Internationales

Wie SozialistInnen für Sicherheit und gegen Terrorismus kämpfen

Sebastian Kugler

Sozialistische Sicherheitspolitik greift die Wurzel des Problems an – und ist auch im konkreten Fall effektiver

Das Potential für einen gemeinsamen Kampf gegen Terror und Kapitalismus zeigt sich nach jedem Anschlag aufs Neue. Die erste, unmittelbare Reaktion der Menschen auf Terroranschläge in ihrer Umgebung ist immer dieselbe: Solidarität. TaxifahrerInnen bringen Menschen in Sicherheit. Menschen riskieren ihr eigenes Leben, um andere zu retten. AnrainerInnen öffnen ihre Wohnungen für Menschen, die aus den Gefahrenzonen fliehen. Über soziale Netzwerke wird Hilfe und Schutz organisiert. Diese Solidarität hat nichts mit dem geheuchelten Mitgefühl zu tun, das die etablierten PolitikerInnen und Wirtschaftsbosse nach Anschlägen in den Medien verbreiten – nur um im Namen nationaler Einheit wieder Menschen gegeneinander aufzuhetzen und von ihrer Verantwortung für die Verhältnisse, die solche Taten möglich machen, abzulenken. In Paris und in Brüssel gingen nach den Anschlägen Tausende auf die Straße um zu zeigen, dass sie sich nicht spalten lassen. Die Menschen trotzen den Bemühungen der Medien, der Politik und der AttentäterInnen, die Gesellschaft zu entsolidarisieren.

Dabei müssen sie gegen die Folgen des kapitalistischen Kürzungsdiktats ankämpfen. Kaputtgesparte Gesundheitssysteme und zu wenig Personal im Spital sind extreme Sicherheitsrisikos im Ernstfall. Aktuell sind in Wien teilweise nur 2(!) NotärztInnen für die ganze Stadt im Einsatz. Sogar bei einer Vollbesetzung wären es nur 8. Das muss die ArbeiterInnenbewegung aufgreifen. Hier können Verbesserungen erkämpft werden, die mehr Sicherheit bringen. Zurecht streikte 2016 die britische EisenbahnerInnengewerkschaft RMT gegen die Stellenstreichungen beim Unterstützungspersonal in Zügen und Stationen. Sie argumentierte richtig, dass mehr Personal mehr Sicherheit garantieren kann. Mehr Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel würden nicht nur dazu führen, dass diese weniger anfällig für Terroranschläge sind, sondern es auch am Abend sicherer und angenehmer machen nach Hause zu kommen.

Gewerkschaftliche Präsenz an sozialen Brennpunkten kann diese nicht nur sicherer machen. Sie kann auch nützlich sein, um Forderungen nach Investitionen in soziale Sicherheit und Jobs unter PassantInnen zu verbreiten und sie für kämpferische Kampagnen zu gewinnen. An Orten, die zu solchen Brennpunkten werden, braucht es SozialarbeiterInnen und Streetworker, statt Robocops und Stadtwachen. Es braucht genug Räume, Personal und Ressourcen für soziale und medizinische Betreuung statt neue Gefängnisse. Es braucht Jugendzentren und gratis Freizeitangebote für Jugendliche statt Videoüberwachung und Repression. Schon wenn nur solche Maßnahmen erfolgreich erkämpft werden, steigert das nicht nur die Sicherheit vor Ort – sie können den Unterschied machen, ob Menschen, die vor dem Abgrund stehen, eine Perspektive bekommen oder zu GewalttäterInnen und TerroristInnen werden.

Doch wir können nicht nur dabei stehen bleiben, die zerstörerischen Auswüchse des Systems einzudämmen. Wenn Armut, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Diskriminierung den Boden für Gewalt und Terror bereiten, muss dieser Boden ausgetrocknet werden: durch ein ausfinanziertes Bildungssystem, das allen Jugendlichen Zugang zu Bildung und Perspektiven verschafft. Durch einen Mindestlohn von 1700 Euro und eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn und Personalausgleich, um sichere und gut bezahlte Jobs zu schaffen. Durch massive und hochwertige soziale Wohnbauprogramme und die Enteignung von ImmobilienspekulantInnen, um Wohnraum zu schaffen. Die Politik wird jammern, dass dafür kein Geld da sei – während sie hunderte Millionen in die Aufrüstung von Heer und Polizei steckt und Milliarden an Banken und Konzerne verschenkt. Diese sind es auch, die von Terror und Wettrüsten profitieren. Sie sollen für diese Maßnahmen zur Kasse gebeten werden.

Schließlich braucht es einen Kampf gegen die imperialistische Politik, die die Hauptschuld an der weltweiten Ausbeutung und Destabilisierung, an Kriegen und Terror trägt. Die SLP ist Teil des Committee for a Workers International, das in über 45 Ländern auf allen Kontinenten gegen den kapitalistischen Wahnsinn kämpft – von Tunesien bis in die USA, von Frankreich bis in die Türkei. „Unser Kampf für eine andere Gesellschaft ist auch ein Kampf für eine sichere Zukunft für alle“, schrieb unsere belgische Schwesterorganisation nach dem Attentat in Brüssel. Sei auch du Teil dieses Kampfes!

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Sicherheit statt Kapitalismus

Christoph Glanninger, Sebastian Kugler

Gewalt und Terror sind die Folgen eines Systems, das Sicherheit dem Profit unterordnet

Sicherheit, Kriminalität und Terror dominieren die österreichische Innenpolitik in den letzten Monaten. Strache und Kurz treten sowieso als Hardliner in dieser Frage auf, aber auch die SPÖ versucht, sich mit Verteidigungsminister Doskozil als entschlossene Kraft für autoritäre Sicherheitspolitik zu positionieren. Laut einer aktuellen Kurier-Umfrage ist „Sicherheit und Zuwanderung“ für 36% der Befragten in Österreich das wichtigste Wahlmotiv (noch vor Soziales und Einkommen mit 29%).

 

Das bedeutet aber nicht, dass soziale Themen weniger wichtig geworden sind. Viel mehr äußert sich in dem Wunsch nach Sicherheit, auch unter Eindruck der vermehrten Terroranschläge, eine allgemeine soziale Unsicherheit. Auch im zehnten Jahr der Wirtschaftskrise ist kein Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Im Gegenteil, gerade in Österreich beginnen sich die Folgen erst abzuzeichnen: Sozialkahlschlag, Rekordarbeitslosigkeit, Massenarmut. Unsere Lebensplanung und Alltag wird unsicherer. Wer weiß schon, was in fünf oder zehn Jahren sein wird? Es ist auch der Wunsch nach Stabilität, der sich im Ruf nach Sicherheit ausdrückt – auch wenn etwa die Zahl der verurteilten VerbrecherInnen in Österreich seit den 1970er Jahren stetig abnimmt, von ca. 80.000 pro Jahr auf heute 30.000. Gewalt, Terror und die Angst davor sind Folgen systemischer sozialer Unsicherheit, nicht umgekehrt.

 

Davon versuchen die etablierten Parteien bewusst abzulenken – und sich als VerteidigerInnen von Recht und Ordnung darzustellen. Wenn sie „Sicherheit“ sagen, meinen sie nicht Schutz vor der täglichen Gewalt, die etwa Frauen in Haushalt und Familie erleiden oder die konstante Unsicherheit und Diskriminierung, mit der ArbeiterInnen und Jugendliche ohne österreichischen Pass leben müssen. Doch die steigende Anzahl an Anschlägen zeigt, dass auch ihre eingeschränkte „Sicherheitspolitik“ nicht funktioniert. Gerade deshalb dürfen SozialistInnen das Thema nicht den bürgerlichen Parteien überlassen. Auf Kurz, Kern, Strache und Co. Können wir nicht vertrauen, wenn es darum geht, unsere Lebensstandards, unser Sozialsystem und unsere Arbeitsbedingungen zu schützen. Genauso wenig können wir auf sie vertrauen, uns gegen Terror zu schützen und Sicherheit zu garantieren.

 

Alle „Lösungen“ der Herrschenden verschärfen die Probleme nur weiter. Das beste Beispiel dafür ist der „Krieg gegen Terror“, der seit den Anschlägen vom 11. September 2001 geführt wird. Er hat bereits hunderttausenden Menschen im Nahen und Mittleren Osten ihr Leben gekostet. Trotzdem, oder vielmehr gerade deshalb, hat der Terror seit 2001 zugenommen. Die Bomben der westlichen Staaten, aber auch Russlands, Saudi-Arabiens und der Türkei, treiben die Menschen in die Arme terroristischer Organisationen – wenn diese von jenen Staaten nicht sogar als Bündnispartner in lokalen Kriegen hochfinanziert werden. Die Kriege im Irak und in Afghanistan haben erst die Basis für den Aufstieg des IS geschaffen.

 

Internationale Konzerne profitieren aus Kriegen im Nahen und Mittleren Osten. Der Irakkrieg wurde nicht aufgrund von „Massenvernichtungswaffen“ geführt, sondern wegen des Zugangs zu Rohstoffen. Auch bei der Militärintervention in Libyen 2011, heute ein „Failed State“ in dem fundamentalistische Gruppen rasant wachsen, ging es nicht um Demokratie. Noch bevor der Diktator Gaddafi gestützt wurde, besuchten bereits Vertreter westlicher Regierungen und Konzerne die künftigen Machthaber, um Öl-Verträge auszuhandeln. Über Waffenverkäufe in Kriegsgebiete verdienen Konzerne Milliarden. Erst im Mai schloss US-Präsident Trump einen Vertrag mit Saudi-Arabien über Rüstungslieferungen im Wert von 110 Milliarden. Saudi-Arabien ist Sponsor zahlreicher fundamentalistischer Gruppen. Auch österreichische Konzerne sind mit dabei. Österreich ist der fünftgrößte Exporteur von Kleinwaffen, die immer wieder in den Händen von TerroristInnen auftauchen. Zwischen 2008 und 2013 gingen Waffen um 18 Millionen Euro aus Österreich nach Saudi-Arabien. Die OMV macht Geschäfte im kurdischen Teil der Türkei. Immer wieder sind in den letzten Jahren Berichte aufgetaucht, dass über Nordkurdistan vom IS gefördertes Öl an europäische Staaten verkauft wurde. Aber auch ohne Kriege hält die Wirtschaftspolitik internationaler Institutionen wie des IWF neokoloniale Länder in Armut und Abhängigkeit. Nicht nur Afrika und Asien werden konstant durch imperialistische Profitjagd destabilisiert. In den kapitalistischen Zentren, Europa und Nordamerika, werden durch das Kürzungsdiktat in Folge der Krise die sozialen Bedingungen immer schlimmer – und der Nährboden für Gewalt und Terror wächst.

Die „Sicherheitspolitik“ der Herrschenden bringt nur noch mehr Unsicherheit

Die dutzenden Anti-Terror-Gesetze, die in den letzten Jahren beschlossen wurden, haben Anschläge nicht verhindern können. Mehr Überwachung, Polizei und Repression bringt keine Sicherheit. Einige Attentäter posieren sogar absichtlich vor Überwachungskameras. Einer der Terroristen, die im Sommer 2016 einen Pfarrer in Nordfrankreich ermordeten, trug eine Fußfessel. Der IS profitiert sogar von der repressiven Politik und dem Rassismus der europäischen Staaten. Die ständige Unterdrückung durch Staat und Polizei, unter der MigrantInnen und Muslime leiden, ist ein besserer Anwerber für FundamentalistInnen als jeder Online-Hassprediger. Das zeigt sich etwa am Brüsseler Stadtteil Molenbeek, der in den internationalen Medien als „Hochburg des Terrorismus“ dargestellt wird. Tatsächlich ist Molenbeek vor allem Hochburg der sozialen Probleme: die Erwerbslosigkeit liegt bei 30%, unter jungen Menschen sogar bei 60%. Diese Armut und Perspektivlosigkeit ist die perfekte Basis für die Rekrutierungsversuche der FundamentalistInnen. Die Lebensläufe vieler AttentäterInnen ähneln einander: Menschen, die schon in der Jugend jede Chance auf ein menschenwürdiges Leben verlieren, sich dann zwischen Arbeitslosigkeit und Kleinkriminalität herumschlagen müssen und schlussendlich zur Gewalt greifen. Die Anti-Terror-Gesetze werden aber gegen Proteste eingesetzt, die sich gegen die Zustände richten, die so etwas möglich machen. Das beste Beispiel dafür ist Frankreich, wo durch den Ausnahmezustand zwar keine Terroranschläge verhindert wurden, dafür aber Demonstrationen von Gewerkschaften und UmweltaktivistInnen.

Es sind nicht PolitikerInnen, BankerInnen und WaffenlobbyistInnen die im Bataclan, am Brüsseler Flughafen oder in der Manchester Arena sterben – und schon gar nicht in Bagdad, Kabul oder Damaskus. Es sind ArbeiterInnen und Arme, die in Europa an Terror sterben und unter der „Sicherheitspolitik“ der Regierungen leiden. Sie sind es auch, die im Nahen und Mittleren Osten durch den „Krieg gegen den Terror“ ihr Leben verlieren oder fliehen müssen. Aber sie sind es auch, die der Spirale aus Unsicherheit und Terrorismus ein Ende bereiten können. Der echte Kampf gegen Terrorismus ist der Kampf gegen soziale Ungleichheit, Kriege, Ausbeutung und Rassismus – und für eine demokratische und sozialistische Gesellschaft.

 

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Das Zeitalter der Angst

Helmut Swoboda

Das Gefühl der Unsicherheit wächst überall.

Wieder schockt ein Anschlag ganz Europa. Auf einem Popkonzert in Manchester sterben über 20 Menschen, viele davon Kinder. Nur ein paar Tage später sterben mehr als 20 Menschen bei einem Anschlag auf einen Bus in Ägypten. Wieder ein paar Tage später erschüttert ein Anschlag Kabul – mindestens 80 Menschen sterben, mehr als 400 werden verletzt. Diese Anschläge reihen sich in eine scheinbar endlose Serie an Attentaten ein, bei denen in den letzten Jahren hunderte ArbeiterInnen und Jugendliche den rechtsextremen, fundamentalistischen TerroristInnen zum Opfer gefallen sind. Die Anteilnahme mit den Opfern eint die Menschen in ihrer Trauer. Sie sind via Fernsehen und anderen Medien mit der ganzen Welt verbunden. Sicherheit und Terror sind längst zu globalen Themen geworden.

Statistiken prognostizieren nach wie vor eine geringe Wahrscheinlichkeit, einem Terroranschlag in Europa zum Opfer zu fallen. Doch das beruhigt nicht. Viele Personen fühlen sich unsicher, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, sie Konzerte oder Theateraufführungen besuchen oder einfach nur in einem Restaurant essen. Zu dieser Atmosphäre tragen auch Medien bei, die Dauerpanik schüren. Das bringt Aufmerksamkeit und Profite. Dabei wird bewusst rassistisch gehetzt, etwa, wenn Terror als rein islamisches Phänomen dargestellt wird – als hätte es Franz Fuchs, Anders Breivik oder den NSU nie gegeben. Auch über die Welle von Anschlägen weißer Rechtsextremisten in den USA auf schwarze Einrichtungen, Moscheen und Abtreibungskliniken wird kaum bis gar nicht berichtet.

Wie reagiert die Politik auf das Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung? Sie verspricht mehr Polizei, mehr Überwachung und höhlt die Privatsphäre aus. Sie schränkt demokratische Rechte ein und geniert sich dabei nicht einmal zu sagen, das sei notwendig, um unsere demokratischen Werte zu schützen. Verhindert aber eine lückenlose Videoüberwachung Terroranschläge? Nein, meint der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl, ehemaliger Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien und Gründer des Vienna Centre for Societal Security (Vicesse), gegenüber der Wiener Zeitung: "Ich habe noch nie eine Kamera gesehen, die irgendetwas verhindert hat“.

Sie versprechen mehr Sicherheit, indem sie Millionen in Waffen investieren und die Polizei militarisieren. In Zeiten der Krise und des Stabilitätspakts heißt das, dass bei anderen Budgetposten gespart werden muss, etwa bei der Bildung oder beim Sozialem. In einem Artikel für Profil weist Kreissl auf die wahren Hintergründe solcher Politik hin: „Politik mit der Angst ist eine wohlfeile Strategie in Zeiten, in denen sich Loyalität nicht mehr durch die Verteilung sozialstaatlicher Wohltaten sichern lässt. In Zeiten des Klassenkampfs von oben und breiter Kürzungen und Einsparungen ist ein bedrohlicher äußerer Feind das probate Mittel, die Bürger hinter der eigenen Fahne zu versammeln.“

 

Ein Beispiel dafür ist der Streit der konservativen Regierung von Premierministerin May mit dem Labour-Spitzenkandidaten Corbyn. Nach dem Anschlag in Manchester auf Konzertbesucher meinte er, der Imperialismus sei mitschuld für den Terrorismus in der Welt. Dafür wurde er von den Konservativen und den Medien gescholten, denn sie wollten die nationale Einheit im Krieg gegen den Terror beschwören.

 

Wer profitiert eigentlich davon? Die „Sicherheits“-Industrie ist einer der wenigen krisensicheren Wirtschaftszweige. Großkonzerne wie Siemens, Samsung und Nokia verdienen an Terror, Aufrüstung und Überwachung prächtig. Aber gibt es Lösungen, bei denen nicht nur Konzerne profitieren? Was sind die Ursachen der Gewalt und wie kann wirkliche Sicherheit erreicht werden?

 

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Frisch gekämpft ist halb gewonnen: Generalstreik in Brasilien

Thomas Hauer

Ende April gaben Millionen BrasilianerInnen eine deutliche Antwort auf die Frage, wie man auf neoliberale Kürzungspolitik reagiert. Präsident Michel Temer plant eine Pensions- und Arbeitsmarktreform, die eine enorme Verschlechterung für die lohnabhängige Bevölkerung bedeutet. Mit einer Massenbewegung, in der sämtliche Gewerkschaften zu einem 24 stündigen Generalstreik aufriefen, legten 35-40 Millionen BrasilianerInnen am 28.4. die Arbeit nieder. Bei Demonstrationen waren Hunderttausende im ganzen Land auf den Straßen. Sogar die Kirche unterstützte die Proteste und die „MTST“, die Bewegung der Landlosen, war aktiver Teil der Proteste. Aus der Bevölkerung heraus haben sich Komitees gebildet, die die Organisierung der Proteste mitgetragen haben. Die Lage bleibt extrem angespannt. Zuletzt wurde sogar ein Ministerium in Brand gesteckt. Temer steckt mitten in einem Korruptionsskandal und stützt sich immer mehr auf das Militär, um seine Macht zu sichern. LSR (die Schwesternorganisation der SLP) schlägt als weiteren Schritt einen 48 stündigen Generalstreik vor. Das Land kann sich in Richtung einer vorrevolutionären Situation entwickeln. Die gebildeten Komitees müssen jetzt vernetzt agieren und Machtstrukturen aufbauen. In dieser Situation kann der Kampf gegen die Reformen schnell in einen Kampf um die Macht umschlagen. Diese kann die ArbeiterInnenklasse nur erringen und halten, wenn sie gut organisiert auftritt.

 

 

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Frankreich: Widerstand gegen Macrons neoliberale Agenda!

Leila Messaoudi, Gauche Révolutionaire (CWI Frankreich)

Das Potential für erfolgreiche Massenbewegungen ist groß.

Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich demonstrierten eine historische Zurückweisung „traditioneller“ Parteien. In der ersten Runde wurden sowohl die „sozialistische“ Partei von Präsident Hollande als auch der korrupte rechte Kandidat Fillon von Sarkozys Les Republicains ausgelöscht. Die Stärke der Wut in der Gesellschaft drückte sich in sieben Millionen Stimmen für Mélenchon und sein Programm eines Bruchs mit der Sparpolitik aus. Doch diese Stimmen waren nicht ausreichend um zu verhindern, dass Marine Le Pen und ihr modernisierter Front National (FN) in die zweite Runde einziehen konnten. Sie konnte deshalb in der zweiten Runde gegen den klaren Kandidaten der herrschenden Klasse, Emmanuel Macron, antreten.

Viele mögen aufgeatmet haben, dass am 7. Mai nicht Marine Le Pen PräsidentIn wurde, sondern Macron. Macron war in Hollandes Regierung für neoliberale Politik verantwortlich. Le Pen hoffte auf der Welle der Unzufriedenheit reiten zu können. Aber die Kampagne von Mélenchon und der FI („Unbeugasmes Frankreich“) hat viel von ihrer Unterstützung untergraben. Jetzt will sie eine neue Partei gründen. Das hat bereits Widerstand im FN selbst erzeugt. Die Herausforderung besteht für den FN darin, von der Wut, die sich aufgestaut hat, zu profitieren, aber es ihren FührerInnen gleichzeitig auch zu ermöglichen, Karriere zu machen. Die Spannungen werden sich vervielfachen - besonders, ArbeiterInnen und Jugendliche, Forderungen aufstellen, die jenen des Front National widersprechen.

Die Stimmen für Melenchon spiegeln das Potential für sozialistische Ideen wider - Präsident Macron wird Massenopposition auf der Straße gegenüberstehen. Nicht ausgefüllte oder ungültige Wahlzettel machten 12% aller Stimmen der zweiten Runde aus – ein historischer Rekord. Es hat die Medien zur Veröffentlichung der Zahl der WeißwählerInnen gezwungen. Diese werden normalerweise nicht veröffentlicht. 16 von 47 Millionen registrierter WählerInnen haben nicht zwischen Le Pen und Macron „gewählt“. Die kommenden Monate und Jahre werden sehr instabil sein. Macron hat eine Mission: Die Maßnahmen gegen öffentliche Dienstleistungen, die von Sarkozy und Hollande gesetzt wurden, fortsetzen, Kündigungen umsetzen und den Arbeitsmarkt flexibilisieren. Er will 120.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst streichen. Und er wird die antidemokratischen Mechanismen der 5. Republik nutzen, um Gesetze, die für die KapitalistInnen lebenswichtig sind, durchzusetzen – genauso wie Valls es in Hollandes Regierung getan hat. Er will mit Dekreten regieren, was bedeutet, das Parlament zu umgehen. Das erste ist bereits für Juni oder Juli geplant – es soll Verschlechterungen im Arbeitsgesetz bringen. Danach sollen weitere zu Arbeitslosengeld, sozialer Sicherheit, usw. kommen. Die Ablehnung solcher Maßnahmen ist massiv. Aber diese Wut und Ablehnung muss einen sozialen und politischen Ausdruck finden, der die Interessen von ArbeiterInnen, Jugendlichen und der Mehrheit der Bevölkerung nach vorne stellt. Denn es besteht die Gefahr, dass der Front National versuchen wird, mit Rassismus die Wut aufzugreifen und abzulenken.

Es ist jetzt Zeit, auf die Straßen zu gehen, um klar zu machen, dass wir diese durch und durch unsoziale Politik ablehnen. Die Führungen der Gewerkschaften können nicht weiter schweigen, nachdem der Widerstand gegen das El-Khomri-Gesetz vor einem Jahr Millionen auf die Straße gebracht hat. Am 11. und 18. Juni 2017 finden die Wahlen zur Nationalversammlung statt. Es ist nötig, dass ArbeiterInnen, Jugendliche und Arme einen unabhängigen politischen Ausdruck finden, um die pro-kapitalistischen Parteien zu konfrontieren. Für Mélenchons Kampagne sind KandidatInnen notwendig, die gegen Kündigungen kämpfen - wie die KollegInnen bei Whirlpool oder Tati, die gegen den Abbau von öffentlichen Dienstleistungen, gegen die Zerstörung der Umwelt und für Lohn- und Pensionserhöhungen, Arbeitszeitverkürzung und mehr Jobs kämpfen. Was in den letzten Wochen der Kampagne gefehlt hat, war eine besser strukturierte FI-Organisation, die fähig gewesen wäre, sich als eine radikale und kämpferische Bewegung zu verankern. Eine neue Kraft kann mit Massenmobilisierungen und der Diskussion eines Anti-Kürzungs-Programms, mit Demonstrationen und Streiks gegen Macrons Agenda aufgebaut werden. Mit Mélenchons Ergebnis und der FI-Kampagne wurde ein großer Schritt in diese Richtung gemacht und die KapitalistInnen stehen jetzt einer echten Opposition gegenüber. Sie muss wachsen und sich aufbauen. Auf diese Art und Weise wird Gauche Revolutionnaire in der nächsten Periode weiterkämpfen!

 

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Internationale Notizen: Juni 2017

Nigeria: Sozialist wiedergewählt

Dagga Tolar, Aktivist des „Democratic Socialist Movement“ (DSM – CWI in Nigeria), wurde als Vorsitzender der LehrerInnengewerkschaft (Nigeria Union of Teachers - NUT) im Süden von Lagos wiedergewählt. Der rechte Flügel der Gewerkschaft führte einen schmutzigen Wahlkampf, der unter anderem Drohungen beinhaltete. Tolar wird nun weiter gegen die Bürokratie und für freie Bildung kämpfen.

http://www.socialistnigeria.org

Hong Kong: Flammen für MigrantInnen

Am 30. April bekam Hong Kong hohen Besuch in Person des indonesischen Präsidenten Joko Widodo. Dieser schüttelte zwei Tage lang die Hände der Reichen, Mächtigen und Schönen. Als Publicity – Aktion kann man seinen Besuch bei 5 000 migrantischen Arbeitern aus Indonesien sehen. Eine wahre Diskussion fand hier nicht statt. Der Besuch war begleitet von bewaffneter Polizei. Proteste wurden verboten. Es gab sie trotzdem. Die migrantische Organisation KOBUMI, sowie „Socialist Action“ (CWI in Hong Kong) waren wesentlich beteiligt. Forderungen dieser Proteste waren: Fixe Anstellungen für migrantische ArbeiterInnen und Jobs mit angemessener Bezahlung, um die Armut zu bekämpfen. Schlussendlich wurde ein Feuer entfacht, als Symbol der Wut von indonesischen ArbeiterInnen.

http://chinaworker.info

Irland: Prozess oder Farce?

Große Aufregung existiert momentan in Irland. Ein Prozess findet statt, der mehr an einen schlechten Scherz erinnert. Einigen Mitgliedern der Socialist Party (CWI in Irland) wird „Freiheitsberaubung“ vorgeworfen. Tatsächlich haben einige Menschen in einem symbolischen Protestakt gegen die brutale Austeritätspolitik das Auto der Vizepremierministerin Joan Burton (Labour) blockiert. Diese bezeichnet die DemonstrantInnen als „Wilde“ und behauptet, sie hätte um ihr Leben gefürchtet. Der Staat versucht indes, etwa durch die Auswahl der Geschworenen, sicherzustellen, dass die AktivistInnen schuldig gesprochen werden. Die Gesamtsituation entlarvt Labour als Partei der Eliten und den Staat als Instrument der Herrschenden.

http://socialistparty.ie

 

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Chaostage in den USA

Jens Knoll

Trumps autoritäre Alleingänge spalten die herrschende Klasse der USA.

Monate nach seinem Amtsantritt reißen die Nachrichten über den nächsten Skandal des US-Präsidenten nicht ab. Ob er nun internationale Etikette bricht, hochrangige Beamte feuert, unhöflich zu anderen Staatsoberhäuptern ist oder von seinem Stab Handy-Verbot bekommt: Trump ist immer Schlagzeilen wert. Die meisten bekam er wohl wegen der Entlassung des CIA-Direktors, der Trumps Russland-Kontakte untersuchte. Das kann ein Versuch gewesen sein, seine illegalen Geschäfte zu verschleiern, oder einfach ein paranoider Akt eines „Starken Mannes“. Wie auch Erdogan sieht Trump die „Lügenpresse“ und alle, die sich kritisch äußern, als seine Feinde.

Die Wall Street setzt weiter darauf, dass er ihre Interessen gegen die ArbeiterInnenklasse durchsetzt – wie bei der Gesundheitsreform. Andere, vor allem die Demokraten, sorgen sich um die Stabilität der Weltmacht USA. Sie wollen jemanden berechenbareren an der Spitze und setzen auf die durchaus möglich erscheinende Amtsenthebung Trumps als ultimatives Mittel. Doch Trumps Vizepräsident Pence wäre wohl kaum eine bessere Wahl für ArbeiterInnen, Arme, Frauen, MigrantInnen, und People of Color. Auch ist Vertrauen in den kapitalistischen Staatsapparat, in dem ein Trump erst Macht erlangen konnte, nicht angebracht.

Um Trump wirklich zu stürzen, braucht es eine gemeinsame Massenbewegung von ArbeiterInnen und allen, die vom Kapitalismus benachteiligt sind - und den Aufbau einer echten Alternative zum Zweiparteiensystem, eine sozialistische ArbeiterInnenpartei.

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76.000 gegen G20

Einschüchterungsversuche der Polizei können massenhaften Protest nicht verhindern
Von Angelika Teweleit, Teilnehmerin an den Protesten

Einschüchterungsversuche der Polizei können massenhaften Protest nicht verhindern

76.000 Menschen kamen am Samstag in Hamburg auf die Straße, um lautstark gegen die Politik der G20-Staaten zu protestieren. Ein riesiger und bunter Demonstrationszug marschierte kilometerlang durch die Stadt. Aufgerufen hatte ein breites linkes Bündnis aus der Partei DIE LINKE, attac, Migrantenorganisationen, Jugend gegen G20, Linksjugend [’solid], Interventionistischer Linken und vielen anderen. Auch die SAV (die SAV ist die deutsche Schwesterorganisation der SLP) hatte bundesweit zu den Protesten mobilisiert.

Es ist schwer zu beurteilen, wie viele Menschen aus Angst vor Polizeigewalt und Eskalation ihren ursprünglichen Plan, an der Demo teilzunehmen, wieder haben fallen lassen. Sicher ist davon auszugehen, dass in vielen Hamburger Familien, Eltern ihre Kinder nicht zu Demo gehen ließen oder lassen wollten. Vor dem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, dass auch viele anzutreffen waren, die sonst eher nicht auf Demos gehen, es aber diesmal wichtig fanden, dabei zu sein. Einige werden gerade wegen der Polizeigewalt gekommen sein.

Die große Beteiligung war ein Erfolg der Bewegung gegen G20 und der antikapitalistischen Bewegungen insgesamt. Sie ist ein Beispiel für den Weg, der im Kampf gegen den globalen Kapitalismus gegangen werden muss: auf Massenmobilisierungen und breite Politisierung setzen statt autonomer Taktiken, die Auseinandersetzungen mit der Polizei provozieren und eine (Schein-)Radikalität propagieren, die völlig am Bewusstsein derjenigen Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten vorbei gehen, die keine linken AktivistInnen sind, die aber von der Linken für solche Proteste angesprochen und mobilisiert werden müssen, weil sie die tatsächlichen Opfer von G20-Politik und kapitalistischer Profitwirtschaft sind.

An der Demonstration haben viele migrantische Gruppen teilgenommen, vor allem sehr viele Kurdinnen und Kurden. Unter dem Schutz der Zehntausenden und angesichts deren Solidarität, war es möglich die kürzlich verbotenen Symbole der kurdischen Volksbefreiungseinheiten YPG aus Rojava, die den Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat führen, während des gesamten Demonstrationszuges auf Bannern und Wimpeln zu zeigen. Das war eine erfolgreiche Form des zivilen Ungehorsams.

Die bürgerlichen Medien berichten vor allem über die Krawalle und Verwüstungen, die sich in den Nächten im Hamburger Schanzenviertel ereigneten. Die Teilnehmerzahlen an der Großdemonstration werden, wie üblich, in vielen Medien runter geschrieben. Dabei ist es keine Frage, dass 76.000 nicht übertrieben ist. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir deutlich machen: diese Demonstration war das wahre Gesicht des Widerstands gegen die G20.

SAV-Mitglieder aus dem ganzen Bundesgebiet und Mitglieder unserer Schwesterorganisationen aus Israel, Österreich und Australien nahmen an der Demonstration teil und verkauften circa 400 Exemplare unserer Zeitung „Solidarität“.. Die SAV, Linksjugend Hamburg Altona und Barmbek sowie der BAK Revolutionäre Linke liefen als Block hinter dem Lautsprecherwagen von Jugend gegen G20 und riefen durchgehend kämpferische Parolen wie „Hinter den G20 steht das Kapital, der Kampf um Befreiung ist international“, „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“, „Schulter an Schulter, Hand in Hand, Kampf den G20 in jedem Land“ und viele andere. Alle BlockteilnehmerInnen waren hinterher sehr begeistert von der guten Stimmung. Auch insgesamt war die Demo sehr politisch. Es gab viele Reden, die das kapitalistische System insgesamt infrage stellten.

Polizeiwillkür

Die Polizei hat auch bei der Demonstration versucht, gegen einzelne Teile der Demo vorzugehen. Kurz vor Erreichen der Endkundgebung ging sie – völlig grundlos – gegen einen Lautsprecherwagen vor, von dem Musik gespielt wurde und bunte Seifenblasen gepustet wurden. Als diejenigen, die in diesem Block waren, ihren Lautsprecherwagen mit einer Sitzblockade verteidigen wollten, griff die Polizei mit Wasserwerfern an. Das ist eines von vielen hunderten Beispielen brutaler und willkürlicher Polizeigewalt, die die ganze Woche über in Hamburg ausgeübt wurde.

In der gesamten Woche – und besonders am Vortag waren die Medien voll davon, dass linke Krawallmacher die Stadt verwüsten würden. Die Bilder brennender Autos und Blockaden sowie geplünderter Geschäfte im Schanzenviertel haben viele Menschen verunsicher und zurecht empört. Wer an diesen sinnlosen Aktionen, die nur Polizei und Staat zur Rechtfertigung ihres harten Vorgehens dienen, beteiligt war und weshalb diese so überhaupt durchgeführt werden konnten, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig zu sagen.

Es ist jedoch deutlich, dass es schon lange von staatlicher Seite geplant war, dieses Bild in der Öffentlichkeit zu erzeugen, um die Protestbewegung zu schwächen und insgesamt zu diskreditieren. Umso größer ist der Erfolg der Demonstration zu bewerten.

Dieser hätte noch größer sein können, wenn die Gewerkschaftsführungen, zu den Protesten mobilisiert hätten. Dies hatten nur einige Gliederungen, wie die GEW Hamburg und einzelne lokale Gewerkschaftsjugenden gemacht. Schlimmer noch, die Gewerkschaftsführungen versuchten mit bürgerlichen Kräften die Bewegung zu spalten und riefen zu einer separaten Demonstration´am 2.7. auf. Peinlich für sie, dass diese nicht nur insgesamt weniger TeilnehmerInnen hatte, als die Demo vom 8.7., sondern an letzterer sicher auch mehr Gewerkschaftsmitglieder teilnahmen – nur leider nicht organisiert und unter Fahnen ihrer Gewerkschaft.

Gewalt im Schanzenviertel

Die SAV distanziert sich klar von Plünderungen und dem Inbrandsetzen von Autos, zumal durch solche Aktionen sehr häufig ganz normale Menschen aus der arbeitenden Klasse getroffen werden. Das ist völlig kontraproduktiv und entfremdet die Arbeiterklasse von der „Linken“ und demobilisiert, anstatt die breite Masse für den Widerstand zu mobilisieren. Leute, die Geschäfte kleiner Gewerbetreibender zerstören und plündern, sind keine Linken, selbst wenn sie sich dafür halten. Keine Frage ist, dass diejenigen autonomen Kräfte, die mit martialischen Mobilisierungsbildern zur „Welcome to Hell“-Demonstration aufgerufen haben, eine politische Mitverantwortung für den Gang der Ereignisse tragen, weil sie dem Staat die Möglichkeit gegeben haben, ein Horrorszenario an die Wand zu malen. Es spricht aber auch viel dafür, dass viele derjenigen, die sich an solchen Aktionen beteiligt haben, nicht einmal zur autonomen Szene gehörten. Sozial abgehängte Jugendliche aus Hamburg werden ihrem Frust freien Lauf gelassen haben und die Chance auf ein neues Smartphone genauso genutzt haben, wie es sehr denkbar ist, dass die Polizei wieder einmal Provokateure eingesetzt hat.

Doch wir hatten es in den letzten Tagen vor allem mit einer neuen Qualität von Polizeigewalt und -willkür zu tun, die eine Vertreterin des rechtsanwaltlichen Notdienstes veranlasste davon zu sprechen, dass die Polizei die Macht in der Stadt übernommen hatte. Hier wurde von staatlicher Seite „Aufstandsbekämpfung ohne Aufstand geprobt“. Angefangen mit der rechtswidrigen Verhinderung der Protestcamps zu Beginn der Woche über den brutalen und geplanten Angriff auf die autonome „Welcome to Hell“-Demo am Donnerstag Abend bis zu willkürlichen Prügelorgien in den letzten Nächten. Wir wissen von Augenzeugen, dass zum Beispiel am Samstag Abend die Polizei plötzlich und ohne jeglichen Anlass gegen Menschen vorging, die einfach nur friedlich zusammensaßen und feierten. Sie trieben sie in Seitenstraßen. Trotz der Bitten von betroffenen Jugendlichen an die Polizei, keine Gewalt anzuwenden und obwohl sie keinerlei Anlass dazu gaben, wurde ihnen Pfefferspray in die Augen gesprüht. Davon gibt es viele Berichte auch von anderen Menschen, die sich einfach nur im Schanzenviertel oder auf dem Pferdemarkt aufhielten um zu feiern.

Auch das Vorgehen gegen JournalistInnen ist neu und ist ein Hinweis darauf, wie weit der Rechtsstaat ausgehebelt wird, wenn es um die Interessen der Herrschenden geht. Zahlreichen kritischen JournalistInnen wurde die Akkreditierung entzogen, Presseteams wurden bewusst mit Pfefferspray und dem Spruch „Fuck the press“ angegriffen. Ein Polizeibeamter sagte gegenüber einer taz-Korrespondentin: „So, Sie haben die längste Zeit als Journalistin gearbeitet.“

Aufklärung und Solidarität

Es wird nun eine massive Kampagne von Bürgerlichen gegen die Linke gestartet. CDU-Politiker fordern, dass linke Zentren geschlossen werden sollen, Sigmar Gabriel von der SPD ruft zur internationalen Fahndung gegen „linke Gewalttäter“ auf. Es wird versucht, „linke Extremisten“ mit Neonazis und Islamisten gleichzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass diese Propaganda die nächsten Wochen anhalten wird. Es ist sehr wichtig, eine breite Gegenkampagne zu organisieren, die wahren Ereignisse der Protestwoche in Hamburg darzustellen, gegen die Kriminalisierung der Linken und gegen den Abbau unser aller demokratischen Rechte vorzugehen! Dabei müssen auch die Gewerkschaften in die Pflicht genommen werden.

 

We‘ll never walk alone again! - Kongress des International Dockworkers Council

Nicolas Prettner; Christoph Glanninger

Rückbericht von zwei AktivistInnen der Sozialistischen Linkspartei, die als Besucher am europäischen Kongress des International Dockworkers Council teilgenommen haben.

Am 8. und 9. Juni fand in der slowenischen Ortschaft Koper der europäische Kongress des „International Dockworkers Council“ (IDC) statt, auf dem HafenarbeiterInnen aus 14 Ländern anwesend waren. Auf Einladung der lokalen KranführerInnengewerkschaft nahmen zwei AktivistInnen der SLP an der Konferenz teil. Diese Gewerkschaft hat im vergangenen Jahr in einem beeindruckenden Arbeitskampf die Privatisierung des Hafens von Koper verhindert. Das wurde erkämpft durch eine mehrtägige Blockade des Hafens und Solidaritätsaktionen auf lokaler und internationaler Ebene. Die ArbeiterInnen im benachbarten Hafen von Triest traten sogar in einen Bummelstreik in Solidarität mit ihren KollegInnen in Koper. Diese slowenische KranführerInnengewerkschaft ist Teil des IDC, das durch die Organisierung internationaler Solidaritätsaktionen maßgeblich zu der Verhinderung der Privatisierung beigetragen hat (mehr Informationen zum Arbeitskampf in Slowenien sind hier zu finden: https://www.sozialismus.info/2016/10/slowenien-kampf-gegen-privatisierung/).

Das IDC ist ein Gewerkschaftsverband von HafenarbeiterInnen, der in 41 Ländern, auf jedem Kontinent, aktiv ist und weltweit über 100.000 Mitglieder hat, davon 8.000 in Europa. Im Unterschied zu den meisten heutigen Gewerkschaften ist das IDC unbürokratisch aufgebaut. Die meisten Anwesenden auf der europäischen Konferenz arbeiten noch immer in Häfen und Entscheidungen werden demokratisch getroffen.

Das IDC ist international organisiert, da auch der Kapitalismus international agiert. Das gilt vor allem für die Schifffahrtsindustrie. Überall auf der Welt sehen sich HafenarbeiterInnen mit ähnlichen Problemen konfrontiert, etwa die Privatisierung und Automatisierung von Häfen oder die Prekarisierung von Arbeitsplätzen. Die HafenarbeiterInnen zeigen, was der beliebte Demonstrationsslogan „Hoch die internationale Solidarität“ in der Praxis bedeutet: kommt es in einem Hafen zu einem Arbeitskampf, organisiert das IDC Solidaritätsaktionen, von Protestschreiben und Kundgebungen bis hin zu Solidaritätsstreiks. So zum Beispiel in Slowenien oder beim erfolgreichen Streik der HafenarbeiterInnen in Lissabon letzten April gegen Auslagerungen und Verschlechterungen von Arbeitsplätzen (https://www.slp.at/artikel/frisch-gek%C3%A4mpft-dockarbeiterinnenstreik-in-lissabon-7697). Auch die portugiesische Schwesterorganisation der SLP beteiligte sich an der Organisation von Solidaritätsaktionen.

Auf der Konferenz wurde unter anderem der aktuelle Arbeitskampf von HafenarbeiterInnen im schwedischen Gothenburg besprochen. Das Unternehmen APM greift dort Gewerkschaftsrechte an. So verweigert es zum Beispiel das Recht auf Repräsentation durch die eigene Gewerkschaft bei Verhandlungen. Dazu kommt noch, dass viele Arbeitsplätze bedroht sind. Das IDC führte in Solidarität mit den dortigen ArbeiterInnen vom 26. bis zum 30. Juni ein Aktionswoche durch, wo in jedem Hafen nach Möglichkeit Schritte gegen APM gesetzt werden sollen.

Eins der meist diskutierten Themen des Kongresses war die Situation der HafenarbeiterInnen in Spanien. Die spanische Regierung plant einen Großangriff auf ihre Arbeitsplätze. Mehrere Häfen sind von der Privatisierung bedroht und 6.000 Jobs unsicher. Die spanischen ArbeiterInnen sind deswegen in der Vergangenheit schon in den Streik getreten. Am Kongress des IDC wurde beschlossen, dass am 29. Juni zwischen 10 und 12 Uhr mehrere Häfen in ganz Europa in den Streik treten. Einerseits um die KollegInnen in Spanien zu unterstützen, andererseits um gegen die neoliberale Politik der EU, die sich gegen ArbeiterInnen und Gewerkschaften richtet, vorzugehen. Überall in Europa streikten am 29. Juni HafenarbeiterInnen. So zum Beispiel auch in Koper, wo 400 ArbeiterInnen aus Protest gegen die Politik der EU an der Einfahrt des Hafens demonstrierten,

Das IDC schreibt in seiner Stellungnahme zu dem Streik: „Das IDC stellt sich komplett gegen jeden Versuch die Arbeitsplatzunsicherheit in Häfen zu erhöhen; Gegen jede Form der Privatisierung, die den Interessen von HafenarbeiterInnen widersprechen; Gegen die Versuche der Europäischen Union, die erkämpften sozialen Standards zu unterminieren; Gegen den Druck von großen Schifffahrtsunternehmen und Häfen, Arbeitsplätze zu streichen; Gegen jede Form von anti-gewerkschaftlicher Diskriminierung, Rassismus, Faschismus und Xenophobie.“

Dadurch macht das IDC klar was eigentlich notwendig wäre. Eine klare linke politische Ausrichtung von Gewerkschaften. Denn die neoliberalen Angriffe auf HafenarbeiterInnen reihen sich ein in eine Offensive gegen ArbeitnehmerInnenrechte weltweit. Zentrale Errungenschaften stehen unter Beschuss: die Bosse sind entschlossen unsere letzten Schutzbestimmungen abzuschaffen, während uns die Herrschenden mit rassistischer, sexistischer oder homophober Hetze spalten wollen. Gewerkschaften wie das IDC können eine wichtige Rolle dabei spielen, diese Kämpfe zusammenzubringen. Teilweise zeigt das IDC wie, das es das aussehen kann: es solidarisiert sich mit sozialen Bewegungen wie Black Lives Matter oder mit Streiks in anderen Branchen. Auch bei der Blockade in Koper im letzten Jahr war die Unterstützung von breiten Bevölkerungsteilen entscheidend für den Erfolg. Erst durch große Kundgebungen, die die Unterstützung für die Gewerkschaft sichtbar gemacht haben, konnte genug Druck aufgebaut werden, um die Regierung in die Knie zu zwingen. Das alles zeigt, wie wichtig Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung zwischen Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen und Initiativen ist.

Das IDC ist ein Beispiel dafür, was Gewerkschaften erreichen können, wenn sie demokratisch, internationalistisch und unbürokratisch aufgebaut sind, wenn sie bereit sind, auch zu Streiks und anderen radikalen Aktionen zu greifen, um ihre Forderungen durchzusetzen. Davon sollte sich der ÖGB ein paar Scheiben abschneiden. Basismitglieder haben nur wenig Möglichkeiten zur Mitarbeit und den Kurs mitzubestimmen. Die Macht liegt bei der Führung und den Fraktionen. Die Folge: schlechte Lohnabschlüsse und kaum betrieblicher Widerstand, höchstens einmal eine kleine Dampfablass-Aktion. Die Gewerkschaften sind unser Kampforgan, wir müssen sie uns nur zurückholen. Deshalb ist es wichtig, für die Demokratisierung der Gewerkschaften zu kämpfen. Auch in Österreich sind ArbeiterInnen kampfbereit. Dies zeigte sich erst kürzlich bei der Stürmung der Wirtschaftskammer durch wütende Beschäftigte des grafischen Gewerbes, in Protest gegen die Abschaffung ihres Kollektivvertrages. Dies könnte noch viel erfolgreicher sein, wenn die Gewerkschaft hinter den ArbeiterInnen stehen und solche Aktionen unterstützen und organisieren würde.

Gewerkschaften können Erfolge erzielen. Dafür ist es notwendig, dass sie demokratisch aufgebaut ist und ArbeiterInnen aller Branchen und egal welcher Herkunft für den Kampf für eine andere Gesellschaft organisiert.

 

Großbritannien: Brandkatastrophe im Grenfell Tower

Regierungsunabhängige Untersuchung dringend notwendig
Von Paul Kershaw, Socialist Party in London

Vorbemerkung:

Dieser Artikel erschien am 14. Juni, dem Tag des Brands im Grenfell Tower. Seitdem ist klar geworden, dass sich die Befürchtungen der Socialist Party bewahrheitet haben. Aktuell ist von 79 Toten bzw. noch Vermissten die Rede, die AnwohnerInnen sprechen von mindestens 150 Opfern. Das furchtbare Leid, welches BewohnerInnen und Angehörige durchmachen müssen, hätte verhindert werden können. Die jahrelange Kürzungspolitik der Tories hat fehlende Brandschutzmaßnahmen zu verantworten. Die Fassadenplatten waren der Grund für die extrem schnelle Ausbreitung des Brands. Das Unternehmen Rydon, welches 2015-2016 die Renovierungsarbeiten an der Außenwand des Gebäudes leitete, entschied sich bei der Materialauswahl der Fassadenplatten für die nicht feuerresistente, billigere Option. Pro Quadratmeter waren das zwei britische Pfund. Die Toten vom Grenfell Tower starben am kapitalistischen Profitsystem. Sie waren Menschen aus der Arbeiterklasse und der einfachen Bevölkerung. Sie starben, weil sie arm waren und nicht in den Luxusappartements von Kensington ein paar Straßen weiter wohnen konnten, wo es keine Probleme mit dem Brandschutz gibt.

Das wurde auch den Menschen aus dem Stadtteil klar. Die Untätigkeit der Kommunalräte, die nichts zur Unterbringung der obdachlosen Betroffenen beitrugen, veranlasste die Nachbarinnen und Nachbarn die Spenden zu verwalten und Hilfe selbst zu organisieren. Ihre Wut drückt sich in den bewegenden Fernseh-Interviews und den kämpferischen Protesten aus. Am Freitag stürmten hunderte die Stadthalle in Kensington und forderten eine unabhängige Untersuchung und Gerechtigkeit. Weitere Proteste sind abzusehen. Nach Jahren der Austerität führt diese Katastrophe zu einer weiteren Radikalisierung und zur Entwicklung von Klassenbewusstsein. All das vor dem Hintergrund der Krise der Tory-Regierung nach den kürzlichen Parlamentswahlen, bei denen Labour unter dem sozialistischen Vorsitzenden Jeremy Corbyn das beste Ergebnis seit über zwanzig Jahren erzielte.

Die Socialist Party versucht, diese Entwicklungen zu befördern, gibt Hilfestellungen bei der Organisierung von Mietergruppen und schlägt einen Mieterblock auf einer Großdemo gegen die Regierung am 01. Juli vor. Sie unterstützt die Forderung von Labour-Chef Jeremy Corbyn, die 1399 leerstehenden Häuser im Bezirk für die so dringend notwendige Unterbringung von Obdachlosen zu verwenden. Eine sozialistische Wohnungspolitik würde massiv in Wohnraum investieren, um auf der Grundlage der Verstaatlichung der Banken und der großen Baukonzerne günstige Mieten und sicheren Wohnraum für alle zu Verfügung zu stellen. Weiteres Material auf Englisch findet sich hier.

Video von Channel 4 mit Stimmen von AnwohnerInnen

Das Feuer im Grenfell Tower im Westen Londons verteilte sich in grauenhafter Geschwindigkeit. AugenzeugInnen beschrieben herzergreifende Szenen, bei denen AnwohnerInnen versuchten zu entkommen. Es ist eine furchtbare Tragödie, die eine Welle des Mitgefühls und der Solidarität mit den AnwohnerInnen und betroffenen Familien auslöste.

Wir wissen bereits von Todesfällen und 74 Menschen wurden in Krankenhäuser gebracht. Über zwanzig Sanitäterteams waren im Einsatz. Die genauen Details werden in der nächsten Zeit sicher bekannt werden, doch die Courage der Feuerwehrkräfte und der lokalen AnwohnerInnen ist bereits jetzt offenkundig. Wir verneigen uns vor dem Mut der Feuerwehrkräfte, der lokalen AnwohnerInnen und Sanitäterteams, welche mit selbst aufopfernder Geschwindigkeit reagierten.

Doch neben dem riesigen Mitgefühl und der Trauer fühlt die lokale Bevölkerung große Wut. Mitglieder der Gewerkschaft Unite, die im Wohnungsbereich arbeiten, berichten von AnwohnerInnen in ganz London, die an diesem Morgen auf sie zugegangen sind und in Folge des Unglücks ihre eigenen Ängste offenbarten. Es gibt eine reale Angst, dass die Anliegen der BewohnerInnen ignoriert wurden und das fürchterliche Ereignis vielleicht hätte vermieden werden können.

Es gab in der Vergangenheit bereits Probleme mit der Wartung des Blocks und AnwohnerInnen hatten ihre Sorgen bezüglich des Brandschutzes zum Ausdruck gebracht. Die Anwohnergruppe „Grenfell Action Group“ sagte, sie hätten mehrfach die Eigentümer, den Tory-Stadtrat von Chelsea und Kensington und die Verwaltung des Blocks, auf „sehr niedrige Brandschutzstandards“ im Hochhaus hingewiesen. Sie meinen ihre Warnungen wären „auf taube Ohren“ gestoßen.

Obwohl Kensington und Chelsea die reichste Gegend in Großbritannien ist, gibt es auch viele AnwohnerInnen aus der Arbeiterklasse. Tatsächlich ist die Wut über die Wohnungssituation im Bezirk einer der Faktoren hinter dem Überraschungssieg der Labour-Kandidatin in den Wahlen von letzter Woche. Ihr Wahlkampf drehte sich vor allem um Wohnraum.

Der Rat an die AnwohnerInnen war, dass sie beim Brandfall in ihren Wohnungen bleiben sollten, weil die Branddämmung den Einsatzkräften Zeit für ihre Rettung geben würde. Die Überlebenden berichteten, wie froh sie darüber waren, dass sie angesichts der schnellen Ausdehnung des Brands diesen Ratschlag ignorierten.

Offene Fragen zur Renovierung

Zeugen sprechen von der erst kürzlich am Hochhaus angebrachten äußeren Fassadenverkleidung. Es kommt die Frage auf, wie feuerresistent diese Materialien waren. Das sind Fragen, die im Wohnungsbereich nicht neu sind. Interessanterweise berichtet Dawn Foster vom Guardian, dass die Firma, die für die Renovierungen der Fassade und der Umrüstungen am Grenfell Tower verantwortlich war, alle Bezüge zur Renovierung von ihrer Website genommen hat.

Die Londoner Feuerwehr beschriebt die Situation als „beispiellos“. Matt Wrack von der Feuerwehrgewerkschaft FBU sagte, es sollte gar nicht möglich sein, dass sich das Feuer auf diese Art und Weise entwickeln kann. Die Gewerkschaft fordert eine größere Untersuchung des Falles; eine Forderung, die von der Wohnabteilung der Gewerkschaft Unite ebenfalls erhoben wird.

Wie schon zuvor bei den kürzlich erfolgten Terroranschlägen bringt dieses furchtbare Ereignis die Tatsache zurück ins Gedächtnis, dass die Zahl der Feuerwehrkräfte in London um 550 gekürzt wurde. Zehn Wachen wurden geschlossen und bei anderen die Ausstattung gekürzt. Die Zahl der Feuertoten ist im letzten Jahr gestiegen und die Wartezeiten in den Notfallabteilungen sowie die Reaktionszeiten der Rettungskräfte verfehlen die Ziele. Das NHS steht vor der Belastungsgrenze und dennoch auch vor weiteren Kürzungen.

Landesweite Folgen

Die Ursachen des Feuers sind noch nicht bekannt, doch es muss befürchtet werden, dass die genannten Punkte auf ein inakzeptables Risiko im ganzen Land hindeuten.

Die All-Parteien-Parlamentariergruppe, die sich mit Brandschutz und Rettung befasst, fordert seit Jahren eine Überprüfung der Bauvorschriften. Mängel wurden nach dem zerstörerischen Hochhausbrand im Lakanal House in Southwark von 2009 aufgedeckt, bei dem sechs Menschen starben. Sie beinhalteten zu wenige Brandrisikoeinschätzungen und Fassadenplatten, die nicht genügend feuerresistent waren.

Im letzten Oktober wiederum sagte Wohnungsminister Gavin Barwell im Unterhaus, dass die Regierung 2010 „in Folge des Lakanal-House-Brands“ den Abschnitt B der Bauvorschriften überprüfen wird, welcher sich mit Brandschutz befasst. Ronnie King, ein ehemaliger Hauptfeuerwehrmann und Sekretär des Parlamentarischen Komitees meinte, dass die Bauvorschriften „die Untersuchung vom Lakanal-House-Brand oder neuere anerkannte Erkenntnisse nicht berücksichtige“. (Inside Housing, 7. März 2017)

Der Punkt war, dass Fassadenverkleidung zur Wärmedämmung tatsächlich den Brandschutz untergrub. Das Magazin Inside Housing konnte keinen Termin für die Regierungsüberprüfung zu dieser Zeit in Erfahrung bringen. Gavin Barwell war der verantwortliche Wohnungsminster zu der Zeit, da die Bauvorschriftsüberprüfung verschoben wurde. Er verlor in der letzten Woche seinen Sitz bei den Wahlen, wurde aber schnell zu Theresa Mays neuem Stabschef.

Eine Änderung der Bauvorschriften wäre keine angemessene Reaktion, da bereits bestehende Bauten nicht überprüft werden müssten. Die finanziellen Kosten wären bedeutend – doch Austerität darf kein Grund sein, dass man nicht rechtzeitig reagiert.

Es ist wichtig, dass den 400 bis 600 jetzt Obdachlosen schnell neuer, sicherer und bezahlbarer Wohnraum in lokaler Umgebung zu Verfügung gestellt wird. Die Regierung muss schnell handeln und Gerede vom fehlenden Geld kann in solch einer Situation nicht akzeptiert werden.

Wir brauchen eine tiefgehende Untersuchung des Grenfell House Brands und der daraus resultierenden Folgen für die landesweite Wohnungspolitk. Diese Untersuchung muss unabhängig von der Regierung sein. Ihr muss frei stehen, die Folgen von Ausgabenkürzungen zu benennen und Empfehlungen abzugeben, die bei der Sicherheit keine Kompromisse wegen der Austerität machen. Sie muss von Gewerkschaften und Anwohnergruppen angeführt werden und sich auf unabhängige Experten stützen.

Alle Kommunen sollten sofort die Sicherheit in jedem Wohngebiet untersuchen. Ohne Ausreden wegen Kürzungen sollte dringend in sichere Baustoffe, angemessene Notausgänge, Wohnraum usw. investiert werden.

Labour-Kommunalräte sollten sich weigern jede weitere Kürzung umzusetzen. Stopp aller Privatisierungen bei Wohnungen, Reparaturen und Renovierungen!

Sadiq Khan, der Bürgermeister von London, sollte sofort alle Kürzungen bei der Londoner Feuerwehr rückgängig machen.

Bob Sulatycki, Mitglied der Socialist Party in Westlondon kommentierte:

„Es ist jetzt schon klar abzusehen, dass das hier kein tragischer Unfall ist, sondern das vorhergesehene und kriminelle Ergebnis der Kürzungspolitik, der Privatisierungen, des Mangels an demokratischer Rechenschaft und der sturen Nachlässigkeit, die landesweit wie lokal auf der Tagesordnung stehen.

Alle MieterInnen in Sozialwohnungen aus der Gegend und darüber hinaus werden über die Wichtigkeit der Ereignisse nachdenken. Die Mittel des NHS für die Gegend werden weiterhin gekürzt, einschließlich der Notaufnahmen bei lokalen Krankenhäusern. Sie behandeln gerade die Verletzten und stehen gleichzeitig vor Kürzungen und Schließungen.“

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