Internationales

Internationale Notizen

Moskau: Gegen Delogierung

 

Im März beschloss das russische Parlament eine Gesetzesänderung, die es der Stadt Moskau erlaubt, hunderttausende Wohnungen abzureißen. Über eine Million Menschen sollen zwangsweise umgesiedelt werden. Als klar wurde, dass den BewohnerInnen kein angemessener Ersatz geboten wird und die eigentlichen Profiteure die Baukonzerne sind, bildeten sich Widerstandskomitees, die bereits Mitte Mai stark genug waren, eine Demo mit 20.000 Menschen zu organisieren. Sotsialisticheskaya Alternative (CWI in Russland) ist aktiv an dieser Kampagne beteiligt und hat im Juni eine Diskussion mit Aktivisten verschiedener Regionen Moskaus organisiert. Dort, wo die BewohnerInnen gut organisiert sind, gelang es ihnen, ihre Häuser von der Abrissliste streichen zu lassen.

 

http://Socialistworld.ru

 

 

GB: Tories Out!

 

Am 1. Juli fand in London die Tories Out Demo statt, an der sich mehrere Zehntausende beteiligten. Sie forderten den Rücktritt der verhassten Regierung von Theresa May, nachdem Jeremy Corbyn die Hoffnung weckte, endlich mit der Kürzungspolitik Schluss zu machen. Die Socialist Party (CWI in GB) war auf der Demo stark vertreten und mit ihren Fahnen und Transparente nicht zu übersehen. Es wurden nicht nur hunderte Ausgaben der Zeitung verkauft, es traten auch fünf Personen noch auf der Kundgebung dem CWI bei. Die Socialist Party kritisierte die Untätigkeit des Gewerkschaftsdachverbands, und forderte ihn auf, beim Kampf gegen May die Führung zu übernehmen. Mit seinen 6 Millionen Mitgliedern wäre die Regierung in wenigen Monaten zum Rückzug gezwungen.

 

http://socialistparty.org.uk

 

 

 

Hong Kong

 

Socialist Action (CWI in Hong Kong) konnte im ersten Halbjahr 19 neue Mitglieder gewinnen. Der Einfluss der Organisation steigt und trägt zum Entstehen einer starken linken Kraft bei. Zwei Drittel der neuen Mitglieder sind Frauen, was einen großen Schritt vorwärts bedeutet. Es konnten Proteste mit Flüchtlingen, migrantischen ArbeiterInnen und Gewerkschaftern organisiert werden.

 

http://Chinaworker.info

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Britannien nach den Wahlen

Der fulminante Erfolg von Jeremy Corbyn hat das britische Establishment erschüttert
von Paul Hunt, Socialist Party England & Wales

Der britische  Kapitalismus steckt in einer politischen Krise: Nach ihrer Wahlniederlage klammert sich Theresa May nun an die nordirische Kleinpartei DUP - als letzten Strohhalm, um eine Regierung zu bilden. Am schlimmsten für das Establishment ist aber, dass der Erfolg Jeremy Corbyns Hoffnung und eine Stimme für Millionen einfacher Leute schafft, die genug von kapitalistischer Kürzungspolitik haben.

Es ist keine Frage, dass Theresa May inkompetent ist. Das zeigte sich etwa in ihrer Absage an TV-Debatten und in ihrer Unfähigkeit, menschlich zu wirken. Entscheidend für ihre Niederlage ist aber die Bilanz der Tory-Regierung: Sozialkürzungen, vor allem im öffentlichen Sektor, und dazu stagnierende oder fallende Löhne haben den Unterschied zwischen Arm und Reich extrem vergrößert.

Mit dem Sieg Jeremy Corbyns als Vorsitzender der Labour Party hat die brodelnde Wut Ausdruck gefunden. Wo auch immer er im Wahlkampf sprach, lauschten Tausende seinen Reden. Vor allem unter Jugendlichen gewann er extrem an Unterstützung. Ein weiterer Impuls wurde mit dem „Labour Manifesto“ (Wahlprogramm) gesetzt. Auch wenn es kein klares sozialistisches Programm ist: es forderte eine Rückverstaatlichung von Teilen der Eisenbahnen, Gas, Strom und Wasser, einen 10₤ Mindestlohn, Obergrenzen für Mieten und vieles mehr, was vor allem ArbeiterInnen helfen würde. Dies bedeutete einen Bruch mit dem neo-liberalen Kurs der Blaire-Clique. Die Antwort war elektrisierend. Wahlkampfveranstaltungen schienen immer mehr wie Festivals. Das Resultat ist ein gewaltiger Schlag gegen die Blairites in der Labour Party. Sie hatten die letzten 2 Jahre versucht, Corbyn loszuwerden. Sie sagten, er sei unwählbar. Nun sind sie gezwungen, ihre Fehler einzugestehen: Labour gewann 30 Sitze und baute ihre Mehrheit in vielen Wahlkreisen aus.

Nun laufen die Brexit-Verhandlungen an. Mays Mehrheit ist geschrumpft, der britische Kapitalismus in einer schwächeren Position. Labour Party ist nicht länger eine sichere Bündnispartnerin - und das macht dem Establishment Sorgen. Viele in der Linken sahen das Brexit-Votum als Zeichen eines Rechtsrucks. Wir stimmten dem nicht zu. Unsere Analyse hat sich bestätigt: Tory-Premier Cameron ist zurückgetreten und die UKIP ist implodiert. Das Brexit Votum war zu einem großen Teil eine Revolte der ArbeiterInnenklasse gegen das Establishment. Die wahren Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft haben sich in der Popularität der Bewegung um Corbyn gezeigt.

Sowohl vor als auch nach der Wahl gab es schwerwiegende Ereignisse, die das Versagen der Politik von „New Labour“ und Tories zeigten. So sahen wir schreckliche Terroranschläge in London und Manchester. Jeremy Corbyn verurteilte diese Anschläge. Er sagte jedoch, wie auch die Socialist Party, dass die imperialistische Intervention und Kriegstreiberei im Nahen Osten weder Frieden noch Stabilität in die Region bringen.

Noch deutlicher wurden die Folgen der Kürzungspolitik beim grauenhaften Brand des Greenfell-Towers in West London. Das Feuer wurde zum Symbol für den immer größer werdenden Spalt zwischen Arm und Reich. Das Gebäude ging in Flammen auf, weil schlechte Baumaterialien verwendet wurden. Seit der Blair-Regierung wurden Feuerschutz-Bestimmungen gelockert. Die BewohnerInnen haben nun den Preis mit ihrem Leben bezahlt. Als May Grennfell besuchte, traf sie nicht die Betroffenen. Bei einem zweiten Besuch wurde sie unter „Mörderin“ und „Feigling“-Rufen verjagt.

Die Hauptaufgabe ist nun, die Bewegung der Wahlkampagne weiterzuführen. Der Konflikt, welcher sich, seit Corbyn zum Vorsitzenden gewählt wurde, in Labour abspielt, muss jetzt gewonnen werden. Demokratische Reformen, um die alte Bürokratie zu überwinden, stehen jetzt an. Der rechte Labour-Flügel hat einen Schlag verpasst bekommen, wir müssen dafür sorgen, dass es ein KO-Schlag wird. Auch die Gewerkschaften müssen ihren Teil übernehmen, indem sie Streiks gegen Lohnkürzungen und Sparpakete organisieren.

Corbyns Programm ist ohne Frage ein Schritt nach vorne. Gleichzeitig sollte es aber eine Debatte innerhalb der Bewegung geben: welche Forderungen brauchen wir, um das Leben der einfachen Leute zu verbessern? Unsere Antworten sind beispielsweise der Kampf für weitgehende demokratische Verstaatlichung von Banken, Finanzwirtschaft und den Schlüsselindustrien. Um es anders auszudrücken: ein Bruch mit dem Kapitalismus, um eine sozialistische Wirtschaft aufzubauen, die Menschen vor Profite stellt. 

 

http://socialistparty.co.uk

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Diesel-Gate: Die Verursacher sollen zahlen!

Für umweltfreundliche Alternativen im Interesse der Mehrheit!
Von Angelika Teweleit, Berlin

„Diesel-Gate“ ist einer der größten Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik – inmitten des Wahlkampfes. Betroffen ist der wichtigste Industriezweig hierzulande: mehr als 800.000 Beschäftigte arbeiten in der Kraftwagen- beziehungsweise Kraftwagenteil-Industrie . Der „Diesel-Gipfel“ am 2. August war eine Farce. Wieder einmal konnten die Autokonzerne ihre Interessen gegenüber Bundes- und Landesregierungen weitgehend durchsetzen.

Viele Experten sind überzeugt: Durch die von den Autokonzernen zugesagten Software-Updates an 5,5 Millionen Dieselfahrzeugen mit den Schadstoffklassen Euro 5 und Euro 6 werden die gesetzlichen Grenzwerte für Stickstoff nicht eingehalten und es wird keine Verbesserung der Luftqualität bringen. Bereits von VW vorgenommene Software-Updates hatten bewiesen, dass die Verringerung des Schadstoffausstoßes weit unter der Zielmarke bleibt und zudem teilweise zu technischen Störungen führt.

Die Konzernchefs lehnen eine bauliche Nachrüstung klar ab: „Wir halten es im Grunde genommen für ausgeschlossen, Hardwarenachrüstungen vorzunehmen“, sagte VW-Chef Matthias Müller bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Daimler-Chef Dieter Zetsche und BMW-Chef Harald Krüger nach dem Dieselgipfel in Berlin. „Einmal des Aufwandes wegen, aber auch, weil die Wirkung fragwürdig ist.“ Selbst der ADAC, dessen Kritik relativ gemäßigt bleibt, widersprach dem und führte aus, der Stickstoffausstoß ließe sich nicht nur um 25 Prozent, sondern um bis zu neunzig Prozent senken, wenn die Hardware der betroffenen Autos nachgerüstet würde.

Der LINKE-Vorsitzende Bernd Riexinger weist richtig darauf hin, wer die Leidtragenden sind: „die Autokäufer, die Beschäftigten und die Umwelt“. „Sie werden von der Regierung Merkel zu Geiseln der Profite der Autokonzerne gemacht. Deren Milliardengewinne, die auch durch den Betrug zustande gekommen sind, bleiben nahezu unangetastet, weil sie von Bundes- und Landesregierungen nicht gezwungen werden, den angerichteten Schaden auf ihre Kosten wieder gutzumachen und das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zurück zu erlangen. Auch deshalb wohl wurden Umwelt- und Verbraucherverbände gar nicht erst zu diesem Gipfel eingeladen.“ Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e.V. bezeichnete den Gipfel bei einer Rede auf der wöchentlichen Montagsdemonstration in Stuttgart gegen S21 als Treffen der „organisierten Kriminalität“. Das ist keine Übertreibung. Gleichzeitig ist es der „ganz normale Wahnsinn“ innerhalb des kapitalistischen Systems, welches auf Profitmaximierung ausgerichtet ist.

Der wirkliche Grund für die Ablehnung der Hardware-Nachrüstung ist offensichtlich der Kostenaufwand und damit verbundene Profitschmälerungen. Dabei haben sich die Großaktionäre in den letzten Jahren mithilfe ihrer Abgasbetrügerei und den nun ans Licht kommenden Kartellabsprachen eine goldene Nase verdient. 2016 machte VW einen Gewinn von 7,1 Milliarden Euro, BMW 6,9 Milliarden Euro, Daimler 8,8 Milliarden Euro. Zwischen 2010 und 2016 verdienten allein diese Konzerne 152 Milliarden Euro (Zahlen vom Verkehrsexperten der LINKEN Herbert Behrens).

Das alles wurde noch durch öffentliche Subventionen befördert. Auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE antwortete die Bundesregierung, dass die Autoindustrie in Deutschland insgesamt rund 1,15 Milliarden Euro an Subventionen vom Bund für Forschung und Entwicklung, sowie Investitionen erhalten habe. Dazu kommen Millionenbeträge aus Landesmitteln, zum Beispiel 25 Millionen Euro in Bayern, 123,5 Millionen Euro seit 2010 in Baden-Württemberg, über 90 Millionen Euro seit 2007 in Sachsen, 447 Millionen Euro seit 2009 in Hessen. Aus Niedersachsen lag bis zur Veröffentlichung im Faktencheck der Tagesschau keine Angabe vor.

Ministerin für Umwelt?

Selbst Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte zunächst gemeint, eine Hardware-Nachrüstung sei notwendig. Nach dem „Nationalen Forum Diesel“ war sie im Interview mit Deutschlandfunk plötzlich der festen Meinung, das Software-Update würde „auf jeden Fall“ die Luftqualität verbessern, auch wenn sie nicht ausschließen könne, dass es dennoch zu Fahrverboten in Innenstädten komme (http://www.deutschlandfunk.de/nach-dem-dieselgipfel-nicht-zu-akzeptieren-dass-es-nicht-zu.694.de.html?dram:article_id=392598 ).

Mit ihrer Aussage macht sie deutlich, wie wenig sie sich eigentlich um Grenzwerte und letztlich um die Gesundheit der Bevölkerung schert. Laut Umweltbundesamt stoßen Euro-6-Diesel mit 507 Milligramm auf der Straße mehr als sechsmal so viel NOx pro Kilometer aus, wie auf dem Prüfstand im Labor erlaubt ist – nämlich achtzig Milligramm. Verkehrsexperte Peter Mock erklärte gegenüber der dpa nach dem Dieselgipfel, dass selbst wenn man annehmen würde, dass das Software-Update tatsächlich (also im besten Fall) bei allen Fahrzeugen dreißig Prozent bringen würde, dann wäre man bei 355 Milligramm pro Kilometer. „Das ist immer noch mehr als viermal so hoch wie das gesetzliche Euro-6-Limit.“, so Mock (https://web.de/magazine/wirtschaft/vw-skandal/expertediesel-software-updates-schmutzig-32459400).

Gesundheitsschäden

Die Gesundheitsgefährdung durch die giftigen Abgase ist schleichend, aber massiv. Besonders Kinder und ältere Menschen, sowie Asthmatiker reagieren empfindlich auf erhöhten Ausstoß von Stickoxid. Mehr als die Hälfte der Messstationen in Deutschland zeigen höhere Stickoxidwerte als die gesetzliche Höchtsgrenze von vierzig Mikrogramm. Auch das Risiko neuer Asthma-Erkankungen nimmt zu: bei einem um zehn Mikrogramm höheren Ausstoß für Kinder um 15 Prozent, wie das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut in einer Studie herausfand.

Laut einer Studie des wissenschaftlichen Teams um Susan Anenberg von der Organisation Environmental Health Analytics (LLC) in Washington sterben weltweit 107.000 Menschen jährlich an Stickoxiden. Besonders betroffen sind die Länder in der EU, weil hier immer noch mehr Dieselautos verkauft werden. In Deutschland sterben daran laut Europäischer Umweltagentur 10.000 Menschen pro Jahr. Dabei würde allerdings nicht einmal die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte ausreichen, um Todesfälle mit dieser Ursache zu verhindern.

Wes‘ Brot ich ess …

Die Kumpanei zwischen Autoindustrie und Politik bei diesen Verbrechen mit Todesfolge wird nun durch die Abgas- und Kartellskandale in der Öffentlichkeit diskutiert. Dass Niedersachsens Ministerpräsident Weil (SPD) eine Regierungserklärung zum VW-Skandal im Oktober 2015 dem Vorstand von VW vorlegte und „korrigieren“ ließ ist das eine. Dass der derzeitige Außenminister Sigmar Gabriel (ehemaliger Umweltminister und zeitweise selbst niedersächsischer Ministerpräsident und Mitglied im VW-Aufsichtsrat) es für einen völlig normalen Vorgang hält, zeigt nur, in wessen Diensten Regierungen inklusive der SPD stehen und wie viel Macht tatsächlich bei den Konzernchefs liegt. Natürlich hat auch ein Christian Wulff (CDU), der seine üppige staatliche Pension nun als Prokurist für ein türkisches Modeunternehmen „aufbessert“, in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident nicht anders gehandelt. Die CDU versucht nun, den ganzen Dieselskandal für eine Verschiebung der Debatte zu nutzen, indem sie erneut das VW-Modell mit zwanzig Prozent Landesanteilen und Sperrminorität zum Thema macht. Das ist aus drei Gründen abstrus. Erstens ist das Problem auch bei VW nicht, dass der Staat von den privaten Großaktionären unabhängige Interessen durchsetzen würde. Ganz im Gegenteil: der Skandal um die dem VW-Management zur Zensur vorgelegte Regierungserklärung ist nur ein Beispiel dafür, dass die VertreterInnen der Landesregierung wie Knete in der Hand der Konzernbosse sind. Zweitens ist ja gerade klar geworden, dass genau der gleiche Betrug eben nicht nur bei VW, sondern auch bei Daimler, BMW und Audi stattgefunden hat. Drittens ist es eben genau das Problem, dass im Kapitalismus diejenigen die politische Macht ausüben, bei denen auch die ökonomische Macht liegt. So wurde Bundeskanzlerin Merkel von den deutschen Autobossen Anfang des Jahres „überzeugt“, strengere EU-Grenzwerte für den CO2-Ausstoß zu blockieren. Und natürlich ist es Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der sich beharrlich weigert, Bußgeldverfahren gegen die Automobilindustrie einzuleiten. Die Liste könnte mit tausenden weiterer Beispiele ergänzt werden.

Diesel – als Klimaretter?!

Wer noch die Illusion hatte, für einen grünen Ministerpräsidenten wie Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg gäbe es andere politische und moralische Maßstäbe im Interesse der Umwelt, wurde eines besseren belehrt. Nachdem er noch vor dem Dieselgipfel die Autoindustrie beruhigte, ein Fahrverbot sähe er „bis 2018 nicht“, erklärt er mittlerweile den Dieselmotor als für die Umwelt lebensnotwendige Alternative zum Benziner und warnt: „Bei einem signifikanten Rückgang des Dieselanteils wären die Klimaziele so nicht mehr zu halten“ (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.gruener-ministerpraesident-kretschmann-macht-sich-fuer-den-diesel-stark.dc561c78-2c65-47f0-b432-df135bf5364a.html).

Für Dieter Zetsche haben sich offensichtlich freundliche Beziehungen zum Ministerpräsidenten, sein Auftritt beim Grünen-Parteitag sowie Parteispenden von Daimler im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt gemacht. Tief verbunden sieht sich der „grüne“ Kretschmann mit der Autoindustrie: „Ich will, dass Deutschland auch in zehn oder zwanzig Jahren noch das Autoland Nummer eins ist.“ (Interview mit Focus, Nr. 33 2017)

Benziner oder Elektroauto als Alternative?

Richtig ist, dass der Benzin-Motor keine saubere Alternative zum Dieselmotor ist – sowohl, was die CO2-Bilanz angeht, aber auch aus anderen Gründen. Eine zusätzliche Hauptquelle für den gesundheitsschädigenden Feinstaub ist der Abrieb durch Reifen und Bremsen bei allen Fahrzeugen – egal mit welchem Motor sie angetrieben werden. Während Kretschmann sowohl den Diesel als umweltfreundlich verkauft als auch auf den E-Motor setzt, ist das von den Bundes-Grünen ausgegebene Ziel, dass bis zum Jahr 2030 nur noch abgasfreie Neuwagen zugelassen werden . Doch auch das Elektroauto ist – ohne ein grundsätzliches Umschwenken vom Individualverkehr auf ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz – in Wahrheit aus ökologischer Sicht keine wirkliche Alternative, wie Verkehrsexperte Winfried Wolf ausführt: „Die CO2-Bilanz von Elektro-Pkw ist dann, wenn auch die Herstellung der Pkw und der Batterien in die Bilanz einbezogen wird, bereits in Europa weitgehend identisch (schlecht) wie diejenige des Pkw-Verkehrs mit konventionellen Motoren. In anderen Regionen, so in China, wo die Elektro-Pkw-Offensive besonders massiv vorangetrieben wird, schneiden Elektro-Pkw nochmals deutlich schlechter ab, da der Strom-Mix zu einem noch größeren Teil von Kohlekraftwerken bestimmt wird.

Es bleibt auch bei dem immensen, überproportional hohen Blutzoll – von aktuell weltweit einer Million Straßenverkehrstoten pro Jahr. In (ganz) Europa sind es rund 45.000 Straßenverkehrstote jährlich (in der EU 33.000). Das heißt: Bereits in Europa mit einer relativ niedrigen Rate an Straßenverkehrstoten gibt es in einem Jahrzehnt 450.000 Straßenverkehrstote.“ (Quelle: http://www.lunapark21.net/schmierentheater-elektro-pkw-2/)

„Ein Elektroauto zu fahren macht deutlich mehr Spaß als Benziner oder Dieselfahrzeuge – weil Sie zum Beispiel blitzschnell an der Ampel starten können, da lassen Sie jeden Maserati stehen. […] Es geht hier um Klimaschutz, um mehr Gesundheit, aber auch um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.“ So erklärte Anton Hofreiter von den Grünen seine eigentliche Motivation für das E-Auto in einem Interview im Handelsblatt am 3. November 2016.

Das gehört sicherlich zur eigentlichen Zielsetzung der jetzt eingerichteten Arbeitsgruppen aus dem „Nationalen Forum Diesel“. Es gilt angesichts ausländischer Konkurrenz wie Tesla, aber auch vor dem Hintergrund, dass in einem wichtigen Absatzmarkt wie China bereits ab nächstem Jahr eine Quote für Autohersteller eingeführt werden soll, nach der sie zu einem bestimmten Produktions-Anteil von Elektroautos verpflichtet werden sollen, den Anschluss zu bekommen. Die deutschen Konzernchefs wollen daher den von ihnen verschuldeten Dieselskandal nun auch noch nutzen, um sich den Umstieg auf E-Motoren noch stärker subventionieren zu lassen.

Betriebsräte und IG Metall

Bei alldem können die Autobosse nicht nur auf die Zuarbeit von Bundes- und Landesregierungen zählen, sondern auch auf die der Führung der Gewerkschaften und der Betriebsräte. Während in der Öffentlichkeit breit Kritik an den Ergebnissen des Dieselgipfels laut wurde, bezeichnete Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg sie als „deutlichen Schritt nach vorne“. Um ein wenig Kritik zu verlautbaren, so scheint es, bemängelt die IG Metall, dass die Verabredungen bisher keinen „rechtssicheren Rahmen“ hätten. Vor allem aber, dass die „Beteiligung der internationalen Hersteller“ sehr unbefriedigend sei: „Bei der Debatte darf es nicht darum gehen, Umweltaspekte, wirtschaftliche Prosperität oder Arbeitsplätze gegeneinander auszuspielen. Sondern wir brauchen einen Dreiklang aus den besten Umweltstandards, einer wettbewerbsfähigen Autoindustrie an der Weltspitze und vieler attraktiver Arbeitsplätze für Menschen“, führte Zitzelsberger aus. Das spiegelt die jahrzehntelange Politik des Co-Managements und einer wettbewerbsorientierten Standortlogik wider, die vor allem durch die Betriebsräte in der Autoindustrie verfolgt wird.

Leider gibt es zu dieser Haltung der IG Metall-Führung und der Betriebsratsfürsten bisher kaum einen sichtbaren Gegenpol. Entsprechend sehen sich viele Beschäftigte in der Autoindustrie – auch aus Angst um ihren Arbeitsplatz – vielleicht eher in einer Verteidigungshaltung ihrer Unternehmen. Die Standortlogik ihrer Gewerkschaftsführung bedeutet jedoch unterm Strich nichts Gutes für die Beschäftigten.

Jahrzehntelang haben die Autobosse die Beschäftigten erpresst und Betriebsräte und IG Metall-Führung haben eine Reihe von Zugeständnissen gemacht. Somit konnten die Autobosse die Produktivität erhöhen – allerdings nicht im Sinne der Beschäftigten, sondern gegen sie. Die Arbeitshetze hat enorm zugenommen. Die Wochenenden gehören schon lange nicht mehr der Familie, sondern den Konzernen. Viele KollegInnen leiden schon früh unter Rückenbeschwerden und anderen gesundheitlichen Schäden. Aller Verzicht – auf Pausen, Lohnerhöhungen, Freizeit – nützt nichts, wenn der Unternehmer entscheidet, einen Standort zu schließen oder wenn eine neue Wirtschaftskrise kommt. Seit der letzten Krise 2008/2009 sind zwar einige Jahre ins Land gegangen, in denen die deutsche Autoindustrie gegenüber der ausländischen Konkurrenz weitgehend als Gewinnerin hervorging. Doch eine erneute Krise ist unausweichlich, auch wenn der Zeitpunkt nicht sicher ist. Das wird große Auswirkungen auf die weltweite Automobilbranche haben, die schon jetzt massive Überkapazitäten aufgebaut hat. Wenn nicht mehr genügend Autos verkauft werden können, stehen Hunderttausende von Arbeitsplätzen zur Disposition – viele davon auch in Deutschland.

Die Konzernbosse versuchen jetzt, die Dieselkrise auch noch zu nutzen, um die Beschäftigten zu verunsichern. Auch die Perspektive eines Produktionsumstiegs auf E-Autos, die wesentlich weniger Komponenten haben, wird von Seiten der Manager genutzt, um mit Arbeitsplatzabbau oder Standortverlagerung zu drohen und auch damit weitere Zugeständnisse von Betriebsräten zu erpressen. Der Verzichtslogik der IG Metall-Führung muss eine kämpferische Strategie und Forderungen wie Erhalt aller Arbeitsplätze, drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, freie Wochenenden etc. entgegen gesetzt werden. Dies muss mit einer Perspektive für den Umbau des Industriezweiges verbunden werden.

Luftqualität verbessern – jetzt!

Angesichts der Unfähigkeit und Unwilligkeit von Politik und Wirtschaft, eine Lösung für die verpestete Luft in den Ballungsgebieten aufzuzeigen, sollte Druck von unten aufgebaut werden.

Die LINKE macht richtigerweise klar, dass die Software-Updates nicht hinnehmbar sind und stattdessen auf Kosten der Automobilkonzerne eine Hardware-Umrüstung vorgenommen werden muss.

Es darf keine weiteren gesundheitlichen Schäden und Opfer der Luftverpestung geben. Damit Menschen mobil sein können, sollte unmittelbar der öffentliche Personennahverkehr kostenfrei angeboten werden. Bus-, U-Bahn- und Straßenbahnverbindungen sollten ausgebaut und die Takte erhöht werden – natürlich mit entsprechender Neueinstellung von FahrerInnen. Zusätzliche Straßen sollten für Fahrräder frei gemacht werden. Verbunden damit sollte der Pkw- und Lkw-Verkehr in den Ballungszentren massiv eingeschränkt werden, beziehungsweise können auf einer solchen Grundlage auch Fahrverbote umgesetzt werden, ohne dass die Masse der Bevölkerung darunter zu leiden hat.

Wie DIE LINKE richtig fordert, müssen die Autokonzerne nach dem Verursacherprinzip zur Kasse gebeten werden – auch, um diese Sofortmaßnahmen umzusetzen. Dabei sollte hervorgehoben werden, dass es die Großaktionäre und Spitzenmanager sind, die hier belangt werden sollen und nicht Kleinaktionäre oder gar die Beschäftigten in der Autoindustrie.

Die Chefs der Autokonzerne haben mit ihren Machenschaften deutlich gemacht, dass sie weder von den Gesichtspunkten der Gesundheit, der Umwelt und des Klimas, noch von den Interessen der über 800.000 Beschäftigten geleitet werden. Das Motiv ihres Handelns ist allein die Profitsteigerung.

Die Spitzenmanager, die jahrelang den Betrug organisiert haben, gehören entlassen und müssen zur finanziellen Haftung herangezogen werden. Damit sie ihr Vermögen nicht beiseite schaffen, sollte dieses konfisziert werden. Die Großaktionäre, die von dem Betrug am meisten profitiert haben, gehören enteignet. Entschädigung darf es nur bei erwiesener Bedürftigkeit geben.

Programm für eine andere Verkehrspolitik

Ausgehend von einem solchen Sofortprogramm sollte der Umbau des gesamten Verkehrssystems angegangen werden. Es muss eine Neuorientierung weg vom Individualverkehr hin zum öffentlichen Nah- und Fernverkehr vollzogen werden. Das muss in Verbindung mit einer Arbeitsplatzgarantie für alle Beschäftigten in der Automobilindustrie geschehen, und zwar ohne Lohnverlust. Ziel sollte der Ausbau der Streckennetze in den Städten und auf dem Land, ein massives Investitionsprogramm in diese Bereiche und Ausbau statt Abbau des Personals bei Bussen und Bahnen sein.

DIE LINKE sollte angesichts dieser Skandale offensiv die Eigentumsfrage aufwerfen, wie sie es auch in ihrem Wahlprogramm beschlossen hat, nämlich die Überführung von Schlüsselindustrien in die öffentliche Hand beziehungsweise gesellschaftliche Eigentumsformen. Dabei ist es keine Lösung, wie Dietmar Bartsch vorschlägt, bei VW den Landesanteil von zwanzig Prozent in Belegschaftsaktien zu überführen. Damit können ebenso wenig Interessen der Beschäftigten gegen die der Großaktionäre durchgesetzt werden. Um die gesellschaftliche Kontrolle und einen ökologisch sinnvollen Umstieg zu erreichen, sollte die LINKE stattdessen jetzt eine Offenlegung der Geschäftsbücher sowie die Verstaatlichung der Autokonzerne unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung fordern und in die öffentliche Debatte bringen.

Ökologischer Umbau

Technisch gibt es viele Möglichkeiten, die Produktionsanlagen, Maschinen und Fertigkeiten der Belegschaften für andere Produkte zu nutzen. Der US-Filmemacher Michael Moore erinnerte daran, wie bei General Motors 1942 innerhalb weniger Monate die Autoproduktion auf die Herstellung von Flugzeugen, Panzern und Maschinengewehren umgestellt wurde. Wenn das also möglich ist, dann kann auch rasch eine Umstellung der Produktion auf sinnvolle Güter organisiert werden.

Stephan Krull, ehemaliger Betriebsrat bei VW, schrieb Anfang 2009: „Die Profite der vergangenen Jahre können abgeschöpft und eingesetzt werden, um Alternativen zu denken, zu planen, zu entwickeln und zu produzieren. (…) Langfristig bedarf es eines ökologisch-sozialen Umbaus unter Einbeziehung der Gewerkschaften, der sozialen Bewegungen und anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen, um die Konversion unserer Industrie mit den Menschen gemeinsam zu gestalten“ (Sozialismus 1/2009). Diese Forderung sollte jetzt wieder aufgegriffen werden.

Die Leitung von Daimler, VW, Audi, BMW etc. könnten Gremien übernehmen, die sich aus gewählten VertreterInnen der Belegschaften und aus der arbeitenden Bevölkerung, VertreterInnen aus Umweltschutz- und Verbraucherverbänden zusammen setzen. Die gewählten Leitungsgremien der verschiedenen Betriebe könnten sich vernetzen und einen gemeinsamen Plan für den Umbau der Autoindustrie entwickeln. Auf dieser Grundlage ließe sich ein Produktions- und Verkehrsplan erstellen, mit dem auch die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt befriedigt werden könnten.

Die jetzige Debatte um den Dieselskandal und die Unfähigkeit der Politik, eine Lösung im Interesse der Masse der Bevölkerung durchzusetzen, sollte genutzt werden, um über Systemalternativen zu diskutieren. Das ist auch eine Chance für DIE LINKE. So sollte diese deutlich machen, dass die Überführung der Autoindustrie und weiterer zentraler Industrien in öffentliches Eigentum und ein demokratisch geplanter Umbau des gesamten Verkehrssystems nötig sind. So kann sie eine gesellschaftliche Alternative jenseits des Kapitalismus konkret machen und aufzeigen, wie eine wirtschaftliche Planung nach den Bedürfnissen der Gesellschaft und unter Berücksichtigung des Umweltschutzes möglich ist. So könnte sich DIE LINKE auch im Bundestagswahlkampf deutlich von allen anderen Parteien absetzen, die allesamt im Dienste der Bosse stehen und deren Politik gegen die Interessen der Masse der Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen gerichtet ist.

Wir fordern:

– Verursacherprinzip anwenden: Großaktionäre der Autoindustrie und Spitzenmanager sollen bezahlen

– Hardware-Umrüstung statt Software-Betrug, finanziert durch die Gewinne der Autoindustrie

– Keine weiteren Gesundheitsschäden! Kein Aufschub, stattdessen unmittelbare wirksame Maßnahmen zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes

– Kostenloser öffentlicher Personennahverkehr, Ausbau des Bus- und Bahn-Netzes und Neueinstellungen im ÖPNV; auf dieser Grundlage Umsetzung der Fahrverbote in Ballungsgebieten

– Güterverkehr weg von der Straße, rauf auf die Schiene

– Entlassung der Spitzenmanager; sie sollen finanziell in Haftung genommen werden; vorläufige Beschlagnahmung ihrer Privatvermögen

-Lückenlose Aufklärung aller Korruption – unabhängige Untersuchungskommissionen unter Einbeziehung von VerbraucherInnen, Umweltschutzverbänden und Beschäftigten

– Enteignung der Großaktionäre in der Autoindustrie, Entschädigung nur bei erwiesener Bedürftigkeit

– Verstaatlichung der Autokonzerne unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung

– Demokratischer Plan für Umstellung der Produktion

– Ökologischer Umbau des Verkehrssystems – weg vom Individualverkehr hin zum öffentlichen Verkehrswesen

– Erhalt aller Arbeitsplätze: drastische Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie Umschulung für neu ausgerichtete Produktion

– Demokratische Planwirtschaft statt kapitalistisches Chaos und Umweltzerstörung

Angelika Teweleit ist gewerkschaftspolitische Sprecherin der SAV und Mitglied der Bundesleitung

 

Venezuela: Imperialistische Offensive nach den Wahlen

Erklärung von Izquierda Revolucionaria und Socialismo Revolucionario vom 04. August 2017

Nur die Arbeiterklasse kann die Reaktion besiegen, wenn sie den Kapitalisten und Bürokraten die Macht nimmt.

Am 30. Juli fanden die Wahlen statt, um die Mitglieder der „Verfassungsgebenden Nationalversammlung“ (ANC) zu wählen. In den Tagen vor der Wahl unterstützen der US-Imperialismus und die MUD (Koalition, die die Rechte und extreme Rechte in Venezuela vereint) eine Kampagne aus Drohungen und Gewalt um diese zu verhindern. Der US-amerikanische und europäische Imperialismus, sowie verschiedenen kapitalistische Regierungen haben angekündigt, dass sie sich weigern würden, die Ergebnisse anzuerkennen. Das Weiße Haus drohte sogar gegen Venezuelas Öleinnahmen aus den USA (Venezuelas wichtigster Ölkunde) vorzugehen, was ein großer wirtschaftlicher Schlag für die Bevölkerung wäre.

Am Tag der Wahlen rief die MUD nicht nur zum Boykott auf. In den Stadtteilen der Mittel- und Oberschicht, die sie kontrollieren, drohten sie denjenigen, die abstimmten, errichteten Barrikaden, um den Zugang zu Wahlzentren zu blockieren, und organisierten sogar einen Terroranschlag in Caracas, eine Bombe, die Militärangehörige verletzte, die mit dem Schutz von Wahllokalen betraut waren.

Die Tatsache, dass in diesem Zusammenhang dennoch Millionen von Menschen dem Imperialismus und der MUD trotzten und abstimmten, zeigt, dass es immer noch das Potenzial gibt, die Pläne der Konterrevolution zu besiegen, wenn sich die Arbeiterklasse an der Spitze des Widerstandes gegen sie organisieren kann. Das ist auch, was die Bourgeoisie und der Imperialismus fürchten.

Sie haben im Gefolge der Wahlen hysterisch reagiert und den Druck auf Maduro, die Regierung und besonders auf die Spitzen des Militärs verstärkt.

Ihr offizielles Ziel ist, einzig die Ergebnisse der Wahlen zu annullieren. Jedoch wird jeder Schritt oder Konzession der Regierung in diese Richtung nur ein erster Schritt zu dem sein, was sie in den letzten Monaten durch eine gewalttätige Kampagne, die bereits 112 Leben gekostet hat, versucht haben. Ihr Ziel ist, die Regierung zu stürzen und sie durch eine MUD-Regierung, die eine ähnliche Politik wie Temer in Brasilien oder Macri in Argentinien durchführen würde, zu ersetzen.

Kapitalistische Politik der Regierung

Das Scheitern des 48-Stunden-Streiks, der am 26. und 27. Juli von der MUD ausgerufen wurde, und die Mobilisierung eines bedeutenden Teils der Massen bei den Wahlen trotz der Drohungen und Erpressung zeigt, – wie wir bereits gesagt haben – dass diese Pläne noch geschlagen werden können. Allerdings ist der einzige Weg, auf dem das passieren kann, wenn die ArbeiterInnen und Armen an der Spitze des Staates stehen statt der Bosse und Bürokraten (wie es derzeit der Fall ist) und wenn sozialistische Politik umgesetzt wird.

Leider geht die allgemeine Politik der Regierung in die entgegengesetzte Richtung.

In den letzten zwei Jahren hat die kapitalistische Weltkrise, vor allem die Krise der Rohstoffpreise, die Wirtschaft hart getroffen, ebenso wie das hohe Niveau der Korruption. Einige Untersuchungen haben berichtet, dass als Ergebnis der Beibehaltung eines kapitalistischen Staates und Wirtschaft, der Wirtschaft über 300 Milliarden Dollar entzogen wurden, und die Währungsreserven auf einem extrem niedrigen Niveau sind, was den Importen in einer stark auf Netto-Importe angewiesenen Wirtschaft schadet.

Die Regierung hat, unter dem Druck der Bourgeoisie und als Teil ihrer Politik, Bündnisse mit sogenannten „produktiven (oder patriotischen) Bossen“ zu suchen, Maßnahmen gegen die Interessen der Arbeiterklasse durchgeführt. Zum Beispiel: die Sicherstellung einer sofortigen Bedienung der Auslandsschulden bei Banken und multinationalen Konzernen zu Lasten der Subventionen für Lebensmittel und für die Bekämpfung von Knappheit, das Akzeptieren von Preissteigerungen und Kürzungen von Arbeiterrechten, die von den Bossen verlangt werden, sowie die Durchführung von Massenentlassungen in staatlichen Unternehmen. Sie hat auch sogenannte „Sonderwirtschaftszonen“ der Superausbeutung geschaffen und die Bergbaugebiete für die multinationale Plünderung geöffnet, Arbeitsbedingungen untergraben, als auch natürliche und mineralische Ressourcen für die Ausbeutung geöffnet, um Vereinbarungen mit dem nationalen und multinationalen Kapitalismus zu suchen.

Zusätzlich zu diesen Faktoren hat die Preis- und Devisenspekulation zu massiver Knappheit geführt, nicht nur bei Nahrungsmitteln, sondern auch bei Medikamenten, Baustoffen und Maschinenteilen. Zusammen mit der höchsten Inflationsrate auf dem Kontinent, die im Jahr 2016 500 Prozent betrug und in diesem Jahr voraussichtlich vierstellig sein wird, hat dies in der Bevölkerung die Unzufriedenheit erhöht, die von den Rechten benutzt wurde, um Konflikte auf den Straßen anzuheizen, was zu einer Gewaltwelle führte.

Diese Gewalt einzudämmen war eines der erklärten Ziele der Regierung bei der Einberufung der Konstituierenden Versammlung. Doch viele BasisaktivistInnen rund um die bolivarische Bewegung sahen die Einberufung der ANC als Chance, nicht nur der Mobilisierung der Rechten zu begegnen, sondern auch gegen die Korruption und die Politik der Bürokratie, die viele der unter der Regierung Chávez gewonnenen Errungenschaften der ArbeiterInnen und des Volkes zerstört hat, zu kämpfen.

Allerdings hat die Ausschreibung der Wahlen den Kampf auf den Straßen nicht gelähmt, sondern sogar intensiviert. Dies hat zum Tode von 112 Menschen und zur Zerstörung und Plünderung öffentlicher und privater Unternehmen geführt.

Vertreter von verschiedenen Regierungen der Welt sowie Senatoren aus Chile und Kolumbien gingen nach Den Haag, um Maduro der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beschuldigen, und der spanische Ex-Ministerpräsident Zapatero kam nach Venezuela, als letzter Versuch Verhandlungen zu führen,um die ANC-Wahlen zu vermeiden. Aber es wurde keine Einigung erzielt.

Die Zeit der Wahlen kam also in einer Atmosphäre von großem Druck und Spannung. Viele Wahlzentren mussten wegen der lebensgefährlichen Gewalt zwischen VertreterInnen der MUD und der Polizei verlegt werden. In einigen Wahlzentren wurden Wahlmaterialien zerstört und es kam zu bewaffneten Zusammenstößen, bei denen Menschen getötet oder verletzt wurden.

Infolgedessen war die Wahlbeteiligung in einigen Bereichen sehr niedrig, während in anderen Bereichen große Teile der Massen kamen, um mit großen Mobilisierungen zu den Wahlzentren der Konterrevolution zu trotzen. Wie wir bereits erklärt haben, wäre die Beteiligung viel höher gewesen, wenn wir Wahlen zu einer Revolutionären Verfassungsgebenden Versammlung gehabt hätten, die eine Arbeiterregierung, die sich auf gewählte und abwählbare VertreterInnen von Betrieben und Nachbarschaften stützen würde, gewählt hätte, um gegen das rechte Parlament und die prokapitalistische Bürokratie zu kämpfen, die die Errungenschaften der Revolution bedroht und das Volk missachtet.

Regierungsbürokratie gegen kritische Basis

Während dieser Wahlen gingen Teile der Basis der chavistischen Bewegung durch eine neue Erfahrung des Kampfes gegen die Bürokratie und vertieften ihre Kritik an ihr. Die Tatsache, dass 54.000 Menschen über die Kontrolle der offiziellen Listen der Bürokratie hinaus als KandidatInnen für die ANC antraten, spiegelte eine Stimmung der Rebellion wider, die während der Kampagne wuchs.

Die Führung des Kampfes gegen die Reaktion kann nicht in den Händen der gleichen Führungspersonen bleiben, die kapitalistische Politik umgesetzt haben, sich vom Volk getrennt haben und denen die Massen zunehmend misstrauen. In vielen Bereichen wurde die ANC-Kampagne nicht auf Initiative von unten, sondern durch bürokratische Methoden organisiert, unter Bruch der Wahlregeln und mit Nutzung der Wahlmaschine der herrschenden PSUV gegen die Basis, um KandidatInnen der Bürokratie zum Nachteil von kritischen Basis-KandidatInnen den Sieg zu garantieren. Diese waren oft Minister, Ex-Minister, Bürgermeister und Gewerkschaftsführer mit wenig Autorität oder Legitimität.

Die Bürokratie griff sogar auf solche Methoden zurück, wie Druck auf Staatsangestellte und Begünstigte von staatlicher Unterstützung auszuüben Wählen zu gehen und für die KandidatInnen der Regierung zu stimmen, statt Menschen mit einer Politik zu überzeugen, die ihre Probleme lösen könnte.

Viele kritische KandidatInnen, die gegen die Führung kämpften, denken nun über die Situation nach, und viele haben gegen die Ergebnisse protestiert, die über drei Tage nach dem Ende der Umfragen noch nicht vollständig freigegeben wurden.

Diese Herangehensweise hilft nicht, gegen die Rechten zu kämpfen. Im Gegenteil, sie verursacht Unzufriedenheit unter den müderen und mehr zweifelnden Teilen der Massen, erleichtert die demagogischen Denunziationen der Rechten und riskiert, dass diejenigen, die Opfer dieser bürokratischen Methoden geworden sind, von den Rechten gewonnen werden können.

Izquierda Revolucionaria und Socialismo Revolucionario traten für eine Stimmabgabe für solche BasiskandidatInnen ein, die Kritik an der Regierung übten. Diese KandidatInnen haben ein revolutionäres Programm zur Verteidigung der seit der Wahl von Chávez gewonnenen Errungenschaften aufgestellt. Wir stehen auch für den Kampf zur Ausweitung dieser Errungenschaften, um die Forderungen der ArbeiterInnen und Armen zu befriedigen und die Macht der Kapitalisten und Bürokraten zu beenden, um die schlimmsten Probleme der Bevölkerung zu lösen.

Die Wahlergebnisse und rechte Offensive

In der Wahlnacht wurde angekündigt, dass 8.089.320 Menschen an den Wahlen teilgenommen hätten, was 41,53% der WählerInnen ausmacht. Bei den Parlamentswahlen 2015 gewannen die PSUV und ihre Verbündeten 5.622.844 Stimmen und Maduro gewann die Präsidentschaftswahlen mit 7.587.579 Stimmen. Wir können zwar den Zahlen, die die Regierung gibt, nicht einfach glauben (da es keine transparente Prüfung der Stimmen durch unabhängige ArbeiterInnen- und Volksorganisationen gab), es ist aber klar, dass trotz der politischen, Medien- und physischen Offensive der Rechten die Beteiligung bedeutend war.

International wurden diese Ergebnisse als Wahlbetrug angeprangert. Viele Länder, sowie die Europäische Union haben sich geweigert, die Ergebnisse anzuerkennen (wobei sie dies mehrheitlich bereits gesagt haben, bevor die Wahlen stattgefunden haben). Viele haben Sanktionen gegen Venezuela gefordert. Das US-Außenministerium beschloss, Maduros US-Vermögenswerte einzufrieren (obwohl er keine besitzt), nannte ihn einen Diktator und setzte ihn auf die offizielle schwarze Liste. Zusätzlich zur Drohung der Streichung von Öleinnahmen sagten sie, sie würden Kredite von Banken in der Region an Venezuela blockieren und sie drohten, ein kriminelles Wirtschaftsembargo zu verhängen, wie es Kuba in den sechziger Jahren auferlegt wurde.

Venezuela ist in einem kritischen Moment. Es gibt verschiedene mögliche Perspektiven und ein lebendiger Kampf wird entscheiden, welche sich durchsetzt. Der US-Imperialismus, unterstützt durch den EU-Imperialismus, ist in seiner Offensive weiter gegangen als zu irgendeinem Zeitpunkt seit dem Putsch von 2002. Ihr Ziel ist eine Spaltung in der militärischen Führung herbeizuführen und einen Putsch gegen Maduro zu provozieren und den Weg für die MUD zu öffnen, die Macht zu übernehmen. Sie haben diese Pläne nun beschleunigt.

Auf der anderen Seite können wir nicht ausschließen, dass der Imperialismus angesichts einer Konfrontation und eines Patts vorübergehend einen Schritt zurückmacht und versuchen könnte, zum Verhandlungstisch zurückzukehren. Allerdings ist der Handlungsspielraum sowohl des Imperialismus als auch der Regierung erheblich verringert.

Nach den Wahlen trotzten die ersten Erklärungen Maduros dem Imperialismus: „Ein Sprecher von Donald Trump sagt, dass sie uns nicht anerkennen (…) was interessiert uns, was Donald Trump sagt! Wir interessieren uns nur dafür, was das venezolanische Volk sagt! (…) Die Sabotage der [alten] Versammlung ist beendet, wir müssen Ordnung schaffen (…)“ … Das sind einige Beispiele.

Unter einigen Chavistas haben diese Erklärungen Hoffnungen auf die Möglichkeit einer Linksverschiebung ausgelöst. Doch zugleich fordert seine Regierung weiterhin den Dialog und eine Allianz mit einem Teil der Kapitalistenklasse. Auf der anderen Seite sind in der Führung der ANC die gleichen FührerInnen, die in den letzten Jahren die Initiative der Massen untergruben und die Entwicklung von Arbeiterkontrolle und Arbeitermacht verhindert und uns zur gegenwärtigen Situation der Skepsis und Demoralisierung unter weiten Teilen der Massen geführt haben, die den Rechten den Zuwachs ermöglichten.

Dieser Weg kann nur zu einer Niederlage führen. Entweder durch eine Machtübernahme der MUD oder durch die Festigung eines Regimes, das sich zwar in chavistische oder sogar sozialistische Rhetorik kleidet, aber in der Praxis Hand in Hand mit dem russischen und chinesischen Imperialismus den Staatskapitalismus festigt. Das würde den Verlust aller gewonnenen Errungenschaften und die Fortsetzung von Armut und Ausbeutung bedeuten.

In dieser Situation sollten RevolutionärInnen ein echt sozialistisches Programm verteidigen, um den Sieg der proimperialistischen Rechten zu stoppen, die nur die Macht wollen, um den Ölreichtum zu besitzen und unsere Ressourcen dem Imperialismus zu übergeben, wie sie es seit vierzig Jahren gemacht haben. Gleichzeitig müssen wir darum kämpfen, einen revolutionären Alternativpol zur Bürokratie, die nicht mit dem Kapitalismus brechen will, aufzubauen.

Die Alternative ist die Organisierung und Mobilisierung der ArbeiterInnen und Armen selbst, um die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen und auszudehnen, die Forderungen jedes Teils der Arbeiterklasse aufzunehmen und alle Unterdrückten in einem Kampf zur Enteignung der Kapitalisten und zum Aufbau eines revolutionär-sozialistischen Staats zu vereinen, um den gegenwärtigen Staat zu ersetzen, der kapitalistisch bleibt. Kämpft, um einen Staat auf der Grundlage von ArbeiterInnen- und Nachbarschaftsräten auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zu entwickeln, die gewählt und jederzeit absetzbar sind; einen Staat, in dem die Macht wirklich in den Händen der ArbeiterInnen und Armen liegt und wo jedeR VertreterIn nur einen Facharbeiterlohn verdient und ständig denen gegenüber rechenschaftspflichtig ist, die ihn/sie gewählt haben.

Ist der „Sozialismus“ in Venezuela gescheitert?

Der Imperialismus, seine Regierungen und Medien auf der ganzen Welt begleiten ihre heuchlerische Rhetorik über die aktuelle Krise in Venezuela mit demagogischen Versuchen, die Lage als Beweis für den Bankrott des „Sozialismus“ zu präsentieren. Sie versuchen, Venezuela in einen Knüppel zu verwandeln, um die aufsteigende neue Linke international zu schlagen, von Lateinamerika und den USA bis nach Spanien und Großbritannien. Sie versuchen die Idee, dass es eine Alternative zum Kapitalismus und zur Kürzungspolitik gibt, zu dämonisieren.

MarxistInnen müssen laut und deutlich erklären: Die aktuelle Krise in Venezuela liegt nicht am Scheiterns des „Sozialismus“, sondern am Fehlen einer wirklichen sozialistischen Revolution! Wir haben im Laufe der Jahre viele Male erklärt, dass es viele Möglichkeiten gab, die Kapitalisten voll zu enteignen, einen neuen Staat auf der Grundlage von Arbeiterdemokratie zu errichten und den Sozialismus auf den ganzen Kontinent auszudehnen. Es ist die Weigerung der Regierungsführer, diese Chancen zu ergreifen, die stattdessen jetzt versuchen, ein kapitalistisches Regime auf der Grundlage der chinesischen und russischen Modelle aufzubauen, welches letztlich zusammen mit der kapitalistischen Weltkrise die Grundlage für das aktuelle Schlamassel gelegt hat.

In dieser Lage ist es die zentrale Aufgabe von RevolutionärInnen, aus dieser Erfahrung die richtigen Lehren zu ziehen und sie unter den AktivistInnen und KämpferInnen der ArbeiterInnen- und Jugendbewegung zu verbreiten, die die einzigen Kräfte bleiben, die in der Lage sind, die Situation umzukehren und einen revolutionären Ton zu setzen. Auf diese Weise kann eine neue und wirklich revolutionäre Führung aufgebaut werden: in den arbeitenden Massen verwurzelt, ihnen verantwortlich und mit ihrer Autorität versehen, bereit, eine revolutionäre sozialistische Politik zu ihren endgültigen Konsequenzen zu verfolgen. Das war in diesem Prozess bisher der wesentliche fehlende Faktor.b

 

Russland: Sofortige Aktionen zum Schutz von Ali Feruz notwendig!

CWI Russland

In der Nacht von 2. auf 3. August wurde der Journalist, Gewerkschafter und LGBT-Aktivist Ali Feruz (Khudoverdi Nurmatov) verhaftet und von einem nächtlichen Gericht zur Abschiebung nach Usbekistan verurteilt. Er hat zehn Tage zur Berufung, muss diese jedoch im neuen „Ausländer-Gefängnis“ in Moskau verbringen, ein Ort, das in kurzer Zeit den Ruf eines „russischen Guantanamo“ erworben hat.
Obwohl er in Usbekistan geboren wurde ist Ali in Russland aufgewachsen; sowohl seine Eltern als auch seine Geschwister haben die russische Staatsbürgerschaft. Er ging zum Studium nach Usbekistan und berichtete dort über den autoritären Charakter des damaligen Karimov-Regimes. Er wurde verhaftet, brutal gefoltert und man versuchte Druck auf ihn auszuüben um ihn zu einem Agenten des Geheimdienstes zu machen, was er verweigerte. Er kehrte nach Russland zurück und verbrachte längere Zeit damit sich von den Folgen den Folter zu erholen. Er hat um Asyl angesucht, der Antrag wurde abgelehnt.
Seit seiner Rückkehr nach Russland arbeitet Ali für die oppositionalle “Novaya Gazeta” (“Neue Zeitung”). Er schreibt nicht nur offen über LGBT-Themen, er kämpft auch gegen alle Angriffe auf Menschen- und demokratische Rechte und half sowohl die Misshandlungen von Wehrdienstleistenden, als auch die Vertuschung der Tode von Berufssoldaten aufzudecken. Seine wichtigste journalistische Arbeit beschäftigte sich mit der schrecklichen Behandlung von WanderarbeiterInnen und der Diskriminierung nationaler Minderheiten. Er hat eng mit „Sozialistischer Alternative“ (das CWI in Russland) beim Aufbau der unabhängigen JournalistInnengewerkschaft zusammengearbeitet. Diese spielte eine zentrale Rolle dabei die brutalen Angriffe auf die LGBT Community in Tschetschenien aufzudecken.
Als er am Abend des 2. August auf der Straße nahe des Büros von „Novaya Gazeta“ in Moskau ging wurde er von der Polizei für eine – ganz offensichtlich geplante – Dokumentenkontrolle angehalten, verhaftet und zu einer speziellen nächtlichen Gerichtssitzung gebracht. Er wurde angeklagt sich illegal in Russland aufzuhalten.
Trotz Drohungen und Einschüchterungsversuchen organisierten AktivistInnen von „Sozialistische Alternative“ sofort Ein-Personen-Kundgebungen vor dem Gericht. Dies ist die letzte Form von Protest die heute in Russland noch legal ist und keine offizielle Genehmigung verlangt (eine solche wird praktisch nie gewährt). Trotzdem versuchte die Polizei den Protest zu unterbinden und behauptete die Tatsache, dass das eine Protestschild an andere TeilnehmerInnen weitergegeben wurde, würde zeigen, dass es sich um eine organisierte Gruppen-Kundgebung handle.
Nur JournalistInnen mit staatlicher Genehmigung durften in den Gerichtssaal. Als um 01:00 nachts das Urteil der Abschiebung nach Usbekistan bekannt wurde, war Ali so verzweifelt, dass er versuchte sich mit einem Stift die Venen zu öffnen. Glücklicherweise konnte sein Anwalt das Schlimmste verhindern.

Hunderte und Tausende verhaftet

Die Bedeutung dieses Falles drückt sich in zwei Tatsachen aus: Erstens fand Alis Verhandlung zeitgleich mit einer anderen Verhandlung in einem anderen Teil Moskaus statt in der eine Gruppe bewaffneter Krimineller vor Gericht standen. Die Angeklagten versuchten einen Ausbruch, wobei es bei einem Feuergefecht zu vier Toten kam. Die Polizei hatte zu dieser Verhandlung nur vier Wagen mit Einsatzkräften geschickt, während rund um das Gerichtsgebäude in dem Ali verurteilt wurde acht Wagen standen. Aber noch viel wichtiger ist, dass Alis Verhaftung an eine lange Reihe an politischen Verhaftungen anknüpft. Alleine in diesem Jahr wurden nur in Moskau und St. Petersburg bereits mehr als 2000 Menschen wegen politischer Gründe verhaftet, wobei mindestens 300 von ihnen zwei Wochen oder länger in Polizeihaft verbringen mussten. Aber in keinem dieser Fälle gab es organisierte Proteste, vor allem deshalb weil keineR von ihnen organisierte Unterstützung hatte; dies hat dazu geführt, dass das Regime glaubt mit allen autoritären Massnahmen davonkommen zu können.
Aber Ali ist jemand der nicht nur ein bewusster Gegner des Regimes ist, ein aktiver und respektierter Journalist der mit „Sozialistische Alternative“ eng beim Aufbau der unabhängigen JournalistInnengewerkschaft zusammenarbeitet, sondern der auch trotz Drohungen und Folter vom Regime nicht gebrochen wurde.
FreundInnen und AktivistInnen von „Sozialistische Alternative“ waren um ein Uhr nachts immer noch vor dem Gericht ebenso wie am folgenden Tag. In den nächsten Tagen werden dutzende, wenn nicht sogar hunderte weitere TeilnehmerInnen an den Protesten erwartet.

„Sozialistische Alternative“ (Russland) ruft alle linken AktivistInnen, GewerkschafterInnen und AktivistInnen der LGBT-Bewegung dazu auf Ali zu unterstützen:

  • Schickt sofort Protestnoten an die Russische Botschaften in euren Ländern und fordert Alis Freilassung. Wo möglich: organisiert Protestkundgebungen vor den russischen Vertretungen (Russische Botschaft in Österreich: Fax: +43-1-712-33-88 bzw. info@rusemb.at)
  • Kontaktiert die verschiedenen Gewerkschaften in euren Ländern und fordert sie auf Proteste zu organisieren und Protestnoten an die russischen Vertretungsbehörden zu schicken.
  • Informiert die Medien in euren Ländern über Alis Fall. Berichtet über die Rolle welche die unabhängige JournalistInnengewerkschaft, „Novaya Gazeta“ und Ali selbst bei der Aufdeckung der brutalen Misshandlung der LGBT-Community in Tschetschenien und andere Angriffe auf Menschen reiche in Russland und Usbekistan spielen.
  • Schickt Solidaritätsbotschaften an alisolidarity12@gmail.com

Die Unabhängige JournalistInnengewerkschaft, Amnesty International Russland und „Novaya Gazeta“ unterstützen alle Ali:
Bitte unterzeichnet die Online-Petition. Der Text ist auf Russisch, Englisch, Deutsch und Spanisch zu finden und kann auch als Text für Protestnoten verwendet werden: https://www.change.org/p/the-head-of-the-of-the-migration-department-of-mia-of-russia-kirillova-olga-evgenievna-stop-the-deportation-of-journalist-ali-feruz-save-him-from-imprisonment-and-torture
Bitte sendet alle Berichte über Protestaktionen an: robert.cwi@gmail.com.

Ein wichtiger Schritt voran

Vereinigung des Komitees für eine Arbeiterinternationale und der Revolutionären Linken

Im Juli fand in Barcelona der Vereinigungskongress zweier marxistischer internationaler Organisationen statt – des Komitees für eine Arbeiterinternationale (englische Abkürzung CWI) und der Revolutionären Linken (spanische Abkürzung: IR). Das CWI hat Sektionen und Gruppen in circa 45 Ländern auf allen bewohnten Kontinenten. In Österreich ist die SozialistischeLinkspartei (SLP) Teil des CWI. Die IR hat Mitgliedsorganisationen im spanischen Staat, Venezuela und Mexiko. Sie hat sich vor einigen Jahren von der Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT) getrennt und hat vor allem in Spanien eine starke Position in der Jugendbewegung und dem Gewerkschaftsverband CC.OO. Wir dokumentieren hier das Vereinigungsdokument, das beim Kongress in Barcelona verabschiedet wurde. 

Dieses Dokument soll versuchen, die politische Basis eines äußerst wichtigen Prozesses zu umreißen. Dieser Prozess ist sowohl für unsere beiden Organisationen, als auch für den Kampf, die Ideen des Marxismus weltweit zu stärken und zu entwickeln, von großer Bedeutung. Es handelt sich um die Vereinigung von Izquierda Revolucionaria (IR, deutsch: Revolutionäre Linke; Anm. d. Ü.) mit dem Committee for a Workers‘ International (CWI, dt: Komitee für eine Arbeiterinternationale – internationale sozialistische Organisation, deren Sektion in Österreich die SLP ist; Anm. d. Ü.)

Die Diskussion und die Verabschiedung dieses Dokuments am 22. Juli – einerseits in den demokratischen Strukturen unser beider Organisationen, andererseits auf dem geplanten Vereinigungskongress im Juli – sind entscheidende Schritte unserer Fusion. Das hat zur Eingliederung der Organisationen der IR im spanischen Staat, Mexiko und Venezuela in das CWI und seine Strukturen geführt. Sie beinhalten ebenfalls den Zusammenschluss der Organisationen der IR und des CWI in Venezuela und im spanischen Staat.

 

Eine neue Periode im weltweiten Klassenkampf

Diese historische Vereinigung fußt eindeutig auf den materiellen Grundlagen der tiefgreifenden Veränderungen des internationalen Klassenkampfes – hervorgerufen durch die weltweite, kapitalistische Krise, welche 2008 begann. Diese Krise wütet noch heute und ist weit davon entfernt beendet zu sein. Sie vertieft und verschärft sich mit jeder Wendung der Weltlage. Solche Perioden voll scharfer Veränderungen und Turbulenzen spiegeln sich unweigerlich in Prozessen innerhalb der Arbeiterbewegung und Linken wider, inklusive der revolutionären Linken. Sie führen zu Spaltungen, Neuordnungen und Fusionen, weil Ideen, Organisationen und Tendenzen getestet werden. Wir haben ein gemeinsames Verständnis dieser neue Periode und der Antwort, die sie verlangt. Wir stimmen in der Frage der Methoden überein, wie man in dieser neuen Phase intervenieren muss und welche zentralen Aufgaben diese der Arbeiterklasse und dem Marxismus stellt. Das sind die Grundlagen unserer Vereinigung.

Die Krise des globalen Kapitalismus ist tief und nicht zu bändigen. Keiner der Versuche der herrschenden Klassen dieser Welt, mit dieser Krise fertig zu werden, kamen einer Lösung nahe oder konnten das verlorene Gleichgewicht wiederherstellen. Im Gegenteil haben sie das Potenzial für neue Krisen und Konflikte verstärkt. Das spiegelt sich im Pessimismus und den dunklen Vorahnungen der Strategen des Weltkapitalismus wieder. Ein beständiger Trend dieser neuen Periode ist der „Legitimations“-Verlust des Kapitalismus: in den Sphären der Ökonomie, im Legitimitätsverlust seiner Institutionen, in den Weltbeziehungen, in der Frage der Umwelt und des Klimawandels. Das spiegelte sich auf sozialer und politischer Ebene im Bewusstsein von Millionen. Vor allem besteht eine reale, jedoch meist nicht ausgesprochene Angst innerhalb der herrschenden Klasse: Dass das offensichtliche Versagen des Kapitalismus bedeutet, dass wir am „Rand des Vulkans“ leben. Sie fürchten Massenerhebungen und sogar revolutionären Wandel.

Die Krise und die mit ihr einhergehenden Erschütterungen haben das innere Gleichgewicht vollkommen auseinandergerissen, welches die kurze, relativ stabile Weltsituation erlaubte, die nach dem Zusammenbruch des Stalinismus vorherrschte. Das zeigt sich in den politischen Krisen, die über die ganze Welt hinwegfegen. Sie untergraben die Stabilität der Nachkriegskonstellation der Zwei-Parteien-Systeme in den westlichen „Demokratien“ genauso wie die Regierungen jeglicher Couleur in der neokolonialen Welt. Die Wahl von Donald Trump gegen den Willen der Mehrheit der Kapitalistenklasse und Bernie Sanders‘ Herausforderung zur Nominierung durch die Demokratische Partei sind Beispiele für diese organisch-politische Krise in der größten imperialistischen Weltmacht. In Europa sind die Zwei-Parteien-Systeme untergraben, was die enorme politische und soziale Polarisierung verdeutlicht. Auf der Rechten zeigt sie sich durch Mini-Trumps von der Sorte Marine Le Pens. Auf der Linken zeigt sie sich durch das Hervortreten neuer linker Parteien und Formationen wie Podemos, dem Linksblock, „France Insoumise“ und ehemals Syriza, die nach einem kometenhaften Aufstieg schnell Verrat begangen hat und sich schnell nach rechts entwickelt hat. Auch in Lateinamerika zeigt sich eine Polarisierung im Scheitern reformistischer Regierungen, die aus der Hitze von Massenbewegungen und der bolivarianischen Revolution entstanden waren. Dazu gehört der Vormarsch der Konterrevolution in Venezuela; in der starken Reaktion der Arbeiterklasse und Jugend auf die reaktionäre Politik von Macri in Argentinien, Temer in Brasilien und Nieto in Mexiko. Zusammen mit der ökonomischen krise repräsentiert das eine neue Stufe im KLassenkampf.

In den Weltbeziehungen bedeutet das das Ende der „unipolaren“ Welt, welche sich nach dem auftauenden Kalten Krieg und dem Zusammenbruch des Stalinismus entfaltete. Der Beginn einer instabileren „multipolaren“ Welt, in der die USA an die wachsende, ökonomische Macht Chinas und – zum geringeren Teil – an den russischen Militarismus an Boden verliert, zeichnet das Bild des neuen Kräfteverhältnisses auf Weltebene. Alle vorher bestehenden internationalen, bürgerlichen Blöcke und Formationen – nicht zuletzt die kapitalistische Europäische Union – wurden getestet und untergraben. Der Kapitalismus ist daran gescheitert ein stabiles Gleichgewicht wiederherzustellen, welches im Zuge der Krise verloren gegangen ist.

Die weltweite Krise der Überproduktion – bestimmt durch eine Investitionskrise und den chronischen Nachfrage-Mangel in der Weltwirtschaft – ist seit dem Moment des Ausbruchs kein Schritt näher auf dem Weg zu einer Lösung gelangt. Alle Versuche des Weltkapitalismus, diese fundamentalen Probleme anzugehen, sind desaströs fehlgeschlagen. Die Billionen an Dollar, die in Form der „quantitativen Lockerung“ in die Weltwirtschaft gepumpt wurden, hatten nicht mal ansatzweise die gewünschten Ergebnisse hinsichtlich der Wiederbelebung von Investitionen und Nachfrage erzielt. Anders als viele bürgerliche Kommentatoren gehofft hatten, weckte die letzte Phase der Krise keinen neuen Motor für das globale Wirtschaftswachstum. Stattdessen wurden die sogenannten „aufstrebenden“ Wirtschaften – mit China an der Spitze – in den Strudel der weltweiten Krise gesogen. Der globale Investitionsstreik des Kapitals zeichnet ein eindrückliches Bild, wie das Privateigentum an Reichtum und Produktionsmitteln zusammen mit dem Nationalstaat die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft behindert.

 

Neue Möglichkeiten für den revolutionären Marxismus

Die Krise hat bereits einschneidende Veränderungen in den Stimmungen und Zukunftsperspektiven aller Klassen hervorgerufen, insbesondere unter der Arbeiterklasse, der Jugend und den unterdrückten Völkern der Welt. MarxistInnen sagten am Anfang der Krise voraus, das sie eine Periode der Revolutionen und Konterrevolutionen einläuten würde. Der Lauf der Dinge hat das bestätigt. Von den revolutionären Aufständen des „Arabischen Frühlings“ von 2011 über die Massenbewegungen gegen Austerität und die Troika in Europa bis zu den heutigen sozialen Rebellionen gegen den „Trumpismus“ in den städtischen Zentren der USA: Diese Periode wurde gekennzeichnet durch die zunehmenden Auftritte der Massen auf der politischen Bühne der Geschichte.

Begleitet wurde dies durch eine gesellschaftliche Polarisierung. Im politischen Bewusstsein gab es einen Schwenk nach links, während auf der Wahlebene extrem-rechte Parteien dank der Bankrotterklärungen des Reformismus und der traditionellen bürgerlichen Parteien wachsen konnten. Die Entwicklung neuer linker Parteien und Formationen in vielen Ländern, wie Podemos, „France Insoumise“ und des Linksblocks, sind zusammen mit den linken Massenbewegungen hinter Bernie Sanders und Jeremy Corbyn machtvolle aber auch komplexe und unvollendete Ausdrücke dessen. Umfragen überall auf der Welt zeigen die massive Desillusionierung mit dem kapitalistischen System. Sie zeigen das wachsende Suchen nach einer Alternative sowie steigendes Interesse und Unterstützung für die Idee des Sozialismus – zum gegenwärtigen Zeitpunkt insbesondere in den USA.

Diese neuen linken Formationen und Bewegungen sind widersprüchlich und unbeständig. In ihnen spiegelt sich das Wesen der Periode wider, welche sie hervorrief. Sie werden schnelle Neuordnungen erfahren und Krisen, Schwenks, Wendungen und Spaltungen durchleben. Versuche, die reformistischen, „sozialdemokratischen“ Ideen unter neuem Namen zu verkaufen, sind zum Scheitern verurteilt. Sie wurden von den FührerInnen reformistischer Formationen der Vergangenheit verteidigt, doch in dieser Periode ist der Raum für „Reformen“ innerhalb des Kapitalismus unendlich kleiner als in vergangenen Jahrzehnten. Es ist die Aufgabe von MarxistInnen, in diese Prozesse tatkräftig zu intervenieren und gleichzeitig kühn und offen ein sozialistisches und klassenkämpferisches Programm zu verteidigen. Während wir unsere eigene revolutionäre Organisation aufbauen, unterstützen wir die Entwicklung dieser Formationen hin zu neuen Massenparteien der Arbeiterklasse, welche mit einer revolutionären Alternative zum Kapitalismus bewaffnet sind.

Diese neue Periode markiert deutlich einen Wendepunkt. Sie folgt einer historischen Periode des allgemeinen Rückzugs der globalen Kräfte der Arbeiterbewegung und des revolutionären Marxismus. Eine neue Ära der Möglichkeiten für revolutionären Wandel hat sich eröffnet. Sektionen des CWI in den USA und Irland haben bereits führende Rollen in Massenbewegungen der Arbeiterklasse gespielt, welche wichtige Siege erringen konnten (Bewegung gegen die Wassergebühren in Irland und die Kampagne für einen 15-Dollar-Mindestlohn in den USA). Gleichzeitig haben die GenossInnen der Izquierda Revolucionaria durch ihre Führung der Sindicato de Estudiantes (SE, Bildungsgewerkschaft im spanischen Staat; Anm. d. Ü.) eine siegreiche Schlacht gegen die „Revalidas“ (Prüfungsreform im Schulwesen; Anm. d. Ü.) gewagt. Das hat die SE als einen Bezugspunkt im Kampf gegen die Austerität gefestigt.

Diese Siege zeigen, dass wir in der Lage sind, in den Massen zu wirken und – unter bestimmten Bedingungen – ein realer Faktor der Situation werden können. Das hebt unsere Organisationen von anderen marxistischen Organisationen ab. Diese Siege sind jedoch lediglich ein kleiner Eindruck dessen, was noch folgen wird, wenn wir die korrekte Herangehensweise, Methode und das korrekte Programm beibehalten. In der kommenden Periode wird die Führung von Massenbewegungen – verbunden mit dem Kampf für gesellschaftliche Veränderung – für revolutionäre MarxistInnen in Reichweite sein. Unsere Vereinigung stärkt unsere Fähigkeit, dieser Aufgabe gerecht zu werden, und wird ein Beispiel für andere RevolutionärInnen sein, mit denen wir in der kommenden Periode vor dem Hintergrund dieser Aufgabe zusammenkommen können.

Die Vereinigung zwischen dem CWI und der IR folgt auf eine Periode von über zwanzig Jahren der Teilung, nachdem im CWI 1992 eine Spaltung stattgefunden hatte. Ein bedeutender Anteil an dieser Spaltung wurzelte in der sich verändernden Weltsituation, die sich nach dem Zusammenbruch der ehemals stalinistischen Regime in der UdSSR und Osteuropa entfaltete. Die FührerInnen der damaligen Minderheit warfen ursprünglich der Mehrheit der britischen Leitung und dem Internationalen Sekretariat vor, eine „Clique“ zu sein und „bürokratische“ und „administrative“ Methoden anzuwenden. Diese Anschuldigungen wurden nach breiter Diskussion und Debatte von der überwältigenden Mehrheit des CWI zurückgewiesen. Tatsächlich bargen die personalisierten Angriffe (gegen den „Taaffeismus“), welche gebetsmühlenartig durch die Führung der damaligen Minderheit wiederholt wurden, selbst eine bürokratische und stalinistische Methode. Dahinter steckten grundlegende politische Differenzen: zum Charakter der Periode und den Perspektiven einer kapitalistischen Restauration in der UdSSR, dem Ostblock und China, zu unserer Taktik und der politischen Herangehensweise bezüglich der Sozialdemokratie und dem Aufbau revolutionärer Parteien, zur Herangehensweise an die nationale Frage und zum Aufbau einer kollektiven Führung – basierend auf demokratischen Methoden und in Abgrenzung zu personalisierten Herangehensweisen und Prestigesucht.

Die Minderheit, welche später die IMT gründete, war nicht auf die veränderte Weltlage nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime vorbereitet oder konnte sich mit ihr nicht arrangieren. Diese Veränderung hatte eine einschneidende, verstärkende Wirkung auf den Prozess der Verbürgerlichung und Rechtsverschiebung der traditionellen Massenparteien der Arbeiterklasse – insbesondere der sozialdemokratischen Organisationen aber auch jener Formationen mit stalinistischen Wurzeln: die Labour Party, der französische PS, die PSOE, die italienische PD usw. Das war ein allgemeines Phänomen in Reaktion auf die tiefgreifenden Veränderungen der Situation. Es hatte ebenfalls einen Effekt auf das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse. Die Idee des Sozialismus als eine umsetzbare Alternative zum Kapitalismus erlitt einen schweren Schlag. Das öffnete allen möglichen reaktionären und verwirrten Ideen Tür und Tor – viele von ihnen von kleinbürgerlichem Charakter.

Diese historische Periode stellt der ArbeiterInnenklasse und MarxistInnen neue Aufgaben und Herausforderungen. Das gilt auch für das CWI. Die Führung der Abspaltung vom CWI im Jahr 1992 versagte angesichts der dramatischen Veränderungen der Weltlage und weigerte sich wiederholt, ihre Fehler einzugestehen. Sie verstanden nicht nur nicht, was in der UdSSR passierte, sondern weigerten sich zudem bis 1997/98 anzuerkennen, dass die kapitalistische Restauration stattgefunden hatte. Sie hatten nie den Mut ihre Fehler einzugestehen. Doch das ist Teil einer marxistischen Methode, wenn eine neue Generation von Kadern ausgebildet werden soll.

Diese Fehler wurden auf vielen Gebieten wiederholt. Alte Formeln wurden in Bezug auf den „Entrismus“ zu einer Zeit wiederholt, in der die Bedingungen für eine Arbeit in den verbürgerlichten, sozialdemokratischen Organisationen nicht existierten und sich stattdessen Möglichkeiten für unabhängige Arbeit eröffneten. Alle Dokumente aus diesen Debatten – sowohl die der Mehrheit als auch die der Minderheit – sind auf der Website marxist.net zugänglich. Allerdings wurden diese Dokumente nie der Basis der damaligen spanischen Sektion des CWI zugänglich gemacht – ein Anzeichen der bürokratischen Methoden der Führung dessen, was zur IMT wurde.

Im Jahr 2009 trennte sich die spanische Sektion der IMT zusammen mit der Mehrheit der Sektionen in Mexiko und Venezuela von der IMT auf einer prinzipienfesten Grundlage. Die Gründe für diese Spaltung waren im Kern dieselben wie die Gründe der Spaltung von 1992: fundamentale Unterschiede hinsichtlich der Charakterisierung der historischen Epoche, die mit der großen Rezession von 2008 begann und zur Frage wie in diese neue Phase des KLassenkampfes eingegriffen werden soll. Das schloss grundlegende Differenzen zur nationalen Frage in der heutigen Zeit, zur Charakterisierung der Bolivarianischen Revolution  und zur Frage wie die Kräfte des revolutionären Marxismus in Venezuela aufgebaut werden können ein. Es ging auch um grundlegende Differenzen zur Frage des Aufbaus einer revolutionären Partei und zu Fragen der Taktik hinsichtlich neuer Bewegungen und Parteien auf der Linken. Ein weiterer zentraler Aspekt der Spaltung war die Verteidigung interner Demokratie und des proletarischen Charakters der Organisation durch die spanischen, venezolanischen und mexikanischen GenossInnen gegen ein internes bürokratisches Regime, in dem der Personenkult um die Führung die Versuche ernsthaft in der Arbeiterbewegung und unter Jugendlichen aufzubauen, erstickte.

Die spanische Sektion sowie die Mehrheit der venezolanischen und mexikanischen Sektionen diskutierten infolge dieser Erfahrung ein einschneidendes politisches und theoretisches Bilanzpapier. Sowohl die Schlussfolgerungen dieses Prozesses, welche wir als unabhängige Organisation, Izquierda Revolucionaria, zogen, als auch unsere praktische Intervention und unser gestiegenes Wissen darüber, wie wir uns selbst in der wirklichen Bewegung der ArbeiterInnen und Jugendlichen orientieren, legen die Basis für diese Vereinigung.

 

Warum wir uns vereinigen und zu welchem Ziel

Unsere Vereinigung wurzelt in einer breiten Übereinstimmung zu den Perspektiven für den globalen Kapitalismus und den Aufgaben, welche sich für MarxistInnen ergeben. Sie spiegelt sich jedoch auch in anderen Bereichen wider. Unsere gemachten Erfahrungen in gemeinsamen Diskussionen und im gemeinsamen Kampf Seite an Seite offenbarten nicht nur eine Übereinstimmung der Ideen und Perspektiven sondern auch in Fragen der Strategie und Taktik, des Programms und der Orientierung. Wie Lenin bereits sagte, gibt es ohne revolutionäre Ideen keine revolutionäre Bewegung. Gleichsam bleiben die Ideen und die Theorie wirkungslos ohne die Bestätigung durch Praxis.

Sowohl das Prüfen unserer jeweiligen Ideen und Aktivitäten als auch die reiche, wenn auch immer noch kurze Erfahrung der gemeinsamen Arbeit haben die Grundlagen unserer Vereinigung bestätigt. Mit Enthusiasmus und Entschlossenheit gehen wir dieser entgegen.

Unsere Aufgabe ist der Aufbau eines mächtigen subjektiven Faktors, einer marxistischen Massenkraft und einer revolutionären Führung für die kommenden, großen Klassenkämpfe. So viele revolutionäre Momente schlugen fehl, weil es solch eine Kraft nicht gab. 100 Jahre nach der unsterblichen Russischen Revolution bleibt die bolschewistische Partei – mit ihrer weitsichtigen, theoretischen Perspektive, ihrem beharrlichen Kampf um ideologische Klarheit und der Flexibilität in ihrer Taktik und ihren praktischen Entscheidungen – ein leuchtendes Beispiel für unsere vereinigte Organisation.

Unsere revolutionäre Internationale und unsere Sektionen besitzen eine klare Orientierung auf Interventionen in Massenkämpfen, den Gewerkschaften und den politischen Organisationen der ArbeiterInnenklasse. Wir behalten ebenfalls unser Prinzip der politischen und organisatorischen Unabhängigkeit der revolutionären Partei bei – entgegen dem Druck durch liquidatorischer Tendenzen, welche die Rolle der revolutionären Partei auslöschen wollen. Die revolutionäre Organisation ist das Gedächtnis der ArbeiterInnenklasse und die Kontinuität ihres revolutionären Kampfes gegen den Kapitalismus. Taktische Flexibilität kennzeichnet in Kombination mit einer prinzipienfesten, politischen und programmatischen Klarheit unsere gemeinsamen politischen Wurzeln und Methoden. Gleichzeitig verteidigen wir das Bestehen einer explizit revolutionären Partei als Rückgrat und integralen sowie entscheidenden Bestandteil der Massenbewegung von ArbeiterInnen und Jugendlichen.

Wie stehen programmatisch auf dem Boden des revolutionären Sozialismus – in der Tradition der wichtigsten Dokumenten der ersten vier Kongresse der Dritten Internationale, des Kampfes der Linken Opposition gegen den Stalinismus, des Übergangsprogramm und seiner Methode sowie den Methoden und Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus von Marx, Engels, Lenin und Trotzki. Die Achse dieses Programms bleibt die Abschaffung des Kapitalismus und der Herrschaft der Bourgeoisie, sowie die Ersetzung dieser Herrschaft durch eine ArbeiterInnenregierung auf Grundlage des öffentlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und des Finanzsektors unter demokratischer Kontrolle der ArbeiterInnenklasse. Wir stehen für eine Planwirtschaft auf Weltebene und die demokratische Erarbeitung eines sozialistischen Plans der globalen Produktion als Schlüssel zur Überwindung der drängendsten Probleme der Menschheit: Krise, Armut, Hunger, Krieg und alle Formen von Unterdrückung.

MarxistInnen stellen sich in die erste Reihe im Kampf gegen alle Formen der Unterdrückung und vereinen dabei die ArbeiterInnenklasse und alle Unterdrückten um die Perspektive der sozialistischen Veränderung. Wir sind gegen nationale Unterdrückung in jeder Form und verteidigen resolut das Recht auf Selbstbestimmung einschließlich des Rechts auf Unabhängigkeit unterdrückter Nationen. Gleichzeitig verteidigen wir die größtmögliche Einheit des politischen Kampfes der ArbeiterInnenklasse über nationale Grenzen hinweg. Nur die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten – gewappnet mit internationalistischem, sozialistischem Programm und Perspektive – können den konsequenten Kampf für nationale Befreiung sowie gegen alle anderen Formen der Unterdrückung anführen. Wir stellen dem Gerede der „nationalen Einheit“ der KapitalistInnenklasse die internationalistische Einheit der ArbeiterInnenklasse gegen die KapitalistInnen aller Nationen entgegen – im Kampf für nationale und demokratische Rechte als Teil des Kampfes für den Sozialismus. Wir weisen eine einseitige, schematische Herangehensweise an diese für MarxistInnen grundlegende Frage zurück und verstehen, dass die mannigfaltige Natur der nationalen Frage und des nationalen Bewusstseins eine flexible Herangehensweise und die gewissenhafte Untersuchung jedes Falles und jeder Entwicklung erfordern.

Der Kampf für die Befreiung der Frau sowie gegen die Angriffe auf die hart erkämpften Errungenschaften der Arbeiterinnen aus den letzten Jahrzehnten war einer der mächtigsten Ausdrücke des Klassenkampfes in der letzten Periode. Wir verteidigen einen klassenbasierten, sozialistischen Feminismus, der sich die Macht der ArbeiterInnenbewegung zunutze macht – der einzigen Bewegung, welche in der Lage ist dieses System, in welchem Sexismus und Frauenverachtung so tief verankert sind, zu bekämpfen. Unsere Arbeit in den Massenbewegungen der Frauen entwickelt sich im Kampf gegen den ineffektiven und erfolglosen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Feminismus. MarxistInnen streben nach der Führung der Bewegungen gegen Frauenunterdrückung, Rassismus und für die Rechte von LGBTQ.

Für jede lebendige, marxistische Organisation, welche in der ArbeiterInnenklasse und der Jugend agiert, sind Diskussionen, Debatten, Meinungsverschiedenheiten unter GenossInnen und – wo nötig – sogar Spaltungen unvermeidbar. Eine turbulente Periode wirkt unvermeidlich alle möglichen Formen von Druck – opportunistische, ultra-linke usw. – auf RevolutionärInnen aus. Keine Partei und keine Führung ist dagegen immun. Die geduldige, offene und demokratische Durchführung von Debatten und Meinungsverschiedenheiten jeder politischen Natur ist Grundlage unserer gemeinsamen Methoden. Perioden wie diese sind nicht nur Perioden der Fusionen und Einheit sondern auch geprägt von Debatten auf einer konstruktiven Basis, vor welchen RevolutionärInnen nicht zurückschrecken oder sich verstecken.

Das Komitee für eine Arbeiterinternationale ist zusammen mit unseren neuen GenossInnen aus der IR eine internationale marxistische Kraft mit einer realen Basis unter ArbeiterInnen und Jugendlichen in einer Reihe von zentralen Ländern. Wir haben aber nicht die Absicht, uns zur „der“ revolutionären Masseninternationale der Arbeiter<innenklasse zu erklären. Wir zielen darauf ab, als zentrale Kraft eine Schlüsselrolle im Aufbau solch einer Internationale zu spielen – zusammen mit vielen anderen, die im Moment noch außerhalb unserer Reihen stehen. Wir rufen alle RevolutionärInnen, die es mit der Notwendigkeit einer prinzipienfesten Einheit auf der Grundlage des Marxismus ernst meinen, auf, mit uns zu diskutieren, wie wir am besten eine Internationale aufbauen, die in der Lage ist, die kommende Weltrevolution anzuführen.

 

Einstimmig angenommen auf dem Vereinigungskongress von CWI und IR am 22. Juli 2017 in Barcelona.

You‘ll never walk alone again! - Kongress des IDC

Nicolas Prettner

Am 8. und 9. Juni fand in Koper (Slowenien) der europäische Kongress des International Dockworkers Council (IDC) statt, an dem auch zwei AktivistInnen der SLP teilnahmen. Der IDC ist ein internationaler Gewerkschaftsverband von HafenarbeiterInnen mit über 100.000 Mitgliedern. Im Gegensatz zu vielen anderen Gewerkschaften ist der IDC demokratisch organisiert. Es wird nicht gezögert, zu Streiks und anderen kämpferischen Aktionen zu greifen. „Hoch die internationale Solidarität“ wird nicht als leere Phrase gesehen, sondern in der Praxis gelebt. Kommt es in einem Hafen zu einem Arbeitskampf, organisiert der IDC Solidaritätsaktionen, von Protestschreiben bis hin zu Solidaritätsstreiks.

So wurde auf dem Kongress ein Aktionstag am 29. Juni geplant, an dem in ganz Europa in mehreren Häfen die Arbeit für zwei Stunden niedergelegt wurde. Dies geschah, um gegen die neoliberale Politik der EU zu demonstrieren und in Solidarität mit den HafenarbeiterInnen in Spanien, wo tausende Jobs bedroht sind und mehrere Häfen vor der Privatisierung stehen.

Der IDC zeigt, dass Gewerkschaften erfolgreich sein können. Sie müssen dafür demokratisch organisiert sein und nicht vor kämpferischen Aktionen zurückschrecken!

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Barcelona: Über 600 bei Veranstaltung zur Russischen Revolution

Gemeinsame Veranstaltung von CWI und Izquierda Revolucionaria ein großer Erfolg
Bericht von Izquierda Revolucionaria (neue Schwesterorganisation der SLP und neue Sektion des CWI im spanischen Staat)

Mit großem Erfolg richten das Komitee für eine Arbeiterinternationale (Committee for a Workers´ International, CWI) und die Izquierda Revolucionaria (Revolutionäre Linke) gemeinsam eine Veranstaltung in Barcelona in Gedenken an die Oktoberrevolution vor 100 Jahren aus.

Die internationale Veranstaltung, die am 19. Juli von Izquierda Revolucionaria und dem CWI organisiert worden ist, war ein großartiger Erfolg. Mehr als 600 ArbeiterInnen, junge Leute und AktivistInnen unserer beider Organisationen und aus der Linken insgesamt füllten die Aula des Kulturzentrums „Cotxeres de Sants“. Die Spannung im Saal war mit Händen zu greifen – schließlich war die Verteidigung des Oktober und des revolutionären internationalistischen Marxismus das Thema.

Die GenossInnen am Redepult waren (in der Reihenfolge ihres Auftretens):

Ana Garcia, Generalsekretärin der Schülergewerkschaft Sindicato de Estudiantes,

Paul Murphy, marxistischer Parlamentsabgeordneter in Irland, der gerade erst einen historischen Sieg erringen und den Versuch erfolgreich abwehren konnte, ihn und andere wegen erfolgreicher Proteste im Kampf gegen eine Wasser-Abgabe ins Gefängnis zu werfen (#JobstownNotGuilty)

Juan Ignacio Ramos, Generalsekretär von Izquierda Revolucionaria

Peter Taaffe, Mitbegründer der Strömung „The Militant“ und Generalsekretär der heutigen Socialist Party

Kshama Sawant, marxistische Stadträtin im US-amerikanischen Seattle, die zu den bekanntesten VertreterInnen der Linken in den USA gehört.

Es ist nicht leicht zu beschreiben, welchen Eindruck die RednerInnen hinterlassen haben, da sie in zweieinhalb Stunden das breite Feld von der Oktoberrevolution bis zu den heutigen Klassenkämpfen abdeckten. Alle RednerInnen machten auf das außergewöhnliche Erbe aufmerksam, das der Bolschewismus hinterlassen hat, hoben die Ideen von Lenin und Trotzki hervor und sprachen vom Beispiel der zehntausenden namenlosen KämpferInnen. All das sei für diejenigen, die heute für eine sozialistische Welt kämpfen, so überaus wichtig.

Das Banner der Oktoberrevolution ist für uns eine Leitlinie in unserem Handeln. Als die ArbeiterInnen und Jugend in Russland die Macht errangen, die KapitalistInnen enteigneten, den Bäuerinnen und Bauern das Land übergaben, Frauenrechte durchsetzten und den unterdrückten Nationen das Selbstbestimmungsrecht brachten, erbrachten sie durch ihre Tat und nicht nur in irgendwelchen Reden den Beweis, dass es wirklich möglich ist, die Verhältnisse zu verändern und den Kapitalismus zu stürzen.

Der Sieg vom Oktober veränderte die Welt und motivierte ArbeiterInnen und junge Leute, die Menschheit mit Hoffnung zu erfüllen. Damit hatte die Idee vom Sozialismus die theoretische Ebene verlassen und war zur praktischen Aufgabe geworden. Was den Grad an Demokratie, Partizipation und Freigebigkeit angeht, nahm diese Revolution in der Geschichte plötzlich Platz eins ein.

Auch auf den Zusammenbruch der Sowjetunion und der stalinistischen Regime in Osteuropa wurde eingegangen, durch den die feindselige kapitalistische Konterrevolution erst möglich werden konnte. Die Bürokratie, die den Internationalismus der ProletarierInnen zugunsten der anti-marxistischen Theorie vom „Sozialismus in einem Land“ preisgab, zerstörte die ArbeiterInnendemokratie und errichtete einen autoritären Staat. Lenins BolschewistInnen wurden aufgerieben und inhaftiert, die Revolution wurde verraten und die VertreterInnen der Bürokratie wurden zu einer neuen kapitalistischen Klasse.

Als der „Ostblock“ zusammenfiel, jubelte die internationale Bourgeoisie und die Führungen der traditionellen linken Organisationen, die alten kommunistischen Parteien wie auch die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften vollzogen einen starken Rechtsruck. Man akzeptierte plötzlich das Credo des Neoliberalismus. Die MarxistInnen aber hielten dem Sturm stand, den die Reaktion erzeugte und der durch die Aufgabe des Kampfes durch die o.g. Strukturen nur noch stärker wurde. Uns war klar, dass der scheinbare Triumph des Kapitalismus nur von relativ kurzer Dauer sein würde und dass eine neue Krise alle Illusionen bald schon wieder tilgen würde.

Alle RednerInnen hoben die Tatsache hervor, wie der Weltkapitalismus seit zehn Jahren durch seine schlimmste Rezession seit 1929 taumelt. Die innere Balance des Systems existiert nicht mehr: Massenarbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, Kriege mit tausenden Toten, Flüchtlingsströme und die ökologische Katastrophe breiten sich aus wie eine Plage.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein, wie Marx gesagt hat. Die Krise hat sämtliche Prozesse des Klassenkampfs beschleunigt und zu einer Belebung des Konflikts geführt. Das hat es in den letzten 40 Jahren nicht mehr gegeben. Das Bewusstsein von Millionen von ArbeiterInnen und vor allem das der jungen Leute hat sich weiterentwickelt – analog zur gesellschaftlichen Polarisierung. Der Kapitalismus ist in eine Phase der Unwägbarkeiten und des Pessimismus gerückt worden.

Die Erfahrung dieser Jahre hat aber auch gezeigt, dass es – wenn wir echte Veränderung wollen – nicht reicht, nur auf Rhetorik und Reden zurückzugreifen. Das Beispiel Griechenlands muss uns eine Lehre sein. SYRIZA und Tsipras hatten die Unterstützung der arbeitenden Menschen. Tsipras fehlte es allerdings an einem revolutionär-politischen Ansatz. Er akzeptierte die Logik des kapitalistischen Systems und kapitulierte schamlos vor der „Troika“, setzte deren Kürzungen und ihre Austerität um.

Der Klassenkampf mit all seinen spektakulären Höhen und Tiefen und das Beispiel, das wir liefern, wenn wir die Kräfte des Marxismus aufbauen, zeigt, wie nötig es ist, nicht nur mit aller Energie in den Bewegungen mitzuwirken, sondern dabei auch eine konsequent sozialistische Politik zu vertreten. In diesem Zusammenhang beschrieb Kshama Sawant die Stadtratsarbeit, die MarxistInnen in Seattle leisten. Dort haben wir eine Kampagne für die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar geführt und mobilisieren zusammen mit anderen Kräften gegen die reaktionäre Politik von Trump. Sie erklärte, wie ein Amt, in das man gewählt worden ist, benutzt werden kann, um den Organisationsgrad zu steigern und das Bewusstsein zu heben. Dasselbe trifft auch auf Paul Murphy im Kampf gegen die Wasser-Abgabe in Irland zu. Dieser Kampf provozierte eine harsche Reaktion von Seiten des Staates. Er zeichnete nach, wie die Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Irland) sich mit einer Massenkampagne gegen die Kriminalisierung des Protestes zur Wehr gesetzt und es damit letztlich geschafft hat, die staatlichen Angriffe abzuwehren. Am Ende musste die Justiz sämtliche Angeklagten freisprechen. Dieser großartige Erfolg zeigt, wie man sich mit bolschewistischen Methoden erfolgreich gegen die Reaktion stellen kann.

Peter Taaffe gab eine hervorragende Einführung in die Grundzüge des Bolschewismus. Dabei betonte er, wie wichtig es ist, dass es eine revolutionäre Partei gibt, die den status quo von Grund auf transformieren kann. Das sei auch die zentrale Aufgabe in unserer Epoche: der Aufbau revolutionärer Parteien in allen Ländern der Welt durch beharrliche Intervention im Klassenkampf und in den neu entstehenden politischen Formationen, die infolge der Systemkrise und der Sozialdemokratie entstehen. Die Haltung der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in England & Wales) besteht darin, eine Regierung unter Corbyn zu fordern, die ein sozialistisches Programm gegen Kürzungen und Austerität durchsetzen muss. Das ist die einzige konkrete Möglichkeit voran zu kommen und an den Erwartungen Millionen von Arbeitender und junger Menschen anzusetzen, die die konservativen „Tories“ zu Fall bringen und die Gesellschaft transformieren wollen.

Ana Garcia lenkte den Fokus auf die Schlüsselrolle, die den jungen Leuten bei all den Ereignissen zugekommen ist, die wir in Spanien mitverfolgen konnten. Die Kinder der Krise erleben, dass dieses System ihnen nichts zu bieten hat. Sie werden nichts anderes übernehmen als die Rechte, für die unsere Eltern und Großeltern einmal auf der Straße gekämpft haben. Darüber hinaus waren sie das Rückgrat der sozialen Erhebung, die die konservative PP in Schach gehalten und dem Regime der Ära nach der Transition (Phase, die der Franco-Diktatur folgte; Anm. d. Übers.) eine schwere Krise bereitet hat. Die Sindicato de Estudiantes (Gewerkschaft der SchülerInnen und Studierenden) hat eine führende Rolle bei diesen Kämpfen gespielt und ein revolutionäres und antikapitalistisches Programm ohne Zugeständnisse verteidigt, indem wir uns auf die ganze Macht der jungen Menschen gestützt haben.

Ana erläuterte, wie wir an Schulen und Universitäten 25 Generalstreiks organisiert haben, die die Klassenräume und Hörsäle leer und die Straßen haben voll werden lassen. Dies geschah mit der Wut auf die Regierung, die als Erbe des Francismus anzusehen ist. Millionen junger Leute wollen einen tiefen und radikalen Schnitt. Doch dieser Wandel kann nicht erreicht werden, wenn man die Logik des Kapitalismus unangetastet lässt. Das ist einfach unmöglich. Wir wollen kostenlose öffentliche Bildung, aber wir wollen auch eine entsprechende Gesundheitsversorgung, Arbeit und angemessenen Wohnraum. Wir wollen jede Form der Unterdrückung beenden, die sich gegen die gesellschaftliche Klasse, ein Geschlecht oder nationale Minderheiten richtet. Wir wollen eine andere Welt aufbauen. Klar sei, dass dies nur durch den Kampf für Sozialismus möglich ist. Aus diesem Grund verteidigt die Sindicato de Estudiantes die Ideen des Marxismus und Bolschewismus.

Die Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung in Katalonien war den ganzen Abend über ein Thema. Das begann mit der Begrüßungsrede von Borja Latorre und galt vor allem für den Beitrag von Juan Ignacio Ramos. Aus Sicht von Izquierda Revolucionaria hat die Bevölkerung in Katalonien das Recht zu entscheiden. Dieses Recht sollte nicht davon abhängen, ob es dem Staat passt oder nicht. Dieses Recht muss durch Mobilisierung und den Kampf der Massen durchgesetzt werden.

Wir dürfen uns nicht der katalanischen Bourgeoisie unterordnen. Es handelt sich hierbei – wie im Falle der PdeCat (bürgerl. Partei, die für die Unabhängigkeit Kataloniens eintritt; Erg. d. Übers.) – um rechtsgerichtete Nationalisten, die Kürzungen durchsetzen und Repression anwenden. Wir kämpfen für ein sozialistisches Katalonien, eine sozialistische Republik, um die Kräfte der ArbeiterInnenschaft und der jungen Leute Kataloniens mit denen im Rest des spanischen Staates zu vereinen. Das Ziel besteht darin, zu echter Demokratie zu kommen, die nur im Rahmen des Sozialismus möglich ist. Ein wesentlicher Schritt bestünde in diesem Zusammenhang darin, die reaktionären Regierungen von Rajoy in Madrid aber auch unter Puigdemont in Katalonien zu Fall zu bringen. Das ist nur durch den Kampf der Massen möglich, die den sozialen Frieden beenden müssen, für den die Gewerkschaftsspitzen stehen.

Diese wirklich großartige Veranstaltung gedachte der Russischen Revolution vor 100 Jahren, aber es ging auch um den Jahrestag einer anderen bedeutenden Revolution: Der dreijährige bewaffnete Kampf gegen den Faschismus in den Straßen und Betrieben Kataloniens, des Baskenlandes und aller anderen Teile des spanischen Staates.
Dieser heldenhafte Kampf bleibt weiterhin eine Inspiration dafür,  denselben Kampf fortzusetzen und damit auch den hunderttausenden durch die Diktatur Ermordeten Hochachtung zukommen zu lassen, die nirgendwo erwähnt worden sind.

Die Abendveranstaltung endete damit, dass die Idee hervorgehoben wurde, die sich wie ein roter Faden durch alle Reden gezogen hatte. Heute sind all die objektiven materiellen Voraussetzungen gegeben, die es für den Sozialismus braucht. Es sind daher nicht die objektiven Bedingungen, die zu vertanen Möglichkeiten führen, sondern es ist das Fehlen einer revolutionären Führung.

Unsere Aufgabe besteht darin, einen Beitrag zu leisten, um diesen subjektiven Faktor ohne Sektierertum zu schaffen und allen die Hand entgegen zu strecken, die die Gesellschaft verändern wollen.

Erst weit nach 21 Uhr ging die Veranstaltung mit dem gemeinsamen Anstimmen der „Internationale“ zu Ende. 600 Menschen sangen in ihrer jeweiligen Muttersprache. Das war ein sehr emotionaler Moment und rundete den wirklich roten und internationalistischen Abend hervorragend ab.

Sri Lanka: Der Kampf gegen Privatisierung intensiviert sich

Siritunga Jaysuriya, United Socialist Party (CWI in Sri Lanka)

In jüngster Zeit wurde das South Asian Institute of Technology and Medicine (SAITAM – Südostasiatisches Institut für Technologie und Medizin) zum Brennpunkt der Proteste in Sri Lanka. Studierende und Beschäftigte die friedlich gegen die Politik der Regierung protestiert haben sahen sich mit rücksichtsloser Unterdrückung konfrontiert. Bei einem brutalen Angriff der Polizei gegen die Demonstration der Protestierenden am 21. Juni wurden 85 Protestierende verletzt und zahlreiche verhaftet. Die Regierung verfolgt die AnführerInnen der Vereinigung – der Inter-University Student Federation (IUSF – Inter-Universitäre Studierenden Vereinigung) – und versucht sie zum Schweigen zu bringen indem sie ins Gefängnis gesteckt werden.

GMOA (Government Medical Officers’ Association) die die staatlichen Gesundheitsbeschäftigten vertritt hat am 4. Juli zu einem bundesweiten Streik mit Streikbeginn 5. Juli aufgerufen. GMOA und IUS fordern, dass der Gerichtsbeschluss, der SAITAM erlaubt, ihr privates College weiterzuführen, zurückgenommen wird. Sie fordern außerdem die Verstaatlichung von SAITAM.

Die Studierenden und die medizinischen Fachkräfte protestieren schon seit längerem gegen ein privates Medizincollege das von SAITAM betrieben wird. Aber trotz Massenprotesten hat das Gericht dem Institut die Erlaubnis erteilt, das private Medizincollege weiter zu betreiben. Es gab bereits zahlreiche Beschwerden darüber, wie dieses private Institut betrieben wird. Aber vor Allem wird es ein erster Schritt im Rahmen der Regierungspläne gesehen, den Privatisierungsprozess im Bildungswesen zu beginnen.  

Freier Bildungszugang in Sri Lanka

Der freie Zugang zu Bildung ist eine stolze Errungenschaft der ArbeiterInnenklasse in Sri Lanka die nach langen und harten Kämpfen in der Vergangenheit errungen wurde. Jede von der kapitalistischen UNP (United National Party – Vereinigte Nationalpartei) gebildete Regierung hat in der einen oder anderen Form versucht, den öffentlichen Sektor, insbesondere den freien Bildungszugang und das öffentliche Gesundheitswesen in Sri Lanka anzugreifen. Und jedes Mal haben sie sich massiver Opposition gegenüber gesehen. Die letzte Regierung unter Rajapaksa aber, hat – auf der Basis der Siegesstimmung die sie aufbaute nachdem der brutale Krieg gegen die TamiliInnen 2009 beendet worden war – massive Vollzugsgewalten angehäuft. So konnte sie einige der Maßnahmen, die in der Vergangenheit nicht möglich gewesen waren, durchdrücken. Es war auch diese Regierung die SAITAM die Lizenz gab ein privates College zu betreiben.

Die aktuelle Regierung unter Führung der UNP setzt diese Politik fort, rechtfertigt die Errichtung einer privaten Bildungsinstitution und hat auch angedeutet, dass sie noch weiter gehen wollen. Sie wollen den Bildungsbereich für private Investitionen öffnen. Sie behaupten, dass die Studierenden durch Investitionen des privaten Sektors profitieren würden und bessere weiterführende Bildung bekommen würden. Das ist eine Lüge und schlicht eine Rechtfertigung dafür, dass die Regierung nicht in den Öffentlichen Sektor investiert. Bei den Wahlen 2015 hat die Regierung angekündigt 6% des BIP für Bildung ausgeben zu wollen. Aber tatsächlich haben sie dem Bildungsbereich nur 2% gegeben. Ein Finanzminister hat auch schon mal das Bildungsbudget gekürzt und behauptet, dass er Kürzen würde weil Teile des Budgets nicht benutzt worden wären. Auch das ist eine bewusste Irreführung.

Die Regierung weigert sich schlicht Geld in die Bildung zu stecken um die Bedingungen dort zu verbessern. Insbesondere die Hochschulbildung hat in Sri Lanka nur sehr beschränkte Mittel zur Verfügung. Von 300.000 die die für den Unizugang nötigen Abschlussprüfungen ablegen bekommen nur 25.000 die Möglichkeit, tatsächlich an der Uni zu studieren. Und davon werden gerade mal 3.000 Studierende an der medizinischen Fakultät zugelassen. Nur 13% aller SchülerInnen haben Zugang zu weiterführender Bildung. Aber die Arbeitslosigkeit steigt sogar unter jenen, die die Chance haben, zu studieren.

Die Privatisierung wird vom IWF diktiert

Privatisierung im Bildungswesen wird die Lage weiter verschlechtern. Immer weitere Kürzungen im öffentlichen Bildungswesen werden die ohnehin schon miesen Bedingungen weiter verschlechtern und nur die kleine Schicht der reichen Elite wird sich die privaten Bildungseinrichtungen leisten können. Schon jetzt belaufen sich die Studiengebühren für private höhere Bildung auf 1.3 Millionen Rupien (ca. 7.200 Euro).  Ärmeren Studierenden oder jenen aus der ArbeiterInnenklasse bleibt dieser Weg verschlossen. Und trotz der hohen Gebühren gibt es Beschwerden, dass das private medizinische College nicht entsprechend ausbildet und dass jene, die ihre Ausbildung hier abschließen zu wenig können. Offensichtlich ist die einzige Qualität, die wirklich erwartet wird ist, wie viel man zahlen kann.

Trotz der Proteste beharrt die Regierung unnachgiebig mit ihren Schritten in Richtung Privatisierung. Es ist offensichtlich dass die Regierung unter Führung der UNP die Protestbewegung zerschlagen will um sicher zu stellen, dass die Tür zur Privatisierung, also zur Ausplünderung des Bildungssektors weit offen ist. Das war sogar der zentrale Aspekt in ihrem Plan, als sie dem vom IWF diktierten Budget zustimmten. Die jüngsten Angriffe der Regierung bzw. des IWF und seiner Politik zeigt, was unter ihrem sogenannten „Yahapalanaya“ (Gute Regierung) wirklich zu verstehen ist. Sie haben gezeigt wie weit sie bereit sind dabei zu gehen, die ArbeiterInnen und Studierenden zu unterdrücken um ihre Klasseninteressen durchzusetzen.

SAITAM ist ein Brennpunkt im Kampf gegen die Privatisierungspläne unter Führung der kapitalistischen UNP. Wir dürfen aber nicht vergessen dass dieser Prozess bereits 2008, unter dem früheren diktatorischen und korrupten Regime begonnen hat. Wenn nun die Gruppe um Rajapaksa und andere kommunalistische (chauvinistische) Kräfte so tun als ob sie gegen SAITAM wären, so tun sie das einzig für ihren eigenen politischen Nutzen. Denn in den letzten sieben Jahren waren sie sehr still während SAITAM ohne Einschränkungen weiter lief. Weder der Rajapaksa-Klan noch irgendwer in seinem Umfeld vertreten die Interessen von ArbeiterInnen oder Studierenden. Es ist wichtig, dass die Studierenden und die ArbeiterInnen die in diesem Kampf gegen Privatisierung aktiv sind das sehen.

Die Studierenden, die Gewerkschaft GMOA und die ArbeiterInnen die gegen SAITAM aufstehen müssen sich darauf vorbereiten, den Kampf auf andere Teile der ArbeiterInnen und der Armen auszuweiten. Massenmobilisierungen und der Aufruf an andere Gewerkschaften, Solidaritätsaktionen durchzuführen sind zentral um den aktuellen Kampf zu stärken. Wir dürfen nicht kapitulieren und den gierigen KapitalistInnen nicht unser hart erkämpftes Recht auf freien Bildungszugang überlassen.

G20 in Hamburg: Der Staat provoziert und rüstet auf

Claus Ludwig und Sascha Stanicic, SAV (Deutsche Schwesterorganisation der SLP)

Über beispiellose Polizeiwillkür und pseudolinke Randale

Bilder brennender Autos und Barrikaden sowie geplünderter Läden dominieren die Berichterstattung über die Proteste gegen den G20-Gipfel. Damit lenken die bürgerlichen Medien davon ab, dass der eigentliche Protest gegen den G20-Gipfel nicht nur friedlich war, sondern auch massenhaft, legitim und die besseren Argumente hatte.

Diese Bilder verschleiern auch, dass wir in Hamburg Zeugen einer bewussten Eskalation seitens des Staates und seiner Polizeikräfte geworden sind, die zum Ziel hatte, den Millionen Euro teuren Polizeieinsatz zu rechtfertigen, die Aushöhlung demokratischer Rechte zu befördern und die Bevölkerung an Militarisierung und Aufrüstung der Polizei zu gewöhnen.

Viele Menschen, insbesondere die AnwohnerInnen in Hamburg sind zurecht entsetzt und empört über die Sachbeschädigungen und Plünderungen vermeintlicher AktivistInnen, die insbesondere in der Nacht von Freitag auf Samstag eskalierte und zu schweren Sachschäden führten, von denen in der Regel nicht Kapitalisten oder rechte Politiker betroffen sind, sondern einfache AnwohnerInnen und kleine LadenbesitzerInnen. Diesen Ereignissen gingen jedoch Tage brutaler Polizeiwillkür voraus, die bewusst zu einem Anheizen der Stimmung und zu Eskalationsbereitschaft beitragen sollte. Das Abfackeln von Autos sowie Plünderungen und dramatisch inszenierte Barrikadenkämpfe sind jedoch kein Widerstand gegen Polizeigewalt und schaden nur der einfachen Bevölkerung. Diese Methoden gefährden zudem AktivistInnen, spalten die Proteste und treiben einen Keil zwischen die Demos und die Bevölkerung. Sie bieten Staat und Polizei eine Legitimation hart vorzugehen und dabei die demokratischen Rechte aller Protestierenden mit Füßen zu treten.

Polizeiliches Vorgehen

Von Beginn an hatte die Hamburger Polizeiführung sich über das Recht hinweggesetzt und auf volle Provokation geschaltet. Vom Verwaltungsgericht zugelassene Camps wurden verboten, Zelte zerstört, GipfelgegnerInnen attackiert. Von einem „Putsch der Polizei gegen die Justiz“ sprachen linke KommentatorInnen zurecht. Vom ersten Tag an wurde klar gemacht, dass kein deeskalierendes Vorgehen zu erwarten war, sondern das Gegenteil. Das war gewollt. Anders kann nicht interpretiert werden, warum ausgerechnet der als „harter Hund“ bekannte Hartmut Dudde zum Einsatzleiter der Polizei erkoren wurde. Schon die Entscheidung, den Gipfel in Hamburg inmitten einer Hochburg der linksalternativen Szene durchzuführen, war ein Hinweis darauf, dass der Staat hier demonstrieren wollte, dass er sich durch linken Protest von nichts aufhalten lässt und dass er die kalkulierten Ereignisse nutzen will, um die Linke insgesamt zu diskreditieren.

Am Donnerstag Abend wurde die nächste Stufe der Eskalation geschaltet. Die autonome Demonstration unter der Losung „Welcome to hell“, zu der sich rund 12.000 Menschen versammelt hatten, wurde nach nur wenigen Metern mit massiven Kräften attackiert. Als Vorwand diente die Vermummung einer relativ kleinen Zahl von TeilnehmerInnen. Augenzeugen berichten, dass ein Großteil der vermummten DemonstrationsteilnehmerInnen der Aufforderung der Polizei gefolgt waren, die Vermummung abzulegen. Trotzdem erfolgte ein Angriff, der sehr wahrscheinlich genau so geplant war. Dafür spricht nicht zuletzt, dass dieser Demonstration, völlig unüblicherweise, keinerlei Auflagen gemacht worden waren. Ein Hinweis darauf, dass sie niemals bis zum Ende durchgeführt werden sollte.

Videos zeigen, wie über eine ganze Stunde lang Polizeitrupps gegen die Versammlung vorgehen, an vielen Stellen in die Menschenmenge stechen, immer wieder, obwohl es keine größeren Ausschreitungen gab. Lediglich ein kleiner Teil der TeilnehmerInnen wehrt sich, viele werden attackiert, während sie ruhig warten. Dabei setzt die Polizei voll auf Risiko. Am Ort des Angriffs, der von zwei Seiten erfolgte, gibt es keine Ausweichmöglichkeiten für die DemonstrantInnen außer einer Mauer, gegen die die Menge gedrückt wird und auf die sich einige in halsbrecherischen Aktionen retten. DemonstrantInnen, die auf die Mauer geklettert sind, werden mit Wasserwerfern und Pfefferspray beschossen. Es gibt Stürze, in der Folge einige relativ schwer Verletzte, zum Teil mit Knochenbrüchen. Ein Demonstrant, der einen offenen Bruch erlitt, wird nicht ins Krankenhaus, sondern in eine Gefangenensammelstelle gebracht. Es ist keine Übertreibung zu schlussfolgern, dass die Polizei hier Todesopfer in Kauf genommen hat.

Am Freitag morgen geht es weiter. Sitzblockaden werden sofort mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken angegriffen. DemonstrantInnen werden durch die Straßen gehetzt. Es gibt unzählige Bilder von PolizeibeamtInnen, die wehrlosen Menschen brutal ins Gesicht schlagen oder auf am Boden liegende eintreten. Diese Methoden sind nicht neu, aber selten wurden sie über eine so lange Zeit so massiv eingesetzt.

Im Umgang mit den Festgenommenen setzt die Polizei auf rechtswidrige Härte. Laut Informationen des anwaltlichen Notdienstes wurden Gefangenen die Telefonnummern des Notdienstes nicht genannt, behauptet, diese wollten keine anwaltliche Beratung, der Zugang zu den Zellen verwehrt. Rechtsanwälte wurden von Beamten beschimpft und schikaniert, als sie versuchten, Kontakte zu ihren Mandanten herzustellen.

Auch das harte Vorgehen gegen JournalistInnen ist Ausdruck einer enormen Polizeiwillkür, die sich über rechtsstaatliche Grundsätze hinwegsetzte. Es gab eine schwarze Liste mit den Namen von 31 JournalistInnen, denen die Akkreditierung entzogen wurde bzw. entzogen werden sollte, Presseteams wurden bewusst mit Pfefferspray angegriffen. Eine Journalistin berichtete, wie ein Polizist sie kontrollierte und sagte: „So, sie haben die längste Zeit als Journalistin gearbeitet.“

Am Samstag Abend, nach der Abreise der meisten TeilnehmerInnen der Großdemonstration mit rund 75.000 Menschen ging die Polizei massiv gegen Menschenmengen im Schanzenviertel vor, obwohl dort nach vielen übereinstimmenden Aussagen nichts passiert war.

Kontrollverlust?

Nach den Gewaltexzessen am Donnerstag Abend behauptete die Polizei, die Lage nicht mehr vollständig unter Kontrolle zu haben. Trupps von schwarz Vermummten zogen durch einige Straßen, setzten Autos in Brand, zerschlugen Fensterscheiben, plünderten Geschäfte. Am Freitag Abend wartete die Polizei stundenlang mit dem Eingreifen, während im Schanzenviertel Barrikaden in Brand gesetzt und Läden geplündert wurden. Medial begleitet wurde das von bizarr übertriebenen Schilderungen, als wäre Hamburg im „Bürgerkrieg“ und der Anforderung zusätzlicher Polizeikräfte.

Es ist davon auszugehen, dass eine gewollte Eskalation aus dem Ruder geriet. Vieles spricht dafür, dass die Polizeikräfte die Randalierer erst einmal gewähren ließen, um die entsprechenden Bilder zu erhalten, die wiederum ein hartes Vorgehen rechtfertigen sollten. Die Bilder brennender Autos und Barrikaden waren genau das, was sich der Staat und die etablierten Parteien wünschten. Um den Polizeieinsatz und die Einschränkung demokratischer Rechte zu legitimieren. Um weitere Angriffe auf das Versammlungsrecht durchzusetzen und die polizeilichen Befugnisse zu erweitern.

Maschinenpistolen in der Nacht

Am frühen Samstag Morgen rückten deutsche SEK-Einheiten und nach Presseberichten auch österreischische COBRA-Einheiten mit vorgehaltener automatischer Waffe und vermummt im Schanzenviertel vor. Solche Bilder eines polizeilichen Belagerungszustandes hatte es in Deutschland seit vielen Jahren nicht mehr gegeben, zuletzt vielleicht bei den Polizeieinsätzen nach den rassistischen Pogromen und linken Gegenprotesten in Rostock-Lichtenhagen 1992 oder bei Polizeieinsätzen gegen die Blockaden von Castor-Transporten.

Hier wurde „Aufstandsbekämpfung ohne Aufstand“ geprobt, wie es eine Sprecherin des anwaltlichen Notdienstes formulierte. Angesichts der relativ guten ökonomischen Lage Deutschlands und des geringen Levels sozialer Kämpfe mag dies verwundern, aber es scheint, als würden die Herrschenden alle Möglichkeiten nutzen, sich auf zukünftige Veränderungen vorzubereiten.

Die schützende Hand

Es ist schwer zu sagen, wer genau an den Krawallen teilgenommen hat, von wem sie ausgegangen sind und wer für welche Art von Aktionen verantwortlich ist. Klar ist, dass Teile der autonomen Szene es auf Auseinandersetzungen mit der Polizei angelegt hatten. Gerade die OrganisatorInnen der „Welcome to Hell“-Demonstration vom Donnerstag Abend haben in ihren martialischen Mobilisierungsmaterialien den Eindruck erweckt, dass sie es auf eine Gewalteskalation anlegten. Damit lieferten sie der Polizei Munition, einen brutalen Einsatz vorzubereiten und  ihr Vorgehen anschließend zu verteidigen. Und es erleichterte  den politisch Verantwortlichen und den Medien, den Vandalismus von allen möglichen fragwürdigen Kräften pauschal den „Linken“ in die Schuhe zu schieben.

Die Zerstörungen und Plünderungen richteten sich nicht gegen Symbole des kapitalistischen Systems und vieles spricht dafür, dass hier nicht nur Autonome agierten. Ein Sprecher des autonomen Zentrums Rote Flora distanzierte von der Gewalt und autonome AktivistInnen beteiligten sich am Schutz von Geschäften gegen Plünderungen. Es ist ohnehin ein Fehler von einem „schwarzen Block“ oder einer autonomen Szene im Sinne eines homogenen Gebildes zu sprechen, wie es die bürgerlichen Medien und die Polizei tun.

Nach verschiedenen Berichten haben sich aber auch Hamburger Jugendliche an der Randale beteiligt. Es kann nicht verwundern, wenn Jugendliche, die keine Zukunftsperspektive haben, oftmals diskriminiert werden, die Gelegenheit genutzt haben, ihrem Frust freien Lauf zu lassen und sich dabei noch ein neues Smartphone zu besorgen. Auch muss darauf hingewiesen werden, dass in der Nazi-Szene zur Teilnahme in Hamburg aufgerufen wurde und es Hinweise auf eine Beteiligung von Faschisten gibt. Es wäre nicht das erste Mal, dass Faschisten linke Proteste unterwandern, um sie durch Gewaltaktionen zu diskreditieren. Dafür spricht zum Beispiel, dass eine Gruppe von linken Jugendlichen von schwarz vermummten Personen verprügelt wurde.

Last but not least ist davon auszugehen, dass auch Polizeiprovokateure eine Rolle gespielt haben.Die Szene rund um die Rote Flora war in den letzten Jahren immer wieder das Ziel von verdeckter ErmittlerInnen, welche sich zum Teil jahrelang als Linke ausgaben. Angesichts der tiefen Verstrickung staatlicher Stellen in die NSU-Affäre und deren Beteiligung am Aufbau von Nazi-Strukturen, angesichts der ungelösten Fragen im Fall Anis Amri wäre es naiv zu glauben, dass die Polizei bei derartigen Demos keine Provokateure einsetzt. Für die Ausschreitungen beim G8-Gipfel in Rostock 2007 ist das nachgewiesen.

Darauf deutet auch der Vorfall eines von einem Zivilbeamten am Freitag abgegebenen Warnschusses. Nach Recherchen von Stern und Spiegel schritt der Beamte ein, weil mehrere wie DemonstrantInnen Aussehende einen Menschen schlugen, den er – fälschlicherweise – für einen ebenso zivil agierenden Kollegen hielt. Der Beamte ging wohl von einer Enttarnung aus. Nach dem Warnschuss flüchtete der Zivilbeamte in einen Kiosk und wurde von dort von einem uniformierten Polizeitrupp abgeholt.

Es ist davon auszugehen, dass eine Mélange aus diesen Kräften die Verantwortung für die nächtliche Randale im Schanzenviertel trägt. Klar ist, dass diese nichts mit antikapitalistischem Protest zu tun hat, von der überwältigenden Mehrheit der Protestierenden abgelehnt wird und nur Polizei und Staat in die Hände spielt.

Gewaltfrage

Auf der Demonstration am Samstag haben rund 75.000 Menschen eine klare Antwort auf die polizeilichen Eskalationen und die Randale einer Minderheit gegeben. Sie haben diszipliniert, bunt und friedlich demonstriert, haben sich von den Attacken der Polizei nicht provozieren lassen.

Es ist nötig für die Bewegung, sich von den Dummheiten von Teilen der autonomen Szene abzugrenzen und dem die eigene produktive Praxis entgegen zu halten. Der einzig erfolgversprechende Weg, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern sind solche Massenproteste, aber vor allem der Aufbau einer massenhaften, demokratischen und linken Bewegung, von Gewerkschaften und einer sozialistischen Arbeiterpartei. Angesichts der Weigerung der Gewerkschaftsführungen, die linken Proteste gegen G20 zu unterstützen und der allgemeinen Schwäche der politischen Linken im allgemeinen und der Tatsache, dass DIE LINKE vielen ArbeiterInnen und Jugendlichen ans zahm und etabliert erscheint, ist es aber nachvollziehbar, dass gerade empörte und radikalisierte Jugendliche nach anderen Wegen des Widerstands suchen. Die Polizeigewalt treibt solche Jugendliche potenziell in sinnlose Aktionen individueller Gewalt und Randale.

Die Polizeigewalt wirft aber auch die Frage auf, wie sich die tatsächliche Bewegung, die ja das erste Opfer von staatlicher Willkür und Repression ist, dagegen wehren kann. Auch hier gilt, dass Massenmobilisierungen das entscheidende und wirksamste Mittel sind, denn „militärisch“ können hunderte oder auch tausende DemonstrantInnen gegen die Robocops des 21. Jahrhunderts kaum gewinnen. Trotzdem wird sich auch die Linke verstärkt die Frage nach Selbstschutz und Wehrhaftigkeit stellen müssen. Gut organisierte Ordnerdienste auf Demonstrationen und demokratisch organisierte nachbarschaftliche Selbstschutzkomitees wären hier angemessene Maßnahmen, um Demonstrationen sowohl gegen die Polizeigewalt als auch gegen Provokateure verteidigen zu können . Diese können aber nur Ergebnis eines Aufbaus einer starken Bewegung sein, die deutlich größer und stärker sein muss, als die heutige Linke. Stellen wir uns eine sozialistische Arbeiterbewegung vor, wie sie zum Ende des 19. Jahrhunderts existierte – eine Millionen umfassende Bewegung könnte sich auch effektiv gegen staatliche Repression zur Wehr setzen.

Law-and-order-Debatte

Hamburg wird Folgen haben. Die bürgerlichen Parteien werden weitere Gesetzesverschärfungen und die Ausweitung polizeilicher Befugnisse vorschlagen. Kanzleramtsminister Altmaier (CDU) sprach von „linksextremem Terror“ und stellte diesen auf eine Stufe mit dem von Islamisten und Nazis, ungeachtet der Tatsache, dass in Hamburg Autos brannten und Scheiben klirrten, während Nazis in den letzten 25 Jahren über 200 Menschen ermordet haben und bei dschihadistischen Anschlägen in Europa Hunderte getötet wurden. CDU-Innenpolitiker Schuster forderte mehr Versammlungsverbote. Schon in den letzten Jahren wurden, zum Teil von der Öffentlichkeit kaum beachtet, Gesetzesverschärfungen durchgesetzt. Das wird weiter versucht werden.

Nachdem es zunächst keinen großen öffentlichen Aufschrei gegeben hat, könnten wir die Maschinenpistolen-Trupps vom SEK häufiger im Umfeld von Demonstrationen sehen, was zur Einschüchterung potenzieller Demo-TeilnehmerInnen beitragen dürfte.

Die Gesetzesverschärfer werden einige Unterstützung aus der Bevölkerung bekommen, dazu haben Auto-Anzünder und Plünderer beigetragen. Viele Menschen haben aber mitbekommen, wie der Staat einen Ausnahmezustand provoziert und die demokratischen Rechte eingeschränkt hat. Die Solidarisierung mit den Protesten war groß, viele haben das Agieren der Polizei mitbekommen. Das wird in den nächsten Monaten ein Ansatzpunkt sein, um die Geschehnisse rund um den Gipfel nachzubereiten.

 

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