Internationales

Krise, Krieg und Elend

Die Barbarei des Kapitalismus begegnet uns auf Schritt und Tritt.
Lukas Kastner

Vor New York erhebt sich die Freiheitsstatue. Sie trägt die Inschrift: „Gebt mir eure Müden, eure Armen / Eure geknechteten Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen“ Die Worte stammen von der Dichterin Emma Lazarus. Sie drückte damit ihre Solidarität mit den Flüchtlingen aus, die Ende des 19. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten kamen. Heute verbietet US-Präsident Trump Menschen aus muslimischen Ländern die Einreise und will eine durchgehende Mauer an der mexikanischen Grenze errichten.

Bei einem Telefongespräch gratulierte er dem philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte: „Sie machen einen sagenhaften Job!“ Gemeint sind damit Dutertes Todesschwadronen, die im sogenannten „Krieg gegen Drogen“ seit 2016 Tausende Menschen in den Philippinen ermordet haben.

Dass Trump und Duterte sich gut verstehen, verwundert nicht. Doch die europäischen Regierungen sind um keinen Deut besser. Menschen fliehen nach Europa vor Krieg und Terror. Sie fliehen aus Ländern, in denen lokale Mörderbanden und Regimes, sowie imperialistische Kräfte – von den USA bis Russland - um politischen Einfluss und den Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten kämpfen. Sie fliehen vor Terrorgruppen wie Al Shabaab, Boko Haram, Al Quaida oder dem IS – Kräfte, die sich durch Waffen und Logistik der Weltmächte aufbauen konnten. Wer nach Europa fliehen will, wird auf offener See dem Tod überlassen, in den Tod abgeschoben, oder in „Auffanglagern“ (z.B. in Nordafrika) gefangen gehalten werden. Die Italienische Regierung will Flüchtlingsboote von Häfen abweisen. Die Friedensnobelpreisträgerin EU verbietet es NGOs, Menschen aus dem Mittelmeer zu retten.

Hunderttausende Menschen protestierten in Hamburg genau gegen dieses mörderische System und seine VertreterInnen beim G20-Gipfel. Dort trafen sich nicht nur die Verantwortlichen der „demokratischen“ EU-Länder, die den Massenmord im Mittelmeer organisieren. Zu ihnen zählt übrigens auch der französische Präsident Macron. Er regiert im Ausnahmezustand und peitscht Angriffe auf Gewerkschaftsrechte per Dekret durch. Auch der türkische Diktator Erdogan, der die Todesstrafe wieder einführen will, war dabei. Natürlich auch Putin, der in Russland jede Opposition im Keim erstickt. Eingeladen, aber verhindert war auch der saudische König Salman, der mit Öl-Milliarden Terrorismus finanziert. Diejenigen, die gegen die UnterdrückerInnen demonstrierten, blickten in die geladenen Maschinengewehre hochgerüsteter Robocops. Demonstrationen wurden verboten, JournalistInnen behindert. Vereinzelte Plünderungen wurden zum Anlass genommen, Tausende zu kriminalisieren. Die Medien blendeten die Gewaltorgien der Polizei und das Blut an den Händen der G20 gehorsam aus.

Weitgehend unbeachtet von denselben Medien ereignet sich in Nigeria, Südsudan, Somalia und Jemen die wahrscheinlich größte Hungerskatastrophe der Menschheit. Sie zeigt die Schrecken des Kapitalismus in grausamster Weise. Über 20 Millionen sind vom Hungertod bedroht, obwohl weltweit rund 10 Milliarden Menschen ernährt werden könnten. Mit den vom Hunger Betroffenen lässt sich jedoch kein Profit machen, weshalb sie in diesem Wirtschaftssystem auch nicht versorgt werden.

Die permanente, sich immer mehr verschlimmernde Katastrophe, unter der die Menschheit leidet, ist nicht das Produkt einzelner Verrückter. Sie ist das Ergebnis einer kapitalistischen Wirtschaftsweise. Die Profitinteressen weniger werden gegen die Bedürfnisse vieler mit aller Gewalt verteidigt. Und das, obwohl wir längst über die Mittel verfügen, um allen Menschen ein Leben ohne Existenzangst und Armut auf nachhaltige Weise zu ermöglichen. Das Leid, welches wir tagtäglich am eigenen Leib oder über die Medien erfahren, beweist uns eines: Dieses System muss weg, wenn wir eine Zukunft haben wollen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Massaker in Barcelona: Solidarität mit den Opfern!

Die Stellungnahme wurde am 19. August auf izquierdarevolucionaria.net veröffentlicht
Stellungnahme von Izquierda Revolucionaria (Revolutionäre Linke, CWI im Spanischen Staat)

Nieder mit dschihadistischem Terrorismus und imperialistischen Interventionen! Eure Kriege, unsere Toten!

Am Donnerstag, dem 17. August, wurde die Ramblas von Barcelona zum Mittelpunkt eines brutalen Terroranschlags: Ein Lieferwagen legte mehr als einen Kilometer zurück währenddessen er Hunderte von Menschen auf seinem Weg überfuhr. Die makabere Bilanz dieses Anschlags war der Tod von 13 Menschen, mehr als 100 Verletzte, einige von denen in kritischen Zustand, und Erschütterung der Bevölkerung der katalanischen Hauptstadt, die machtlos zusah, wie ein Ferientag zu einem Albtraum werden konnte. Der Anschlag, den der Islamische Staat durch seine Agentur Amaq sofort für sich beanspruchte, fand seine Antwort einige Stunden später in den Straßen von Cambrils, Tarragona, wo fünf Terroristen, die einen neuen Angriff vorbereiteten, nieder geschossen wurden und eine Frau, niedergestochen von einem von ihnen, einen Tag später starb. Von Izquierda Revolucionaria und dem Sindicato de Estudiantes (Studierendengewerkschaft) wollen wir all unseren Schmerz, unsere Unterstützung und Solidarität mit den Opfern, ihren Familien und Freunden und allen, die Momente von wahrem Schrecken erlebt und um ihr Leben gefürchtet haben, zum Ausdruck bringen.

Heute sind es Millionen Menschen auf der ganzen Welt, Jugendliche und ArbeiterInnen, die sich  mit denen verbunden fühlen, die bei dieser Gelegenheit am eigenen Leibe den Schrecken des dschihadistischen Terrorismus erlebt haben, verbunden auch mit den Tausenden von Menschen, die sich an der großen Welle der Solidarität beteiligt haben: diejenigen, die sich in langen Schlangen angestellt haben, um Blut zu spenden, die ihre Läden, Autos, Häuser, Taxis und Kleider zur Verfügung gestellt haben, um den Opfern zu helfen. Ein Zeichen der wahren Solidarität mit denen, die bei dieser Gelegenheit in Barcelona die Nähe der Barbarei erlebt haben, die in den letzten Monaten und Jahren die Straßen von Paris, Nizza, Brüssel, Manchester, Orlando  erschüttert hat…, aber deren Horror kennen Millionen von unschuldigen Menschen in anderen Teilen der Welt, im Nahen Osten, in Afrika nur zu gut.

Natürlich fehlte es bei dieser Gelegenheit nicht an Staatsakten, Beileidsbekundungen und Aufrufen zur Einheit, voll verrotteter Heuchelei im Auftrag von denen, die Kriege und imperialistische Interventionen angezettelt und unterstützt haben, die ganze Länder verwüstet haben, um die Taschen einer Handvoll Multinationaler Konzerne zu füllen und die strategischen Interessen der Großmächte zu garantieren. Ihre scheinbare Bestürzung über das Blutbad in Barcelona scheinen die Tausenden von Menschen nicht verdient zu haben, die jeden Tag in Plünderungskriegen wie Syrien, Irak oder Afghanistan sterben, in Kriegen, die die Partido Popular (PP, Volkspartei) und die Führer der Rechten im spanischen Staat unterstützt haben zusammen mit den „Verteidigern des Friedens und der Demokratie“ in Europa und den Vereinigten Staaten. Merkel, Hollande, Macron, Theresa May, Trump oder Rajoy … alle verfolgen das gleiche Ziel wie in der Vergangenheit Aznar, Blair und Bush, als sie vor 14 Jahren die militärische Intervention gegen den Irak starteten. Von damals bis jetzt ist das Ergebnis klar. Alle diese Kriege, die von den westlichen Mächten gefördert wurden, haben für diese Länder keinen Frieden und Freiheit gebracht, sondern Barbarei, Tod und Zerstörung, außerdem werden Millionen von Geflüchteten, fliehend vor einer unerträglichen Wirklichkeit, an den Toren Europas unmenschlich behandelt.

Sie nutzen Terrorismus, um das Gift von Rassismus und Islamophobie zu säen

Wir haben bei vielen anderen Gelegenheiten gesehen, wie die Verteidiger dieses Systems versucht haben, den Nutzen aus den schrecklichen Episoden zu ziehen, die die Terroranschläge in verschiedenen Städten verursacht haben. Mit den Worten „Freiheit“, „Demokratie“ oder „Rechtsstaatlichkeit“ haben sie diese Angriffe immer als Ausrede verwendet, um Maßnahmen gegen Jugendliche und ArbeiterInnen zu rechtfertigen: unsere demokratischen Rechte zu beschränken oder Terror und das Gift von Rassismus und Islamophobie zu verbreiten.

Diesmal waren es nicht wenige Sprecher der Rechten, die  in den Medien Rassismus und Hass gegen Muslime befeuert haben. Eine Person wie Alfonso Rojo hat behauptet, dass „wir jetzt vielleicht die Politiker fragen sollten, die die Zuwanderung von Nicht-Spanischsprachigen nach Katalonien ermöglichten“, und Isabel San Sebastián verknüpfte Terroristen direkt mit Muslimen und sagte: „Wir werden euch hier einmal rauswerfen und wir werden das wieder machen“. Ohne Zweifel sind so bedauerliche Aussagen nicht nur der Ausdruck einzelner Personen, sondern repräsentieren das Gefühl und die Meinung der Partido Popular und der Rechten sowohl in dieser als auch in anderen Fragen.

Zur gleichen Zeit ist für die Führer von PP und Ciudadanos, für das Königshaus und für alle diejenigen, die große Geschäfte mit dem Krieg und dem Tod von Millionen Menschen machen, ihr Geschrei gegen den Terrorismus eine Fassade, die sehr konkrete Klasseninteressen verbirgt. Keiner von ihnen hat Probleme mit den großen Waffengeschäften, die zwischen der spanischen Regierung und Saudi-Arabien geschlossen werden, obwohl es öffentlich und notorisch ist, dass die Regierung von Saudi-Arabien den islamischen Staat, den Urheber dieser Angriffe, finanziert und dass ein großer Teil von den von der spanischen Regierung verkauften Waffen im Jemenkrieg eingesetzt werden. Sie haben auch keine Probleme mit dem türkischen Regime von Erdogan, dem Beschützer des islamischen Staates über viele Jahre hinweg, mit dem übrigens sie eine schändliche Vereinbarung über die Geflüchteten geschlossen haben.

Ihre Argumente und ihre Heuchelei, um kriminelle Kriege, Morde von Unschuldigen und rassistischen Hass zu rechtfertigen, täuschen uns nicht, auch wenn sie sie mit „Anti-Terror“-Empörung umhüllen. Wir kennen nur zu gut die Gründe für ihre Politik, ihre Kürzungen, ihre Austerität, ihre Angriffe auf demokratische Freiheiten, und wir verurteilen sie. Und die ArbeiterInnen und Jugendlichen von Barcelona wissen das auch, und deshalb haben sie die faschistischen Gruppen aus den Protestversammlungen angesichts der Anschläge vertrieben. Es sind eure Kriege, es sind unsere Toten!

Der Terroranschlag und „der Procés“ (katalanische Bewegung für Selbstbestimmung)

Die Sprecher der Bourgeoisie haben sich nicht nur individuell in einer so heuchlerischen, rassistischen und abstoßenden Weise ausgesprochen. Am Tag nach dem Anschlag nutzte die Redaktion von El País diese Gelegenheit mit beiden Händen, um „gegen den Procés!“ aufzurufen, und „forderte die katalanische Regierung und die politischen Kräfte auf, sich den wirklichen Problemen Kataloniens zu widmen.“ Das wäre das Ende der „sezessionistischen Chimäre.“ Es scheint unglaublich, ist aber wahr. Diese schrecklichen Ereignisse können auch als ein Vorwand dienen zur Rechtfertigung, einem Volk das legitime und demokratische Recht vorzuenthalten, über seine Zukunft zu entscheiden.

Die groteskesten Argumente sind aufgefahren worden gegen das Recht auf Selbstbestimmung und für die Kriminalisierung aller, die es verteidigen. Wir haben keine Leitartikel von El País gelesen, um über die „wirklichen Probleme von Katalonien“ zu sprechen, wie sie sagen. Von den Problemen, die die Mehrheit betreffen, wie Kürzungen bei Gesundheit und Bildung, die Entlassung von LehrerInnen, Unterdrückung von sozialen Mobilisierungen oder die Zwangsräumungen. Ihre Heuchelei kennt keine Grenzen. Wenn das durch die Rechte angesichts dieser Angriffe befeuerte rassistische Gift nicht schon bedauerlich genug wäre, wollen sie auch die Spaltungen und Konfrontationen zwischen katalanischen Jugendlichen und ArbeiterInnen und denen im Rest des Staates anstacheln. Für die Kapitalisten ist jede Entschuldigung gut für die Spaltung der Unterdrückten. Sei es durch die Taktik der Angst, Fremdenfeindlichkeit oder irgendeine andere Entschuldigung. Aber immer mit dem gleichen Ziel, diejenigen gegeneinander zu stellen, die gleich sind, diejenigen die auf die Straße gegangen sind gegen die Angriffe sowohl der franquistischen Rechten der PP als auch der katalanischen Bourgeoisie, die auch nur ihre Privilegien zu verteidigen versucht. Diejenigen, die wir die Kraft gezeigt haben, zum Kämpfen zusammen zu gehen, uns wollen sie spalten und gegeneinander stellen.

Kapitalismus ist Barbarei

Die schrecklichen Morde in den Straßen von Barcelona und die abscheuliche Reaktion der Kapitalisten und ihrer Medien zeigen wieder deutlich die Heuchelei und die verrottete Moral, auf denen dieses System und seine Vertreter beruhen. Von Seiten der Rechten, von der spanischen, katalanischen Bourgeoisie oder der irgendeines anderen Teils der Welt haben ArbeiterInnen und Jugendliche nie Verbesserungen oder Fortschritte erlangt. Die Klasseninteressen der Kapitalisten bedeuten weder Rechte, Freiheit oder Würde. Darum müssen diejenigen, die für die Scherben ihrer Politik zahlen, diejenigen, die unter Terrorismus, Krieg, Arbeitslosigkeit und Armut leiden, sich gegen diejenigen vereinen, die uns zu einem System der Barbarei verurteilen. Nur durch die Vereinigung der Kräfte aller Unterdrückten unter dem Banner des internationalistischen Sozialismus, über nationale Grenzen, Religionen, Hautfarbe oder Sprache hinweg, können wir den Horror und die Katastrophe beenden, die der Kapitalismus für die überwiegende Mehrheit der Menschheit bedeutet.

 

Wie Seattle die Reichen-Steuer einführte

Erfolg für die Initiative von Kshama Sawant und Socialist Alternative
von Adam Ziemkowski, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SLP)

Die sozialistische Stadträtin Kshama Sawant hat zusammen mit ihrer Ratskollegin Lisa Herbold eine Vorlage zur Besteuerung von Reichen in den Stadtrat eingebracht, die nun angenommen worden ist.

Als der Stadtrat der US-amerikanischen Metropole vergangene Woche die Verordnung zur Einführung einer Steuer für Reiche beschloss, wurde Seattle erneut ihrem Ruf als eine der progressivsten Metropolen der USA gerecht. Damit werden Einkommen über 250.000 Dollar (500.000 Dollar bei Verheirateten) nun mit 2,25 Prozent besteuert. Erwartet werden Mehreinnahmen in Höhe von 175 Millionen Dollar, mit denen in Wohnungsbau, Bildung, öffentlichen Nahverkehr und Dienstleistungen sowie andere drängende Bereiche investiert werden kann.

Mit einer korrekten Einschätzung darüber, welche Bedeutung die neue Reichen-Steuer von Seattle hat, schreibt die kalifornische Tageszeitung „Los Angeles Times“: Zwar „haben eine Reihe von Städten lokal geltende Einkommenssteuern eingeführt, aber keine andere Stadt hat ausschließlich Hochverdiener ins Visier genommen und nur wenige haben derart hohe Steuersätze festgelegt. In den USA kommt diese Maßnahme einer politischen Kriegserklärung gleich“. Kurz vor der Abstimmung im Stadtrat von Seattle hat der in Seattle lebende, ehemalige Vorstandsvorsitzende von „Microsoft“, der Milliardär Steve Ballmer, die Stadtverwaltung (deren Wahlkämpfe meist von Großkonzernen und reichen Einzelpersonen finanziert werden) gewarnt, dass eine Reichen-Steuer „die Löhne hier steigen und [Unternehmensvorstände] dazu veranlassen wird, über eine Verlagerung der Arbeitsplätze nachzudenken. Das wird ganz sicher passieren“.

Trotzdem hat der Stadtrat einstimmig für die Einführung der Reichen-Steuer votiert und ein Chor aus PolitikerInnen des Establishments der „Demokraten“ brach in Lobesgesängen aus. Bürgermeister Ed Murray erklärte dazu: „Unser Ziel ist es, unser regressives Steuersystem durch eine neue Formel aus Fairness zu ersetzen. Dabei stellen wir gleichzeitig sicher, dass Seattle gegen den Austeritätshaushalt von Präsident Trump bestehen kann, der die Ausgaben für Verkehr, bezahlbaren Wohnraum, Gesundheit und soziale Dienste reduzieren will“.

Als Aktivist der Organisation „Socialist Alternative“, die seit der „Occupy“-Bewegung für die Reichen-Steuer gekämpft hat und in den Jahren 2012, -13 und -15 Wahlkämpfe für Kshama Sawant sowie 2014 für Jess Spear geführt hat – wobei der Slogan „tax the rich!“ immer eine zentrale Forderung gewesen ist – empfinde ich dies als sehr begrüßenswerte Änderung der Tonlage. Viele der PolitikerInnen, die zum Establishment zu zählen sind und nun für die Reichen-Steuer gestimmt haben, haben zuvor gegen Vorlagen von Sawant gestimmt, die sie früher in den Stadtrat eingebracht hatte. Dies gilt zum Beispiel für den Vorschlag, den öffentlichen Nahverkehr durch eine progressive Unternehmenssteuer zu finanzieren. Auch die Sawant-Initiative zur Reduzierung der Stromkosten für die arbeitenden Menschen ist von ihnen abgelehnt worden. Man wollte nicht, dass Unternehmen wie „Boeing“ oder „NuCor Steel“ (relativ) mindestens so viel für Energie bezahlen müssen wie private Haushalte.

Als Teil der Bewegung sollten wir uns klar sein, wie es nun dazu kommen konnte. Wir haben diesen Erfolg nicht geschafft, weil das Establishment der „Demokraten“ in Seattle plötzlich zur Vernunft gekommen wäre. Auch nach jahrzehntelangen Haushaltskürzungen und einer regressiven Besteuerung scheren sie sich immer noch nicht um dadurch entstandene Schäden auf Seiten der arbeitenden Menschen und Dunkelhäutiger („people of color“).

Es war die stärker werdende Macht unserer sozialen Bewegungen, die zu diesem großen Erfolg geführt hat. Das Establishment mag am Ende zwar mit „ja“ gestimmt haben, aber nicht weil sie wirklich hinter der Reichen-Steuer stehen. Bürgermeister Murray und zum Establishment zählende Ratsmitglieder wie Tim Burgess und Lorena Gonzalez haben dafür gestimmt, weil wir über mehrere Jahre eine mächtige Bewegung aufgebaut haben, die ihren permanent aufrecht erhaltenen Widerstand politisch untragbar hat werden lassen. Im Laufe unserer Wahlkämpfe haben die Mitglieder von „Socialist Alternative“ mit hunderttausenden WählerInnen gesprochen – an der Haustür oder über Telefon. Wir haben Dutzende Veranstaltungen und Kundgebungen durchgeführt und von den „einfachen“ Leuten Spenden in der rekordverdächtigen Höhe von einer halben Million Dollar sammeln können. Unsere entschlossene und unmissverständliche Forderung dabei lautete: „tax the rich!“ (dt.: „Besteuert die Reichen!“). Dieses Motto war eine Säule unseres Wahlkampfs von 2015. Dabei haben wir allen, mit denen wir sprechen konnten, klar gemacht, dass wir die Großkonzerne und die wohlhabende Elite zur Kasse bitten wollen, um den öffentlichen Bedarf zu finanzieren.

Als Sawant erst in den Stadtrat von Seattle gewählt worden ist, arbeitete sie direkt mit AktivistInnen der Gewerkschaft „Transit Riders Union“ zusammen. Es ging dabei um die Idee, eine regressive Verkaufssteuer abzuschaffen und stattdessen eine Unternehmenssteuer einzuführen, mit der die Bus-Flotte von Seattle finanziert werden sollte. Zusätzlich sollten die gewerblichen Parkgebühren angehoben werden. Diese Abstimmung haben wir verloren. Doch in den letzten Monaten stand die „Transit Riders Union“ mit ihrer Vorsitzenden Katie Wilson und zusammen mit dem von John Burbank geführten „Economic Opportunity Institute“ an der Spitze der „Trump Proof Seattle Coalition“. Dieses Bündnis, dem auch „Socialist Alternative“ und Kshama Sawant angehört haben, spielte im diesjährigen Kampf zur Durchsetzung der Reichen-Steuer eine führende Rolle.

Unsere Bewegung hat Klima-AktivistInnen, AnwältInnen aus den Bereichen Verkehr und Wohnrecht, KämpferInnen für bezahlbaren Wohnraum, SozialistInnen, RentnerInnen, LehrerInnen und Gewerkschaften in einem Bündnis zusammengebracht, das zu regelmäßigen Treffen zusammengekommen ist. Dort haben wir über Gesetzgebungsverfahren diskutiert und entschieden und eine Kampagne aufgebaut, um die Ziele zu erreichen. Das Bündnis hat in allen Stadtbezirken öffentliche Veranstaltungen organisiert, Stadtratsmitglieder dazu eingeladen und sie gezwungen, unter dem wachsamen Auge der EinwohnerInnen Position zu beziehen. Im Wahlkreis von Kshama Sawant haben sie und das „Trump Proof Seattle“-Bündnis eine Veranstaltung durchgeführt, bei der es ob des großen Andrangs nur Stehplätze gab. Die Menschen, die daran teilnahmen, setzten sich lauthals dafür ein, den Reichtum zu besteuern. Um dieses Ziel durchzusetzen waren sie bereit, die nötigen Opfer zu bringen.

Auch als unsere Bewegung in Fahrt kam und konzernfreundliche PolitikerInnen schon damit begannen, auf den fahrenden „tax-the-rich“-Zug mit aufzuspringen, sind wir äußerst kritisch geblieben. Obwohl viele schon davon sprachen, dass unser Ziel einfacher zu erreichen wäre, wenn wir mit dem Establishment zusammenarbeiten würden, haben wir allen Verlockungen widerstanden und sind bei der Methode Klassenkampf geblieben. Unsere Bewegung verteidigte ihre unbeugsame politische Unabhängigkeit und unsere Basis an Aktiven lehnte es geflissentlich ab, den VertreterInnen des Polit-Establishments Glauben zu schenken. Die Mitglieder unseres Bündnisses überhäuften die Büros der Stadtverordneten mit Emails und Telefonanrufen und sorgten bei entsprechenden Diskussionsveranstaltungen und Abstimmungen für volle Säle. Sie forderten die Unterstützung des Stadtrats und warnten die StadträtInnen davor, sich nicht gegen diese Vorlage zu stellen bzw. zu versuchen, den Entwurf noch abzuschwächen. Diese Vorgehensweise sorgte tatsächlich dafür, dass der konservative Flügel des Stadtrats zurückgedrängt werden konnte, der skandalöser Weise noch eine tendenziöse „Meinungsumfrage“ auf den Weg gebracht hatte, um herauszubekommen, ob es möglich wäre, die Verfügung zur Reichen-Steuer noch zu ersetzen durch eine Vorlage über eine stark regressive „flat tax“.

Dieses Beispiel nun, bei dem eine klar abgesteckte und sehr mutige Forderung vorgebracht und eine Bewegung aufgebaut wurde, die unabhängig vom Establishment der Stadt Seattle agiert und sich allein auf unsere eigene Stärke gründet, ist dieses Mal fast schon organisch entstanden. Dass es so kam, war nicht besonders überraschend. Auf dieselbe Art und Weise sind wir mit unserer Bewegung in Seattle vorgegangen, um den Mindestlohn von 15 Dollar durchzusetzen, eine 400-prozentige Preissteigerung für einkommensschwache MieterInnen abzuwehren, den „Columbus Day“ durch den „Indigenous People’s Day“ zu ersetzen, den Vorschlag für ein 160 Millionen teures Polizeirevier zurückzuweisen, 29 Millionen Dollar an öffentlichen Geldern für bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und dem Bankhaus „Wells Fargo“ in einem Akt der Solidarität mit der Bewegung gegen die „Dakota Access“-Ölpipeline drei Milliarden Dollar abzuknöpfen. All diese Beispiele stammen aus den vergangenen paar Jahren.

Dabei sind die Reichen-Steuer und die anderen bahnbrechenden Erfolge in Seattle nicht im luftleeren Raum entstanden. Als die Wirtschaft zusammengebrochen ist und die Banken ihre Rettungspakete erhalten haben, begannen die „einfachen Leute“ damit, nach einer Möglichkeit zu suchen, wie sie die Angriffe auf die Lebensstandards abwehren und Schritte zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen einleiten können. Die „Occupy“-Bewegung hat gezeigt, wie weit verbreitet und heftig die Wut war. Bernie Sanders hat gezeigt, dass viele Millionen Menschen bereit waren, zu Veranstaltungen eines „demokratischen Sozialisten“ zu kommen und sich an dessen Wahlkampf zu beteiligen, der ohne Spendengelder von den Konzernen ausgekommen ist, diese sogar abgelehnt hat. Die Forderungen lauteten: 15 Dollar Mindestlohn, kostenlose Hochschulbildung und eine politische Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre.

Der Wahlsieg von Donald Trump hat die Dynamik noch weiter verstärkt. In den Monaten nach seiner Wahl sind Millionen von US-AmerikanerInnen auf die Straße gegangen, um die Grundrechte von EinwanderInnen, Frauen, Mitgliedern der LGBTQ-Community, Muslima und Moslems, Gewerkschaften und Beschäftigten zu verteidigen. Die „einfachen Leute“ zieht es in Aktionsgruppen wie „Trump Proof Seattle“ oder die „Neighborhood Action Councils“. Sozialistische Organisationen wie die „Democratic Socialists of America“ oder „Socialist Alternative“ erleben, wie ihre Mitgliederzahlen rapide ansteigen.

Viele dieser neuen AktivistInnen bringen Fragen mit. Sie wollen wissen, ob und wie man Donald Trump stoppen und angesichts der permanenten Angriffe selbst zu Erfolgen kommen kann. Kämpfen wir gegen Trump und werden wir Veränderungen erwirken, wenn wir uns damit zufrieden geben, was für das Partei-Establishment der „Demokraten“ und die Konzerne akzeptabel ist? Oder bauen wir Bewegungen auf, die für mutige Forderungen kämpfen und bereit sind, eine radikale Taktik anzuwenden – einschließlich des Mittels, das wir „zivilen Ungehorsam“ nennen?

Die Erfolge, die in Seattle erreicht worden sind (vom 15 Dollar Mindestlohn bis hin jetzt zur Reichen-Steuer) liefern den AktivistInnen eindeutige Antworten auf die o.g. Fragen. Wenn man eine entschlossene Bewegung aufbaut und parallel dazu – wie in unserem Fall mit Kshama Sawant von „Socialist Alternative“ – eine Stimme im Stadtrat hat, dann ist das eine machtvolle Kombination. Wir arbeiten zwar solidarisch mit ganz unterschiedlichen Kräften zusammen (so zum Beispiel auch mit „Demokraten“, die einstimmig für unsere Vorlage zur Einführung einer Reichen-Steuer stimmen). Aber dennoch schenken wir konzernfreundlichen PolitikerInnen kein Vertrauen oder beschränken unsere Forderungen auf das Maß, das sie oder die KonzernvertreterInnen zu akzeptieren bereit wären. Angesichts der Tatsache, dass eine große Zahl an Menschen aktiv wird, sich Aktionsgruppen und/oder sozialistischen Organisationen anschließt, hat das „Modell Seattle“ das Potential, im ganzen Land Schule zu machen – wenn die korrekte Strategie und Taktik angewendet wird.

Auch in Seattle ist der Kampf um die Reichen-Steuer noch längst nicht zu Ende. Die rechtslastige „Freedom Foundation“ hat bereits Klage eingereicht, weil sie meint, diese Steuer verstoße gegen ein Gesetz des Bundesstaates Washington, wonach es Städten nicht erlaubt ist, Nettogewinne zu besteuern. In einer Pressekonferenz, bei der sie von „tax the rich“-Plakaten umgeben war, rief Susan Hutchison, die Sprecherin der „Republican Party“ im Bundesstaat Washington, zu „zivilem Ungehorsam“ auf und dazu, „energischen Widerstand gegen die Steuer zu leisten“. Joseph Henchman, Geschäftsführer der „Tax Foundation“, beschwerte sich: „Wenn es nur um dieses Gesetz gehen würde, dann wäre es nicht lange haltbar. Meine Sorge ist aber, dass die Richter andere Überlegungen in ihre Entscheidung mit einbeziehen werden“. Da liegt Henchman ganz richtig. Schließlich entgeht den Gerichten nicht, welche Macht und welchen Druck soziale Bewegungen aufbauen können. Das hat sich in der Geschichte der USA ein ums andere Mal gezeigt. Vor kurzem erst war dieser Umstand wohl auch ausschlaggebend als das erfolgreiche Urteil des Obersten Gerichtshofs zur gleichgeschlechtlichen Ehe erreicht wurde. Unsere Bewegung in Seattle ist zweifelsohne bereit, den Kampf auch vor Gericht auszufechten, um ihn gleichzeitig zurück auf die Straße zu bringen.

Unterdessen ruhen wir uns nicht auf unseren Lorbeeren aus. Wir leiten die Energie, mit der die Reichen-Steuer errungen wurde, in eine entschlossene Kampagne für bezahlbaren Wohnraum und eine Mietobergrenze. Zu diesem Zweck ziehen wir in der ganzen Stadt von Tür zu Tür. Wegen der ansehnlichen Bilanz, die wir vorzuweisen haben, läuten bei der Immobilien-Lobby und in den Reihen des Polit-Establishments von Seattle schon die Alarmglocken.

Dieser Artikel erschien zuerst im linken US-amerikanischen Magazin Counterpunch.

China: Ungewisse Flucht nach vorn

Megaprojekt soll wirtschaftlichen Zusammenbruch verhindern
René Arnsburg

Zunehmende Widersprüche zwischen den imperialistischen Ländern, wachsende politische, wirtschaftliche und nationale Spannungen im chinesischen Land, KP-Vorsitzender Xi Jinping übt Selbstinszenierung als stärkster Führer seit Mao Tse-tung.

Die Wirtschaft der Volksrepublik China hat einen einzigartigen Charakter. Es gibt dort nicht nur die meisten Dollar-Milliardäre auf der ganzen Welt – 594 Personen. Einhundert von ihnen sind Mitglied des Nationalen Volkskongresses, der ein von der Kommunistischen Partei dominiertes Scheinparlament ist und die wichtigsten Kommandostellen des Staates besetzt. Durch die direkte Überschneidung des Staates mit den wirtschaftlich Herrschenden wirkt er nicht nur in dessen Interesse. Durch diese außergewöhnliche Möglichkeit der Einflussnahme konnte China seit der großen Krise 2007/2008 seine Machtposition auf der Welt ausbauen.

Die chinesische Wirtschaft – zu groß für ein Land

Die chinesische Wirtschaft ist in grundlegende Widersprüche verwickelt. Um einen Einbruch zu vermeiden, wurde nach der Krise 2007/8 ein Konjunkturpaket von über eintausend Milliarden Euro aufgelegt, zum größten Teil in Form billiger Kredite. Dies heizte den Neubau von und die Spekulation mit Immobilien an, neue Millionenstädte entstanden aus dem Nichts. Das Problem: niemand konnte die neuen Wohnungen bezahlen. Damit die Blase nicht platzt, wurden mehr Kredite vergeben und mehr Häuser gebaut. Heute stehen etwa dreißig Prozent aller chinesischen Immobilien leer – Platz für 300 Millionen Menschen.

Das entspricht etwa der Anzahl an WanderarbeiterInnen, die von Stadt zu Stadt ziehen, um vor allem im Baugewerbe und Fabriken saisonale Anstellung zu finden. Oft werden ihnen jedoch Löhne nicht ausgezahlt – über 27 Milliarden US-Dollar an Gehältern sind ausstehend. Für einen Quadratmeter Wohnfläche in Tokio oder New York müsste einE WanderarbeiterIn einen Monat (durchschnittliches Monatseinkommen 475 US-Dollar) arbeiten. Für die gleiche Fläche in einer der chinesischen Großstädte schon ein ganzes Jahr. Eine entsprechenden Einkommenssteigerung, scheitert am kapitalistischen Charakter der Wirtschaft. Profit ist alles und die Unternehmen konkurrieren im In- und Ausland mit anderen Produktionsstätten.

So häufen sich die Schulden auf allen Seiten – staatliche Bauunternehmen verschulden sich bei staatlichen Banken, Familien nehmen Kredite auf, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, Provinzregierungen bauen Megaprojekte, um die sich auftürmenden Rohstoffe zu verwenden. Die Verschuldung Chinas beträgt zur Zeit 304 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts.

Kämpfe nehmen zu

Insgesamt ist die chinesische Wirtschaft auf ein unvermindertes Wachstum ausgelegt, die Zahlen werden jedoch vom Regime gefälscht und dürften unter den offiziellen Bekanntmachungen liegen. Die Industrie weist große Überkapazitäten auf und ein plötzlicher Abbau dieser würde möglicherweise die Widersprüche zur gewaltsamen Auflösung bringen.

Während Arbeitskämpfe durch die Kontrolle der Regierung bislang vor allem lokal begrenzt waren, wurde in den letzten Jahren der Dienstleistungssektor mit mobilen Lieferdiensten ausgebaut. Diese ArbeiterInnen sind dort unter noch schlechteren Bedingungen als in der traditionellen Produktion beschäftigt. Jedoch nutzen sie die kommerzielle Infrastruktur der Bestell-Apps zur Vernetzung ihrer Streiks und konnten dadurch Erfolge erzielen.

Die Hauptforderungen der Beschäftigten sind Auszahlung ausstehender Löhne und soziale Absicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit oder Invalidität. Wer in China arbeitslos ist, schwebt unweigerlich in Lebensgefahr durch Verelendung. Dazu kommt die gewaltsame Unterdrückung nationaler Minderheiten in vielen Teilen des Staates. Ein wirtschaftlicher Einbruch und Massenentlassungen könnten eine Welle von Kämpfen nach sich ziehen, die das Land in seine Provinzen zersprengen könnte.

Krisenlösung auf chinesisch

Der Staatspräsident Jinping setzt alles daran, seine Macht zu behalten und schaltet hinter den Kulissen alte Verbündete und mutmaßliche DissidentInnen, aber auch reale KritikerInnen, aus. Hintergrund ist der 2018 stattfindende Volkskongress, auf dem ein neuer Staatschef bestimmt, oder Xi Jinping erneut Oberhaupt wird. Gleichzeitig wird der Polizeistaat in Regionen mit nationalen Minderheiten ausgebaut und die wenigen existierenden demokratischen Rechte in Hongkong angegriffen. Vor kurzem mussten sechs oppositionelle Abgeordnete des Hongkonger Parlaments zurücktreten und vorgefertigte Erklärungen öffentlich verlesen.

Ein wichtiges Instrument bleibt der Nationalismus für die Kommunistische Partei, auch um die internationale Stellung zu stärken. China ist unmittelbarer Konkurrent des us-amerikanischen und deutschen Imperialismus. Um seinen Einfluss zu festigen, hat die Regierung die sogenannte „One Belt, One Road“-Initiative ins Leben gerufen. Zu Land und zur See soll jeweils eine neu „Seidenstraße“ gebaut werden, die China als Handelsroute dienen soll. Das Investitionsvolumen soll bis 2020 bis zu 8000 Milliarden US-Dollar betragen. Es soll als Möglichkeit dienen, die chinesischen Überkapazitäten in der Produktion zu nutzen und Rohstoffe zu verbrauchen und gleichzeitig die chinesischen Schulden exportieren. Wirtschaftlich schwache Länder wie Laos könnten allein ein derartiges Megaprojekt nicht stemmen. Die nötige Summe beläuft sich auf die Hälfte des BIP des kleinen Landes. Die staatseigene chinesische Volksbank vergibt dafür Kredite, die an politische Konzessionen gebunden sind. Die chinesischen Firmen bringen nicht nur ihre eigenen ArbeiterInnen mit, sondern auch die Armee, um ihr Eigentum zu sichern. Der Vertrag sichert zu, dass China für 99 Jahre die Kontrolle über das Gebiet entlang der Handelsroute ausüben darf. Dies sorgt nicht nur für eine Verstärkung der Konflikte zwischen den Weltmächten um die Neuaufteilung der Welt, sondern hat für die örtliche Bevölkerung katastrophale Folgen. Die Eisenbahn- und Autostrecken werden ohne jegliche Rücksicht auf gewachsene soziale Strukturen oder ökologische Überlegungen unter tödlichen Arbeitsbedingungen gebaut.

Gesundheit im Sozialismus

Befreit die Gesundheit von Markt und Profit!
Carsten Becker

Der Artikel erschien zuerst auf der deutschen Homepage der SAV (deutsche Schwesterorganisation der SLP) http://sozialismus.info, die nachfolgenden Forderungen beziehen sich auf Deutschland.

 

Natürlich kann keiner wissen, wie ein Gesundheitssystem im Sozialismus genau aussehen würde, aber einige Eckpunkte können sicherlich heute schon schlaglichtartig beleuchtet werden. Denn vieles für die Gesundheit und zur Vermeidung von Krankheit Notwendige ist bereits seit über hundert Jahren bekannt, wird aber wegen den menschenverachtenden „Gesetzmäßigkeiten des Marktes“ erst in einer sozialistischen Gesellschaft umgesetzt werden.

Die größten katastrophalen Missstände heutiger Gesundheitspolitik haben ihre Ursache im Unvermögen, auf der Grundlage der derzeitigen Gesellschaftsordnung längst gewonnene Erkenntnisse umzusetzen.

Armut macht krank

Die meisten Menschen, die auf Grund einer Erkrankung sterben, sterben an heilbaren Krankheiten. Hunger und Armut sind die Haupttodesursachen auf unserem Planeten. Nur ein Drittel der Menschen in Asien und Afrika haben Zugang zu sanitären Einrichtungen. Die Verbesserung des Gesundheitszustandes ist in erster Linie einfach eine Frage der Verbesserung der Lebensbedingungen. Und diese Erkenntnis ist weder neu noch ausgesprochen sozialistisch. Schon 1848 schrieb der Meiziner Richard Virchow: „Wenn der Staat es zulässt, dass durch irgend welche Vorgänge, sei es des Himmels oder des täglichen Lebens, Bürger in die Lage gebracht werden, verhungern zu müssen, so hört er rechtlich auf, Staat zu sein, er legalisiert den Diebstahl (die Selbsthülfe) und beraubt sich jedes sittlichen Grundes, die Sicherheit der Personen oder des Eigenthums zu wahren. Dasselbe ist der Fall, wenn er zulässt, dass ein Bürger gezwungen wird, in einer Lage zu beharren, bei der seine Gesundheit nicht bestehen kann.“

Länger leben

Auch vor unserer Haustür haben die gesellschaftlichen Bedingungen sogar wieder im verstärkten Maße unmittelbare Auswirkung auf die Gesundheit. In den armen Stadtvierteln Berlins ist die durchschnittliche Lebenserwartung zehn Jahre kürzer als in den noblen Vierteln im Südwesten der Stadt.

Eben solches gilt auch für die Arbeitsbedingungen. Stress, Arbeitsverdichtung, zu lange Lebensarbeitszeit, Nachtarbeit und Schichtdienst (allein das verkürzt die Lebenserwartung statistisch gesehen um zehn Jahre), Arbeitslosigkeit und in weiten Teilen der Welt Kinderarbeit – all dieses im Interesse der Beschäftigten konsequent anzugehen, wäre ein weiterer Meilenstein zur Genesung der Menschheit. Arbeitspolitik ist Gesundheitspolitik!

Zugang zu medizinischen Einrichtungen

Ein weiterer einfacher, aber ebenso wirksamer Schritt wäre der freie, kostenlose Zugang zu medizinischen Einrichtungen und Medikamenten. Es sind allein die gesellschaftlichen Bedingungen und die Profitgier der Pharmakonzerne, sowie der Industrie für Medizinprodukte beziehungsweise -geräte, die dieses verhindern und Millionen von Menschen an heilbaren/behandelbaren Erkrankungen sterben lassen.

Flächendeckende Schwangerenvor- und -nachsorge und ausreichender Impfschutz für alle Kinder dieser Welt würde die Kindersterblichkeit auf einen Schlag um ein Vielfaches reduzieren.

Krankheiten im Sozialismus?

Auch in einer sozialistischen Gesellschaft oder auch später noch, wenn diese sich weiterentwickelt hat, werden Menschen krank, kommen krank oder mit Behinderungen oder Fehlbildungen auf die Welt.

Wer geboren wird, muss sterben. „Denn alles, was entsteht ist wert, dass es zu Grunde geht“ (Goethe, „Faust“). Aus diesem biologischen Grundsatz schöpft die Natur dieses Planeten ihre Kraft zu Vielfalt, Veränderungen und Weiterentwicklung, auch die der Gattung Mensch.

Die Verinnerlichung dieses Grundsatzes in der Gestaltung eines menschenwürdigen Lebens auch in Krankheit und/oder mit Behinderung, sowie ein menschenwürdiges Sterben werden die Hauptaufgaben der Medizin der Zukunft sein.

Natürlich wird es weitere Durchbrüche in der Diagnostik und Behandlung von Leiden und Erkrankungen geben. Insbesondere, wenn die Forschung nicht mehr behindert wird durch ihre Bezahlbarkeit und die künftige Profitabilität auf dem Gesundheitsmarkt.

Auch wird es sicherlich Veränderungen in Diagnostik und Behandlungen geben, wenn die „Schulmedizin“ von der Profitgier des Gesundheitsmarktes befreit und mit dem verknüpft werden könnte, was von der „alternativen Medizin“ und der „Naturheilkunde“ übrig bleibt, wenn diese von ihrem esoterischen und pseudo-religiösen und religiösen Beiwerk befreit werden.

Für demokratische Strukturen

Gesundheit im Sozialismus bedeutet zunächst also Verbesserung der Lebensbedingungen und einen freien Zugang zu medizinischen Einrichtungen. Ergänzt durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen würde dieses zur wesentlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes der Menschheit beitragen.

Eine von „Marktzwängen“ befreite Forschung und eine Bildung für alle werden zu einem enormen Schub in wissenschaftlichen Erkenntnissen allgemein und damit auch zu verbesserter Diagnostik und Behandlung in der Medizin führen.

Die größten Veränderungen werden aber, in meinen Augen, geschaffen durch eine neue Sicht auf Gesundheit und Krankheit in einer von Profitgier sowie Ausgrenzung und Unterdrückung befreiten Gesellschaft.

Carsten Becker ist Sprecher der ver.di-Betriebsgruppe am Berliner Uniklinikum Charité*.
*Angabe der Funktion dient nur zur Kenntlichmachung der Person

 

Forderungen der SAV*:

*Die SAV ist die deutsche Schwesterorganisation der SLP.

  • Sofortige und nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern durch die Schaffung von 160.000 Stellen bundesweit.
  • Wie an der Charité: Kampf für eine Mindestpersonalbesetzung per Tarifvertrag. Dadurch kann der Druck für eine einheitliche gesetzliche Regelung gesteigert werden.
  • Für massives staatliches Investitionsprogramm zur Sanierung von Krankenhäusern, zum Aufbau eines Netzes von Polikliniken, zur Verbesserung und Förderung der Gesundheitsvorsorge und Forschung
  • Drastische Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich
  • Weg mit den Fallpauschalen. Wettbewerbs- und Profitprinzip haben in Krankenhäusern und im Gesundheitswesen nichts zu suchen.
  • Keine Privatisierung. Rekommunalisierung privatisierter Häuser und Wiedereingliederung ausgegliederter Betriebsteile.
  • Für die Zusammenführung aller Krankenkassen (auch aller Privatversicherungen) zu einer einzigen öffentlichen Krankenkasse bei Arbeitsplatzgarantie für alle Beschäftigten ein. Das wäre ein erster Schritt zur Umwandlung des Gesundheitswesens zu einem kostenlosen, staatlichen, also steuerfinanzierten, Gesundheitswesen.
  • Überführung privater Klinik- und Pharmakonzerne in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten und PatientInnen
  • Die Errichtung von demokratischen Strukturen in den Gesundheitseinrichtungen, in denen Beschäftigte, ExpertInnen, PatientInnen und Bevölkerung zusammen arbeiten, werden ebenfalls weitere Veränderungen und Verbesserungen in der Gesundheitspolitik bringen.

Schule gegen Abschiebung!

Nürnberger SchülerInnen haben eine Abschiebung verhindert – auch in Österreich gibt es erfolgreiche Beispiele
Jens Knoll

Ende Mai kam es in Nürnberg zu einer von zahllosen Abschiebungen in Deutschland. Ein 20-jähriger Afghane wurde an einem Morgen von der Polizei aus seinem Klassenzimmer an einer Nürnberger Berufsschule abgeführt. Seine MitschülerInnen versuchten spontan, mit friedlichen Sitzblockaden die Abschiebung aufzuhalten. Ein Großaufgebot an Polizei setzte die Abschiebung des 20-jährigen, der ein ganz normales Leben in Deutschland führte, mit massiver Gewalt durch. Die meisten Abschiebungen verlaufen in aller Heimlichkeit. Durch das Engagement seiner MitschülerInnen führte dieser Fall zu großem Aufsehen. Die Folge war eine „Einzelprüfung“ des Falles - und endete in einer Entlassung des Schülers aus dem Gefängnis. Auch in Österreich haben Jugendliche erfolgreich Widerstand gegen Abschiebungen organisiert. 2010 gelang es, beim Fall des Uni-Aktivisten Ousmane C., erstmals eine Abschiebung während der Durchführung zu verhindern. Eine zentrale Rolle spielte damals schon die SLP. 2011 kam es zu einer großen Solidaritätswelle mit den SchülerInnen Denis und Jovana, denen die Abschiebung drohte. Die SLP initiierte einen Schulstreik. Durch den Protest und den medialen Druck sah sich der Staat gezwungen, den Fall „neu aufzurollen“: nach einem halben Jahr bekam die Familie das Bleiberecht. Unsere Forderung lautet nach wie vor: Die Schule ist eine abschiebungsfreie Zone!

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Hamburg: Bildungsstreik gegen G20

Nico Prettner

Im Zuge der Proteste gegen das G20 Treffen in Hamburg fand am 7. Juli ein Bildungsstreik mit Demonstration statt. Dazu aufgerufen hat das Bündnis „Jugend gegen G20“, an dem sich auch die SAV, die deutsche Schwesterorganisation der SLP, beteiligt. Trump, Erdogan und Co besprachen auf dem Gipfel, wie sie ihre neoliberale Politik umsetzen können und so die kapitalistische Ausbeutung noch effizienter umsetzen können. Darunter leiden Jugendliche besonders. Leistungsdruck und Stress gehören in der Schule zum Alltag, Jugendarbeitslosigkeit ist ein Massenphänomen. AktivistInnen mobilisierten vor Schulen und in der Hamburger Innenstadt für den Bildungsstreik. An der Demonstration gegen die Jugendpolitik der Herrschenden beteiligten sich dann bis zu 4.000 Menschen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Nazi-Gewalt in Charlottesville löst starken Widerstand aus

von Ty Moore, Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SLP in den USA), 14.8.2017

Zum Kampf gegen die Rechte sind Massendemonstrationen und eine linke Alternative nötig

Die feindselige nationalistische Gewalt „weißer“ Rassisten, zu der es am Wochenende in Charlottesville und weiteren Orten der USA gekommen ist, hat wie ein kollektiver Weckruf gewirkt. Gegen rassistische Gewalt, einschüchterndes Vorgehen von Bürgerwehren und eine bigotte Politik der Regierung muss eine mächtige linke Gegenmacht aufgebaut werden.

Neben den Gewerkschaften, Bürgerrechtsbewegungen, migrantischen, sozialistischen und anderen progressiven Organisationen müssen Führungspersönlichkeiten wie Bernie Sanders einen Zahn zulegen, um in allen Städten Massenproteste zu koordinieren, mit denen rechtsextreme Kräfte isoliert und zurückgedrängt werden können. Um die große Mehrheit der arbeitenden Menschen gegen Rassismus und Fanatismus zu vereinen, sollten diese Proteste mit einem klaren Programm gegen Trump und konzerngeleitete Politik verbunden werden.

Rechtsextreme Gefahr

Seit der Wahl von Trump haben Gruppierungen der „white nationalists“ und Neonazi-Gruppen sowie die „alt-right“ (loser Zusammenschluss von Rechtsextremisten in den USA; Erg. d. Übers.) Demonstrationen organisiert, die in zunehmendem Maße rassistischer und aggressiver werden. Auch wenn sie gemessen an der Zahl ihrer Anhängerschaft weiterhin klein sind, so gewinnen diese „white nationalists“ und Neonazi-Gruppen an Mitgliedern. Sie treten mit immer größerer Entschlossenheit auf. Die mehrere hundert „weißen“ Nationalisten, die vergangenes Wochenende in Charlottesville eingefallen sind, um am „Unite the Right“-Treffen (dt.: „Vereint die Rechte“) teilzunehmen, verfolgten die Absicht, ihre Bewegung auf eine neue Ebene zu heben.

Nach dem brutalen Mord des Neonazis James Fields an Heather Heyer, die am Samstag von ihm mit einem Auto überfahren wurde, verkündete Trump in den bundesweit ausgestrahlten Fernsehnachrichten, dass er die Gewalt und den Hass „von vielen Seiten“ verurteile. Dass er es unterlassen hat, namentlich die „white nationalists“ und die Neonazi-Gruppen zu verurteilen, löste bei Millionen von Menschen umgehend Empörung aus. Wenigstens eine Internetseite der „alt-right“ begrüßte Trumps Äußerungen als „really, really good“.

Der weithin hörbare öffentliche Aufschrei gegen diesen Auswuchs an Gewalt und Fanatismus in Charlottesville zeigt, wie die politischen Kräfte in der US-Gesellschaft tatsächlich verteilt sind und sich gegen die extreme Rechte im Land richten. In den Städten des ganzen Landes kommt es zu spontanen Massenprotesten. Neben einem Plan für bundesweit koordinierte Massenproteste muss die Linke – wo immer dies möglich erscheint – demokratische örtliche Bündnisse zur Verteidigung der arbeitenden Menschen schmieden, um unsere Bewegung und unsere Wohnviertel physisch gegen Übergriffe zu verteidigen.

Immer klarer wird hingegen, dass antirassistischer Protest allein nicht reichen wird, um das Erstarken von Nationalismus und Rassismus in der Gesellschaft zu beenden. Wollen wir den Aufstieg des „weißen“ Nationalismus aufhalten oder effektiven Widerstand gegen Trump leisten, dann braucht es dafür eine bewusste politische Strategie, mit der die extreme Rechte isoliert werden kann.

An den Wurzeln des „Trumpismus“ ansetzen

Zwar versuchen sich die meisten VertreterInnen der „Republikaner“ von den Gruppen zu distanzieren, die der „alt-right“ zuzurechnen sind. In Wirklichkeit hat die Politik der Regierung, die sich durch codierte Intoleranz und Rassismus auszeichnet, das Erstarken rassistischer und reaktionärer Ansichten jedoch befördert. Eine seit Jahrzehnten von beiden Parteien betriebene und von den Konzernen unterstützte Politik, die unter dem Motto „hartes Durchgreifen“ stand, unter dem Deckmantel des „Anti-Terrorismus“ die Islamfeindlichkeit anheizte und eingewanderte Arbeitskräfte in immer größerer Zahl abgeschoben hat, hat ein rassistisches Klima geschaffen, das den Kräften der „weißen“ Nationalisten in die Hände spielt.

Grundsätzlich kann das Erstarken extrem rechter, reaktionärer und neofaschistischer Kräfte nur als ein internationales Phänomen verstanden werden; als Resultat der tiefgreifenden Krise des globalen Kapitalismus. Überall auf der Welt haben die kapitalistisch ausgerichteten Regierungen eine dramatische Zunahme der Ungleichheit zu verantworten. Es existieren Inseln des extremen Wohlstands, die umgeben sind von einem rasch größer werdenden Meer an Armut, ökonomischer Unsicherheit und sozialer Ausgrenzung. Da ihr eigenes System in der Krise steckt und angesichts des Widerstands der Arbeiterklasse greift ein Teil der herrschenden Klasse auf Rassismus, Nationalismus und Fanatismus zurück, um das Teile-und-Herrsche-Prinzip zur Anwendung kommen zu lassen.

Gleichzeitig hat das Versagen der Linken und der Arbeiterbewegung, die bislang keine entschlossene politische Alternative der Arbeiterklasse anzubieten hatten, dafür gesorgt, dass Rechtspopulisten wie Trump zum Zuge kommen konnten. Bei den letzten Wahlen erschien Trump als einzige Alternative „gegen das Establishment“, gegen die Herrschaft der „Wall Street“ und der korrupten politischen Elite. Zuvor war dem linkspopulistischen Wahlkampf von Bernie Sanders durch das Partei-Establishment der Demokraten ein Riegel vorgeschoben worden. Trump war es somit möglich, mit demagogischen Appellen an Millionen von „weißen“ WählerInnen aus Arbeiterklasse und Mittelschicht heranzutreten. Diese haben mit sinkenden Lebensstandards zu kämpfen und sind wütend aufgrund eines Polit-Establishments, das korrupt ist und unantastbar scheint. Das war der politische und gesellschaftliche Kontext, der es Trump ermöglicht hat, Zustimmung für seine zynischen Appelle an Nationalstolz zu bekommen. Er hat MigrantInnen zu Sündenböcken gemacht, ist offen frauenfeindlich aufgetreten und hat versprochen, „den Sumpf in Washington trockenzulegen“.

Nötig ist eine linke Alternative

Wenn die eigentliche Ursache des „Trumpismus“ die Krise des Kapitalismus ist, dann muss jede Bewegung, die im Kampf gegen Rechts effektiv sein will, den starken Widerstand gegen Rassismus und Bigotterie mit einem ebenso entschlossenen Programm gegen Armut, Erwerbslosigkeit, Wohnungsnot und die chronische Unterfinanzierung von Bildung, Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen verbinden. Finanziert werden muss all dies durch höhere Steuern für Reiche. Will man die Unterstützung für Trump und die „alt-right“-Gruppen beschneiden, so muss man – kurz gesagt – eine Massenbewegung aufbauen, die eine klare, links ausgerichtete, politische Alternative anbieten kann.

Das dafür vorhandene Potential ist bereits sichtbar, wenn man an die breite Unterstützung denkt, die Bernie Sanders erhalten hat und immer noch bekommt. Das gilt vor allem für die „red states“, in denen Trump viele Stimmen erhalten hat. Der Mann, der sich selbst als demokratischen Sozialisten bezeichnet, ist zum beliebtesten Politiker Amerikas geworden. Er ist die bekannteste Stimme gegen Trump. Die Popularität von Sanders geht auf seinen Aufruf zu „einer politischen Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre“ zurück und auf seine Forderungen nach „Medicare for All“, kostenloser Hochschulbildung, einem breit angelegten Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen, das durch eine Reichensteuer finanziert wird, und auf seine Attacken nicht nur auf Republikaner, sondern auch auf das von den Konzernen finanzierte Establishment der Demokraten.

Leider hat Sanders es nicht vermocht, sein radikales Programm in Verbindung zu setzen mit dem Bedarf an einer neuen politischen Massenpartei der Arbeiterklasse. Das wäre ein entscheidender Schritt zur Vereinigung des wachsenden Widerstands gegen Trump mit einer zusammenhängenden Massenbewegung.

Massenproteste und lokale Verteidigungs-Bündnisse

Die Märsche von „Unite the Right“ in Charlottesville haben bei Millionen von arbeitenden Menschen Empörung ausgelöst. Sie suchen nach einer effektiven Möglichkeit der Gegenwehr. Verständlicherweise hat die heftige Gewalt der Neonazis dazu geführt, dass ein Teil der Aktiven sich verstärkt dafür ausspricht, auch mit physischen Mitteln darauf zu reagieren. Auf den Demonstrationen, die überall im Land stattfanden, war der Slogan zu hören: „Any time, any place, punch a nazi in the face“ (dt.: „Immer und überall – Nazis auf die Fresse!“).

Damit mag man an nachvollziehbaren Gefühlen ansetzen, riskiert aber, dass sich antirassistische AktivistInnen selbst isolieren. Das Potential, das wir haben, um die Massen in den Kampf gegen Rechts mit einzubeziehen, wir dadurch beschnitten. Wir brauchen aber die Unterstützung der Massen, um erfolgreich sein zu können. Unsere Macht, um Trump und die „alt-right“-Kräfte zu bezwingen, liegt in dem real existierenden Potential begründet, die Mehrheit der Gesellschaft gegen sie mobilisieren zu können. Wenn progressive Führungspersönlichkeiten wie Sanders sich mit aller Energie – zusammen mit Bürgerrechtsgruppen, SozialistInnen und Arbeiterorganisationen – für koordinierte, friedliche und massenhafte Demonstrationen einsetzen, dann können hunderttausende (möglicherweise sogar Millionen) von Menschen auf die Straße gebracht werden. Das wäre eine entschiedene Machtdemonstration gegen Fanatismus und Rassismus.

Gleichzeitig hat die bittere Erfahrung gezeigt, dass wir uns – wenn es um die Verteidigung unserer Bewegung geht – nicht auf die Polizei verlassen können. Noch viel weniger gilt dies für die schwarzen und migrantischen Bevölkerungsgruppen, die Opfer von rassistischer Einschüchterung und Gewalt werden. Um uns gegenseitig zu schützen, müssen wir damit beginnen, uns auf unsere eigene kollektive Stärke und Fähigkeit zur Selbstorganisation zu besinnen. Wo immer dies nötig ist, sollte die Anti-Trump-Bewegung demokratisch aufgebaute Bündnisse in den Wohnvierteln und Betrieben organisieren, um unsere Demonstrationen zu begleiten und zu verteidigen und um gefährdeten Wohnvierteln zur Hilfe zu kommen.

Seit Trumps ersten Stunden im Amt hat Socialist Alternative ganz vorne gestanden, um den Widerstand gegen seine rassistische, sexistische und konzernfreundliche Agenda mit aufzubauen. Dabei haben wir zu jedem Zeitpunkt versucht, die Bewegung gegen Trump und seine rechtsextremen Gefolgsleute mit einer Strategie und eine Programm zu verbinden, um die arbeitenden Menschen in einer multiethnischen Massenbewegung miteinander zu vereinen. Unsere zentrale Botschaft lautet: Wenn wir die Rechte effektiv bekämpfen wollen, dann darf es nicht dabei bleiben, einfach nur „Nein“ zu sagen.

Stattdessen müssen wir die Verteidigungskämpfe von heute mit einem Programm und einer Strategie verbinden, um die Kontrolle der Konzerne über die Gesellschaft herauszufordern und die ökonomische und soziale Unsicherheit zu beenden. Denn das ist die Grundlage, auf der Rassismus, Nationalismus und Fanatismus wachsen können.

 

Jobstown Not Guilty – Sieg durch Widerstand

Im größten politischen Schauprozess Irlands seit Jahrzehnten kam es zum Freispruch für AktivistInnen
Simon Salzmann

Am 15. November 2014 sollen einige Menschen „Freiheitsberaubung“ an der irischen Vizepremierministerin Joan Burton begangen haben In Wahrheit vollzogen diese Leute, unter anderem Mitglieder der Socialist Party (CWI in Irland), einen symbolischen Protestakt gegen die unsoziale Kürzungspolitik der Regierung und blockierten das Auto Burtons in einer friedlichen Sitzblockade.

Die Folge war eine Ansammlung von widersprüchlichen Vorwürfen und Anklagen. Der irische Staat veranstaltete eine Hetzjagd gegen die AktivistInnen. Ein Mitglied der konservativen Regierungspartei verglich die DemonstrantInnen sogar mit dem IS.

Nun wurden die AktivistInnen freigesprochen. Dies geschah auf dem Rücken einer starken Protestkampagne, getragen von ArbeiterInnen. Die Bewegung wuchs über die Grenzen des irischen Staates hinaus. Sie zeigte auf, dass es dem Staat nicht um einen fairen Prozess ging: z.B. haben Polizeibeamte durch Falschaussagen und inkorrekte Beweise manipuliert.

Die internationale Unterstützung des Protestes, unter anderem von Gewerkschaften und Linksparteien rund um die Welt, war überwältigend: Über 30 Protestaktionen wurden an einem internationalen Aktionstag in über 20 Ländern organisiert. Der Freispruch stärkt den Widerstand gegen die Kürzungsagenda der Regierung. Die Herrschenden werden zunehmend unsicher und die Linke in Irland erhebt sich. Sie zeigt, dass sozialer Protest wirkt, um dieses unterdrückerische System zu bekämpfen.

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Marokko: Kampf für soziale Gerechtigkeit

Demonstrations-Rufe aus dem arabischen Frühling sind seit Monaten wieder auf den Straßen Marokkos zur hören.
Stefan Gredler

Die Menschen in Marokko gehen auf die Barrikaden. Seit Monaten demonstrieren sie gegen die soziale Misere, fehlende Infrastruktur und Perspektivenlogiskeit. Die Monarchie und Regierung antworten mit massiver staatlicher Repression. Zentrum der Proteste ist der Norden und ber Rif, ein Ort mit einer langen kämpferischen Tradition. Gleichzeitig ist die Berber-Region wirtschaftlich am Boden: 63% der Bevölkerung haben offiziell keine Arbeit. Als im Oktober 2016 ein Fischhändler während behördlicher Schikanen ums Leben kam, entfachten sich die Proteste, die bis heute anhalten. Ende Mai wird ein bekannter Anführer der Bewegung, der arbeitslose Nasser Zefzafi verhaftet – und die Proteste gegen die Regierung erreichen einen neuen Höhepunkt. „Wir sind die Kinder der Armen, die einfachen Leute, die auf die Straße gehen um nein zu sagen gegen die Ungleichheit und Tyrannei.“ - mit diesen Worten hatte Zafzafi den Charakter der Bewegung beschrieben. Tausende von Menschen protestieren täglich – nicht nur in Rif, sondern in zahlreichen Städten im ganzen Land. Linke Parteien, Basisinitiativen, Streikende, die Gewerkschaften, die Jugend und vor allem Frauen, die eine zentrale Rolle spielen, sind auf der Straße: für Gleichberechtigung, das Recht auf Arbeit, auf medizinische Versorgung, Bildung und gegen die steigende Repression. Hunderte werden festgenommen, 32 führende AktivistInnen wurden zu mehr als einem Jahr Haft verurteilt. Anfang Juni kam es zu einer der größten Demonstrationen der jüngeren Geschichte Marokkos.

 

Die Entwicklungen in Marokko könnten der Anfang einer neuen revolutionären Welle im Maghreb und folglich im Nahen Osten sein. Vor allem in Tunesien, aber auch in Ägypten nehmen kämpferische Streiks und Arbeitskämpfe zu. Eine erfolgreiche Bewegung oder gar der Sturz des marokkanischen Regimes könnte immense Ausstrahlungskraft auf die gesamte Region haben und auch über Spanien nach Europa schwappen. Dafür braucht es aber vor allem eine politische Kraft, die die Lehren aus dem arabischen Frühling gezogen hat: es reicht nicht, die Regierung auszutauschen. Es braucht einen Bruch mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die der Grund für das Elend und die Ausbeutung ist. So kann diesen Bewegungen Programm und Perspektive geboten werden.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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