Internationales

Russland vor den Präsidentschaftswahlen

Über mögliche Protestbewegungen und den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft
von Rob Jones, „Социалистическая альтернатива“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Russland)

Vorbemerkung der Redaktion von socialistworld.net:

Der 100. Jahrestag der Oktoberrevolution in Russland wird vom Putin-Regime und den Massenmedien in Russland weitgehend ignoriert.

Wenn die Revolution, die den Weg in den ersten Arbeiterstaat der Welt ebnete, überhaupt erwähnt wird, dann meist, um sie als historische „Tragödie“ oder „Fehler“ zu missbilligen. Angesichts des pro-kapitalistischen Charakters des russischen Regimes und den autoritären Zügen der Regierung Putin kann dies kaum überraschen. Und dennoch schwebt das Vermächtnis der sozialistischen Oktoberrevolution über dem heutigen Regime und wirft drängende Fragen auf, was das Leben im kapitalistischen Russland von heute angeht.

Rob Jones wirft einen Blick auf diese Aspekte, er beschäftigt sich mit den Aussichten auf neue Protestbewegungen und dem Kampf für eine neue sozialistische Gesellschaft.

Der Termin für die nächste russische Präsidentschaftswahl ist um zwei Wochen auf den 18. März 2018 verschoben worden, damit sie auf den vierten Jahrestag der Annektion der Krim durch Russland fällt. Die Jugendproteste, zu denen es am 26. März 2017 überall in Russland gekommen ist, gingen auf einen Aufruf des liberalen Anti-Korruptionsaktivisten Alexei Nawalny zurück und haben wie ein Blitz eingeschlagen. Sie haben die Gesellschaft förmlich unter Strom gesetzt und der politischen Stagnation ein Ende bereitet, die seit den Bolotny-Protesten von 2011/12 in der russischen Gesellschaft zum bestimmenden Element geworden war. Auslöser dieser Proteste, waren die Wahlfälschungen bei den damaligen Parlamentswahlen.

Besagte Stagnation folgte auf das Versagen der Führungsfiguren dieser Proteste auf der Moskauer Bolotny-Insel. Diese hatteb es nicht vermocht, eine Strategie zur Weiterentwicklung der Opposition gegen das Regime anzubieten. Dieser Umstand sorgte – in Verbindung mit den Verhaftungen und den brutalen Polizeiübergriffen bei der Demonstration vom 6. Mai 2012, dem Gang verschiedener führender Köpfe ins Exil und sogar dem Mord am liberalen Oppositionsführer Boris Nemzow – dafür, dass eine Stimmung geschaffen wurde, in der derartige Kämpfe nur noch als aussichtslos erschienen. Fast alle Oppositionsgruppen sowohl auf der Linken wie auch der Rechten waren nach 2012 von dieser Niedergeschlagenheit befallen.

Während die unabhängigen Gewerkschaften noch zu Beginn der Weltwirtschaftskrise radikale Aussagen über die notwendige Verteidigung der Rechte der ArbeitnehmerInnen machten, beteiligten sie sich dann doch nicht an den Bolotny-Protesten. Als die Regierung auf breiter Basis Kürzungen im Haushalt vornahm, zerstreuten sie die frühen Proteste der Beschäftigten im Gesundheits- und Bildungsbereich, indem sie die Demonstrationen auf der Straße in eine Art Workshop verwandelten, den sich eine Geschäftsleitung nicht besser hätte ausdenken können. Jeden Tag wird ein weiteres Krankenhaus geschlossen und bis 2020 wird nur noch ein Drittel der 10.700 Hospitäler existieren, die im Jahr 2000 vorhanden waren. Es wird weniger Krankenhäuser geben als im Jahr 1913 und jedes Jahr 24.000 zusätzliche Tote, weil eine angemessene Behandlung nicht mehr möglich ist.

Arbeitnehmerschaft zahlt den Preis

Die russische Arbeiterklasse und vor allem die jungen Leute tragen die Hauptast der anhaltenden ökonomischen Krise. Die Behörden tun alles, was sie können, um das ganze Ausmaß zu verschleiern. Folgt man der offiziellen Statistik, gehen die Verzögerungen bei der Auszahlung der Löhne zurück und betreffen demnach nur einen kleinen Teil der Arbeiterschaft. Eine Sozialerhebung brachte hingegen zutage, dass „23 Prozent aller erwerbstätigen Befragten bestätigen, dass sie in den letzten zwei bis drei Monaten persönlich Lohnkürzungen oder eine Verzögerung der Auszahlung ihrer Löhne erlebt haben“. Die Reallöhne sind nun schon im vierten Jahr in Folge gesunken: 2014 um 0,7 Prozent, 2015 um 3,2 Prozent und 2016 um 5,9 Prozent. Beschäftigte, die protestieren, droht weit verbreitete Schikane durch die Polizei. Die Bergleute aus dem Dorf Gudkowa in der Nähe von Rostow am Don warten nun schon seit Monaten auf die Auszahlung ihrer Löhne. Sie werden verhaftet und unter Arrest gestellt. Als sie vor kurzem beschlossen, einen Marsch nach Moskau durchzuführen (was mehr als 1000 km entfernt ist), wurden sie von der Bereitschaftspolizei in ihren Häusern festgesetzt.

Auch wenn es so sein sollte, dass viele eine Zeit lang die Kürzungen toleriert haben, weil sie gehofft haben, dass die Goldenen Zeiten des Wirtschaftswachstums in den Jahren von 2000 bis 2008 (aufgrund des hohen Ölpreises und einer Abwertung des Rubel) zurückkehren würden, so gibt es nun Anzeichen dafür, dass die Geduld allmählich zur Neige geht. Daraus lässt sich zum Teil auch die enorme Wut über die Korruption und die Ungleichheit bei der Reichtumsverteilung ableiten. Sie war Anlass für die Proteste der Jugend. Es gibt aber kein Licht mehr am Ende des Tunnels: Die Regierung muss sogar schon einschreiten, um Banken zu retten. In diesem Jahr hat sie schon fast eine Billion Rubel (~ 13 Mrd. Euro) ausgegeben. Dabei gehen offizielle Prognosen davon aus, dass das BIP-Wachstum in den kommenden drei Jahren nicht über 1,5 Prozent hinausgehen wird. Diese Zahl wird wahrscheinlich auch in den Folgejahren nicht überschritten werden.

Patriotische Welle

Das Regime kann von Glück sagen, dass die Weltlage die Aufmerksamkeit von der Krise im eigenen Land abgelenkt hat. So konnte man das Bild kreieren, wonach die Stellung Russlands in der Welt gestärkt worden sei. Die ukrainische Krise hat zu einer riesigen Welle des Patriotismus geführt, die die regierende Elite mit Kinofilmen wie „Krim“ weiterhin auszunutzen versucht. Und so soll auch die Präsidentschaftswahl am Jahrestag der Krim-Annektion stattfinden. Doch nun fällt alles auf das Regime zurück. Das zeigte sich bei der Enthüllung einer neuen Statue von Michail Kalaschnikow in Moskau, dem Entwickler des berühmten Sturmgewehrs, der vor kurzem gestorben ist. Der Bildhauer hatte ein Bild eines Gewehrs in das Standbild eingeschlagen, von dem sich herausstellte, dass es nicht die AK-47 sondern ein deutsches Sturmgewehr war. Um das Ganze noch schlimmer zu machen, ist dann ein Arbeiter, der den Fehler ausmerzen sollte, von der Polizei verhaftet worden!

Die Patt-Situation in der Ost-Ukraine hat dazu beigetragen, dass die patriotische Stimmung an Glanz verloren hat. Zahlreiche gescheiterte Waffenruhen konnten die fortwährenden bewaffneten Zusammenstöße nicht stoppen. Die verstärkte Wirtschaftsblockade durch Kiew hat dazu geführt, dass Russland es mit steigenden Kosten zu tun hat, um die Republik Donezk und Lugansk zu unterstützen. Das ist ein Faktor, der den Staatshaushalt weiter schröpft. Aktuelle Gerüchte besagen, dass der Kreml möglicherweise die Führungen der beiden Republiken auszutauschen und mit „Figuren“ zu ersetzen gedenkt, „die eher zu Kompromissen in der Lage sind“. Damit könnte die Einsetzung von „Friedenswächtern“ möglich werden. In Verbindung steht dies zur Notwendigkeit, auf Kosten der beiden Enklaven mehr Geld für die Krim und die baltische Region um Kaliningrad aufbringen zu müssen.

Der Beginn des Konflikts in der Ost-Ukraine hat schnell zur Polarisierung innerhalb der russischen Opposition geführt. Pro-russische und pro-ukrainische Positionen standen sich gegenüber. Sogar die AnarchistInnen haben sich gespalten und sind in ihre Bestandteile zerfallen. Das war ein weiterer Faktor, der zur politischen Stagnation der letzten Jahre beigetragen hat. Und nun kommt es noch zu einer weiteren Gefahr. Viele Oppositionelle, die mit der Waffe in der Hand in den Reihen der pro-russischen Kräfte in der Ost-Ukraine gekämpft haben, kommen als reaktionäre, kampferprobte Hardliner zurück, die gerne bereit sind, sich gegen Proteste in Russland einsetzen zu lassen.

Der „Sieg“ des Assad-Regimes gegen die Rebellen in Syrien im Zuge der direkten Intervention russischer Einheiten ist als Stärkung der Rolle des Kreml in der Welt dargestellt worden. Zweifellos hat er den US-Interessen in dem Land einen schweren Schlag versetzt. Allerdings muss in diesem Zusammenhang wohl eher von einem Pyrrhussieg gesprochen werden. Von einer Wiederherstellung der Stabilität kann kaum die Rede sein und die jüngsten Ereignisse zeigen, dass die Gefahr offener Zusammenstöße zwischen US-amerikanischen und russischen Truppen wahrscheinlicher ist denn je. Die Intervention in Syrien ist in Russland nie besonders positiv aufgenommen worden. Umfragen deuten diesbezüglich auf einen Rückgang an Unterstützung hin. Gleichzeitig bedeuten die letzten Entwicklungen in Nordkorea eine neue direkte Gefahr für die russischen Interessen. Die auferlegten Sanktionen werden direkte Folgen für die ökonomischen Interessen Russlands wie auch Chinas haben und möglicherweise einen weltweiten Handelskrieg heraufbeschwören. Sollte der Konflikt weiter eskalieren, kann es zu einer weiteren Destabilisierung der gesamten Region kommen.

Prozesse unter der Oberfläche

Eine oberflächliche Analyse der heutigen Lage in Russland führt nur zu einem Schluss: Das herrschende Regime ist weiterhin stark, die liberalen Kräfte stehen als Zuschauer an der Seite, die wirtschaftliche Situation wird – wenn auch schwierig – immer noch gemanagt und internationale Entwicklungen haben die Position Russlands und somit die Popularität Putins gestärkt. Wenn man den Meinungsumfragen glauben kann, genießt er selbst immer noch ein überwältigendes Maß an Unterstützung. Doch diese Analyse ist nicht dialektisch. Sie ignoriert die Prozesse, die in der Gesellschaft stattfinden und die – wenn sie an die Oberfläche gelangen – die Unterstützung für das Regime restlos untergraben können. Wie beim Kind aus dem Märchen zeigen diese Prozesse, dass der „Kaiser in Wirklichkeit keine Kleider hat“.

Bei den letzten Regionalwahlen stellte sich heraus, in welchem Umfang die Unterstützung für die Institutionen und Putins Partei „Einiges Russland“ zurückgegangen ist. Zwar hat es das „Einige Russland“ in diesen inszenierten Wahlen vermocht, die Kontrolle über alle Gouvernements zu behalten. Die Ergebnisse für die Bezirke im Distrikt von Moskau sind hingegen vielsagend. Die Stadt ist in 62 Bezirke unterteilt. Jeder hat einen örtlichen Bezirksrat (wenn auch ohne echte Einflussmöglichkeit außer einer Aufsichtsfunktion). Doch die KandidatInnen der Opposition (fast alle von ihnen sind pro-kapitalistische Liberale) haben 17 dieser Bezirke für sich gewinnen können und sind in 29 weiteren auf dem Vormarsch. Im Wahlbezirk von Putin hat die Opposition sämtliche Sitze errungen. Die Tatsache, dass die Wahlbeteiligung mit nur 15 Prozent sehr niedrig lag, zeigt, dass die regierende Partei „Einiges Russland“ echte Probleme hat, in der Hauptstadt und anderen großen Städten Unterstützung zu mobilisieren.

Daran zeigt sich, dass sich die Probleme und Widersprüche in der letzten Zeitspanne angehäuft haben. Inflationsbereinigt sind die Realeinkommen unter das Niveau von 2009 gefallen. Die Unzufriedenheit über sinkende Lebensstandards, städtische Modernisierungsprogramme, nicht ausgezählte Löhne, neue Steuern und den allgemeinen Mangel an Freiheiten sorgt für die Gefahr einer sozialen Explosion. Und das Regime hat keine Antwort auf irgendeines dieser Probleme. Stattdessen zieht jeder Versuch, Widerstand zu leisten oder Protest zu organisieren, beispiellose Schikanen nach sich. Repressive Maßnahmen gegen die Jugend, die am 26. März protestiert hat, finden zu einem Ausmaß statt, das seit Jahrzehnten nicht mehr erreicht worden ist: Allein in Moskau sind 64 Personen zu Haftstrafen von durchschnittlich zehn Tagen verurteilt worden. 469 weitere mussten Geldstrafen von 10.000 bis 20.000 Rubel (~150 Euro bis 300 Euro) bezahlen. Über 150 BeamtInnen verfolgen fünf Personen wegen vorliegender Anklagen. Einigen davon droht lebenslange Haft. Seither vergeht kaum ein Tag ohne neue Berichte über Arreste, Verhaftungen und Verurteilungen.

Die „offizielle“ Opposition

In einer „normalen bürgerlichen Demokratie“ gibt es Oppositionsparteien und Organisationen, die die Unzufriedenheit in der Gesellschaft absorbieren und in sichere Bahnen lenken können. Die Elite in Russland hat jedoch alles Erdenkliche dafür getan, selbst die „sichersten“ oppositionellen Kräfte zu neutralisieren. Das zeigt sich an den vier Parteien, denen der Weg in die Duma, das russische Parlament, nicht verwehrt worden ist. Abgesehen von der Partei „Einiges Russland“ gibt es da noch die Kreml-treue Partei „Gerechtes Russland“, Schirinowskis „Liberal-Demokraten“ und die plumpe „Kommunistische Partei“ (KPRF).

Symbolische Stimmen in der Duma gegen einige der schlimmsten Gesetze (gerade erst wieder gegen neue Steuern für selbstständige LKW-FahrerInnen, Gesetze, die den Zugang zum Internet beschränken, und BürgerInnen für Renovierungen in der Hauptstadt zur Kasse bitten) durch einige Abgeordnete, die nicht immer Mitglieder der Fraktionen sind, verhüllen lediglich die Tatsache, dass diese Parteien außerhalb der Duma-Flure nicht viel Leben in sich tragen. Ein aktuelleres Beispiel dafür ist die Entscheidung der „KommunistInnen“ aus Nowosibirsk, die eine Demonstration zur Unterstützung Nordkoreas organisiert haben, während Alexei Nawalny in der Stadt war, um dort eine Rede zu halten. Sie mobilisierten weniger als 50 Personen. Nawalny zog hingegen Tausende an. Die „KommunistInnen“ stehen dem Kreml derart nahe, dass es sogar Diskussionen mit dem Präsidialamt darüber gibt, wer die Partei bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen vertreten wird. Damit soll eine hohe Wahlbeteiligung sichergestellt und der Wahl somit mehr Glaubwürdigkeit verliehen werden.

Zur Schande von Sergei Udalzow, des Sprechers der sogenannten „Linken Front“, der nach fünf Jahren Haft wegen der Beteiligung an den Bolotny-Protesten gerade erst wieder auf freiem Fuß ist, hat er aus dieser Phase keine Lehren gezogen. Er wiederholt weiterhin, dass eine Stärke der Bolotny-Proteste darin bestanden hat, eine Allianz aus Liberalen, der Linken und rechtsextremen russischen Nationalisten geschmiedet zu haben. Fakt ist, dass es diese Allianz war, die einer breiteren Unterstützung aus der Arbeiterklasse und von Seiten der nicht-russischen Bevölkerung im Weg gestanden hat. Ferner ermöglichte die kritiklose Unterstützung Udalzows für die Liberalen, dass diese schließlich freie Hand hatten, als es darum ging, die Bewegung im Sande verlaufen zu lassen.

Im Versuch, seinen Umhang als „Führer“ der linken Kräfte nach seiner Haftentlassung zurück zu erobern, tritt Udalzow dafür ein, dass die „links-patriotischen“ Kräfte einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten aufstellen sollten. Zu den möglichen KandidatInnen zählt er russisch-chauvinistische OpponentInnen der Punkband „Pussy Riot“, rechtsextreme Chauvinisten, sogenannte „National-Bolschewiken“, Politiker der Marktwirtschaft, Lobbyisten der Ölindustrie und Anatoli Lokot, den Bürgermeister von Nowosibirsk (letzterer hatte die o.g. Demonstration für Nordkorea organisiert!). Auch der Gouverneur Udalzow steht auf seiner Liste. Er steht einer Region vor und ist auch einer derjenigen, die in den Gesprächen zwischen Kreml und „Kommunisten“ über einen Kandidaten der KPRF eine Rolle spielen.

Der Populismus von Nawalny

Das Fehlen jeglicher echter oppositioneller Kräfte (Gewerkschaften eingeschlossen) hat in Russland eine beinahe einmalige Situation geschaffen. Wie in vielen anderen Ländern existiert auch in Russland die Grundlage für eine Explosion der herrschenden Unzufriedenheit. In einigen Ländern ist eine solche Unzufriedenheit von links-populistischen Kräften kanalisiert worden (so z.B. im Falle von SYRIZA, PODEMOS, Sanders oder Corbyn). In Russland ist die mögliche Explosion der Unzufriedenheit hingegen von Nawalny, einem Liberalen mit russisch-nationalistischer Neigung, absorbiert worden. Nicht aus persönlicher Überzeugung, sondern im Sinne des klassischen Populismus reflektiert er die Forderungen nach Maßnahmen gegen die Korruption und auch einige „linke“ Forderungen wie beispielsweise den Ruf nach einem Mindestlohn, kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung. Nawalny kritisiert sogar die Übernahme der Krim, zwar nicht im Grundsatz aber doch wegen der Vorgehensweise, die das Regime gewählt hat, um die Annektion unter Einsatz des Militärs durchzuführen.

Es war nicht Nawalny, der für die Stimmung unter den jungen Leuten am 26. März verantwortlich war. Vielmehr war es die Jugend, die umgekehrt seine Position determiniert hat. Momentan beschäftigen sich die jungen Leute mit Problemen, die sie unmittelbar betreffen: die Qualität und Kosten der Bildung, Chancen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt etc. Das hat die eher allgemein gehaltene Kampagne gegen Korruption befeuert und findet seine Bestätigung in den Ergebnissen einer Meinungsumfrage und einer anderen Erhebung, bei denen herauskam, dass 28 Prozent der jungen Leute sich selbst als „SozialistInnen“ bezeichnen. Demnach würden sich 13 Prozent als „Konservative“ beschreiben und nur 20 Prozent als „Liberale“. Ob diese Zahlen korrekt sind oder auch nicht: Sie deuten auf einen generellen Trend hin und bestätigen, dass diejenigen, die der Ansicht sind, es sei nötig, ein sozialistisches Programm abzuschwächen, vollkommen daneben liegen.

Die Jugend reflektiert eine allgemeinere Stimmungslage

Es muss betont werden, dass es sich bei den Jugendprotesten nur um den ersten Akt in einer Entwicklung einer breiteren Oppositionsbewegung gehandelt hat. Diese mag (z.B. aufgrund von internationalen Ereignissen) vorerst auch wieder von der Bildoberfläche verschwinden. Sie wird sich auch nicht geradlinig weiterentwickeln. Doch die allgemeine Bewegungsrichtung ist eindeutig. Nichtsdestotrotz begann das Ganze wie so viele Jugendproteste auf der ganzen Welt: als nebulöse Tendenz ohne klar formulierte Ideen oder Slogans. Wenn die Proteste weitergehen, werden sie der politischen Entwicklung neues Leben einhauchen und wir werden erleben, wie die AnarchistInnen, die Liberalen und die extreme Rechte neuen Zulauf bekommen. Diese sind in den letzten Jahren nicht besonders aktiv gewesen. Umso wichtiger, dass die sozialistische, internationalistische Linke von Beginn an ein klares und radikales Programm liefert, damit sie nicht dasselbe Schicksal erleidet wie im Falle der Linken in der Ukraine.

Vor fünf Jahren haben die Bolotny-Proteste die Wut darüber zum Ausdruck gebracht, wie die Wahlen abgelaufen und die Wahlergebnisse manipuliert worden sind. Obwohl das CWI in Moskau einen effektiven Wahlkampf betrieben und 10.000 Stimmen bei der Wahl zum oppositionellen Koordinierungskomitee erhalten hat, sind die Proteste von VertreterInnen der liberalen Opposition dominiert worden, die von Leuten wie Udalzow und der extremen Rechten loyale Unterstützung bekommen haben. Außerhalb einiger Großstädte, wo die Liberalen immer noch die Unterstützung einer bestimmten Bevölkerungsschicht aus Reichen und der Mittelschicht genießen, haben die Bolotny-Proteste nur wenig an Unterstützung bekommen. Das hat es Putin möglich gemacht, sich in den Regionen auf die Arbeiterklasse stützen zu können (vor allem im Falle der berühmten „Uralvagonmash“-Werke). Auf diese Weise hat er versucht, die Stimmung gegen die „Moskauer Intelligenzija“ anzuheizen. Seither leiden die ArbeiterInnen bei „Uralvagonmash“ unter großen Entlassungswellen. Sie bekommen keinen Lohn und es droht die Pleite.

Zum damaligen Zeitpunkt konnte Putin sich immer noch auf die Unterstützung der regionalen Elite und eines großen Teils der Konzern-Oberen verlassen. Erstere leiden nun aber unter den ernsten Restriktionen bei den öffentlichen Finanzen, während letzteren durch zunehmende internationale Wirtschaftssanktionen Kopfzerbrechen bereitet wird. Sollte es zu schwereren sozialen Konflikten kommen, so könnte sich Putin auf sie wohl kaum noch verlassen. Selbst die Versuche, nach den Geschehnissen vom 26. März die Kreml-treue Jugendorganisation „Nashi“ wieder ins Leben zu rufen, sind ohne Erfolg geblieben. Putins Machtbasis ist auf ein derartiges Niveau geschrumpft, dass er zur Erkenntnis gelangt ist, nur noch das Mittel der Repression bleibe ihm übrig. Häufig gründet dies auf reflexartigen Reaktionen auf die Ereignisse – oft gestützt auf die reaktionär-klerikalen Schichten unter seinen UnterstützerInnen, die nicht so leicht zu kontrollieren sind.

Die religiöse Rechte

Der Tumult rund um den Film „Mathilde“ hat gezeigt, dass der Kreml die Lage nicht länger unter Kontrolle hat. Der vom Kultusministerium finanzierte Film erzählt die Geschichte der Affäre zwischen dem letzten Zaren Nikolaus, „dem Blutigen“, mit einer Ballerina. Teile der russisch-orthodoxen Kirche haben sich hinter die Duma-Abgeordnete Natalja Poklonskaja geschart und sind mit heftigem Widerstand gegen den Film vorgegangen. Die erst 24 Jahre alte Poklonskaja ist zur Generalstaatsanwältin der Krim berufen worden und für ihr russisch-chauvinistisches Vorgehen bei der Strafverfolgung von Angeklagten bekannt.

Der Vorwurf der religiösen Rechten gegen den Film lautet, dieser könne die Menschen zu der Annahme verleiten, der Zar (der von ihnen im letzten Jahr heilig gesprochen worden ist) habe eine Liebesaffäre gehabt. Von einer Organisation, die sich in Anlehnung an den IS selbst als „Christlicher Staat“ bezeichnet, ist eine ganze Serie von Drohungen und gezündeten Autobomben vor Kinos organisiert worden. In ganz Russland sind hunderte anonymer Bombendrohungen bei Universitäten, Bahn- und Flughäfen sowie in Regierungsstellen eingegangen. Poklonskaya, die zu den führenden Köpfen der Partei „Einiges Russland“ gehört, streitet jede Verbindung zu diesen Aktionen ab.

Aus Sicht des Kreml ist es bedauerlich, dass man nur wenige gesellschaftliche Kräfte hat, auf die man sich stützen könnte. Eine Ausnahme bilden diese reaktionären, religiösen Schichten. Parallel dazu hat man jedoch Angst, dass es zu einer Art „Russischem Maidan“ kommen könnte. Dabei versteht der Kreml nicht, was zu den Protesten auf dem Maidan-Platz in Kiew und zu den anderen sogenannten „Farbenrevolutionen“ geführt hat. Man glaubt, diese Revolten seien künstlich von der liberalen Opposition angezettelt worden – mit Unterstützung der Regierungen aus dem Westen. Verhindert werden können sie, so hofft der Kreml, indem man auf eine anti-westliche Rhetorik und auf repressivere Maßnahmen zurückgreift. Doch die treibende Kraft hinter jeder dieser Farbenrevolutionen war die enorme Unzufriedenheit über Armutslöhne, Wirtschaftskrise, Korruption und die zunehmend autoritären Maßnahmen. Liberale, pro-westliche sowie pro-kapitalistische Kräfte waren nur in der Lage, die Kontrolle über diese Bewegungen zu übernehmen, weil es an einer Linken und an gewerkschaftlichen Kräften gefehlt hat.

Wegen der anhalten wirtschaftlichen Stagnation, einer verstärkt im gesellschaftlichen Leben auftretenden klerikalen Reaktion, der Korruption und der autoritären Antworten von Seiten der Regierung ist es förmlich unausweichlich, dass es zu einem gewissen Zeitpunkt zur Explosion der sozialen Gemengelage kommen wird. Diese Eruption könnte derart ausfallen wie die, die schon zu den Farbenrevolutionen geführt hat. Die Frage, die sich der wirklich internationalistischen Linken dabei stellt, lautet, ob sie erfolgreich dabei sein kann, eine echte Kraft aufzubauen und auf diesen Prozess effektiven Einfluss zu nehmen. Sie könnte eine ernstzunehmende Alternative zu dem anbieten, was die liberalen und nationalistischen Gruppen zu bieten haben.

Nawalny und die Präsidentschaftswahl

Die kommenden sechs Monate werden von der Präsidentschaftswahl beherrscht. Die Wahl selbst verspricht hingegen ein ziemlicher Reinfall zu werden: Die Standardliste besteht aus den üblichen vier Kandidaten. Es werden ein paar andere ausgesuchte Kandidaten zur Dekoration mit dabei sein. Die Wahlbeteiligung wird sinken und die „systemfreundlichen“ Oppositionsparteien werden mehr Stimmen verlieren, was dem Haupt-Kandidaten einen Sieg bescheren wird, der es ihm ermöglicht, für weitere sechs Jahre im Amt zu bleiben. 2024 wird sich niemand unter 30 Jahren an ein Leben erinnern können ohne Putin als Präsident.

Der Kreml muss immer noch entscheiden, ob er sich weitere Schein-Kandidaten leisten will, die Stimmen abziehen könnten. Vielleicht fällt die Wahl auf die ehemalige liberale Oppositionsvertreterin Xenija Sobtschak. Sie steht der Familie von Putin nahe. Ihr Vater war Bürgermeister von St. Petersburg als Putins Aufstieg begann. Er befriedete die Oligarchen der Stadt. Würde Sobtschak kandidieren, so würde man damit den Anschein wahren, dass auch Frauen eine Wahl hätten. Außerdem wäre damit die Unterstützung für andere liberale Kandidaten unterhöhlt. Es ist möglich, dass der Kreml sogar sicheren „linken“ KandidatInnen wie Lewtschenko erlauben wird anzutreten.

Doch der entscheidende Aspekt rund um die Wahlen ist die Rolle, die Nawalny wird spielen können. Auf der Linken hat nur das CWI prophezeit, dass Nawalnys Wahlkampagne abheben könnte. Und so ist es auch gekommen. Nur wir haben die Wut erkannt, die sich angestaut hat. Das gilt vor allem für die jungen Leute. Nur wir haben begriffen, dass Nawalnys Wende, sich auf populistische Weise links zu geben, auf Zuspruch stoßen würde. Auch wenn Nawalny seinen Wahlkampf von oben nach unten organisiert und keine Anstalten macht, irgendwelche demokratischen Strukturen anzubieten, bietet dies für linke Kräfte dennoch eine Möglichkeit, um eingreifen zu können. Dabei müssen sie allerdings korrekt vorgehen. Nach den Präsidentschaftswahlen kann es zu neuen Protesten aufgrund ihres undemokratischen Charakters kommen.

Es ist unwahrscheinlich, dass Nawalny sich als Kandidat registrieren lassen darf. Dennoch betrachten viele junge Leute und ein Teil der Arbeiterklasse ihn im Moment als einzig ernstzunehmenden Kopf der Opposition. Entscheidend ist, dass die Linke mit aller Energie auf seine AnhängerInnen zugeht und auf konstruktive Weise aufzeigt, wo die grundlegenden Unterschiede zwischen Nawalny und einer linken Alternative liegen. Es geht um Lohnforderungen, gewerkschaftliche Rechte, Frauenrechte und die Rechte der LGBT-Community sowie den Kampf gegen den Autoritarismus. SozialistInnen betonen die Notwendigkeit der Selbstorganisation und demokratischer Strukturen in den Protestbewegungen, die bei allen Protesten nach der Wahl von besonderer Bedeutung sind.

Nötig ist eine energische sozialistische Intervention

Nicht nur, weil wir uns dem Jahrestag der unsterblichen sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 nähern (die vom Regime und den Medien – wie vorherzusehen war – weitestgehend ignoriert wird), wird das CWI in Russland mit Nachdruck an die Arbeit gehen. Wir werden verstärkt Publikationen herausbringen und unseren Internetauftritt ausbauen. Angesichts der Tatsache, dass sich in der nächsten Zeit neue Massenproteste und Klassen-Auseinandersetzungen entwickeln werden, haben wir uns der Aufgabe verschrieben, eine prinzipienfeste sozialistische Alternative anzubieten.

 

Kämpfer des Monats: Corey Andon

In Ohio (USA) kämpften Corey und andere AktivistInnen von Socialist Alternative (CWI USA) gegen eine Gedenktafel für Südstaatengeneral Robert E. Lee. Corey bekam Todesdrohungen, nachdem der rechte Vizebürgermeister seine Daten veröffentlicht hatte. Corey gab nicht nach. Die Tafel wird vom öffentlichen Grund entfernt!

 

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Historisches Wahlergebnis für sozialistische Kandidatin in Minneapolis

Sozialistische Ideen sind in den USA weiter auf dem Vormarsch
Von Calvin Priest und Bryan Koulouris, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SLP in den USA)

Bei der Wahl zum Stadtrat im US-amerikanischen Minneapolis hat die Kampagne für Ginger Jentzen am 7. November im 3. Wahlbezirk der Stadt ein historisches Ergebnis eingefahren. Am Wahlabend passte der anfängliche Sechs-Punkte-Vorsprung zu unserem energisch geführten Wahlkampf, der von Anfang an die Themen für den gesamten Wahlkampf gesetzt hatte. Wir haben die Debatte über eine Mietobergrenze zurück auf die Agenda gebracht und von den arbeitenden Menschen breite Unterstützung bekommen. Ein weiterer Grund dafür ist unsere Forderung nach Steuern für die großen Baukonzerne und die Reichen, um darüber angemessenen und bezahlbaren Wohnraum, Bildung und den Nahverkehr finanzieren zu können. Wir haben einen der umfangreichsten Wahlkämpfe geführt, den Minneapolis je erlebt hat. Im Fokus stand einzig und allein die Ansprache an die Basis.

Und während der Wahlkampf von „Socialist Alternative“ starke Saiten anschlug und zu mehr Erststimmen (das Wahlsystem sieht drei Vorzugsstimmen vor, die dann gezählt werden, wenn der/die KandidatIn für den/die die erststimme abgegeben wurde, keine Chance mehr auf den Sieg hat; Anm. d. Übers.) führte als die drei anderen KandidatInnen auf sich vereinen konnten, kam es aufgrund der Auszählung am Folgetag im zweiten und dritten Rang („ranked choice voting“) dazu, dass wir doch noch mit eintausend Stimmen das Nachsehen hatten.

 

Ergebnis nach dem Prinzip des nach drei Vorzugsstimmen gestaffelten Wahlverfahrens:

 

1. Vorzugsstimme    2. Vorzugsstimme    3. Vorzugsstimme       Endauszählung

Steve Fletcher        2.705 (28,2%)           2.962 (38,2%)           1.338 (24,6%)               4.861 (55,8%)

Ginger Jentzen      3.290 (34,4%)           1.058 (13,7%)             997 (18,3%)                  3.844 (44,2%)

Tim Bildsoe            2.550 (26,6%)           1.851 (23,9%)             1.178 (21,6%)                        -/-

Samantha

Pree-Stinson           1.006 (10,5%)           1.830 (23,6%)             1.780 (32,7 %)                       -/-

Und dennoch ist dieses Ergebnis ein riesiger Erfolg für sozialistische Politik. Abgesehen von den Wahlkreisen im wohlhabenden Stadtzentrum von Minneapolis haben wir in allen anderen die Nase vorn gehabt. In den Arbeitervierteln entwickelte sich eine starke Dynamik als tausende Menschen durch unsere entschlossenen Forderungen und unseren Ruf nach einer politischen Revolution im Stadtrat motiviert worden sind.

Das hohe Maß an Unterstützung war förmlich greifbar: In nahezu jeder Straße in den Arbeitervierteln des 3. Wahlbezirks waren rot-weiße Wahlkampfplakate mit der Aufschrift „Vote Ginger Jentzen“ zu sehen (in den USA werden diese üblicher Weise in privaten Vorgärten aufgestellt; Anm. d. Übers.). Zwischen den Zeilen stand in großen Buchstaben „Not for Sale“ (dt.: „nicht käuflich“) zu lesen. Dieser Haupt-Slogan, der auch die Wahlkämpfe von Kshama Sawant und Bernie Sanders ausmachte, sollte darauf hinweisen, dass Ginger keine Spenden von Konzernen oder großen Bauunternehmen annehmen würde. Ihr Wahlkampf ist ausschließlich mit den kleinen Einzelspenden der „einfachen“ arbeitenden Menschen finanziert worden.

Trotzdem haben wir damit alle Rekorde gebrochen, die bisher bei Kommunalwahlen in Minneapolis zu verzeichnen waren. Am Ende kamen über 175.000 Dollar zusammen – ohne einen Penny von den Konzernen. Die Einzelspenden beliefen sich im Mittel auf nicht mehr als 25 Dollar!

In den Vierteln rund um die „University of Minnesota“, in denen vor allem Studierende zur Miete wohnen, sorgte unsere Wahlkampagne dafür, dass die Wahlbeteiligung sich verdreifachte und wir in diesem Wahlkreis insgesamt auf über fünfzig Prozent der Stimmen gekommen sind.

Der Wahlkampf war aber auch in hohem Maß polarisiert. In den Gegenden im Stadtzentrum, in denen Luxusappartements und Eigentumswohnungen das Bild beherrschen, konnten die KandidatInnen der DFL („Democratic Farmer Labor Party“; Bezeichnung für die „Demokraten“ im Bundesstaat Minnesota) stark abschneiden. Das ist auf die unterschiedlichen Klasseninteressen zurückzuführen, die dort anzutreffen sind. Ein weiterer Grund ist die verankerung, die die DFL dort hat.

Unser Einfluss und der Widerstand der Konzerne

Der Boden für einen historischen Wahlkampf ist diesen Sommer bereitet worden, als der Stadtrat von Minneapolis gezwungen war, einen Mindestlohn in Höhe von 15 Dollar zu beschließen. Grund dafür war eine Kampagne unter der Führung von Ginger und „Socialist Alternative“, die die Aktionsgruppe „15 Now!“ sowie ein breit aufgestelltes Bündnis aus Gewerkschaften, progressiven Organisationen und AktivistInnen aufgebaut hatten. Dieses Bündnis sorgte für enormen Druck auf die Mehrheit im Stadtrat und auf den Bürgermeister, der bis dato gesagt hatte, dass 15 Dollar zu viel und auf kommunaler Ebene nicht durchsetzbar seien und im Bereich des Unmöglichen liegen würden.

Unsere Wahlkampagne stieß auf den vereinten Widerstand des politischen Establishments, der konzernfreundlichen Medien und führte zu einer mächtigen Finanzspritze der Großkonzerne und profitgeleiteten Baulöwen kurz vor Ende des Wahlkampfes für die Kandidaten des Establishments. Die Chefredaktion der im Besitz von Milliardären befindlichen Zeitung „StarTribune“ fungierte als das Sprachrohr der Konzernchefs von Minneapolis. Schließlich wurde der Leitartikel „Anybody But Ginger“ (dt.: „Alle, nur nicht Ginger“) veröffentlicht, in dem die anderen drei KandidatInnen zur Wahl empfohlen wurden: Steve Fletcher und Tim Bildsoe, die Kandidaten des Establishments von der DFL, aber auch Samantha Pree-Stinson von der „Green Party“.

Dabei waren es die Anstrengungen, die die Spendenkomitees der Konzerne unternommen haben, um die Wahlen zu kaufen, über die die Angst des Polit-Establishments am stärksten zum Ausdruck kam. Kein Wunder, war unsere Wahlkampagne doch voll und ganz auf die Arbeiterklasse ausgerichtet. Das gilt auch für die linken KandidatInnen, die in einer Reihe weiterer Wahlkämpfe gegen ihre KontrahentInnen aus dem Establishment angetreten sind. Die Großkonzerne hatten begriffen, dass diese Herausforderung von links, an der auch einige von der Organisation „Our Revolution“ unterstützte KandidatInnen wie der Bürgermeister-Kandidat Ray Dehn beteiligt waren, um jeden Preis bekämpft werden musste.

Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass die großen Konzerne am meisten Angst vor unserer unabhängigen sozialistischen Kampagne hatten. Der millionenschwere Baulöwe Steve Minn und sein Spendenkomitee namens „Minneapolis Works“ hatten sich Mitte Oktober in ihrem „Aufruf zum Handeln“ auf Ginger eingeschossen. Darin hieß es: „Wenn Sie gedacht haben, dass es für eine bekennende Sozialistin unmöglich sei, auf der Basis von Mietobergrenze und der Forderung nach Einführung einer kommunalen Einkommenssteuer zu kandidieren […] dann beschäftigen Sie sich mal mit – Ginger Jentzen“. Man warnte davor, dass sie im 3. Wahlbezirk zu den „führenden KandidatInnen“ gehöre. Rasch kam es dazu, dass Konzerngelder flossen, um den Wahlkampf zu beeinflussen. In den letzten Wochen des Wahlkampfs sind noch Wahlkampfflyer von sechs Spendenkomitees in diesem Wahlbezirk in Umlauf gebracht worden, die allesamt Tim Bildsoe unterstützten. Unterdessen wurde Ginger in drei weiteren Wahlbroschüren als „durchgedreht“ bezeichnet, weil sie die Superreichen und Großkonzerne besteuern will und sich für eine Mietobergrenze ausspricht. Zum Schluss wurde dann noch die infame Lüge verbreitet, sie wolle die Einführung „neuer Steuern für arbeitende Familien“.

Über Seattle hinaus …

Dass unsere Wahlkampagne zu einem derart starken Ergebnis führen konnte, hat gezeigt, dass es sich in puncto Unterstützung für unabhängige SozialistInnen bei Seattle – wo Kshama Sawant in den Stadtrat gewählt wurde – in keinster Weise um eine Ausnahme gehandelt hat. Wie „Socialist Alternative“ schon früher erklärt hat, ist überall im Land ein Verlangen nach entschlossener Politik von der / für die Arbeiterklasse vorhanden. Auch wenn wir wissen, dass sich viele derer, die für uns gestimmt haben, nicht als „SozialistInnen“ bezeichnen, so ist die „Marke Sozialismus“ für die „einfachen“ Leute dennoch kein Hindernis mehr. Angesichts eines zunehmenden Interesses an sozialistischen Ideen ist Ginger ganz offen als Sozialistin angetreten. Das half tatsächlich dabei, etlicher junge Leute und Menschen aus der Arbeiterklasse in die Kampagne einzubeziehen, die im Präsidentschaftswahlkampf bereits Bernie Sanders unterstützt hatten.

Irgendwann nahm die ganze Kampagne eine Art landesweiten linken Charakter an und fand Aufmerksamkeit in verschiedenen bekannten Medien wie etwa dem Magazin „The Nation“, auf der Nachrichtenseite „The Intercept“ und im Medien-Netzwerk „The Young Turks“. Ginger stand auf der Titelseite des Stadtmagazins „City Pages“ und fand Anerkennung in einer ganzen Reihe von Geschichten, die im Lokalblatt, der „StarTribune“, erschienen sind.

Mehrere bedeutende linke Gewerkschaften haben eine Wahlempfehlung für uns abgegeben. Darunter waren zum Beispiel die „Minneapolis Nurses Association“, die „Communication Workers of America MN Council“ und die „United Transportation Union“, die 2016 schon zur Wahl von Sanders aufgerufen hatten. Auf kommunaler aber auch auf bundesweiter Ebene hatte sich die Partei „Democratic Socialists of America“ für die Wahl von Ginger ausgesprochen. Dasselbe hat auch die Ortsgruppe von „Our Revolution“ getan. Zu den prominenten Einzelpersonen, die eine Wahlempfehlung für Ginger abgegeben haben, zählen Dr. Cornel West und der Wahlkampf-Manager von Ray Dehn, der linke Demokrat Joelle Stangler. Hinzu kamen verschiedene weitere örtliche VertreterInnen der Linken, die in der Demokratischen Partei aktiv sind.

Die Kampagne und das Bündnis, die von uns ins Leben gerufen worden sind, werden hilfreich sein, den Grundstein für einen Kampf zum Ausbau des Nahverkehrs und die Einführung einer Mietobergrenze in Minneapolis zu legen. Dieser Kampf wird in den nächsten Monaten geführt. Die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe werden in Kürze – mit Ryan Timlin, der Mitglied von „Socialist Alternative“ und seit Neuestem Vorsitzender der örtlichen Gewerkschaft ist – in Tarifauseinandersetzungen einsteigen. Beschäftigte aus dem gesamten Stadtgebiet von Minneapolis werden sich daran beteiligen. Gingers Wahlkampagne zeigt, dass es breite Zustimmung in der Bevölkerung für die Forderung nach einer Mietobergrenze gibt. Daran können wir ansetzen, wenn es um die Mobilisierung für den Kampf gegen die großen Baumagnaten und deren Versuche geht, Minneapolis zu einer Spielwiese für die Reichen zu machen.

Das Establishment schlägt zurück

Das Establishment von Minneapolis hat sich das „ranked choice“-Wahlverfahren zunutze gemacht, um sich gegen unsere unabhängige sozialistische Wahlkampagne in Stellung zu bringen. Als Mitte August klar wurde, dass der Wahlkampf von Fletcher nicht wirklich abhob, führte dies mit Tim Bildsoe zur Aufstellung eines weiteren Kandidaten.

Die anderen KandidatInnen haben dann über die Zweit- und die Drittstimme zu den Gesamtstimmen geführt, die nötig waren, um den Sieg der DFL und Steve Fletchers sicherzustellen. In dieses Gefüge ist auch Samantha Pree-Stinson von der „Green Party“ mit einzubeziehen. Es zeigt sich daran nicht nur, dass es sich beim „ranked choice voting“ (RCV) nicht um ein Patentrezept handelt. Vielmehr wird deutlich, dass dieses Wahlsystem vom Establishment auch als Werkzeug eingesetzt werden kann, um unabhängige Wahlkampagnen ins Visier zu nehmen. Der gesamte Wahlkampf hätte natürlich ohne RCV eine ganz andere Dynamik bekommen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das „Argument vom kleineren Übel“ gegen unsere Kandidatin ins Feld geführt worden ist, um die Wählerschaft für Steve Fletcher zu gewinnen. Es wurde das Bild gezeichnet, dass eine Stimme für Fletcher helfen würde, um den noch konservativeren Tim Bildsoe zu verhindern, der ebenfalls auf dem Ticket der „Demokraten“ angetreten ist, nachdem er 16 Jahre lang als „Republikaner“ Mitglied der Stadtrats in einem Vorort gewesen war.

Als Rückschlag für unabhängig geführte Wahlkämpfe muss der Umstand gewertet werden, dass die Kampagne von Ginger Jentzen am offensten und heftigsten ausgerechnet von der Kandidatin der Grünen Partei, Samantha Pree-Stinson, angegriffen worden ist. Vormals war Pree-Stinson Teil des Polit-Establishments der Demokraten, die Parteiausschüsse geleitet hat und aktiv daran beteiligt war, über Jahre hinweg die Demokratische Partei aufzubauen. Aufgehört hat sie mit diesen Tätigkeiten erst zu Beginn dieses Jahres, als sie sich um Unterstützung von der Grünen Partei bemühte. Obwohl ihr Wahlkampf ganz offensichtlich rechts vom Demokraten Steve Fletcher anzusiedeln war, ist sie von den Grünen unterstützt und gepusht worden. Von ihr kamen Äußerungen, mit denen sie sich gegen den 15-Dollar-Mindestlohn aussprach, und sie hat unsere Wahlkampagne dafür angegriffen, dass wir zur Unterstützung für die Bürgerrechtsbewegung „Black Lives Matter“, des Krankenkassen-Systems „Medicare for All“ und die Initiative „No Ban, No Wall, No Raids“, das gegen den Mauerbau an der mexikanischen Grenze ist, aufgerufen haben. Sie selbst hat die Idee von der Mietobergrenze ebenso wenig unterstützt wie die Forderung nach einer Reichen-Steuer. Bedauerlicherweise hat sich die Bundesleitung der Grünen uneingeschränkt für den Wahlkampf von Pree-Stinson stark gemacht, obwohl es mehrere Aufrufe der Mitglieder von „Socialist Alternative“ gab, man möge die eigene Wählerschaft zur Abgabe der Zweitstimme für Ginger aufrufen.

Bundesweit sind viele KandidatInnen gewählt worden, die von „Our Revolution“ und/oder den „Democratic Socialists of America“ unterstützt worden sind. Das ist eine äußerst positive Entwicklung. Es wird aber gleichzeitig auch ein Test sein, ob die neuen FunktionsträgerInnen dem Druck der Konzerne und der großen Bauunternehmen aber auch von Seiten der Demokratischen Partei und des gesamten Polit-Establishments werden standhalten können. Alle genannten Instanzen werden sie zu zwingen versuchen, ihre Politik abzumildern. In Seattle haben wir gezeigt, wie nur eine ins Amt gewählte Stadträtin die politische Landschaft im Sinne der sozialistischen Bewegung verändern kann, wenn es eine Verbindung zwischen ihr, einem klaren politischen Programm, der Mobilisierung arbeitender Menschen von unten und dem Aufbau einer unabhängigen Organisation gibt.

Die Kommunalwahlen in Minneapolis haben genau an dem Tag stattgefunden, an dem es in Russland vor hundert Jahren zur Oktoberrevolution gekommen ist. Damals haben die arbeitenden Menschen die Macht übernommen und sie zum ersten Mal in der Geschichte auch verteidigen können. Sie haben bis dato nicht gekannte Errungenschaften für die Beschäftigten, Bäuerinnen, Bauern, Mitglieder der LGBTQ-Community, Frauen und unterdrückten Nationalitäten gebracht. Auch wenn viele dieser Errungenschaften wieder verloren gegangen sind, nachdem Stalin an die Macht gekommen ist, der es bis an die Spitze einer grotesken Bürokratie schaffte, sind der historische Sieg der russischen Arbeiterklasse im Jahr 1917 und die Lehren, die aus dieser Revolution zu ziehen sind, heute von größerer Bedeutung denn je.

Wenn die politisch bewusstesten ArbeiterInnen und jungen Leute dieser Welt die Bedeutung der Russischen Revolution diskutieren, dann werden einige von ihnen in den nächsten Tagen auch von der unglaublichen Kampagne von Ginger und „Socialist Alternative“ hören, die wir in Minneapolis verfolgt haben. Die Ideen und Erfahrungen des Oktober und des echten Marxismus leben fort, weil sie für den Kampf für eine Welt von zentraler Bedeutung sind, die auf Solidarität und wirklicher Demokratie basiert und in der es weder Armut, Rassismus, die Unterdrückung nationaler Minderheiten und Sexismus gibt noch Umweltzerstörung. Eine neue Generation von Beschäftigten verliert zunehmend den Glauben an das bankrotte System des Kapitalismus und hält Ausschau nach einer Alternative.

Der Sozialismus befindet sich weiter auf dem Vormarsch.

 

Parasiten im Paradies

Die Paradise Papers offenbaren den kapitalistischen Normalzustand
Von Sascha Staničić

7,9 Billionen Euro wurden von den Superreichen in die Steuerparadiese der Welt geschafft. Ausgeschrieben: 7.900.000.000.000! Es brauchte keine Paradise Papers, um zu wissen, dass die Konzerne und der KapitalbesitzerInnen gierig sind. Aber der Leak hat – nach den Panama Papers im letzten Jahr – gezeigt, welche Dimension Steuerflucht annimmt. Und dass das alles, oder zumindest größtenteils, mit rechten Dingen zugeht, macht die ganze Sache umso schlimmer.

Der ganz legale Betrug offenbart den kapitalistischen Normalzustand. Kapitalisten machen aus der Arbeit von Millionen ArbeiterInnen Geld, aus diesem Geld machen sie mehr Geld – und machen damit dann nichts, was für die Gesellschaft sinnvoll wäre, sondern horten es, lassen es „arbeiten“, spekulieren, tun alles, damit es nicht im Interesse der Weltbevölkerung eingesetzt wird. Und sie können das so machen, weil sie den entscheidenden Einfluss auf Staaten und Gesetzgebungen haben, weil diese Staaten kapitalistische Staaten sind, die im Interesse der Kapitalisten handeln. Jede Empörung von PolitikerInnen angesichts der Enthüllungen ist reine Heuchelei. Da ist Wolfgang Schäuble zumindest ehrlich, der den Kampf gegen Steuerhinterziehung als „Kampf gegen Hydra“ bezeichnete. Fragt sich nur, ob er und seine KollegInnen tatsächlich kämpfen und der vielköpfigen Hydra überhaupt schon einen Kopf abgeschlagen haben? Einmal mehr bestätigt sich Horst Seehofers (ja, der von der CSU …) wahrer Satz, den er in seiner seltenen lichten Momente gesagt hat: „Diejenigen, die entscheiden, werden nicht gewählt. Und die, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“ (In der Fernsehsendung „Pelzig unterhält sich“ vom 28.5.2010) Offenbar gilt das auf jeden Fall, wenn es um das Steuerrecht geht.

61 Jahre den Hunger beenden …

Die Süddeutsche Zeitung hat darauf hingewiesen, was mit diesen 7,9 Billionen Euro gemacht werden könnte: alle Hunger leidenden Menschen auf der Welt für 61 Jahre ernähren, jedem Menschen auf der Welt eintausend Euro aushändigen oder alle Kinder auf der Welt, die keinen Zugang zu Bildung haben, viereinhalb Jahre in eine Schule deutschen Standards schicken. Aber so etwas interessiert die Männer und Frauen in den Chefetagen von Nike oder Facebook genauso wenig, wie den selbst ernannten Gutmenschen und Verräter am Rock’n’Roll Bono oder die Queen von England.

Und Deutschland? Die SZ schreibt: „In Deutschland führen die Spuren zu rund tausend Kunden, Begünstigten oder sonstwie Involvierten – ohne dass sich damit automatisch rechtliches Fehlverhalten verbinden würde. Unter den Offshore-Nutzern sind Milliardäre, Adelige, Unternehmer, Erben, Investoren, verurteilte Betrüger und ehemalige Politiker, etwa der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, aber auch Firmen wie Sixt, die Deutsche Post oder die Hotelkette Meininger, Siemens, Allianz, Bayer oder die Deutsche Bank.“

Achtig Prozent der Offshore-Vermögen gehören 0,1 Prozent der Weltbevölkerung. Diese Zahl allein zeigt, wo das Problem liegt. Während der Bundestagswahlkampf dominiert war von einer medial inszenierten Debatte um Zuwanderung und deren Folgen, seit Jahren über angebliche Parallelgesellschaften von Muslimen und Muslimas schwadroniert wird, die vor allem von denjenigen entdeckt werden, die kaum mit Muslimen und Muslimas zu tun haben, offenbaren die Paradise Papers eines ganz deutlich: es gibt eine Minderheit, die auf Kosten der großen Mehrheit lebt. Parasiten, die ihre Kohle ins (Steuer-)Paradies schaffen. Superreiche, die sich in Privatjets und -yachten fortbewegen, in „gated communities“ leben und eine tatsächliche und gefährliche Parallelgesellschaft bilden, weil ihre Entscheidungen Millionen und Milliarden Menschen betreffen. Höchste Zeit gegen diese Leute vorzugehen.

Kapitalismus überwinden

Aber wie? Natürlich brauchen wir Steuererhöhungen für die Reichen und für Banken und Konzerne. Natürlich müssen Steuerschlupflöcher abgeschafft und die Steuerfahndung ausgebaut werden. Der Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Fabio de Masi, hat Recht, wenn er „saftige Quellen- bzw. Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen“ fordert und schreibt: „Schwarze Listen von Steueroasen sind witzlos, wenn weder Steueroasen wie die USA oder die Niederlande noch Länder mit Nullsteuersätzen darauf landen und keine wirksamen Sanktionen wie die Kündigung von Doppelbesteuerungsabkommen verabredet werden. Alle abziehbaren Zahlungen wie fiktive Versicherungsprämien, Zinsen und Lizenzgebühren müssen künftig an der Quelle besteuert werden, bevor sie das Land verlassen.“

Doch Schäuble hat auch Recht mit seinem Hydra-Vergleich, aber nur weil wir in einem Gesellschaftssystem leben, das die Hydra füttert und am Leben erhält. Steuerhinterziehung gehört zum Kapitalismus, wie das Weihwasser in die katholische Kirche. Effektive Maßnahmen dagegen werden von den wirklich Mächtigen in den Bank- und Konzernzentralen unterlaufen und verhindert. Dagegen hilft nur die Enteignung von privaten Banken und Versicherungen und deren Überführung in Gemeineigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung. Dann kann verhindert werden, dass die Superreichen ihr Geld ins Ausland schaffen. Um aber die Triebkraft, die hinter diesem Billionen-Betrug steht abzuschaffen, muss das kapitalistische System selbst überwunden werden. Einhundert Jahre nach der erfolgreichen Oktoberrevolution, wo dies erstmals gelang, ist es aktueller denn je, die Herrschaft des Profits in Frage zu stellen.

 

Für eine sozialistische Republik Katalonien!

Schlagen wir Artikel 155 und die francistische Repression durch Massenmobilisierung zurück!
Esquerda Revolucionaria – CWI-Katalonien

Die Ausrufung der katalanischen Republik durch das katalanische Parlament hat eine unmittelbare Reaktion des Staates, der PP-Regierung und seiner Verbündeten, Ciudadanos und PSOE (Sozialdemokratie, Anm.) zur Folge gehabt.

Der Versuch, den Willen der Bevölkerung zu brechen, als sie am 1. Oktober klar gemacht hatte, dass sie trotz brutaler Polizeirepression von ihrem Recht Gebrauch macht, über ihre eigene Zukunft zu entscheiden und nach einem historischen Generalstreik zwei Tage später, ist die Antwort des vom Francismus geerbten Staates und der etablierten Parteien auf die revolutionäre Krise in Katalonien.

Wir, als revolutionäre MarxistInnen, die alle Formen nationaler Unterdrückung und von Klassenunterdrückung ablehnen, betonen mit allem Nachdruck, dass der Kampf für eine katalanische Republik mit einem politischen Aktionsprogramm gegen Kürzungen und Austerität verbunden werden muss, das mit der Logik des Kapitalismus und der Herrschaft der Oligarchie, spanischer wie katalanischer, bricht. Die katalanische Republik muss eine Republik des Volkes, der Unterdrückten, der Jugend und der ArbeiterInnen sein. Deshalb können wir diese Republik und ihre Verteidigung nicht den bürgerlichen Politikern der PdeCAT Partei überlassen, die die Interessen der Elite verteidigen. Der Kampf für eine Republik, die die Bedürfnisse der Mehrheit verteidigt, ist Teil des Kampfes, die Gesellschaft entlang sozialistischer Linien zu verändern.

Die ArbeiterInnenklasse muss die zentrale Kraft im Kampf gegen die Repression und für die katalanische Republik sein, aber dies kann nur geschehen, wenn der Kampf mit Maßnahmen verbunden ist, um hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, Zwangsräumungen und prekäre Jobs zu beseitigen und das öffentliche Gesundheits- und Bildungswesen zu verteidigen. Es braucht eine Republik, die die ökonomische Sabotage durch die KapitalistInnen beendet durch die Verstaatlichung der Banken und Großunternehmen.

Nur so kann die Republik gewonnen und verteidigt werden, wenn die Macht der katalanischen ArbeiterInnenklasse mobilisiert wird um die repressive Offensive von Staat und Regierung zu besiegen.

Die spanische und katalanische Bourgeoisie, die Medien, alle Parteien des Establishment, das Justizsystem, die Sicherheitskräfte und die Monarchie haben sich vereint, um den Willen der ArbeiterInnenklasse in Katalonien zu zerschlagen. Sie tun dies auf ebenjene Art und Weise wie es die herrschende Klasse Spaniens jedes Mal tut, wenn ihr System und ihre politische Macht bedroht sind: durch staatliche Gewalt und Zwang, um „Recht und Ordnung“ zu gewährleisten.

Die herrschenden Klassen von Spanien und Katalonien schauen mit Schrecken auf die Proklamation einer katalanischen Republik. Dies liegt nicht nur daran, dass es ihre nationalistische Idee eines großen, vereinten Spanien zu Nichte machen würde. Sie wissen, dass dies der Auftakt zu einem noch intensiveren und tiefer gehenden Kampf im ganzen Staat wäre - im Interesse der Unterdrückten, gegen die kapitalistische Herrschaft, gegen die etablierte Gesellschaftsordnung und für eine sozialistische Republik in Katalonien und für föderale sozialistische Republik auf Basis der freie und freiwillige Einheit der Menschen und Nationen. Dieser Kampf gewinnt bereits jetzt die aktive Solidarität der unterdrückten Massen Europas und der Welt.

Es lebe Katalonien, republikanisch und sozialistisch!

28. Oktober 2017

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Hongkong: Internationale Kampagne gegen Repression

Protest auch in Wien am 12.10. um 15.00 vor der Chinesischen Botschaft

Am 12. Oktober, finden weltweit in 23 Städten internationale (Solidaritäts)Proteste gegen die sich verschlimmernden politischen Repressionen in Hong Kong statt. Die Kampagne wird von „Global Solidarity - Stop Repression“ organisiert. Mitglieder des Committee for a Workers’ International (CWI) spielten eine zentrale Rolle bei der Initiierung der Solidaritätsaktionen. Eine Online-Petition wurde von linken AktivistInnen, Parlamentsabgeordneten und bedeutenden AktivistInnen aus der ArbeiterInnenbewegung in mehr als einem Dutzend Ländern unterzeichnet.
Von San Francisco bis Colombo, Vancouver und Kuala Lumpur, wird es Proteste sowohl vor den chinesischen Botschaften und Konsulaten, als auch vor den Hong Konger Büros für Wirtschafts und Handel geben. Es wird die Freilassung politischer Gefangener und die Beendigung der Wahlmanipulationen und Disqualifizierung von gewählten Abgeordneten gefordert.
Am 13. Oktober startet in Hong Kong ein neuer Prozess gegen 20 AktivistInnen der Regenschirm-Proteste. Sie sind angeklagt sich einer gerichtlichen Anordnung zur Räumung eines besetzten Platzes während der Regenschirm Bewegung für Demokratie von 2014 widersetzt zu haben. Es ist möglich, dass viele der 20 Angeklagten jetzt, genau wie zuvor schon 16 junge AktivistInnen im August, zu harten Gefängnisstrafen verurteilt werden.
Ein neues Video der „Stop Repression in Hong Kong“ Kampagne wurde bereits mehrere tausend Mal angeschaut. Das Video, in dem unter anderem Sally Tang Mei-ching von Socialist Action (CWI) und der abgesetzte Abgeordnete „Long Hair“ Leung Kwok-hung von der League of Social Democrats mitwirken, gibt einen Überblick über die Geschehnisse in Hong Kong.  

 

Hier gehts zum Video: https://www.facebook.com/hkrepression/videos/1516954945009957/

Hier gehts zur Kampagnenseite und zur Petition: https://form.jotform.me/72674408985471

Hier gehts zur Kampagne auf FB: https://www.facebook.com/hkrepression/?fref=ts

Streikwelle in Serbien

Christoph Glanninger

Anfang 2017 fanden in Serbien die größten Massenproteste seit dem Sturz von Milošević statt. Zehntausende protestierten gegen Wahlbetrug und die autoritäre Politik von Vučić. Von Anfang an waren soziale Forderungen zentral.

 

Die Proteste waren nicht nur ein spontaner Wutausbruch von jungen Menschen, sondern halfen dabei, die Stimmung in Serbien insgesamt zu verändern und auch anderen Bereichen den Mut für Widerstand zu geben. In den letzten Monaten fand in Serbien eine Reihe von wichtigen Arbeitskämpfen statt.

Der bedeutendste war ein fast einmonatiger Streik beim italienischen Automobilhersteller Fiat in Kragujevac, wo ab Ende Juni 2.000 Beschäftigte für eine Gehaltserhöhung und bessere Arbeitsbedingungen kämpften. Obwohl die Streikenden enorme Ausdauer bewiesen und auch öffentliche Demonstrationen und Proteste organisierten, sabotierte nicht nur die Regierung, sondern auch die Gewerkschaftsführung den Streik. Dieser Verrat gipfelt in einem faulen Deal, den Regierung, Konzern und Gewerkschaftsbürokratie hinter dem Rücken der ArbeiterInnen abschlossen, um den Streik zu beenden.

Trotzdem diente der entschlossene Arbeitskampf bei Fiat anderen als Beispiel. Mitte Juli traten die 600 Beschäftigten der slowenischen Kühlschrankfabrik Gorenje in Valjevo in Streik. Aus Misstrauen gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie wählten die Streikenden selbständig ein 15-Personen-Komittee, um die ArbeiterInnen während des Streiks zu vertreten.

Im schon länger andauernden Konflikt in der Eisenbahnwaggon-Fabrik „Goša“ beschränkten sich ArbeiterInnen in ihrem Kampf um unbezahlte Löhne nicht auf Streiks: Sie blockierten auch die Eisenbahnstrecke zwischen Thessaloniki und Belgrad.

Und auch in der Hauptstadt Serbiens bestreikten Mitte Juli die Beschäftigten des Bauunternehmens MB Ratko Mitrović vier Baustellen, um unbezahlte Löhne und die zugesagte Krankenversicherung zu erkämpfen.

Das zeigt, dass sich die serbische ArbeiterInnenklasse immer offensiver gegen die Auswirkungen der neoliberalen Politik wehrt. Als SozialistInnen unterstützen wir diese Arbeitskämpfe aktiv. Wir helfen, sie mit anderen Streiks und Bewegungen zu vernetzen und schlagen ein sozialistisches Programm vor, um den Kämpfen zum Erfolg zu verhelfen.

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Internationale Notizen: Russland, Mexiko, Hong Kong

Russland: Solidarität mit Ali Feruz

In den Ländern der Ex-Sowjetunion gibt es eine Welle an Repression gegen GewerkschafterInnen und kritische JournalistInnen. In Weißrussland wurde das Büro einer Gewerkschaft, die die Proteste Anfang des Jahres unterstützt hatte, von der Polizei gestürmt. In Kasachstan wurde die Vorsitzende des unabhängigen Gewerkschaftsverbands zu mehreren Jahren Haft für ihre Unterstützung streikender ArbeiterInnen verurteilt. In Russland soll der kritische Journalist Ali Feruz nach Usbekistan abgeschoben werden, was für ihn sehr gefährlich wäre. Er hat gemeinsam mit dem CWI eine unabhängige Gewerkschaft gegründet und arbeitete an der Aufdeckung der Gewalt gegen LGBT-Personen in Tschetschenien. Das CWI organisiert konkrete Solidarität und Unterstützung für Ali in Russland und international.

http://Socialist.news

Hong Kong: Widerstand gegen Diktatur

Das chinesische Regime verstärkt die Repression in Hong Kong: 13 linke AktivistInnen wurden festgenommen. Socialist Action (CWI China/Hong Kong/Taiwan) beteiligte sich an den spontanen Protesten dagegen. CWI-Aktivistin Sally Tang Mei-Ching sprach zu über 2.000 DemonstrantInnen und rief zu einem Aktionstag am 28.9., dem 3. Jahrestag der „Regenschirm-Revolution“, auf.

http://Chinaworker.info

http://Mexiko: Solidarität mit den Driscoll-ArbeiterInnen

Seit zwei Jahren befinden sich die FarmarbeiterInnen im Arbeitskampf gegen katastrophale Arbeitsbedingungen: Für eine Box Heidelbeeren, die bei Driscolls Abnehmern (u.a. Walmart) bis zu 50$ kostet, bekommen die ArbeiterInnen 89 Cent. Auf Driscolls Feldern gibt es Zwangsarbeit, Kinderarbeit und regelmäßige sexuelle Gewalt gegen weibliche ArbeiterInnen. Deswegen rufen die ArbeiterInnen seit 2015 zum Boykott von Driscolls Produkten auf. Izquierda Revolucionaria (CWI Mexiko) organisiert Solidarität mit den ArbeiterInnen und dem Boykott. Am 19.8. organisierte das CWI einen internationalen Aktionstag mit Solidaritätsprotesten in zahlreichen Ländern von Deutschland bis in die USA. Izquierda Revolucionaria und das CWI werden die ArbeiterInnen weiter in ihrem Kampf unterstützen.

http://izquierdarevolucionariamx.net

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Macron: Der Lack ist ab

Drei Monate nach seinem Wahlsieg sinken die Umfragewerte von Strahlemann Macron dramatisch.
Laura Rafetseder

Macrons Regierung fällt in Umfragen, auch gewählt wurde er nur von einer Minderheit. Es war klar, dass er mit seiner harschen Kürzungsagenda rasch in eine Krise rutschen würde. Kurz' Rolemodel Macron ist nur eine Neuauflage der Politik von Sarkozy, Hollande, Juppé etc. Unter anderem setzt er Hollandes Attacken auf das Arbeitsgesetz fort. Für 12. September sind gewerkschaftliche Proteste angekündigt. Die aufgestaute Wut ist enorm, die Regierung instabil.

Entscheidend wird die Frage einer politischen Alternative. Die Linke erhielt mit Mélenchon sieben Millionen Stimmen bei den Wahlen. Er hat mit „France Insoumise“ (Aufsässiges Frankreich) eine Bewegung angestoßen, 4.000 lokale Komitees unterstützen ihn. Sie müssen den Kampf gegen Macrons Kürzungen bündeln, organisieren und mit einem sozialistischen Programm verbinden. Dazu gehört die Überführung der Schlüsselkonzerne in öffentliches Eigentum und eine demokratisch geplante Wirtschaft unter Kontrolle der Beschäftigten. Gauche Révolutionnaire (CWI in Frankreich) schlägt eine bundesweite Konferenz vor: Wie kommt man zu einer Regierung unter der Kontrolle der ArbeiterInnen und Jugend, die mit der Kürzungspolitik bricht? Diese muss bereit sein, mit dem Kapitalismus zu brechen und die Eigentumsverhältnisse anzugreifen - sonst droht ein griechisches Szenario. 

 

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Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Solidarität mit Katalonien – auch so geht Wahlkampf

Die SLP setzt im Wahlkampf auch auf Aktionen, die keine Stimmen bringen
Sonja Grusch

In den vergangenen Tagen hat die SLP eine Reihe von Aktionen und Veranstaltungen zum Thema Katalonien durchgeführt. Zweimal wurde vor der Spanischen Botschaft protestiert und in mehreren Ortsgruppen das Thema diskutiert.
Die brutale Repression des Spanischen Staates gegen das Referendum und die Menschen in Katalonien zeigt, wie die Herrschenden in Europa (und Weltweit) reagieren, wenn Menschen sich für ihre Rechte auch gegen deren Willen einsetzen. Dann sind die Antwort Schlagstöcke und das Aussetzen demokratischer Grundrechte. Ein Vorbote dafür, was auch hierzulande droht bzw. schon begonnen hat, wenn sich künftig Menschen gegen Abschiebungen, gegen Ausbeutung am Arbeitsplatz oder Kürzungen im Gesundheitswesen wehren.
Wir haben das Thema aufgegriffen, weil internationale Solidarität für uns mehr ist als ein leeres Wort. Weil wir hier aufzeigen wollen, das wir wachsam sein müssen. 
Katalonien ist kein „Wahlkampf“ Thema. Die meisten davon betroffenen dürfen hierzulande nicht wählen. Und doch ist es ein wichtiger Teil unseres Wahlkampfes. Bei den Aktionen und Veranstaltungen waren uns daher auch KollegInnen aus Katalonien aber auch aus Kurdistan sehr willkommen die auch lautstark das Wort ergriffen. Mag sein, dass uns diese Arbeit einem Sitz im Parlament nicht näher bringt – aber dem Aufbau einer starken Linken, die entschlossen reagiert und auf Aktivität, nicht Mandate setzt bringt es uns auf jeden Fall näher.
Hier gibts ein Video von der Aktion: https://www.facebook.com/WienTV.org/videos/1440091379360965/

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