Internationales

Katalonien: Kampf um Selbstbestimmung

Schluss mit der Repression durch die Zentralregierung!
René Arnsburg, CWI-Deutschland

Die Unabhängigkeitsbewegung in der katalanischen Region erschüttert den Spanischen Staat in den Grundfesten und droht, das Staatsgebilde der Post-Franco-Ära zu zerschlagen. Die Madrider Zentralregierung unter dem konservativen Präsidenten Mariano Rajoy reagiert mit beispielloser Repression.

Erstmals seit etwa einem Jahrhundert besteht die Möglichkeit, wirkliche Unabhängigkeit zu erkämpfen. Die ArbeiterInnenklasse spielt die entscheidende Rolle in diesem Kampf, während des Madrider Regime mit aller Härte gegen die Bewegung vorgeht. Hintergrund der aktuellen Bewegung für nationale Unabhängigkeit ist die angestaute Wut über den sinkenden Lebensstandard in Folge der Wirtschaftskrise und die Hoffnung, diese Entwicklung in einem unabhängigen Katalonien umkehren zu können.

Eskalation im Zeitraffer

Die regierende Koalition im katalanischen Parlament gewann die Regionalwahlen 2015 mit dem Versprechen, ein bindendes Referendum über eine Abspaltung durchzuführen. Am 6. September sprach sich eine Mehrheit der Abgeordneten dafür aus, woraufhin es durch die Madrider Zentralregierung verboten wurde. Schnell griff die Rajoy-Regierung zu rabiaten Maßnahmen und ließ mindestens zwölf Regierungsmitglieder der Region verhaften. Ende September war der Autonomiestatus Kataloniens de facto aufgehoben und die Konten der Region eingefroren. Mehrere tausend Polizeieinheiten und Anti-Terror-Truppen wurden nach Katalonien verlegt und Material, das über das Referendum berichtet, sowie mehrere Millionen Flugblätter und Stimmzettel direkt in den Druckereien beschlagnahmt. Die Regionalpolizei wurde unter das Kommando der Zentralregierung gestellt, woraufhin deren Präsident verlautbaren ließ, keine Befehle aus Madrid zu befolgen. Begleitet wurden diese Unterdrückungsmaßnahmen von unermüdlichen Massenprotesten und Solidaritätskundgebungen weltweit. Der Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens wird von nationalen Minderheiten auf der ganzen Welt verfolgt und hat jetzt schon internationalen Einfluss auf Bewegungen gegen ethnische oder nationale Unterdrückung.

Für eine sozialistische katalanische Republik!

Viele KatalanInnen stellen sich hinter die Regionalregierung und fordern zurecht ein Ende der Repression und die Freilassung der Gefangenen. Doch die bürgerlichen PolitikerInnen sind kein Garant für wirklich Unabhängigkeit.

Die HafenarbeiterInnen Barcelonas haben zum Beispiel selbst die Initiative ergriffen: Deren Gewerkschaft weigerte sich, die 4000 PolizistInnen einlaufen zu lassen oder zu versorgen, die vor der Stadt auf Schiffen vor Anker liegen. Der Schülergewerkschaft Sindicato de Estudiantes rief zu einem katalanischen Bildungsstreik für den 28. September auf, um einen ersten Schritt in Richtung Generalstreik für die Unabhängigkeit zu machen, zu dem für den 3. Oktober von der katalanischen Gewerkschaft CUP aufgerufen war. Izquierda Revolucionaria (Sektion des CWI im spanischen Staat) unterstützt die Forderung und organisierte in vielen Städten Solidaritätskundgebungen.

Aktivität der Massen entscheidend

Unabhängig vom Ausgang des Referendums und dem Umgang der spanischen Regierung damit (was zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht bekannt war) gilt: Vor Ort müssen die Massen weiter für eine Möglichkeit kämpfen, sich unabhängig von der Regionalregierung in Versammlungen und demokratischen Komitees zu engagieren, denn dies ist die einzige Garantie für wirkliche Unabhängigkeit. Die bürgerliche katalanische Regierung wird nicht die sozialen Forderungen, die hinter der Bewegung der Massen stehen, erfüllen und schon gar nicht auf die Ängste der nicht-katalanischen Bevölkerung eingehen. Die Forderung nach einer katalanischen Republik ist so aktuell wie noch nie, doch nur ein Programm für ein sozialistisches Katalonien kann die Mehrheit der Kleingewerbetreibende, der nicht-katalanischen ArbeiterInnen und der KatalanInnen einen.

Komme zum Protest am 3.10.: https://www.slp.at/termine/solidarit%C3%A4t-mit-katalonien-stoppt-die-repression

Zum Ausgang der Bundestagswahl 2017

Neue Phase der Instabilität eingeleitet – Widerstand gegen AfD und die neue Regierung nötig
Von Sascha Staničić

Nach einem langweiligen und wenig polarisierten Wahlkampf kommt das Ergebnis der Bundestagswahlen einem politischen Erdbeben gleich. Mit der AfD ist eine offen rassistische, rechtspopulistische Partei in den Bundestag eingezogen. Das ist ein Schock für viele und eine Warnung für die Zukunft.

Die Tatsache, dass eine Fortsetzung von Merkels Kanzlerinnenschaft nicht in Frage gestellt war und ihre Einschläferungstaktik im Wahlkampf, ließen tieferliegende gesellschaftliche Prozesse weniger deutlich erscheinen: die Abwendung von den Parteien der Großen Koalition, die generelle Loslösung traditioneller Bindungen an Parteien, das starke Gefühl bei Vielen, dass es im Land ungerecht zugeht, wachsende Verunsicherung zu den medial hochgepeitschten Themen Geflüchtete, Islam und Innere Sicherheit und eine weiterhin zunehmende gesellschaftliche Polarisierung.

Die Bundestagswahl markiert eine parlamentarische Rechtsverschiebung, für die die Masse der Bevölkerung – Lohnabhängige, Erwerbslose, MigrantInnen, Frauen, GewerkschafterInnen – in den nächsten vier Jahren einen bitteren Preis zahlen wird. Der Wiedereinzug der FDP ins Parlament und – wahrscheinlich – in die Regierung wird die Wünsche der ArbeitgeberInnen deutlich weiter nach oben auf die Agenda setzen – ob bei den Themen weitere Erhöhung des Renteneinstiegsalters, weitere Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Angriffen auf das Streikrecht etc. Gleichzeitig wird die AfD die nächste Bundesregierung von rechts unter Druck setzen und vor sich her treiben. CSU-Vorsitzender Horst Seehofer hat am Wahlabend schon deutlich gemacht, dass er diesem Druck nachgeben wird, um die „rechte Flanke zu schließen“. Dabei zeigt gerade das Ergebnis in Bayern, dass eine möglichst rechte Politik der etablierten Parteien der AfD nicht das Wasser abgräbt. Hier hatte sich die CSU oft selbst rechtspopulistisch-polternd gegen Geflüchtete und Migration ausgesprochen und das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren – und die AfD im Freistaat stark gemacht.

Für Gewerkschaften und Linke muss das heißen, sich auf härtere Auseinandersetzungen auf der Straße und in den Betrieben vorzubereiten – und sich nicht in die Defensive drängen zu lassen, sondern vom ersten Tag der neuen Regierung deutlich die eigenen Forderungen zu formulieren und für diese zu mobilisieren.

Es kann kein Zweifel darin bestehen, dass es für Forderungen nach Mietpreissenkungen, Einschränkungen von Leiharbeit, Ausbau von Gesundheits- und Bildungswesen, ein Ende von Niedriglöhnen und Prekarisierung breite Mehrheiten in der arbeitenden Bevölkerung gibt, die aber durch Gewerkschaftsführungen und LINKE nicht mobilisiert werden. Tom Strohschneider hat in einem Kommentar in der Tageszeitung „Neues Deutschland“ darauf hingewiesen, dass sich deutlich mehr Menschen selbst links verorten, als es das so genannte Mitte-Links-Lager im Parlament auf einen Stimmenanteil gebracht hat. Das zeigt zweierlei: wir sehen weiterhin einen Prozess der gesellschaftlichen Polarisierung (und nicht eines einseitigen Rechtsrucks), der sich aber bei den Wahlen nicht nieder schlägt und das Potenzial für soziale Bewegungen und Widerstand von links ist weiterhin vorhanden.

Legitimationskrise der Bürgerlichen

Das Wahlergebnis ist eine schallende Ohrfeige für die Große Koalition. CDU, CSU und SPD haben historische Tiefpunkte erreicht. Das ist auf den ersten Blick ein Widerspruch zu den Umfragewerten, die in der Bevölkerung eine vergleichsweise hohe Zufriedenheit mit der eigenen wirtschaftlichen Situation und ebenfalls relativ hohe Zustimmungswerte für Merkel zum Ausdruck brachten. Aber an Merkel scheiden sich die Geister und die Zufriedenheit mit der eigenen Lage ist nur relativ angesichts der dramatischen Zunahme ungesicherter Arbeitsverhältnisse und der Tatsache, dass vierzig Prozent der Menschen heute ein niedrigeres Einkommen haben als vor zwanzig Jahren.

Aber vor allem die SPD wurde einmal mehr dafür abgestraft, dass sie aufgehört hat, auch nur in Ansätzen sozialdemokratische Politik im klassischen Sinne zu betreiben. Die FDP profitierte von ihrer Abwesenheit im Bundestag über die letzten vier Jahre, was in Vergessenheit gerieten ließ, dass sie an vorderster Front mitverantwortlich ist für die gesellschaftlichen Zustände. Ihr Neuinszenierung hat bei ihrem klassischen Klientel von KleinunternehmerInnen, höheren Angestellten und BeamtInnen funktioniert und nicht Wenige haben FDP statt CDU/CSU gewählt, um die Große Koalition zu beenden. Der Einzug dieser „kleinen Partei des großen Kapitals“ treibt den EigentümerInnen großer Aktienpakete und der Unternehmerschaft die Freudentränen ins Gesicht, haben sie doch nun wieder eine konsequente Interessenvertretung im Parlament, die keine Rücksicht auf die Arbeitnehmerbasis nehmen muss, wie dies CDU/CSU und SPD in Grenzen tun müssen.

Dieses Wahlergebnis zeigt, dass die sich seit vielen Jahren vollziehende Legitimationskrise der Institutionen der kapitalistischen Gesellschaft sich unter der Oberfläche weiter verstärkt hat und nun zu einer politischen Zäsur geführt hat: Erstmals seit Jahrzehnten sind sechs (bzw. sieben, wenn man die CSU als eigenständige Partei betrachtet) Parteien im Bundestag vertreten und gehört dazu eine Partei rechts von CDU/CSU.

Auch die Wahlbeteiligung drückt aus, dass ein Viertel der Wahlbeteiligten dem Parlamentsbetrieb komplett den Rücken zugekehrt haben. Darüber kann der Anstieg von 71 auf 75 Prozent nicht hinwegtäuschen. Die NichtwählerInnen sind auch diesmal stärkste „Partei“.

Das läutet eine neue Phase der politischen Instabilität ein, die sich schon am Tag nach der Wahl darin ausdrückt, dass Neuwahlen nicht ausgeschlossen werden, sollte eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen nicht zustande kommen und Horst Seehofer laut darüber nachdenkt, die CSU von der CDU unabhängiger aufzustellen und möglicherweise keine Fraktionsgemeinschaft zu bilden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Frage einer bundesweiten Ausdehnung der CSU erstmals seit vielen Jahren wieder auf die Tagesordnung kommt.

AfD

Die AfD konnte besser abschneiden, als in den letzten Wochen und Monaten erwartet worden war. Insbesondere in Ostdeutschland konnte sie einen Großteil der ProtestwählerInnen mobilisieren. Dabei ist die Geflüchteten- und Migrationsfrage nur ein Faktor für das gute Abschneiden der Rechtspopulisten. Migrantenfeindlichkeit bzw. Sorgen vor den sozialen Folgen von Zuwanderung sind zweifellos für die meisten AfD-WählerInnen entscheidend. Gleichzeitig erklärt sich der Erfolg der AfD nicht nur daraus. 60 Prozent der AfD-WählerInnen haben der Partei nicht aus Überzeugung ihre Stimme gegeben. Sie wollten ein Zeichen setzen gegen eine herrschende Politik, die immer abgehobener ist und die sozialen Interessen der Bevölkerung ignoriert.

Deutschland hat mit dem Einzug der AfD in den Bundestag an die vielen Länder in Europa aufgeschlossen, in denen rechtspopulistische Parteien schon lange in den Parlamenten vertreten sind. Der Rechtspopulismus ist ein Symptom der Krise der kapitalistischen Gesellschaft mit all ihren sozialen Folgen und der Verunsicherung für breite Teile der Arbeiterklasse und der Mittelschichten. Er konnte stark werden, weil die Sozialdemokratie gänzlich aufgehört hat, eine politische Stimme für Arbeitnehmerinteressen (selbst im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Verhältnisse) zu sein und weil Gewerkschaften und linke Parteien keine überzeugende und kämpferische Alternative gegen das bürgerliche Establishment aufzeigen.

Dabei hatte die AfD nicht zuletzt in den Medien einen Wahlhelfer, der das Thema Migration und Abschiebungen von Geflüchteten in einer Talkshow nach der anderen zum Thema Nummer Eins machte und damit der AfD Rückenwind verlieh.

Es stimmt, dass 87 Prozent nicht die AfD gewählt haben. Das ist umso wichtiger, da davon auszugehen ist, dass die Sympathien mit der AfD in der Breite der Bevölkerung gesunken sind, sie aber in der Lage ist, ihre potenzielle Wählerbasis zu mobilisieren. Die AfD im Bundestag wird aber nicht nur das Parlament, sondern die politischen Debatten und das politische Klima im Land verändern. Die Nähe wesentlicher Teile der AfD zu völkischen und extrem nationalistischen Positionen wird auch den militanten Faschisten Auftrieb geben und diese selbstbewusster machen. Eine neue Regierung wird – in humanistischen Worten – die Daumenschrauben für Geflüchtete anziehen und dem Druck der AfD nachgeben, die Asylgesetze weiter zu verschärfen, rabiater abzuschieben etc.

Die AfD ist jedoch alles andere als ein stabiles Phänomen. Frauke Petrys Entscheidung am Tag nach der Wahl, sich nicht der AfD-Bundestagsfraktion anzuschließen, zeigt das Potenzial für weitere Zerwürfnisse und Spaltungen in der Partei auf. Mit dem Einzug in den Bundestag werden auch Erwartungen bei ihren WählerInnen entstehen, denen die Partei kaum gerecht werden wird. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass sie den Einzug in den Bundestag als Sprungbrett für eine weitere qualitative Stärkung wird nutzen können, jedoch auch nicht, dass sie schnell wieder verschwindet, wie rechtspopulistische Phänomene auf Länderebene in der Vergangenheit.

Der Kampf gegen die AfD muss deshalb ein zentraler Bestandteil der Strategien von Linkspartei und Gewerkschaften sein. Dabei müssen aber die Ursachen für den Erfolg der Rechtspopulisten ins Visier genommen werden: das bedeutet Kampf dem kapitalistischen Establishment und Mobilisierung für die gemeinsamen sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung. Ein erster Schritt könnte ein bundesweiter Aktionstag mit lokalen Demonstrationen und einer Belagerung des Reichstagsgebäudes am Tag der Konstituierung des neuen Bundestags sein.

DIE LINKE

Die Linkspartei konnte ihr Ergebnis leicht verbessern, eine halbe Million Stimmen dazugewinnen, aber nicht verhindern, dass die AfD zur neuen Protestpartei Nummer Eins und zur stärksten der kleineren Parteien geworden ist. Faktisch gibt es zwei Ergebnisse der LINKEN: Zuwächse im Westen und Verluste im Osten.

Es muss ihr eine Warnung sein, dass sie in Ostdeutschland massive Stimmeneinbußen zu verzeichnen hatte, während sie in Westdeutschland (mit Ausnahme des Saarlands) Zugewinne zu verzeichnen hat, die sie in den allen Bundesländern über die Fünf-Prozent-Hürde brachte.

Es gibt zahlreiche westdeutsche Wahlkreise, in der DIE LINKE weit über zehn und bis zu 18 Prozent holte und zum Teil deutlich hinzu legen konnte (so zum Beispiel in Kassel 13,6 Prozent, in Bremen I 14,2 Prozent, Hamburg Altona 15,7 Prozent, Berlin-Neukölln 18,3 Prozent). Im Osten ging es bei dieser Wahl hingegen bergab. Diese Ost-West-Teilung gilt auch für Berlin, wo es die West- und Mischstimmbezirke sind, in denen DIE LINKE zulegte, während in den traditionell starken Ostberliner Stammbezirken Stimmen verloren gingen, auch wenn dort die Direktmandate von Gregor Gysi und anderen verteidigt werden konnten. Im Westen sticht unter anderem Münster hervor, wo die AfD die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreichte, was sicher auch Folge der vielen Mobilisierungen und Kampagnen gegen die AfD in der Stadt war.

Das ist eine Bestätigung derjenigen KritikerInnen in der Partei, die die Orientierung auf Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen als gefährliche Anpassung der Partei an das Establishment sehen. Anders ist nicht zu erklären, weshalb gerade im Osten die Verluste so hoch sind. Hier wirkt, dass sich viele Menschen 25 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik abgehängt und immer noch als Menschen zweiter Klasse fühlen und DIE LINKE diesen Zustand mittlerweile auf höchster Ebene mitverwaltet statt dagegen vor allem zu opponieren. Hinzu kommen zweifellos das niedrige Niveau an sozialen und gewerkschaftlichen Kämpfen und Erfahrungen konkreter Solidarität (auch über nationale und religiöse Grenzen hinweg) und über viele Jahre gewachsene rechte Strukturen, die oftmals stärker sind als in der Fläche Westdeutschlands. Dass diesem Gefühl des Abgehängtseins nun vor allem die AfD Ausdruck verleiht und gegen Geflüchtete und MigrantInnen richtet, ist ein Armutszeignis für die in den ostdeutschen Landesverbänden dominierenden Kräfte in der Linkspartei.

DIE LINKE legt gleichzeitig in Städten und unter jungen Menschen, oftmals mit höherem Bildungsstand, zu, weil sie als einzige Alternative zu AfD und internationalem Trumpismus gesehen wird. Sie läuft Gefahr, diese von diesen Schichten in sie gesetzten Hoffnungen zu enttäuschen, wenn sie nun auf eine Wandlung der SPD in der Opposition (mit Blick auf R2G bei den nächsten Wahlen) setzt, statt sich klar von der nun zu erwartenden sozialdemokratischen Verbalopposition abzusetzen und den Widerstand gegen die vielen SPD-geführten Landes- und Kommunalregierungen zu betonen.

Sahra Wagenknecht liegt mit ihrer Äußerung vom Wahlabend besonders daneben. Sie hatte „mit Blick auf das Flüchtlingsthema [gesagt], man habe »dort auch vielleicht bestimmte Probleme ausgeklammert, in der Sorge, dass man damit Ressentiments schürt«. Damit habe man es »am Ende« der AfD überlassen, »bestimmte Dinge anzusprechen, von denen die Menschen einfach erleben, dass sie so sind«“. (Zitat aus Neues Deutschland)

Diese verschwurbelte Äußerung erinnert an ihre falschen Aussagen in den Jahren 2015 und 2016, wo sie das Asylrecht als „Gastrecht“ bezeichnete, Abschiebungen forderte und Terroranschläge in einen Kausalzusammenhang zu Einwanderung brachte. Es muss verhindert werden, dass DIE LINKE diesen von Sahra Wagenknecht immer wieder ins Spiel gebrachten Weg geht, auf den Erfolg der AfD mit einer Abkehr ihrer migrationspolitischen Prinzipien zu reagieren. Stattdessen ist es nötig, dass die Partei das Thema Geflüchtete und Migration offensiv und von einem Klassenstandpunkt aus aufgreift. Das würde bedeuten, viel offensiver zu formulieren, dass die Geflüchteten-Debatte dazu genutzt wird, von den eigentlichen sozialen Problemen und ihren VerursacherInnen abzulenken, die gemeinsamen sozialen Interessen von MigrantInnen und hier Geborenen in den Mittelpunkt zu rücken und gleichzeitig den Fokus auf eine zugespitzte Propaganda gegen die Macht und den Reichtum des „einen Prozents“ zu legen – und vor allem aufhört in Landesregierungen Autobahnprivatisierungen, Braunkohleabbau und Abschiebungen mitzutragen.

Aussichten

Eigentlich gibt es keine Alternative zu einer Jamaika-Koalition, nachdem sich die SPD aus Gründen der Selbsterhaltung auf die Opposition festgelegt hat. Trotzdem werden die Koalitionsverhandlungen nicht einfach werden. CDU/CSU sind geschwächt, FDP und Grüne werden möglichst viel durchsetzen wollen und in einigen Fragen wird es nicht einfach zu Kompromissen zu kommen. Neuwahlen sind deshalb theoretisch nicht auszuschließen oder auch eine staatstragende Wende der SPD nach einem Scheitern von Jamaika-Koalitionsverhandlungen, aber Neuwahlen würden unter den gegebenen Umständen eher die AfD stärken und die SPD kann sich vier weitere Jahre Große Koalition nicht leisten, wenn sie nicht zur Zehn-Prozent-Partei werden will.

In jedem Fall läuten diese Wahlen das Ende ruhigen Jahre der Merkel-Regentschaft ein. Kommen ökonomische Krisenprozesse hinzu, kann die soziale Frage auch schnell wieder in den Mittelpunkt rücken, was neue Chancen für DIE LINKE eröffnen würde.

 

Spanien/Katalonien: Repression gegen Kataloniens Recht auf Abstimmung

Esquerra Revolucionària (CWI Katalonien)

Die katalanische Bevölkerung hat das Recht auf Abstimmung!

Nach Tagen einer polizeilichen und juristischen Offensive, bei welcher die demokratischen Rechte mit Füßen getreten wurden, hat die Regierung der spanischen Partido Popular (Volkspartei, PP) beschlossen, massive Repression einzusetzen, um das Recht auf Selbstbestimmung der katalanischen Bevölkerung zu verweigern. In einer Operation, welche an die Zeiten der frankistischen Diktatur erinnert, haben Einheiten der Guardia Civil 14 Beamte der katalanischen Regierung verhaftet, welche für die Organisierung des Referendums am 1. Oktober („1-O“) verantwortlich waren. Kaum nachdem die ersten Nachrichten dieser autoritären Aktionen bekannt wurden, strömten tausende Jugendliche und ArbeiterInnen auf die Straßen Barcelonas und vieler anderer Städte um sich der Repression zu widersetzen und die Freiheit und die Rechte der katalanischen Bevölkerung zu verteidigen.

Die Beschlagnahmung von Propagandamaterial; Angriffe auf Druckereien durch die Guardia Civil; die Auferlegung einer massiven Nachrichtensperre; die Verhaftung von Jugendlichen wegen Plakatierens; die Strafdrohungen gegen hunderte BürgermeisterInnen; wahllose Durchsuchung von Akten beim Sitz der katalonischen Regierung und versuchte Angriffe auf Büros der CUP (Liste der Volkseinheit); gerichtliches Einschreiten, um eine politische Veranstaltung zum Selbstbestimmungsrecht in Madrid, Gasteiz und Gijón zu unterbinden; die Intervention in die Finanzen der katalonischen Regierung durch die spanische Zentralregierung; die Entsendung von tausenden Polizeieinheiten nach Katalonien zur Einschüchterung der Bevölkerung und die de-facto-Implementierung eines Ausnahmezustands… All das ist das Handwerk der PP, des Staatsapparats, der Ciudadanos (Bürgerpartei) und bedauerlicherweise auch der Führung der PSOE (Partido Socialista Obrero Español – Sozialdemokratische Partei), mit welchem sie verhindern wollen, dass die katalanische Bevölkerung ihr Recht ausübt, ihre Beziehung zum spanischen Staat selbst zu bestimmen (was bis zur Unabhängigkeit gehen kann.)

Ein beispielloser Angriff gegen die demokratischen Rechte und Freiheiten

Die Polizeioffensive wurde bereits im Vorfeld von der Regierung geplant. Bereits in den Morgenstunden des Mittwochs, 20. September, fand ein Treffen zwischen dem spanische Ministerpräsident Rajoy und Pedro Sánchez sowie Albert Rivera in La Moncloa statt, welche beide Teil der Spitze der PSOE sind. Diese Unterstützung der Führung der PSOE für diese frankistische Offensive gegen die katalanische Bevölkerung ist skandalös!

Die Komplizenschaft der aktuellen Führung der PSOE mit der PP bei der Knebelung des katalanischen Volkes und bei der Verhinderung der Abstimmung am 1. Oktober wird in die Geschichte der Sozialdemokratie als besonders berüchtigt eingehen. Dies ist die Folge einer jahrelangen Politik der Unterstützung des spanischen Nationalismus und des Übereinstimmens in allen wesentlichen Fragen mit der herrschenden Klasse. Sie haben nicht nur den sozialistischen Standpunkt zur nationalen Fragen aufgegeben – welcher immer das Recht auf Selbstbestimmung unterdrückter Nationen verteidigte –, die Führung der PSOE hat sich durch ihre Taten sogar auf die Seite der Frankisten gestellt (auch wenn sie es rhetorisch „Verhandlung“ nennen). Diese verleugnen, dass Katalonien eine Nation ist und sind bereit, einen neuen „Kreuzzug“ zu unternehmen, in welchem sie auf staatliche Gewalt und Repression zurückgreifen, um ihre Position zu untermauern.

Die Idee, dass das Referendum am 1. Oktober einen Staatsstreich darstellen würde und eine „antidemokratische“ Maßnahme gegen einen Teil der katalanischen Bevölkerung sei, ist eine der größten Lügen, welche die Medien der spanischen Bourgeoisie zu verbreiten versuchen. Und sie sind absurd obendrein. Wenn sich der Staat, die PP und die Parteien, die sich ihr unterordnen, so sicher sind, dass die BefürworterInnen der Unabhängigkeit in der Minderheit sind, warum lassen sie dann die Wahl nicht einfach zu? Warum die Abstimmung verhindern? Warum in Venezuela schon und in Katalonien nicht?

In einer demokratischen Abstimmung über die Selbstbestimmung hat jede Person, die nicht für die Unabhängigkeit ist, die Möglichkeit, nicht abzustimmen oder mit Nein abzustimmen. Parteien wie die PP, die Ciudadanos oder die PSEO, welche die Legitimität der Verfassung von 1978 verteidigen, haben viele Ressourcen und Einflussmöglichkeiten um eine Kampagne gegen die Unabhängigkeit zu fahren. Der echte Grund für diese engstirnige Haltung der Rechten und des Staates ist nicht, dass sie die Demokratie verteidigen, sondern das Gegenteil davon: Sie verleugnen, dass die katalanische Bevölkerung das Recht zu entscheiden hat und dass Katalonien eine Nation wäre. Ihre Position ist nichts anderes als die Fortführung einer Linie, die historisch die spanische Bourgeoisie und ihr zentralistischer Staat zum Ausdruck gebracht hat, in welcher sie in der Mehrzahl der Fällen die demokratischen nationalen Bestrebungen von Katalonien, dem Baskenland und Galizien auch mit militärischer Kraft unterdrückte. Dies geschah während der frankistischen Diktatur, und jeder davon erreichte Fortschritt wurde mithilfe von Massenmobilisierungen erreicht.

In einer Pressekonferenz wies Charles Puigdemont, der Präsident Kataloniens, auf die Realität der Situation hin: „Der Spanische Staat hat de facto die Selbstregierung von Katalonien aufgehoben und de facto einen Ausnahmezustand verhängt“. Es ist unglaublich, dass ein Führer einer nationalistischen, bürgerlichen Partei solche Dinge aussprechen muss. Wie weit hat die PP die elementarsten demokratischen Rechte mit Füßen getreten! Jetzt ist klar sichtbar, warum die Partei von Rajoy es immer abgelehnt hat, die frankistische Diktatur zu verurteilen, und man sieht jetzt, was MarxistInnen immer verteidigt haben: Dass der Staatsapparat die grundlegenden faschistischen und reaktionären Element beinhaltet, die in dem sogenannten Übergang nach der Franco-Diktatur nicht abgeschafft wurden, sondern im Gegenteil sogar geschützt und gefördert wurden.

In der Tat sehen wir in Katalonien die praktische Aufhebung der katalanischen Regierung, welche ihre wichtigsten politischen Aufgaben nicht ausführen kann. Die PP und ihre Verbündeten, angefeuert durch die pro-spanischen bürgerlichen Medien, reiben sich die Hände: Endlich wird das Gesetz und der Rechtsstaat umgesetzt und es herrscht die „Demokratie“. Die Partei, die in ihrem Korruptionssumpf feststeckt, die brutale Kürzungen bei der Bildung und im Gesundheitswesen durchführt, die mehr als 100.000 Millionen Euro an Banken geschenkt hat, die uns aus unseren Wohnungen delogiert, uns zur Prekarität und niedrigen Löhnen verdammt, und diktatorische Regimes wie in Marokko und Saudi Arabien unterstützt und militärische Interventionen des Imperialismus fördert… diese Partei will uns die Demokratie erklären!

Wir müssen mit einer massiven Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse und der Jugend antworten: Generalstreik jetzt!

Diese frankistische Offensive wurde auf der Straße entschieden und mutig durch die katalanische Bevölkerung beantwortet, und der Massencharakter dieser beispielhaften Reaktion wird Tag für Tag anwachsen. Es ist jedoch unbedingt notwendig, die ArbeiterInnenklasse in diesen Kampf einzubeziehen und dass diese gemeinsam mit der Jugend und Teilen der Mittelschicht auftreten, welche sich bereits im Kampf befinden. Weiters ist auch eine Reaktion außerhalb Kataloniens erforderlich, da dieser Angriff auf demokratische Freiheiten eine gefährliche Bedrohung für die Bevölkerung ganz Spaniens darstellt, dabei besonders für ArbeiterInnen, Jugendliche und ihre Kampforganisationen.

Als Esquerra Revolucionària (CWI in Katalonien) unterstützen wir diese Mobilisierungen vollständig, welche sich in ganz Katalonien und im spanischen Staat entwickeln. Wenn wir jedoch den autoritären Angriff der Zentralregierung abwenden wollen, muss die ganze Linke, welche sich im Kampf befindet, die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften (CUP, ERC, Catalunya en Comú, Intersindical, CCOO, UGT, CGT…) eine möglichst schlagkräftige Antwort hervorbringen, und das kann nur durch die Ausrufung eines 24-stündigen Generalstreiks gelingen, mit dem wir das ganze wirtschaftliche und soziale Leben in Katalonien stilllegen.

Ein Generalstreik in Katalonien, der von einem Aufruf zu Mobilisierungen der ArbeiterInnenklasse begleitet wird und der Jugend im restlichen Staat in Solidarität mit der katalanischen Bevölkerung und ihrer demokratischen Rechte. Auch muss dieser Streik ein Wendepunkt sein, in welchem die kämpfende Linke die Führung des Prozesses übernimmt und die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechtes mit einem Programm gegen die Kürzungspolitik und die Austerität verbindet. Eine derartige Mobilisierung ist der effektivste Weg um zum einen die PP und ihre frankistische Politik loszuwerden, aber auch die katalanische Rechte aus der katalanischen Regierung zu vertreiben.

Für eine katalanische sozialistische Republik

Der wesentliche Faktor, der bis jetzt eine soziale Rebellion aus der existierenden Wut gegen die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen um den Staat, die PP und ihre kapitalistische Politik zu besiegen, zurückgehalten hat, ist die Tatsache, dass die parlamentarischen Formationen links der Sozialdemokratie (CUP, Podemos, Catalunya en Comú, Izquierda Unida) und die Gewerkschaften auf den Kampf um die Führung dieser bedeutenden Massenbewegungen verzichtet hat. Sie haben es verabsäumt, für ein Programm zu kämpfen, das den Kampf für Selbstbestimmung mit wirtschaftlichen und sozialen Forderungen, die von der Mehrheit der ArbeiterInnenklasse, Jugend und breiteren Schichten gefordert werden, vereint.

So hat die PDeCAT [Katalanische Europäische Demokratische Partei] die formale Führung des Kampfes gegen den Staat und die Regierung der PP bekommen. Es erlaubt diesen bürgerlichen PolitikerInnen, sich als Opfer der autoritären Politik der spanischen Rechten darzustellen. Das hat negative Spaltungen unter der ArbeiterInnenklasse erzeugt. Die Führung des „Prozesses“ durch die kapitalistische PDeCAT hat die Bewegung nicht gestärkt, wie es die FührerInnen der CUP und ERC [Republikanische Linke Kataloniens] behaupteten. Es hat sie geschwächt. Selbst aus der Perspektive der Verteidigung nationaler Rechte. Die FührerInnen der PDeCAT haben nach allen möglichen Ausreden gesucht, um das Referendum nicht auszurufen. Schließlich hat der Druck durch die Bewegung und die Aussicht auf schwere Wahlverluste, wenn sie das Referendum nicht ausgerufen hätten, sie dazu gezwungen es zu tun.

Trotz der Vorstellungen der Reaktion und ihre krude Manipulation der Fakten, die permanent in den Medien ausgespuckt werden, ist es Realität, dass Millionen von jungen Menschen und ArbeiterInnen, die bei der „Volksbefragung“ am 9. November nicht stimmten oder an den Veranstaltungen am Nationalfeiertag, DIADA, nicht teilnahmen, dem katalanischem Volk in ihrem Recht ihre Zukunft zu bestimmen nicht ablehnend gegenüberstanden. Die große Mehrheit dieser wurde gegen alles, was die PP repräsentiert, mobilisiert: Kürzungen, Zwangsvollstreckungen, Korruption. Wenn sie bisher nicht das gleiche für die Unterstützung des Referendums gemacht haben, dann ist das, weil Puigdemont und Beteiligte am Korruptionsfall "Caso Palau" von den katalanischen KapitalistInnen den „Prozess“ führen. Das sind diejenigen, die immer schon auf der Seite der PP gegen die ArbeiterInnen standen in dem sie die Arbeitsrechts“reformen“, Kürzungen bei Gesundheit und Bildung oder Privatisierung zustimmten.

Doch das alles ändert sich jetzt vielleicht. Es gibt keinen Zweifel, dass die Repression, entfesselt durch die PP, einen Schock für Millionen von ArbeiterInnen und jungen Menschen der ArbeiterInnenvierteln von Katalonien ist. Bilder von der Guardia Civil, wie sie Leute verhaftet, und ein sich mit den repressiven Maßnahmen brüstender Rajoy beeinflussen das Bewusstsein von Millionen. Das ist eine Wiederholung von dem, was ältere Generationen unter Franco erlebten, sowohl in- als auch außerhalb von Katalonien. Wir dürfen nicht vergessen, dass die demokratischen Rechte, die wir heute genießen, darunter auch die bestehende Autonomie in Katalonien, ein Erfolg von Massenmobilisierungen von ArbeiterInnen in Katalonien waren, von welchen viele MigrantInnen sind, die mit ihren Familien den „roten Gürtel“ rund um Barcelona besiedeln.

Aktuell sind alle Umstände dafür gegeben, dass sich die Millionen Menschen, die bereits mobilisiert sind und bereit sind, auf den Straßen das Referendum zu verteidigen, sich mit jenen Sektoren verbinden, die gegen die Repression kämpfen, aber der PdeCAT misstrauen. Wenn die Führung der Linken auf nationaler Ebene und in Katalonien und die Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufrufen und die ArbeiterInnenklasse, die Jugend und breitere Schichten der Bevölkerung, innerhalb und außerhalb Kataloniens, für das Recht auf Abstimmung mobilisiert, gegen die PP und die staatliche Repression, dabei sich klar von der PdeCAT distanziert – etwas, was die CUP sofort machen müsste, und was ihr parlamentarisches Abkommen mit der katalanischen Rechten brechen würde – und diese Schlacht mit den Kampf verknüpfen gegen Kürzungen, für würdige Arbeit, für Gesundheit und öffentliche Bildung... dadurch wäre es nicht nur möglich, die Repression zu stoppen, sondern auch den Weg für linke Regierungen und einer sozialistischen Republik Katalonien freizumachen.

Die einzige Möglichkeit, das Recht auf Selbstbestimmung umzusetzen, ist, eine große Mehrheit der Bevölkerung in Katalonien, vor allem die mächtige Arbeiterinnenklasse, zu vereinen. Und zwar auf Basis eines Programms, das den Kampf um Selbstbestimmung mit dem Kampf gegen den Kapitalismus wie zwei Seiten einer Medaille unzertrennlich verknüpft. Mit der katalanischen Bourgeoisie ist eine echte soziale und nationale Befreiung unmöglich.

Als Esquerra Revolucionària rufen wir alle ArbeiterInnen und Jugendliche in Katalonien auf, entschieden gegen den autoritären Vorstoß der PP und des Staates, für das Recht auf Abstimmung und die Durchführung des Referendums am 1. Oktober zu kämpfen, und für eine sozialistische Republik Katalonien, welche die Kürzungen stoppt, Millionen von abgesicherten Arbeitsplätzen mit würdigen Löhnen schafft, Zwangsräumungen stoppt, und Banken und große Unternehmen verstaatlicht um den Reichtum zum Nutzen der Mehrheit umverteilt.

Diese sozialistische Republik Katalonien würde eine überwältigende Sympathie unter den ArbeiterInnen im restlichen Staat hervorrufen (welche den gleichen Feind haben – die Bourgeoisie – und unter den gleichen Angriffen leiden); gleichermaßen in den anderen Ländern Europas, was einen Pfad zur sozialen Transformation und Befreiung aller unterdrückten Völker aufzeigt .

Gegen die Repression und für den Sozialismus, mach mit bei der Esquerra Revolucionària!

Spanien/Katalonien: Eine Million demonstriert in Barcelona für das Referendum über Selbstbestimmung

Statement der Izquierda Revolucionaria vom 18.9.

 

Am 11. September strömte eine Million Menschen auf Barcelonas Straßen und riefen ihre Absicht, beim Referendum am 1. Oktober abzustimmen, laut und deutlich aus – dabei machten sie auch klar, dass sie sich dieses Recht von der regierenden Partido Popular (PP/Volkspartei) nicht nehmen lassen würden.

Wieder einmal, wie an jeder „Diada“ (Katalonischer Nationalfeiertag) seit 2012, forderten die KatalanInnen ihr Recht ein, selbst demokratisch zu entscheiden, welche Beziehungen sie zum Rest des spanischen Staates aufrechtzuerhalten wünschen, einschließlich des legitimen Rechts auf Unabhängigkeit.

Gegen diesen Protest zur Unterstützung des Rechtes, selbst zu Entscheiden, das die überwältigende Mehrheit der KatalanInnen einfordert (wie alle Umfragen bestätigen), und das zunehmend auch von den SpanierInnen insgesamt unterstützt wird, greifen die Regierung der PP und die spanische Bourgeoisie zu repressiven Maßnahmen, wie sie seit der Franco-Diktatur nicht mehr gesehen wurden; Polizeirazzien und fortwährende Schikanen gegen die Presse; gerichtliches Einschreiten, um eine politische Veranstaltung zum Selbstbestimmungsrecht in Madrid zu unterbinden; Zensur, um den katalanischen TV-Kanal 3 an der Ausstrahlung von Sendungsinhalten zum Referendum zu hindern.

Diese Offensive setzt nie dagewesene Schritte, und zwar nicht nur gegen die Rede- und Versammlungsfreiheit. Die Einsetzung eines gerichtlichen und polizeilichen Belagerungszustands gegen BürgermeisterInnen, die Wahllokale vorbereiten, wie auch der Befehl der katalanischen Staatsanwaltschaft – auf Geheiß der spanischen Generalstaatsanwaltschaft - , wonach die Mossos d´Esquadra (katalanische Zivilpolizei) Wahlurnen ausfindig machen und beschlagnahmen soll, zeigen den offenen Gebrauch des Staatsapparates in einem Versuch, den Willen von Millionen KatalanInnen durch Gewalt zu brechen. Mendez de Vigo, ein Sprecher der spanischen Regierung, drohte Freiwilligen, die an der Organisation des Referendums mithelfen, mit Gefängnis: „Ihr wisst, dass ihr an einer Straftat teilnehmt“.

Diese sich steigernde Repression, die von spanischen NationalistInnen, der PP, der Bewegung „Cuidadanos“ und – unglücklicherweise – von der aktuellen Führung der PSOE (Partido Socialista Obrero Español – Sozialdemokratische Partei) begeistert unterstützt wird, könnte in der Suspendierung der katalischen Regierung und des katalanischen Parlaments enden, wenn der Premierminister und Chef der PP, Mariano Rajoy, tatsächlich Artikel 155 der Verfassung anwendet. Wir sehen hier, wie eine Strategie praktisch angewandt wird, die direkt aus dem Handbuch der alten Franco-Diktatur entnommen wurde. Das ist keine Propaganda; die Tatsachen enthüllen den wahren Charakter des spanischen Staates, der Armee, der Gerichtsbarkeit und der Gesetze insgesamt als Teil des Erbes des Francoismus.

Die Gründe der Bewegung und die Position der parlamentarischen Linken

Der tatsächliche Treibstoff des „Prozesses“ ist – abgesehen von den Manövern von Carles Puigdemont (Präsident Kataloniens), sowie der parlamentarischen Unterstützung durch die ERC (Republikanische Linke Kataloniens) und der CUP (Liste der Volkseinheit) – die aufgestaute Wut von Millionen von ArbeiterInnen und Jugendlichen, wie auch eines großen Teils der Mittelschicht. Sie haben es satt zuzusehen, wie auf Träumen und nationalen demokratischen Rechten von der Zentralregierung und den spanischen Institutionen ständig herumgetrampelt wird. Sie haben es satt, dass ihnen ihr Entscheidungsrecht bei dieser und anderen Gelegenheiten verwehrt wird, und dass sie während der letzten neun Jahre kapitalistischer Krise einen ungezügelten Rückgang ihres Lebensstandards und dem ihrer Gemeinden erleiden mussten. Während dieser Zeit sank das durchschnittliche Einkommen einer katalanischen Familie um 20%, und mittlerweile ist jedeR dritte Minderjährige von Armut betroffen.

Während sich eine Handvoll Schmarotzer und korrupter Individueen die Taschen füllen, sind die Spar- und Kürzungspolitik, prekäre Arbeit und niedrige Löhne, sowie Hoffnungslosigkeit unter den Jugendlichen längst zum gesellschaftlichen Alltag geworden. Deswegen, mag der Staat auch all seine Unterdrückungskräfte mobilisieren und den Gebrauch von Wahlurnen verhindern wollen, deswegen können der Zorn und der soziale Aufruhr gegen nationale und soziale Unterdrückung nur wachsen.

Die Annahme, dass das Referendum am 1. Oktober einen Staatsstreich und eine Belastung für weite Teile der katalanischen Bevölkerung darstellen würde, ist eine der größten Lügen, die Medien im Auftrag der Bourgeoisie erzählen, und eine absurde noch dazu. Wenn der Staat, die PP und die ihnen untertanen Parteien so sicher sind, dass die BefürworterInnen der Unabhängigkeit in der Minderheit seien, warum lassen sie dann nicht abstimmen? Warum ein Votum verhindern? Warum geht das in Venezuela, aber nicht in Katalonien? Wer auch immer gegen die Unabhänigkeit ist, kann dagegen stimmen. Der Grund dafür ist, dass die Rechten und der Staat die Mehrheit nicht anerkennen wollen: Dass die katalanische Bevölkerung das Recht hat zu entscheiden, und dass Katalonien das Recht hat, ein unabhängiger Staat zu sein. Diese Haltung ist nichts weiter als das Fortführen einer politischen Linie, die die spanische Bourgeoisie und der zentralistische Staat schon immer verfolgt haben – wie etwa bei der militärischen Niederschlagung national-demokratischer Bestrebungen in Katalonien, im Baskenland und Galizien. Das ist genau das, was schon unter der Dikttur Francos geschah. Seit dem „Übergang zur Demokratie“ war jede Ausweitung von Rechten stets nur das Ergebnis von Massenbewegungen.

Vor diesem Hintergrund brachte die Führung der PSOE mit Pedro Sanchez an der Spitze die Partei auf Linie der PP „zur Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit“. Die PSOE befahl den Bürgermeistern der PSC (PSOE in Katalonien) sich gegen die eigenen BürgerInnen zu stellen, indem sie den Gehorsam gegenüber dem Staat in den Vordergrund rücken sollten. Damit hat sich die Führung der PSOE (neben einigen Intellektuellen, die sich als „links“ oder „fortschrittlich“ bezeichnen) in jenen Stimmungschor eingereiht, der Rajoy unterstützt und dabei die „würdigen“ Argumente vorschiebt, wie schon NODO (jener Nachrichtenkanal, der in der Francodiktatur ein so rosiges Bild Spaniens zeichnete). Die Forderung Carmen Forcadells, Sprecherin des katalanischen Parlaments, es solle im katalanischen Parlament über das Gesetz zum Referendum abgestimmt werden, mit dem rechten Putschversuch vom 23. Februar 1981 zu vergleichen, wie es Almudena Grandes (Akademiker und Kolumnist für „El Pais“) tat, heißt jede politische Orientierung komplett verloren zu haben. Von einer Belastung zu sprechen, einem Streich gegen die Demokratie und ähnliches, zeigt nur, wie weit entrückt man werden kann, wenn man in der Nationalitätenfrage eine antikapitalistische, klassenbewusste Perspektive verlässt.

Millionen von Menschen innerhalb und außerhalb Kataloniens hofften, dass die Podemos-Spitzen Pablo Iglesias und Ada Colau sich als Führung des Kampfs gegen die staatliche Repression und für die Verteidigung Abstimmungsrechts etablieren würden. Noch vor diesem Sommer versprach Iglesias, er würde die Regierung massiv angreifen, sollte sie den Fortgang des Referendums zu verhindern suchen. Jedoch, anstatt von Worten zur Tat zu schreiten, bleiben sowohl Iglesias wie auch Ada Colau nur dabei, darauf zu bestehen, dass das Referendum nur in „verbindlichem Einvernehmen“ stattzufinden habe. Aber Einvernehmen mit wem? Mit jenem selben Staat, der politische Veranstaltungen untersagt, die Zensur eingeführt und führende politische AktivistInnen mit Gefängnis bedroht hat, weil sie durch das Aufstellen von Wahlzellen, die dem Volk ermöglicht hätten abzustimmen, ein Verbrechen begangen hätten? Und wer garantiert, dass dieses Abkommen tatsächlich verbindlich wäre – Rajoy, Saenz de Santamaria und all die andern korrupten PP-RepräsentaInnen? Die ErbInnen des Francoismus und jene, die die Bürgerrechte knebeln? Oder vielleicht gar die königliche Familie und die Bourgeoisie, jene Leute also, die Waffen an reaktionäre Regimes verkaufen,welche dschihadistischen Terror finanzieren, jene, die Geld machen mit der Unterstützung imperialistischer Kriege, Betriebe schließen und den Staatssäckel plündern?

Das Ausbleiben eines glaubwürdigen Kampfes gegen die staatlichen Repressionen seitens der Podemos-Führung führte zu Bewegung an der Basis, insbesondere in Katalonien. Richtigerweise drückte Albano Dante Fachin – Generalsekretär der Podemos in Katalonien - diesen allgemeinen Unmut dadurch aus, dass er die Straßenmobilisierungen für die Abhaltung des Referendums am 1. Oktober verteidigte. Dadurch distanzierte er sich von Aussagen der referendums-feindlichen parlamentarischen Sprecherin der Koalition „Catalunya Si es Pot“ („Catalonia, Yes We Can“), Coscubiela, die auch von der Rechten unterstützt wird. Dante Fachin erinnerte daran, dass die Ursprünge und die Kraft von Podemos in den Protesten auf der Straße lägen, und nicht im Aufgeben vor den staatlichen Institutionen. Das ist hundertprozentig richtig.

Die zweideutige und schwankende Position der Führungen von Podemos und Catlunya en Comu (Gemeinsames Katalonien) ist umso unverständlicher, wenn wir die Erfahrungen der Bewegungen 15-M (bei uns als "Empörte" bekannt, Anm.) oder PAH (Bewegung gegen Zwangsräumungen) mitdenken. Hat 15-M ein Übereinkommen gesucht mit demselbem Staat und seinen Kanälen, die heute das Referendum verhindern wollen, als eben dieser Staat Demonstrationen und Besetzungen als illegal erklärte? Nein, hat sie nicht! Sie stützte sich auf die Mobilisierung der Massen und wehrte alle Versuche diese niederzuhalten ab. Das allein brachte Pablo Iglesias (Podemos-Generalsekretär), Podemos insgesamt und Ada Colau den Respekt und die Anerkennung von Millionen von Menschen ein. Hatte Ada Colau (eines der Gründungsmitglieder der Plattform „Betroffener PfandschuldnerInnen“ und Bürgermeisterin von Barcelona) schon vergessen, wie jene Leute, die sie angriffen, weil sie demokratische und soziale Rechte der Mehrheit vor die Verteidigung des Eigentums, das Gesetz und den Staat stellte, denen glichen, die heute das Referendum attackieren?

Letztendlich war der Druck von unten jedoch stark genug, dass Ada Colau zusagen musste, dass die Lokalbehörden in Barcelona jenen, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wollen, Wahllokale zur Verfügung stellen werden. Dasselbe gelang der Basis von Catalunya en Comu, wo sich die Mehrheit für die Teilnahme am Referendum ausgesprochen hat.

Für eine massive Mobilisierung zum Recht auf Abstimmung als Antwort auf die staatliche Unterdrückung!
Für eine sozialistische Republik Katalonien!

Die spanische Bourgeoisie und die PP zeigen sich trotz aller Ressourcen, die sie zur Verfügung haben, als sehr schwach, wie ihre Unfähigkeit zur Organisation irgendeiner Mobilisierung „zur Verteidigung der Einheit Spaniens“ sowohl in Katalonien selbst, wie auch in anderen Teilen Spaniens beweist.

Genau diese Schwäche zwingt Teile der PP und Cuidadanos (Bürgerpartei), die Medien, die diese unterstützen und nicht wenige der reaktionären und nationalistischen Elemente innerhalb der PSOE – so auch Alfonzo Guerra – dazu, die Anwendung des Verfassungsartikels 155 zu fordern, der die katalonische Autonomie aufheben würde. Zwar bekräftigten verschiedene Regierungsmitglieder, dass sie diese Option zur Zeit noch nicht erwägen würden, andererseits schlossen sie sie aber auch nicht aus. Sich auf diesen Artikel zu berufen, wäre jedenfalls ein qualitativer Sprung mit unvorhersehbaren Konsequenzen.

Es wäre dies nicht nur eine neue Darstellung des reaktionären und anti-demokratischen Wesens der spanisch-monarchischen Verfassung von 1978, vielmehr würde eine so weitreichende Maßnahme auch grausame Unterdrückung erfordern. Nur die begriffstutzigsten und fanatischsten Reaktionäre wollen nicht sehen, dass ein derartiges Unternehmen eine soziale Explosion in Katalonien zur Folge hätte und dieArbeiterInnenbewegung im Widerstand auf den Plan rufen würde. Es ist heutzutage schwierig, ein Referendum nicht stattfinden zu lassen, ohne die demokratischen Errungenschaften wegzuschieben, die in den 1970er Jahren gegen die Franco-Diktatur von der mobilisierten Bevölkerung gewonnen worden sind – was sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Ebenso wird es unter diesen Umständen schwierig sein, einen Generalstreik in Katalonien zu verhindern, was wiederum eine Massenbewegung im Rest Spaniens zur Folge hätte. Esquerra Revolucinaria (Revolutionäre Linke, das CWI in Katalonien, Anm.) und Sindicat d´Estudiants (SchülerInnen- und Studierendengewerkschaft) würden den Ruf nach Besetzung der Höheren Schulen und Universitäten anführen, und für einen unbefristeten Generalstreik im Bildungssektor bis eintreten bis die Reaktion geschlagen sein wird.

Die weitblickendsten Teile der katalanischen, spanischen und europäischen Bourgeoisie erkennen diese Gefahr und rufen Rajoy eindringlich dazu auf, in seinen Versuchen das Referedum zu unterbinden, auf „äußerste Maßnahmen“ zu verzichten. So zum Beispiel die Zeitung „El Pais“, die aus ihrem Widerstand gegen die katalonische Autonomie nie einen Hehl machte, aber nun Scheu vor dem Artikel 155 zeigt, und Rajoy dazu aufruft, dem Druck der Hardliner zu widerstehen. „La Vanguardia“, Sprachrohr der katalanischen Bourgeoisie, brachte die verzweifelte Bitte vor, diesen Konflikt nicht aus der Hand gleiten zu lassen, und entwickelte dabei ihre eigene Logik: „Lasst uns die Konflikte der Vergangenheit auf die Geschichtsbücher einschränken. Das demokratische Europa beobachtet uns“. Wenigstens teilweise passiert das. Selbst die „Financial Times“ kritisierte Rojoys „unflexiblen“ Zugang zum katalanischen Problem scharf.

Derzeit hat sich die spanische Bourgeoisie dazu entschlossen, die direkte Repression auf öffentliche Personen der katalanischen Regierung aufrecht zu erhalten, und ihre eigene Mossos d´Esquadra dazu zu nutzen, Maßnahmen, wie etwa die Beschlagnahme von Wahlurnen zu übernehmen (womit es auch keine Fotos gibt, die die Guardia Civil oder die Armee bei der selben Tätigkeit zeigen könnten).

Dass der „Major“ der Mossos, Josep Lluís Trapero – von der PDeCAT (Katalonisch-europäische demokratische Partei) als Held präsentiert – wie auch andere Unabhängigkeitsbefürworter nach den Attacken des August nur weniger als sechs Stunden brauchten, um den staatlichen Entscheidungen treu zu bleiben, und deren Befehle zu verbreiten, zeigt den Irrtum auf, dass irgendeine Forderung an die Bourgeoisie „auf dem Wege der bestehenden Einrichtungen“ gerichtet werden kann. Aber sogar, wenn sie versuchen, die mediale Wirkung zu reduzieren, wird die Repression gegen das Referendum am 1. Oktober unausweichlich mehr Öl ins Feuer gießen und weiterhin die nationale Frage in Katalonien verschärfen, und niemand könnte dann mittelfristig eine soziale Revolte ausschließen.

Das Einzige, was (bis jetzt) verhindert hat, dass der enorme soziale Unmut in Katalonien Teil einer sozialen Rebellion geworden ist, die den Staat, die PP und deren kapitalistische Politik niederringt, ist, dass die Linke versäumt hat, sich an die Spitze dieser Massenbewegung zu stellen, und dies mit einem Programm, das den Kampf um Selbstbestimmung mit den gesellschaftlichen und ökonomischen Bedürfnissen der Mehrheit der ArbeiterInnenklasse, der Jugend und der Mittelschicht vereint. Die Tatsache, dass die formelle Führung des Kampfs gegen den Staat und die PP-Regierung der PDeCAT überlassen wurde, erlaubte es diesen reaktionär-bürgerlichen PolitikerInnen als Märtyrer der „Demokratie“ zu erscheinen, und es ermöglichte es ihnen, die Spaltungen innerhalb der ArbeiterInnen-Klasse aufrecht zu erhalten. Die Führung im „Prozess“ durch die PDeCAT, und deren Unterstützung durch die Fürhrungspersonen von CUP und ERC unterstützt den Kampf nicht, sondern hält ihn auf. Sogar vom Standpunkt der Verteidigung nationaler Rechte aus gesehen, suchte die Führung der PDeCAT jede erdenkliche Ausrede, um das Referendum zu verschieben, oder gar nicht stattfinden zu lassen. Letztlich war es der Druck der Bewegung und die Aussicht, dass die PdeCAT in den kommenden Wahlen massiv verlieren würde, die sie dazu führte ein Datum für die Abstimmung festzulegen (mit zahlreichen inneren Spaltungen).

In Wahrheit haben jene Millionen Jugendliche und ArbeiterInnen, die am 9. November nicht zur Wahl gegangen sind oder die „Diada“ nicht gefeiert haben, ihr Recht auf Abstimmung nicht zurückgelegt. Viele von ihnen haben gegen Kürzungen, Zwangsräumungen, Korruption und alles, was die PP repräsentiert, mobilisiert. Wenn sie das selbe nicht auch zur Unterstützung des Referendums getan haben, dann liegt das daran, dass Puigdemont und Mas, also jene vom Fall Palau und dem Korruptionsfall der 3 %, immer auf der Seite der PP gegen ArbeiterInnen waren und Arbeitsrechtsreformen, Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen sowie Privatisierungen unterstützten. Aber selbst das könnte sich ändern, sollte die PP sich für Massenrepression entscheiden: Quantität kann in Qualität umschlagen und eine soziale Rebellion bringen, die über die nationale Frage hinausgeht.

Jetzt wäre es möglich, die Millionen, die bereits mobilisiert sind und willens sind, das Referendum auf der Straße zu verteidigen mit jenen zu vereinigen, die Repressionen ablehnen, aber gleichzeitig der PDeCAT misstrauen. Wenn die Führung der Linken im spanischen Staat und in Katalonien zur Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse, der Jugend und der mittleren Schichten innerhalb und außerhalb Kataloniens aufriefen, für das Recht, am 1. Oktober zu entscheiden, gegen die PP und gegen staatliche Repression, würde sie sich deutlich von der PdeCAT abgrenzen – etwas, das die CUP sofort tun sollte, indem sie, ihren parlamentarischen Pakt mit der katalanischen Rechten auflöst. Sie könnten diesen Kampf mit jenem gegen Kürzungen, für ausreichende Beschäftigung, Verteidigung des öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesens verknüpfen. Damit wäre es nicht nur möglich, die Repression zu stoppen, sondern auch die reaktionäre Regierung Rajoy ebenso zu stürzen wie die rechte Regierung Puigdemont, und den Weg zu einer linken Regierung und einer sozialistischen Republik Katalonien zu ebnen.

Der einzige Weg, das Recht auf Selbstbestimmung zu stärken, ist, die Mehrheit der Bevölkerung in Katalonien mit der starken katalanischen ArbeiterInnenklasse an der Spitze zu vereinigen. Das muss geschehen rund um ein Programm, welches unteilbar, wie zwei Seiten einer Münze, den Kampf um Selbstbestimmung mit dem Kampf gegen Kapitalismus verbindet. Es ist unmöglich, echte soziale und nationale Befreiung Kataloniens am Gängelband der katalanischen Bourgoisie zu erreichen. Sogar wenn Unabhängigkeit erreicht würde, würde das nur heißen, dass eine katalanische kapitalistische Republik die Kürzungen und Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse fortführen würde.

Wir von Esquerra Revolucionària kämpfen für eine sozialistische katalanische Republik, die die Kürzungen stoppt und ein hochqualitatives Gesundheits- und Bildungswesen garantiert; die die Probleme der Massenarbeitslosigkeit löst durch die Schaffung von Millionen Jobs mit guten Löhnen und Rechten; die Zwangsräumungen stoppt durch ein öffentliches Wohnbauprogramm mit leistbaren Mieten, das die Immobilienspekulation beendet; die die Banken und Schlüsselbetriebe verstaatlicht und somit den Reichtum für die Bedürfnisse der Mehrheit der Gesellschaft verwendet und den Multimillionen-Dollar-Vermögen einer Handvoll korrupter und parasitärer Individuen ein Ende setzt.

Eine sozialistische katalanische Republik würde überwältigende Unterstützung von ArbeiterInnen aus dem Rest Spaniens erfahren (die den selben Feind haben, nämlich die Bourgoisie, und unter den selben Angriffen und Kürzungen leiden) und in allen anderen Ländern Europas, und somit einen kraftvollen Weg für sozialen Wandel und Befreiung aller unterdrückten Völker öffnen.

Stellungnahme zu den jüngsten Ereignissen: http://www.socialistworld.net/index.php/188-catalonia/9438-spain-catalonia-government-repression-against-catalonia-s-right-to-decide

Slowenien: Interview über den BusfahrerInnenstreik, mit Streikführer Endre Mesaroš

Das Interview führte Christoph Glanninger gemeinsam mit einer slowenischen Gewerkschaftsaktivistin

foto by SVAS

foto by SVAS

foto by SVAS

FahrerInnen der slowenischen Firma Arriva organisierten von 4. bis 14. September einen Streik für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Bezahlung und Einhaltung von Sicherheitsstandards. Die Arriva Gruppe gehört der Deutschen Bahn und ist ein typisches Beispiel dafür, wie westliche Firmen ArbeiterInnenrechte am Balkan mit Füßen treten.

Wir veröffentlichen ein Interview mit Endre Mesaroš, Präsident der Gewerkschaft der BusfahrerInnen Sloweniens, das während des Streiks aufgenommen wurde. Endre Mesaroš wurde aufgrund seiner gewerkschaftlichen Aktivität gefeuert.

Seit dem Interview hat die Gewerkschaft sich mit Arriva über eine Erhöhung des Stundenlohns geeinigt (weitere Details des Deals wurden nicht veröffentlicht). Obwohl viele Forderungen nicht erfüllt wurden, wurde der Streik beendet, aber weitere Konflikte sind nicht ausgeschlossen.

Sie befinden sich im Moment seit über einer Woche im Streik. Worum geht es in diesem Streik?

Die Geschäftsleitung weigert sich, die Probleme im Unternehmen zu diskutieren, wie der große Druck, der auf den Fahrern lastet, das steigende Arbeitspensum bei keiner gleichzeitigen Lohnerhöhung und der Druck der Geschäftsleitung auf die Fahrer, die Fahrtenschreiber zu verfälschen.

2012 und 2013 wurde die Zusatzpensionsversicherung des Unternehmens mit der Erklärung gestrichen, dass Fahrer, die es nicht schaffen, mindestens 60000 km pro Jahr zu fahren, und die nicht mindestens 80% ihrer Arbeitszeit an ihrem eigentlichen Arbeitsplatz (sprich im Bus, ohne Berücksichtigung der Wartezeiten zwischen den Fahrten beispielsweise.) nicht anspruchsberechtigt sind. Diese Kriterien sind unrealistisch, da es unmöglich ist, beispielsweise so viele Kilometer im Stadtverkehr zu erreichen: auch das Unternehmen, das sich mit dem Personentransport in Ljubljana befasst, hat dies bereits festgestellt.

Die Gesetzgebung ist auch Teil des Problems. Es gibt zwei Verordnungen, die die Rechte und Pflichten von Kraftfahrern festlegen: eine bezieht sich auf Kurzstreckenfahrer, die max. 50 km in eine Richtung fahren, während die andere für alle gilt, die über 50 km fahren. Die Unternehmensführung verletzt diese Verordnungen, indem sie Gesetzgebung der Kurzstreckenfahrer auch für jene, die mehr als 50 km fahren, anwendet.

Die Busflotte des Unternehmens ist veraltet: Das Unternehmen kauft Ausschussfahrzeuge mit einem Kilometerstand von über einer Million. Das ist unsinnig: Fahrzeuge mit einem Kilometerstand von einer halben Million zeigen bereits eindeutige Anzeichen von Abnützung und werden abgeschrieben. Doch Arriva kauft sie und versäumt es dann, sie ordnungsgemäß in Stand zu halten. Diese Busse werden dann für den Transport von Schulkindern, Touristen, ArbeiterInnen und anderen Menschen verwendet.

Wir fordern, dass:

  1. Die Unternehmensführung alle Sanktionen gegenüber den Gewerschaftsmitgliedern fallen lässt!

  2. Die Unternehmensführung die Zusatzpensionsversicherung für alle Arbeiter, die mehr als 80% ihrer Arbeitszeit auf ihrem Arbeitsplatz* verbringen, wiedereinführt!

  3. Die Unternehmensführung die gesetzlichen Regelungen für Kurz- und Langstreckenfahrer befolgt.

  4. Der Stundenlohn auf 7 Euro erhöht wird,

  5. Das Management einen Kollektivvertrag für alle Arriva Beschäftigten entwirft, inklusive Vereinbarungen über Beförderungen und faire Bezahlung

  6. das Management sich an alle Bestimmungen hält, die Ausstattung und Bustransport betreffen

Welche Leistungen bietet die Firma an und welche Eigentümerstruktur steckt hinter Arriva?

Arriva Slowenien stellt Kurz- und Langstreckentransport für SchülerInnen, ArbeiterInnen und TouristInnen zur Verfügung. Sie hat den größten Marktanteil im Transport über öffentliche Straßen und besitzt 500 Busse mit über 20.000 Sitzen.

Die Gruppe besteht aus 4 regionalen Tochterunternehmen (Arriva Štajerska, Arriva Dolenjska, Arriva Primorska and Alpetour). Sie sind Teil von Arriva International Ltd International group, mit Sitz in Sunderland in Großbritanien, mit Ablegern in vierzehn europäischen Ländern außerhalb Deutschlands, und einem Bestand von insgesamt 19.500 Bussen. Arriva International gehört der Deutschen Bahn, deren Hauptfokus auf Logistik liegt. Die Deutsche Bahn wollte schon die Slowenische Eisenbahn (Slovenske železnice) und den Hafen von Koper (Luka Koper) kaufen. Das war auch der Grund, aus dem der Premierminister Pahor vor ein paar Jahren, auf den Vorschlag des deutschen Beraters Helmut Mehdorn hin, die Idee einer Holding förderte - zwischen diesen zwei Logistik Firmen und Intereuropa, einer anderen großen Logistikfirma.
 

Macht Arriva Profite?

Um ein gutes Beispiel zu geben: Es gibt 10 FahrerInnen auf der Route zwischen Koper und Piran, zwei kleinen slowenischen Küstenstädten, jeder von ihnen erwirtschaftet zwischen 40 und 50 Tausend Euro im Jahr, das ist eine halbe Million, die allein auf diesen Linien gemacht wird, und das ohne die Monatstickets und die Tickets, die direkt an den Busstationen gekauft werden, zu berücksichtigen.

Die Arriva Gruppe hat letztes Jahr insgesamt 3,5 Millionen Reingewinn erwirtschaftet. Das ist ziemlich umstritten, sogar illegal, weil sämtliche Transportdienste, die Arriva anbietet (außer dem Transport für TouristInnen) gefördert werden, was bedeutet, dass sie keinen Profit erwirtschaften sollten. Ich verstehe nicht, warum die Behörden nicht darauf reagieren.

 

Wie läuft der Streik?

Es gibt ca. 950 ArbeiterInnen, die für die Firma arbeiten, von denen ca. 570 BusfahrerInnen sind – 70% von denen sind im Streik. Das Management bedroht die ArbeiterInnen, indem es Nachrichten an ihre Arbeitstelefone verschickt, die den Streik als Illegal bezeichnen, damit drohen, dass die ArbeiterInnen sowohl vor dem Zivilgericht als auch vor dem Strafgericht für die Teilnahme am Streik verklagt werden und dass ihre Verträge aufgelöst werden. Ähnliche Nachrichten wurden auch auf der Pinnwand in der FahrerInnenzentrale veröffentlicht.

Sie haben Benachrichtigungen über den Streik von den Bussen entfernt, die Security eingesetzt, während der CEO der Firma Bo Karlsson gleichzeitig arrogant verkündet hat, dass er sich weigert, mit „Erpressern“ zu verhandeln.

Es hat keine Entwicklung in den Verhandlungen mit der Geschäftsleitung gegeben, sie sind nur daran interessiert, die gesetzlich festgelegten minimalen Transportleistungen auch während dem Streik aufrecht zu erhalten. Bis zu diesem Tag (Montag, 11. September, 2017) haben wir, als Zeichen unserer Kooperationsbereitschaft, mehr als das geleistet: zusätzlich zu dem Transport zu Schulen und zur Arbeit haben wir auch den Transport zu Gesundheitseinrichtungen organisiert. Ab heute werden die FahrerInnen im Streik nur noch das gesetzlich festgelegte Minimum an Transporten zu Schulen und Arbeitsplätzen leisten. Letzte Woche haben die streikenden ArbeiterInnen in Kranj einen spontanen Protest organisiert.
 

Welche Rolle spielen die politischen Parteien und die Regierung?

Weder der Transportminister, der verantwortlich für den Bereich des öffentlichen Verkehrs ist, der verantwortlich ist, noch die slowenische Regierung haben bisher reagiert.

Erhaltet ihr Solidarität von Gewerkschaften oder anderen Organisationen?

Es gab eine große Reaktion von Gewerkschaften aus dem In- und Ausland; einschließlich der Gewerkschaft der Postbediensteten; Schiffsarbeiter; Minenarbeiter; Sozialarbeiter; Beamte; Feuerwehrleute; Polizisten; Verkäufer; Universitätsangestellte​; Journalisten; Versicherungsmakler; Arbeiter im Gesundheitsbereich und viele andere. Sie senden uns Solidaritätsbriefe, die wir auf unserem Facebookprofil veröffentlichen und sie haben an die Geschäftsführung von Arriva Slovenia geschrieben und sie dazu aufgefordert, die Behinderung der Aktivität unserer Gewerkschaft zu unterlassen, zu der wir verfassungsrechtlich berechtigt sind und forderten sie auf, unsere Forderungen zu erfüllen.
Wir haben keine Unterstützung von den beiden zuständigen Gewerkschaften in der Firma bekommen, sie bleiben dem Management treu. Das Management hat vorgeschlagen, dass diese beiden Gewerkschaften an den Verhandlungen teilnehmen sollen, aber wir wehren uns gegen diese Möglichkeit. Wenn wir es schaffen, eine Erhöhung des Stundenlohns zu erreichen sind wir bereit, den Streik vorübergehend bis Neujahr zu beenden und gemeinsam mit anderen Gewerkschaften die Verhandlungen für einen neuen Kollektivvertrag aufzunehmen.
 

Danke für das Interview!

Nordkorea, die USA und die atomare Pattsituation

Niall Mulholland

Der Konflikt droht zu eskalieren

Der Test einer Bombe am 3. September, der der bisher schwerste war, den Nordkorea bislang durchgeführt hat, und die kriegslüsterne Reaktion der USA belegen, wie instabil und gefährlich die Situation auf der Halbinsel und in der gesamten Region ist.

Die heftige Detonation im Norden des Landes war bis nach Südkorea und China zu spüren. Das Regime behauptet, es habe eine Wasserstoffbombe gezündet, die bis zu 14-mal stärker war als beim letzten Test einer Bombe.

Einige Stunden später hat dann Südkorea mit Unterstützung der USA Militärübungen durchgeführt und Raketen abgefeuert. Ein Angriff auf Nordkorea wurde simuliert.

Angesichts der auf beiden Seiten an Schärfe zunehmenden Kriegsrhetorik wird in den nächsten Tagen von weiteren Bombentests durch Nordkorea ausgegangen.

Nachvollziehbarer Weise sind viele Menschen in der Region und weltweit voller Sorge, dass die aggressiven Aktionen der USA und die Waffenprogramme Nordkoreas zu einem bewaffneten Konflikt führen können – mutwillig oder „zufällig“ herbeigeführt. Sogar ein atomarer Krieg scheint nicht ausgeschlossen. Der Gedanke an einen bewaffneten Konflikt zwischen beiden Staaten, der Folgen für den ganzen Planeten hätte (die Rede ist von einem durch eine Kernreaktion ausgelösten „nuklearen Winter“). Unzählige Menschenleben wären in Gefahr und es könnte zu schweren Folgen für die Umwelt kommen. Diese Option hält Millionen von Menschen in Atem.

Das Waffenarsenal Nordkoreas ist zwar entsetzlich, aber nichts im Vergleich zu den 7.000 Atomsprengköpfen, mit denen die Supermacht USA aufwarten kann. Und die USA sind das einzige Land, das jemals Atomwaffen eingesetzt hat: 1945 wurden die japanischen Städte Nagasaki und Hiroshima bombardiert, was hunderttausende Tote zur Folge hatte.

Während Trump die nordkoreanische Bedrohung für den „Weltfrieden“ verurteilt, ist es die imperialistische Supermacht USA, die in diesem Jahr bereits über 6.000 Bomben in verschiedenen Ländern abgeworfen hat. Dabei sind tausende Unschuldige ums Leben gekommen, in den meisten Fällen vollkommen verarmte Menschen.

Die Trump-Administration hat auf den Bombentest Nordkoreas sehr unterkühlt reagiert. Auf die Frage, „Werden sie Nordkorea angreifen?“, antwortete Trump: „Das werden wir noch sehen.“
US-Verteidigungsminister James „Mad Dog“ Mattis warnte, Nordkorea drohe „eine massive militärische Antwort“ auf alle Drohungen in Richtung der USA und seiner Verbündeten. Das würde zur „völligen Vernichtung“ Nordkoreas führen. Gleichzeitig erklärte Mattis, dass die USA keine Pläne für einen „Regimewechsel“ hätten. Das ist Ausdruck der sehr begrenzten Optionen, die das „Weiße Haus“ hat, und ist Beleg für die sich widersprechenden Haltungen, die in der Administration vorzufinden sind.

Sanktionen

Nikki Haley, der US-amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, erklärte, dass Kim Jong-un „um Krieg bettelt“ und forderte den Abbruch sämtlicher Handelsbeziehungen zu Nordkorea. Schon werden neue Sanktionen diskutiert – die ersten Sanktionen der USA reichen bis 1950 zurück. Die neuen Forderungen beinhalten das Ende aller Öllieferungen und Finanztransaktionen sowie einen Einreisestopp für nordkoreanische ArbeiterInnen (schätzungsweise sind mehr als 50.000 ArbeiterInnen aus Nordkorea in China und Russland beschäftigt, die ausländische Devisen ins Heimatland zurücksenden).

Das wiederum ist eine direkte Bedrohung für die Interessen Chinas. Das Land gilt als wichtigster Handelspartner Nordkoreas und erster Öllieferant.

Gerade erst sind wieder UN-Sanktionen gegen Nordkorea beschlossen worden, darunter auch ein Stopp von Lieferungen von Kohle, Blei, Fisch und Meeresfrüchten im Wert von einer Milliarde Dollar jährlich bzw. einem Drittel der Jahreseinnahmen.

Auf Twitter drohte Trump, „jeglichen Handel mit Ländern zu beenden, die mit Nordkorea Geschäfte machen“. Diese lebensmüde Politik würde dazu führen, dass der Handel zwischen den USA und China, den beiden größten Wirtschaftsmächten der Welt, eingestellt werden müsste. Das würde heftige Handelskriege nach sich ziehen und die Weltwirtschaft ins Chaos stürzen. Am wahrscheinlichsten wäre in dem Fall eine schwere wirtschaftliche Depression.
Das Regime in China hat den jüngsten Atomtest Nordkoreas als „Fehler“ bezeichnet und entschieden dazu aufgerufen, die Krise „friedlich“ zu lösen.

Die sogenannten „Freeze for freeze“-Vorschläge Chinas und Russlands, wonach die USA und Südkorea mit ihren massiven Militärmanövern an der Grenze zu Nordkorea aufhören sollen und Pjöngjang im Gegenzug die Atombomben- und Raketentests einstellt, um zu Gesprächen zu kommen, werden vom „Weißen Haus“ in den Wind geschlagen.

Sowohl China als auch Russland grenzen an Nordkorea und konkurrieren mit den USA in der Region Eurasiens. Sie kritisieren das Atomwaffenprogramm Pjöngjangs unter anderem deshalb, weil der US-Imperialismus damit einen Vorwand für die massive Aufrüstung auf der koreanischen Halbinsel bekommt.

Gleichzeitig leisten China und Russland unentwegt Widerstand gegen schwerwiegende Sanktionen (z.B. ein Ölembargo), weil das zu sozialem Chaos in Nordkorea oder gar zum Zusammenbruch des Regimes in Pjöngjang führen könnte. Die Folge wären Millionen von Flüchtlingen, die nach China oder auch Russland einreisen wollen würden. Man fürchtet das Ende des nordkoreanischen „Puffers“, weil danach ein „wiedervereinigtes“ Korea unter US-amerikanischer Kontrolle entstehen könnte. Dieses Korea könnte Massenvernichtungswaffen bekommen, die direkt vor ihrer Haustür auf China und Russland gerichtet werden könnten. Es ist wahrscheinlich, dass die beiden Länder für nur abgeschwächte Sanktionen sorgen werden, nachdem die USA und ihre Verbündeten bei der UNO für eine Verschärfung plädiert haben.

In einer wütenden Reaktion auf drohende Sanktionen wandte Russlands Präsident Putin ein, dass Kim Jong-un nicht „verrückt“ ist, wie die westlichen Medien den nordkoreanischen Diktator gerne beschreiben, sondern dass er vernünftig handelt. „Wir alle erinnern uns gut daran, was mit dem Irak und mit Saddam Hussein passiert ist. Hussein hat aufgehört, die Massenvernichtungswaffen zu produzieren . . . Und auch in Nordkorea weiß man das und erinnert sich genau“, so Putin weiter. „Und Sie glauben, dass Nordkorea [seinen Kurs] wegen einiger Sanktionen aufgeben wird?“.

Tatsächlich macht das Regime von Kim Jong-un den Anschein, als würde es sein Atomwaffenprogramm mit beschleunigtem Tempo verfolgen, um es als „Abschreckung“ gegen einen von den USA angeführten Militärschlag ins Feld zu führen. Gaddafi, der Diktator von Libyen, hat 2003 sein Atomprogramm aufgegeben und dafür Zusagen erhalten, ins Handelsgeflecht mit aufgenommen zu werden und Teil von Sicherheitsabsprachen mit dem Westen zu werden. 2011 haben die USA und ihre Verbündeten aber die Aufständischen gegen Gaddafi unterstützt. Das hat zum Sturz seines Regimes und zum grausigen Ende von Gaddafi selbst geführt.

Welche Sanktionen auch immer gegen Nordkorea verhängt werden: Leiden müssen die arbeitenden Menschen in dem Land, und das Regime in Pjöngjang betrachtet die Atomwaffen als seine einzige echte Verhandlungsmasse und Überlebenschance.

Stalinismus

Die Bomben- und Raketentests des Regimes in Nordkorea erhöhen mit Sicherheit das Risiko eines Konflikts, doch die Hauptverantwortung für diese gefährliche Situation in Nordostasien liegt bei der aggressiven und waghalsigen Trump-Administration.

Beim Regime in Nordkorea handelt es sich um eine besonders groteske Form des Stalinismus. Aber die Entwicklung dieses Regimes ist stark dadurch beeinflusst worden, dass der US-Imperialismus über Jahrzehnte hinweg eine militärische Bedrohung dargestellt hat.

1910 hat der japanische Imperialismus Korea brutal annektiert. Die Unabhängigkeitsbewegung Koreas wandte sich in den 1930er Jahren dem bewaffneten Widerstand zu. Kim Il-sung, der Großvater Kim Jong-uns, führte über 13 Jahre einen Kampf an, der 1945 schließlich mit dem japanischen Kontrollverlust über Korea endete.

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs befürchteten die USA, dass die in den Norden der Halbinsel eindringenden SowjetsoldatInnen – zusammen mit zehntausenden koreanischen Guerillas unter Führung der Koreanischen Kommunistischen Partei – ganz Korea unter ihre Kontrolle stellen würden. Das US State Department teilte Korea entlang des 38. Breitengrades und 25.000 US-Truppen besetzten den Süden Koreas, um eine brutale Militärregierung zu etablieren.

Nach einer Reihe von südkoreanischen Einfällen im Norden brach am 25. Juni 1950 Krieg aus. Der US-Oberbefehlshaber, General MacArthur, schlug vor, zwanzig oder dreißig Atombomben über dem Norden abzuwerfen (für diese Unüberlegtheit wurde er durch US-Präsident Eisenhower des Kommandos enthoben). Unter dem Banner der UN (inklusive 60.000 britischer Truppen) bedeutete die konventionelle Bombardierung des Nordens, welche zuvor die industrialisierteste Region Koreas war, massive Opfer. Zwei Millionen ZivilistInnen starben und die Infrastruktur des Landes wurde massiv zerstört.

Zeitgleich ging das südliche Militärregime mit brutaler Repression gegen jeden und jede vor, die/der auf der politischen Linken vermutet wurde. Schätzungen gehen von mindestens 300.000 Menschen aus, die in den ersten Kriegsmonaten im Süden in Gewahrsam genommen, hingerichtet wurden oder „verschwunden“ sind. Viele der Verantwortlichen dienten zuvor den japanischen Herrschern und wurden von den Amerikanern wieder eingesetzt.

Der Korea-Krieg endete 1953 mit der Grenze, an der er anfing. Es gab keinen formalen Friedensvertrag und die USA weigerten sich die „Demokratische Volksrepublik Korea“ anzuerkennen.

Der Krieg und die Jahrzehnte der militärischen Bedrohung durch die USA führten dazu, dass Nordkorea zu einer immer mehr isolierten, monolithischen Form des Stalinismus wurde. Kim Jong-un ist der erbbedingte Führer eines Regimes, welches für seine Fremdenfeindlichkeit, seinen Personenkult und seine Scheinideologie namens „Juche“ (Selbstversorgung) berüchtigt ist. Das totalitäre Regime hält hunderttausende politische Gefangene in Arbeitslagern gefangen.

Reaktionäre Regime in Südkorea und die fortgesetzte, militärische Bedrohung gaben dem stalinistischen Regime Raum, seine Herrschaft zu legitimieren. Die USA, welche „operative Kontrolle“ über die koreanische Armee ausübt, sah tatenlos zu, wie in Südkorea zwei rechte Militärputsche stattfanden – 1961 und 1980.

In den ersten Jahrzehnten seiner Existenz konnte Nordkorea auf Basis einer geplanten Wirtschaft den Süden wirtschaftlich überholen. Der Lebensstandard konnte beachtlich gehoben werden, ebenso wie der Grad an Alphabetisierung, an Gesundheitsversorgung und an Bildung. Das Land wurde großflächig urbanisiert und industrialisiert.

Doch wie in allen stalinistischen Staaten untergrub die von oben nach unten organisierte und bürokratische Herrschaft die Erfolge der Planwirtschaft und wurde letztlich zu einem grundlegenden Hindernis für die weitere Entwicklung. Der Militärapparat, welcher rund eine Million Truppen und ein riesiges Spektrum konventioneller Rüstung umfasst, ist eine riesige Bürde für die Wirtschaft.

Die nordkoreanische Wirtschaft

Die Wirtschaft wurde besonders durch den Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 getroffen. Billige Importe waren nicht mehr zugänglich. Das wurde durch Überschwemmungen und daraus resultierende Hungersnöte in den Jahren 1995 und 1996 noch verstärkt.

Die Führung unter Kim Jong-il musste die Entwicklung privater, landwirtschaftlicher Märkte erlauben. 2002 verkündete das Regime die Entstehung zweier Sonderwirtschaftszonen.

Sowohl die Zahl der offiziellen als auch die der Schwarzmärkte sind gestiegen – ebenso die Zahl privater Unternehmen. 2013 verkündete Kim Jong-un seine „Byungjin“-Linie – eine Politik, die sowohl die Wirtschaft als auch die Atomwaffenbestände entwickeln soll. Damit wurden 400 Märkte neu erlaubt. Gleichzeitig machen Schwarzmärkte mittlerweile siebzig bis neunzig Prozent des gesamten Haushaltseinkommen aus. Die südkoreanische Zentralbank gab im letzten Monat an, dass die Wirtschaft des Nordens 2006 um 3,9 Prozent gewachsen ist – das schnellste Tempo seit 17 Jahren. Jedoch ist die Wirtschaft „weit davon entfernt, sich bis auf Vorkrisen-Niveau zu erholen“, laut Professor Byung-Yeon Kim von der Seoul National University.

Kapitalisten in ganz Ostasien wollen selbstverständlich Nordkoreas billige Arbeitskräfte ausbeuten.

Nur wirkliche, demokratische Arbeiterkontrolle und -verwaltung auf allen Ebenen der nordkoreanischen Gesellschaft könnten das volle Potenzial der geplanten Wirtschaft verwirklichen. Das beinhaltet den Sturz des Kim Jong-un-Regimes sowie den Schulterschluss mit der Arbeiterklasse in Südkorea im Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus.

Obwohl Trump gegen Nordkoreas nukleare Bestrebungen wettert, waren es die USA die Nuklearwaffen erst auf die koreanische Halbinsel im Jahr 1958 brachten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden sie wieder abgezogen. Seit 1991 führten die USA regelmäßige Flüge von mit Atomwaffen bestückbaren Bombern im südkoreanischen Luftraum durch und atomwaffenfähige U-Boote der USA befuhren die umliegenden Gewässer. Die USA behalten ebenfalls eine massive „konventionelle“ Militärpräsenz in Südkorea bei.

Nukleare Leistungsfähigkeit

Als Reaktion darauf beging Nordkorea den langen Weg in Richtung des Aufbaus von Nuklearkapazitäten und testete 1992 seine erste Mittelstreckenrakete und 1998 seine erste Langstreckenrakete. Es nutzte die von seinernNuklearwaffen ausgehende Bedrohung und das riesige konventionelle Arsenals, um die US-Supermacht in Verhandlungen zu zwingen. Das Regime brauchte ökonomische Zugeständnisse um nicht zusammenzubrechen und strebte nach einem Ende der strategischen Belagerung durch die USA, welche selbige seit Ende des Korea-Kriegs aufrecht erhielt.

US-Präsident Bill Clinton gab zu, dass „wir tatsächlich Pläne für Angriffe auf Nordkorea und zur Zerstörung ihrer Reaktoren entwarfen und wir sagten ihnen, dass wir angreifen würden, wenn sie ihr Atomprogramm nicht einstellten.“ Doch in Anbetracht der nackten Fakten (eine Million Tote bei einem Krieg auf der Halbinsel, inklusive 100.000 AmerikanerInnen und Kosten in Billionenhöhe) schlug der US-Imperialismus eine andere Richtung ein und begründete ein verhandeltes „Rahmenabkommen“ mit Nordkorea.

Laut dem Deal würde Nordkorea sein Nuklearwaffenprogramm aussetzen. Die USA würden wirtschaftliche Unterstützung leisten – in Form von Öl, Lebensmitteln und dem Bau zweier Leichtwasserreaktoren (welche kein Plutonium produzierten) zur Elektrizitätserzeugung. Außerdem würden die USA auf eine „volle Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen“ hinarbeiten.

Der Handel führte dazu, dass alle Plutonium-Anlagen im Norden für acht Jahre (1994 bis 2002) heruntergefahren wurden. Teilweise wurden Schritte in Richtung Ausmusterung der nordkoreanischen Raketen unternommen. Die USA erfüllten aber nie ihre Versprechen, was dazu führte, dass Nordkorea geheim seine Nuklearwaffenpolitik erneuerte.

Ein großer Teil der Kapitalistenklasse in Südkorea war hingegen stark für ein Abkommen mit dem Norden, um einen Zusammenbruch und eine große Flüchtlingskrise zu verhindern. Das führte zu einem Gipfeltreffen zwischen Nord- und Südregime im Juni 2000.

Doch die militaristische Administration unter George W. Bush ließ das Rahmenabkommen fallen und brach alle Gespräche mit Nordkorea ab. In seiner berüchtigten Rede zur Lage der Nation 2002 erklärte Bush Nordkorea zum Teil einer „Achse des Bösen“.

Nichtsdestotrotz begannen 2003 die „Sechs-Parteien-Gespräche“ zwischen Nord- und Südkorea, den USA, Russland, China und Japan. Nordkorea bekäme wirtschaftliche Unterstützung, wenn es sich im Gegenzug verpflichtet dir Arbeit an seiner Nuklearbewaffnung einzustellen. Im Juli 2007 bestätigte die Internationale Atomenergie-Organisation, dass der Plutonium produzierende Reaktor in Yongbyon heruntergefahren war.

Doch der gegenseitige Argwohn und das Misstrauen zwischen Nordkorea und den USA erwiesen sich als unüberbrückbar. Nordkorea war wütend über die nicht endenden Forderungen nach Informationen über sein Nuklearprogramm und die USA behaupteten, dass Nordkorea ein geheimes Uran-Anreicherungs-Programm fortsetzen würde.

Unter der Obama-Administration gab es keinen bedeutenden Politikwechsel betreffs Nordkorea – trotz der abgemilderten Kriegsrhetorik. Der Amtsantritt der aggressiven, rücksichtslosen Trump-Administration läutete wiederum eine gefährliche Zunahme der Spannungen ein.

Eingeschränkte Möglichkeiten des US-Imperialismus

Trump ist wie vorherige US-Präsidenten mit denselben eingeschränkten Optionensmöglichkeiten konfrontiert – heute umso mehr, da Nordkorea kurz vor dem Besitz atomwaffenbestückter Raketen zu stehen scheint. Pjöngjang behauptet, dass diese das amerikanische Festland erreichen können.

Kurz bevor er vom Weißen Haus gefeuert wurde, beschrieb Steve Bannon, Mitglied der Alt-right-Bewegung und ehemaliger Trump-Berater, die Beziehung zwischen den USA und Nordkorea als ein Beispiel für einen „Wirtschaftskrieg“ mit China. Bannon stellte fest, dass es „keine militärische Lösung“ gäbe um Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm zu stoppen.

„Vergesst es“ teilte er dem Magazin American Prospect mit (16. August). „Bis jemand den Teil der Gleichung löst der verhindert, dass 10 Millionen Menschen in Seoul in den ersten 30 Minuten durch konventionelle Waffen sterben, verstehe ich nicht wovon man redetet, es gibt hier keine militärische Lösung, sie haben uns in der Hand“

Aufgrund des massiven Artillerieaufgebots, an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea, vermuten Militäranalytiker, dass 100.000 Menschen in Seoul in den ersten Tagen eines Konfliktes sterben könnten. Und es gibt keine Garantie darauf, dass ein US-Militärschlag alle versteckten Teile des nordkoreanischen Atomprogramms zerstören könnte.

Viele führende und ehemalige US-Beamte teilen Bannons Ansicht. „Er hat absolut recht“, kommentierte zum Beispiel der frühere, für die Verhandlungen über Nordkoreas Atomprogramm zuständige Joel S. Wit, die Situation. „Dieser (US-Erstschlag) ist keine glaubwürdige Drohung und war es auch in Wirklichkeit nicht mehr seit den 1990ern. Wir haben so getan als ob es glaubwürdig ist, aber in Wirklichkeit ist es nicht so.“

Der Leitartikel (5. September) der Financial Times stellte unverblümt fest: „Die Welt hat keine andere Wahl als mit einem atomar bewaffnetem Nordkorea leben zu müssen. Die USA können diesen Fakt nicht ändern ohne ein katastrophales Risiko einzugehen.“

Im August, gab der südkoreanische Präsident Moon Jae-in ähnliche Kommentare ab: „Ich kann selbstbewusst sagen, dass es keinen Krieg auf der koreanischen Halbinsel geben wird.“

Nach dem nordkoreanischen Bombentest am 3. September beschuldigte Trump Südkorea Beschwichtigungspolitik zu betreiben und stellte auch die Weiterführung des Freihandelsabkommen zwischen den US und Südkorea in Frage – ein sehr provokatives Statement von dem sich das Weiße Haus schnell wieder distanzierte.

Moon Jae-in selbst steht enormem Druck im Land gegenüber, nachdem Massenproteste die Amtsenthebung seines rechten Vorgängers erzwungen haben. Er versprach repressive Sicherheitsgesetze zurückzunehmen, um die Aussöhnung mit Nordkorea zu fördern und auch, dass Seoul eine von den USA unabhängigere Außenpolitik einnehmen würde. Während sich Moon Jae-in unter intensivem Druck befindet mehr US-Raketen zu akzeptieren, wird berichtet, dass seine Regierung ein eigenes Atomwaffenprogramm erwägt.

Instabil und gefährlich

Trotz der überwältigenden Zahl an Fakten, die gegen einen US-Erstschlag sprechen, bleibt die Situation instabil und gefährlich. Die Protagonisten Kim Jong-un und Donald Trump sind unberechenbar. Die New York Times warnt, dass Trump Gespräche mit Kim Jong-un in die Wege leiten soll „bevor Absichtserklärungen und Fehleinschätzungen zum Krieg führen.“ Falsch kalkulierte, „taktische“ Militärmanöver und -scharmützel oder „unbeabsichtigte“ Vorfälle können zu einer Spirale ausgeweiteter, zerstörerischer Konflikte führen.

Das Weiße Haus veröffentlicht widersprüchliche Statements, wie es beabsichtigt mit Nordkorea umzugehen. Das spiegelt nicht nur den instabilen Charakter der Präsidentschaft Trump sondern auch die intensiven Debatten und Uneinigkeiten innerhalb der herrschenden Kreise der USA wider.

Teile des US-Establishments raten zu aggressiveren Aktionen. In einem kampfeslustigen Leitartikel ruft das Wall Street Journal nach der Stationierung von Atomwaffen in Südkorea und ermutigt nordkoreanische „Eliten überzulaufen oder einen staatsinternen Putsch anzuzetteln.“ In eiskalter Manier fährt der Artikel fort, Massenaushungerung als Waffe gegen Pjöngjang zu nutzen: „Das Vorenthalten von Lebensmittelzufuhren wäre normalerweise unethisch, doch Nordkorea ist ein Ausnahmefall.“ (WSJ, 5. September 2017)

Ein bewaffneter Konflikt auf der koreanischen Halbinsel würde riesige antiimperialistische und gegen den Krieg gerichtete Proteste auf der ganzen Welt hervorrufen. Selbst revolutionäre Bewegungen wären möglich – zumindestens in den USA, in denen die Trump-Administration schon jetzt von großen Teilen der amerikanischen Bevölkerung verabscheut wird.

In Südkorea fanden diese Woche Proteste gegen die Installation neuer US-Raketen statt. Die südkoreanische Arbeiterklasse hat eine stolze Geschichte voller Massenkämpfe gegen Militarisierung aufzuweisen. Außerdem haben Massenbewegungen frühere Militärdiktaturen gestürzt.

Auf lange Sicht muss sich die USA wahrscheinlich mit der Perspektive abfinden, in Verhandlungen mit Nordkorea zu treten und einen Deal auszuhandeln, der versucht das mit Atomwaffen ausgerüstete Nordkorea zu zügeln. Die Washington Post berichtet, dass die USA und Nordkorea „einen stillen diplomatischen Kanal in den letzten Monaten offen gehalten haben, welcher für nachhaltigere Verhandlungen genutzt werden könnte.“

Doch der einzige Weg, um langfristigen Frieden und Stabilität in der Region zu sichern, ist der Aufbau einer starken internationalen Opposition der Arbeiterklasse gegen die Trump-Administration, gegen die Militarisierung der koreanischen Halbinsel und für die weltweite Vernichtung aller Atomwaffen.

Damit verbunden ist der Kampf der Arbeiterklasse – auf der nordkoreanischen Halbinsel, der gesamten Region und in den USA – für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen und nicht nach Profiten richtet. Die Vereinigung Koreas auf einer wirklich sozialistischen Basis und die Gründung einer freiwilligen und gleichberechtigten, sozialistischen Föderation in der Region würde der Klassenausbeutung und den Kriegen ein Ende setzen.

Vereinigungskongress zwischen CWI und IR

Die Kräfte des revolutionären Marxismus werden gestärkt.
Antonio García Sinde, Mitglied des Zentralkomittees von Izquierda Revolucionaria

Am 22. Juli fand in Barcelona/Spanien der Vereinigungskongress zwischen dem CWI und Izquierda Revolucionaria (IR, Revolutionäre Linke) statt - zweifellos ein großer Fortschritt für die Kräfte des revolutionären Marxismus. Vor zehn Jahren begann die größte Krise des kapitalistischen Systems seit der Großen Depression, die 1929 begann und führte zu tiefgreifenden Veränderungen bei den Klassenkämpfen weltweit. Das Vertrauen in die Fähigkeit des Kapitalismus, die grundlegenden Probleme der Menschheit heute zu lösen, schwindet täglich und stellt seine weltweite Dominanz nicht nur unter Linken, sondern in wachsenden Teilen der ArbeiterInnenklasse in Frage. Und das seit dem 2. Weltkrieg herrschende politische System Westeuropas, der USA und anderer kapitalistischer Länder bekommt immer größere Risse. Die Krise hat einen Anstieg der sozialen Ungleichheit ausgelöst, welche der Auslöser der Massenmobilisierungen der letzten Jahre war. Millionen Menschen weltweit gingen auf die Straße, um ihren Unmut auszudrücken.

Die reformistische Politik, die von der Führung der Sozialdemokratischen Parteien und der Gewerkschaften mehrere Jahrzehnte lang praktiziert wurde und wird (bevor erstere zum offenen Neoliberalismus übergingen), erwies sich als unfähig, Antworten auf die Forderungen dieser Proteste zu geben – und auch neue politische Formationen wie SYRIZA scheiterten kläglich, den Unmut dauerhaft zu kanalisieren, weil sie sich kein revolutionäres Programm gaben.

Für die Kräfte des revolutionären Marxismus hat eine neue Etappe von Möglichkeiten begonnen, eine führende Rolle in den großen Massenbewegungen zu spielen, die ihren Schatten vorauswerfen. Gegen die Krise des Kapitalismus braucht die ArbeiterInnenklasse heute mehr denn je ein Programm und eine Organisation, die die millionenfache Wut in eine Kraft verwandeln hilft, um den Kapitalismus zu stürzen und eine neue Gesellschaft aufzubauen. Die Vereinigung von CWI und IR stärkt unsere Fähigkeit, diese Aufgabe zu erfüllen, und wir hoffen, dass sie anderen RevolutionärInnen als Beispiel dient, in der kommenden Periode gemeinsam zu arbeiten, um dieses Ziel zu erreichen.

Bei dieser Vereinigung hat es sehr geholfen, dass IR 1976 als spanische Sektion des CWI entstanden war und sich viele Jahre lang an den Erfahrungen, Methoden und taktischen Orientierungen von Militant (der britischen Sektion des CWI, heute Socialist Party) orientiert hat. 1992, im Rahmen einer im CWI international geführten Debatte über die großen Ereignisse jener Epoche – insbesondere der Zusammenbruch der UdSSR und die folgende Welle der Reaktion – vollzog sich eine Spaltung im CWI, die uns heute, im Licht der folgenden Ereignisse, als großer Fehler erscheint. IR wurde Teil der abgespaltenen Organisation, der IMT (in Österreich: Der Funke), und blieb es für 17 Jahre, bis grundlegende politische Differenzen sowie unsere Feststellung, dass das interne Regime der IMT bürokratisch degeneriert war, zu unserem Austritt führten. Unsere Arbeit in der SchülerInnengewerkschaft Sindicato de Estudiantes (SE) im spanischen Staat wurde von der internationalen Führung der IMT offen abgelehnt, ebenso unsere Beteiligung an der Bewegung von Fabrikbesetzungen in Venezuela. Letztendlich entschloss sich eine Mehrheit der damaligen spanischen, venezolanischen und mexikanischen IMT-Sektionen, die politische Arbeit unabhängig fortzusetzen, um die Orientierung und Methoden, die wir in den 1970er Jahren gelernt hatten, fortsetzen zu können. Dank dieser Traditionen konnten wir den Sindicato de Estudiantes aufbauen und zum besten Kampfinstrument machen, das die spanische Jugend seit dem Bürgerkrieg gehabt hat.  SE ist in der Lage, hunderttausende SchülerInnen auf die Straße zu bringen und errang im November 2016 einen historischen Sieg, als wir die bürgerliche PP-Regierung zwangen, ihre Konterreform im Bildungssektor zurückzunehmen. Zudem hat IR innerhalb der organisierten ArbeiterInnenbewegungen Venezuelas und des spanischen Staats kleine, aber sehr effektive revolutionäre Kräfte aufgebaut.

Obwohl wir nur in drei Ländern vertreten waren, behielten wir unsere internationalistische Orientierung bei. Unser Interesse, die großen internationalen Ereignisse vollständig zu verstehen – insbesondere die Massenbewegungen für Sanders und Corbyn sowie die Rückschläge für das Establishment, die das schottische Referendum und der Brexit darstellten – brachte uns dazu, die Position und Dokumente des CWI wieder ausführlicher zu studieren. Dabei stellten wir fest, dass unsere Einschätzungen der aktuellen Etappe des Kapitalismus, der Strategie zum Aufbau einer revolutionären Partei und der Orientierung auf die Massenbewegungen übereinstimmten. In Umsetzung unserer internationalistischen Prinzipien schlugen wir dem CWI vor, einen Diskussionsprozess zwischen beiden Organisationen zu beginnen. Die Ergebnisse dieser Debatten wurden innerhalb von IR diskutiert und unsere Mitglieder entschlossen einstimmig, sich dem CWI anzuschließen. Der Vereinigungskongress stellt also den letzten Abschnitt dieses Prozesses dar.

Wir gehen mit gestärkten Kräften und neuem Enthusiasmus an die Aufgabe heran, die MarxistInnen weltweit zu vereinen und eine Internationale aufzubauen, die eine wahrhaft sozialistische Weltrevolution anführen kann.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Sei Teil des internationalen Widerstands!

Das CWI kämpft auf der ganzen Welt gegen Ausbeutung und Unterdrückung.
Manuel Schwaiger

Die Superreichen sind weltweit schon lange bestens vernetzt. Sie haben multinationale Konzerne oder Organisationen wie den IWF, der weltweit ihre neoliberale Politik durchpeitscht.

Wenn wir uns als ArbeitnehmerInnen, Frauen, LGBTQI+ Personen, MigrantInnen oder linke AktivistInnen gegen die Politik der Chefetagen wehren wollen, dann brauchen wir unsere eigenen internationalen Organisationen.

 

CWI (englisch für Komitee für eine ArbeiterInnen-Internationale) will so eine Kraft aufbauen. In über 40 Ländern sind die AktivistInnen des CWI aktiv. Die SLP ist seine österreichische Sektion. Die Organisationen des CWI verbinden marxistische Analyse mit einer flexiblen Taktik, die der immer instabileren und unvorhersehbaren Entwicklungen des niedergehenden Kapitalismus Rechnung trägt.

 

Das zeigt sich zum Beispiel in den USA. 2013 gelang es der dortigen CWI-Sektion Socialist Alternative, mit Kshama Sawant eine Sozialistin in den Stadtrat von Seattle zu schicken. Die Abgeordneten des CWI geben sozialen Bewegungen auf der Straße und in Betrieben eine Stimme. So üben sie mit ihnen Druck auf die Herrschenden aus. In Seattle konnte so der höchste Mindestlohn der Welt, 15$ pro Stunde, erkämpft werden. Socialist Alternative war aktiver Teil der Bewegung rund um die Kampagne von Bernie Sanders. Die Kampagne begeisterte Millionen von linken Ideen. Doch Bernie weigerte sich, mit der Big Business- Partei der Demokraten zu brechen. Socialist Alternative kritisierte das und setzte sich für eine unabhängige sozialistische Kraft ein. So konnte die Organisation hunderte AktivistInnen gewinnen, die jetzt den Widerstand gegen Trump organisieren. Die Großdemonstrationen mit zehntausenden TeilnehmerInnen am Tag nach der Wahl Trumps wurden vom CWI organisiert.

 

Erfolge auf der Wahlebene kann man auch in Irland aufweisen. Mit 3 Abgeordneten sitzt das CWI als Socialist Party im Parlament. Der Versuch der irischen Regierung, eine unsoziale Wassersteuer einzuführen, führte zu Widerstand in der Bevölkerung. Anders als andere linke Parteien, die die Wassersteuer nur im Parlament kritisierten, rief das CWI offen zum Boykott der Steuer auf. 73% der IrInnen beteiligten sich am Boykott. Die Socialist Party ist nun die führende Kraft auf der Straße im Widerstand gegen eine immer instabilere Regierung des Sozialabbaus.

 

In Israel und Palästina organisiert das CWI als einzige sozialistische Organisation in der Region Juden/Jüdinnen und PalästinenserInnen gemeinsam im Kampf gegen die Gewaltspirale aus Besatzung, Unterdrückung und Terror. Die CWI-Sektion in Südafrika führte 2013 Massenstreiks in den Platinminen des Lonmin-Konzerns an. Ihre AktivistInnen zählen zu den verdientesten KämpferInnen der südafrikanischen ArbeiterInnenbewegung. Sogar in China ist das CWI unter den schwierigsten Bedingungen gegen das Regime aktiv. Auch in Hong Kong hat das CWI eine Organisation. Sie bauten in den letzten Jahren eine Gewerkschaftsstruktur unter Flüchtlingen auf – es war diese Struktur, die Edward Snowden half, unterzutauchen. Eine CWI-Aktivistin, selbst Flüchtling aus Indonesien, versteckte Snowden selbst vor den Behörden.

 

Längst sind andere RevolutionärInnen auf die Arbeit des CWI aufmerksam geworden. In Brasilien fusionierten die Kräfte des CWI mit einer anderen sozialistischen Organisation. Nun sind sie dort die dynamischste Strömung der Linkspartei PSOL und in der ersten Reihe des Widerstands gegen de neoliberalen Putschisten Temer. Diesen Sommer fusioniert das CWI mit den Organisationen der Izquierda Revolucionaria (IR), in Spanien, Venezuela und Mexiko. Nachdem sich IR von einer Dachorganisation getrennt hatte, die den Marxismus auf dogmatische Weise entstellt, näherte sie sich immer weiter dem CWI an. IR organisierte erst kürzlich einen SchülerInnenstreik in Spanien, an dem sich Hunderttausende beteiligten. So konnte eine autoritäre Schulreform gestoppt werden. Durch die Fusion wird die Zusammenarbeit sozialistischer Kräfte auf globaler Ebene entscheidend gestärkt.

 

Wer der SLP beitritt, für uns spendet, unser Material kauft oder die Vorwärts abonniert, unterstützt nicht nur die SLP. Überall auf der Welt sind die AktivistInnen des CWI aktiv. Werde auch du Teil des Widerstands gegen den Wahnsinn des Kapitalismus. Kämpfe mit uns für eine andere Welt, ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Eine Welt, in der die Bedürfnisse der Menschen zählen, und nicht die Profite von Konzernen. Eine demokratische und sozialistische Welt!

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Sozialismus oder Barbarei

Der Kapitalismus hat all seine Verspechen gebrochen.
Sebastian Kugler

„Die bürgerliche Gesellschaft steht vor einem Dilemma: entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall in die Barbarei.“ – Friedrich Engels

 

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – mit diesen Parolen eröffnete die Französische Revolution 1789 das bürgerliche Zeitalter. Menschenrechte wurden in Deklarationen festgeschrieben. Demokratie und Freiheit sollten in eine leuchtende Zukunft führen. Heute sehen wir all diese Werte mit Füßen getreten. Woran liegt das?

Das Wirtschaftssystem, dem die bürgerlichen Revolutionen zum Durchbruch verhalfen, ist der Kapitalismus. Das Bürgertum entstand als eine Gesellschaftsklasse von HändlerInnen und BesitzerInnen von Arbeitsstätten, in denen ArbeiterInnen für sie arbeiteten – kurz: KapitalistInnen. KapitalistInnen müssen die Waren, die ihre ArbeiterInnen herstellen, am Markt profitabel verkaufen. Mit diesem Profit können sie ihr Unternehmen größer und effektiver machen, um Konkurrenten am Markt zu verdrängen. Das müssen sie auch, sondern gehen sie selbst unter. Daher der grundlegende Drang des Kapitalismus, zu wachsen, neue Märkte zu schaffen.

Von Anfang an stand diese Freiheit der Waren im krassen Gegensatz zu den humanistischen Idealen, die das Bürgertum entwickelte. Die Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise über den Erdball, war ein brutaler und blutiger Prozess, der zahllose Opfer forderte. Es entstanden zwar bürgerliche, parlamentarische Demokratien – doch das allgemeine und das Frauenwahlrecht mussten von unten, von der ArbeiterInnenklasse, gegen das Bürgertum erkämpft werden. Die höchste Aufgabe des bürgerlichen Staates war es von Anfang an, die Freiheit der KapitalistInnen, uns auzubeuten, zu verteidigen.

Die kapitalistische Produktionsweise führt immer wieder zu Krisen. Investiert und produziert wird dort, wo kurzfristig die höchsten Profite zu erwarten sind – bis in diesem Sektor zu viel Kapital angehäuft ist. Es kommt zu Überproduktion von Waren, die nicht mehr gewinnbringend verkauft werden können. In einer Wirtschaftskrise werden die Größenverhältnisse von Wirtschaftssektoren wieder so zurechtgestutzt, dass die Profitmacherei von vorne losgehen kann. Dieses „Angleichen“ hat für die Menschen katastrophale Folgen: u.a. Arbeitsplatzabbau, Lohneinbußen und Kürzungen bei sozialen Leistungen – also Arbeitslosigkeit, Armut und Verelendung. Das sind keine rein wirtschaftlichen Prozesse, sondern ebenso politische. In der Krise werden die demokratischen Spielräume kleiner. Die Interessen des Kapitals und ihre politische Umsetzung müssen direkter miteinander verbunden werden. Die aktuelle Krise ist keine sektorale, sondern eine fundamentale, die seit 10 Jahren zahllose Krisenherde vereint und hervorbringt.

Die Parteien können an diese strukturelle wirtschaftliche Krise nicht mehr mit „normalen“ Methoden herangehen. Ihre als „Reformen“ getarnten Kürzungspakete machen sie bei WählerInnen unbeliebt und verkleinern die Chancen gewählt zu werden. Das führt zu einer Lähmung der großen Parteien: sie sind eng mit den staatlichen Strukturen verwoben und können es sich nicht leisten, aus Regierungen oder gar Parlamenten zu fliegen. Eine solche Pattsituation führte nun auch zum Zusammenbruch der österreichischen Regierung. Gleichzeitig drängen die Unternehmen auf immer offensivere Maßnahmen, um ihre Krise auf den Rücken der Beschäftigten und Arbeitslosen abzuwälzen. Das parlamentarische Geplänkel der etablierten Parteien wird dabei immer mehr zum Hindernis. Die deutsche Kanzlerin Merkel erkannte dieses Problem, als sie forderte, die „parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten“, dass sie „marktkonform“ ist.

Es ist eine doppelte Bewegung: der Staat geht auf das Kapital zu und richtet seine Demokratie „marktkonform“ ein. Das Kapital andererseits ruft nach „Machern“ in der Politik. In solchen Situationen schlägt die Stunde der „Wirtschaftskapitäne“, die in die Politik gehen. Über Stronach konnten wir noch lachen. Über Trump immer weniger. Auch Millionen-Manager und Finanzminister Schelling drückt diesen Typ in Österreich aus.

In Krisenzeiten muss das Kapital den Staat enger an sich binden, weil es durch ihn seine Position am Weltmarkt gegen andere Kapitalien (und andere Staaten) verteidigen kann. Das kann die Form von „Handelskriegen“ wie zwischen den USA und China annehmen, aber auch die Form handfester bewaffneter Konflikte, etwa bei Stellvertreterkriegen wie in Syrien. Internationale Bündnisse wie die EU und sogar die NATO schlittern in schwere Krisen – in der Krise sind sich alle KapitalistInnen und ihre Staaten selbst die Nächsten.

Um möglichst erfolgreich bei der Eroberung äußerer Märkte zu sein, müssen die inneren Konflikte, die so eine autoritäre Politik hervorruft, klein gehalten werden. Zuerst wird mit „Sachzwang“ argumentiert: es gehe nun mal nicht anders. Man müsse sich den Launen der Wirtschaft unterwerfen, als wären sie Naturgesetze. Es geht um „Wettbewerbsfähigkeit“, um den „Standort“, den es zu verteidigen gilt. Deswegen muss zusammengehalten werden - Nationalismus und Rassismus haben hier die Funktion, die tatsächlichen Interessensgegensätze zwischen ArbeiterInnen und KapitalistInnen zu verschleiern, um scheinbare Interessensgegensätze zu konstruieren: nicht österreichische ChefInnen und PolitikerInnen wären daran schuld, dass es zu wenig Arbeitsplätze und Wohnungen gibt und Sozialleistungen gestrichen werden – sondern die Flüchtlinge. Es ist also kein Zufall, dass GroßkapitalistInnen wie Red-Bull-Mateschitz und PolitikerInnen etablierter Parteien wie Kurz oder Doskozil sich immer mehr anhören wie Rechtsextreme. Es ist die Konsequenz der bürgerlichen Logik in Zeiten der kapitalistischen Krise.

So werden die Ideale der Aufklärung durch das Wirtschaftssystem, auf dem sie basieren, in ihr Gegenteil gewandt. Für den Großteil der Welt bedeutete der Kapitalismus immer schon brutale koloniale und imperialistische Ausbeutung und Diktatur. Die letzte Wirtschaftskrise dieses Ausmaßes brachte in den 1930er Jahren auch in den imperialistischen Zentren Krieg und Faschismus.

Die autoritären Tendenzen des Kapitals bringen aber immer auch Gegentendenzen mit sich. Weltweit wehren sich Menschen gegen den Abbau demokratischer Rechte, gegen nationalistische Hetze, gegen aktuelle und kommende Kriege. In den letzten Jahren haben wir auf jedem Kontinent Massenbewegungen gegen Ausbeutung und Unterdrückung gesehen. Diese Bewegungen entwickeln sich nicht linear. Sie werden zurückgeworfen wie der Arabische Frühling, sie ebben ab wie die Proteste in Griechenland oder Spanien. Aber sie erheben sich immer wieder in neuer Form, die Lehren der gescheiterten Versuche in sich aufnehmend. Das passiert, weil die Entwicklungen, die sie ausgelöst haben, weitergehen, sich sogar noch verschärfen. Der Kapitalismus hat all seine Versprechungen verraten. Er hat uns nichts als Armut, Krise und Krieg zu bieten. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit können nur mehr gegen ihn erkämpft werden – von denen, die von ihm unterdrückt werden.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Zahlen und Fakten: Die moderne Barbarei

2017 ist die Kriegsgefahr in vielen Teilen der Welt wieder so gegenwärtig wie es viele nach dem Ende des kalten Krieges nicht mehr für möglich gehalten hatten. Mit dem Ukraine-Konflikt, dem Wettrüsten im Pazifik, Nordkorea und dem Syrien-Konflikt gibt es gleich mehrere Regionen weltweit, in denen sich Supermächte gegenüberstehen. Totgeglaubte Phänomene wie Putsch und politischer Mord in Regierungsauftrag sind wieder Teil der Nachrichten.

 

Auf den Philippinen zum Beispiel herrscht seit Mai 2016 Präsident Duterte. Seit der demokratischen Wende von 1986 galten die Philippinen eigentlich als relativ stabiler Rechtsstaat, der neue Präsident Duterte hat aber selbst mit dem Schein dessen gebrochen. Sein „Krieg gegen Drogen“ kostete bereits ca. 7000 Menschen das Leben. Eine genaue Zahl ist nicht möglich, weil das Morden von meist völlig willkürlich ausgesuchten Opfern gemäß des Präsidenten-Aufrufs „auf Sicht“ passiert. Todesschwadronen terrorisieren besonders die Armen-Viertel. Zusätzlich gilt auf den Philippinen seit Mai 2017 für ein Drittel des Landes das Kriegsrecht – offiziell, um gegen eine lokale Islamisten-Miliz zu kämpfen. Darunter leiden die Pressefreiheit und die Opposition aber landesweit.

 

Die Pressefreiheit verschlechtert sich auch im weltweiten Trend deutlich, so „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) 2017: Drastische Beispiele sind Russland oder Ägypten, aber auch in der EU sind mit Ungarn und Polen Länder, in denen sich die Lage für JournalistInnen extrem verschlechtert hat. Die Türkei hat sich in den letzten 12 Jahren um 57 Plätze in der ROG-Rangliste verschlechtert. Auch in Österreich werden JournalistInnen, zum Beispiel an der Berichterstattung bei Demonstrationen, durch die Polizei behindert oder das Asyl-Lager Traiskirchen mit Informationssperre belegt.

 

Kurz nach Beginn der Wirtschaftskrise erhöhten sich die Anzahl und Intensität bewaffneter Konflikte weltweit. Laut „Global Peace Index“ verdreifachte sich die Zahl der Kriegs-Toten von 2010 bis 2014. 2014 war mit schätzungsweise 113.000 das Jahr mit den meisten Kriegs-Toten seit dem kalten Krieg.

 

Entsprechend stieg auch die Zahl der Menschen auf der Flucht. Laut UNHCR waren es 2008 noch 25 Millionen – 2016 bereits 54 Millionen, inklusive derer, die innerhalb ihres Landes auf der Flucht sind. Das ist die höchste Zahl seit 1945.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Seiten