Internationales

Hongkong: Massenbewegung fordert Regime heraus

30 Jahre nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens in China erlebt Hongkong die größten Proteste seit 1989.
"Sozialistische Aktion" (Schwesterorganisation der SLP in China, Hongkong und Taiwan)

Seit Juni gibt es kommt Hongkong nicht zur Ruhe. Die Massenproteste entzündeten sich an dem geplanten Auslieferungsgesetz der Regierung von Carrie Lam, welches dem chinesischen Regime weitreichende Möglichkeiten zur Verfolgung unliebsamer Oppositioneller garantieren sollte. Die darauffolgende Polizeigewalt hat die Proteste bestärkt, sodass zeitweise über zwei Millionen Menschen an den Protesten teilnahmen. 2003 genügte bereits eine Demonstration mit 500.000 Teilnehmer*innen, um den damaligen Regierungschef Tung Chee-hwa zu stürzen und den „Artikel 23“, ebenfalls ein repressives Polizeigesetz, zu verhindern. Der Fall der verhassten Regierung Lam ist daher nur eine Frage der Zeit.

Der Mythos der unbesiegbaren „Kommunistischen“ Partei Chinas droht damit zusammenzubrechen. In Hongkong versucht die Regierung, zusammen mit der Spitze der chinesischen Diktatur, durch die schleichende Anwendung des Kriegsrechts die Proteste zu unterbinden, Demonstrationen zu verbieten und die Bevölkerung einzuschüchtern. Am 11. August wurde eine junge Demonstrantin von einem Gummigeschoss im Auge getroffen und geblendet. Polizeiagent*innen haben im Stadtteil Tung Lo Wan als Demonstrant*innen verkleidet ein Feuer gelegt, um weitere Verhaftungen der Opposition und des als „Krawall“ verunglimpften Massenkampfes zu rechtfertigen. Dies ist nur die Spitze des Eisberges der Polizeigewalt. 

Die Tycoons der kapitalistischen Metropole Hongkong stehen mehrheitlich auf der Seite der „Kommunistischen“ Partei Chinas. Einige sind Partei-Funktionär*innen wie der CEO des Finanzunternehmens Newpower David T. C. Lie, der das Eingreifen der chinesischen Armee zur Niederschlagung der Proteste gefordert hat. Der Unternehmensverband American Chamber of Commerce (AmCham) in Hong Kong schrieb in einer Presseaussendung „Die AmCham Hongkong unterstützt das Recht der Hongkonger Bevölkerung, friedlich ihre Sorgen auszudrücken. Allerdings stehen wir Regierungschefin Carrie Lam in der Ablehnung von Gewalt bei, wie sie gestern Abend in der Besetzung des Legco zum Ausdruck kam.“ Legco (Legislative Council) ist das Marionettenparlament von Hong Kong. Am 1. Juli wurde es von einer Gruppe von etwa 200 Jugendlichen gestürmt.

Neben Polizei und KPCh sind die Hauptgegner*innen des Kampfes die sogenannten Triaden, kriminelle Banden, die auch als „chinesische Mafia“ bezeichnet werden. Am 21. Juli griff in der U-Bahn-Station Yuen Long eine Bande, uniformiert in weißen Hemden, eine Gruppe Protestierender an und verletzte 45 Personen. Daraufhin protestierten Verwaltungsangestellte im Netz gegen die korrupte Regierung und deren Zusammenarbeit mit kriminellen Gruppen, die für die Regierung mit faschistischen Methoden gegen die Opposition vorgehen.

Der Generalstreik am 5. August war auch eine Reaktion auf diese Form der Gewalt gegen die Demokratiebewegung. Das Bewusstsein der protestierenden Massen ist, wie bei den allermeisten Massenbewegungen in dieser Zeit, oft konfus und widersprüchlich. Manche hoffen auf Hilfe von Trump, andere nehmen sich die französischen Gelbwesten zum Vorbild. Die Dynamik der Bewegung zeigt aber, dass es die Arbeiter*innenklasse ist, die bereit ist, den Kampf um demokratische Rechte am konsequentesten zu führen: Alle Fraktionen des Kapitalismus haben Angst vor echter Demokratie. Nur die Arbeiter*innenklasse hat ein uneingeschränktes Interesse an vollen demokratischen Rechten, das nicht vor Profitinteressen Kehrt macht. Und nur sie ist in der Lage, durch ihre Kampfmethoden echte Demokratie zu erkämpfen: Streiks und Besetzungen können die Basis für Räte bilden - revolutionäre und demokratische Organe, durch welche die Wirtschaft von den Beschäftigten selbst und im Interesse von Mensch und Natur, nicht von Profit, demokratisch geplant werden kann. 

Leider war der Generalstreik, dem sich 350.000 Arbeiter*innen aus den meisten Branchen angeschlossen haben, nur unausreichend koordiniert, da sich die Gewerkschaften entweder nur verbal solidarisierten oder sogar, wie im Fall der Peking-freundlichen gelben Gewerkschaft FTU, den Streik verurteilten. Auch die Streikenden wurden von Bänden mit Holzstangen angegriffen. Allerdings wehrten sie sich und die Bandenmitglieder wurden zurückgeschlagen. Zentral für die Umsetzung der Ziele der Proteste ist daher, das steigende Bewusstsein für die Bedeutung des Instruments des Streiks zu nutzen - eine verschüttete Tradition, die in der aktuellen Situation wiederentdeckt wird. Dafür müssen schlagkräftige, demokratische und kämpferische Gewerkschaften geschaffen werden, aber auch Strukturen, um sich gegen die Gewalt von Polizei und Triaden zu schützen.

Die Partei und Xi Jinping werden alles versuchen, um den Eindruck zu vermeiden, dass sie und ihre Marionetten durch Proteste und Streiks gestoppt werden können. Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Eingreifens durch die chinesische Armee ist zwar zurzeit gering, aber nicht ausgeschlossen. Die Revolution kann daher nur erfolgreich sein, wenn sie in die Volksrepublik getragen wird.

Mehr Artikel (auf Englisch und Mandarin): www.chinaworker.info

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

EU goes „feminist“!?

Aktivistin der SLP

Mit Ursula von der Leyen, Christine Lagarde und Kristalina Georgiewa hat das vereinigte europäische Kapital nun erstmals auch Frauen an seiner Spitze. Viele liberale Feminist*innen und bürgerliche Medien feiern dies als großen Fortschritt. Doch dies ist kein Erfolg für Frauenrechte, sondern eine Farce, die von der eigentlichen Kürzungspolitik der EU ablenken soll, die insbesondere Frauen trifft. Die Vergangenheit von Von der Leyen, Lagarde und Georgiewa zeigt klar, dass ihre Politik im Interesse des Kapitals steht und Frauenrechte angreift. Studien zeigen, dass Armut und Arbeitslosigkeit aufgrund des EU-Kürzungsdiktats rasant gestiegen sind. In Griechenland führte das zu einem Anstieg der Prostitution um 150% zwischen 2013 und 2015. Noch immer sind 23,3% der Frauen in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Von der Familienministerin Von der Leyen hatten geringverdienende Frauen gar nichts. Leeren Worten über den Ausbau der Kinderbetreuung folgten keine Taten – kein Wunder bei einer Ministerin, bei der zuhause „immer ein Kindermädchen da war“. Dafür vertrat sie in ihrer Rolle als Verteidigungsministerin die Interessen des Kapitals in neokolonialen Ländern sorgsam - auf Kosten der lokalen Bevölkerung und insbesondere Frauen. Und die neue EZB-Chefin? Lagarde wurde 2016 schuldig gesprochen, weil sie als Finanzministerin ermöglicht hatte, dass sich ein Unternehmer 400 Millionen Euro an öffentlichen Geldern unter den Nagel riss. Auch ihr stehen ihre Klassenbrüder näher als ihre Geschlechtsgenossinnen.

Die Europäische Union als solche steht für keinen Feminismus außerhalb einer kleinen bürgerlichen Elite. Sie vertritt die Interessen des europäischen Kapitals und ihre Politik trifft insbesondere Frauen aus den untersten Schichten. Der neue „pinke Anstrich“ mit Frauenquoten in Dax-Vorständen und Kapitalvertreterinnenposten soll die tatsächliche Politik der EU und ihre realen Folgen verschleiern. Doch Profitinteressen sind nicht mit einem wirklichen Feminismus für die Mehrzahl aller Frauen vereinbar, der tatsächlich für ihre Rechte und Bedürfnisse einsteht!

 

Bild von © European Union 2019 – Source: EP, CC-BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=80450665

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Nach der Krise im CWI: Große Aufgaben international!

Nach der Krise im CWI stehen nun große Aufgaben für Sozialist*innen aus der ganzen Welt vor uns!
Auf Basis der Erklärung der Mehrheit des CWI

Vom 12.-16.8. fand ein Treffen des internationalen Führungsgremiums des CWI, des IEKs (Internationales Exekutivkomitee), mit Teilnehmer*innen aus 25 Ländern von allen Kontinenten statt. Im Zentrum standen politische Aufgaben und die Krise des CWI, der internationalen Organisation der SLP, und deren Folgen.

Hintergrund ist die komplizierte objektive Lage. Die Arbeiter*innenklasse und die unterdrückten Massen stehen weltweit Angriffen der kapitalistischen Klassen gegenüber, sind aber bisher nicht in der Lage, diese zu stoppen und in die Offensive zu gehen. Trotz großer Bewegungen herrscht bei Vielen ein Gefühl der Niedergeschlagenheit. Das spiegelt sich in der Schwäche vieler linker Parteien und dem Aufstieg rechter Organisationen wider.

Die Krise des kapitalistischen Systems reduziert den Spielraum für die Gewerkschaftsführungen auf ihrer Suche nach Lösungen im Rahmen des Kapitalismus – Die Folge sind Sabotage und Verrat an den Arbeiter*innen. Das macht die Arbeit um und in den Gewerkschaften nicht weniger wichtig für Marxist*innen. Doch es bedeutet auch, dass viele Arbeiter*innen und Jugendliche sich in Bewegungen außerhalb der traditionellen Kanäle politisieren – in Bewegungen wie jene um Frauen, LGBTQ+ und Klima.

Diese Entwicklungen, ihre Form und ihr Charakter waren zentral in der Debatte, die im CWI seit November 2018 entbrannte. Die bisherige internationale Führung zwischen den Treffen des IEKs, das Internationale Sekretariat (IS), unterschätzte diese Entwicklung massiv. Anstatt aus der erfolgreichen Arbeit von Sektionen zu lernen, zog sich die Mehrheit der IS-Mitglieder in eine Fraktion und auf eine „Bunkerstellung“ zurück. Eine Reihe von Sektionen des CWI, die gestern noch für ihre Arbeit gepriesen worden waren, wurden massiver politischer Fehler bezichtigt. Es wurde behauptet, sie würden die revolutionäre Rolle der Arbeiter*innenklasse nicht mehr sehen, die Bedeutung der Gewerkschaften negieren, hätten den Aufbau der revolutionären Partei beendet und wären von „kleinbürgerlichen“ Ideen dominiert. Ein ernsthafter Blick auf die Arbeit und Materialien der beschuldigten Sektionen beweist das Gegenteil.

Es folgte eine harte Debatte, in der immer deutlicher wurde, dass die Vertreter*innen dieser Minderheit rund um das IS schon länger den Ereignissen hinterher hinkten. Ihre Analysen wurden oberflächlich und ihr Agieren übervorsichtig. In Kombination mit ihrem bürokratischen Agieren in der Debatte (die von ihnen v.a. auf der Basis von aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten bestand und die demokratischen Strukturen ignorierte) steuerten sie auf die Spaltung des CWI hin. Die Mehrheit stellte sich gegen eine solche unnötige und angesichts der politischen Herausforderungen kriminelle Spaltung. Wir sind der Meinung, dass die Differenzen über Einschätzungen und Taktik weiter diskutiert werden hätten können. Doch die Minderheitsfraktion ging so weit, in einem Treffen im Juli das CWI „neu zu gründen“, sich den Namen, die Homepage und die Ressourcen unter den Nagel zu reißen und de facto die Mehrheit der Sektionen und Mitglieder auszuschließen!

Wir bedauern diese Entwicklung, doch wir müssen sie zur Kenntnis nehmen. Die Mehrheit des CWI ist in rund 35 Ländern vertreten und hat in den meisten bisherigen Sektionen und Gruppen des CWI die Mehrheit bzw. alle Mitglieder hinter sich.

Das kapitalistische System ist in einer tiefen globale Krise. Die wirtschaftliche Krise von 2007 ist nicht überwunden und die nächste steht bevor. Hinzu kommt eine tiefe politische Krise. Der Marxismus ist das einzige analytische Werkzeug, um die Widersprüche des Systems zu erklären und einen Weg vorwärts zu zeigen. Die Arbeiter*innenklasse ist die einzige Kraft, die die Gesellschaft fundamental verändern kann. Über viele Jahre hat das CWI auf Basis von korrekten Analysen mutige Schritte gesetzt, um die revolutionären Kräfte aufzubauen. Die Spaltung ist ein Rückschlag – aber kein unüberwindbarer. Im Gegenteil baut die Mehrheit des CWI auf den besten Traditionen und Methoden des CWI auf. Die Grundlage unserer Arbeit ist die Methode des Marxismus, die Ideen und Methoden von Lenin und Trotzki und das Verständnis um die Rolle der Arbeiter*innenklasse. Teil unseres Kampfes ist der Aufbau der Gewerkschaftsbewegung und deren Transformation in kämpferische und demokratische Organisationen. Wir beteiligen uns am Aufbau von neuen Formationen der Arbeiter*innenklasse. Gleichzeitig sind wir Teil von Bewegungen außerhalb dieser traditionellen Kanäle, tragen sozialistische Ideen hinein, entwickeln Bewusstsein mit der Übergangsmethode und verbinden diese mit der Arbeiter*innenklasse, ihren Organisationen und dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft. All das tun wir in einer Organisation mit demokratischen Strukturen und unter aktiver Einbindung der Mitglieder und einer kollektiven Führung. Die Mehrheit des CWI ist bereit, diesen Kampf zu führen. Wir blicken mit Vertrauen und Optimismus in die Zukunft, um die notwendigen Schritte in Richtung einer internationalen revolutionären Alternative zu setzen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

System Change Not Climate Change - Kämpfen für eine sozialistische Alternative

Die internationale Klima-Kampagne des Committee for a Workers' International (CWI), dem die SLP angehört.
  1. Keine Zeit zu verlieren: Wir brauchen eine drastische Wende, das Ende der Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Energieerzeugung und Plastikproduktion in den nächsten paar Jahren. Wir brauchen Lebensmittel, die weder den Planeten noch unsere Gesundheit zerstören. Dies erfordert sofortige qualitative Veränderungen bei der Herstellung von Energie, Lebensmitteln, Industrie- und Agrarprodukten, im Verkehr und im Wohnungsbau.

  2. Bedürfnisse statt Profite: Individuelle Lösungen sind nicht ausreichend für ein globales Problem. Die Mehrheit der Menschen auf dem Planeten hat einfach keine Wahl. Auch wenn wir alle unser Leben äußerst umweltfreundlich gestalten würde das bei weitem nicht ausreichen um das Problem zu lösen. Wir brauchen einen umfassenden öffentlichen Investitionsplan: in erneuerbare Energie, in hochwertigen, effizienten und kostenlosen öffentlichen Verkehr, in umweltfreundliches Bauen und Wohnen für alle, in Recycling- und Reparatureinrichtungen. All das ist mehr als bezahlbar - wenn sich nicht eine kleine Elite den von uns allen produzierten Reichtum angeeignet.

  3. Stoppt die 100 größten Klimakiller: Über 70% der industriellen Treibhausgasemissionen in den letzten drei Jahrzehnten wurden von 100 Unternehmen produziert. Aber Großunternehmen ignorieren Appelle oder Gesetze und die etablierten Parteien und Politiker*innen stehen auf ihrer Gehaltsliste. Wir können nur kontrollieren, was wir besitzen. Daher ist der erste Schritt, die großen Energieunternehmen sowie die großen Banken und die Großindustrie, Bau-, Verkehrs- und Agrarunternehmen aus den Händen der Kapitalist*innen in öffentliches Eigentum zu überführen.

  4. Im Dienste der Gesellschaft: Mit diesen Ressourcen ist eine Wissenschaft befreit von den profitbestimmten Grenzen des Kapitalismus möglich. Anstatt Milliarden in Subventionen für Kraftstoffunternehmen zu investieren, können wir ökologische Technologien und Materialien entwickeln. Jede und jeder hat das Recht auf einen gute Job und ein Leben ohne Armut, Unterdrückung, Verwüstung und Zerstörung. Die großen Unternehmen und ihre gewaltige Macht muss von der Arbeiter*innenklasse und der Gesellschaft als Ganzes demokratisch kontrolliert und verwaltet werden. Dadurch wird gewährleistet, dass keine Arbeitsplätze verloren gehen, sondern ohne Lohnverlust in gesellschaftlich nützliche umgewandelt werden.

  5. Planung statt Chaos: Programme für einen "Green New Deal" oder eine "Green Industrial Revolution" weisen in die notwendige Richtung. Aber wir müssen weiter gehen, über die Grenzen des kapitalistischen Systems hinaus. Anstelle der kapitalistischen Anarchie der Produktion für Profite müssen wir planen, wie wir die Ressourcen des Planeten nachhaltig nutzen können, um die Bedürfnisse der Mehrheit zu befriedigen.

  6. Gemeinsam streiken: Es sind die einfachen Menschen, die am meisten unter dem Klimawandel leiden. Und es sind diese Menschen aus der Arbeiter*innenklasse, die die Macht haben, die Geschichte zu verändern. Wir müssen den Klimastreik der Jugendlichen fortsetzen; ihn erweitern, indem wir die Arbeiter*innenklasse und die Gewerkschaften ansprechen und uns in einem mächtigen Streik vereinen: einer Lahmlegung der kapitalistischen Wirtschaft. Dies zeigt auch das Potential, die ökonomische Macht in unsere Hände zu nehmen.

  7. Die Welt verändern: Die Menschen sind Teil des Ökosystems - der Kapitalismus nicht. Kämpfen wir gegen den Kapitalismus, um ihn durch eine Gesellschaft zu ersetzen, die auf Bedürfnissen und nicht auf Profiten basiert - eine demokratische sozialistische Gesellschaft! Mach einen echten Unterschied und schließ dich einer kämpfenden, internationalistischen, sozialistischen Alternative an.

Mehr Infos auf der Website des Committee for a Workers' International (CWI): http://worldsocialist.net/

Warum wird der Amazonas zerstört?

Die Welt steht in Flammen - und die Herrschenden schauen zu
Auf der Basis von Artikeln aus Griechenland und Brasilien

Im Juli wurden enorm besorgniserregende Nachrichten veröffentlicht: Es wird geschätzt, dass seit Beginn dieses Jahres, als Jair Bolsonaro Präsident Brasiliens wurde, der Amazonas pro Minute eine Waldfläche verliert, die einem Fußballfeld entspricht. Diese Informationen wurden nun von einer noch dunkleren Realität überholt. Die unzähligen Brände, die in den letzten Wochen im Regenwald ausgebrochen sind, zerstören äußerst wichtige Ökosysteme und treiben die Entwaldung im Amazonasgebiet weiter voran.

Die Verluste

Es ist nicht nur der Himmel in den brasilianischen und anderen lateinamerikanischen Großstädten, der vom Rauch schwarz gefärbt wurde; wir sehen die dramatischen Auswirkungen auf die Atmosphäre, nicht nur durch die Brände selbst, sondern auch durch die Zerstörung eines Waldes, der große Mengen an Kohlendioxid absorbiert. Wir sehen die Auswirkungen auf das Klima der Region, das vom Amazonas-Regenwald und vom Labyrinth der Flüsse und unterirdischen Bäche abhängt; aber auch den Verlust eines bedeutenden Teils der einzigartigen Artenvielfalt des Regenwaldes. Um das Ausmaß dieser Zerstörung zu verstehen, genügt es zu wissen, dass laut einem Artikel aus dem Jahr 2017 alle zwei Tage eine neue Pflanzen- oder Tierart im Amazonas-Regenwald entdeckt wird. Mit den riesigen Bränden, die heute den Amazonas zerstören, verlieren wir also Arten, von deren Existenz wir nie wissen werden. Einige von ihnen könnten möglicherweise aufgrund ihrer heilenden Eigenschaften nützlich für die Menschheit sein. Andere haben vielleicht eine Schlüsselrolle für den Ausgleich der Nahrungskette gespielt und ihr Aussterben wird das vieler anderer Arten befördern.

Ein Angriff auf die indigene Bevölkerung

Neben den Auswirkungen auf Pflanzen und Tieren gibt es natürlich auch die auf Menschen. Es sind nicht nur zukünftige Generationen weltweit, die indirekt und langfristig von dieser Katastrophe betroffen sein werden, sondern auch unmittelbar die Menschen, die heute im Amazonas-Regenwald leben. Es gibt indigene Stämme, die weiterhin dort bleiben, den Wald schützen und deren Existenz von diesem abhängt. Einige dieser Stämme werden gemeinsam mit der Natur der Region verschwinden, ohne dass uns ihre Existenz jemals bekannt sein wird.

Diese Bevölkerungsgruppen sind nicht nur für ihr großes kulturelles Erbe bekannt, sondern auch für ihre großen Kämpfe gegen die verheerende „Wachstumsepidemie“ im Amazonasgebiet. Eine der bedeutendsten Figuren dieses Kampfes war Chico Mendes, der 1988 ermordet wurde, weil er versucht hatte, die indigene Bevölkerung gegen die Zerstörung des Regenwaldes zu organisieren, der ihre Heimat und ihre Überlebensquelle war. Heute setzen seine Mörder (die großen Landwirtschafts- und Minenunternehmen und die Regierungen, die ihnen dienen) ihre zerstörerische Arbeit fort, indem sie den Amazonas verbrennen.

Ein „störender“ Wald

Meistens ist es bei Waldbränden notwendig, vorsichtig zu sein und konkrete Beweise zu haben, bevor man über Brandstiftung oder sogar von bewusst geplanten Bränden spricht. Aber im Fall der Amazonaswälder, die seit Jahrzehnten vom Profitinteresse der Großunternehmen bedroht werden, und vor allem angesichts der Tatsache, dass an verschiedenen Orten gleichzeitig unzählige Brände ausgebrochen sind, wäre es naiv von einem Zufall zu sprechen. Die Bulldozer bewegten sich zu langsam für die kapitalistischen Interessen, also kamen die Flammen gelegen, um das Gebiet zu räumen.

Aber warum wird der Amazonas zerstört? Was wollen diejenigen, die das Herz dieses „nutzlosen“ Waldes angreifen? Seit einiger Zeit stören Öl- und Goldunternehmen zunehmend indigene Gemeinschaften, die die Wälder des Amazonas schützen. Große Landwirtschafts- und Viehzuchtunternehmen träumen davon, noch mehr Wald in Weiden umzuwandeln. Der größte Teil des Regenwaldes wird als nichts anderes angesehen: Als Fläche für immer mehr neue Felder. Aber wie viele Felder brauchen wir auf dem Planeten? Sind ihnen die vorhandenen nicht genug? Immerhin ist die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes nicht neu, sondern dauert schon seit vielen Jahrzehnten an.

Felder für den Einmalgebrauch

Nein, die Felder reichen ihnen nicht aus, denn der Boden des Amazonasgebiets ist nicht für die Sojaproduktion geschaffen. Er eignet sich für die Erhaltung tropischer Wälder, hat aber wenig Nährstoffe, die für die landwirtschaftliche Produktion benötigt werden. So wird nach ein bis zwei Jahren Produktion das „Feld“ unbrauchbar. Also suchen die Lebensmittelunternehmen bald schon wieder nach einem anderen Feld in einem ebenso unpassenden Ort im Amazonasgebiet. Jahrhunderte der Naturgeschichte, unbezahlbare natürliche Ressourcen, kulturelles Erbe, unerschlossene Artenvielfalt und Menschenleben werden zerstört, um ein oder zwei Jahre landwirtschaftlich zu produzieren. Das fasst die ganze Absurdität des kapitalistischen Systems zusammen.

Bolsonaro: Ein effektiver Politiker für das Kapital

Wenn die Situation nicht so tragisch wäre, wäre sie fast zum Lachen. Der brasilianische Präsident, der vom ersten Tag seiner Amtszeit an deutlich machte, dass der Amazonas-Regenwald ein Hindernis für die großen Unternehmen ist, deren Interessen er vertritt, schreibt die Brände den in der Region aktiven Umweltorganisationen zu! Gleichzeitig hat er selbst das Schicksal des Amazonas in die Hände der Großunternehmen gelegt, die mit ihrem Profitinteresse die Weltwirtschaft beherrschen. Es gibt nur einen Ausweg aus diesem Wahnsinn: Wir müssen den Kapitalismus stürzen, oder er wird uns zerstören.

Weltweit aktiv

Der brennende Regenwald zeigt ebenso wie die Waldbrände in anderen Teilen der Welt die Unfähigkeit der herrschenden Parteien und Regierungen, die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Weltweit gehen Menschen in Protesten auf die Straße. Unzählige nehmen an Aktionen vor brasilianischen Botschaften teil und fordern dass endlich nicht nur geredet wird. Aktivist*innen des CWI sind bei diesen Protesten dabei und schlagen ein Programm vor, dass die Wut in Widerstand gegen die Klimasünder verwandeln kann. Wir weißen auf die Verantwortung der großen Agrar- und Industriekonzerne hin und auf die Notwendigkeit, diese zu enteignen und unter Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Menschen zu stellen. In Brasilien ist die LSR Teil der Proteste und weißt darauf hin, dass die technischen Mittel, um die Produktion nach unseren Bedürfnissen zu planen längst vorhanden sind. Die jetzigen Aktionen sind erst der Anfang für die Klimaproteste im September.

Internationale Notizen: Hong Kong * Schweden * Russland

Nachrichten aus der Arbeit der internationalen Schwesterorganisationen der SLP
im Committee for a Workers' International (CWI)

Socialist Action in Hong Kong

Massenprotest in Hong Kong

30 Jahre nach dem Massaker am Tiananmen-Platz finden in Hong Kong die größten Massenproteste seitdem statt. Eine Million Menschen, etwa jeder siebte Einwohner der „Sonderwirtschaftszone“, gingen am 9.6. gegen die Marionettenregierung der Staatspartei und ein geplantes Gesetz, das Oppositionelle an die Parteiendiktatur auf dem Festland ausliefern soll, auf die Straße. Am 12.6. wurde die Zufahrt zum Parlament blockiert, u.a. von Aktivist*innen der Sozialistischen Aktion (Schwesterorganisation der SLP in Honkong). Die Polizei erschoss einen Protestierenden. Die Proteste wuchsen in der darauffolgenden Woche auf zwei Millionen an, sodass Regierungschefin Carrie Lam das Gesetz vorläufig zurückziehen musste. Nicht unwesentlich dabei war die von der Sozialistischen Aktion seit Beginn geforderte Generalstreik am 17. Juni. Unsere Genoss*innen verteilten zigtausende Flugblätter und verkauften hunderte Ausgaben ihres Magazins. Am 1. Juli wurde das Marionettenparlament besetzt. Der Kampf gegen das verhasste Regime geht weiter, und die Macht liegt für die arbeitende Klasse in Hongkong gerade auf der Straße. Wenn die Kämpfe auf das Festland getragen werden, sind die Tage der Diktatur der Partei-Milliardäre gezählt.

Mehr Infos auf der Website von Socialist Action (CWI in Hong Kong, China und Taiwan): chinaworker.info/

 

12-Stunden-Schicht in Schweden

Die Kampagne der Sozialistischen Gerechtigkeitspartei (Schwesterorganisation der SLP in Schweden) gegen die neue 12-Stunden-Schicht in den Altenheimen der Gemeinde Haninge (Provinz Stockholm) organisiert mittlerweile 150 Beschäftigte, mehr als die Hälfte aller betroffenen Pflegekräfte. Eine Forderung ist die Wahl von für Arbeitsschutz zuständigen Ombudsleuten.

Mehr Infos auf der Website der Rättvisepartiet Socialisterna (CWI in Schweden): socialisterna.org/

 

Repressionswelle in Russland

Am 7.6. wurde der bekannte Journalist Ivan Golunov verhaftet. Die Journalismus- und Mediengewerkschaft Profjur rief zu landesweiten Protestaktionen auf. Im Zuge dieser wurden 3 Aktivist*innen der Sozialistischen Alternative (Schwesterorganisation der SLP), die eng mit Profjur zusammenarbeitet, bis zu 8 Stunden inhaftiert und mit Geldstrafen belegt. Seit dem 11.6. ist Golunov wieder frei.

Mehr Infos auf der Website der Sozialistischen Alternative (CWI in Russland): https://socialist.news

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Sudan: Revolution und Konterrevolution

Lukas Kastner

Kein Zurück gegen Militär und kapitalistische Elite

Der Abbruch von Verhandlungen durch den Übergangsmilitärrat und das am 3.6. begonnene Massaker gegen Demonstrant*innen mit über 100 Toten in Khartum zeigt die Brutalität der sudanesischen Konterrevolution. Verantwortlich waren die paramilitärischen Rapid Support Forces, welche vom Ex Diktator Omar al Bashir gegründet und u.a. mit EU Geldern finanziert wurden. Doch bisher half dem Regime auch das nichts. Nach zwei Generalstreiks fand am 30.6. der größte Massenprotest der Landesgeschichte statt, mit 1 Million Menschen allein in Khartum. Dies geschah nach Monaten von Protesten, Streiks und dem Sturz von Bashir.

Eines ist klar: Die vor allem von den Golfstaaten unterstützte herrschende Klasse im Sudan wird sich nicht beugen. Demokratie würde ihre Posten und somit Einkommensquellen gefährden. Dies trifft nicht nur auf die Militärführung zu, sondern auch auf die Führung der bürgerlichen Opposition, die als „Kräfte der Deklaration für Freiheit und Wandel“ mit dem Militär verhandeln. Dass sich an den Verhandlungen auch der Gewerkschaftsbund der Sudanese Professional Association beteiligt, welcher die Proteste führt, ist ein großer Fehler. Wieder einmal zeigt sich, wie notwendig eine revolutionäre Partei ist. Diese könnte die Entwicklung der entstandenen Nachbarschaftskomitees zu Räten, welche Wirtschaft und Verteidigung organisieren, propagieren. Letztendlich würde sie aufzeigen, dass eine demokratische Revolution eine sozialistische sein muss.

 

 

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Krieg oder Revolution im Iran?

Der Rückzug der USA aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran, die Verschärfung von Sanktionen und Rhetorik zeigt einen Strategiewechsel: Weg von einer versuchten Öffnung, hin zu einer verschärften Konfrontation zwischen dem Westen und Saudi Arabien einerseits und Iran andererseits. Amerikanische und europäische Rüstungskonzerne profitieren von Waffenlieferungen an die Saudis; und damit auch vom Stellvertreterkrieg und von den Kriegsverbrechen im Jemen. Innerhalb Irans wird der radikalste Flügel des Regimes – die Revolutionsgarden, die nicht nur einen Großteil der Streitkräfte, sondern auch der Wirtschaft kontrollieren – politisch gestärkt.

 

Unter den verschärften Sanktionen hat vor allem die einfache Bevölkerung zu leiden. Damit wird eine wirtschaftliche Situation verschlimmert, die bereits seit Jahren von massiver Inflation, Arbeitslosigkeit, und Verarmung gekennzeichnet ist. Die Sanktionen dienten dem Regime dazu, die Verantwortung für alle wirtschaftlichen Probleme von sich zu weisen. Tatsächlich ist es aber die kapitalistische Politik des Regimes selbst, Deregulierungen, Privatisierungen, Kürzungen von Sozialleistungen zu Gunsten des Militärs etc., die für einen Großteil des Elends verantwortlich ist.

 

In den letzten Monaten kommt es verstärkt zu Streiks und Massenprotesten. Im Mittelpunkt der Bewegung stehen Arbeiter*innen der Lebensmittel-, Stahl- und Transportindustrie. Grundsätzlich zeichnen sich die Proteste dadurch aus, dass sie politisch völlig unabhängig von den beiden Fraktionen des Regimes – den sog. „moderaten“ und den „konservativen“ – organisiert wurden, und dass viele neben unmittelbaren ökonomischen Verbesserungen grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen einfordern. Zum Schock der Regierung fordern streikende Arbeiter*innen in Haft-Tappeh „Brot, Arbeit, Freiheit, Arbeiterverwaltung!“. Das Regime reagiert mit Massenverhaftungen; zahlreiche Anführer*innen der Streiks sind noch immer im Gefängnis und werden gefoltert.

Für die iranische Arbeiter*innenklasse, die Armen und die Jugend sind weder der US-Imperialismus und Saudi Arabien noch das reaktionäre iranische Regime eine Option. Die Proteste und Streiks der vergangenen Monate zeigen das zunehmende Bewusstsein, dass sich die Massen nur selbst vertrauen, und sich nur selbst befreien können.

 

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Zu Land & zu See: Solidarität!

Lukas Kastner

Die SLP war Teil der erfolgreichen Proteste für die Freiheit von Seenotretter*innen.

Anfang des Sommers schlug die Verhaftung der Seenotretterin und SeaWatch-Kapitänin Carola Rackete hohe Wellen. Ihr Verbrechen: Menschenleben retten. Nur kurz nach ihrer Verhaftung wurde der italienische Präsident, Sergio Mattarella, in Salzburg offiziell empfangen.

Spontan versammelten sich bis zu 80 Menschen, um gegen die Verhaftung von Carola Rackete zu protestieren. Natürlich mit dabei: die SLP. Vom Mozart Geburtshaus wurden Mattarella und Van der Bellen mit einer Spontandemo zum Café Tomaselli und zur Residenz begleitet. „Gut, dass ihr das macht!“ stimmten uns viele Passant*innen auf Deutsch und Italienisch zu. Auch in Wien fand eine Demonstration mit über 1.500 Teilnehmer*innen statt. Dort versuchten jedoch Politiker*innen von SPÖ und Grünen die Demonstration zu vereinnahmen. Wir stellten uns hingegen gegen alle bürgerlichen Parteien, die für Abschiebungen, Abschottung und das Sterben im Mittelmeer verantwortlich sind. Auf unseren Flugblättern machten wir klar, dass die Herrschenden und ihr System, der Kapitalismus, sowohl die Fluchtursachen in Afrika als auch die Armut hierzulande schaffen. Deswegen forderten wir eine Verbindung von Kämpfen gegen Rassismus mit jenen für höhere Löhne und gegen Kürzungspolitik mit Beteiligung der Gewerkschaften. Die internationalen Proteste waren erfolgreich: Rackete wurde freigelassen!

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Türkei: Die kommende Krise

Nach der Niederlage in Istanbul droht auch Erdogans wirtschaftliches Kartenhaus zusammenzubrechen.
Sosyalist Alternatif, türkische Schwesterorganisation der SLP

Finanz- und Schatzminister Berat Albayrak (der nebenbei Erdogans Schwiegersohn ist) meinte vor dem Sommer, er sehe „Licht am Ende des Tunnels“ für die türkische Wirtschaft. Doch dieses Licht kann nur das eines entgegenkommenden Zuges sein.

Die wirtschaftliche Lage ist seit langem instabil. Im August 2018 reichte ein Tweet von Trump, um eine große Währungskrise im Land auszulösen. Auslöser war der Streit über den in der Türkei inhaftierten amerikanischen Pastor Brunson und seine Freilassung. Schlagartig verlor die türkische Lira gegenüber dem US-Dollar 29% an Wert. Unter den Kapitalist*innen und ihrer politischen Vertretung machte sich Panik breit. Die türkische Zentralbank musste den Zinssatz massiv um 6 Prozent erhöhen, zum Missfallen Erdogans. Auch der Pastor wurde freigelassen. Kurzfristig trat Ruhe ein. Dennoch: Das war nur ein Vorgeschmack dessen, was passieren würde, wenn die erwartete Krise eintritt.

Die wirtschaftliche Depression trifft die Arbeiter*innenklasse bereits jetzt schon hart, besonders in Form der Teuerung.  Die Jahresinflation liegt bei 20%, (2017: 8-9%). Bei Lebensmitteln betrug sie im April sogar 32%. Nach Angaben des Gewerkschaftsverbands Türk-İş liegt die Armutsgrenze einer vierköpfigen Familie bei einem Monatseinkommen von 6.863 TL. Der Mindestlohn dagegen liegt bei nur 2.020 Lira. 57% der Beschäftigten müssen über 48 Stunden pro Woche arbeiten, um über die Runden zu kommen. Die meisten sind deswegen auch auf Konsumkredite angewiesen. Die Summe der Kreditschulden der Individuen (ohne die Kredite für Wohnungs- oder Fahrzeugdarlehen) liegt nun bei 350 Milliarden TL. Schon jetzt können mehr als zwei Millionen Menschen ihre Konsumkredite nicht zurückzahlen.

Auch die Arbeitslosigkeit steigt. Laut dem Institut für Statistik (TÜIK) lag die Arbeitslosenquote für März 2019 bei 14,1% (ein Plus von mehr als einer Million Menschen). Bei der Jugend liegt sie über 25%. Auch das Wirtschaftswachstum, das für die AKP immer ein Propagandainstrument war, ist zusammengebrochen: Von +7,4% 2017 auf nur +2,5% 2018. Alle Indikatoren zeigen weiteres Schrumpfen für 2019. Der IWF prognostiziert für 2019 gar ein Minus von 2,6%.

Die Krise hat bereits politische Folgen für Erdogan: Bei den Kommunalwahlen hat das AKP/MHP-Bündnis die wichtigsten Metropolen einschließlich Istanbul verloren. 16 der 82 Millionen Einwohner*innen der Türkei leben in Istanbul – kein Wunder, dass die AKP, welche die Stadt 25 Jahre regiert hatte, diese Niederlage zunächst nicht akzeptieren wollte und das Ergebnis durch ihre Richter annullieren ließ. Auch der Großbourgeoisie schmeckt Erdogans Niederlage überhaupt nicht. Sie wartet ungeduldig auf strukturelle Maßnahmen seitens der Regierung, um die Krise auf den Rücken  der Arbeiter*innenklasse abzuwälzen. Doch diese liegen nach dem Ergebnis in Istanbul zunächst auf Eis. Nichtsdestotrotz: Wenn es um die Interessen des Kapitals geht, sind alle bürgerlichen Parteien, seien es CHP und IYI Parti (eine Abspaltung der ultra-nationalistischen MHP) oder AKP und MHP, auf der selben Seite. Diese Einigkeit wurde noch am Wahlabend von allen Vorsitzenden der „Oppositions“-Parteien unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: Der AKP wurde zugesichert, sie bei „richtigen“ Maßnahmen zu unterstützen.

Seitens der Linkspartei HDP war es zwar richtig, bei der zweiten Runde in Istanbul gegen die AKP aufzurufen. Hier gab es keine Alternative. Doch die HDP hatte schon vorauseilend bei den gesamten Kommunalwahlen zugunsten von CHP und IYI Parti keine eigenen Kandidat*innen für die Städte im Westen der Türkei aufgestellt. Das war ein völlig falsches Signal. Diese klassenübergreifende Haltung der HDP ist besorgniserregend. Die Arbeiter*innenklasse ist entscheidend für den Kampf gegen die kapitalistische Krise. Der Nationalismus, der überall im Land geschürt wird, ist das größte Hindernis für ihre Einheit. Nur ein Programm, das kompromisslos die Interessen der Arbeiter*innen verteidigt, kann gegen ihn bestehen. Das ist eine entscheidende Herausforderung für die HDP, die sich das Ziel gesetzt hat, eine türkeiweite politische Alternative zu werden. Mit der kommenden Krise wird eine neue Periode großer Kämpfe beginnen. Um als Massenpartei darauf vorbereitet zu sein, muss die HDP dringend eine Diskussion über ein sozialistisches Programm auf die Tagesordnung bringen, welches u.a. die Enteignung von Banken und Schlüsselindustrien unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Arbeiter*innen einschließt.

Die kommende Zeit wird eine Herausforderung für die Arbeiter*innenklasse und die Unterdrückten sein - aber auch für die Gewerkschaften, die linken Berufsverbände und die gesamte Linke. Den Widerstand mit einem sozialistischen Programm gegen die Krise des kapitalistischen Systems zu bewaffnen ist absolut notwendig, um eine echte Alternative zu Nationalismus, Ausbeutung und Kapitalismus anzubieten.

 

http://www.sosyalistalternatif.com/

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