Internationales

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Unser Ziel: 90.000.- um den Kampf für internationalen Sozialismus zu unterstützen!

Liebe*r Unterstützer*in,

 

Wir durchleben außergewöhnliche und turbulente Zeiten - wir befinden uns mitten in einer globalen Pandemie, in der sich der Kapitalismus in seine schwerste Wirtschaftskrise seit Generationen stürzt. Diese historische Gesundheitskrise hat die Schwächen des kapitalistischen Systems offengelegt, denn wir sehen, dass ein Land nach dem anderen nicht in der Lage ist, eine angemessene Antwort zu finden, und dass die Zahl der Todesopfer ständig steigt.

Wir haben den spektakulären Ausbruch der Black Lives Matter-Bewegung miterlebt, die sich von den USA aus in viele Teile der Welt ausbreitet und den Drang nach Taten und Veränderung sowie die Bereitschaft junger Menschen offenbart, gegen den im kapitalistischen System tief verwurzelten Rassismus zu kämpfen.

Die Sozialistische LinksPartei ist Teil einer internationalen Organisation - die Internationale Sozialistische Alternative ist in über 30 Ländern auf jedem Kontinent aktiv. Überall auf der Welt waren wir mit einer schwierigen Situation konfrontiert, in der wir unter Sperren und Zwangsmaßnahmen arbeiten mussten, die unsere Möglichkeiten zu unseren üblichen Aktivitäten und zur Zusammenarbeit, zum Sammeln von Spenden und zum Verteilen unserer Publikationen in der üblichen Weise eingeschränkt haben. Wir haben uns dieser Herausforderung gestellt, indem wir neue und innovative Wege gefunden haben, um durch unsere Arbeit online mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten und unsere Analyse der sich entfaltenden Ereignisse neuen Schichten von Arbeiter*innen und Jugendlichen anzubieten. Dazu gehört unsere neue wöchentliche internationale Sendung "World to Win", die jeden Sonntag auf YouTube und Facebook ausgestrahlt wird.

Um unsere Organisation so gut wie möglich für die Reaktion auf sich schnell verändernde Ereignisse zu wappnen, starten wir einen internationalen Spendenaufruf mit einem Ziel von 90.000 Euro. Dieser Aufruf wird Teil unserer Sommerschulung sein - der Virtuellen Marxistischen Universität (VMU), die vom 18. bis 25. Juli stattfindet. Der Appell selbst wird Teil der Abschlusskundgebung am 25. Juli sein, die am Samstag, den 25. Juli um 15 Uhr Wiener Zeit (6 Uhr Seattle; 21 Uhr China) öffentlich übertragen wird.

90.000 Euro sind ein ehrgeiziges Ziel, das unsere ehrgeizigen Pläne widerspiegelt, in dieser neuen und explosiven Zeit in die weltweiten Kämpfe einzugreifen.

Es ist notwendig, dass wir auf diese Weise Spenden sammeln, um die Kosten für die Erstellung unserer Publikationen und anderer Materialien zu decken, um die Reisekosten unserer internationalen Organisator*innen, die internationale Solidaritätsarbeit und die Unterstützung von Bewegungen und Kämpfen in verschiedenen Teilen der Welt zu finanzieren, um die Ausstattung zu bezahlen, die wir für unsere Arbeit benötigen, und auch um unsere Büroräume zu mieten und vieles andere mehr.

Die Internationale Sozialistische Alternative unterscheidet sich von anderen politischen Hauptströmungen dadurch, dass wir weder vom Großkapital oder wohlhabenden Spender*innen noch vom kapitalistischen Staat finanzielle Unterstützung erhalten. Auf diese Weise unabhängig zu sein, ist sehr wichtig - wir treten für die Interessen der gewöhnlichen Menschen aus der Arbeiter*innenklasse ein, nicht für die der wohlhabenden Elite. Wir sammeln Geld durch Spenden an der Basis von Menschen wie von DIR, die uns unterstützen und mit unseren Ideen übereinstimmen.

Kannst DU dir eine Spende von 10, 20, 50, 100 oder 200 Euro vorstellen, um uns zu helfen, unser Ziel zu erreichen und unsere Arbeit in der ganzen Welt in der kommenden Zeit fortzusetzen? Du kannst hier spenden https://internationalsocialist.net/en/donate

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Die drohende Annexion im besetzten Westjordanland durch die israelische Regierung

Die israelische Koalitionsregierung droht, mit Unterstützung der US-Trump-Administration eine offizielle Annexion (erzwungene Eingliederung) von bis zu 30% des besetzten Westjordanlandes an den Staat Israel durchzuführen.

Ab dem 1. Juli droht die neue israelische Koalitionsregierung, unterstützt von der US-Trump-Regierung, mit einer offiziellen Annexion von bis zu 30% des besetzten Westjordanlandes an den Staat Israel.

Selbst eine Annexion in kleinerem Maßstab würde einen immensen Schlag gegen die demokratischen und nationalen Ambitionen von Millionen Palästinenser*innen markieren; insbesondere gegen die Idee eines palästinensischen Staates, der neben Israel existiert. Dies ist ein bedeutender Wendepunkt im israelisch-palästinensischen Konflikt.

Darüber hinaus würden Schritte in diese Richtung, die Teil eines Konzepts im Geiste der Apartheid sind, auch die Hoffnungen von Millionen israelisch-jüdischer Arbeiter*innen und Armen auf Frieden und Sicherheit weiter schmälern.

Diese Bedrohung hat bereits zu Protesten und scharfer Opposition auf beiden Seiten der nationalen Spaltung und international geführt. Dazu gehören Tausende von Palästinenser*innen im Westjordanland und Tausende von Jüd*innen und Palästinenser*innen in Israel, die gegen den Plan protestiert haben.

Gleichzeitig hat sie unweigerlich auch eine Dynamik der Eskalation nationaler Spannungen ausgelöst. Das israelische Militär hat sich Berichten zufolge auf eine "Kriegssituation" vorbereitet.

Führende Funktionäre der beiden dominierenden palästinensischen Fraktionen, Hamas und Fatah, haben davor gewarnt, dass jede israelische Annexion im Westjordanland zu einem neuen allgemeinen Aufstand, einer Intifada, führen würde. Saleh al-Arouri, stellvertretender Leiter des politischen Büros der Hamas, der rechts-islamistischen Bewegung, die die lokale Führungsgruppe im Gazastreifen ist und unter brutaler israelisch-ägyptischer Blockade steht, warnte im Fernsehsender Al-Resalah TV mit Sitz im Gazastreifen: "Wir können nicht ausschließen, dass im Gefolge der israelischen Aggression die Konfrontation einen Punkt erreicht, der zu einer militärischen Eskalation führen könnte".

Die Antwort der Palästinensischen Autonomiebehörde

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmoud Abbas, erklärte am 19. Mai die Beendigung aller schriftlichen Vereinbarungen mit Israel und den USA. Dies ist ein populärer Schritt. Ähnliche Ankündigungen sind in den letzten Jahren mehrmals gemacht worden, aber zuvor hatten sie keine praktischen Konsequenzen. Die vollständige Umsetzung dieser Idee würde die Auflösung oder den Zusammenbruch der Palästinensischen Autonomiebehörde selbst bedeuten, womit Abbas im Anschluss an ein Annexionsszenario droht. Die Fatah-Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) werden jedoch wahrscheinlich nicht so weit gehen, wenn sie nicht durch Massendruck gezwungen werden, da dies die Interessen der PA-Elite gefährden und das Scheitern ihrer eigenen nationalen Befreiungsstrategie unterstreichen würde. Dennoch sind diesmal bedeutende Schritte unternommen worden, um die Koordinierung der Sicherheitsmaßnahmen mit dem israelischen Militär auszusetzen.

Darüber hinaus hat die Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde in einem problematischen Schritt beschlossen, die monatlichen Löhne und Gehälter der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht zu zahlen, und verlangt, dass der Besatzungsstaat sie direkt zahlt, was in diesem Stadium offensichtlich nicht geschehen wird. Dies geschieht, während die Wirtschaft der PA in eine tiefe Rezession abrutscht, die durch die Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beschleunigt wird. Die Weltbank rechnet für dieses Jahr mit einem Einbruch des BIP der PA um 7,6-11%, wobei sich die offizielle Armutsquote in den Enklaven der PA von 14% auf 30% mehr als verdoppeln wird. In Gaza ist diese Zahl von 53% auf 64% sprunghaft angestiegen.

So entwickelt sich die Wut über den Annexionsplan vor dem Hintergrund der massenhaften Frustration angesichts akuter Wirtschaftskrise und Pandemie. Bei der ersten großen Kundgebung der PA am 22. Juni in Jericho wurden im Rahmen sozialer Distanzierungsmaßnahmen einige Tausende mobilisiert. Weitere Kundgebungen sind geplant. Aber wenn eine Annexion erklärt wird, kann auch massiv Wut ausbrechen und außerhalb der Kontrolle der PA-Beamten eskalieren. Die verzweifelte Lage der Palästinensischen Autonomiebehörde spiegelt sich in Abbas' kürzlich abgegebenem Angebot wider, unverzüglich in Verhandlungen mit der neuen israelischen Regierung einzutreten, wenn diese im Gegenzug die Annexionsdrohung aussetzt.

Parallel dazu hofft die Palästinensische Autonomiebehörde weiterhin, vom israelischen Regime durch eine Klage gegen Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen einen politischen Preis zu fordern. Dies wurde von Premierminister Benjamin Netanjahu bei der ersten Sitzung der neuen Regierung als "strategische Bedrohung für den Staat Israel" bezeichnet. Wenn eine umfassende Untersuchung eingeleitet wird, kann sie internationale Haftbefehle für hochrangige israelische Staats- und Militärbeamte bedeuten. Dies würde dem israelischen Regime erhebliche diplomatische Schwierigkeiten bereiten und wahrscheinlich mehr internationale Aufmerksamkeit und Widerstand gegen die israelische Besetzung auf sich ziehen.

Das Töten in Ost-Jerusalem und die israelische öffentliche Meinung

Angesichts der drohenden Annexion sind die Angriffe israelischer Truppen und kolonialer Siedler*innen auf Palästinenser*innen im Westjordanland und in Ostjerusalem allgemein eskaliert.

Die Ermordung von Eyad al-Hallaq, einem 32-jährigen Palästinenser mit Autismus, am 30. Mai im besetzten Ostjerusalem durch israelische "Grenzpolizei"-Soldaten war ein anschauliches Beispiel für die Brutalität der israelischen Besatzung in einem Gebiet, das bereits unmittelbar nach dem Besatzungskrieg von 1967 offiziell von Israel annektiert worden war.

Die kleinen aber wichtigen Proteste nach dieser Tötung betrafen Palästinenser*innen und Israelis und waren inspiriert von der BLM-Rebellion in den USA, wobei einige den Slogan "Palestinian Lives Matter" (Palästinensische Leben zählen) verwendeten. Israelisch-jüdische Aktivist*innen äthiopischer Herkunft zogen einen Vergleich zwischen diesem Fall und der rassistischen Polizeibrutalität, unter der israelisch-äthiopische Jüd*innen zu leiden haben. Sie lösten eine Reihe von stürmischen Protesten aus, zuletzt im Juli 2019. Als Reaktion auf die Ermordung von al-Hallaq vergoß das israelische Establishment, darunter auch Netanjahu, einige Krokodilstränen und erkannte das Potential einer stärkeren Reaktion.

Doch trotz Netanjahus Besorgnis über eine mögliche Untersuchung in Den Haag ist klar, dass jeder Annexionsschritt in der nächsten Zeit scharfen Widerstand gegen die israelische Besatzung und das israelische Regime im Allgemeinen auslösen wird.

Die israelische öffentliche Meinung selbst ist in dieser Frage polarisiert. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass lediglich 4% den Annexionsplan als wichtigste Aufgabe der neuen israelischen Regierung betrachten, während 68% die Wirtschaftskrise mit über 20% Arbeitslosigkeit benannten. An zweiter Stelle stand der Kampf gegen die Covid19-Pandemie. Was die Unterstützung für einen Annexionsschritt selbst betrifft, so variieren die Zahlen in den Umfragen, beeinflusst durch die Art und Weise, wie die Frage formuliert wird. Es besteht offenbar Verwirrung. Die Unterstützung für einen konkreten Schritt von Netanyahu entspricht im Allgemeinen der Anhängerschaft von Netanjahus Block und der extremen Rechten, und selbst das ist widersprüchlich. In einigen Umfragen liegt die Unterstützung für eine sofortige Annexion nur bei etwa 25%.

Die begrenzte Unterstützung durch die Bevölkerung in der israelischen Gesellschaft spiegelt auch die schwache Basis für die demagogischen 'Sicherheits-Argumente' wider, mit denen die Unterstützung für eine Annexion mobilisiert werden soll. Der ehemalige israelische Premierminister Ehud Olmert, der vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde, sagte auf der in London ansässigen saudi-arabischen Nachrichtenwebsite Elaph, es sei "Unsinn", zu behaupten, Israel brauche das Jordantal aus Sicherheitsgründen, und dass "die Annexion zu einer Katastrophe führen wird".

Die israelische herrschende Klasse, besorgt über längerfristige strategische Bedenken, ist in dieser Frage offen gespalten. Die Führer*innen der beiden politischen Blöcke, die diese außerordentliche "Rotationsregierung" mit einem Premierminister und einem stellvertretenden Premierminister bilden, die im nächsten Jahr die Plätze tauschen sollen, debattieren noch darüber, ob und mit welchen konkreten Schritten sie vorankommen sollen. Bisher gab es in den Sitzungen der israelischen Regierung noch keine offizielle Diskussion über die tatsächlichen Einzelheiten einer Karte, die Haushaltskosten, die möglichen Auswirkungen usw.. Es kann sehr wohl sein, dass eine fehlende Einigung in dieser Frage letztendlich eine weitere Wahl auslösen wird, die vierte innerhalb eines Jahres.

Dennoch ist die Bedrohung real. Die Koalitionsvereinbarungen erlauben es Premierminister Netanjahu, die Frage entweder auf Regierungs- oder auf Parlamentsebene zu entscheiden. In beiden Fällen würde er eine Mehrheit erhalten. Er hat bisher behauptet, er sei entschlossen, einen Annexionsschritt durchzuführen, der in Phasen umgesetzt werden soll, ganz offensichtlich in dem Versuch, die Opposition einzuschränken.

Trumps "Friedensplan"

Die Annexions-Initiative soll Trumps imperialistischen "Friedensplan", den sogenannten "Deal des Jahrhunderts", aufgreifen, der im Januar im Weißen Haus zusammen mit Netanjahu und drei pro-US-Botschaftern der arabischen Golfstaaten eingeführt wurde, wobei die Veranstaltung von palästinensischen Beamten boykottiert wurde. Er setzte die Logik von Trumps Serie extrem provokanter Schritte zur Unterstützung der israelischen Besatzung, Enteignung und Unterdrückung der Palästinenser*innen in den Fragen Jerusalem, israelische Siedlungen und palästinensische Flüchtlinge sowie die Kürzung der Finanzhilfe für die Palästinenser*innen im Westjordanland und im Gazastreifen fort.

Der Plan bietet den USA Unterstützung für eine Annexion von etwa 30% des Westjordanlandes durch den israelischen Staat, ohne das Recht auf eine palästinensische Hauptstadt in Jerusalem, zusammen mit anderen Provokationen. Diese Position ist nicht einmal mit dem Vorwand von Verhandlungen und politischen Vereinbarungen zwischen Israel und den Palästinenser*innen verbunden.

In territorialer Hinsicht bietet dieser zynische und fast schon possenhafte Plan den Palästinenser*innen hypothetisch die nationale "Kontrolle" über 15% des historischen Palästina an, und zwar unter Bedingungen, die nie eintreten sollen und in einer Form schlimmer als ein Bantustan ("Heimatgebiet" für Schwarze in Südafrika während der Apartheid), mit einem unterworfenen und zerstückelten Marionettenstaat. Mit Netanjahus eigenen Worten:

"Der Prozess würde weitergehen, wenn sie tatsächlich etwa zehn harte Bedingungen erfüllen würden, zu denen die israelische Souveränität im Jordantal, die Beibehaltung der Einheit Jerusalems [ausschließlich unter israelischer Kontrolle], der Nichteinzug auch nur eines einzigen [palästinensischen] Flüchtlings, die Nicht-Wurzelung von Siedlungen und die israelische Souveränität in weiten Teilen von Judäa und Samaria [Westjordanland] und mehr gehören. Sie müssen anerkennen, dass wir der sicherheitspolitische [militärische] Herrscher in dem gesamten Gebiet sind. Wenn sie mit all dem einverstanden sind, dann hätten sie eine eigene Entität, die Trump als Staat definiert. Wie ich einem US-Staatsmann sagte: "Sie können es nennen, wie Sie wollen". In der Essenz von Trumps Plan gibt es Elemente, von denen wir nur träumen konnten". - Israel HaYom, 28. Mai

Die wichtigste offizielle Organisation der israelischen Kolonialsiedler*innen, der Yesha-Rat, hat sich wegen des Verweises auf einen sogenannten palästinensischen Staat und des symbolischen Antrags auf ein vierjähriges Einfrieren des israelischen Siedlungsbaus außerhalb des annektierten Gebiets gegen den Trump-Plan ausgesprochen. Aber letztlich streben sie eine möglichst weitgehende Annexion an. Einer der Führer*innen der Siedlerbewegung erklärte, dass "die Umsetzung der Souveränität [Annexion] wichtig ist, um die Vorstellung zu zerstören, dass es hier eine Besetzung gibt".

Im Allgemeinen erkennen die reaktionärsten Elemente in der israelischen herrschenden Klasse und der israelischen Gesellschaft insgesamt ein schmales "historisches" Zeitfenster für die volle rechtliche Sanktionierung, die Normalisierung und weitere Legitimierung des Landraubs von den Palästinenser*innen im Westjordanland und einen Schlag gegen die Idee eines palästinensischen Staates. Über ihre möglichen Hoffnungen hinaus, dass die Pandemie die Aufmerksamkeit und den Widerstand gegen den Plan bremsen wird, erkennen sie, dass Trump die Präsidentschaftswahlen im November verlieren könnte; besonders jetzt, angesichts der Wirtschaftskrise, der Pandemie und der rebellischen Massenbewegung in den USA. Der Druck auf seine Regierung wird um so stärker, sich von einer ausdrücklichen Unterstützung zurückzuziehen, je länger sie warten.

Es wird bereits berichtet, dass Trumps Vermittler, sein Schwiegersohn Jared Kushner, als Vorbedingung fordert, dass die beiden Blöcke in der israelischen Regierung zu einer Einigung in dieser Frage kommen, was keineswegs sicher ist. Beide Blöcke unterstützen den Trump-Plan, wie auch Teile der pro-kapitalistischen Opposition. Jedoch unterscheiden sie sich konkret in Bezug auf eine "einseitige" Annexion.

Die Spaltung in der israelischen herrschenden Klasse hinsichtlich der Idee einer sofortigen Annexion gründet auf den Ängsten, die sie sowohl vor den unmittelbaren als auch den längerfristigen strategischen Auswirkungen auf allen Ebenen haben, nicht zuletzt vor einem möglichen palästinensischen Aufstand und einer Vertiefung der wirtschaftlichen Rezession in Israel. Jede Art von offiziellen Annexionsschritten in diesem Zeitraum wird ein Spiel mit dem Feuer sein.

Internationale Beziehungen

Aus der Sicht der internationalen Beziehungen und der geostrategischen Allianzen des israelischen Kapitalismus kann mehr erwartet werden als die üblichen hohlen diplomatischen Verurteilungen. In dieser explosiven Periode der globalisierten kapitalistischen Krise kann sich die Massensolidarität gegen die Unterdrückung von Palästinenser*innen in einigen Ländern zu energischeren Aktionen der Bevölkerung und der Arbeiter*innenklasse entwickeln und erheblichen Druck auf kapitalistische Regierungen ausüben. Initiativen für internationale Solidarität, einschließlich verschiedener Protest-Boykott-Kampagnen, wie z.B. "Boykott, Investitionsabzug und Sanktionen" (BDS), werden wahrscheinlich wieder aufflammen.

Eine neu erzwungene Grenze wird keine nennenswerte internationale Anerkennung erfahren und könnte unter Druck sogar von einer künftigen US-Regierung wieder aufgehoben werden. Joe Biden hat sich bereits ausdrücklich gegen eine Annexion ausgesprochen. Dies ist die Mainstream-Haltung der herrschenden Klasse bezüglich internationaler Beziehungen und des Geheimdienst-Apparats in den USA. Sie sind besorgt darüber, dass jede Destabilisierung die Interessen des US-Imperialismus in der Region beeinträchtigen könnte, und auch über die innenpolitische öffentliche Meinung, die der israelischen Besatzung zunehmend kritisch gegenübersteht. Politische Strateg*innen der israelischen herrschenden Klasse warnen seit einigen Jahren davor, dass die Unterstützung für das Land von Seiten der USA in einem noch nie dagewesenen Ausmaß an Rückhalt verliert. Dies hat insbesondere die Basis der Demokratischen Partei getroffen, die historisch gesehen eher "pro-israelisch" war. Dies könnte für das israelische Regime unter künftigen demokratischen Regierungen zu einem ernsthaften Problem werden.

Auch der Druck aus Europa wird zunehmen. Der deutsche Außenminister stattete Israel seinen ersten Besuch nach der Abriegelung ab, um davor zu warnen, dass seine Regierung die Annexion ablehnt. Andere europäische Regierungen könnten den symbolischen Schritt wiederholen, den die schwedische Regierung 2014 nach dem schrecklichen Gaza-Krieg in jenem Jahr unternommen hat, um einen palästinensischen Staat offiziell anzuerkennen. Einige könnten auf eine Verschärfung der Sanktionen gegen die israelischen Siedlungen im Westjordanland drängen, und je nach Verlauf der Ereignisse möglicherweise sogar bis zu einem gewissen Grad gegen Israel selbst. Da die EU jedoch der größte Handelspartner des israelischen Kapitalismus ist und eine ganze Reihe weiterer Interessen auf dem Spiel stehen, könnten andere EU-Mitgliedstaaten größere Sanktionen vereiteln, insbesondere angesichts einer Zeit wachsender Krise und Spaltung in der EU selbst. Eine klares Beispiel bezüglich der Ohnmacht der europäischen kapitalistischen Reaktion wurde am 18. Juni gegeben, als das Europäische Parlament mit großer Mehrheit das "Open-Skies"-Abkommen mit Israel ratifizierte.

Regionaler Kontext

Auf regionaler Ebene wird selbst eine "verkleinerter" israelische Annexion den Prozess untergraben, der in den letzten Jahren zu einer wachsenden Allianz zwischen den wichtigsten pro-amerikanischen arabisch-sunnitischen Regimes und Israel gegen den Iran geführt hat. Unter anderem Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar unterstützen Trumps Plan und haben bereits eingegriffen, um die Palästinensische Autonomiebehörde unter Druck zu setzen, vor Trump zu kapitulieren und eine ganze Reihe von Verhandlungen über den Plan zu akzeptieren. Die sich entwickelnde kapitalistische Krise, die mit den Komplikationen der Pandemie verbunden ist, fließt jedoch in die revolutionären Umbrüche ein, wie wir im vergangenen Jahr in einer Reihe von Ländern gesehen haben. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf das strategische Kalkül der reaktionären arabischen Regimes.

Jeder israelische Annexionsschritt könnte unter den palästinensischen und arabischen Massen einen riesigen Aufstand auslösen, was weitere radikalisierende Auswirkungen hätte, da er unmittelbar nach einer Welle revolutionärer Bewegungen in Algerien, Sudan, Irak und Libanon und einem wachsenden Klassenkampf in Jordanien erfolgen würde.

Während die sudanesische Regierung, die sich auf eine teilweise Normalisierung der Beziehungen zu Israel zubewegt hat und infolgedessen im eigenen Land einem weitreichenden Aufschrei der Bevölkerung ausgesetzt war, versucht hat, dem Thema auszuweichen, ist es kein Zufall, dass Jordanien, Algerien und der Irak zu den einzigen arabischen Staaten gehören, die eine offene Ablehnung des Trump-Plans zum Ausdruck gebracht haben. Ein weiterer Punkt, der für einige der sunnitisch-arabischen herrschenden Klassen Anlass zur Sorge gibt, ist die Möglichkeit, dass das iranische Regime und seine Verbündeten in der gesamten Region ein Annexionsszenario ausnutzen könnten, um unter dem falschen Vorwand der 'Solidarität mit den Palästinenser*innen' die Unterstützung der Bevölkerung zu mobilisieren und gegen Verbündete der USA und Israels letztlich militärisch zurückzuschlagen.

So spielen einige der arabischen Regimes in dieser Frage ein doppeltes Spiel, wie eine Dringlichkeitssitzung der Außenminister der Arabischen Liga in Kairo auf Ersuchen der Palästinensischen Autonomiebehörde am 1. Februar gezeigt hat. Dieses Treffen brachte den US-Präsidenten in Verlegenheit, indem es seinen Plan einstimmig ablehnte, leere Rhetorik über "die zentrale Bedeutung der palästinensischen Sache für die gesamte arabische Nation" wiederholte und ein Bekenntnis zu der von der Arabischen Liga 2002 unter saudi-arabischer Führung durchgeführten arabischen Friedensinitiative der Arabischen Liga bekräftigte, die den israelischen Rückzug aus den besetzten Gebieten von 1967 als Gegenleistung für die vollständige Normalisierung der Beziehungen fordert. Bei einem späteren Treffen Ende April wurde bekräftigt, dass die israelische Annexion "ein Kriegsverbrechen" sei.

Der Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in den USA, Yousef Al Otaiba, der bei der Vorstellung des "Friedensplans" im Januar zusammen mit Trump im Weißen Haus stand, schrieb fünf Monate später den ersten Artikel eines VAE-Beamten in hebräischer Sprache in einer israelischen Zeitung, mit einem direkten Appell an die Israelis mit einer leisen Warnung, dass der gegenwärtige Prozess der wachsenden formellen israelisch-arabischen Verbindungen umgekehrt werden könnte.

Andere Elemente unter den pro-amerikanisch-arabischen Regimes könnten sich in dem Versuch, die Solidaritäts-Gefühle der Massen gegen die Unterdrückung der Palästinenser*innen auszunutzen und die Wut der herrschenden Eliten abzulenken, zu schärferen Verurteilungen hinwenden und möglicherweise sogar zu einer anti-israelischen nationalistischen Rhetorik zurückkehren.

Der jordanische König Abdullah hat zwar ein unpopuläres Friedensabkommen mit Israel aufrechterhalten, und das in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung palästinensischer Herkunft ist. Jedoch hat er vor dem Hintergrund sozialer Unruhen eine Zeit lang das falsche Bild einer militanteren Haltung gegenüber Israel vermittelt. Im Januar sah sich das jordanische Parlament nach Protesten der Bevölkerung gezwungen, ein Abkommen über den Import von Erdgas aus Israel aufzuheben. Zwei historische israelische Landwirtschaftsenklaven in Jordanien, die zuvor als gepachtet definiert worden waren, wurden in den letzten Monaten aufgelöst, um die volle jordanische Kontrolle zurückzuerlangen. Nun hat der König davor gewarnt, dass Jordanien als Reaktion auf eine israelische Annexion harte Vergeltungsmaßnahmen ergreifen werde. Ebenso hat er nicht geleugnet, dass dies letztendlich die Aussetzung des Friedensabkommens beinhalten könnte. Der jordanische Außenminister Ayman a-Safadi unterstrich, dass "die Annexion nicht ohne Vergeltungsmaßnahmen erfolgen wird. Ihre Umsetzung wird den Konflikt entfesseln und die Allianz zwischen den beiden Ländern unmöglich machen".

Trumps Unterstützung für israelische nationalistische Reaktion

Der Aufstieg Trumps zur Macht vor fast vier Jahren fiel mit der Dominanz konterrevolutionärer Tendenzen im Nahen Osten zusammen. Dies trug dazu bei, die vorherige israelische Koalitionsregierung zu unterstützen, die eine der rechtsgerichtetsten in der Geschichte Israels war. Die Trump-Regierung hat das Vertrauen der ultra-zionistischen Anhänger*innen der Kolonialsiedlungen und desjenigen Flügels der israelischen herrschenden Klasse, der Formen eines expansionistischen "Groß-Israel"-Programms unterstützt, enorm gestärkt. Der Siedlungsbau wurde beschleunigt. Im Jahr 2017 verabschiedete das Zentralkomitee der regierenden Likud-Partei eine Resolution, in der die Regierung aufgefordert wurde, die "Souveränität" über das Westjordanland "umzusetzen".

Es dauerte jedoch nicht lange, bis Netanjahus Korruptionsskandale und verschiedene Aspekte der reaktionären Regierungspolitik die politische Polarisierung in der israelischen Gesellschaft schürten, Gegenbewegungen auslösten und einen kapitalistischen Oppositionsblock aus ehemaligen Generälen und Netanjahus Rivalen mit unterschiedlichem Hintergrund herauskristallisierten.

Dieser breite Anti-Netanjahu-Block konzentrierte sich auf die Fragen der Korruption und Netanjahus rechtspopulistische Angriffe auf staatliche Institutionen. Für einen großen Teil dieses Blocks ging es bei dieser Kampfansage gegen Netanjahus Herrschaft jedoch um viel mehr. Sie kam nach Jahren des lautstarken Widerstands ehemaliger Generäle und hochrangiger Beamter des Sicherheitsapparats, die sich gegen das ihrer Ansicht nach rücksichtslose abenteuerliche Verhalten Netanjahus in geostrategischen und nationalen Fragen ausgesprochen haben. Diese Elemente neigen auch dazu, Trump als einen unzuverlässigen Verbündeten für die längerfristigen Interessen des israelischen Regimes zu betrachten.

Die Blau-Weiß-Allianz wurde für Netanjahu zur größten Herausforderung bei den Wahlen. Doch ihr Versagen, Teile seiner Basis wirklich anzusprechen, führte bis zur Einsetzung der neuen Regierung zu einer beispiellosen politischen Krise, da kein Block in der Lage war, selbst nach drei Parlamentswahlen eine Mehrheitsregierung einzusetzen.

Selbst bei den letzten Wahlen im März gelang es Netanyahu nicht, eine Mehrheit zu erreichen. Doch während dieser Wahlkampagnen versuchte er, den Nationalismus aufzupeitschen, indem er sich mit all den Geschenken brüstete, die er von der Trump-Administration erhalten hat, darunter die Anerkennung Jerusalems als einzige israelische Hauptstadt, die Anerkennung der Annexion der Golanhöhen und das Versprechen, Israel bei der "Umsetzung der Souveränität " im Westjordanland zu unterstützen. Während des Wahlkampfs im September 2019 kommentierte Naftali Bennet, der Führer der religiösen Siedlerpartei "Rechts", "vor acht Jahren habe ich dasselbe gesagt, und man nannte mich einen Verrückten". Damals, während der US-Administration Obama, war Netanjahu selbst gezwungen, einige Lippenbekenntnisse zur Idee eines "palästinensischen Staates" abzugeben, und 2009 setzte er einen kurzen teilweisen Baustopp für Siedlungen durch. Dann gab es weniger Rückenwind, um die Annexionsbestrebungen der hartgesottenen rechten Siedler-Bewegung voranzutreiben.

Der Blau-Weiß-Block, der Anfang des Jahres den Weg für die Bildung einer gemeinsamen Regierung mit Netanjahu ebnete, enthält nicht nur Annexions-Anhänger*innen, sondern hat auch mit dem Gedanken gespielt, dass er für die Unterstützung der Annexion eintreten könnte, solange die vage Bedingung der US-amerikanischen und internationalen Vereinbarung erfüllt ist. Bis jetzt ist nicht klar, ob die blau-weißen Regierungschefs so handeln werden, dass sie jede Art von Annexionsplan behindern. Die Überbleibsel der Arbeitspartei in der Regierung haben sich symbolisch gegen die Annexion ausgesprochen, aber das ist unbedeutend.

Am 9. Juni wurde durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs das israelische Gesetz zur Regulierung von Siedlungen von 2017 aufgehoben, das die Enteignung von palästinensischem Land in Privatbesitz im Westjordanland für israelische Siedlungen rechtlich sanktioniert hatte. Als Beispiel für die Dynamik in der Regierungskoalition forderten blau-weiße Vertreter*innen die Einhaltung des Urteils, während Stimmen aus Netanjahus Block forderten, es per Gesetz zu umgehen. Doch die Unterstützung von Blau-Weiß ist in den Meinungsumfragen zusammengebrochen, und sie haben von einer Neuwahl weitaus mehr zu befürchten als Netanjahu, dem es trotz seines Korruptionsprozesses gelungen ist, in den Umfragen in die Höhe zu schießen, nachdem er seine wichtigste parlamentarische Opposition erfolgreich in Stücke gerissen hat.

Strategisches Dilemma der israelischen herrschenden Klasse

Obwohl die israelischen Regierungen seit 1967 die kolonialen Siedlungen in immer größerem Umfang als eine Form der schleichenden Annexion gefördert und vor Ort ethnisch-demographische Fakten geschaffen haben, haben sie alle von einer offiziellen Annexion abgesehen. Der Hauptgrund dafür war das demographische Gleichgewicht. Anders als das frühere Apartheid-Regime in Südafrika ist der israelische Kapitalismus weit weniger von der Arbeiter*innenklasse der unterdrückten Nation abhängig, die aus zionistischer Sicht in dem einen oder anderen Ausmaß letztlich eine "demographische Bedrohung" für einen mehrheitlich jüdischen "jüdischen Staat" darstellt. Der Zionismus, einschließlich des heutigen israelischen Staates, hat sich immer auf eine Politik der "Judaisierung" gestützt und danach gestrebt, die Kontrolle über ein Territorium durch die Herstellung des national-ethnischen demographischen Gleichgewichts zu garantieren. Nach dem imperialistischen UN-Teilungsplan von 1947 wurde diese Logik in der palästinensischen Nakba, der Katastrophe während des Krieges von 1948, auf brutalste Weise angewandt, als Hunderttausende Palästinenser*innen zu Flüchtlingen wurden und Hunderte Gemeinden von der Landkarte ausradiert wurden.

Im Krieg von 1967 wurden mehr Palästinenser*innen zu Flüchtlingen. Bald nach diesem Krieg begann sich in Regierung und herrschender Klasse eine Debatte über die Zukunft der neuen besetzten palästinensischen Gebiete zu entwickeln. Während die Idee eines palästinensischen Staates in irgendeinem Teil des historischen Palästina als potenzielle Bedrohung betrachtet wurde, waren sie vor allem besorgt, dass die Annexion des Gebiets, in dem sich die Masse der palästinensischen Bevölkerung befindet, die israelisch-jüdische Bevölkerung zu einer Minderheit machen und letztlich entweder zu einem bi-nationalen Staat (was das Ende der Idee eines "jüdischen Staates" und möglicherweise ein Übergang zu einem palästinensischen Nationalstaat wäre) oder zu dem Versuch führen würde, einen ausdrücklichen Apartheids-Staat zu festigen, der seine Legitimität verlieren und instabiler werden würde. Die "Bedrohung" eines bi-nationalen Staates bleibt auch heute noch ein Hauptargument, das von den prokapitalistischen zionistischen Kräften, die gegen den Annexionsplan sind, verwendet wird.

Angesichts der Geschichte der antisemitischen Unterdrückung und der Schrecken des Holocaust, aber auch angesichts der gegenwärtigen internationalen antisemitischen Reaktion und der reaktionären nationalistischen Drohungen des iranischen Ayatollah-Regimes und einiger rechtsextremer islamistischer Kräfte in der gesamten Region, die jüdische Bevölkerung zu vertreiben, ihr zu schaden oder sie zu vernichten, hat dies immer ein Echo unter den israelischen jüdischen Massen gefunden, die das Szenario fürchten, in dem sie zu einer nationalen Minderheit werden. Es überrascht nicht, dass die Idee der Annexionen im Westjordanland nach wie vor polarisiert.

Die erste Intifada 1987, der Massenaufstand der Palästinenser*innen, hat die Unhaltbarkeit der direkten militärischen Besetzung der Gebiete von 1967 nur unterstrichen. Die Masse der Palästinenser*innen schaffte es, die stärkste Militärmacht in der Region an den Verhandlungstisch zu zwingen und bewirkte einen Bewusstseinswandel unter den israelisch-jüdischen Massen hin zur Unterstützung der Idee eines palästinensischen Staates in den besetzten Gebieten von 1967. In der israelischen Bevölkerung sprang die Unterstützung von etwa 21% im Jahr 1987 auf etwa 50% und mehr innerhalb weniger Jahre (INSS-Umfragedaten). Der vom Imperialismus geförderte "Friedensprozess" der Osloer Abkommen Anfang der 1990er Jahre weckte zunächst große Hoffnungen bei den Massen auf beiden Seiten der nationalen Spaltung. Aber das Zugeständnis, der Errichtung der Enklaven der Palästinensischen Autonomiebehörde zuzustimmen, war vom israelischen Regime beabsichtigt, um die Besatzung mit anderen Mitteln fortzusetzen. Es bestand nie die Absicht, einen palästinensischen Staat zuzugestehen, wie der ehemalige israelische Premierminister Yitzhak Rabin selbst einen Monat vor seiner Ermordung erklärte. Die Palästinensische Autonomiebehörde sollte letztlich als Unterhändler für das israelische Besatzungsregime fungieren.

Unter den Osloer Abkommen wurden die Siedlungen erweitert und die Bewegungen der Palästinenser*innen strenger kontrolliert. Das israelische Regime verweigerte substanzielle Zugeständnisse, und der Prozess implodierte unweigerlich mit einem neuen palästinensischen Aufstand, der zweiten Intifada im Jahr 2000. Leider wich die Massenbewegung bald der Dominanz der Milizen und terroristischer Angriffe gegen die Zivilbevölkerung, welche die reaktionären Kräfte in der israelischen Gesellschaft gestärkt haben und als Vorwand für schwere blutige Repression in den besetzten Gebieten dienten.

Darauf folgte ein Wechsel zu einer "unilateralen" Strategie der israelischen herrschenden Klasse, zu der die Errichtung der Trennmauer im Westjordanland und die Umsetzung des Rückzugs aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 gehörten, nachdem das dortige Siedlungsunternehmen völlig versagt hatte, gewöhnliche Israelis anzuziehen.

Nach dem Abzug gewann die Hamas die Wahlen zur Palästinensischen Autonomiebehörde, indem sie sich als weniger korrupte und angeblich "militantere" Alternative zu der von der Fatah geführten Elite der Palästinensischen Autonomiebehörde und ihrer vergeblichen direkten Zusammenarbeit mit Israel präsentierte. Die Regierungen Israels und der USA waren nicht bereit, dieses Ergebnis zu akzeptieren, und reagierten mit Sanktionen. Unter diesem Druck gipfelte die Rivalität zwischen Hamas und Fatah 2007 in einer Spaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde, wobei sich die Hamas eine separate Regierungsbehörde in Gaza sicherte. Die destruktiven Methoden der Hamas, darunter ihre früheren Selbstmordattentate und das wahllose Abfeuern von Geschossen gegen israelische Zivilist*innen, wurden vom israelischen Regime genutzt, um Unterstützung für staatsterroristische Maßnahmen gegen die Palästinenser*innen zu mobilisieren, nicht zuletzt die Belagerung des Gazastreifens und barbarische Militäroffensiven, bei denen Tausende Palästinenser*innen aller Altersgruppen getötet wurden.

Während der Rückzug aus dem Gazastreifen einer neuen Form einer noch schlimmeren Katastrophe für die dort lebenden Palästinenser*innen wich, wurde er im Westjordanland zum weiteren Ausbau des Siedlungsbetriebs genutzt. Dies ist unter dem Netanjahu-Regime seit seiner Rückkehr an die Macht an der Spitze des Likud im Jahr 2009 ein deutliches Merkmal.

Tod der 'Zwei-Staaten-Lösung'?

De-facto hat Israel die volle direkte Kontrolle über etwa 60% des Westjordanlandes, das zum "Gebiet C" gehört. Auch in den Enklaven der Palästinensischen Autonomiebehörde, in denen sich die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung in verarmten Ghettos in belagerten Städten und Flüchtlingslagern konzentriert, kommt das israelische Militär regelmäßig zum Einsatz, um Razzien und Patrouillen durchzuführen. Doch die Ankündigung der offiziellen Annexion auch nur eines Teils des "Gebiets C" läuft darauf hinaus, eine scheinbar unumkehrbare und entscheidende Einengung des einem palästinensischen Staat vorbehaltenen Gebiets zu erklären. Sie würde die Angriffe des Staates und der Siedler*innen weiter eskalieren mit dem Ziel, die unterdrückte palästinensische Minderheit im "Gebiet C" zu entwurzeln und sie in die Enklaven der PA zu treiben. Sie würde einen Prozess in Gang setzen, der den Weg zu weiteren Annexionen und möglicherweise sogar zu einer Rückkehr der direkten militärischen Besatzung in den Enklaven der PA führen könnte.

Aus der Sicht der israelischen herrschenden Klasse werden die unmittelbaren destabilisierenden Folgewirkungen eines Annexions-Szenarios die Situation in Bezug auf die langfristige Kontrolle der Masse der palästinensischen Bevölkerung weiter in eine strategische Sackgasse treiben. Es würde auch die Möglichkeit einer künftigen Änderung der Strategie der palästinensischen Bewegung erhöhen, die frühere südafrikanische Forderung nach einer Wahl-Gleichheit zu übernehmen. Der israelische Staat, der jahrzehntelang selbst auf einem kleinen Teil des historischen Palästina keinerlei Form eines palästinensischen Staates zugestanden hat, würde sich einem solchen Szenario noch heftiger widersetzen, es als existenzielle Bedrohung darstellen und auf die Mobilisierung der Unterstützung der Masse israelischer Jüd*innen angewiesen sein. Die Hauptströmung der israelischen herrschenden Klasse würde es vorziehen, diesen Punkt nicht zu erreichen und stattdessen einen flexibleren Ansatz für Zugeständnisse bei ihrem Versuch anzuwenden, die Gesamtkontrolle zu stabilisieren.

Es versteht sich von selbst, dass die letzten zwei Jahrzehnte der Gräueltaten während der israelischen Besatzung und des israelisch-palästinensischen Konflikts bei den Massen auf beiden Seiten der Kluft einen verbitterten Pessimismus hinsichtlich des Potenzials für eine Lösung geschürt haben - eine Lösung, die dem Wunsch der Palästinenser*innen nach nationaler Befreiung und dem Wunsch der Massen auf beiden Seiten der Spaltung nach einem Ende des blutigen nationalen Konflikts entspricht.

Die Unterstützung für die Idee einer "Zweistaatenlösung" ist zwar nach wie vor beträchtlich, nimmt aber seit einigen Jahren sowohl bei Palästinenser*innen als auch bei Israelis, insbesondere bei der jüngeren Generation, generell ab. Ein Annexionsschritt wird diesen Trend mit ziemlicher Sicherheit wieder verstärken. So sprachen sich in einer Umfrage des PCPSR im Februar 78% der palästinensischen Korrespondent*innen im Westjordanland und im Gazastreifen dafür aus, auf den Trump-Plan mit "gewaltlosen Volksdemonstrationen" zu reagieren. Gleichzeitig sprachen sich 81% in Gaza und 53% im Westjordanland - insgesamt 64% - für die Durchführung eines bewaffneten Kampfes oder eines bewaffneten Aufstandes aus. Der Widerspruch zwischen der Unterstützung "gewaltloser Aktionen" und dem "bewaffneten Kampf" ist ein langfristiger Trend. Im Großen und Ganzen drücken beide Zahlen Hoffnungen auf die Zunahme des Widerstands in jedweder Form dar. Sie zeigen das Fehlen einer klaren politischen Führung mit einer entschlossenen Strategie und einem schlüssigen Programm zur Überwindung der Besatzung, der nationalen Unterdrückung und des sozialen Elends.

Die Unterstützung für das Konzept der "Zwei-Staaten-Lösung" war in dieser Umfrage mit 38,6% auf dem niedrigsten Stand seit dem Oslo-Abkommen, wobei 59% der Befragten dagegen waren (40,6% "dagegen", 18,5% "stark dagegen"). 61% glaubten, dass dieses Konzept aufgrund der Siedlungen nicht mehr realisierbar sei. Gleichzeitig sprachen sich 59% gegen den Verzicht auf eine "Zwei-Staaten-Lösung" und deren Ersetzung durch eine "Ein-Staaten-Position" aus, im Westjordanland waren 66,6% dagegen. Dies ist ein konstanter Trend.

In der israelischen Bevölkerung, insbesondere unter den Jüd*innen, hat die Ablehnung des Konzepts der "Zwei-Staaten-Lösung" in den letzten zehn Jahren relativ zugenommen, wenngleich die Unterstützung für das Konzept bisher in einer Mehrheit geblieben ist, trotz eines Rückgangs von etwa 69% im Jahr 2012 auf heute etwa 55% (INSS-Umfragedaten).

Es ist die eine Sache, die scheinbaren imperialistischen "Zwei-Staaten"-Pläne, die den Palästinenser*innen in der Vergangenheit diktiert wurden und die nie etwas boten, das einer echten nationalen Befreiung von der Unterdrückung durch den israelischen Staat gleichkam, zurückzuweisen. Es ist eine andere Sache, diesen Schein durch ein übermäßig abstraktes Konzept eines bi-nationalen Staates ersetzen zu wollen.

Millionen von Palästinenser*innen streben nach nationaler Befreiung und Unabhängigkeit von Israel. Es ist erwähnenswert, dass über ein halbes Jahrhundert nach der Besetzung und Annexion Ost-Jerusalems durch Israel die arme palästinensische Mehrheit dort weiterhin Kommunalwahlen boykottiert. Während einige aus praktischen Erwägungen die volle israelische Staatsbürgerschaft beantragt haben, die ohnehin nicht leicht zu erhalten ist, bleibt dies ein marginaler Trend, da die Mehrheit das, was als "Normalisierung" ihrer nationalen Unterwerfung angesehen würde, ablehnt und danach strebt, Bürger*innen eines separaten palästinensischen Staates zu werden. Parallel dazu werden Millionen von israelischen Jüd*innen heftigen Widerstand leisten und gegen die Idee eines Arrangements kämpfen, das ihrer Ansicht nach ihre nationale Selbstbestimmung nicht absichert.

Wenn sich die Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten von 1967 wieder in einem Massenkampf gegen die Besatzung bewegen, wird ihr Ziel wahrscheinlich nicht die Integration in den israelischen Staat sein, sondern seine Zurückdrängung.

Auch wenn die Annexion gefährlich ist und der Bau weiterer Siedlungen abgelehnt werden muss, so ist doch die Vorstellung, dass das Siedlungsunternehmen in dieser Phase und jede teilweise Annexion einen palästinensischen Staat "unpraktisch" machen würde, eine pessimistische Übertreibung. Unter anderem ist die Siedlungsbevölkerung im Westjordanland nach wie vor eine relativ kleine Minderheit und konzentriert sich hauptsächlich auf einige wenige "Blöcke". Die Dekolonisierung der Kolonialsiedlungen könnte letztlich in verschiedenen Formen umgesetzt werden. Abgesehen von der Überwindung und Beseitigung der eifrigen kolonialistischen Elemente und der Enteignung der Industriezonen der Siedlungen ist es zum Beispiel möglich, dass eine Vereinbarung getroffen wird, die es einem Teil der Bevölkerung der Siedlungen, insbesondere den Familien der Arbeiter*innenklasse in größeren Gemeinden, erlaubt, als nationale Minderheit mit garantierten Rechten in nicht segregierten Gemeinden innerhalb eines palästinensischen Staates zu bleiben. Es ist auch möglich, dass einige Gebiete, die heute offiziell zu Israel gehören, im Rahmen einer politischen Vereinbarung Teil eines künftigen palästinensischen Staates sein könnten.

Alle politischen Fragen, die den Kern des nationalen Konflikts ausmachen, könnten möglicherweise auf der Grundlage der Gleichheit der nationalen Rechte unter Vermeidung neuer Ungerechtigkeiten gelöst werden. Die israelische herrschende Klasse wird sich jedoch nicht nur so weit wie möglich gegen jedes substantielle Zugeständnis an die Palästinenser*innen wehren, nicht zuletzt in der heikelsten Frage der Flüchtlinge. Vielmehr ist es eine völlige Fehleinschätzung der Komplexität der Situation, wenn man annimmt, dass irgendein politisches und rechtliches Arrangement an sich ausreichen würde, um die Situation zu lösen.

Ohne die herrschende Klasse, die hinter dieser regionalen Militärmaschinerie steht, zu enteignen und ohne die Ressourcen demokratisch zu nutzen, um die Armut und die massive materielle Ungleichheit zwischen den beiden nationalen Gruppen zu beenden und eine fortschrittliche Infrastruktur aufzubauen, um einen hohen Lebensstandard für alle zu gewährleisten, gibt es keinen Weg zu einer wirklichen Lösung des Konflikts, der in der einen oder anderen Form fortbestehen wird. Eine Lösung ist nur im Rahmen einer regionalen Bewegung für den Sturz der verrotteten Oligarchien und aller Akteure der Reaktion möglich; in einem "sozialistischen Frühling"! Nur in einem solchen Rahmen ist es möglich, die Voraussetzungen für das Absterben nationaler Vorurteile und Spaltungen zu schaffen.

Unter den gegenwärtigen Umständen des Konflikts und der tiefen Spaltung weist ein Programm zweier gleichberechtigter demokratischer sozialistischer Staaten in einer freiwilligen Konföderation mit zwei Hauptstädten in Jerusalem den Weg, um dem gegenwärtigen Misstrauen entgegenzutreten und es der potentiellen Zusammenarbeit im Kampf der Arbeiter*innen und Armen auf beiden Seiten der Spaltung zu ermöglichen, die israelische herrschende Klasse wirksam zu untergraben und herauszufordern.

Die Annexion zu Fall bringen

Die Auswirkungen der sich immer noch ausbreitenden Pandemie und der Wirtschaftskrise hemmen derzeit die Herausbildung von mehr Aufmerksamkeit für das Thema und die Entstehung von Widerstand vor Ort gegen die Annexion. Hinzu kommen Spekulationen darüber, ob Netanjahu seine Drohung tatsächlich wahr machen wird oder nicht. Dies kann sich natürlich in den kommenden Wochen ändern.

Aber schon jetzt besteht die dringendste Aufgabe von Sozialisten*innen angesichts dieser Bedrohung darin, Arbeiter*innen und Jugendliche zu mobilisieren, damit sie maximalen Druck ausüben, um den Plan zum Scheitern zu bringen und die israelische Regierung wirksam zu blockieren, mit Protestaktionen in den besetzten palästinensischen Gebieten, in Israel, in der gesamten Region und weltweit.

In den besetzten Gebieten sollte der täglichen Gefahr einer tödlichen Repression mit der Errichtung demokratischer Aktions- und Verteidigungsausschüsse entgegengewirkt werden.

In Israel sollten gemeinsame Proteste von Jüd*innen und Araber*innen, Israelis und Palästinenser*innen an breitere Teile der Arbeiter*innenklasse appellieren, vor den Auswirkungen warnen und zu einem allgemeinen Kampf gegen die kapitalistische Regierung und ihre arbeiter*innenfeindliche Agenda aufrufen.

Auf internationaler Ebene sollten Gewerkschaften und die Linke Solidaritätsaktionen und Proteste vor israelischen Botschaften und mit Forderungen an die Regierungen mobilisieren, Maßnahmen wie die sofortige Anerkennung eines palästinensischen Staates, den Rückruf von Botschafter*innen aus Israel und die Erklärung, dass Netanjahu eine persona non-grata ist, mit der Verhängung strenger Sanktionen gegen die israelische Besatzung und die israelischen Siedlungen zu ergreifen. Dies sollte die Aussetzung und das Verbot aller möglichen finanziellen und militärischen öffentlichen und privaten Hilfen und Vereinbarungen umfassen, die direkt zur Unterstützung der Besatzung und der Siedlungen verwendet werden können.

Schließlich sollten pro-kapitalistische und rechts-nationalistische Elemente überall dort, wo sie von ihrem eigenen Standpunkt aus in die Bewegung gegen die Annexion eingreifen, nicht als Verbündete der palästinensischen Massen oder der arbeitenden Bevölkerung in der Region gesehen werden. Aktionen gegen die Annexion sollten mit der Aufgabe verbunden werden, Lösungen der Arbeiter*innenklasse und eine sozialistische Alternative angesichts der sich entfaltenden schweren kapitalistischen Krise voranzubringen.

Massenbewegung gegen Rassismus fegt über USA hinweg

Beginnend in Minneapolis in der Nacht, in der George Floyd ermordet wurde, haben Massenproteste und Besetzungen die USA überflutet. Dies markiert eine neue und weitaus weiter entwickelte Phase in der Black Lives Matter-Bewegung.

Um 20.25 Uhr am 25. Mai hörte George Floyd auf zu atmen. Augenblicke später stoppte sein Puls. Es dauerte zwei Minuten, bis der Polizeibeamte von Minneapolis, Derek Chauvin, sein Knie von Floyds Hals entfernte. Weniger als eine Stunde später wurde Floyd für tot erklärt.

Am Tag von George Floyd's Tod befanden wir uns seit mehr als zweieinhalb Monaten im Lockdown. Millionen von Amerikaner*innen hatten durch COVID-19 Angehörige verloren und waren in vielen Fällen gezwungen, in völliger Isolation zu trauern. Dutzende Millionen hatten ihre Arbeit verloren, und viele weitere verloren Arbeitsstunden oder ihren Lohn. Die Juni-Miete rückte immer näher, und wieder wogen Familien ab, ob sie Miete zahlen und Lebensmittel einkaufen konnten oder ob man eines weglassen musste.

All dies hat sich unverhältnismäßig stark auf die schwarze Arbeiter*innenklasse ausgewirkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Schwarze COVID-19 bekommen, ist dreimal so hoch wie bei Weißen. Millionen von schwarzen Arbeiter*innen sind entweder beurlaubt oder entlassen worden, und die Arbeitslosenquote für Schwarze ist die höchste aller Bevölkerungsgruppen.

In diesem Kontext, in einem System im ungebremsten Fall, entzündete der Tod von George Floyd die größte Protestbewegung in den USA seit 50 Jahren.

#Justice4GeorgeFloyd

Beginnend in Minneapolis in der Nacht, in der George Floyd ermordet wurde, haben Massenproteste und Besetzungen die USA überholt. Dies markiert eine neue und weitaus weiter entwickelte Phase in der Black Lives Matter-Bewegung.

Es hat in jedem einzelnen Bundesstaat Demonstrationen gegeben, mit insgesamt mehr Demonstrationen als bei den Frauenmärschen im Januar 2017, die sich auf über 650 beliefen. Weit davon entfernt, auf Großstädte oder nördliche Bundesstaaten beschränkt zu sein, gab es über 100 Proteste im gesamten Süden der USA. Es gipfelte in Massendemonstrationen am Samstag mit Hunderttausenden auf den Straßen von Washington DC und Hunderttausenden in Städten im ganzen Land.

Diese Proteste brodeln vor energischer Wut. Sie wurden vor allem von schwarzen Jugendlichen angeführt, aber die Demonstrierenden sind auffallend multi-ethnisch. Junge Menschen aller Ethnien sehen diesen Kampf auch als ihren eigenen an. Zehntausende zumeist junger Menschen sind Stadt für Stadt mit einer einfachen, übergreifenden Forderung unterwegs gewesen: keine Morde mehr an unschuldigen schwarzen Menschen durch die Polizei und ein Ende der rassistischen Polizeibrutalität generell.

Anders als während der "Black Lives Matter"-Bewegung 2014-2015 hat diese Bewegung in einer Reihe von Städten den Charakter einer umfassenden Rebellion und Besetzung angenommen.

In Minneapolis haben Demonstrierende den Ort des Todes von George Floyd zum Hauptquartier der Bewegung gemacht. Der gesamte Block rund um den Ort, an dem George Floyd ermordet wurde, hat sich in ein permanentes Camp verwandelt.

Auch in Brooklyn sind die Blöcke um das Barclay's Center ein fast ständiges Zuhause für die Demonstrierenden. Fast wie bei einem Schichtwechsel protestieren tagsüber Kinder und Familien, während sie nachts von Jugendlichen und jungen Erwachsenen abgelöst werden.

Trump und "Recht und Ordnung"

Die Verwandlung dieser Proteste in eine breitere Rebellion in einigen Städten ist zum Teil auf die brutale Antwort der Polizei auf frühe Demonstrationen zurückzuführen. Sie setzten wiederholt Tränengas, Gummigeschosse, Schlagstöcke ins Gesicht und – in einigen wenigen Fällen – direktes Hineinfahren in die Menschenmengen ein, und das gegen friedliche Proteste.

Die Stadträtin Kshama Sawant der Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SAV in den USA) hat im Stadtrat von Seattle ein Gesetz eingebracht, das den Einsatz von chemischen Waffen (Tränengas, Pfefferspray, Reizgas), Gummigeschossen/Gummiballgranaten/Beanbag-Geschossen, Wasserwerfern und Schallwaffen verbietet. Diese Forderung ist inzwischen weitgehend viral gegangen und zeigt die wichtige Rolle, die sozialistische Mandatsträger*innen spielen können.

So brutal die Unterdrückung durch die Polizei auch war, sie kann der Brutalität nicht das Wasser reichen, die Trump sich für die Demonstrierenden wünscht. Er hat die Gouverneure gedrängt, die Demonstrierenden zu "dominieren", und hat erklärt: "Wenn Plünderungen beginnen, wird geschossen". Er hat das US-Militär nach Washington DC geschickt und damit gedroht, weitere Truppen in andere Städte zu entsenden, um die Bewegung niederzuschlagen. Er wies die Polizei und die Nationalgarde an, einen friedlichen Protest vor dem Weißen Haus mit Tränengas zu unterdrücken, um den Weg für seine Fotoaufnahmen mit einer Bibel in der Hand vor der St. John's Kirche freizumachen.

Trump hat keine breite Unterstützung für seine autoritären Drohungen in der amerikanischen Öffentlichkeit und nicht einmal innerhalb seiner eigenen Regierung gefunden, da hochrangige Offiziere den Einsatz des Militärs ablehnten. Gegenwärtig betrachten 62% der Amerikaner*innen die Proteste als legitim. Noch überraschender für das Establishment ist, dass 54% der Amerikaner*innen glauben, dass das Niederbrennen der Polizeistation des dritten Bezirks in Minneapolis legitim war.

Trumps Vorgehen sowie die gewaltsame Reaktion der Polizei auf die Proteste haben die Situation nur noch verschärft. Trump versucht, sich mit seiner brutalen Reaktion als "Präsident von Recht und Ordnung" neu zu profilieren. Er scheint auf Richard Nixon zurückgreifen zu wollen, der 1968 die Wahl gewann und auf der gleichen Agenda von "Recht und Ordnung" verfolgte. Doch der Kontext ist ein völlig anderer. Im Jahr 1968 war Nixon der Herausforderer, während Lyndon Johnson und die Demokraten den Vorsitz über das Debakel in Vietnam und die massiven Unruhen führten. Politisch gesehen hat Trumps Ansatz Biden Vorteile gebracht, der in nationalen Umfragen deutlich führt. 

Demokraten entlarvt

Auf nationaler Ebene hat die Demokratische Partei Lippenbekenntnisse für die Bewegung abgegeben. Doch gleichzeitig verhängen demokratische Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen im ganzen Land Ausgangssperren, genehmigen massive Ausgaben für die Polizei bei gleichzeitigem Abbau sozialer Dienstleistungen, und leugnen die Gewalt ihrer eigenen Polizeikräfte.

Skandalöserweise wiederholten viele demokratische Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen die Erzählung von Trump und Generalstaatsanwalt Barr, dass Konfrontationen mit der Polizei und Plünderungen das Werk "externer Agitatoren" seien. Trump dröhnte gegen Anarchist*innen und „die Antifa“ und sagte einmal sogar, er würde letztere zu einer "terroristischen Organisation" erklären. Die Demokraten, insbesondere in Minneapolis, verbreiteten Angst und Fehlinformationen über eine Welle weißer Rassist*innen, die die Demonstrationen stören wollten. Es wurden so gut wie keine Fakten vorgebracht, um diese Erzählungen zu untermauern, die die Aufmerksamkeit von Polizeigewalt ablenken und weitere Repressionen rechtfertigen sollten.

Der Redaktionsausschuss der New York Times veröffentlichte am Freitag eine vernichtende Stellungnahme, in der das dramatische Versagen des New Yorker Bürgermeisters Bill DeBlasio ausführlich beschrieben wurde, der während seiner Kandidatur 2014  versprochen hatte, er werde die Polizeiarbeit reformieren, sowie das Versagen von Gouverneur Andrew Cuomo,  den Bedürfnissen dieses Augenblicks gerecht zu werden.

Die NY Times schrieb: "Welche dringenden Aufgaben haben diese beiden Beamten so sehr beschäftigt, dass sie nicht die Zeit haben, dafür zu sorgen, dass die Sicherheit der New Yorker geschützt und die Rechte der New Yorker respektiert werden? Wie ist es möglich, dass sie sich nach so vielen Berichten über polizeiliches Fehlverhalten immer noch nicht die Mühe machen, die Polizei zu überwachen?“

Dies spiegelt die Spaltungen im Establishment wider, wobei ein Teil der Beamten beginnt, auf ernsthaftere Reformen der Polizeiarbeit zu drängen. In New York haben die Staatsanwaltschaften von Manhattan und Brooklyn erklärt, dass sie die vielen hundert wegen "unrechtmäßiger Versammlung" und "ungebührlichen Verhaltens" verhafteten Personen nicht strafrechtlich verfolgen würden.

In Seattle herrscht eine ungeheur machtvolle Stimmung, die demokratische Bürgermeisterin Jenny Durkan aus dem Amt zu treiben, aufgrund ihrer Unfähigkeit, Polizeibeamte, welche Demonstrierende terrorisierten, zu kontrollieren. Kshama Sawant hat sich diesem Aufruf angeschlossen und offiziell den Rücktritt Durkans gefordert.

Einige Stadtratsmitglieder in Minneapolis haben mutige Versprechungen zur Abschaffung der Polizei gemacht. Zweifellos wird es als Reaktion auf den Druck der Bewegung Reformen in der Polizeiarbeit geben. Doch in einer Welt, in der acht Milliardäre so viel Reichtum besitzen wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung und in der aktuell 40 Millionen Amerikaner*innen arbeitslos sind, wird sich der Staat zur Aufrechterhaltung der Ordnung immer auf irgendeine Art repressiver Gewalt verlassen. Sozialist*innen argumentieren, dass eine Welt ohne Polizei nur auf einem Fundament von garantierten Arbeitsplätzen, Wohnraum, Gesundheitswesen, Schulen und demokratischer Kontrolle der Ressourcen der Gesellschaft aufgebaut werden kann.

Leider ist Bernie Sanders während dieser Revolte weitgehend abwesend gewesen. Dies ist nur eine weitere Bestätigung für die schrecklichen Folgen seiner vollständigen Kapitulation vor dem Establishment der Demokratischen Partei. Wäre er im Rennen geblieben, hätte er mit seiner Kampagne dazu beitragen können, einen entscheidenden Wandel durchzusetzen.

Diese Bewegung hat zweifellos die Autorität der Demokratischen Partei geschwächt, da man gesehen hat, wie Schlüsselfiguren Angst schürten und weitere Eskalationen der Polizeigewalt ermöglichten und entschuldigten. Aber ein Teil der Partei arbeitet hart daran, die Bewegung zu vereinnahmen.

Eine Ausnahme im Gesamtbild der Demokraten ist die Stärkung von Bidens Kampagne. Dies ist jedoch in erster Linie auf die breite Ablehnung von Trumps gefährlichem Autoritarismus zurückzuführen. Während Biden ein wenig aus seiner Deckung gekommen ist, um Trump anzugreifen, hat er erst vor zwei Wochen skandalöserweise gesagt: „Wer Trump unterstützt, ist nicht schwarz.“

Den Kampf organisieren

Diese Bewegung hat bereits die Entlassung, die Verhaftung und die Anklageerhebung gegen alle vier an der Ermordung von George Floyd beteiligten Polizisten gewonnen. Dies war bei weitem nicht selbstverstädnlich und wurde durch die Ausdauer und Entschlossenheit der Demonstrierenden im ganzen Land - vor allem aber in Minneapolis - herbeigeführt.

Wir müssen diese Dynamik unbedingt nutzen, um die Bewegung weiter aufzubauen. Hier sind die nächsten Schritte, die die Socialist Alternative der Bewegung vorschlägt:

Forderungen: Wir brauchen möglichst konkrete Forderungen sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene. Aufrufe zur Entziehung der Finanzierung und Umstrukturierung von Polizeidienststellen im ganzen Land haben an Kraft gewonnen, wobei einige Städte wie LA sogar schon Schritte zur Kürzung der Polizeifinanzierung unternommen haben. Städte im ganzen Land geben unangemessen hohe Beträge für die Polizei aus. Kshama Sawant hat gefordert, den Polizeihaushalt von Seattle um die Hälfte zu kürzen. Socialist Alternative unterstützt die Umverteilung erheblicher Teile des Polizeibudgets in die Bereiche Wohnen, Bildung und Gesundheitsversorgung.

Wir brauchen auch eine Säuberung der Polizeikräfte im ganzen Land. Jede*r Polizist*in mit einer Vorgeschichte bezüglich Rassismus, Sexismus oder Gewalt sollte sofort entlassen werden. Dies sollte von demokratisch rechenschaftspflichtigen Aufsichtsgremien der Gemeinden durchgeführt werden.

Unsere Forderungen müssen das Ausmaß der Krise widerspiegeln, mit der die arbeitenden Menschen konfrontiert sind. Auch wenn der Ausgangspunkt für diese Forderungen zweifellos speziell auf die Bekämpfung rassistischer Polizeibrutalität ausgerichtet ist, sollten wir uns nicht darauf beschränken. Die steigenden Mietkosten, die anhaltend niedrigen Löhne und unser völlig unzureichendes Gesundheitssystem wirken sich alle unverhältnismäßig stark auf schwarze Amerikaner*innen aus. Wir befinden uns mitten in einer Pandemie und im Anfangsstadium einer globalen Wirtschaftsdepression.

Die Arbeiter*innenbewegung sollte sich beteiligen: Der Kampf gegen den Rassismus erfordert die Beteiligung der gesamten Arbeiter*innenklasse. Das Motto der Arbeiter*innenbewegung lautet: "Ein Angriff auf eine*n von uns ist ein Angriff auf alle". Die Gewerkschaften müssen dringend ihre Beteiligung an den Protesten organisieren. Dies kann in Form von neunminütigen Solidaritätsstreiks anlässlich der neun Minuten geschehen, in denen Derek Chauvin sein Knie auf George Floyd's Hals gedrückt hatte. Dazu kann auch gehören, die Verteidigung der Demonstrationen gegen Polizeigewalt zu organisieren, Gewerkschaftshallen in Depots für die Protestierenden umzuwandeln, damit sie sich mit Vorräten und Schutzausrüstung versorgen können, sowie Kontingente für die tägliche Teilnahme an Märschen und Protesten zu bilden. In Minneapolis hat die Socialist Alternative dazu aufgerufen, in Solidarität mit der Bewegung einen eintägigen lokalen Generalstreik vorzubereiten und ein Ende der Besetzung der Stadt durch die Nationalgarde zu fordern.

Strukturen: Die Bewegung in jeder Stadt braucht Strukturen, damit wir die nächsten Schritte besprechen können. Zu Beginn sollte es tägliche Treffen unter freiem Himmel geben, bei denen wir uns über Pläne für den Tag informieren und Fehler beheben können. Wenn die Bewegung in diesem Tempo weitergehen sollte, müssten diese Treffen in formelle Organisationsgremien mit Vertreter*innen der teilnehmenden Organisationen umgewandelt werden. Wir brauchen auch sichere Online-Foren für eine schnelle Kommunikation.

Verteidigung: Wir brauchen bei jeder Demonstration ein ernanntes, multi-ethnisches Verteidigungsteam, das vor unsozialen und kriminellen, die Situation ausnutzenden Kräften schützen kann. Dies geschieht nicht aus moralischen Bedenken zum Schutz von Privateigentum, sondern um zu verhindern, dass Menschen Taktiken anwenden, die die breitere Unterstützung für die Bewegung untergraben könnten.

"Ein Angriff auf eine*n von uns ist ein Angriff auf alle"

Ein wichtiger Teil der Arbeiter*innenbewegung hat dieser Revolte bereits ihren Stempel aufgedrückt. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die sozialistisch geführte Busfahrer*innengewerkschaft in Minneapolis, die sich bereits in der ersten Nacht der Demonstrationen weigerte, die Demonstrierenden ins Gefängnis zu bringen. Dies breitete sich rasch auf New York City und Washington D.C. (neben anderen Städten) aus, wo die Verkehrsbetriebe eine ähnliche Haltung eingenommen haben.

Am 11. Tag der Demonstrationen knieten Pflegekräfte im ganzen Land in Solidarität mit Black Lives Matter auf dem Rasen ihrer Krankenhäuser nieder. Die rückwärtsgewandten Prioritäten unseres Systems waren diesen Krankenpfleger*innen ins Gesicht geschrieben, die durch eine Pandemie gezwungen wordensind , mit Müllsäcken zu arbeiten, während draußen vor ihrem Fenster die Polizei in voller Kampfausrüstung durch die Straßen marschiert.

Als die erste Woche der Proteste zu Ende ging, begannen die Beschäftigten in Lebensmittelgeschäften in Minneapolis damit, Streiks und Arbeitsniederlegungen zur Unterstützung der Bewegung zu organisieren. Am 5. Juni sorgte eine Lebensmittelarbeiterin, die auch Mitglied der Sozialistischen Alternative in Minneapolis ist, dafür dass ihre gesamte Schicht den Arbeitsplatz verließ. Sie marschierten an die Vorderseite ihres Geschäfts, wo sie 8 Minuten und 45 Sekunden lang Sprechchöre riefen und Schilder hochhielten, bevor sie zur Arbeit zurückkehrten. Darüber hinaus leiteten Mitglieder der Socialist Alternative, die im Postamt von Minneapolis arbeiten, eine Solidaritätskundgebung mit 60 Postangestellten an. Sie marschierten von ihrer ausgebrannten Arbeitsstelle zur Besetzung und erklärten mutig, dass ein Gebäude immer wieder aufgebaut werden kann, wohingegen das Leben eines von der Polizei ermordeten Menschen nicht wiederaufgebaut werden kann.

Während die Märsche durch die großen Straßen und Autobahnen des Landes führen, werden einige der lautesten Jubelrufe durch Demonstrierende von einem einfachen Akt der Solidarität anderer gewöhnlicher Arbeiter*innen ausgelöst. Jedes Mal, wenn in New York ein*e Busfahrer*in, Taxifahrer*in oder Lieferwagenfahrer*in zur Unterstützung der Proteste hupt, bricht die Menge in stolzen Jubel aus. 

Das Potenzial für organisierte Solidarität seitens der breiteren Arbeiter*innenbewegung ist immens. Allerdings hat sich die bestehende Führung der meisten großen Gewerkschaften – wieder einmal – als völlig unzureichend erwiesen. In einer von der AFL-CIO veranstalteten Pressekonferenz hatte die Führung einiger der größten Gewerkschaften des Landes kaum mehr zu sagen als: "Rassismus ist schlecht, Trump ist schlecht, bitte gehen Sie wählen". Das ist völlig unbefriedigend. Die Anliegen der Bewegung können nicht bis November warten. Wenn die bestehende Gewerkschaftsführung nicht in der Lage ist, ihre Mitglieder im Kampf gegen den Rassismus voll zu mobilisieren, dann brauchen wir eine neue Führung. Wir brauchen die kämpferischsten und bereitwilligsten Elemente in der Arbeiter*innenbewegung, die sich organisieren, um die Gewerkschaften als echte Kampforganisationen zurückzufordern.

Die Notwendigkeit wirksamer Taktiken

In einigen Städten sind die Proteste vorübergehend in eine Arte "Riot Modus" ausgebrochen, wobei Polizeiautos (und im Fall von Minneapolis ganze Polizeireviere) niedergebrannt wurden. Eine sehr kleine Minderheit der Protestierenden hat antisoziales Verhalten wie Plünderungen an den Tag gelegt. In einigen Fällen sind diese Plünderungen deutlicher auf Armut zurückzuführen, und es wird berichtet, dass Eltern Essen und Windeln mitnehmen. In anderen Fällen sind es jedoch Menschen, die das Chaos opportunistisch ausnutzen. 

Die Wut, die hinter den Ausschreitungen steckt, ist nicht nur verständlich, sondern auch positiv. Wir sollten wütend sein. Es gibt viel, über das man wütend sein kann. Wir müssen jedoch strategisch vorgehen, um diese Wut zu kanalisieren. In Abwesenheit demokratischer Strukturen für die Bewegung zum Debattieren des weiteren Vorgehens werden die Menschen eine ganze Reihe von Taktiken anwenden - einige effektiv und andere nicht.

Um aus dieser Rebellion eine anhaltende Massenbewegung zu machen, die in der Lage ist, einen dauerhaften Wandel herbeizuführen, müssen auf lokaler und nationaler Ebene demokratische Strukturen aufgebaut werden, um Strategie und Taktik der Bewegung zu koordinieren. Die Taktiken sollten mit dem Ziel beschlossen werden, weitere Teile der Arbeiter*innenklasse in den Kampf einzubinden.

"Das ganze beschissene System ist verdammt nochmal schuldig"

Im ganzen Land strömen derzeit Menschen auf die Straßen, die über den grassierenden Rassismus in unserer Gesellschaft wütend sind. Doch schon aus einer Meile Entfernung ist klar, dass die Wut viel tiefer sitzt. Sie hängt wie eine Wolke über den Demonstrationen. Für viele Demonstrierende, die Gerechtigkeit für George Floyd fordern, ist es offensichtlich, dass unser gesamtes wirtschaftliches und politisches System kaputt ist.

Während die Black Lives Matter-Demonstrationen in den Jahren 2014-2015 vor allem bei schwarzen Jugendlichen das Gefühl zum Ausdruck brachten, dass das gesamte System gegen sie gerichtet ist - hat sich dies nun noch ausgeweitet, da Millionen weiter in Armut versinken.

Der gestärkte Wunsch nach ernsthaften Veränderungen an allen Fronten, die notwendig sind, kann nicht von den allgemeineren Bedingungen getrennt werden, mit denen wir konfrontiert sind. Junge Menschen und Menschen aller Ethnien aus der Arbeiter*innenklasse verlieren Menschen, die sie lieben, an einen Virus, der hätte eingedämmt werden können. Gleichzeitig sehen sie zu, wie ihre Schulden steigen, ihre Löhne gekürzt werden, ihre Arbeitsplätze verloren gehen, und fragen sich: Gibt es einen Weg nach vorn?

Die Antwort ist ein klares Ja, aber wir müssen dafür kämpfen. Wir müssen im Hier und Jetzt für eine vollständige Überarbeitung der Polizeiarbeit, für sichere und stabile Wohnungen und Gesundheitsfürsorge, für Beschäftigungsprogramme sowie für voll finanzierte Bildungs- und Sozialdienste kämpfen.

Aber wir können diese Reformen auch nicht als Endziel betrachten. Unser Projekt muss darin bestehen, eine multi-ethnische Bewegung der Arbeiter*innenklasse zu schaffen, um dem System des Kapitalismus ein Ende zu setzen - dem System, das die Basis unserer Gesellschaft bildet.

Unsere politischen Institutionen - einschließlich der Polizei - existieren, um die Interessen der kapitalistischen herrschenden Klasse zu verteidigen, nicht die der arbeitenden Menschen. Wenn wir den jahrhundertelangen anti-schwarzen Rassismus und alle anderen Formen der Unterdrückung wirklich überwinden wollen, brauchen wir ein völlig neues System. Eines, das Spaltung, mörderischen Wettbewerb und das Horten von Ressourcen nicht belohnt, sondern echte Solidarität, Zusammenarbeit und eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums belohnt, eine sozialistische Gesellschaft.

Von Totgesagten, Stehaufmännchen und Zombies

Sonja Grusch

Die EU hantelt sich von Krise zu Krise. Sie wird auch die aktuelle überstehen – und gleichzeitig auch nicht. Auf Dauer konnte das Projekt EU nicht funktionieren, weil es die Regierungen jedes Landes daran hindert, im Krisenfall das Optimum für den eigenen Wirtschaftsstandort zu tun (Stichwort: Abwertung, Subventionen, Steuergeschenke, Zerschlagung von Umwelt- und Arbeitsstandards). Diese Widersprüche waren immer da, konnten aber im Zaum gehalten werden, solange das “gemeinsame” Interesse größer war. Doch nun stehen wir am Beginn einer dramatischen Wirtschaftskrise. Die Widersprüche werden schlagend. Daran ändern Konferenzen, Deals und Maßnahmenpakete nichts Grundlegendes. Die EU ist ein Minenfeld: Hilfszahlungen oder Kredite? Mit oder ohne Bedingungen? Und wo soll das Geld dafür herkommen? Wer hat in der Re-Industrialisierung die Nase vorne? Anlehnen an China, Russland oder doch die USA? Wie stark soll der Euro sein?

Die verkündeten EU-Maßnahmen sind v.a. eine Kombination von neuen Mascherln auf alten Töpfen und neuen Krediten, die dann aber auch zurückgezahlt werden müssen. Und viel ist noch offen – muss also noch verhandelt werden. Und da werden die Konflikte zunehmen. Nein, die EU wird daran nicht sofort zerbrechen. Aber der Riss zwischen in der bisherigen Achse Deutschland-Frankreich ist trotz jüngstem Pakt zwischen Marcron und Merkel nur schwer zu übersehen. In der zweiten Jahreshälfte wird Deutschland der EU vorstehen, dazu kommt Kommisionspräsidentin Von der Leyen – der Europäischen Zentralbank aber steht eine Französin vor. Viel weiterer Sprengstoff liegt in dieser Konstellation. Denn bürgerliche Politiker*innen und Regierungen haben eine zentrale Aufgabe: das beste für “ihr” Kapital rauszuholen. Gegen die Arbeiter*innenklasse sowieso, und notfalls auch gegen das Kapital anderer Staaten. Die Spiele sind eröffnet….

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

50.000 gegen Rassismus und Polizeigewalt

Bis zu 50.000, vor allem junge Menschen, haben gestern in Wien in Solidarität mit den Protesten in den USA demonstriert. Die Stimmung war beeindruckend kämpferisch und entschlossen. Wir waren mit einem lautstarken Block dabei und haben vor allem betont, dass wir rassistische Gewalt auch in Österreich bekämpfen müssen. Auch hier ermordet die Polizei Schwarze und Geflüchtete. Den alltäglichen staatlichen Rassismus spürten während der Corona-Ausgangsbeschränkungen vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund, die am stärksten von der Repression betroffen waren.

Hier der Text des Flyers, den wir verteilt haben:

"You can't have capitalism without racism" - Malcolm X

Die Ermordung von George Floyd durch die Polizei von Minneapolis hat die größten antirassistischen Proteste in den USA seit der Bürger*innenrechtsbewegung ausgelöst. Die Wut über die tägliche rassistische Polizeigewalt, aber auch über 100.000 Tote durch das Coronavirus und über 40 Millionen, die durch die aktuelle Krise bereits arbeitslos wurden, entlädt sich nun in einer Rebellion von unten. In den USA, der Hochburg des Kapitalismus, zeigt sich, wie brutal und verrottet dieses System ist - und wie tief der Rassismus darin verwurzelt ist.

Doch das ist hierzulande nicht anders. Die Morde an Marcus Omofuma und Seibane Wague sind nur zwei Beispiele für den systemischen Rassismus im österreichischen Staatsapparat. Ja, FPÖ und ÖVP sind offen rassistisch - doch es ist pure Heuchelei, wenn Vertreter*innen von SPÖ und Grünen jetzt mit dem Finger auf die USA zeigen und sich antirassistisch präsentieren. Die SPÖ hat jahrzehntelang an der Regierung den staatlichen Rassismus mitorganisiert. Sie hat das Asylrecht eingeschränkt. Sie hat die “Obergrenzen” eingeführt. Das Regierungsprogramm, auf dem die Grünen stehen, sieht den Kampf gegen “illegale Migration” genauso vor wie die “Sicherungshaft ”. Alle Parteien, die auf dem Boden des Kapitalismus stehen, machen rassistische Politik.

Die Bewegung in den USA sollte uns allen ein Vorbild sein: Der furchtlose Widerstand gegen die Polizeirepression, die mutige und off ensive kollektive Aktion, und vor allem die Solidarität der Basis der organisierten Arbeiter*innenbewegung. Ein Busfahrer in Minneapolis wurde über Nacht weltbekannt, nachdem er sich weigerte, verhaft ete Demonstrant*innen ins Gefängnis zu transportieren. Dieser Busfahrer ist Mitglied von Socialist Alternative, der US-Schwesterorganisation der SLP. Seine Gewerkschaft , die ATU, griff sein Beispiel auf, woraufh in sich auch in New York Busfahrer*innen weigerten, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Zahlreiche andere Gewerkschaft en zeigen sich mit der Bewegung aktiv solidarisch. Es ist gut, wenn der ÖGB sich nun im Internet ebenfalls solidarisiert - doch er hat es jahrzehntelang verabsäumt, einen konsequenten Kampf gegen die rassistische Spaltung der Arbeiter* innenschaft zu führen. Den schönen Worten über die USA müssen nun Taten in Österreich folgen!

Die Macht der organisierten Arbeiter*innenklasse in all ihrer Vielfalt ist die einzige gesellschaft liche Kraft , die dieses rassistische System tatsächlich bezwingen kann: Durch Mobilisierungen, Streiks, Besetzungen, organisierte Selbstverteidigung und den Aufb au einer politischen Kraft , die konsequent auf der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten ist: eine revolutionäre, sozialistische Kraft . Dafür kämpfen Socialist Alternative in den USA, die SLP in Österreich und unsere Schwesterorganisationen der ISA in über 30 anderen Ländern. Werde auch du Teil nicht nur des Widerstands, sondern der Revolution!

Auf der Rückseite verbreiteten wir einen Aufruf unserer US-Schwesterorganisation Socialist Alternative:

#JusticeForGeorgeFloyd

We need mass, coordinated protests and days of action which are prepared to resist attempts by the military to suppress the demonstrations. The wider working class, and especially the labor movement, should fully mobilize its membership to these actions, and should find ways to disrupt the military’s use of our workplaces to suppress calls for justices. If the violence at the hands of the military are any indication of what’s coming, with community members being shot with rubber bullets for simply standing on their porch, unions should also make immediate preparations for a one day general strike.

 

Socialist Alternative calls for:

  • One Down, Three to Go – Immediately prosecute all four killer cops. 

  • National Guard Out – So far the National Guard presence has achieved nothing but terrorizing working class communities, injuring journalists covering non-violent protests, and protecting banks and police precincts. Time to go!

  • Expand The Struggle – Mass, coordinated protests and national days of action for #JusticeForGeorgeFloyd. 

  • An Injury to One Is an Injury to All – Unions should fully mobilize their memberships to the protests, assist with solidarity contingents to protect the protests, and lay plans for a one day general strike. 

  • Community Councils – Organize community councils to discuss next steps, protect against the threat emboldened vigilante violence as well as the National Guard, and distribute aid and resources.

  • No Trust in Minneapolis Mayor Frey – Launch an elected community-led restructuring of the Minneapolis Police Department, including an elected civilian board with real teeth, including over hiring, firing, reviewing budget priorities, and the power to subpoena. Spread this model nationally. 

  • Fund Schools and Affordable Housing, not the Police – Police violence is part and parcel of the capitalist system, which rests on structural racism and inequality. Tax the rich to invest in green jobs, social programs, public education, and permanently affordable social housing.

  • The Whole System is Guilty – Malcolm X said: “You can’t have capitalism without racism.” To win lasting change, the fight against police racism and the corporate political establishment must be expanded into a fight against the capitalist system itself. Join Socialist Alternative today!

Hongkong: „Dies ist die "letzte Schlacht" und es gibt nichts zu verlieren“

Interview von Per Olsson von Offensiv (sozialistische Wochenzeitungn Schweden) mit Dikang (Socialist Action - ISA in Hongkong) zu den jüngsten dramatischen Ereignissen.

Per Olsson (P.O.): Das neue Nationale Sicherheitsgesetz scheint in Hongkong das Blatt zu wenden; glaubst du, dass es eine Protestbewegung provozieren wird, die noch größer ist als im vergangenen Jahr? Welche Schritte sind aus der Sicht von Socialist Action nötig, um die gegenwärtige Bewegung anzukurbeln und eine Bewegung aufzubauen, die dieses neue drakonische Gesetz besiegen kann?

 

Dikang: Das Gesetz markiert das Ende der Teilautonomie Hongkongs. In der Praxis kann die chinesische Diktatur nun jede beliebige Oppositionsgruppe markieren, wie sie es auch auf dem chinesischen Festland tut. Sie muss sich nicht an die örtlichen Gesetze halten, sondern kann diese Gesetze an die Situation anpassen. Ihr Ziel ist es, den Kampf für Demokratie in Hongkong zu zerschlagen.

Ob jetzt eine größere Protestbewegung entsteht, hängt von vielen Faktoren ab. Die Situation ist sehr kompliziert. Die Diktatur nutzt die Pandemie aus, Versammlungen von mehr als acht Personen sind aus gesundheitlichen Gründen verboten, und die Menschen sind vor großen Menschenmassen eher misstrauisch. Tatsächlich waren die meisten Demonstrationen in Hongkong bereits im vergangenen Jahr, ab Oktober, verboten. Jetzt sind alle Proteste illegal, und die Polizei ist besser vorbereitet und verfügt über ausgefeiltere Taktiken, um die Proteste schnell aufzulösen.

Die Wut in der Gesellschaft ist groß. Eine Online-Umfrage ergab bei 370.000 Menschen, dass 98,6 % gegen das neue Gesetz sind. Etwa 70% sagten, es werde keine Auswirkungen auf Proteste gegen die Regierung haben. Die Stimmung ist, dass dies nun die "letzte Schlacht" ist und es nichts zu verlieren gibt. Aber es herrscht auch Frustration darüber, dass nach der gigantischen Bewegung im letzten Jahr, bei der jeder Vierte auf der Straße war, gelegentlich bis zu zwei Millionen Menschen, und nach solch erbittertem Widerstand, sich die Diktatur nicht bewegt hat. Sie greift zu noch größerer Repression. Die Mängel zu beheben - taktisch und in Bezug auf Programm und Ausrichtung - war der Hauptschwerpunkt des Engagements von Socialist Action in der Bewegung.

Die Bewegung kann gewinnen, wenn sie Methoden der Arbeiter*innenklasse übernimmt, Arbeiter*innenorganisationen wie Gewerkschaften aufbaut und die Notwendigkeit demokratischer Rechte mit der Notwendigkeit eines dringend notwendigen wirtschaftlichen und sozialen Wandels verbindet, um uns vom zusammenbrechenden Kapitalismus zu befreien. Die wichtigste Zutat für eine siegreiche Bewegung ist es, die Unterstützung der Beschäftigten auf dem chinesischen Festland und auch weltweit zu gewinnen. Die derzeitigen Proteste in Hongkong können das nicht tun, weil sie leider zu sehr nach innen gerichtet sind - sie sehen nicht das unglaubliche Potenzial der chinesischen Bevölkerung. Deshalb - und das ist möglich - muss sich der Kampf neu erfinden, die Richtung ändern, um zu gewinnen.

 

P. O.: "Kaiser" Xi Jinping befindet sich in einer historischen Krise, und dennoch scheint das Regime entschlossen zu sein, dieses neue Gesetz durchzusetzen und die besondere Art der Autonomie Hongkongs zu beenden. Was sind die Hauptgründe? Warum ist das Regime angesichts aller Risiken die damit verbunden sind bereit, die Politik "ein Land, zwei Systeme" zu beenden?

Dikang: Es zeigt, wie tief die Krise in China geworden ist. Sie fand bereits vor der Pandemie statt. Die Pandemie hat Prozesse beschleunigt, international und in China. Die Wirtschaft hat sich seit einigen Jahren verlangsamt; die BIP-Zahlen wurden geschönt, hier und da ein paar Punkte hinzugefügt, um sie besser aussehen zu lassen. Der Handelskrieg zwischen den USA und China hat einen hohen Tribut gefordert und Beijing wirklich alarmiert, dass die USA das Land unter geopolitische Quarantäne stellen wollen. Die Entwicklungen im Hongkong und auch Taiwan im vergangenen Jahr waren aus Beijings Sicht katastrophal - es verliert die Kontrolle.

Trotz der erheblichen Gefahren und Kosten, die sich aus dem neuen Gesetz ergeben, das faktisch bedeutet, die direkte Kontrolle über Hongkong zu übernehmen und alle möglichen Versprechen der Vergangenheit zu brechen, hat die Diktatur also das Gefühl, keine andere Wahl zu haben. Sie würde lieber diese neuen Kosten und Gefahren auf sich nehmen, als die Kontrolle zu verlieren. Dennoch glauben wir nicht, dass dies gelingen wird. Die Diktatur sitzt auf einer sozialen, politischen und wirtschaftlichen Zeitbombe. Sie kann kurzfristige Maßnahmen ergreifen, die ihre Herrschaft zu stärken scheinen, aber diese schlagen zurück und schaffen noch größere Probleme in der Zukunft.

Genau das ist mit den Konjunkturpaketen Beijings nach der Großen Rezession 2008/2009 geschehen. Es schien eine sehr mutige und entschlossene Aktion zu sein. Aber es hat dazu beigetragen dass die Schulden explodierten, und heute fällt auf, dass China während der Corona-Krise sehr sparsam mit seinen Konjunkturmaßnahmen umgeht. Die USA, Deutschland, Japan und Frankreich haben beispiellose Maßnahmen in Höhe von mehr als 10 Prozent ihres jeweiligen BIP eingeleitet. Chinas Maßnahmen belaufen sich bisher nur auf 2,6 Prozent des BIP.

P. O.: Das Nationale Sicherheitsgesetz wird weltweit enorme Auswirkungen haben. Wie wird es sich auf den neuen Kalten Krieg zwischen China und den USA auswirken? Wird es neue Zölle und Sanktionen geben?

Dikang: Sanktionen durch die USA sind sehr wahrscheinlich. Vermutlich werden sie zumindest die US-Gesetzgebung von 1992 aussetzen, die Hongkong einen besonderen Handelsstatus einräumt. Hongkong wird dann - in Bezug auf den Handel - nur noch eine weitere chinesische Stadt sein.

Obwohl wir es noch nicht wissen, könnte die EU diesem Beispiel folgen. Die EU und insbesondere Deutschland haben schon früher versucht, im US-China-Konflikt einen Ausgleich zu schaffen, ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund zu stellen, aber jetzt reihen sich die meisten westlichen Regierungen in einem eher lockeren und intern konfliktreichen Anti-China-Block ein. Dabei geht es nicht nur um Hongkong, sondern auch um andere Themen wie Huawei und Technologie. Sie blockieren chinesische Unternehmen bei der Übernahme von Konzernen in der EU. Die Pandemie hat andere kapitalistische Regierungen näher an die Position der USA herangeführt, dass China eingedämmt und zurückgedrängt werden muss. Historisch gesehen haben solche imperialistischen Konflikte in der Regel zu Krieg geführt. Diesmal ist es ein Wirtschaftskrieg.

Sogar Australien, das China zu seinem bei weitem größten Exportmarkt zählt, ist mit Beijing wegen Canberras Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung des Coronavirus-Ausbruchs zusammengestoßen. Das chinesische Regime hat mit Vergeltungsmaßnahmen auf die australischen Gerste- und Rindfleischimporte reagiert.

Wahrscheinlich unterschätzten Xi Jinping und die herrschende Clique das Ausmaß der Vergeltungsmaßnahmen, die über Hongkong verhängt wurden. Trump kümmert sich instinktiv nicht um Hongkong; ihm sind die demokratischen Rechte offensichtlich egal. Aber sein Wahlkampf steckt in einer Krise wegen der Pandemie, die inzwischen fast so viele Amerikaner*innen getötet hat wie im Ersten Weltkrieg. Deshalb wird er Druck verspüren, zu zeigen, dass er gegen China "hart" bleibt.

P. O.: Was werden die Auswirkungen in Asien auf die Beziehungen Chinas zu seinen Nachbarländern sein? Könnten die USA dies sogar nutzen, um den globalen Status Taiwans zu stärken? Werden die vom Westen ergriffenen Maßnahmen in Hongkong Unterstützung finden? Wird es jetzt noch größere Illusionen im Westen geben?

Dikang: China wird versuchen, sich gegen die Gegenreaktion des Westens abzusichern, indem es seinen Versuch, einen asiatischen Handelsblock, das RCEP, aufzubauen, beschleunigt und auch die Neue Seidenstraße ("Belt and Road Initiative", BRI) ausbaut. Aber in diesen beiden Projekten gibt es viele Widersprüche. Die Neue Seidenstraße befindet sich aufgrund der Pandemie und des weltweiten Einbruchs, der die globale Schuldenkrise verschärft hat, in großen Schwierigkeiten. China ist der größte Kreditgeber für arme Länder, wobei Kredite sechs Prozent des globalen BIP ausmachen. Viele dieser Darlehen stehen in Verbindung mit BRI-Projekten, und es wird aus Afrika und Asien ein wachsender Ruf nach Schuldenerlass laut werden.

Innerhalb Chinas wird dies den Machtkampf des Regimes anheizen. Es gibt erheblichen internen Widerstand gegen die Neue Seidenstraße als reine Geldverschwendung. Das ist sehr heikel, denn die BRI ist das "Kind" von Xi - er hat sie zu einer Prestigefrage gemacht, und jetzt ist es für ihn nicht leicht, diese zu verkleinern, geschweige denn aufzugeben.

Taiwan ist zu einer wichtigen "Schachfigur" im US-China-Konflikt geworden. Auch hier hat Xi sich unbeliebt gemacht, denn man vergleicht, wie sein Vorgänger Hu Jintao die Beziehungen zu Taiwan gehandhabt hat, und Hus Bilanz sieht besser aus als die von Xi. Xis Herangehensweise - Mobbing und Drohungen, die ihn in der Volksrepublik stark erscheinen lassen - ist in Taiwan katastrophal nach hinten losgegangen.

Präsidentin Tsai Ing-wen, die kürzlich mit einem Programm gegen Xi und die Volksrepublik wiedergewählt wurde, findet in Meinungsumfragen Unterstützung von etwa 70 %. Die Pandemie hat Beijing natürlich nicht geholfen, Freund*innen in Taiwan zu gewinnen, und die Niederschlagung in Hongkong ist fast ein Eingeständnis der Diktatur, dass Taiwan vorerst ein hoffnungsloser Fall ist.

In Hongkong werden die Illusionen in die USA, Taiwan und den Westen unweigerlich zunehmen. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Menschen trotz Wut und Hass auf die chinesische Diktatur das Gefühl haben, dass der Massenkampf nicht gewinnen kann. Deshalb suchen sie Hilfe von außen. Das haben wir auch schon in anderen Konflikten gesehen - die Kurd*innen und Palästinenser*innen hatten zu verschiedenen Zeiten Illusionen, dass die USA sie unterstützen würden. Sie wurden immer verraten, weil der US-Imperialismus diese Fragen ausnutzt, um seine eigenen globalen Ziele zu fördern. Die Menschen in Hongkong, Taiwan, Kurdistan, der Ukraine - alle werden als entbehrlich angesehen.

P. O.: Was sollte aus der Sicht von Socialist Action die Antwort der internationalen Arbeiter*innenbewegung sein? Welche Art von globaler Solidarität ist notwendig?

Dikang: Internationale Solidaritätsaktionen können eine sehr starke Wirkung haben. Sie können die Massenbewegung in Hongkong ermutigen, aber auch klar machen, welchen Kräften man trauen kann – und welchen nicht. Die Massenproteste in den USA über Polizeigewalt, Rassismus und die Ermordung von George Floyd zeigen, dass Trump genau wie Xi Jinping spricht, wenn er mit Protesten in seinem eigenen Land konfrontiert wird. Er bezeichnet die Demonstrant*innen als "Terroristen" und verteidigt die Polizeigewalt mit denselben Worten, die wir von der chinesischen Diktatur und der Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam gehört haben.

In beschämender Weise unterstützen einige Teile der lokalen Hongkonger Unabhängigkeitsaktivist*innen Trump und die Nationalgarde gegen die gegenwärtigen Massenproteste in den USA. Ihr Hass auf die chinesische Diktatur hat sie blind gemacht für die Wahrheit - dass der Kampf gegen staatliche Gewalt die Massen in den USA, Hongkong und China vereinen sollte.

Die Gewerkschaften im Westen sollten mehr tun, um gegen die chinesische Repression in Hongkong und Xinjiang und die Repression gegen Streiks chinesischer Arbeiter*innen zu protestieren. Es gibt in der Gewerkschaftsbewegung in vielen westlichen Ländern ein sehr reales Problem einer Schicht "linker" Aktivisten und Funktionär*innen, die sich weigern, das chinesische Regime zu kritisieren, und sich von seiner Propaganda beeinflussen lassen, dass die Proteste in Hongkong pro-amerikanisch seien. Leider gibt es nicht viel Bewusstsein darüber, was in China und Hongkong wirklich geschieht. Wenn also ein Gewerkschaftsbürokrat einen Vorschlag zur Solidarität mit den Protesten in Hongkong oder streikenden chinesischen Arbeiter*innen mit dem Argument ablehnt, es handele sich um "pro-imperialistische" Bewegungen, gibt es oft nur wenige Menschen mit den Fakten und Argumenten, die dem entgegenwirken können. Mitglieder der International Socialist Alternative haben eine entscheidende Bildungsaufgabe zu erfüllen, da sich dieses Problem im Zuge des neuen Kalten Krieges weiter verfestigen kann.

Es ist die falsche Logik, die besagt: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund". Aber ganz gleich, wie sehr Trump oder Boris Johnson der Feind der Arbeiter*innen in ihren eigenen Ländern sind, was sie offensichtlich sind, das macht Xi Jinping nicht zu einem Freund der Arbeiter*innenklasse. Sein Regime ist nicht eine Unze fortschrittlich; es hat in China eine noch größere Verlagerung des gesellschaftlichen Reichtums in die Hände der Superreichen bewirkt, als dies in den USA und Europa der Fall ist.

Was heute also notwendig ist, ist aktive Solidarität und Bildung, um die besten internationalistischen Traditionen der Arbeiter*innenbewegung wiederzubeleben und erneut zu betonen, warum Arbeiter*innen immer unabhängig von kapitalistischen Regierungen und Politiker*innen sprechen und handeln müssen. Die Solidarität der Beschäftigten an der Basis gegen staatliche Gewalt, autoritäre Politik und arbeiter*innenfeindliche Machthaber*innen, das ist das, was notwendig ist.

Rassistischer Mord in den USA - Gerechtigkeit für George Floyd

Minneapolis - Kein Vertrauen in Bürgermeister Frey oder Trumps FBI
Sozialistische Alternative Minnesota

George Floyd ist am 25. Mai 2020 erstickt, durch das Knie eines Polizeibeamten aus Minneapolis auf seinem Hals. Ein Video von Floyds Ermordung, das von der Washington Post veröffentlicht wurde, zeigt deutlich, dass die Polizei gelogen hat, was Floyds Widerstand gegen seine Verhaftung angeht. Ermordet, weil er "wie ein Verdächtiger aussah": Die Ereignisse um George Floyds Tod enthüllen die beiläufige, aber tödliche Brutalität der Polizei.

Die Polizei verhaftete Floyd aufgrund des Hinweises, jemand in der Gegend habe versucht, mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein zu bezahlen. Abgesehen davon, dass Mord eine schreckliche und ungerechte Reaktion auf die bloße Beschuldigung eines Armutsverbrechens bleibt, ist der Mord an Floyd ein Vorgeschmack auf die Reaktion des Staates während einer sich vertiefenden Wirtschaftskrise, die fast 40 Millionen Menschen arbeitslos gemacht hat. Immer wieder wurden Floyds Worte "Ich kann nicht atmen" auf Video aufgenommen, was auf tragische Weise an Eric Garner erinnert, der 2014 von der Polizei ermordet wurde. Sein Tod löste Massenproteste auf dem Höhepunkt der Black Lives Matter-Bewegung aus.

Innerhalb weniger Stunden wurde aus Wut Widerstand. Mehrere tausend Menschen marschierten zum Dritten Bezirk. An den Häusern entlang der Marschroute hingen Schilder zur Solidarität an den Türen und Vordächern, unterstützt von der breiten Bevölkerung. Die Antwort auf den Protest waren Tränengas, Pfefferspray, Gummigeschosse und Blendgranaten.

Um #JusticeforGeorgeFloyd zu erreichen, können wir nicht dem gleichen politischen Establishment vertrauen, das uns an diesen Punkt gebracht hat. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass diese Proteste die beste Möglichkeit sind, Gerechtigkeit für George F. Lloyd durchzusetzen und die Aufmerksamkeit auf die anhaltende Realität der Polizeibrutalität zu lenken. Wir sollten den Kampf ausweiten und breitere Mobilisierungen für koordinierte Massenaktionstage organisieren, an denen Jugendliche, people of colour und die breitere Arbeiterklasse teilnehmen. Es besteht die Gefahr, dass Proteste ohne eine nachhaltige, koordinierte Struktur an Schwung verlieren können. Eine gut organisierte Massenbewegung kann damit beginnen, den strukturellen Rassismus und die Ungleichheit der Polizeigewalt  zu bekämpfen, indem sie Forderungen nach Sozialprogrammen, öffentlicher Bildung und dauerhaft erschwinglichen Sozialwohnungen aufgreift.

Kein Vertrauen in Bürgermeister Frey oder Trumps FBI

Die Reaktion der Polizei von Minneapolis (MPD) auf diese Proteste steht in krassem Gegensatz zu der Art und Weise, wie bewaffneten "Liberate the State"-Proteste Wochen zuvor begegnet wurde. Die Reaktion der MPD erhöht das Risiko, dass rechte Bürgerwehren sich ermutigt fühlen, Demonstrant*innen zu terrorisieren, wie das bei den Gewaltaktionen rassistischer Bürgerwehren gegen die Besetzung des Vierten Bezirks im Jahr 2015 der Fall war. Der Boss der Polizeigewerkschaft der MPD, Bob Kroll, ist ein glühender Anhänger von Trump, den er bei einer Kundgebung im Jahr 2019 präsentierte was das Risiko erhöht, dass Trump und rechte Kräfte eingreifen könnten.

Um der gewaltsamen Unterdrückung durch die MPD oder der Drohung  rechtsextremer Bürgerwehren zu begegnen, müssen Massenorganisationen wie Gewerkschaften die Proteste unterstützen und ihre Ressourcen nutzen, um Solidaritätskomitees zum Schutz der Demonstrant*innen zu organisieren. Das Potenzial für die Solidarität haben die Krankenpflegegewerkschaften von Minnesota und die Lehrergewerkschaften von Minneapolis durch Erklärungen gezeigt, in denen sie den Mord an Floyd verurteilen. Andere Gewerkschaften sollten dasselbe tun.

Unter dem immensen Druck eines massiven öffentlichen Aufschreis und in der Erkenntnis, dass die Menschen kein Vertrauen in die Ermittlungen der MPD haben, drängte Bürgermeister Jacob Frey schnell darauf, dass die Ermittlungen durch das Minnesota Bureau of Criminal Affairs und das FBI geleitet werden sollten. Politiker*innen nutzen diese Taktik, um Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen, welche die sofortige strafrechtliche Verfolgung der beteiligten Beamten fordern, und um Bewegungen zu schwächen, die für strukturelle Änderungen der Polizeiarbeit kämpfen.

Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass die staatlichen und bundesstaatlichen Strafverfolgungsbehörden keine Freunde von Menschen aus der Arbeiter*innenklasse sind, insbesondere von Migrant*innen und schwarzen Gemeinschaften. Das Minnesota Bureau of Criminal Affairs war die Organisation, die den Mord an Philando Castille untersucht und den Weg für den Freispruch des Beamten geebnet hatte. Andere Methoden wie eine Grand Jury funktionieren selten und führen in weniger als 2% der Fälle zu Anklageerhebungen wegen Polizistenmordes.

Wir sollten auch nicht denken, dass das FBI es besser machen wird. Unter der Leitung von Donald Trump, der sich routinemäßig auf die Seite von Mörderpolizisten und von rechtsextremen Kräften stellt, hat das FBI eine lange Geschichte der Terrorisierung von Arbeiter*innenorganisationen vorzuweisen. Dazu gehören das Spionageprogramm, mit dem lokale muslimische Jugendliche in die Falle gelockt werden, die Unterdrückung von indigenen Menschenrechtsaktivisten und Programme wie COINTELPRO, die auf Gewalt gegen Bewegungen von Schwarzen und People of colour abzielen.

Während wir für die sofortige Strafverfolgung der in den Fall verwickelten Beamten kämpfen sollten, brauchen wir eine Veränderung der MPD von Kopf bis Fuß. Denn die Ermordung von George Floyd folgte auf die Ermordung von Justine Damond im Jahr 2017, auf die Ermordung von Jamar Clark im Jahr 2015 und auf die Ermordung von Terrance Franklin im Jahr 2013, um nur einige Beispiele zu nennen.

Schon jetzt weisen Politiker aber jede strukturellen Veränderung zurück. So fordert zum Beispiel Minnesotas hochrangige US-Senatorin Amy Klobuchar, eine von Joe Bidens obersten VIP-Entscheidungen, eine Untersuchung der "beteiligten Personen". Ihre Erklärung blendet die Realität aus, dass nur wenige diensthabende Polizist*innen jemals für ihre Verbrechen strafrechtlich verfolgt wurden, auch wenn sie auf die brutalen und rassistischen Praktiken innerhalb der MPD im Umfeld dieses Vorfalls hinweist.

Wir haben kein Vertrauen in Bürgermeister Frey oder das FBI von Trump, wenn es darum geht, Gerechtigkeit durchzusetzen. Ihr anhaltendes Versagen bei der Säuberung der rassistischen Polizei und bei der Beendigung der tief verwurzelten rassistischen Voreingenommenheit in der Strafverfolgung zeigt die dringende Notwendigkeit einer völlig unabhängigen, von gewählten Gemeindevertretern geführten Untersuchung mit vollen Befugnissen über die Polizei von Minneapolis, einschließlich der Befugnis, vorzuladen, einzustellen, zu entlassen und die Haushaltsprioritäten zu überprüfen. Diese Befugnisse sollten zu einem ständigen, demokratisch gewählten kommunalen Kontrollgremium ausgebaut werden.

Das gesamte System ist schuldig

Der Stadtrat hat nur das Nötigste getan und dies nur nach massivem Druck der Bevölkerung. Trotz vieler bekannt gewordener Polizistenmorde haben sich die Polizisten, anstatt die Polizei zur Säuberung zu drängen, dem Ruf der Kommunen nach Gerechtigkeit widersetzt. Selbst der "progressive" Flügel des Stadtrats ergreift keine Maßnahmen. Im Jahr 2018 stimmten die Ratsmitglieder Alondra Cano und Rats-Vizepräsidentin Andrea Jenkins zusammen mit Lisa Goodman, Abdi Warsame und Linea Palmisano gegen eine Ausweitung der Befugnisse des Stadtrats, um eine gewisse Aufsicht über die Polizei von Minneapolis zu gewährleisten. Sie stellten sich auf die Seite des Polizeichefs Medaria Arradondo, dessen Ernennung zum ersten schwarzen Polizeichef selbst als eine fortschrittliche Maßnahme angesehen wurde, und des Bürgermeisters Jacob Frey, der sich "hartnäckig" gegen jede zusätzliche Aufsicht über die MPD aussprach.

Während Unternehmen wie Target in der Zeit des Corona-Lockdowns Rekordumsätze verbuchen und Wall-Street-Firmen wie die US Bank hier ihren Hauptsitz haben, führen die Demokraten mit  Minneapolis einer der ethnisch und wirtschaftlich ungleichsten Städte des Landes. Der Stadtrat widersetzte sich jahrelang hartnäckig dem Mindestlohn von 15 $/Std. und verabschiedete ihn schließlich erst unter dem Druck einer wachsenden Bewegung, wobei er häufig rechtsgerichtete Parolen über Niedriglohnarbeiter*innen, Löhne und Arbeitsplatzschaffer wiederholte. Jahrelang hat er versucht, das zu privatisieren, was vom öffentlichen Wohnungsbau übrig geblieben ist, und förderte stattdessen Anreize für die Entwicklung von Luxusgütern mit der Begründung, dass dabei auch Vorteile für Arbeiter*innenklasse abfallen würden. So kamen vor einem Jahr fünf Menschen bei einem Brand in einer Hochhauswohnung ums Leben. Das hätte verhindert werden können, wenn die städtischen Bauvorschriften den Vermieter verpflichtet hätten, eine Sprinkleranlage zu installieren.

Im Kapitalismus wird die Rechtsstaatlichkeit als Vorwand für die Unterdrückung der Beschäftigten und der marginalisierten Gemeinschaften benutzt. Sie verflüchtigt sich immer dann, wenn es zu massenhaftem Unternehmensbetrug durch die Milliardärsklasse kommt.

Wir können eine Alternative aufbauen. Die Schwächen im Stadtrat von Minneapolis stehen im Kontrast zu den Aktiväten von Kshama Sawant, einem Mitglied der Sozialistischen Alternative, die dreimal in den Stadtrat von Seattle gewählt wurde. Sie war eine so verläßliche Stimme für die Menschen der Arbeiter*innenklasse, dass Unternehmen wie Amazon 1,5 Millionen Dollar für den Versuch ausgaben, ihre Wiederwahl im vergangenen Jahr zu verhindern. Das war die Rache für ihre Bemühungen, gegen Milliardengewinne von Großunternehmen eine Bewegung für eine "Amazon-Steuer" aufzubauen.

Kshama Sawant ist auch eine konsequente Stimme gegen Polizeibrutalität. Sie kämpft gegen eine weitere Militarisierung der Polizei von Seattle und steht als einzige "Nein"-Stimme im Stadtrat gegen einen Polizeivertrag, der grundlegende Maßnahmen zur Rechenschaftslegung abschafft. Dies erzürnte das Establishment der Demokratischen Partei und die rechte Führung der Polizeigewerkschaft, die sich an der Seite des Großkapitals für ihre Niederlage einsetzte. Stellen wir uns vor, was wir in Zeiten wie diesen mit auch nur einem gewählten Abgeordneten in Minneapolis tun könnten, der sich im Gegensatz zu den üblichen Politikern als rechenschaftspflichtig gegenüber Bewegungen der sozialen Gerechtigkeit versteht!

Wir müssen alles daran setzen, die Proteste mit dem Ziel der Gerechtigkeit für George Floyd zu organisieren.

Die Sozialistische Alternative fordert:

  • Strafverfolgung der Polizei - Sofortige Festnahme und Anklage der vier an der Ermordung von George Floyd beteiligten Beamten.
  • Gerechtigkeit für George Floyd - koordinierte Massenproteste und Aktionstage, die Jugendliche und Leute aus der Arbeiter*innenklasse, besonders People of Color völlig, in die Planung und Mobilisierung einbeziehen.
  • Kein Vertrauen in Bürgermeister Frey oder Trumps FBI - Start der Umstrukturierung einer von der Gemeinde gewählten MPD, einschließlich Einstellung, Entlassung, Überprüfung der Haushaltsprioritäten und der Befugnis zur Vorladung.
  • Armut ist Staatsgewalt - Polizeigewalt ist ein wesentlicher Bestandteil des kapitalistischen Systems, das auf strukturellem Rassismus und Ungleichheit beruht. Besteuerung der Reichen, um in ökologisch nachhaltige Arbeitsplätze, Sozialprogramme, öffentliche Bildung und dauerhaft erschwingliche Sozialwohnungen zu investieren.
  • Das ganze System ist schuldig - Malcolm X hat gesagt: "Man kann keinen Kapitalismus ohne Rassismus haben." Um dauerhafte Veränderungen zu erreichen, muss der Kampf gegen den Polizei-Rassismus und das politische Establishment, was im Interesse der Grosskonzerne handelt, zu einem Kampf gegen das kapitalistische System selbst ausgeweitet werden.

Foto: Sigal Photos (https://www.facebook.com/pg/bsigalphotos/photos/?tab=album&album_id=1039439206532466)

 

Es ist das Ende der Europäischen Union, wie wir sie kennen

Die Zukunft der Europäischen Union drückt sich derzeit im Kampf um Ressourcen wie Masken und Beatmungsgeräte und um den Umgang mit der Wirtschaftskrise aus. Aber die Gründe dafür liegen im Konzept der EU selbst.
Sonja Grusch

Fast 70 Jahre nach ihrer Gründung scheint die EU in ihrer bisher größten Krise zu stecken. Der ehemalige Präsident der EU-Kommission, Jacques Delors, sprach bereits im März von einer "tödlichen Gefahr für die Europäische Union". Diese drücke sich im Kampf um Ressourcen wie Masken und Beatmungsgeräte und im Ringen um den Umgang mit der Wirtschaftskrise aus. Aber die Gründe dafür liegen im Konzept der EU selbst.

Ein Projekt, das seine Wurzeln im Kalten Krieg und im kapitalistischen Wettbewerb hat

Im April 1951 wurde der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) von Vertreter*innen aus sechs europäischen Ländern unterzeichnet: Frankreich, Westdeutschland, Belgien, Italien, Luxemburg und den Niederlanden. Im Jahr 1957 folgte die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) durch dieselben sechs Länder. Dies geschah zur Zeit des beginnenden "Kalten Krieges", in dem die USA politisch und wirtschaftlich zur westlichen Supermacht wurden. 1948 entfielen auf die USA und Kanada zusammen rund 30% des Welthandels, während die ehemalige Supermacht Großbritannien auf rund 10% geschrumpft war. Deutschland hatte aufgrund seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg einen Anteil von weniger als 2% am Welthandel. Ganz Westeuropa hatte nur einen geringfügig größeren Anteil am Welthandel als die USA plus Kanada, während auf Asien nur etwa 10% entfielen.

Die 1970er und mehr noch die 1980er Jahre markierten einen grundlegenden Wandel in der Nachkriegszeit. Der lange wirtschaftliche Aufschwung nach dem Krieg war untypisch für den Kapitalismus. Er war auf die Notwendigkeit zurückzuführen, Europa nach der massiven Zerstörung des Zweiten Weltkriegs wieder aufzubauen, und auf die Existenz der stalinistischen Staaten, welche die imperialistischen Länder zwangen, durch große Zugeständnisse an die Arbeiter*innenklasse zu "beweisen", dass der Kapitalismus "besser" sein würde. Dies führte zu einem steigenden Lebensstandard für große Teile der Bevölkerung, zumindest in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, aber diese Periode konnte nicht ewig andauern. Dieser Boom kam zu seinem logischen Ende. Dies wirkte als wichtiger Anreiz für das Zusammenkommen der verschiedenen imperialistischen Mächte in Europa. Im Jahr des ersten Ölpreis-Schocks, 1973, wurde das Projekt erheblich ausgeweitet, indem Dänemark, Irland und Großbritannien mit ins Boot geholt wurden.

Weitere Wirtschaftskrisen folgten, wie die zweite Ölkrise 1986, die Rezession in den USA zu Beginn der 1980er Jahre, die Schuldenkrise in Lateinamerika und viele andere. Während sich der Welthandel ausweitete, entstand neue Konkurrenz: Japan und später China wurden zu wichtigen Akteuren.

Die europäischen kapitalistischen Länder folgten mit verschiedenen Verträgen, und weitere Länder schlossen sich dem europäischen Projekt an. Das im Vertrag von Maastricht niedergeschriebene Wirtschaftsmantra folgte dem damals vorherrschenden monetaristischen, später neoliberalen, Dogma: Die Defizite der Nationalstaaten dürfen nicht mehr als 3% und die Staatsverschuldung nicht mehr als 60% des BIP betragen. Was die Europäische Union (EU) werden sollte, hatte im Großen und Ganzen zwei Hauptaufgaben. Die eine bestand darin, einen Wirtschaftsblock zu bilden, der mit den anderen Blöcken, insbesondere den USA und Kanada auf der einen Seite und den aufstrebenden asiatischen Mächten auf der anderen Seite, konkurrieren und diese überholen könnte. Die zweite Aufgabe bestand darin, den nationalen europäischen Regierungen bei der Umsetzung der neoliberalen Agenda in ihren jeweiligen Staaten zu helfen. Beides gelang der EU lange Zeit - aber die ganze Zeit war es ein Projekt, das auf wackligen Beinen stand.

Die Vereinigten Staaten von Europa?

In der Auseinandersetzung mit der Frage des Staates und seiner Rolle haben Marxist*innen erklärt, dass es keinen neutralen Staat gibt, sondern dass jeder Staat ein Instrument der jeweiligen herrschenden Klasse ist.

Dasselbe gilt für die Bourgeoisie jedes europäischen Landes. Das schließt nicht aus, dass sie zusammenarbeiten, wenn es vorteilhaft ist, aber es bedeutet, dass sie die nationalen Grenzen des Kapitalismus, der Nationalstaaten und so weiter nicht für immer überwinden können. Daraus folgt, dass eine kapitalistische EU niemals die Existenz der Nationalstaaten und den Wettbewerb zwischen ihnen vollständig überwinden kann.

Im Umgang mit der Frage der "Vereinigten Staaten von Europa" erklärte Lenin bereits 1915: "Unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus - d.h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die 'fortgeschrittenen' und 'zivilisierten' Kolonialmächte - sind die Vereinigten Staaten von Europa unter dem Kapitalismus entweder unmöglich oder reaktionär". Dann fährt er fort: "Natürlich sind vorübergehende Vereinbarungen zwischen Kapitalisten und zwischen Staaten möglich. In diesem Sinne sind die Vereinigten Staaten von Europa als ein Abkommen zwischen den europäischen Kapitalisten möglich ... aber zu welchem Zweck? Nur zu dem Zweck, gemeinsam den Sozialismus in Europa zu unterdrücken, gemeinsam die koloniale Beute gegen Japan und Amerika zu schützen, die durch die gegenwärtige Teilung der Kolonien schwer geschädigt worden sind und deren Macht in den letzten fünfzig Jahren unermesslich schneller zugenommen hat als die des rückständigen und monarchistischen Europas, das jetzt senil wird." Ersetzt man "Kolonien" durch "neokoloniale Länder", dann ist die Analyse immer noch gültig.

Das EU-Projekt konnte also nicht ewig dauern, sein Überleben hängt immer von der wirtschaftlichen Entwicklung und von der einfachen Rechnung ab, ob es für jeden Staat zu einem bestimmten Zeitpunkt profitabler ist, die nationalen Interessen vor die gesamteuropäischen zu stellen oder nicht. Dieses Kalkül war und ist für jedes europäische Land angesichts seiner jeweiligen Wirtschaftsstruktur unterschiedlich, entsprechen wie stark es von Außenhandels- und Geschäftsbeziehungen bzw. mit welchen Ländern innerhalb und außerhalb der EU abhängig ist.

Unsere Internationale, heute als ISA bekannt - damals noch CWI - diskutierte sehr ausführlich über die Entwicklungsmöglichkeiten der EU, den Euro und vor allem über die Frage, wie lange er Bestand haben würde. Ein wichtiger Grund dafür, dass das EU-Projekt länger bestand, als wir ursprünglich erwartet hatten, war der Zusammenbruch der stalinistischen Staaten. Dies half der kapitalistischen Weltwirtschaft, der drohenden Wirtschaftskrise zu entkommen, indem sie Zugang zu neuen Märkten und billigen und gut ausgebildeten Arbeitskräften erhielt. Angesichts seiner geographischen Lage profitierte das europäische Kapital sehr davon, dass es sich an den neuen "Kolonien" bediente. Das Gefühl der Menschen aus Osteuropa, "Europäer*innen" zweiter Klasse zu sein, hat materielle Gründe. Selbst 30 Jahre nach der Restauration des Kapitalismus und in einigen Fällen Jahrzehnte nach dem Beitritt zur EU ist der Lebensstandard in Osteuropa immer noch niedriger.

EU-Krise: Coronoa ist nicht die Ursache

Die Krise innerhalb der EU ist nicht neu. Im Gegenteil, die EU scheint von einer Krise in die nächste zu stolpern und versucht hektisch, die verschiedenen Brandherde zu löschen, sobald sie entstehen.

Dies spiegelte sich auch in einer zunehmend skeptischen und kritischen Stimmung gegenüber der EU wider, vor allem unter Älteren, was sich in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den EU-Wahlen und noch drastischer bei der Brexit-Abstimmung zeigte. Das zeigte sich auch im harten Kurs der nach der Krise von 2007 gegen Griechenland und in Bezug auf Brexit eingesschlagen wurde, um zu verhindern, dass Vorbilder geschaffen würden, denen andere folgen könnten.

Die EU war sich ihrer eigenen Krise bewusst und schmiedete bereits vor COVID-19 Pläne, wie z.B. die Konferenz zur Zukunft Europas, die bereits 2019 angekündigt wurde. Die Wirtschaftskrise, die durch COVID-19 ausgelöst und verschärft wurde, vervielfacht die zentrifugalen Kräfte, die es in der EU schon immer gegeben hat. Bevor das Virus auftauchte, betrug die Staatsverschuldung in der Eurozone bereits 84% des BIP - und war damit schon viel höher als vor der Krise von 2007/8. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels sehen wir eine Reihe von Wirtschaftsprognosen, die korrigiert und korrigiert und korrigiert werden müssen...

Die EU ist empfindlicher

Indem sie als Wirtschaftsblock agierten, konnten die europäischen Kapitalist*innen ihre Position auf dem Weltmarkt verbessern. Aber gleichzeitig sind konkurrierende Interessen geblieben. In der sich entfaltenden Krise sind die EU und ihre Mitgliedsstaaten besonders verwundbar, weil sie viel stärker als jede andere Wirtschaftsregion vom Export abhängig sind. Im Jahr 2019 machten die Warenexporte 35,7% des BIP der EU aus, während die Gesamtexporte, einschließlich Dienstleistungen, sogar 49,4% ausmachten. Die entsprechenden Zahlen für die USA liegen bei 7,8 % und 11,8 % und für China bei rund 20 % der Gesamtexporte. Der seit geraumer Zeit anhaltende Prozess der De-Globalisierung und nun die mit dem Coronavirus verbundenen Probleme, die Lieferketten, Produktion, Tourismus und Exporte betreffen, haben Europa viel härter getroffen als die übrige Weltwirtschaft.

Innerhalb der EU haben die einzelnen Länder unterschiedliche Handelspartner*innen und Wirtschaftsbeziehungen. Während einige EU-Länder hauptsächlich mit anderen EU-Ländern Handel treiben, exportieren einige Volkswirtschaften mehr außerhalb der Region. Und einige sind stark vom Export abhängig, wie die meisten osteuropäischen Staaten, Irland und Belgien. Einige liegen im Mittelfeld, wie Deutschland und Österreich, und einige sind weniger vom Export abhängig, wie Italien, Frankreich, Griechenland und Spanien. Natürlich führen die wirtschaftlichen Unterschiede zu unterschiedlichen Strategien zur Bewältigung der Krise.

Der Teufel liegt im Detail

Die Staats- und Regierungschef*innen der EU schüren die Illusion, dass sie im Kampf gegen COVID-19 und die Wirtschaftskrise äußerst aktiv sind. Sie treffen sich, sie diskutieren, sie entscheiden. Aber ein genauerer Blick auf ihre wichtigsten Maßnahmen zeigt die Realität dessen, was sie geplant und/oder beschlossen haben. Zum Zeitpunkt als dieser Artikels geschrieben wird, wurden drei Hauptpakete mit einem Gesamtvolumen von 2290 Milliarden Euro geschnürt. Das klingt nach viel Geld - aber bei genauerem Hinsehen sieht man viel Blendwerk, aber wenig echte Hilfe.

Das erste Paket – 540 Milliarden Euro

Anfang April haben sich die Finanzminister*innen der EU-Staaten auf ein Paket im Wert von 540 Milliarden Euro geeinigt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um frisches EU-Geld zur Bewältigung der Krise, sondern um eine Kombination aus der Umetikettierung bereits vereinbarter Gelder mit Garantien für Kredite der Europäischen Investitionsbank und im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die den EU-Ländern zur Verfügung gestellt werden soll. Diese Darlehen sind an Bedingungen gebunden, die die nationalen Regierungen zwingen würden, ihre nationale Autonomie teilweise aufzugeben. Wenn man bedenkt, dass sich die Zinssätze auf einem historischen Tiefstand befinden, kann dies zu einer Situation führen, in der Staaten auf den Finanzmärkten nach Krediten suchen, ohne an solche politischen Bedingungen geknüpft zu sein.

Darüber hinaus muss betont werden, dass 540 Milliarden Euro bei weitem nicht ausreichen. Einigen Schätzungen zufolge beläuft sich allein der Bedarf Italiens zur Verhinderung einer gefährlichen Kettenreaktion auf den Finanzmärkten auf rund 500-700 Milliarden Euro.

Das zweite Paket – 1.000 Milliarden Euro

Bei ihrem vierten virtuellen Treffen seit Beginn der COVID-19-Krise diskutierten und beschlossen die Staats- und Regierungschef*innen der EU-Staaten einen "Europäischen Wiederaufbaufonds" (ERF - European Recovery Fund) in Höhe von über 1.000 Milliarden Euro. Der Name ist sicher kein Zufall, denn er weist auf das "Europäische Wiederaufbauprogramm (ERP - European Recovery Programme)" nach dem Zweiten Weltkrieg hin - besser bekannt als "Marshallplan", der umgesetzt wurde, um Europa als Markt und Verbündeten der USA im Kalten Krieg wieder aufzubauen. Es sind 75 Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und die Propagandamaschinerie der herrschenden Elite versucht, die gegenwärtige Krise mit der Idee zu verbinden: "Wir alle haben Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam wiederaufgebaut, wir werden es auch diesmal schaffen". Aber es darf nicht vergessen werden, dass die Kosten des Krieges und des Wiederaufbaus danach von der Arbeiter*innenklasse getragen werden mussten!

Doch im Moment sind die Einzelheiten dieses Plans noch unklar. Aber er wird "sehr eng" mit den EU-Haushalten für 2021 bis 2027 verknüpft sein, es könnte durchaus zu einer Umetikettierung des EU-Haushalts kommen. Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt, dass im Jahr 2020 das derzeit geplante Budget 172,3 Milliarden Euro beträgt, also über sieben Jahre insgesamt 1.206,1 Milliarden Euro, was bei den über 1.000 Milliarden Euro für den ERF liegt. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula Von der Leyen, kündigte ihren europäischen Green Deal im Herbst 2019 an, um die stotternde Wirtschaft anzukurbeln und ihr zu helfen, technologisch aufzuholen. Ähnliche Versuche wird es nun geben, da beispielsweise die Autoindustrie, von der vor allem Deutschland stark abhängig ist, in großen Schwierigkeiten steckt.

Das dritte Paket – 750 Milliarden Euro

Bereits am 18. März hat die neue Chefin der EZB, Christine Lagarde, klargestellt, dass sie "alles tun wird, was nötig ist", um die EU und den Euro zu retten. Sie folgt damit der Linie von Mario Draghi, der versucht hatte, die Krise nach 2007 mit Quantitative Easing (QE) zu bekämpfen. Das Konzept sieht vor, dass die EZB mit dem Pandemie-Notkaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Program) eine neue Ladung von Anleihen kauft, so viele wie nötig, so Lagarde, um die Volkswirtschaften und die Kapitalmärkte im Allgemeinen zu stabilisieren. In der letzten Krise von 2007 hatte Quantitative Easing eine einigermaßen stabilisierende Wirkung allerdings um die Kosten der explodierenden Staatsverschuldung.

Mehr Schulden, mehr Instabilität

All diese Maßnahmen sind mehr als vage. Klar ist, dass sie weitgehend auf Krediten beruhen und damit die Schuldenlast erhöhen werden, die bereits jetzt viel höher ist als vor der Krise von 2007/8. Dieses riskante Szenario ist umso gefährlicher, da zur Erleichterung des Zugangs zu Krediten einige der Sicherheitsmaßnahmen für die Finanzmärkte, die nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte im Jahr 2007 eingeführt wurden, nun aufgehoben werden. Nach einem Beschluss der EU-Finanzminister*innen kann die europäische Bankenaufsichtsbehörde CEBS nun "flexibel" mit den Regeln für den Finanzsektor umgehen. Ein geplanter Stresstest ist verschoben worden. Die EZB hat in dem verzweifelten Versuch, die Volkswirtschaften zu stabilisieren, sogar beschlossen, Schrottanleihen von Staaten und Unternehmen aufzukaufen.

Dieser Schritt bringt die EZB in eine bedrohliche Situation, in der sie Schrottanleihen anhäuft. Eine Reihe von EU-Ländern hat beschlossen, jenen Banken, die Kredite geben, dafür staatliche Garantien von bis zu 100% zu gewähren. Sie haben die Banken im Voraus aufgefordert, keine Dividenden auszuschütten oder in den Rückkauf eigener Aktien zu investieren, um die Eigenkapitalquote auf einem ausreichenden Niveau zu halten, um zukünftige Risiken zu reduzieren. Eine Reihe von Banken hat diese Aufforderung bereits abgelehnt. Obwohl die Gründe für die Wirtschaftskrise tiefer in den Widersprüchen des Kapitalismus verwurzelt sind, sind hochgradig empfindliche Finanzmärkte ein Symptom, können aber auch als Auslöser einer solchen Krise fungieren.

Der europäische Fight Club

Die sich entfaltende Krise wird heute von bürgerlichen Ökonom*innen allgemein als die schlimmste seit 100 Jahren angesehen. In einer solchen Krise wird jeder bürgerliche Staat darauf zurückgreifen, "sein" eigenes nationales Kapital zu verteidigen. Dies spiegelt sich in der Diskussion bzw. den Auseinandersetzungen innerhalb der EU darüber wider, welche Maßnahmen und Pläne vorgelegt werden sollen. In den Pressekonferenzen werden viele allgemeine Punkte angesprochen, aber konkrete Ergebnisse gibt es nur wenige. Es gibt mehrere potenzielle Konfliktfelder:

Seit Beginn der aktuellen Krise wurde die Idee der "Eurobonds" vor allem von den schwächeren Volkswirtschaften des Südens unterstützt, die argumentieren, dass die Bedingungen besser wären, wenn die EU als Ganzes Geld leihen würde. Aber die stärkeren Volkswirtschaften, darunter Deutschland, Österreich, Finnland und die Niederlande, haben die Idee blockiert, weil sie nicht für die Schulden anderer zur Verantwortung gezogen werden wollen. Die ehemalige deutsch-französische Achse scheint stark geschwächt worden zu sein. Von dem ganzen Gerede von Solidarität in der EU bleibt nichts über, wenn es keinen wirtschaftlichen Nutzen gibt. Die französische Unterstützung für die Volkswirtschaften des Südens zum Beispiel wurzelt in starken wirtschaftlichen Beziehungen, da die französischen Banken dort stark vertreten sind.

Die Debatte über die Frage, ob Eurobonds ausgegeben oder das EWS genutzt werden sollen, dreht sich um mehrere Fragen: ob EU-Gelder als Darlehen vergeben werden und wenn ja, ob sie zurückgezahlt werden müssen und wann, und natürlich, ob der Zugang zu den EU-Geldern an Bedingungen geknüpft wird.

Die EWS-Regeln verknüpfen die Vergabe von Beihilfen mit Bedingungen, die, wie wir in Griechenland gesehen haben, dazu dienten, den Sozialstaat zu zerschlagen und die nationale Souveränität einzuschränken. Einwände, insbesondere aus Italien, gegen das EWS und ihre Forderung nach Eurobonds sind direkt mit der Angst vor dem Verlust der Unabhängigkeit verbunden. Diese Bedrohung wird von rechten und rechtsextremen Politiker*innen wie Salvini ausgenutzt, die Griechenland als Beispiel der Unterdrückung, insbesondere der griechischen Arbeiter*innenklasse, durch die EU-Troika, verwenden.

Dieser Kampf über die Art der Darlehen oder Transfers und die damit verbundenen Bedingungen, und welche für welches Land verbindlich sein sollten, ist ein Minenfeld und wird zu Zusammenstößen innerhalb der EU führen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat EZB-Maßnahmen aus dem Jahr 2015, darunter das Public Sector Purchasing Programme (PSPP), als verfassungswidrig eingestuft. Dies spiegelt die eher traditionelle neoliberale Politik Deutschlands wider und stellt eine gemeinsame Finanzpolitik in Frage, da unklar ist, was die Deutsche Bundesbank nun tun wird. Die EU-Propaganda, die das Geld an die Akzeptanz von "EU-Werten" seitens ihrer Mitgliedsstaaten knüpft, ist nur ein Deckmantel für die imperialistischen Absichten einiger der wirtschaftlich stärkeren westeuropäischen Staaten in Ost- und einem Teil Südeuropas.

Aber die Milliarden-Euro-Frage wird sein, wie dieses Extra-Budget finanziert werden soll.

Von der Leyen hat den Vorschlag befürwortet, die Obergrenze der Eigenmittel der EU von 1,2% des Bruttonationaleinkommens (BNE) der EU zumindest für einige Jahre auf 2% anzuheben. Gegenwärtig sind die Haupteinnahmequellen der EU die Zölle, die angesichts des De-Globalisierungsprozesses, der Handelskonflikte und insbesondere des Corona bedingten Rückgangs des Handels sinken könnten, die Mehrwertsteuereinnahmen die ebenfalls sinken werden, wenn der Satz nicht angehoben wird da in Folge der Wirtschaftskrise der Konsum zurückgeht und die "Mitgliedsbeiträge" der Mitgliedsstaaten, die bereits rund 2/3 der EU-Einnahmen ausmachen. Wenn die Länder aufgefordert werden, ihren finanziellen Beitrag zur EU zu erhöhen, wie von Bundeskanzlerin Merkel angedacht, so ist das angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den EU-Ländern höchst unwahrscheinlich und wird von Populist*innen, oft rechtsextreme Populist*innen, zu ihrem Vorteil ausgenutz werden.

Anders als in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die USA den "Marshallplan" förderten, gibt es heute keine offensichtliche externe Finanzierungsquelle. Zu den Möglichkeiten gehören Russland und zunehmend China, das bereits vor COVID-19 mit der "Belt-and-Road-Initiative" (BRI - Neue Seidendstrasse) versucht hat, tief nach Europa vorzudringen. Obwohl die BRI aufgrund der Pandemie auf Eis gelegt wurde, könnte sich dies jetzt ändern, da China seine Wirtschaft wieder öffnet, noch vor den USA. Da es jetzt in diesem Rennen die Pole-Position innehat, könnte der Einfluss Chinas in Europa in der kommenden Zeit zunehmen. Die Versuche verschiedener Nationalstaaten, sich auf externe Partner*innen zu stützen, seien es die USA, China oder Russland, sind und werden zunehmend eine Quelle von Konflikten innerhalb der EU sein. Es sollte nicht vergessen werden, dass Griechenland das erste EU-Land und Italien das erste G7-Land war, das der BRI beigetreten ist, und dass Russland und China wirtschaftlichen Einfluss vor allem auf dem Balkan und in Osteuropa und politischen Einfluss zumindest auf verschiedene rechtsextreme Parteien in Europa haben.

Die Verträge von Schengen und Maastricht sind tot

Diese potenziellen Konflikte verstärken die zentrifugalen Kräfte, die in der EU schon immer vorhanden waren. Einige der scheinbar ewigen Pfeiler der EU sind bereits einfach verschwunden. Die 1985 erstmals vereinbarten Schengener Verträge sicherten den freien Warenverkehr zwischen den EU-Ländern, d.h. ohne Grenzkontrollen und ohne Zölle. Als die deutsche Regierung in diesem Jahr den Export von Medizinprodukten nach Italien mit dem Argument der Coronavirus-Pandemie blockierte und dann Frankreich den Transport von Masken nach Spanien und Italien blockierte, wurde deutlich, dass die Schengener Verträge stark ausgehöhlt wurden.

Schon vor COVID-19 wurde die Flüchtlingsfrage dazu benutzt, den freien Personenverkehr innerhalb der EU einzuschränken. Mit der kommenden Wirtschafts- und Klimakrise gefolgt von einer Eskalation der Staatsverschuldung und einer noch größeren sozialen Krise in der neokolonialen Welt, werden immer mehr Menschen gezwungen sein, aus ihrer Heimat zu fliehen. Nun sind die Grenzen zwischen den verschiedenen EU-Staaten innerhalb weniger Stunden wiederhergestellt worden, was zeigt, dass dies immer eine Option für die herrschenden Klassen war.

Auch jetzt ist das neoliberale Dogma der EU, das durch den Vertrag von Maastricht in Stein gemeißelt wurde, über Nacht aufgegeben worden. Maastricht setzte den Haushaltsdefiziten und der Staatsverschuldung strenge Grenzen. Nach den jüngsten Beschlüssen der nationalen Regierungen und der EU ist nun sicher, dass die Grenzen von 3% und 60% weit überschritten werden. Es ist unwahrscheinlich, dass in einem solchen Fall Sanktionen verhängt werden, weder gegen einige der schwächeren europäischen Länder, noch gegen die europäischen Großmächte wie Italien, Spanien oder sogar Deutschland.

Infolge der Probleme mit den Lieferketten, die während der COVID-19-Krise auftauchten, gibt es eine Diskussion über die Notwendigkeit, die Produktion nach Europa zu verlagern. Dies wird nicht auf der Grundlage einer europäischen Planung dessen geschehen, was, wo und wie viel benötigt wird, sondern innerhalb des chaotischen Wettbewerbs des Kapitalismus, in dem jedes Land versucht, seinen eigenen Kapitalist*innen zu helfen, schneller, besser positioniert und mit den besten Bedingungen hinsichtlich staatlicher Subventionen sowie rechtlicher und ökologischer Vorschriften ausgestattet zu sein.

Diese Möglichkeit wurde im März eröffnet, als die EU de facto beschloss, alle Beschränkungen für staatliche Beihilfen für Unternehmen aufzuheben. Dieser Wettlauf wird zu einer Spirale nach unten um Löhne, Arbeitsbedingungen und Umweltstandards führen und als Folge der Versuche, die Wirtschaft um jeden Preis überstürzt wieder zu öffnen, Menschenleben kosten. Die chaotische Art und Weise, wie die Produktion organisiert ist, wird auch dazu führen, dass in einigen Sektoren zu viel produziert wird, während in anderen nicht genug produziert wird. Ökonom*innen nennen diese Ineffizienzen einen "Schweinezyklus", bei dem das Kapital in profitable Bereiche strömt - aber wenn das alle machen führt es zu Überproduktion, Preisverfall und weiteren Entlassungen. Die Situation, in der es an medizinischer Ausrüstung mangelt und die Unfähigkeit, genügend Masken und Beatmungsgeräte in Europa bereitzustellen, hat sehr deutlich gemacht, dass der Markt die Probleme von Angebot und Nachfrage nicht löst, sondern dass eine demokratische Planung notwendig ist.

Schon vor COVID-19 gab es einen Wandel in der Wirtschaftspolitik,mit dem lauten Ruf nach staatlichen Eingriffen um Unternehmen und Banken zu schützen. Diese Abkehr von dem, was gemeinhin als "Neoliberalismus" bezeichnet wird, wurde mit COVID-19 vorangetrieben.

Es gibt eine breite Unterstützung für die verschiedenen Maßnahmen, die von den Regierungen ergriffen werden, um die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen zu verringern, wie z.B. höhere Arbeitslosengelder, Lohnsubventionen, um Menschen in Arbeit zu halten, oder sogar Elemente von Helikoptergeld. Eine Umfrage in Österreich ergab, dass 75% mit dem Aussetzen der EU-Haushalts- und Defizitregeln einverstanden sind, während nur 12% dagegen sind. Dies zeigt, dass die jahrzehntelange neoliberale Propaganda keine nachhaltige Wirkung auf das Bewusstsein gehabt hat. Aber keine dieser Maßnahmen wird die tiefe Wirtschaftskrise und ihre dramatischen Auswirkungen stoppen können.

Auch die alternativen kapitalistischen Modelle, Varianten keynesianischer oder neokeynesianischer Politik, gehen nicht an die Wurzel der wirtschaftlichen Probleme und zeigen daher weder einen Ausweg aus der Krise auf, noch handeln sie sozialer als die (neo)liberalen Wirtschaftsmodelle. Was die österreichische Umfrage jedoch in verzerrter Form zeigt, ist die weit verbreitete Forderung nach einer anderen Art von Politik, die sich nicht auf Bedürfnisse des Kapitals beschränkt. Zahlreiche andere Umfragen und nicht zuletzt die Massenproteste der letzten Jahre weisen in die gleiche Richtung: Der Kapitalismus wird zunehmend in Frage gestellt; es gibt eine Verlangem nach etwas Besserem.

Während einige Politiker*innen immer noch versuchen zu suggerieren, dass wir nur eine kurze Rezession vor uns haben werden, die schnell überwunden werden wird, hat die Arbeiter*innenklasse eine weitaus realistischere Sichtweise. In einer Umfrage sagte die Mehrheit der Menschen in 10 der 15 untersuchten Länder, dass eine schnelle wirtschaftliche Erholung unwahrscheinlich sei. Mangelndes Vertrauen in eine rasche Erholung war in den am stärksten betroffenen europäischen Ländern am stärksten ausgeprägt: 76% in Spanien, 72% in Frankreich, 68% in Italien, 67% im Vereinigten Königreich und 64% sowohl in Russland als auch in Japan. In einer anderen Umfrage in den G7-Staaten bestätigten 72% der Befragten, dass ihr persönliches Einkommen bereits beeinflusst wurde oder beeinflusst werden wird. Diese und viele weitere Zahlen weisen auf die bevorstehenden explosiven Entwicklungen hin.

Das Ende der EU wie wir sie kennen

Die EU hat bereits viele Krisen überstanden und wird auch diese überleben. Die EU existiert schon seit geraumer Zeit, hat ihren eigenen Apparat entwickelt, und die einfache Tatsache ihrer Existenz ist ein stabilisierender Faktor an sich. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass sie in ihrer jetzigen Form fortbestehen wird; stattdessen wird sie wahrscheinlich gravierende Veränderungen erfahren. Die Idee eines europäischen Kerns um Deutschland herum, der Österreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande umfasst, ist nicht neu. Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich und des Versuchs von Macron, einen Block gegen den von Deutschland geführten Viererblock zu bilden, wird das immer mehr zu einer Option.

Die Dominanz Deutschlands ist in der EU nichts Neues. In der zweiten Hälfte des Jahres 2020 wird Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehaben, dazu kommen die Präsidentin der EU-Kommission Ursula Von der Leyen, der Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus Klaus Regling, der Chef der Europäischen Investitionsbank Werner Hoyer, die Vorsitzende des Single Resolution Mechanism (SRM), einer der Säulen des EU-Bankensektors, Elke König, der Präsident des Europäischen Rechnungshofes ERH Klaus-Heiner Lehne, der Generalsekretär des EU-Parlaments Klaus Welle, die Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) Helga Schmid und der Vorsitzende der größten politischen Fraktion, der konservativen, rechten Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber.

Wir lehnen Verschwörungstheorien über einen "deutschen Übernahmeplan" ab, dennoch gibt es starke Verbindungen zwischen Politiker*innen und Großunternehmen. Wenn der wirtschaftliche Druck und damit die Spannungen zunehmen, werden nationale Interessen in den Vordergrund treten und die "Europäische Idee" in den Hintergrund geraten.

Während eine Zeit lang die Propaganda im Vordergrund stand, dass es darum ginge, die osteuropäischen Länder beim Aufholen zu helfen, wird diese nun beiseitegeschoben und Elemente des Neokolonialismus, die es schon immer gegeben hat, gewinnen an Boden. Um den Bedürfnissen der westeuropäischen Volkswirtschaften gerecht zu werden, wurden Gesundheits- und Pflegekräfte sowie Erntehelfer*innen aus Osteuropa mit zusätzlichen Charterflügen und im Falle Rumäniens sogar trotz des Bedarfes dort aus ihren Ländern abgezogen. Beschäftigte, die derzeit in ihren eigenen Ländern, die ebenfalls dramatische Krisen durchmachen, gebraucht werden, werden an Orte wie Österreich, Deutschland oder Großbritannien gebracht, um dort als billige und oft ungeschützte Arbeitskräfte zu dienen.

Solche Schritte werden zusätzlich zu den bereits bestehenden Spannungen, die aber für eine gewisse Zeit begraben wurden, weitere Spannungen nähren. Nationale Fragen werden ausgenutzt, insbesondere von rechtsgerichteten Regierungen wie dem ungarischen Orban-Regime mit seiner Politik eines "Großungarns", das versucht, die Bevölkerung und die Gebiete der Nachbarländer zu übernehmen.

Nach der Krise von 2007 und den brutalen Maßnahmen der Troika gabe es in Griechenland, Italien und anderen Ländern Vorschläge zur Einführung alternativer Währungen anstelle oder neben dem Euro. Solche Ideen können wieder aufkommen. Es ist nur möglich, einige der verschiedenen Spannungen innerhalb der EU aufzuzählen, aber es sollte betont werden, dass sie sich alle verschärfen und mehr und mehr zu einem Hindernis für die EU, wie sie heute besteht, werden.

Nein zur EU - Ja zu einem vereinten sozialistischen Europa

Die ISA (früher CWI) hat eine stolze Tradition, sich gegen die EU zu stellen. Die Bedingungen sind von Land zu Land unterschiedlich: manche sind Teil der EU, manche nicht, manche treten der EU bei und es gibt Ausrichtungen der Opposition gegen die EU von ganz rechts bis links. Aber wir haben immer deutlich gemacht, dass die EU ein kapitalistisches Projekt ist, das wir ablehnen.

Unsere Alternative besteht weder darin, die Illusion zu verstärken, dass die EU durch institutionelle Veränderungen verbessert werden kann, noch darin, dass wir uns nationalen Lösungen zuwenden. Wir haben viel über die möglichen Entwicklungen innerhalb und um die EU herum sowie über unsere Position gegenüber Brexit diskutiert. Wir verstehen den Bewusstseinswandel, wenn mindestens eine Generation von Jugendlichen nur das Leben in der EU kennt. Es gibt enorme Hoffnung und Unterstützung für die Idee eines vereinten Europas. Darauf können und müssen Sozialist*innen aufbauen. Es beweist einmal mehr, dass Gefühle der Solidarität und des Zusammenkommens menschliche Grundgefühle sind, die Menschen zu linken, sozialistischen und internationalistischen Ideen bringen. Nur wenn die Linke und die Organisationen der Arbeiter*innenklasse sie nicht aufgreifen und ihnen keinen organisierten Rahmen geben, kein Programm und keine Strategie anbieten, um zu kämpfen und zu gewinnen - nur dann werden die extreme Rechte und ihre nationalistischen und rassistischen falschen "Lösungen" Wurzeln schlagen können.

Das Jahr 2019 war ein Jahr der Massenproteste: Millionen von Jugendlichen gingen für "Klimagerechtigkeit" auf die Straße. In allen Teilen der Welt sahen wir Massenbewegungen, Streiks, Proteste und sogar Aufstände. Diese wurden von COVID-19 auf Eis gelegt. Aber die Grundlage für diese Entwicklung ist immer noch vorhanden und liegt in den Ineffizienzen und den gefährlichen und tödlichen Folgen des Kapitalismus. COVID-19 hat viel verändert. Es zeigte, wer die wirklich wichtige Arbeit leistet. Es zeigte die negativen Auswirkungen der Sparmaßnahmen. Es zeigte, wie viel Geld vorhanden ist. Diskussionen über die Verkürzung der Arbeitswoche, über zusätzliches Geld für die "Held*innen", über eine Millionärssteuer, über die Planung und Organisation der Produktion - diese und viele weitere Diskussionen finden in diesem Moment statt. Und sie weisen in die Richtung der Alternative zum Kapitalismus und der Alternative zur EU: Vorwärts zu den sozialistischen Staaten Europas, vorwärts zu einer sozialistischen Welt.

Internationaler Tag der Arbeit: Kapitalismus ist das Virus, Sozialismus das einzige Heilmittel

Fünf Gründe, für eine sozialistische Welt im Jahr 2020 zu kämpfen. Fünf Gründe, der ISA beizutreten.
International Socialist Alternative, Statement zum 1. Mai

Der 1. Mai - Der Internationale Tag der Arbeit hat in diesem Jahr eine besondere Bedeutung in einer Zeit, in der das Coronavirus die Welt im Griff hat und die vielleicht schwerste Wirtschaftskrise seit hundert Jahren bevorsteht.

Schon bevor das Virus zuschlug, war eine Welle von Streiks und Protesten durch alle Kontinente gezogen, um gegen Sparmaßnahmen, autoritäre Herrschaft und sogar, in den USA, für ein angemessene Löhne zu protestieren. Jetzt, mit Corona, ist die wahre Natur der modernen Klassengesellschaft für alle sichtbar geworden.
Die ursprünglichen Forderungen des 1. Mai, des Internationalen Tags der Arbeit, der vor mehr als hundert Jahren begann und in dessen Mittelpunkt der 8-Stunden-Tag, die internationale Arbeiter*innensolidarität und der Frieden standen, sind auch heute noch aktuell. Das kapitalistische System hat sich zunehmend als unfähig erwiesen, die Gesellschaft voranzubringen.
Die International Socialist Alternative (ISA - bis Januar unter dem Namen CWI bekannt) ruft alle Arbeiter*innen und sozialistische Aktivist*innen auf, sich auf jede erdenkliche Weise unter den Covid-19-Bedingungen anlässlich des 1. Mai zu beteiligen, um die internationale Arbeiter*innensolidarität zu zeigen. Angesichts der gegenwärtigen Situation müssen wir mehr denn je eine Alternative zum Kapitalismus präsentieren. Dies sind fünf Gründe, warum wir meinen, dass der Sozialismus der Weg in die Zukunft ist:

Nummer eins: Der Sozialismus hätte sich auf die Corona-Krise vorbereitet!

Das Covid-19-Virus scheint eine natürliche Mutation zu sein. Selbstverständlich kann kein System das Auftreten solcher Mutationen verhindern, obwohl es deutliche Hinweise darauf gibt, dass solche neuen Mutationen aufgrund der kapitalistischen Urbanisierung, der Entwaldung und des Klimawandels häufiger Pandemien verursachen. In der Tat kamen die Autoren der Zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen (IPBES) 2019 zu dem Schluss: "Die jüngsten Pandemien sind eine direkte Folge menschlicher Aktivitäten, insbesondere unserer globalen Finanz- und Wirtschaftssysteme, die wirtschaftliches Wachstum um jeden Preis verlangen".
Dies war nicht die erste Warnung, dass eine solche Pandemie passieren könnte. Nicht zuletzt war es die SARS-Covid-2-Pandemie im Jahr 2003. Es wurden bedeutende Forschungsarbeiten zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen dieses Coronavirus durchgeführt, aber sie wurden vor der Erprobung am Menschen gestoppt, weil die beteiligten Wissenschaftler "wie verrückt versuchten, Investoren oder Subventionen zu bekommen... aber wir konnten einfach nicht viel Interesse wecken". Hätte es den Impfstoff gegeben, hätte er die für die Entwicklung eines Impfstoffs für Covid-19 erforderliche Zeit dramatisch verkürzen können.
Dann gab es unter anderem das deutsche Robert-Koch-Institut, das vor einer Pandemie warnte, ähnlich der, die wir jetzt haben. In einer sozialistischen Gesellschaft hätte dies zu einer richtigen "Risikoplanung" geführt. Es hätte massive Investitionen in das Gesundheits- und Krankenhaussystem und dessen Ausbau gegeben, statt Kürzungen und Privatisierungen, die in den meisten Ländern zu einem gravierenden Mangel an Intensivbetten geführt haben. Statt Waffenlager gäbe es Lagerbestände an Beatmungsgeräten, Schutzausrüstungen, Material für dringende Tests und antivirale Medikamente. Statt "Just-in-time"-Produktion und Auslagerung in andere Länder würden in jedem Land und in jeder Region Produktionsstätten betrieben. Statt der Rekrutierung durch Agenturen und eines Mangels an Pflege- und anderem medizinischen Personal würden sie vom Staat zu angemessenen Löhnen eingestellt, um Zeit für die Ausbildung und das Erlernen von Notfallprozeduren zu haben.
Aber kapitalistische Regierungen versagten bei der Planung und versuchten dann, das Auftreten der Krankheit zu verbergen. Nicht nur in China, sondern auch in vielen anderen Ländern zögerten die Regierungen und Regierungschefs, Maßnahmen zu ergreifen, mit dem Argument, die Krankheit sei nicht ernst oder würde ihr Land nicht betreffen. Sie taten dies, um die kapitalistischen Profite und oft auch ihr eigenes Ansehen zu schützen. In einer sozialistischen Gesellschaft würde das Potenzial der Informationstechnologie, anstatt für militärische oder nachrichtendienstliche Zwecke oder zur Unterstützung des Bankensystems verschwendet zu werden, genutzt, um ein Frühwarnsystem einzurichten, das neue Fälle und Cluster bei ihrer Entstehung aufzeigt, so dass Notfallpläne eingeleitet werden können.
Diese Maßnahmen würden, wenn sie effizient eingesetzt würden, die Kurve nicht nur "absenken", sondern könnten sie "zerquetschen".

Nummer zwei: Der Sozialismus wäre mit COVID-19 effektiv umgegangen!

Aber solche Krankheiten kommen vor. In einer sozialistischen Gesellschaft stehen die Interessen der Menschen und nicht der Profit an erster Stelle. Die nationalen Interessen würden der Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit nicht widersprechen. Dank des Frühwarnsystems würden alle notwendigen Informationen rechtzeitig, transparent und wirksam verbreitet, so dass die gesamte Gesellschaft geplant werden könnte und die Bevölkerung eine angemessene medizinische Beratung über notwendige Präventivmaßnahmen erhalten würde.
Alle bisherigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass der Schlüssel zur Verringerung der Zahl der Todesopfer bei einer solchen Pandemie in der frühzeitigen Masstentestung der Bevölkerung liegt, die eine Rückverfolgung, Selbstdistanzierung und das Bereitstellen von genügend Betten und Personal auf der Intensivstation ermöglicht.
In einer sozialistischen Gesellschaft würden angemessene Ressourcen ein öffentliches Gesundheitsnetz unterstützen, das sich in normalen Zeiten mit der Krankheitsprävention und der Förderung einer gesunden Lebensweise befasst und bei einer sich abzeichnenden Pandemie rasch Massentests in Schulen, an Arbeitsplätzen und Reisezentren durchführen würde.
Die nationalen Gesundheitsdienste würden staatlich finanziert und voll integriert sein und eine hochwertige Gesundheitsversorgung von der "Wiege bis zur Bahre" bieten. Es gäbe keine Privatkliniken mehr für die Reichen, die die besten Ressourcen abschöpfen, während die finanzschwachen staatlichen Krankenhäuser den Rest behandeln. Keine Gebühren mehr für Tests und Behandlungen. Wir werden den Frauen und ihrer unbezahlten Arbeit bei der Pflege der Kranken nicht länger die Last aufbürden.
Es gibt keine Ärzte mehr, die entscheiden müssen, wen sie behandeln und wen sie zum Sterben nach Hause schicken. Keine privaten Altersheime mit minimaler Personalausstattung mehr, in denen die alten Menschen sterben müssen - stattdessen ein qualitativ hochwertiges, staatlich finanziertes Netz von Altersheimen, damit die alten Menschen Teil der Gesellschaft bleiben und in Würde leben können.
Die medizinische Forschung würde nicht mehr von kleinen Startups abhängen, die normalerweise durch staatliche Zuschüsse und Subventionen finanziert werden, wobei alle Entdeckungen hinter Patenten versteckt und von der Pharmaindustrie beschlagnahmt werden, um ihre Gewinne zu steigern. Die Forschung würde in staatlich finanzierten Agenturen durchgeführt, wobei alle Informationen offen ausgetauscht werden. Neue Medikamente würden von Organisationen in öffentlichem Besitz und unter demokratischer Verwaltung hergestellt. Keine Preistreiberei mehr durch Privatunternehmen und Spekulationen, die aus dem Mangel an Masken und Beatmungsgeräten exorbitante Gewinne erzielen.
Heute sehen wir, dass alle Vorurteile über Menschen, die zu egoistisch für eine sozialistische Gesellschaft sind, falsch sind. Besonders in den Arbeiter*innengemeinden sehen wir weit reichende Solidaritätsaktionen und -bewegungen.  In einer sozialistischen Gesellschaft ist die Kultur der Zusammenarbeit und Solidarität viel stärker, die durch die Einbeziehung aller in das Funktionieren der Gesellschaft auf allen Ebenen gefördert wird. Neue Wohnungsbauprogramme mit integrierten Erholungsgebieten würden dazu beitragen, die gegenwärtige schreckliche Überbelegung zu beenden, was die Selbstisolierung für viele so schwierig macht. Eine Selbstisolierung, die auf Vertrauen und einem Verständnis dafür beruht, warum sie notwendig ist, und nicht auf den Zwangsmaßnahmen, die heute in vielen Ländern angewendet werden, wäre viel wirksamer. Die moderne Technologie der Rückverfolgung, die möglicherweise notwendig ist, würde unter öffentlicher Aufsicht eingesetzt werden, um sicherzustellen, dass sie nicht zur Einschränkung anderer Freiheiten missbraucht wird.
Unwesentliche Arbeiten würden eingestellt - Punkt. Alle, auch selbständig Erwerbstätige in prekären Arbeitsverhältnissen, würden ein volles Einkommen erhalten, wodurch jeglicher finanzieller Druck für die Menschen, wieder zu arbeiten, beseitigt würde. Denjenigen, die noch arbeiten, würde die volle Persönliche Schutzausrüstung (PSA) gewährt. Entscheidungen über die Rückkehr an den Arbeitsplatz würden auf demokratischer Grundlage von der Gesellschaft und den betroffenen Arbeitnehmer*innen getroffen, mit medizinischer Beratung durch Expert*innen.
In einer sozialistischen Gesellschaft würden die Prioritäten bei den öffentlichen Ausgaben anders aussehen. Statt riesige Ressourcen für Waffen und Finanzspekulationen zu verschwenden, würden Gesundheit, Bildung und Lebensqualität im Vordergrund stehen.

Grund drei: Eine sozialistische Wirtschaft würde die Wirtschafts- und Gesundheitskrise lösen!

Der kapitalistische Markt versäumt es, die grundlegendsten Voraussetzungen für den Kampf gegen Covid-19 zu schaffen. Dies liegt nicht allein in der DNA des Kapitalismus, sondern jahrzehntelange Sparmaßnahmen und Privatisierungen haben das System völlig unvorbereitet auf die durch die Pandemie geschaffene Nachfrage gelassen. Die Nationalstaaten kämpfen miteinander um knappe Vorräte. Geizhals-Bosse liefern minderwertige und fehlerhafte Produkte, die in vielen Fällen unbrauchbar sind. Neue Wellen grotesker Spekulation und Profitmacherei werden durch diese Knappheit ausgelöst.

Darüber hinaus haben das Virus und die zu seiner Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen eine globale Wirtschaftskrise ausgelöst - die schlimmste seit hundert Jahren. Zig Millionen Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren, Hunderte von Millionen haben Lohnkürzungen hinnehmen müssen, und nun wird vorhergesagt, dass Hunderte von Millionen Menschen verhungern werden. Es wird noch mehr kommen. Welch eine Schande für ein Wirtschaftssystem, das die Welt jahrhundertelang beherrscht hat.

Eine sozialistische Wirtschaft würde das ständige Streben nach kurzfristigen Profiten und den Verdrängungswettbewerb um knappe Märkte beseitigen, indem sie die führenden Wirtschaftsbereiche - die Banken, die großen Industrie- und Bauunternehmen, die Lebensmittel- und Pharmaindustrie, den Informations- und Einzelhandelssektor - in öffentliches Eigentum überführt. Die zehn größten multinationalen Konzerne verfügen über ebenso viel Reichtum wie die 180 ärmsten Länder; sie ersticken derzeit die Weltwirtschaft.

Demokratische Planung würde bedeuten, dass die Unternehmensstrategien nicht mehr im Interesse der Aktionäre entschieden werden. Internationale und nationale Gremien, die von den Arbeiter*innen selbst kontrolliert werden, würden die Zuteilung von Ressourcen für jeden Sektor planen. Die derzeitigen Dienstleistungen im Marketing würden neu gestaltet werden, um im Rahmen einer öffentlichen Diskussion zu ermitteln, welche Produkte tatsächlich benötigt werden. Unnötige oder schädliche Produkte, z.B. Waffen, würden in nützliche Güter umgewandelt. Die Versorgungsketten würden so umgestaltet, dass sie nachhaltig sind, mit angemessener Bezahlung und sicheren Bedingungen für diejenigen, die in ihnen arbeiten. Kleine Unternehmen, die derzeit zu hunderttausenden in Konkurs gehen, könnten billige Kredite erhalten, sofern sie ihren Mitarbeiter*innen angemessene Löhne zahlen. 

Preise und Qualitätsniveau würden durch demokratisch gewählte Verbrauchergremien geregelt. Die Preise wären niedriger und müssten nicht mehr die Verschwendung und die enormen Profite decken, die von den Kapitalisten derzeit eingestrichen werden. Die Produktionsanlagen würden von gewählten Arbeiter*innenkomitees verwaltet, die von technischen Expert*innen unterstützt würden, deren Aufgabe nicht mehr darin bestünde, die Profite zu steigern, sondern den Bedürfnissen der Menschen zu dienen.

Wenn die Wirtschaft auf diese Weise demokratisch geplant würde, könnten geldgierige Bosse die Arbeiter*innen nicht mehr dazu zwingen, weiterhin unter unsicheren Bedingungen zu arbeiten, sei es in den industriellen Kerngebieten Italiens oder in den dystopischen Lagerhäusern von Amazon. Die Wirtschaft würde nicht mehr von der unterbezahlten Arbeit der Menschen der Arbeiter*innenklasse, insbesondere der Frauen, abhängen.

Beim ersten Anzeichen einer Epidemie würden sofort Ressourcen mobilisiert und notwendige Materialien produziert, die nicht mehr durch Patente, Geschäftsgeheimnisse, hohe Preise und einen rücksichtslosen Wettbewerb zwischen Privatbesitzen eingeschränkt wären.

Anstatt ignoriert und bestraft zu werden, weil sie sich zu Wort gemeldet haben, würden die Beschäftigten im Gesundheitswesen und das wissenschaftliche Personal im Mittelpunkt der Verwaltung einer öffentlichen und demokratisch geführten und kontrollierten globalen Gesundheitsindustrie stehen.

In einem größeren Rahmen hätte sich eine demokratisch geplante Wirtschaft nicht bereits am Rande einer globalen Krise befunden. Sie hätte keine riesigen Spekulationsblasen durch quantitative Easing gebildet - sie hätte die Produktionskapazität geplant, um Überproduktion und Überkapazitäten zu vermeiden, und sie hätte die Entwicklung des Handelskrieges verhindert. Sie würde nachhaltig funktionieren, so dass Klima und Umwelt nicht mehr geschädigt werden. Es wäre eine Gesellschaft, die auf der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und nicht auf privatem Profit beruht, und die ein für alle Mal die Ausbeutung von Menschen durch Menschen, die Unterdrückung der Rechte der Frau und die Spaltung der Gesellschaft nach Geschlecht, Rasse oder nationaler Zugehörigkeit beenden würde.

Grund vier: Der Sozialismus würde eine echte internationale Zusammenarbeit ermöglichen!

Eine globale Pandemie erfordert eine koordinierte globale Reaktion. Doch schon vor dem Coronavirus war die "Globalisierung" auf dem Rückzug und wurde durch eine neue Ära des globalen Antagonismus ersetzt. Grenzen werden geschlossen und Nationalstaaten streiten sich um kritische Vorräte. Die Schuldzuweisungen haben bereits begonnen, und der US-Imperialismus und seine Verbündeten haben den "chinesischen Virus" angeprangert. Die Europäische Union sieht sich einer neuen Welle des Drucks zur Fragmentierung gegenüber, da sich die Idee der "Solidarität" zwischen den nationalen Regierungen als Fantasievorstellung erweist. Trump hat angekündigt, dass die USA die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht länger finanzieren werden, und sie steht vor dem drohenden Zusammenbruch!

Obwohl der Kapitalismus ein globales Wirtschaftssystem ist, konnte er nie einen seiner grundlegenden Widersprüche vollständig überwinden, nämlich dass seine grundlegende wirtschaftliche und politische Organisationsform der Nationalstaat ist. Jetzt, im 21. Jahrhundert, wo Regierungen einfach nur den Interessen ihrer kapitalistischen Eliten dienen, wird von den Arbeiter*innen und Armen erwartet, dass sie die Rechnung bezahlen.

Der globale Kapitalismus hat es nicht geschafft, die Corona-Krise und den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu lösen. Er schürt die Klimakrise aufgrund der unerbittlichen Gier der Banken, Öl- und Gasunternehmen. Fast 800 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, und fast 2 Milliarden haben keine angemessenen sanitären Einrichtungen. Es gibt heute doppelt so viele aktive bewaffnete Konflikte in der Welt wie vor 50 Jahren, dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als imperialistische Mächte und lokale Eliten um Ressourcen kämpfen. Die nationale Frage, bei der ethnische Gruppen unterdrückt und ihrer Rechte beraubt werden, stellt sich auf allen Kontinenten der Welt immer wieder neu.

Im internationalen Sozialismus würde der demokratische öffentliche Besitz von Reichtum die Grundlage für nationale Gegensätze beseitigen, die letztlich immer die Gegensätze zwischen rivalisierenden Scharen von Kapitalist*innen widerspiegeln. Dies würde nicht nur der Geißel des Krieges, dem reaktionären Nationalismus und der Fremdenfeindlichkeit ein Ende setzen, sondern auch ungeahnte wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen.

Jedes Jahr sterben 850.000 Menschen, ein Drittel von ihnen unter 5 Jahren, an unsauberem Wasser und unzureichenden sanitären Einrichtungen. Dennoch würde die Bereitstellung von sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen 100 Milliarden Dollar pro Jahr kosten - nur ein Zwanzigstel davon wird jedes Jahr für Waffen ausgegeben! Laut Morgan Stanley muss die Welt bis 2050 50 Billionen Dollar ausgeben, um den Klimawandel zu stoppen. Das ist weniger, als die Welt in dieser Zeit für Waffen ausgeben wird, oder wahrscheinlich in etwa so viel, wie die Kapitalisten von 2008 bis zum Ende dieser Krise als Rettungsaktionen für die Banken und das Großkapital ausgegeben haben werden. Die Welt muss eindeutig ihre Prioritäten und die Art und Weise ändern, wie sie ihren Reichtum nutzt. Wir, die Arbeiter*innenklasse, die Armen und Unterdrückten, müssen die herrschende Elite davon abhalten, den Planeten und seine Wirtschaft im Interesse ihres Profits zu zerstören. Wir müssen ändern, wie der Reichtum, den wir geschaffen haben, verwendet wird.

Aber man kann nicht kontrollieren, was man nicht besitzt. Also müssen wir die Herrschaft über die Wirtschaft übernehmen. ISA steht für eine freiwillige sozialistische Konföderation aller Regionen, Nationen und Nationalitäten, mit dem Recht auf Selbstbestimmung für alle. Auf diese Weise könnte ein internationaler demokratischer Wirtschaftsplan ausgearbeitet werden, der die Arbeit und die Ressourcen der Welt zusammenführt, um den globalen wirtschaftlichen Wettbewerb und die riesige unnötige Verschwendung und Doppelarbeit, die es im Kapitalismus gibt, zu beseitigen.

Grund fünf: Der Kampf für den Sozialismus braucht Dich!

Die Realität der globalen Pandemie und der Abriegelungen hat einen großen Einfluss auf die Aussichten von Millionen von Menschen und enthüllt das wirkliche Kräftegleichgewicht der Klassen in der Gesellschaft. Die grundlegende marxistische Behauptung, dass die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft von der Arbeit der Arbeiter*innenklasse abhängt, wird immer klarer und deutlicher. Börsenmakler*innen, Geschäftsleute, Bankiers und rechte Politiker*innen, die immer arrogant behauptet haben, sie seien die wichtigsten Menschen in der Gesellschaft, haben in dieser Krise noch mehr als zuvor bewiesen, dass sie absolut inkompetent sind und nicht gebraucht werden. Die Menschen, die wirklich wichtig sind, sind die Sanitäter*innen, die Fahrer*innen, die Verkäufer*innen und viele andere. In einer sozialistischen Gesellschaft wären es genau diese Menschen, die Arbeiter*innenklasse und ihre Verbündeten, die die Gesellschaft leiten würden.

Die Menschen ziehen bereits politische Schlüsse. Es wird eine überwältigende Unterstützung geben, nicht nur für diejenigen, die in dieser Krise um die Rettung von Leben kämpfen, sondern auch für eine angemessene Finanzierung des Gesundheitswesens. In dem Maße, wie sich die Wirtschaftskrise weiter verschärft, wird es Fragen zu den Banken und dem Großkapital geben, und die Unterstützung für Verstaatlichungen wird zunehmen. Massenarbeitslosigkeit, während die Reichen immer reicher werden, wird dazu führen, dass die Menschen sich fragen werden, warum Arbeit nicht aufgeteilt werden kann. Die Wut wird wachsen, wenn kapitalistische Regierungen den Reichen und Banken mehr Geld geben.

Aber der Kampf, die Wirtschaft grundlegend zu verändern und eine neue Gesellschaft zu schaffen, muss organisiert werden. Wir brauchen kämpferische Gewerkschaften. Wir brauchen Mobilisierungen, um den Angriffen der Bosse an den Arbeitsplätzen, Universitäten und Schulen und in den Wohngebieten entgegenzutreten. Wir müssen für alles kämpfen, was notwendig ist, um unser Leben zu verbessern. Die Kapitalist*innen werden nicht einfach aufgeben. Sie sind hervorragend organisiert, wenn es darum geht, ihre Interessen zu verteidigen. Deshalb müssen wir noch besser organisiert sein, in militanten Gewerkschaften und Massenarbeiter*innenparteien, die mit einem sozialistischen Programm und einer sozialistischen Strategie bewaffnet sind, und mit solchen Organisationen in anderen Ländern zusammenarbeiten, damit wir ein für alle Mal die Schrecken des Kapitalismus beenden.

Die Schlussfolgerung, die an diesem ersten Mai, dem Internationalen Tag der Arbeit, an dem die Welt in eine der schlimmsten Krisen ihrer Geschichte gerät, gezogen werden sollte, ist daher, dass wir unsere Kampagnen intensivieren sollten. Die International Socialist Alternative ist entschlossen, dies zu tun. Wenn Du mit uns übereinstimmst, schließe Dich uns jetzt an!

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Die Corona-Wirtschaftskrise hat begonnen

Internationale Exekutive der Internationalen Sozialistischen Alternative (ISA), 19.3.2020

Die Coronavirus-Pandemie hat Hunderttausende infiziert und Tausenden das Leben gekostet. Die meisten wissenschaftlichen und medizinischen Expert*innen warnen davor, dass sich die Situation noch weiter verschlimmern und weltweit Millionen Menschen sterben könnten. Diese Krise hat sowohl die völlige Unfähigkeit des kapitalistischen Systems gezeigt, mit einer Gesundheitskrise dieses Ausmaßes umzugehen, als auch den heroischen Einsatz von medizinischem Personal, Wissenschaftler*innen, Lehrer*innen, Feuerwehrleuten und vielen anderen, oft freiwilligen Helfer*innen, die ihr eigenes Leben riskieren und lange arbeiten, um das Virus einzudämmen und zu bekämpfen.

Sie müssen dies in einer Situation permanenter Not tun, die durch einen Mangel an Tests, sanitärer Ausrüstung, Krankenhausbetten und Personal noch verschlimmert wird. Dies ist zu einem großen Teil eine Folge der neoliberalen Offensive, die in den letzten Jahrzehnten gegen das öffentliche Gesundheitswesen und andere öffentliche Dienste geführt wurde. Dazu gehörte die allmähliche Einführung neoliberaler Managementprinzipien einschließlich der „lean production“ ("schlanke Produktion" -alles ist auf das Nötigste reduzieren) sowie die völlige Privatisierung der früher öffentlichen Gesundheits- und Sozialsysteme.

Italien zum Beispiel hatte 1975 10,6 Krankenhausbetten pro 1.000 Menschen gegenüber 2,6 heute. Im Jahr 2011 gab es 6,9 Pfleger*innen und Hebammen pro 1.000 Menschen gegenüber 5,8 im Jahr 2017. In Frankreich gingen die Krankenhausbetten pro 1.000 Menschen von 11,1 im Jahr 1981 auf 6,5 im Jahr 2013 zurück.
 
Während einige westliche Medienkommentator*innen und Politiker*innen sich mit der Hoffnung trösten, dass der Beginn des Sommers den Ausbruch mildern werde, vergessen sie oft, dass ihr Sommer der Winter auf der Südhalbkugel ist! Die enormen Ungleichheiten, die schlechten Sanitär- und Gesundheitseinrichtungen und die hohe Bevölkerungsdichte, die in vielen Teilen der neokolonialen Welt existieren, können zu einem neuen Teufelskreis menschlichen Leids in noch größerem Ausmaß führen, sollte das Virus dort Fuß fassen.
 
Mit großer Verspätung, nach einer Periode der Leugnung und sogar Vertuschung, haben sich Regierungen, internationale Institutionen und Politiker*innen dem Kampf "angeschlossen". In vielen von dem Virus betroffenen Ländern sind Schulen, Bars und Restaurants geschlossen. Sport und kulturelle Aktivitäten sind verboten. Massenversammlungen werden verboten.
Frankreich hat eine teilweise Ausgangssperre verhängt. Bars und Restaurants wurden geschlossen. Eine Demonstration von Hunderten von Gelbwesten, von denen einige Schutzmasken trugen, wurde am Samstag von der Polizei in Paris aufgelöst. Sie wurde von den Behörden im Zusammenhang mit der Epidemie als unverantwortlich angeprangert. Nichtsdestotrotz bestand Macron jedoch darauf, dass am nächsten Tag Kommunalwahlen abgehalten würden.
 
Italien ist völlig abgeriegelt, aber wie in fast allen anderen Ländern operieren die meisten Unternehmen weiterhin ungestraft, was die anderen beschlossenen Maßnahmen sinnlos macht und die Unterwürfigkeit der Regierungen gegenüber den Bossen veranschaulicht. Dies ist der Hintergrund einer neuen Welle von wilden Streiks und Arbeitsniederlegungen, die international gegen den rücksichtslosen Versuch der Kapitalist*innenklasse ausgebrochen ist, ihre Gewinnmargen in völliger Missachtung von Menschenleben und der Gesundheit der Arbeiter zu erhalten. Streiks wurden von Industriearbeiter*innen in ganz Italien, Postangestellten in Großbritannien, Busfahrer*innen in Frankreich und Belgien, Autofahrern in Kanada usw. organisiert. In der Zwischenzeit, während die Europäische Kommission von den Ereignissen überholt wird, liegen die viel gepriesene "Bewegungsfreiheit" der EU wie auch der Binnenmarkt in Trümmern.

Epidemien und Pandemien als zunehmendes Merkmal des globalen Kapitalismus

Epidemien und Pandemien sind keine Ausnahmeerscheinungen, die Geschichte ist mit ihnen übersät. Schätzungen zufolge wurde die europäische Bevölkerung durch die Justinianische Pest halbiert (550 - 700 n. Chr.). Seuchen sind nicht Teil unserer Kultur, sondern durch sie verursacht. Der Schwarze Tod breitete sich Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa aus, begünstigt durch die Zunahme des Handels entlang der Seidenstraße, bevor er 30% der europäischen Bevölkerung dezimierte. Infizierte Menschen mussten vierzig Tage lang im Haus bleiben, und ein Bündel Stroh wurde an die Fassade ihres Hauses gehängt, damit die Menschen sehen konnten, dass die Bewohner infiziert waren. Schiffe, die aus infizierten Häfen in Venedig ankamen, mussten 40 Tage vor der Landung vor Anker liegen. Die Spanische Grippe (1918-1920) infizierte schätzungsweise 500 Millionen Menschen auf der ganzen Welt und forderte 50-100 Millionen Todesopfer. Laut der im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie der Weltbank würde eine ähnliche Epidemie heute zu einem Einbruch des weltweiten BIP um etwa 5% führen, eine Rezession, die viel tiefer wäre als die von 2009 (-2%).

Seit diesen historischen Beispielen haben bislang beispielloser Straßenbau, Abholzung, Landrodung und landwirtschaftliche Entwicklung sowie weltweiter Reiseverkehr und Handel die Menschheit noch anfälliger für Krankheitserreger wie das Coronavirus gemacht. Studien haben gezeigt, dass sich solche neu auftretenden Krankheiten im letzten halben Jahrhundert vervierfacht haben, was weitgehend auf die Störung des Ökosystems durch menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist. Zwischen 2011 und 2018 zählte die Weltgesundheitsorganisation nicht weniger als 1.483 Epidemien in 172 Ländern. In der jüngeren Vergangenheit machten HIV (die AIDS verursacht) und die Ebola-Epidemie Schlagzeilen, an denen Hunderttausende starben, vor allem in Afrika südlich der Sahara.

Wegen seiner Ähnlichkeit mit Covid-19 wird viel über den Ausbruch des SARS-Virus (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) auch in Südchina zwischen November 2002 und Juli 2003 berichtet, der 8.098 Infektionen verursachte und 774 Todesfälle in 17 Ländern nach sich zog. Diese Epidemie hatte jedoch, genau wie HIV und Ebola, nur sehr begrenzte Auswirkungen auf die Weltwirtschaft (-0,1%).

Diesmal wird es anders sein

Während der SARS-Epidemie war China, das 4 % der Weltwirtschaft ausmachte, noch nicht das wirtschaftliche Schwergewicht, das es heute ist (17 % des weltweiten BIP). Seit der Krise von 2008 hat China das weltweite Wachstum maßgeblich vorangetrieben und ist zu einem wichtigen Lieferanten und Käufer für alle Kontinente geworden. China absorbiert 14% der Exporte der EU, 6% weniger als vor 20 Jahren, und liefert 20% der Importe der EU, doppelt so viel wie vor 20 Jahren. Beispielsweise ist die deutsche Automobilindustrie stark vom chinesischen Markt abhängig: jedes vierte BMW-Auto wird dort verkauft und ein Drittel des jährlichen Gewinns von VW wird in China realisiert. Chinas asiatische Nachbarn und viele globale Rohstoffproduzenten (wie z.B. Brasilien) sind stark vom chinesischen Produktionsrhythmus abhängig. Außerdem besuchen jährlich etwa 8 Millionen chinesische Touristen Europa, und viele weitere besuchen wichtige Touristenziele in Asien, darunter auch Japan.

Während es seit 2008 eine teilweise Umkehrung der Globalisierung und ein Wachstum des Welthandels gegeben hat, führt die hochgradig integrierte Natur der Weltwirtschaft und der Lieferketten, bei der die Produktion von Gütern und ihren Bestandteilen in vielen Ländern und Kontinenten zersplittert ist, dazu, dass ein Produktionsstopp in einem Land leicht zu einer Verlangsamung oder Lähmung der Produktion in anderen Ländern führt. Apple besipielsweise hat eine Fabrik in Wuhan und hat bereits angekündigt, auf der Suche nach anderen Lieferanten zu sein.
 
Die Pharmaindustrie ist bei der Produktion eines bedeutenden Teils der Generika und Wirkstoffe stark von der chinesischen Chemieindustrie abhängig. Am 27. Februar meldete die amerikanische FDA (Food and Drug Administration) bereits den ersten Arzneimittelmangel im Zusammenhang mit dem Ausbruch und der damit verbundenen Unterbrechung in der Arzneimittelversorgungskette; weitere ähnliche Engpässe sind möglich. China ist auch ein wichtiger Bestandteil vieler anderer Wirtschaftsbereiche. Diese wechselseitige Abhängigkeit ist ein wichtiger Transmissionsriemen für wirtschaftliche Probleme auf der ganzen Welt.

Die beginnende weltweite Rezession wird wahrscheinlich für immer den Namen COVID-19 tragen. Die Wahrheit ist jedoch, dass das Virus der Auslöser der Rezession war, nicht ihre grundlegende Ursache. Das Coronavirus tauchte zu einer Zeit auf, als die Weltwirtschaft bereits am Rande des Abgrunds stand. Das weltweite Wachstum betrug 2019 lediglich 2,9 %, verglichen mit 3,4 % im Jahr 2018 und 3,6 % im Jahr 2017, was durchweg niedriger ist als vor der Weltwirtschaftskrise. Ein Hauptgrund zur Besorgnis ist das mangelnde Produktivitätswachstum. Seine Stagnation und sein Rückgang in den letzten zehn Jahren bedeuten, dass das bescheidene Wachstum der Arbeitsproduktivität hauptsächlich durch die Akkumulation von Sachkapital (Maschinen, Gebäude, Büro- oder Lagerbedarf, Fahrzeuge, Computer usw., die ein Unternehmen besitzt) und weniger durch Effizienzsteigerung oder Innovation angetrieben wird.

Die Weltwirtschaft hat die grundlegenden Schwächen, die zur Großen Rezession 2008-2009 geführt haben, nie wirklich überwunden. Das Produktivitätsniveau ging weiter zurück, geplatzte Blasen wurden durch andere, noch größere Blasen ersetzt, und obwohl die Zinssätze gesenkt und tonnenweise Geld gedruckt wurde, kamen die produktiven Investitionen in die Realwirtschaft nie in Schwung. Die Löhne wurden niedrig gehalten, die Hauspreise hoch und die Studiengebühren, Gesundheitskosten usw... stiegen weiter an. Die wenigen Vorteile, die die "Erholung" brachte, gingen überwiegend an die kapitalistische Elite und vertieften die Ungleichheit. Die riesigen Geldsummen, die durch Maßnahmen wie Quantitative Easing (QE) in den Finanzsektor der wichtigsten kapitalistischen Länder gepumpt wurden, sind überwiegend wieder in Spekulationen statt in produktive Investitionen geflossen. Im Wesentlichen bestand die Politik der kapitalistischen Schlüsselländer darin, weiter zu wursteln, indem man immer mehr Geld hineinpumpte.

Gefangen in einer Schuldenfalle

In den Jahren 2008-2009 stützten sich die Kapitalist*innen stark auf die "aufstrebenden" BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China), die damals im Gegensatz zu heute relativ dynamisch waren. Dies galt vor allem für China, das in massive Infrastrukturprojekte investierte und riesige Mengen an Rohstoffen importierte. Heute ist China aus einer Reihe von Gründen nicht in der Lage, diese Rolle zu spielen. Abgesehen von den Auswirkungen des Coronavirus (weiter unten ausführlicher beschrieben), den zunehmenden interimperialistischen Spannungen und dem teilweisen Stillstand seines "Belt and Road"-Programms hat China auch immer noch mit den Auswirkungen seiner gigantischen, kreditfinanzierten Konjunkturbelebung zu kämpfen, die als Reaktion auf die Krise von 2008 und danach betrieben wurde.

Chinas Gesamtverschuldung wird auf mehr als 300% des BIP geschätzt, was etwa 40.000 Milliarden US-Dollar oder etwa die Hälfte des globalen BIP ausmachen könnte. Darüber hinaus hat die chinesische Zentralbank nicht unbedingt die volle Kontrolle darüber, was Technologiegiganten wie Tencent oder Alibaba mit ihrem Geld tun. Sollte sich das Wachstum verlangsamen und sollten staatliche Unternehmen, Provinz- oder Kommunalbehörden ihre Schulden nicht bedienen, könnte dies zu einer Vervielfachung der Konkurse und einer Ansteckung des Bankensektors führen. Aufgrund der eigentümlichen staatskapitalistischen Struktur Chinas könnte dies zu einer großen Systemkrise führen.

Die Schulden werden durch administrative Maßnahmen geschützt, die den Kapitalfluss ins Land und aus dem Land heraus kontrollieren. Dies hat massive Auswirkungen auf die chinesischen Investitionen und die chinesische Politik im Ausland. Um diese Schulden tragen zu können und die Wirtschaft voranzubringen, braucht China Ersparnisse von seiner Bevölkerung und Einnahmen aus seinen Exporten. Ohne Wachstum könnten die Menschen weniger Geld auf die Banken legen und würden ein noch tieferes Misstrauen gegenüber der Regierung entwickeln. Für seine Exporte können Chinas Investitionspläne im Ausland den Zugang zu lokalen ausländischen Märkten garantieren.

Darüber hinaus spielt auch Hongkong eine entscheidende Rolle. Es fungiert als Durchgangsstation für Finanztransaktionen zwischen der noch nicht vollständig geöffneten chinesischen Wirtschaft und der Weltwirtschaft. Mit Hongkong ist der gesamte Austausch mit der Finanzwelt ausserhalb relativ einfach. Ohne Hongkong und mit bedeutenden Teilen der chinesischen Wirtschaft unter immer noch unter strenger administrativer Kontrolle wäre alles schwieriger. Das bringt eine strategische Notwendigkeit für die gegenwärtige wirtschaftliche und politische Situation in China mit sich. Peking muss Hongkong unter Kontrolle halten, während es wirtschaftlich gesehen auch relativ frei und offen bleiben muss, um nicht isoliert zu werden.

China ist in seiner Schuldenkrise bei weitem nicht allein. In einem Jahrzehnt mit historisch niedrigen bzw. negativen Zinssätzen hat sich eine weltweite Rekordverschuldung angehäuft, die über 322% des globalen BIP erreicht hat! Das bedeutet, dass jegliche Fragilität des Finanzsystems das Potenzial hat, eine neue Schuldenkrise auszulösen. In den letzten zehn Jahren haben sich die Unternehmen bei der Kreditaufnahme auf Pump verschuldet. Besonders auffallend ist der enorme Anstieg der Verschuldung der nichtfinanziellen Unternehmen in den USA. Dies hat es den großen globalen Technologieunternehmen ermöglicht, ihre eigenen Aktien aufzukaufen und riesige Dividenden an die Aktionär*innen auszugeben, während sie gleichzeitig im Ausland Bargeld anhäufen, um Steuern zu vermeiden. Es hat es auch kleinen und mittleren Unternehmen in den USA, Europa und Japan, die bisher keine nennenswerten Gewinne erzielten, ermöglicht, in einem "Zombie-Zustand" zu überleben.

Ende Dezember 2019 erreichte der globale Bestand an nichtfinanziellen Unternehmensanleihen einen historischen Höchststand von 13.500 Milliarden Dollar, das Doppelte des Niveaus vom Dezember 2008, insbesondere in den USA, wo sich die Unternehmensverschuldung seit der Finanzkrise fast verdoppelt hat. Der größte Teil dieser Schulden ist mit "BBB" geratet, was bedeutet, dass sie auf ein Junk-Niveau herabgestuft würden, wenn die Wirtschaft ins Stocken gerät. Der jüngste Bericht des IWF zur globalen Finanzstabilität unterstreicht diesen Punkt mit einer Simulation, die zeigt, dass eine halb so schwere Rezession wie 2009 dazu führen würde, dass unzählige verschuldete Unternehmen nicht in der Lage wären, diese Schulden zu bedienen. Wenn der Absatz einbricht, die Lieferketten unterbrochen werden und die Rentabilität weiter sinkt, könnten diese hoch verschuldeten Unternehmen zusammenbrechen. Das würde die Kreditmärkte und die Banken treffen und möglicherweise einen weltweiten Finanzkollaps auslösen.

Welthandel und beschleunigte Deglobalisierung

Eines der markantesten Merkmale der kommenden Rezession ist die Beschleunigung der Abkehr von der Globalisierung und eine Zunahme des wirtschaftlichen und politischen Nationalismus. Dies hat sich in politischen Phänomenen auf der ganzen Welt bemerkbar gemacht, indem eine Welle des Rechtspopulismus Regierungspositionen in führenden Wirtschaftsmächten eroberte. Während eine begrenzte, aber sehr bedeutsame internationale Zusammenarbeit dazu beigetragen hat, dass die Kapitalist*innen die Weltwirtschaftskrise von 2008/9 eindämmen konnten, prägt heute das Fehlen einer solchen Zusammenarbeit und stattdessen der Anstieg globaler interimperialistischer Widersprüche, die Weltwirtschaft und drängt sie in den Abgrund. Der Welthandel ist ein wichtiger Ausdruck davon.
Nimmt man das Volumen des Welthandels im Jahr 2000 als 100, so stieg es bis 2007 auf 117 an, fiel aber 2017 wieder auf 105 zurück. Die WTO meldete im vergangenen Jahr einen Anstieg des Welthandels um 1,2%, das ist weniger als die Hälfte ihrer Prognose von 2,6% vom April 2019. Im Vergleich dazu wuchs der Welthandel von 1990 bis 2007 jedes Jahr um durchschnittlich 6,9%, was das Wachstum der Weltwirtschaft ankurbelte.

Darüber hinaus begann Trump 2018 seinen Handelskrieg, der die wachsende wechselseitige Bindung der chinesischen und der US-amerikanischen Wirtschaft als zentrale Wirtschaftsbeziehung des Weltkapitalismus beendete. Sie wich nun einer zunehmend konfliktreichen Beziehung. Selbst nach dem "Phase eins"-Abkommen, das am 15. Januar von den USA und China unterzeichnet wurde, liegen die durchschnittlichen Zölle zwischen den beiden Ländern heute bei 19,3%, verglichen mit 3% vor Beginn des Handelskrieges. Das "Phase Eins"-Abkommen stellt keine bedeutende Deeskalation dar. Es ist ein Abkommen zwischen Vertreter*innen eines in Aufruhr und Niedergang befindlichen kapitalistischen Systems . Keine der beiden Seiten wird wahrscheinlich dauerhafte Gewinne erzielen, und die Arbeiter*innen und Armen ebenso wenig.

Das Abkommen kam zustande, als beide Seiten zunehmend verzweifelt nach einer Möglichkeit suchten, den Konflikt vorübergehend zu entschärfen, da die USA in einem Wahljahr sind und das chinesische Regime mit zahlreichen internen Problemen konfrontiert ist. Aber es ist nur eine Frage der Zeit und des thematischen Auslösers, bis die Konflikte wieder aufbrechen.

Noch während die USA und China das Abkommen im Weißen Haus unterzeichneten, bereiteten die US-Regierungsstellen neue Maßnahmen gegen den chinesischen Telekommunikationsgiganten Huawei vor, der vom US-Establishment insbesondere wegen seiner dominierenden Rolle in der 5G-Technologie, der nächsten Generation drahtloser Netzwerke, ins Visier genommen wurde. Die USA verstärken auch den Druck auf die Regierungen in Großbritannien und Deutschland, Huawei aus ihrer 5G-Infrastruktur auszuschließen. Weitere Probleme in den Beziehungen zwischen den USA und China brauen sich in Bezug auf Taiwan, Hongkong und Xinjiang, die verstärkten militärischen Aktivitäten beider Seiten im Südchinesischen Meer und den wachsenden Trend zu finanziellem Protektionismus zusammen.

Eine Pause im Zollkrieg zwischen den USA und China könnte auch den Weg für neue Handelskonflikte öffnen, die die Trump-Administration gegen Europa, Japan und andere aufbringen. Zwei Mal, im Jahr 2018 und erneut im vergangenen Jahr, verhängte Trump Zölle auf Aluminium und Stahl aus der EU sowie auf andere Produkte im Wert von 7,5 Milliarden Dollar, nachdem die WTO eine Entscheidung zugunsten der USA über europäische Subventionen für den Flugzeughersteller Airbus gefällt hatte. Trump droht auch mit Zöllen gegen Italien und Großbritannien wegen Plänen, digitale Unternehmen wie Google und Facebook zu besteuern. Die französische Regierung gab den Drohungen Trumps nach einem ähnlichen Steuervorschlag nach.

Die EU und andere Handelsmächte sind zwar erleichtert, dass die USA und China offenbar vor einer weiteren Eskalation zurückschrecken, empören sich aber darüber, dass das "Phase Eins"-Abkommen auf "gelenkten Handel" hinauslaufe und gegen die Prinzipien des "Freihandels" verstoße. Dies ist ein weiterer Nagel im Sarg der WTO, die bereits durch die Entscheidung von Trump im vergangenen Jahr gelähmt wurde, die Ernennung von Richtern für das Schlichtungssystem der WTO zu blockieren. Dieses Schlichtungssystem, dem das Verdienst zugeschrieben wurde, Handelskonflikte in Schach zu halten, ist nun gescheitert. Unter Trump hat die US-Regierung den Multilateralismus zugunsten einer bilateralen Strategie zur Erzielung von Handelsabkommen auf staatlicher Basis aufgegeben. Als größte Volkswirtschaft ist dies für die USA ein Vorteil, bis neue Krisen und Schocks das Kräfteverhältnis verändern, wohingegen die weitreichendere Auswirkung für die Weltwirtschaft zunehmende Fragmentierung und Instabilität sind.

Coronavirus löst Wirtschaftsabschwung in China aus

Als das Coronavirus Anfang Dezember letzten Jahres zum ersten Mal in Wuhan auftauchte und als dann am 7. Januar der neue Stamm Covid-19 identifiziert wurde, reagierten die chinesischen Behörden zunächst mit sträflicher Missachtung. Obwohl Peking Berichte über die Situation erhielt und sogar die WHO am 31. Dezember über das Auftauchen eines neuen Coronavirus-Typs informierte, stimmte die Zentralregierung der Vertuschung durch die Regionalregierung zu und schlug erst am 20. Januar öffentlich Alarm. Drei Tage später verhängte Peking eine drakonische Quarantäne über Wuhan und die Provinz Hubei, nachdem es mehr als sechs Wochen lang untätig geblieben war. Das chinesische Regime war schon vorher in Schwierigkeiten. Während der sechsjährigen Regierungszeit von Xi sanken die ohnehin aufgeblasenen offiziellen Wachstumszahlen nach 30 Jahren mit einem durchschnittlichen Wachstum von 10% auf nunmehr 7%.

Beobachter innerhalb Chinas und international erkennen nun an, was unsere Genoss*innen von chinaworker.info schon zuvor analysierten: Nämlich, dass die Macht von Xi viel begrenzter ist, als sie dachten. Mehrere Krisen in den Beziehungen zwischen den USA und China und in der Wirtschaft sowie die Rebellion in Hongkong haben den Druck auf Xi dramatisch erhöht und den Machtkampf innerhalb der herrschenden Elite neu entfacht. Infolgedessen waren die lokalen Beamten, die alles fürchteten, was der Diktatur in Xi schaden oder sie in Verlegenheit bringen könnte, angesichts der Corona-Krise völlig gelähmt und wagten es nicht, sich ohne Anweisung Pekings zu bewegen. Nachrichten über den Ausbruch wurden unterdrückt. Online-Informationen wurden blockiert. Die Aufrechterhaltung der "Stabilität" hatte oberste Priorität. Kritische Zeit um das Virus einzudämmen ging verloren, und als es unkontrollierbar wurde, war die oberste Führung des Regimes gezwungen, selbst zu versuchen, die Krise in den Griff zu bekommen.

Drei Tage später wurde die Stadt Wuhan (mit 11 Millionen Einwohnern) abgeriegelt und jegliche Ausreise verboten. In den folgenden drei Tagen wurde diese Quarantäne auf weitere 20 Städte ausgedehnt, wovon rund 60 Millionen Menschen betroffen waren. Züge, Flugzeuge, Fähren und Busse wurden gesperrt und Bahnhöfe und Mautstraßen von der bewaffneten Polizei blockiert. Die unter Quarantäne gestellten Städte erinnerten an Kriegsschauplätze. Die Bevölkerung hatte mit schweren Notlagen, akutem Mangel an medizinischer Versorgung und langen Schlangen für einen Arztbesuch in einem unterfinanzierten und überlasteten Krankenhaussystem zu kämpfen.

Zig Millionen Arbeiter*innen verblieben ohne Lohn, da Fabriken und Büros geschlossen wurden. Der Neujahrsferien wurden in den meisten Teilen des Landes um zehn Tage verlängert, in einigen Regionen sogar noch länger. Die Lehrer*innen blieben unbezahlt, da die Schulen bis auf weiteres geschlossen bleiben mussten. Millionen von Wanderarbeiter*innen aus den Binnenprovinzen waren den neuen Quarantänevorschriften und Reisebeschränkungen unterworfen, die sich über das ganze Land ausbreiteten. Der größte Teil Chinas kam zum Erliegen.
 
Peking ging dann in den Schadensbegrenzungs-Modus, indem man versuchte, das Image des "Kaisers" Xi zu schützen und alle Schuld auf die Regierung und die Polizei in Wuhan abzuwälzen. Die KPCh setzte ihr ganzes Arsenal an "stabilitätserhaltenden" Maßnahmen ein: Sie startete eine massiven Propaganda- und PR-Offensive und proklamierte den "Volkskrieg" gegen die Epidemie. Der Bau von zwei neuen Krankenhäusern in Wuhan in Rekordtempo mit zusätzlichen 13.000 Betten zielte darauf ab, die Autorität des Regimes zu stärken, war aber in Wirklichkeit weit unter dem Bedarf, da Schätzungen zufolge bis zu 190.000 Infizierte in Wuhan leben. Außerdem wurden diese Krankenhäuser von Wanderarbeiter*innen ohne Arbeitsvertrag, ohne Krankenversicherung und ohne Zugang zu medizinischer Behandlung unter schrecklichen und unsicheren Arbeitsbedingungen gebaut.

In der Financial Times argumentierte Jamil Anderlini: "Wenn das Virus nicht schnell eingedämmt werden kann, könnte das Chinas Tschernobyl-Moment werden, in dem die Lügen und Absurditäten der Autokratie für alle sichtbar offengelegt werden".

Was die wirtschaftlichen Maßnahmen betrifft, so kündigte Peking 12 Milliarden US-Dollar an Notfallfinanzierung zur Bekämpfung der Epidemie an. In derselben Woche pumpte man jedoch 174 Milliarden US-Dollar in den Bankensektor und den Aktienmarkt, um einen Zusammenbruch der Märkte zu verhindern. Neben der Furcht vor einem Zusammenbruch der Märkte zeigt dies auch, dass das chinesische Regime, genau wie die westlichen kapitalistischen Mächte, eine klare Klassenbindung zum Großkapital hat und Profite über das menschliche Leben stellt.

Trotz der Propaganda, dass man im Hinblick auf die Corona-Krise "aus dem Gröbsten heraus" sei, ist China weit von einer Rückkehr zur Normalität entfernt. Bis Anfang März lag die offizielle Rate der  wieder aufgesperrten Unterhnehmen in China bei etwa 60% für kleine und mittlere Unternehmen und deutlich höher für größere Unternehmen. Die Wiedereröffnung eines Unternehmens bedeutet jedoch nicht, dass es mit der gleichen Kapazität arbeitet, wie es normalerweise der Fall wäre. Darüber hinaus ist die leichtfertige Provokation eines neuen Ausbruchs in China durchaus eine Möglichkeit in dieser SItuation, da das profithungrige Regime darauf drängt, die Räder der Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Dan Wang von der "Economist Intelligence Unit" geht davon aus, dass in diesem Jahr in Chinas Städten 9 Millionen Menschen aufgrund der Auswirkungen des Virus ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Nach Angaben des chinesischen Statistikamtes (National Bureau of Statistics) ist die Industrieproduktion Chinas in den ersten beiden Monaten dieses Jahres um 13,5% und der Dienstleistungssektor um 13% geschrumpft. Diese Kombination lässt vermuten, dass Chinas BIP um 13% schrumpfte. Das 1. Quartal dieses Jahres wird das erste Quartal mit negativem Wachstum seit 1976 sein. Diese Zahlen liegen weit unter den Erwartungen der Analyst*innen, wobei viele China-Expert*innen ihre Überraschung darüber zum Ausdruck brachten, dass Regierungsbeamte überhaupt bereit sind, solch verheerende Zahlen zu melden.

Der tatsächliche Schaden könnte jedoch noch größer sein, da die Lockdowns größtenteils erst am 23. Januar begannen. Weitere Zahlen scheinen dies zu bestätigen. Während des Ausbruchs des Virus im Januar und Februar sollen etwa 5 Millionen Menschen in China ihren Arbeitsplatz verloren haben. Die städtische Arbeitslosenquote ist im Februar auf 6,2% gestiegen. Diese offiziellen Zahlen sind nur ein grober Indikator, da sie nur die städtische Beschäftigung berücksichtigen. Der größte Teil der Industriearbeiter*innen in China sind die 300 Millionen Wanderarbeiter*innen aus den ländlichen Gebieten, die ohne Vertrag arbeiten und diskriminiert werden. Es wird geschätzt, dass 30-40% von ihnen immer noch arbeitslos sind und dass dies noch für einen längeren Zeitraum so bleiben wird.

Die Einzelhandelsumsätze stürzten im Januar und Februar um 20,5% gegenüber dem Vorjahr ab, und die Investitionen in Anlagevermögen sanken um 24,5%, nachdem sie bei der vorigen Erhebung der Daten noch um 5,4% gestiegen waren. Diese am 16. März veröffentlichten Daten zeigen, wie stark das Virus das Wachstum in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt erschüttert hat.

Der Machtkampf innerhalb der KPCh und der herrschenden Elite wird mit ziemlicher Sicherheit wieder aufflammen, angefacht durch die wachsenden Meinungsverschiedenheiten über die Amtsführung von Xi, aber letztlich auch durch die neue Wut und Radikalisierung, die an der Basis der Gesellschaft um sich greift. Die Pandemie hat das Versagen des Regimes aufgedeckt und massiven wirtschaftlichen Schaden angerichtet. Dies könnte eine neue Stufe der Krise mit potenziell revolutionären Auswirkungen auslösen. Die Aufgabe der Marxist*innen, insbesondere der Unterstützer*innen der ISA in China, besteht darin, den bewusstesten Teilen der Arbeiter*innenklasse und der Jugend zu helfen, sich politisch darauf vorzubereiten. Die humanitäre, wirtschaftliche und politische Krise Chinas erfordert den Aufbau einer sozialistischen und wahrhaft demokratischen Alternative der Arbeiter*innenklasse zum autoritären Kapitalismus der KPCh.

Aktienmärkte schwanken von Optimismus zu offener Panik

Bis Ende Februar blieb die "wirtschaftliche Welt " überraschend optimistisch. Zu dieser Zeit wütete die Epidemie vor allem in der Provinz Hubei, die 4,5% des chinesischen BIP ausmacht. Da sie im Allgemeinen die Stärke der Xi Jinping-Diktatur sowie ihre Fähigkeit, scheinbar endlose Ressourcen zu mobilisieren und ihre Kontrolle über die Bevölkerung überschätzten, dachten sie wahrscheinlich, dass das Regime in der Lage sein würde, mit dieser Situation fertig zu werden. Sogar nach der Abriegelung der Provinz Hubei und anderen Maßnahmen (oder vielleicht sogar wegen ihnen) dachten sie, dass Covid-19 die Weltwirtschaft nicht zum Entgleisen bringen würde.

Noch am 2. März schrieb die OECD in ihrem Bericht "Coronavirus: the world economy at risk" (Coronavirus: die Weltwirtschaft in Gefahr): "Ausgehend von der Annahme, dass der Höhepunkt der Epidemie in China im ersten Quartal 2020 erreicht wird und die Ausbrüche in anderen Ländern sich als mild und eingedämmt erweisen, könnte das globale Wachstum in diesem Jahr um etwa 0,5% gegenüber dem erwarteten Wachstum in der Wirtschaftsprognose vom November 2019 sinken". Außerdem "wurden die Aussichten für China deutlich revidiert, wobei das Wachstum in diesem Jahr unter 5% fällt, bevor es sich 2021 auf über 6% erholt".

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Epizentrum dessen, was verspätet als Pandemie erkannt wurde, bereits nach Europa verlagert. In der letzten Februarwoche führte dies dazu, dass die europäischen Aktienmärkte im Durchschnitt zwischen 12 und 15% einbüßten und verschiedene US-Börsen die stärksten Einbrüche seit 2008 verzeichneten. Am 28. Februar meldeten die Aktienmärkte weltweit die größten Verluste in einer einzigen Woche seit der Finanzkrise von 2008. Dies führte dazu, dass die Finanzminister*innen und Zentralbankchef*innen der G7-Länder eine gemeinsame Erklärung veröffentlichten, um die Märkte zu beruhigen. Darin verpflichteten sie sich, alle erforderlichen Mittel einzusetzen, um den sozioökonomischen Auswirkungen des Ausbruchs zu begegnen. In den folgenden Tagen senkten eine Reihe von Zentralbanken, darunter Malaysia, Australien, Indonesien, Mexiko und anderen Länder entweder ihre Zinssätze oder ergriffen andere Konjunkturmaßnahmen. Aber die größte Überraschung kam von der US-FED. Sie senkte ihren Zinssatz um 50 Punkte. Als Reaktion darauf fielen alle US-Märkte im Gegensatz zu den europäischen und asiatisch-pazifischen Märkten, die meist kurzzeitig gestiegen waren. Die Rendite 10-jähriger und 30-jähriger US-Treasury Securities (Geldmarktpapiere und Anleihen des US-amerikanischen Staates) fiel auf Rekordtiefs.

Ölpreiskrise kommt ins Spiel

Man sagt, dass ein Unglück selten allein kommt. Der Rückgang der Reisetätigkeit und die geringere Ölnachfrage in China infolge der Coronavirus-Lockdowns führten zu einem Rückgang des Ölpreises. Dies veranlasste das Ölproduzentenkartell OPEC, über eine mögliche Produktionskürzung zu diskutieren, um dem entgegenzuwirken. Es gab Pläne, die Ölproduktion um 1,5 Millionen Barrel pro Tag auf das niedrigste Förderniveau seit dem Irak-Krieg zu senken. Bei einem Treffen in Wien am 5. März 2020 gelang es der OPEC und Russland jedoch nicht, eine Einigung zu erzielen.

In einen erbitterten Wirtschaftskrieg um reduzierte Absatzmöglichkeiten verwickelt, kündigten Saudi-Arabien und Russland dann am 7. März konkurrierende Erhöhungen der Ölförderung an, was die Preise um weitere 25% Prozent sinken ließ. Am 8. März kündigte Saudi-Arabien unerwartet an, dass es die Rohölproduktion weiter steigern und mit einem Preisnachlass (von 6-8 Dollar pro Barrel) an Kunden in Asien, den USA und Europa verkaufen würde. Die Förderung von Rohöl in Saudi-Arabien ist viel billiger (18 $ pro Barrel) als in Russland (42 $), ganz zu schweigen von der Schieferölproduktion in den USA. Wenn Saudi-Arabien den Markt weiterhin überschwemmt, könnte es viele russische, amerikanische und andere Ölförderer aus dem Geschäft drängen.

Der russisch- saudi-arabische Ölpreiskrieg, verbunden mit einer wachsenden Coronavirus-Panik, löste das aus, was am als "Schwarzer" oder "Crash"- Montag bekannt wurde. Dabei fiel der Dow Jones an einem einzigen Tag so stark wie nie zuvor und viele andere Aktienmärkte brachen weltweit alle Arten von "Bärenmarkt-rekorden" (d.h. wenn die Aktienkurse nach einem früheren Höchststand um mindestens 20% fallen). Es folgte eine weitere Lawine von Ankündigungen von Interventionen der Zentralbanken und Regierungen.

In den USA schlug Trump eine 0%ige Lohnsummensteuer als Konjunkturimpuls vor. Am 11. März kündigte er dann ein vorübergehendes 30-tägiges Reiseverbot für die 26 Mitgliedsstaaten des Schengen-Raums in Europa an. Der folgende Tag wurde zum "Schwarzen Donnerstag", mit einem noch größeren prozentualen Rückgang der US-Börsen innerhalb eines Tages. Und auch am nächsten Tag richteten die internationalen Märkte Verwüstungen an. Der Dow Jones verzeichnete die schnellste Bewegung in einen Bärenmarkt in seiner 124-jährigen Geschichte. Zwischen dem 17. Februar und dem 13. März verlor der S&P 500 der Wall Street 27% seines Wertes, der FTSE 100 in London 30% und der Dax in Frankfurt 33%.

Auf dem Weg in eine tiefe Rezession

Die Aktienmärkte sind keineswegs ein korrektes Abbild der genauen Wirtschaftslage. Sie zeigen jedoch auf verzerrte Weise die Richtung an, in die sich die Wirtschaft bewegt. Ab Ende Februar begannen Ökonom*innen und Kommentator*innen damit, die Möglichkeit einer Rezession offen anzusprechen. Ihre Hauptfrage war jedoch, welche Form sie annehmen und wie tief sie sein würde. Würde es sich um eine V-förmige Rezession handeln, die mit einem steilen Absturz als Folge der während des Höhepunktes des Virus eingeführten Restriktionen beginnt, bald ihren Tiefpunkt erreicht und einer raschen Wende Platz macht?

Oder wären erste Anzeichen einer Erholung verfrüht und würden sie zu einem zweiten Einbruch, einer W-förmigen Rezession führen? Gewöhnlich riefen die Ökonom*innen mit dieser Frage die Behörden dazu auf, Hilfe zu leisten, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, und zwar in Form von Steuererleichterungen, billigen Krediten oder finanzieller Unterstützung, um Entlassungen zu verhindern. Andernfalls könnten diese Unternehmen pleite gehen oder anfangen, Mitarbeiter zu entlassen, was die Möglichkeit einer Erholung untergraben würde. Die Folge wäre eine längere U-förmige Rezession oder sogar eine L-förmige Rezession, die kurz- bis mittelfristig keine Möglichkeit einer Erholung bietet.

Die Möglichkeiten, ein solches Szenario zu vermeiden, werden von Tag zu Tag geringer. Am 13. März gab JP Morgan bekannt, dass sich die eigene Einschätzung des Coronavirus-Ausbruchs "in den letzten Wochen dramatisch weiterentwickelt" hätte. Der plötzliche Stopp der wirtschaftlichen Aktivität durch Quarantäne, Absage von Veranstaltungen und Social Distancing, sowie das wochenlange Chaos auf den Finanzmärkten hätten den Schluss nahegelegt, dass die USA und die europäischen Volkswirtschaften bis Juli von einer tiefen Rezession betroffen sein werden.

JP Morgan schätzt, dass das BIP der USA im ersten Quartal um 2% und im zweiten Quartal um 3% schrumpfen wird, während die Eurozone um 1,8% bzw. 3,3% schrumpft. Das wäre katastrophal. Während der Weltwirtschaftskrise 2008-2009 betrug der Rückgang der Produktion in den USA etwa 4,5%. Jetzt wird er für China und Italien zunächst auf etwa 6,5% geschätzt und könnte bis zu 10% steigen. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise baute die US-Wirtschaft 800.000 Arbeitsplätze pro Monat ab, und die Arbeitslosenquote erreichte einen Höchststand von 10%. Dieses Mal wird es noch viel schlimmer kommen. In China sind bereits Millionen von Menschen arbeitslos geworden, und viele weitere werden weltweit folgen. Die herrschenden Klassen haben schreckliche Angst vor dem Zorn, den dies hervorrufen könnte. Er könnte die Aufstände und Klassenkämpfe, die in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 auf allen Kontinenten stattfanden, wiederbeleben und ausweiten.

Eine Reihe anderer Institutionen wie Goldman Sachs sowie Ökonom*innen korrigieren ebenfalls ihre Einschätzungen, und keine davon sieht viel optimistischer aus. Kenneth Rogoff von der Harvard-Universität sagte: "Eine globale Rezession scheint mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90% zu diesem Zeitpunkt bereits eine gemachte Sache zu sein." Olivier Blanchard vom Peterson Institute sagte, es stehe für ihn "außer Frage, dass das globale Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr 2020 negativ sein wird". Die zweite Jahreshälfte werde davon abhängen, wann der Höhepunkt der Ansteckung erreicht sei, sagte er und fügte hinzu, dass dieser Zeitraum nach seiner "eigenen Einschätzung" wahrscheinlich ebenfalls negatives Wachstum aufweisen werde.

Der IWF definiert eine globale Rezession als einen Zeitpunkt, an dem das globale Wachstum, normalerweise etwa 3,5 bis 4% pro Jahr, unter 2,5% fällt. Nicht alle IWF-Alumni halten diese Definition unter den gegenwärtigen Umständen für sinnvoll, aber alle haben erklärt, dass die Bedingungen für eine globale Rezession unabhängig von der genauen Definition erfüllt sind. Im Jahr 2009 ging das weltweite BIP um 0,1% zurück. Derzeit geht das OECD-Szenario für den Fall, dass sich die Pandemie außerhalb Chinas ausbreitet, von einem Wachstum von 1,5% aus, das jedoch bald nach unten revidiert werden muss, möglicherweise weit unter das Niveau von 2009.

Gita Gopinath, Chefökonomin des IWF, sagte, dass dies, obwohl es schwer vorherzusagen sei, nicht wie eine normale Rezession aussehe. Sie verwies auf Daten aus China, die einen viel stärkeren Rückgang der Dienstleistungen zeigen, als ein normaler Abschwung vorhersagen würde. Sie sagte auch: "Dies könnte nur ein vorübergehender Schock sein, wenn es eine aggressive politische Reaktion darauf gibt, die verhindern kann, dass es sich zu einer größeren Finanzkrise ausweitet." In vielerlei Hinsicht bekam sie tatsächlich die aggressive Politik, die sie sich wünschte...
 
Am 3. März führte die FED angesichts der "sich entwickelnden Risiken für die Wirtschaftsaktivität" durch das Coronavirus eine Zinssenkung um 0,5% durch. Am 12. März kündigte sie dann ihre Pläne an, das Quantitative Easing um 1,5 Billionen Dollar auszuweiten, um Geld in das Bankensystem zu pumpen. Dann, am 15. März, senkte die Fed ihren Zinssatz erneut um einen vollen Prozentpunkt auf ein Zielniveau von 0 bis 0,25%, begleitet von einer weiteren Geldspritze in Höhe von 700 Milliarden Dollar. Am 16. März stürzten die Aktienmärkte jedoch erneut ab, der Dow Jones stürzte um fast 3.000 Punkte bzw. über 12% und verzeichnete damit den größten Tagesverlust in der Geschichte. Die finanzielle Panzerfaust der FED zielte darauf ab, einen drohenden Finanzcrash abzufedern. Aber im Bezug auf die erhoffte "Lockerung" (Easing) der Märkte hatte sie den gegenteiligen Effekt und verschärfte die Krise.

Was hätte getan werden sollen, allerdings in viel größerem Umfang, als die Kapitalist*innen bereit sind, es zu tun, wird von Chris Zaccarelli, Chief Investment Officer der Independent Advisor Alliance, angesprochen: "Erst wenn eine glaubwürdige und konkrete Finanz- und Gesundheitspolitik verfolgt wird, um die wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Risiken einzudämmen, dann werden werden wir beginnen, eine Stabilisierung am Aktienmarkt zu sehen". Das bestätigte sich, als die heftig kritisierte Trump-Administration schließlich eine Reihe begrenzter Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zu Tests ankündigte. Ebenso, als Trump die Coronavirus-Pandemie zu einem "Nationalen Notfall im Bereich der öffentlichen Gesundheit "erklärte und 50 Milliarden Dollar an Staatsausgaben für Pandemiebekämpfungsmaßnahmen freigab, oder als Nancy Pelosi ankündigte, dass das US-Repräsentantenhaus ein weiteres Gesetz verabschieden würde, welches die Ausweitung von Krankenstandsregelungen beinhalten würde. Trump gab seinen anfänglichen Widerstand gegen das Gesetz auf und unterstützte es. Diese Maßnahmen waren der Hintergrund der kurzen Phasen, in denen die Aktienmärkte ihre Abwärtsspirale unterbrachen.

Das liegt nicht daran, dass die Märkte oder das Establishment plötzlich Mitleid mit den Familien der Arbeiter*innenklasse empfänden. Einige Zyniker*innen sehen sogar Chancen in der Coronavirus-Pandemie, wie z.B. die "Leerverkaufsspekulant*innen", die mit Wetten auf fallende Aktienkurse an der Börse Gewinne gemacht haben. Andere rechnen damit, dass der Tod vieler alter, unproduktiver Menschen die Produktivität steigern wird, weil die jungen und produktiven Menschen in größerer Zahl überleben werden.

Die Maßnahmen sind zum Teil darauf zurückzuführen, dass das Virus auch ihre eigene Gesundheit und ihren eigenen Wohlstand bedroht, vor allem aber darauf, dass sie sich vor den sozialen Erschütterungen fürchten, die es auslösen könnte, wenn man sie als zu unnachgiebig und gierig betrachtet. Sogar die OECD plädiert nun für eine zusätzliche staatliche Unterstützung der Gesundheitssysteme, einschließlich ausreichender Mittel, um eine angemessene Personalausstattung und Testeinrichtungen zu gewährleisten. Sie schlägt auch befristete Hilfsleistungen wie Geldüberweisungen oder Arbeitslosenversicherung für Arbeiter*innen vor, die im unbezahlten Urlaub sind, sowie die Garantie, die virusbedingten Behandlungskosten für alle zu übernehmen, wenn nötig auch rückwirkend. Aus den gleichen Gründen gestatten einige Banken ihren Kund*innen, Hypotheken aufzuschieben, und sogar rechte Regierungen ergreifen Sondermaßnahmen wie die Gewährung von Sonderurlaub im Krankheitsfall oder die Zulassung "technischer Arbeitslosigkeit" mit teilweiser Entschädigung für entgangene Löhne.

Vertreter*innen der herrschenden Klassen argumentieren, dass wir uns in einer " kriegsähnlichen" Situation befinden und dass dies außergewöhnliche Maßnahmen erfordere, die unsere Freiheiten zunehmend einschränken. Sie führen die Art von wirtschaftlichen Maßnahmen ein, die sie noch vor Wochen ohne weiteres abgelehnt hätten. Sie ziehen sogar das Instrument der Verstaatlichung in Betracht. Sie ist inzwischen zum Dauerthema geworden. Sogar der rechte französische Premierminister Édouard Philippe kündigte Verstaatlichungen an. Auffallend ist, dass er diesen Vorschlag nicht nur gemacht hat, um Unternehmen vor dem Bankrott zu retten, sondern auch als Drohung an diejenigen Unternehmen, die sich nicht an die Hygienebestimmungen halten.

Natürlich verbinden die herrschenden Klassen jegliche Maßnahmen mit einem Appell zum nationalen Schulterschluss, welchem leider viele Gewerkschaftsführer*innen, darunter auch Linke, nur allzu leicht Folge geleistet haben. Die Vorstellung, es handele sich um einen äußeren Feind, eine feindliche "Invasion", die wir alle durch die nationale Einheit stoppen müssten, wird zwar Auswirkungen auf breite Schichten der Gesellschaft haben, doch bereits jetzt durchschaut eine wachsende Zahl von Arbeiter*innen und Jugendlichen diese Heuchelei. Dies gilt insbesondere für die Arbeiter*innen in der Industrie, welche die Social Distancing als notwendig und verantwortungsvoll akzeptieren würden, sich aber fragen, warum sie weiter arbeiten müssen - und das ohne angemessenen Schutz.
Diese " kriegsähnliche" Situation wird ein Wendepunkt sein. Die herrschenden Klassen werden versuchen, dieser Krise jede Möglichkeit zu entreißen, demokratische Rechte abzuschaffen. Die Arbeiter*innen und Armen hingegen werden durch einige der durchgeführten Maßnahmen gelernt haben, dass neoliberale Wirtschaftskonzepte umgestoßen werden können.

Sozialist*innen begrüßen zwar alle Maßnahmen, die die Macht der Profiteur*innen einschränken und die öffentlichen Dienste und den Lebensstandard fördern. Aber wir erklären, dass solche Maßnahmen auf der Grundlage des profitorientierten kapitalistischen Systems nicht ausreichen werden, um dem Ernst der Lage gerecht zu werden. Nur wenn das Profitsystem durch demokratische sozialistische Planung und demokratisches öffentliches Eigentum als Motor einer umgestalteten Wirtschaft ersetzt wird, können die Ressourcen der Welt wirksam mobilisiert werden, um die Bedürfnisse der Menschheit zu befriedigen. Während kapitalistische Regierungen sich dem "Sozialismus für die Reichen" zuwenden mögen - einer Politik, die faktisch den öffentlichen Sektor plündert, um die Profite einer Minderheit zu schützen -, sind sie unfähig, den Umfang der öffentlichen Investitionen, Koordination und Planung zu realisieren, den die Situation erfordert.

Europa im Auge des Sturms

Die Europäische Kommission revidierte ihre Wachstumsprognosen für 2020 von 1,4% im Februar auf -1% in der zweiten Märzwoche und dann auf -2% bis -2,5% Mitte März. Die italienische Wirtschaft stagniert seit Wochen und ihre industriellen Kernregionen sogar noch länger. Das alles kommt nach Jahren sehr schleppenden Wachstums, nach denen Italien immer noch weit hinter dem Niveau von vor 2008 zurückliegt. Italien hatte bereits die drittgrößte relative Staatsverschuldung der Welt (135% des BIP), eng verwoben mit seinem brüchigen Bankensystem. Der Wert italienischer Bankaktien hat sich seit Mitte Februar halbiert. Eine Kreditklemme scheint so gut wie sicher, und das Gespenst eines "Doom Loop" zwischen Staat und Banken droht. Ein "Doom Loop" ist das Dilemma, vor dem ein Staat steht, wenn er inländische Banken in Konkurs gehen lässt, obwohl diese Banken gleichzeitig die größten Schuldtitel-Käufer dieses Staats sind. Ohne Finanzhäuser, die die Schuldtitel eines Landes kaufen können, gerät der Staat zusammen mit seinen Banken in die Insolvenz.

Italiens Wirtschaft ist groß genug, um eine weltweite Krise auszulösen, wenn sie schlecht verwaltet wird. Laut Ashoka Mody, der ehemaligen stellvertretenden Direktorin des IWF in Europa, ist eine sofortige "Firewall" in Höhe von 500 bis 700 Milliarden Euro erforderlich, um das Risiko einer internationalen Kettenreaktion der Finanzmärkte zu vermeiden. Während die EZB, die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedsstaaten die Tiefe der kommenden Krise zu erkennen scheinen, ist es noch ein weiter Weg, bis sie in der Lage und willens sind, eine solche Intervention zu finanzieren. Dem IWF hingegen fehlen schlicht und einfach die notwendigen Ressourcen für eine derart massive Operation.

Vor dem Hintergrund der bereits erwähnten globalen Tendenz zu politischem und wirtschaftlichem Nationalismus, die in den letzten Jahren in Europa zu beobachten war, sollten die politischen Hindernisse nicht unterschätzt werden, die einer Umsetzung von "Rettungspaketen" im Wege stehen, wie sie 2010 für krisengeschüttelte periphere Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt wurden.

Die europäischen Länder, insbesondere in der Eurozone, verzeichnen seit einigen Jahren ein schwaches Wachstum, das sich seit dem letzten Jahr noch einmal stark verringert hat. Ihre Lokomotive, die deutsche Wirtschaft, verlangsamte sich im vergangenen Jahr auf 0,6% Wachstum. Der industrielle Sektor befindet sich seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 in einer Rezession. Er ist von der Verlangsamung des Welthandels stark betroffen. Im Jahr 2019 schrumpfte die deutsche Industrie um 5,3%, wobei der Automobilbau um 25% einbrach. Während sich Deutschland am unteren Ende des Wachstums der Eurozone befindet, betrug jedoch auch das Wachstum der gesamten Region im Jahr 2019 lediglich 1,2% und sollte Prognosen zufolge bereits vor der Pandemie auf 0,8% zurückgehen.

Jetzt wird es noch viel schlimmer werden. Hinzu kommt, dass es bis Ende des Jahres immer noch zu einem No-Deal Brexit kommen könnte. Auch wenn dies derzeit bei weitem nicht die Hauptsorge ist, hätte es doch erhebliche negative Auswirkungen auf das Wachstum und würde zu weiterer Instabilität führen. Im Moment steht allerdings die Coronavirus-Pandemie im Zentrum der Aufmerksamkeit. Jeder Mitgliedsstaat ergreift seine eigenen Initiativen, Grenzen werden wieder hochgezogen, die Reisefreiheit wird eingeschränkt und der Binnenmarkt unter großen Druck gesetzt. Ein Land nach dem anderen verkündet seine eigene Version von Lockdowns und Aussperrungen.

Die EZB kann nicht umhin, ihre Ohnmacht anzuerkennen. Angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19 gibt sie zu, dass der Schlüssel zu dieser Situation bei den Nationalstaaten und den europäischen Budgetgremien liegt. Der Zinssatz der EZB liegt bereits seit vier Jahren bei Null. Der Zinssatz, zu dem Geschäftsbanken Geld bei der EZB anlegen können, ist bereits negativ (-0,5%). Ihn weiter zu senken, hätte nur marginale Auswirkungen. Um eine Einschränkung der Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte zu vermeiden, können die EZB und die nationalen Zentralbanken die Geschäftsbanken nur mit ausreichender Liquidität ausstatten. Zu diesem Zweck wird die EZB ihre langfristigen Kredite an die Geschäftsbanken erhöhen, und zwar zu einem negativen Zinssatz von 0,75%. Mit anderen Worten, die Geschäftsbanken werden subventioniert. Die EZB wird auch das Quantitative Easing um 120 Milliarden Euro ausweiten.

Doch auch dies wird nicht ausreichen, um Investor*innen zu beruhigen. Ebenso wenig werden die Geschäftsbanken, selbst wenn sie durch negative Zinssätze subventioniert werden, bereit sein, Geld an Unternehmen zu verleihen, die durch den Zusammenbruch ihrer Verkäufe derart geschwächt sind. Die EZB appelliert daher an die Nationalstaaten, privaten Unternehmen bei der Kreditaufnahme öffentliche Garantien anzubieten. Sie ruft die Nationalstaaten zu ambitionierten und koordinierten budgetären Maßnahmen auf. Forscher*innen des Bruegel-Instituts skizzierten die wichtigsten Maßnahmen, die ergriffen werden sollten: umfangreiche zusätzliche Mittel für die nationalen Gesundheitssysteme, verschiedene Maßnahmen zur Unterstützung von Haushalten, freien Berufen, Unternehmen und lokalen Gemeinden sowie makroökonomische Maßnahmen in Höhe von 2,5% des BIP, die durch erhöhte Haushaltsdefizite finanziert werden sollen. Pierre Wunch, Gouverneur der belgischen Nationalbank, erklärte: "Heute sind wir mit einem großen Schock konfrontiert, der vorübergehender Natur sein sollte. Wir müssen alle möglichen Spielräume durch gezielte und vorübergehende Maßnahmen nutzen, um Pleiten von Unternehmen und den Verlust von Arbeitsplätzen so weit wie möglich zu begrenzen. Wir sollten dies offen und ohne Zögern tun".

Der europäische Wirtschaftskommissar Gentiloni, betonte, dass die Maßnahmen der Kommission den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit bieten, Hunderte Milliarden Euro für den Kampf gegen das Coronavirus zu verwenden. Das wird mehr als notwendig sein. Die europäischen Budgetvorschriften werden gelockert, einschließlich der hochheiligen Maastricht-Normen, und alle Ausnahmeregeln des Stabilitätspakts werden vollständig angewendet. Dies, so Gentiloni, sei notwendig, um dem Finanzmarkt das Vertrauen zu geben, dass die EU-Länder diesmal alles tun werden, um eine tiefe Rezession zu vermeiden. Bundesfinanzminister Scholz sagte den deutschen Unternehmen eine unbegrenzte Unterstützung zu, welche offenbar bis zu 500 Milliarden Euro betragen könnte. Auch Frankreich, Schweden, Spanien, Dänemark und andere europäische Länder kündigten erhebliche Stützungsmaßnahmen an.

Italien kündigte zusätzliche Staatsausgaben in Höhe von 25 Milliarden Euro an, um die Schuldenzahlungen für Unternehmen auszusetzen und sie bei der Bezahlung von Arbeiter*innen zu unterstützen, die aufgrund der Sperrung vorübergehend entlassen wurden. Die EU-Kommission gab außerdem weitere 37 Milliarden Euro aus ihrem Budget frei, um Unternehmen zu helfen, sowie 1 Milliarde Euro zur Unterstützung der Europäischen Investitionsbank. Die Regeln für die staatliche Unterstützung von Unternehmen werden aufgeweicht. Ebenso besteht die Möglichkeit, die Mehrwertsteuer vorübergehend zu senken und die Steuereintreibung zu verschieben. Die spanische Regierung hat sogar beschlossen, zur Bekämpfung der Pandemie Einrichtungen privater Gesundheitsdienstleister unter ihre Kontrolle zu stellen. Wie in jeder größeren Krise muss der Kapitalismus, nachdem er die so genannten Vorzüge des freien Marktes verherrlicht hat, vom Staat gerettet werden, um seine Wunden zu verbinden und einen weiteren Zusammenbruch zu verhindern.

Für viele wird klar sein, dass diese begrenzten "Kriegskonzessionen" der EZB und der Europäischen Kommission diese nicht weniger feindlich gegenüber Arbeiter*innen und Armen machen. Wenn überhaupt, dann nimmt die Feindseligkeit der Bevölkerung ihnen gegenüber weiter zu. Die italienische Bevölkerung war empört über die ursprüngliche Weigerung der französischen und deutschen Behörden, wichtige sanitäre und medizinische Hilfe für Italien über ihre Grenzen passieren zu lassen. Dies wurde vom chinesischen Regime ausgenutzt. CHina sicherte Italien zusätzliche Hilfe und medizinische Berater*innen zu (nachdem Italien bereits von China durch seine Beteiligung an der Belt and Road-Initiative als Stützpunkt in der Eurozone genutzt wurde).

Die Europäische Union, ein neoliberales, arbeiter*innenfeindliches Projekt, das unter dem "progressiven" Deckmantel der Reisefreiheit und des europäischen Gedankens präsentiert wurde, ist immer wieder auf den Prüfstein gestellt worden. Doch die anrollende tiefe Rezession wird sich als ultimative Bewährungsprobe erweisen. Sie wird eine Vielzahl von Unternehmen in den Bankrott treiben, Millionen in die Arbeitslosigkeit und in Armut stürzen, Lebensstandards verschlechtern, die Nachfrage hemmen und damit die Erholung erschweren. Die EU hat sich nie als fähig erwiesen, die nationalen Widersprüche des Kontinents tatsächlich zu überwinden. Der globale wirtschaftliche und geopolitische Kontext verstärkt die ohnehin bereits starken zentrifugalen Tendenzen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die EU diesen Test in ihrer jetzigen Form überleben wird.

Arena für kommende Kämpfe

Eine tiefe Rezession, möglicherweise sogar eine Depression, könnte sich für eine Weile lähmend auf den Klassenkampf auswirken. Die Angst, das Wenige zu verlieren, was man hat, kann die Arbeiter*innen und ihre Familien in eine "Defensivhaltung" versetzen. Darüber hinaus ist es nicht automatisch so, dass die Masse der Bevölkerung den Zusammenhang zwischen den Verbrechen des Kapitalismus und der Verbreitung des Coronavirus sofort versteht. Die herrschende Klasse wird die kommende Katastrophe als einen "höhere Gewalt" darstellen, als eine Naturkatastrophe, die niemand hätte verhindern oder vorhersehen können und die wir alle zu tragen hätten, inklusive der notwendigen "Opfer".

Sie werden auch die nationalistische und fremdenfeindliche Haltungen schüren, indem sie ein "fremdes" Virus für die Probleme verantwortlich machen und dies auf Migrant*inneen, Geflüchtete usw. projizieren. Dies kann in einem Teil der Bevölkerung für eine gewisse Zeit ein Echo finden.

Letzten Endes wird dies jedoch nicht die weltweit vorherrschende Reaktion von Arbeiter*innen, Frauen, Jugendlichen und Unterdrückten sein. Selbst auf kurze Sicht werden Massenarbeitslosigkeit und Angriffe auf den Lebensstandard den Zorn der Massen schüren. In Verbindung mit dem verbrecherischen Mißmanagement des Coronavirus durch die herrschende Klasse und ihrem Profitstreben auf Kosten der Gesundheit von Arbeiter*innen wird dies zu sozialen Explosionen im Zeitalter Covid-19 führen.

Diese Generation ist anders. Ihr fehlen zwar die Massenorganisationen sowie die politischen Erfahrungen und Perspektiven früherer Generationen, aber sie ist eine Generation, die durch extreme Lebens- und Arbeitsbedingungen ohne jegliche Sicherheit geprägt ist. Schon seit einiger Zeit hat sie das Establishment und die Ungleichheit des Systems gehasst.

Diese Generation, oder zumindest ein Teil von ihr, hat die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise durchlaufen und eine fortwährende Politik der Liberalisierung, der Kürzungen und der Privatisierungen durchlebt, deren Scheitern nun auf dramatische Weise aufgedeckt wird. Es handelt sich auch um eine Generation mit Kampferfahrungen. Das zeigt sich etwa in der großartigen, andauernden globalen Klimarevolte. Sie zeichnet sich durch ein sich herausbildendes Verständnis dafür aus, dass das System mit den Bedürfnissen des Planeten unvereinbar ist - und durch eine weit verbreitete Offenheit für revolutionäre Ideen. Eine neue Weltwirtschaftskrise wird eine weitere Lektion für den Bankrott des kapitalistischen Systems liefern und die Saat für revolutionäre sozialistische Schlussfolgerungen säen, die von Millionen Menschen gezogen werden müssen.

Die Erfahrung dieser Krise wird auch für die Arbeiter*innenklasse nicht verloren gehen. Es ist zum Beispiel sehr unwahrscheinlich, dass die Beschäftigten im Gesundheitswesen akzeptieren werden, einfach wieder zur Normalität zurückzukehren, sobald sich die Pandemie unter Kontrolle ist. Hinzu kommt, dass sie und alle anderen "systemerhaltenden" Arbeiter*innen bei kommenden Arbeitskämpfen enorme Unterstützung aus der Bevölkerung genießen werden. Während die Isolation während der Pandemie von vielen als eine verantwortungsbewusste Haltung akzeptiert wurde, hat sie auch ein unbestreitbares Gefühl der Solidarität geschaffen, insbesondere mit denjenigen, die Krankheit und Not zum Opfer gefallen sind oder am meisten davon gefährdet sind. Diese Solidarität kann in der kommenden Zeit zu einer Waffe des Widerstands der Arbeiter*innenklasse werden - eine Zeit, die auch  von dem Kampf darum geprägt sein wird, wer die Rechnung für diese Krise bezahlen wird: wieder die Arbeiter*innenklasse?
Diese Krise ist in vielerlei Hinsicht ein entscheidender Wendepunkt. Sie wird in ihrem Verlauf noch verschiedene Stadien durchlaufen, aber im Allgemeinen wird die Situation sehr offen sein. Forderungen, die bisher als unrealistisch angesehen wurden, werden als realistisch und erreichbar gesehen werden, wie z.B. eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn, die Organisierung am Arbeitsplatz und nachbarschaftliche Demokratie. Ein sozialistisches Programm, das auf der Verstaatlichung und demokratischen Planung von Schlüsselsektoren der Wirtschaft basiert, wird ein viel größeres Echo finden als in der Vergangenheit. Die Coronavirus-Krise zeigt ebenso wie die Klimakrise eindringlich die dringende Notwendigkeit einer internationalen sozialistischen Planung auf der Grundlage globaler Partnerschaft und Zusammenarbeit. Das ist im von Gier getriebenen kapitalistischen System unmöglich.

Wenn aber keine solche Alternative aufgebaut wird, wird das System wie in jeder anderen Krise der kapitalistischen Geschichte über die Leichen der Arbeiter*innenklasse und der Armen gehen, um Wege zu finden, sich zu erhalten. Der Aufbau einer internationalen revolutionären sozialistischen Kraft, die als Teil der kommenden Kämpfe wächst und sich entwickelt, die energisch eingreift und einen vereinten Kampf für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft auf internationaler Ebene vorantreibt, ist von zentraler Bedeutung, wenn die globale Arbeiter*innenklasse nicht schon wieder den Preis für eine weitere Krise zahlen soll.

 

 

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