innenklasse - vielfältig, aber vereint

Die unterdrücktesten Teile zu verteidigen und Spaltung zu bekämpfen, ist im Interesse aller, die letztlich unter diesem System leiden. Der gemeinsame Kampf gegen jede Diskriminierung und für soziale Verbesserungen wird aufzeigen, dass das eigentliche Problem das kapitalistische System ist und wird helfen, rassistische Spaltung überwinden.

Jan Millonig

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Kinderbuchlesung in der Türkis Rosa Lila Villa: Starke, bunte Mobilisierung – Polizei setzt rechten Aufmarsch durch

Flo Klabacher

Der vorne und hinten mit Tretgittern abgesperrte Bereich der Wienzeile vor der Türkis Rosa Lila Villa füllt sich schon ab 7:00 in der früh. Ab 9.00 Uhr wollen die faschistischen Identitären, Teile der FPÖ, führende Figuren der Corona-Leugner*innen-Szene und katholischen Fundamentalist*innen ihre Hetzaktion gegen eine Kinderbuchlesung der Drag Queen Candy Licious beginnen. Zu der Zeit ist es schon schwierig, von der Spörlingasse in den kleinen, vorne und hinten von der Polizei mit Tretgittern abgesperrten Bereich der Wienzeile zu kommen, weil so viele Leute zur antifaschistischen Gegenmobilisierung gekommen sind. „Die Hetze gegen queere Menschen wird in Österreich weiter zunehmen. Die Rechten schauen sich das aus den USA ab, und wir müssen dagegenhalten“, sagt eine Teilnehmerin. „Traurig, dass wir wegen sowas 2023 am Sonntag in der Früh aufstehen müssen“, sagt jemand anderer, „aber wenn wir uns auf die Polizei nicht verlassen können, müssen wir uns gegenseitig beschützen. Darum bin ich hier“. Mehr als 1.000 Menschen sind gekommen, um die Veranstaltung und die Villa zu verteidigen. Bunte Fahnen und selbstgebastelte Schilder schmücken die Kundgebung. Mit der ersten Rede vom Lautsprecherwagen der Rechtsextremen verwandelt sich die Gegenkundgebung zu einem lautstarken Protest. „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ und andere Sprechchöre übertönen die rechten Reden und Parolen, in denen Verschwörungstheorien mit Transphobie, Homophobie und Rassismus verbunden werden. Spätestens ab dem Moment, wo auch aus den Fenstern der Türkis Rosa Lila Villa Musik und Parolen kommen, ist nur noch wenig von den Hetzreden zu hören. Die Mobilisierung ist ein voller Erfolg, die Rechten sind mit bestenfalls 300 Teilnehmenden klar in der Minderheit. Trotzdem sind sie brandgefährlich. Auch weil sie mächtige Freund*innen haben.

Polizei <3 Rechtsextreme

Zum einen ist das die Staatsgewalt. Der Staat ist nicht neutral, er ist Instrument der Herrschenden und hat die Aufgabe, ihre Herrschaft zu schützen. Wir leben in der anhaltenden Krise des Kapitalismus, mit Inflation, Verfall des Gesundheitssystems, Klimakrise etc. Es nützt der herrschenden Klasse, wenn sich die von all diesen Problemen betroffenen Menschen gegenseitig die Verantwortung für den gesellschaftlichen Verfall zuschieben, anstatt gemeinsam für Verbesserungen einzustehen – sie braucht Spaltung und Diskriminierung. Ihr Staat schützt die Gruppen, die diese vorantreiben und hat sich, hier in Form der Polizei, vor der Türkis Rosa Lila Villa einmal mehr augenfällig auf die Seite der Rechtsextremen gestellt. Wenn der parlamentarische Sicherheitssprecher der Grünen, Georg Bürstmayr, gegenüber dem Standard sagt, es sei „bedauerlich, dass eine Kulturveranstaltung so einen massiven Polizeischutz braucht“, verdreht er die Tatsachen. Die Polizei Wien weigerte sich, eine Sperrzone einzurichten, um die Kinderbuchlesung zu schützen (für den rechtsextreme Akademikerball macht sie sowas jedes Jahr). Sie genehmigte die faschistische Kundgebung direkt vor der Villa. Und sie setzte sie vor Ort auch physisch durch, indem sie direkt neben der Villa eine Fläche für die Aktion abgesperrt hat. Sonst hätten die LGBTQIA*+-Aktivist*innen, Feminist*innen und Antifaschist*in, die sich ab 7.00 Uhr morgens versammelten, gar keinen Platz gelassen für Identitäre & Co. Polizist*innen haben rund um die Villa niemanden geschützt außer den rechtsextremen Mob: Nicht die Kinder, die zur Vorlesung wollten und ihre Begleitpersonen, nicht die Menschen, die in der Villa leben, nicht die Journalist*innen, die über die Vorgänge berichten wollten. Und so ging es auch am Nachmittag weiter: Die Rechtsextremen zogen nach ihrer Hetzkundgebung mit Polizeischutz als (allem Anschein nach zumindestens teilweise unangemeldete) Demonstration über die Wienzeile und später über die Ringstraße. Die Proteste vom Straßenrand und Blockadeversuche, die den Aufmarsch begleiteten wurden von den Polizist*innen rabiat angegangen. In einem Fall rückten sie unter Einsatz von Pfefferspray gegen Menschen vor, die gerade versuchten, eine bewusstlose Person zu versorgen.

ÖVP vs FPÖ: Rechtes Match um die reaktionärsten Wähler*innenstimmen

Zum anderen ist das die etablierte Politik. Nicht alle großen Parteien stellen sich auf die Seite der Rechten, und einzelne SPÖ- und Grünen-Politiker*innen besuchten die Türkis Rosa Lila Villa. Doch keine große Partei beteiligte sich an der Mobilisierung zum Schutz der Lesung. Sie waren bestenfalls enttäuscht, weil die Polizei keine Schutzzone eingerichtet hat. Und sie arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen eng zusammen mit ÖVP und FPÖ, die inhaltlich die Positionen der Rechtsextremen wiedergeben. Neben der rechtsextremen FPÖ, von der nichts anderes zu erwarten ist als starke inhaltliche und personelle Überschneidungen mit faschistischen Mobilisierungen, setzt auch die ÖVP immer stärker auf erzreaktionäre Positionen und Kampfbegriffe. Es ist kein Zufall, dass sie am Tag vor der Kinderbuchlesung in einer Aussendung von „frühkindlicher Sexualisierung“ und „LGBT-Agenden“ schreibt, sich um Kinder „sorgt“, die in ihrer „Geschlechtsidentität verunsichert“ würden, und im Wesentlichen das Ende von Aufklärungsunterricht an Schulen fordert. Und es ist auch kein Ausrutscher. ÖVP-Wien-Chef Mahrer steht im Zentrum einer rassistischen Hetzkampagne um den Brunnenmarkt, die Richtung Verschwörungstheorie kippt: „Syrer, Afgahnen und Araber“ hätten „den Markt übernommen“, er sei eine „abgeschottete Community“ und sei für den Anstieg an Sexualstraftaten in Ottakring verantwortlich. Nach der Wahlniederlage in Niederösterreich und angesichts der nahenden Nationalratswahlen scheint es, als wolle die ÖVP mit der FPÖ um die Stimmen der reaktionärsten Teile der Wahlberechtigten kämpfen. Das bedeutet in erster Linie Rückenwind für rechtsextreme Mobilisierungen: So nehmen die Identitären Mahrers Brunnenmarkt-Kampagne auch als Anlass, um in Ottakring einen Aufmarsch zu versuchen. Der Rechtsruck der ÖVP und die rechte Koalition in Niederösterreich zeigen auch die Gefahr einer neuen FPÖVP-Regierung auf Bundesebene nach den nächsten Wahlen. So eine Regierung wäre eine riesige direkte Gefahr für Frauen, Queere Personen, Migrant*innen und Beschäftigte und würde gleichzeitig Faschist*innen wie die Identitären noch weiter ermutigen. 

Große, bunte Mobilisierung ist ein Erfolg – wie geht’s weiter?

Kurzfristige und trotzdem sehr starke Mobilisierungen wie die zur Türkis Rosa Lila Villa zeigen das Potential, dass es für Widerstand gegen rechte Hetze gibt. Das Beispiel zeigt, dass die Rechtsextremen eine solche Aktion aktuell nur mit der Unterstützung durch die Polizei durchziehen können – aber auch, dass sie diese Unterstützung haben. Um sie trotzdem vollständig zu verhindern, wäre eine breitere Mobilisierung notwendig, zum Beispiel über gewerkschaftliche und betriebliche Basisstrukturen, die es großteils erst aufzubauen gilt. Von der trägen, großteils an die SPÖ gebundenen Führung der Gewerkschaften können wir uns hier wenig erwarten. Der Wiederaufstieg der FPÖ in die Regierungskoalition in Niederösterreich und bei den Umfragen auf Bundesebene,  der fortgesetzte Rechtsruck der ÖVP und eine drohende FPÖVP-Bundesregierung bedeuten außerdem eine sehr reale Gefahr für die Rechte von LGBTQIA*+-Personen, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund. Und auch für Menschen aus der Arbeiter*innenklasse allgemein: Immer mehr Menschen sind von der Krise des Kapitalismus betroffen, unter anderem durch steigende Kosten für Mieten, Lebensmittel und Mobilität, steigenden Arbeitsdruck oder Klimawandel. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist, den Kampf gegen rechte Hetze mit einem politischen Programm zu verbinden, dass bei diesen Problemen ansetzt, echte, nämlich antikapitalistische Antworten darauf gibt – und so den gefährlichen pseudo-Lösungen von ÖVP, FPÖ, Identitären & Co das Wasser abgräbt.

ROSA- und ISA-Aktivist*innen waren bei der Aktion vor der Türkis Rosa Lila Villa dabei und haben dort Diskussionen darüber geführt, wie ein solches Programm ausschauen kann. Wir haben unsere Zeitungen unter die Leute gebracht – und das Angebot gemacht, mit uns gemeinsam weiter aktiv zu bleiben. Konkret haben wir Flugblätter verteilt für eine Gegenkampagne zur Aktion der Identitären Yppmplatz am 29. April. Mehr Infos zu der Kampagne gibt’s in Kürze auf unseren Social Media Kanälen.

 

 

Warum die FPÖ beliebt ist…

… und wie man sie bekämpfen kann.
Nico Rastelli

Die FPÖ gewinnt trotz Ibiza und anderen Skandalen wieder an Beliebtheit. Bei der NÖ-Wahl gewann sie fast 1/4 der Stimmen, in Umfragen liegt sie bundesweit auf Platz 1. Die Gefahr durch die FPÖ zu erkennen und zu bekämpfen, ist wichtig. Sie zu ignorieren, wird dabei nicht helfen, sie zu integrieren auch nicht; alle FPÖ-Wähler*innen als Nazis, die sich nie ändern würden, oder als dumm darzustellen ist auch keine Lösung.

Diesen Ansätzen fehlt es an Analyse: Der Hauptgrund, dass sie zulegt ist nicht nur ihre reaktionäre Einstellung gegenüber Migrant*innen, Frauen oder der LGBTQ+ Community, sondern ihre – wenn auch falsche – Präsentation als Anti-Establishment-Partei und ihre – auch verlogene - Opposition zur Politik und Korruption der Regierungsparteien. Die FPÖ greift oft als einzige Themen auf, die für Arbeiter*innen zentral sind, wie die Teuerung. In NÖ war auch für FPÖ-Wähler*innen Teuerung das wichtigere Thema als Migration. Sie gibt vor, auf Seite der sozial Schwachen zu sein, leitet ihre legitime Wut über Probleme des Kapitalismus aber auf rassistische Antworten um.

Es ist jedoch nicht so, als wüssten Arbeiter*innen nicht, was ihre Interessen sind, und wären einfach reaktionär – es fehlt an einer Partei, die diese Interessen repräsentiert. Wo es ein Angebot gibt, fallen die FPÖ-Stimmen schwächer aus, wie man in Traiskirchen sehen konnte. Dort kandidierte im Rahmen der NÖ-Wahl der SPÖ-Linke Babler, der Themen der Arbeiter*innen aufgriff und gleichzeitig ohne Rassismus auf das Thema Flüchtlingslager einging. Die Ergebnisse ließen sich sehen: Fast 43% der Wähler*innen stimmten für ihn, der FPÖ-Aufstieg wurde gebremst. Und das, obwohl Babler immer noch Teil der SPÖ ist, die definitiv keine Arbeiter*innenalternative und mitverantwortlich für rassistische Politik und Sozialabbau ist. Wie erst könnte Babler durchstarten, wenn er eine echte, neue Alternative mitaufbauen würde!

Trotzdem zeigt sich: Die beste Antwort auf die FPÖ am Wahlzettel ist, eine Alternative zu bieten, die aktuelle Probleme der Arbeiter*innenklasse wie Teuerung, Löhne und Korruption sowie den dringend nötigen Widerstand von unterdrückten Gruppen gegen Abschiebung oder Diskriminierung (auch und gerade durch die FPÖ), aufgreift.

… und wie man sie bekämpfen kann

Große Teile der Arbeiter*innenklasse sind vom Rassismus der FPÖ direkt bedroht - mangels demokratischer Rechte bleibt ihre Gegnerschaft zur FPÖ jedoch unregistriert. Ein Kampf gegen die FPÖ muss deswegen ein Kampf gegen den Staatsrassismus und für gleiche Rechte für alle, die hier leben, sein. Die Ursachen nachvollziehbarer Punkte von FPÖ-Unterstützer*innen, wie z.B. EU-Skepsis, müssen von links aufgegriffen werden: Die Gefahr der EU liegt nicht an Insekten im Essen, sondern dass sie Instrument der Herrschenden gegen Arbeiter*innenrechte ist. Nationalismus ist keine Lösung, weil die österreichische herrschende Klasse genauso verantwortlich ist für Teuerung und Armut.

Sanders und Corbyn erhielten - trotz ihrem Unwillens, den Kapitalismus an sich zu bekämpfen - aufgrund ihrer arbeiter*innenfreundlicheren Politik massenhaft Unterstützung aus breiten Schichten der Bevölkerung. Sanders schaffte es im Gegensatz zu Clinton sogar, Trump-Wähler*innen aus der Arbeiter*innenklasse von sich zu überzeugen! Was für riesige Erfolge könnte da erst eine echte neue Arbeiter*innenpartei haben, die neoliberale und rechte Politik durch Mobilisierung von unten bekämpft!

Eine Partei, die überhaupt nur eine Basis bilden kann, indem sie Scheinlösungen für echte Probleme des Kapitalismus bietet und die Arbeiter*innenklasse durch Rassismus und Queerfeindlichkeit spaltet, verliert ihre Unterstützung, wenn all diese Probleme tatsächlich und an der Wurzel bekämpft werden - und ein solcher Kampf ist rein auf Wahlebene nicht möglich. Der effektivste Kampf gegen die FPÖ ist also jener für kämpferische, antirassistische und feministische Betriebs- und Gewerkschaftspolitik, ist Mobilisierung von unten für mehr Personal im Spital, mehr Geld für Soziales und echte Reallohnerhöhungen. Weil Klassenkampf und Mobilisierung von unten gebraucht wird.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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