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Texas: Arbeiter*innen erfrieren wegen der Gier der Milliardär*innen

Der Kapitalismus ließ die arbeitenden Menschen in der texanischen Kälte sterben, und die anschließende Krise zeigte die völlige Unfähigkeit des freien Marktes, für das Überleben der Menschen zu sorgen.
von Ryan Booker, Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SAV/SLP, Mitglied der ISA in den USA)

Als letzte Woche (dieser Artikel erschien im Original am 24. Februar 2021, Anm. d. Übers.) ein historischer Wintersturm weite Teile der USA heimsuchte und die Temperaturen weit unter den Gefrierpunkt fielen, kam es im texanischen Stromnetz zu mehreren Stromausfällen. Am Höhepunkt der Stromausfälle waren mehr als vier Millionen Menschen, größtenteils arbeitende Familien, während der kältesten Temperaturen seit Jahrzehnten ohne Wärme und Strom. In vielen Teilen des Bundesstaates fielen die Temperaturen auf nahezu 0ºF (-17°C, Anm. d. Übers.).

 

 

Schnell zeigte sich, dass die Schätzungen des texanischen Stromnetzbetreibers Electric Reliability Council of Texas (ERCOT) zur Dauer der Stromausfälle von etwa 40 Minuten völlig unzutreffend waren. Viele Berufstätige sahen sich mit tagelangen Strom- und Wasserausfällen in Häusern konfrontiert, die für solch niedrige Temperaturen nicht ausgelegt waren. Da es aufgrund der vereisten und schneebedeckten Straßen unmöglich war anderswo Schutz zu suchen, waren einige gezwungen verzweifelte Maßnahmen zu ergreifen, wie z. B. im Auto zu schlafen oder persönliche Gegenstände zu verbrennen, um sich zu wärmen. Einige drängten sich in behelfsmäßige Wärmestuben, da die Notwendigkeit, den eisigen Temperaturen zu entkommen, größer war als die Sorge vor einer Infektion mit dem Coronavirus. Im Haus eines Socialist Alternative-Mitglieds in Houston fielen die Innentemperaturen auf 37ºF (2°C, Anm. d. Übers.). Die Temperaturen im Haus eines anderen Mitglieds in Nacogdoches fielen so tief, dass ihr Vater Erfrierungen erlitt.

 

Das Leid der arbeitenden Menschen im ganzen Bundesstaat war brutal: mindestens 30 Tote in Texas als direkte Folge des Wintersturms und Engpässe bei Lebensmitteln und sauberem Wasser im ganzen Bundesstaat, die noch Tage später anhielten. Währenddessen jetteten reaktionäre Politiker*innen wie Ted Cruz in wärmere Gebiete wie Cancún oder nutzten teure Generatoren zur Beheizung ihrer Häuser.

 

Es gab zwar technische Fehler auf jeder Ebene des texanischen Energiesystems, von eingefrorenen Erdgasquellen und Pipelines bis hin zur Unfähigkeit von ERCOT, die Auswirkungen des Klimawandels auf das Wetter bei der Prognose des Strombedarfs zu berücksichtigen – aber die Wurzeln der Katastrophe liegen im strukturellen Versagen des kapitalistischen Systems, das den Profiten der Unternehmen Vorrang vor der Versorgung der arbeitenden Bevölkerung mit Wärme gibt.

 

Der Kapitalismus treibt nicht nur den Klimawandel voran, der katastrophale Wetterereignisse wie den Wintersturm in Texas häufiger und intensiver werden lässt; gleichzeitig scheitert er auch daran, die notwendige Infrastruktur zu bauen, um diesen schweren Wetterereignissen zu standzuhalten. Die Zerstörung der Natur durch den Kapitalismus und seine Rolle beim Vorantreiben des Klimawandels sind in Texas besonders offensichtlich. Texas ist die Heimat vieler der weltgrößten Unternehmen für fossile Brennstoffe, wie z.B. ExxonMobil, und der sogenannten „Energiehauptstadt der Welt“, Houston.

 

Das Permian Basin (Permbecken) im Westen von Texas ist eine der größten Öl- und Gasförderregionen der USA. Die Energieindustrie übt in Texas einen enormen politischen und wirtschaftlichen Einfluss aus und sorgt dafür, dass fossile Brennstoffe und andere mineralgewinnende Industrien weiterhin dominieren, auch wenn sie weltweit ökologische Zerstörung anrichten. Die Hurrikans Harvey und Maria, die 2017 Texas bzw. Puerto Rico heimsuchten, die katastrophalen Brände in Australien und an der Westküste der USA im Jahr 2020 und nun der historische Wintersturm in Texas 2021 sind alles Beispiele für Naturkatastrophen, die durch den Kapitalismus noch viel schlimmer gemacht wurden. Steigen die globalen Temperaturen unkontrolliert an, werden Brände häufiger, die Meerestemperaturen erhöhen sich, was zu heftigeren Hurrikans führt, und die Erwärmung in der Arktis beeinflusst extreme Wetterereignisse weltweit, darunter auch den Wintersturm in Texas. Sogar die Ursprünge der COVID-19-Pandemie haben ihre Wurzeln im unerbittlichen Eingriff des Kapitalismus in natürliche Lebensräume.

 

Kapitalismus kann nicht planen und vorsorgen

 

Das unaufhaltsame Streben des Kapitalismus nach Akkumulation befördert nicht nur extreme Wetterereignisse, sondern unterhöhlt auch die grundlegende Infrastruktur und macht sie anfälliger für schwere Ausfälle, wie sie in Texas auftraten. Als die Temperaturen rasant abfielen und die Nachfrage nach Strom in die Höhe schnellte, begannen die Stromgeneratoren, die das texanische Netz versorgen, aufgrund der Witterung auszufallen. Dieser Ausfall bei der Stromerzeugung, der in der Spitze etwa die Hälfte der texanischen Stromerzeugungskapazität erreichte, führte zu den von ERCOT veranlassten tagelangen Stromausfällen. Das Unternehmen gab später zu, nur wenige Minuten von einem unkontrollierten Blackout entfernt gewesen zu sein, der das Netz möglicherweise für Monate lahmgelegt hätte.

 

Die Republikaner in Texas beeilten sich darauf hinzuweisen, dass die erneuerbaren Energiequellen schuld seien – und es ist wahr, dass einige Windturbinen vereist waren. Aber der größte Teil der verlorenen Kapazität war auf den Ausfall von Kohle-, Atom- und Gaskraftwerken zurückzuführen, die den Großteil der texanischen Energie im Winter liefern. Diese Ausfälle waren das Ergebnis der deregulierten, dezentralisierten und privatisierten Energieinfrastruktur in Texas. Das texanische Stromnetz ist weitgehend von den Netzen der umliegenden Bundesstaaten abgeschnitten, um Bundesvorschriften zu umgehen.

 

Im Jahr 2011 hatte bereits ein vorheriger Wintersturm zu Stromausfällen in Texas geführt. Ein Bundesbericht, der nach diesem Fiasko in Auftrag gegeben wurde, enthielt zahlreiche Empfehlungen für die Aufrüstung der texanischen Energieinfrastruktur, aber im deregulierten System von Texas wurde es den privaten Energieunternehmen überlassen, diese wichtigen Änderungen freiwillig umzusetzen. Viele haben das nicht getan. Sie wollten ihre Gewinne nicht schmälern, um in Reservekapazitäten oder widerstandsfähigere Anlagen zu investieren. Als die Stromerzeugung in Texas ausfiel, waren die Netzbetreiber aufgrund der Isolation des texanischen Netzes nicht in der Lage, Strom aus umliegenden Staaten zu importieren.

 

Kapitalismus produziert Ungleichheit und Krise

 

Im Kapitalismus ist das eigentliche Ziel von Energie- und Versorgungsunternehmen nicht die Bereitstellung von Energie und Versorgungsleistungen, sondern Profit zu generieren. Viele der 2011 ausgesprochenen Empfehlungen waren bereits 1989 genauso nach einem ähnlichen Wintersturm gemacht worden und wurden ebenfalls nicht umgesetzt, da die Energieunternehmen Profite über eine zuverlässige Energieversorgung stellten. Ed Hirs, ein Energy Fellow (Mitglied einer Gruppe Wissenschaftler, die im Bereich der umweltfreundlichen Energie forschen, Anm. d. Übers.) an der University of Houston, sagte dem Houston Chronicle, dass das texanische Stromnetz „aufgrund von Unterinvestitionen und Vernachlässigung dahinvegetierte, bis es schließlich unter vorhersehbaren Umständen zusammenbrach.“

 

Die Beseitigung der systemischen Ursachen dafür, dass Millionen von arbeitenden Menschen ohne Heizung und Wasser dastanden, als sie es am dringendsten benötigten, erfordert Lösungen außerhalb des kapitalistischen Profitdenkens. Profitorientierte Energieunternehmen haben keinen Anreiz, in Zeiten anormalen Energiebedarfs wie dem Frost in Texas eine zuverlässige Infrastruktur bereitzustellen, auch wenn solche Ereignisse immer häufiger auftreten.

 

Die Infrastruktur in den Vereinigten Staaten leidet bereits unter dem Mangel an Investitionen. Der allergrößte Teil der US-Infrastruktur wurde vor Jahrzehnten in der Erwartung stabilerer Wetterverhältnisse gebaut. Da die Auswirkungen des ungebremsten Klimawandels weiter zunehmen, werden Infrastrukturausfälle wie die Stromausfälle in Texas wahrscheinlich landesweit noch häufiger werden. Die Biden-Regierung hat verlauten lassen, im Anschluss an das Gesetz zur Bekämpfung des Coronavirus habe ein Wirtschaftspaket mit erheblichen Infrastrukturinvestitionen Priorität. Die jüngste Katastrophe in Texas zeigt die Notwendigkeit, deutliche Schritte in Sachen Infrastruktur zu unternehmen. Bidens Infrastrukturplan beinhaltet jedoch keine neuen Einnahmequellen und wird wahrscheinlich auf heftigen Widerstand der Republikaner und einiger Demokraten stoßen. Nachhaltige, umweltfreundliche neue Infrastruktur ist dringend notwendig und sollte durch neue Steuern auf Großkonzerne und Milliardär*innen finanziert werden, die die Klimakrise vorantreiben.

 

Bilder von nachts erleuchteten Wolkenkratzern in texanischen Städten, während arbeitende Menschen bei eisigen Temperaturen ohne Wärme, Licht oder Wasser auskommen mussten, lieferten ein starkes Symbol für die tiefe Ungleichheit in der Gesellschaft. Die Tatsache, dass die Stromausfälle Geschäfte stilllegten und Millionen Arbeiter*innen ausfielen, war jedoch auch für viele Unternehmen ein Desaster. Unternehmen benötigen eine verlässliche Infrastruktur, um die wirtschaftliche Produktion aufrechtzuerhalten, genauso wie die arbeitenden Menschen sie für Wärme, Wasser und andere lebensnotwendige Dinge benötigen. Die Tatsache, dass der Kapitalismus nach Jahrzehnten neoliberaler Deregulierung und Privatisierung nicht in der Lage ist, diese verlässliche Infrastruktur bereitzustellen, ist eine Offenbarung des Ausmaßes in dem er die Produktivkräfte der Gesellschaft nicht mehr entwickelt, sondern zu einer Fessel für sie geworden ist.

 

Eine sozialistische Antwort auf die Krise

 

Um die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen zu erfüllen, müssen wir die Energieunternehmen in demokratisches öffentliches Eigentum überführen und sie mit rationaler Planung zum Nutzen der Gesellschaft führen. ERCOT sollte in demokratisches öffentliches Eigentum überführt und mit Energieunternehmen und Versorgungsbetrieben der öffentlichen Hand zusammengelegt werden. Dies würde es den Arbeiter*innen und der Gemeinschaft erlauben, wichtige Entscheidungen zu treffen – z.B. ob die Anlagen winterfest gemacht werden und wie der Strom verteilt wird – anstatt dies den Launen von nicht rechenschaftspflichtigen Konzernen in einem Marktsystem zu überlassen.

 

Diese Veränderungen müssen Teil eines Green New Deal sein, um die Krise des Klimawandels schnell anzugehen. Der Markt hat sich wiederholt als unfähig erwiesen, die notwendigen Veränderungen umzusetzen, bevor es zu spät ist. Es wird zentralisierte Planung, demokratische Kontrolle durch Arbeiter*innen und die Gemeinschaft und ein Green New Deal-Jobprogramm brauchen, um einen schnellen Übergang zu zuverlässigen alternativen Energien und einem modernen Stromnetz zu schaffen, die Infrastruktur zu modernisieren und beständig gegenüber extremer Hitze und Kälte zu machen, neue, energieeffiziente, bezahlbare Wohnungen zu bauen und den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Um diese lebenswichtigen Programme zu finanzieren, sollten wir die Konzerne und Milliardär*innen besteuern, die die Probleme überhaupt erst geschaffen haben.

 

Sowohl die Republikanische als auch die Demokratische Partei sind den Konzerninteressen verpflichtet, die für den Klimawandel und unsere marode Infrastruktur verantwortlich sind. Eine ähnliche Deregulierung der Energiewirtschaft wie in Texas hat unter Demokratischen Regierungen in Kalifornien stattgefunden und hat durch die Nachlässigkeit gewinnorientierter Versorgungsunternehmen wie Pacific Gas and Electric direkt zu den verheerenden Bränden in diesem Bundesstaat beigetragen.

 

Um einen Green New Deal zu erreichen und eine Infrastruktur aufzubauen, die für die arbeitenden Menschen funktioniert, müssen wir auf der Jugend-Klimabewegung aufbauen, die in den letzten Jahren Millionen von Menschen auf der ganzen Welt in den Umweltkampf gebracht hat. Die Gewerkschaften haben eine Schlüsselrolle dabei, dies voranzutreiben und sollten sich sofort der Forderung nach einem GND-Jobprogramm anschließen, einschließlich der Forderung nach der Umschulung von Arbeiter*innen in umweltverschmutzenden Industrien hin zu garantierten Arbeitsplätzen im Bereich der erneuerbaren Energien.

 

Wir können studentische Klimastreikende und Arbeiter*innen im Energiesektor zusammenbringen, indem wir eine neue politische Partei aufbauen, die mit Konzerninteressen bricht und für arbeitende Menschen kämpft. Eine unabhängige Kampfpartei der Arbeiter*innenklasse könnte konkrete Siege erringen wie die Amazon-Steuer zur Finanzierung von Green New Deal-Projekten, die von Socialist Alternative und der sozialistischen Stadträtin Kshama Sawant in Seattle durchgesetzt wurde. Letztendlich müssen wir das verrottete System des Kapitalismus ganz abschaffen und eine Gesellschaft aufbauen, die auf einer demokratischen und nachhaltigen Grundlage geführt wird, eine sozialistische Gesellschaft.

 

Wir fordern:

  • Ted Cruz und die von den Konzernen unterstützten Politiker*innen, die für diese Krise verantwortlich sind, wie Gouverneur Greg Abbott, müssen zurücktreten!
  • Verhaftet und klagt die Milliardär*innen der Energiebranche an! 
  • Gemeinschaftliche Kontrolle über ERCOT! Dient den Menschen, nicht der Gier der Milliardär*innen!
  • #TaxTheRich für den Wiederaufbau von wasserbeschädigten Häusern und neuen, energieeffizienten, bezahlbaren Wohnungen! Stornierung aller Versorgungsrechnungen!
  • Überführung der Energiekonzerne in demokratisches öffentliches Eigentum!
  • Ein #GreenNewDeal zur schnellen Umstellung auf 100 % erneuerbare Energien, zur Schaffung von Millionen grüner Arbeitsplätze und zum Aufbau einer dauerhaften, umweltfreundlichen öffentlichen Infrastruktur, die durch Steuern auf Konzerne und Milliardär*innen bezahlt wird! 
  • Ein Ende des kapitalistischen Systems – für eine sozialistische Gesellschaft, die auf demokratischer und nachhaltiger Basis geführt wird!

 

ISA veranstaltet größte Internationale Schulung seit Gründung

Anna Barnett (Socialist Alternative - ISA in den USA)

ber 1.500 ISA-Mitglieder und Unterstützer*innen aus 39 Ländern nahmen am vergangenen Wochenende an der zweiten Virtual Marxist University (VMU) teil. Die Veranstaltung konzentrierte sich auf politische Bildung, mit Dutzenden Diskussionen über marxistische Theorie und revolutionäre Geschichte. Sie war auch voller Diskussionen über Perspektiven von politischen Prozessen und Kämpfen, die heute überall auf der Welt stattfinden, sowie über den Aufbau der ISA. Bemerkenswert ist, dass dies die zweite Veranstaltung innerhalb von nur sechs Monaten war, die über 1.000 ISA-Mitglieder zusammenbrachte – nach dem Erfolg der ersten, der Juli-Ausgabe der VMU. Dass sie noch größer war als die Juli-Veranstaltung, spiegelt dies nicht nur unser organisatorisches Wachstum wider, sondern auch den Hunger nach politischer Diskussion und Bildung in der gesamten ISA. 

Obwohl es sich nur um eine Wochenendveranstaltung handelte, war sie mit 72 verschiedenen Kommissionen sowie zwei Plenardiskussionen vollgepackt – 24 Stunden politische Diskussionen in nur zweieinhalb Tagen! Natürlich war dies kein einfaches Unterfangen; mit Sektionen auf allen Kontinenten bedeutete es, dass viele Mitglieder bis spät in die Nacht aufbleiben oder sogar um 3 Uhr morgens aufstehen mussten, um teilzunehmen. Und obwohl der rekordverdächtige Spedenappell im Sommer erst wenige Monaten her ist, wurden bei dieser VMU über 32.000 € an Spenden gesammelt – ein weiterer Hinweis auf die Ernsthaftigkeit und das Engagement der ISA-Mitglieder.

Revolutionäre Theorie als Schlüssel zur revolutionären Aktion

Die Bedeutung politischer Veranstaltungen wie dieser kann im Zusammenhang mit der explosiven und unvorhersehbaren politischen Situation, mit der die globale Arbeiterklasse jetzt konfrontiert ist, nicht unterschätzt werden. Das kapitalistische System steckt in einer Reihe von Krisen fest. Von der COVID-19-Pandemie, die die wirtschaftliche Depression auslöste und ihrerseits vertiefte, bis hin zur drohenden Klimakatastrophe gibt es für die Arbeiter*innen auf der Grundlage des Kapitalismus keinen Ausweg. Das Tempo der Ereignisse hat sich beschleunigt; fast täglich entstehen irgendwo auf der Welt neue Krisen, Bewegungen und Revolten. 

Gerade in den letzten Wochen sind die Massenproteste für Abtreibungsrechte in Polen wieder aufgeflammt, und die Bäuerinnen und Bauern in Indien setzten ihre Bewegung mit einer riesigen Traktorparade fort, die sich mit großen Streiks der indischen Arbeiter*innenklasse verzahnte. Aber auch die Bedrohung durch die Reaktion ist sehr real, wie wir bei der Erstürmung des US-Kapitols durch einen Mob von rechtsextremen Trump-Anhänger*innen, dem brutalen Vorgehen gegen demokratische Rechte in Hongkong und dem jüngsten Militärputsch in Myanmar gesehen haben. Es gibt eine große Offenheit für sozialistische Ideen in der Gesellschaft, besonders unter jungen Menschen, aber im Kontext einer sich vertiefenden gesellschaftlichen Polarisierung. Die Entwicklung des Bewusstseins der Arbeiter*innenklasse ist kompliziert und wird sich nicht in einer geraden Linie bewegen – das zeigen zum Beispiel auch die jüngsten Ereignisse in den Niederlanden, deren Anti-Lockdown-Krawalle weltweit Schlagzeilen gemacht haben. 

Wir bewegen uns in eine neue Ära, die sowohl enorme Chancen als auch ernste Herausforderungen für die marxistische Bewegung mit sich bringt. Die ISA ist nicht nur eine Diskussionsgruppe; wir sind eine Organisation von Sozialist*innen, die in unseren Vierteln, an Arbeitsplätzen, Schulen und innerhalb von Massenbewegungen für die Veränderung der Gesellschaft kämpfen. 

Während wir uns auf die VMU vorbereiteten, nahmen unsere Mitglieder auch an den Massenprotesten in Russland und Tunesien teil, verteidigten unseren marxistischen Stadtratssitz von Kshama Sawant in Seattle gegen die Abberufungskampagne des rechten Flügels, und kämpften mit den Gewerkschaften für sichere Schulen in Großbritannien. Es ist jedoch entscheidend, dass all unsere Arbeit auf revolutionärer Theorie, Lehren aus der Geschichte und gemeinsamen Perspektiven für die kommende Zeit beruht. ISA-Mitglieder, die an der VMU teilnahmen, bekamen ein tieferes Verständnis der vor uns liegenden Aufgaben und erneuerten ihre Entschlossenheit, sich sowohl den Herausforderungen zu stellen als auch die kommenden Chancen zu ergreifen.

Politische Diskussionen

Die Plenardiskussion am Samstag mit dem Titel "Krise und Massenkämpfe in den 2020er Jahren" betonte die Instabilität und Polarisierung der kommenden Ära zusammen mit den Herausforderungen, die sich durch den Mangel an Organisation und Führung innerhalb der heutigen Bewegungen ergeben. Wir hörten Lehren aus den Bewegungen in Lateinamerika, Weißrussland und Polen, Perspektiven für die Weltwirtschaft und einen Bericht über die Repression gegen die Bewegung in Hongkong. 

Die Kommissionen fanden in 6 Blöcken mit 8 bis 16 gleichzeitigen Diskussionen statt. Es gab wichtige Diskussionen über marxistische Theorie, wobei 135 Mitglieder an einer Diskussion über Marx' Theorie der Entfremdung teilnahmen. Mehrere Kommissionen konzentrierten sich auf die Wirtschaft, einschließlich Diskussionen über "Marxistische Ökonomie vs. Moderner Monetarismus" und die "Große Rezession" von 2007/2008. Wir blickten auch auf wichtige historische Ereignisse zurück, darunter der Arabische Frühling, die Pariser Kommune und der revolutionäre Kampf gegen die Apartheid in Südafrika. 

Die Diskussionen analysierten wichtige Entwicklungen des vergangenen Jahres, darunter die Anti-SARS-Bewegung in Nigeria, und blickten mit einer Diskussion über den Internationalen Frauentag 2021 in die Zukunft. Beliebte aktuelle Themen waren Diskussionen über Marxismus und die Krise der geistigen Gesundheit sowie ein sozialistischer Ansatz zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Aufbau der ISA

Am Sonntag gab es ein inspirierendes Plenum zum Aufbau unserer Organisation, mit Beiträgen über das Wachstum und den Aufbau unserer Sektionen in Mexiko und England, Schottland und Wales sowie über die Bedeutung unserer Arbeit in den Gewerkschaften auf der ganzen Welt. Wir hörten einen spannenden Bericht über unsere Publikationen, einschließlich unserer wöchentlichen youtube-Sendung World to Win, und wichtige Updates über die Kshama Sawant-Solidaritätskampagne.

Es gab auch eine Reihe von Workshops zum Parteiaufbau, darunter eine Schulung über Layout und Design und Diskussionen über den Aufbau von ROSA, der internationalen sozialistischen feministischen Kampagne. Die beliebteste Diskussion handelte davon, wie man sich persönlich politisch weiterentwickelt, was die ernsthafte Herangehensweise der ISA-Mitglieder an ihre eigene Entwicklung zeigte, etwas, das während der gesamten VMU zu sehen war.

Ein zentrales Thema des Wochenendes war die wichtige Rolle der Jugend im revolutionären Kampf und die Notwendigkeit, unsere Organisation der Jugend zuzuwenden. Dazu gehörten Diskussionen über das reichhaltige Erbe der Jugendarbeit in unserer Organisation, Berichte über unsere Arbeit bei Youth Against Inequality and Racism (YARI) in Irland sowie die Verpflichtung, unsere Jugendarbeit in der kommenden Periode zu vertiefen. Die jungen Menschen von heute, eine krisengeschüttelte Generation, lehnen den Status quo ab, aber es wird aktive Arbeit erfordern, um diese neue Generation von Arbeiter*innen für die Ideen des Marxismus zu gewinnen. 

Eine beeindruckende kollektive Leistung

Im Kontext der globalen Umwälzungen ist ein internationalistischer Ansatz absolut entscheidend. Die Diskussion des Wochenendes hatte einen wichtigen Schwerpunkt auf der weiteren Stärkung neuer Sektionen und Ortsgruppen der ISA sowie dem Aufbau in neuen Regionen. Neue ISA-Mitglieder kamen aus Indien und Argentinien. Nur ein Jahr nach der Umbenennung unserer Organisation stellte diese VMU einen bedeutenden Schritt vorwärts im Aufbau der ISA auf der ganzen Welt dar.

Wahrscheinlich am auffälligsten an der ganzen Veranstaltung war der Grad der kollektiven Anstrengung und Beteiligung. Über 200 verschiedene Mitglieder hielten Referate oder ein Schlusswort, leiteten Sitzungen oder kümmerten sich um den technischen Support, und Hunderte weitere machten Redebeiträge in den Diskussionen! Und natürlich wäre die Veranstaltung nicht möglich gewesen ohne die heldenhafte Arbeit der vielen ISA-Mitglieder, die das ganze Wochenende über in 11 Sprachen dolmetschten, eine absolute Notwendigkeit für eine wirklich internationale Veranstaltung. 

Diese Zahlen sind nicht nur eine Darstellung der numerischen Stärke, sondern zeigen auch die wirkliche Tiefe der ISA auf der ganzen Welt, mit Mitgliedern, die eine aktive Rolle beim Aufbau der Organisation auf allen Ebenen übernehmen. Der Wiederaufbau der kollektiven Führung unserer Internationale, eine Aufgabe, die bei der Umbenennung der ISA (früher Komitee für eine Arbeiterinternationale, KAI / CWI) im letzten Jahr betont wurde, ist keine abstrakte Floskel –  es ist eine konkrete Notwendigkeit, eine revolutionäre Internationale aufzubauen, die in der Lage ist, in den kommenden großen Kämpfen effektiv zu intervenieren. Der Erfolg der Virtual Marxist University im Januar war möglich durch die Entwicklung neuer Generationen von Führungspersönlichkeiten in unserer Organisation, was auch in den kommenden Jahren eine Priorität sein wird.

Der ISA beitreten

Während wir uns darauf freuen, in der Zukunft wieder persönliche Veranstaltungen durchführen zu können, repräsentiert die VMU unsere Entschlossenheit, Hindernisse zu überwinden und neue Traditionen innerhalb der ISA zu schmieden. Wir blicken auf die 2020er Jahre mit einem Gefühl der Bescheidenheit, aber auch mit Entschlossenheit und Kühnheit, bereit, den größtmöglichen Einfluss auf die vor uns liegenden explosiven Entwicklungen zu nehmen. Wir stützen uns auf die Ideen des Marxismus, die besten Traditionen unserer Vergangenheit und die Kühnheit der neuen Generationen sozialistischer Kämpfer*innen. Diese Virtual Marxist University hat uns allen kurz nach dem Jahreswechsel ein Gefühl des Optimismus, aber auch der Dringlichkeit eingeflößt. Kontaktiere uns noch heute, um mitzumachen!

 

Massenproteste nach dem Putsch in Myanmar werden entscheidend sein

James Clement, Socialist Alternative (ISA England, Wales & Schottland) und Geert Cool, PSL/PSP (ISA Belgien)

Die drei Finger, bekannt aus dem Film "Die Tribute von Panem", wurden zum Gruß des Widerstands in Südostasien.

Die Unterstützung für die „Kampagne zivilen Ungehorsams“, die ihren Anfang bei Arbeiter*innen im medizinischen Sektor in über 80 Krankenhäusern in Myanmar nahm, wächst. Beschäftigte des Energieministeriums sowie Mitglieder der Polizeikräfte haben sich dem Kampf gegen den Putsch angeschlossen und demonstrieren öffentlich mit dem Drei-Finger-Gruß – dem Symbol des Protests.

 

Die Menschen in Myanmar strömen auf die Straßen, zu riesigen Protesten gegen den Militärputsch im Land. Trotz Covid-19 und Repressionen durch die Behörden wächst die Bewegung rasant. Wenn das Militär gedacht hat, dass es mit dem Putsch einfach durchkommt, so hat es sich getäuscht. Die Protestbewegungen könnten ausschlagebend sein.

Das Militär Myanmars (die Tatmadaw) führte den Putsch am 1. Februar durch, einen Tag vor der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments. Der Notstand wurde ausgerufen, die Ergebnisse der Wahlen im November 2020 wurden für ungültig erklärt und die Anführer*innen von Aung San Suu Kyis National League for Democracy (NLD) wurden verhaftet.

Dieser Putsch kommt zu einem kritischen Zeitpunkt für das Establishment in Myanmar. Die militärische Führung war in den letzten Jahren gezwungen Elemente einer Demokratisierung zuzulassen, zum einen weil dies international viele Türen öffnete, zum anderen da eine Welle an Protesten 2007 die innere Stabilität bedrohte. Reihenweise internationale Regierungschefs standen an, um Aung San Suu Kyi nach ihrer Entlassung 2010 zu treffen. Nur Tage vor dem Putsch erhielt das Land 350 Milliarden Dollar vom IWF zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie.

NDL macht Hoffnungen zunichte

Die Beteiligten an früheren Protesten setzten ihre Hoffnungen auf Veränderung durch den Regierungseintritt der NLD. Doch das führte zunehmend zu Desillusionierung. Die NLD setzte die letzten Jahre über auf loyale Kooperation mit der Armeeführung. Aber diese Loyalität war nicht beidseitig: Sogar nachdem Aung San Suu Kyi in Den Haag die Verfolgung der Rohingya-Minderheit verteidigte, blieb die Armeeführung misstrauisch.

Es war kein Zufall, dass der Putsch am 1. Februar genau vor dem Antritt des neuen Parlaments stattfand. Im Novmeber 2020 hatte Aung San Suu Kyis NLD eine große Mehrheit der Sitze gewonnen, obwohl sich die Armee automatisch ein Viertel der Sitze zusprach. Das hätte der NLD eine stärkere Kontrolle über die Macht ermöglicht. Zudem steht der Ruhestand von Min Aung Hlaing, der starken Schlüsselfigur in der Armeeführung, unmittelbar bevor, da dieser im Juli 65 wird.

Vielleicht glaubte die Armeeführung sie würde, angesichts der Gesundheitskrise im Inland, sowie den wachsenden Spannungen zwischen China und den USA, mit dem Putsch durchkommen. Die sehr verhaltenen Reaktionen internationaler Institutionen zeigten, dass mit einer internationalen Verurteilung nicht gerechnet werden musste. Für das chinesische Regime stellt ein Militärputsch natürlich kein Problem dar, solange das Regime stabil bleibt. Die USA und andere internationale Mächte sind vorsichtig mit ihrer Reaktion auf den Putsch; sie wollen dem chinesischen Regime nicht zu viel Freiraum lassen, in einem Land mit wichtigen natürlichen Ressourcen. Das japanische Außenministerium ließ sogar offen verlauten, dass die Kommunikation mit dem Militär aufrecht erhalten bleiben soll, aus Angst, dass China sonst seine Position stärken würden.

Militär fürchtet Proteste

Das größte Problem für die Militärführung und die internationalen Mächte, insbesondere China, waren und bleiben Massenproteste. Das wurde berücksichtigt: Sowohl Führungspersönlichkeiten der Mönchsproteste von 2007 als auch des Aufstandes 1988 wurden am 1. Februar sofort verhaftet. Aber vielleicht dachte die Armeeführung, dass es nicht zu einer Massenbewegung kommen würde. Dass die Gesundheitskrise nicht alle Bewegungen ausbremst, hat sich unter anderem schon im Nachbarland Thailand gezeigt. Wenn sich weiter Proteste entwickeln, könnte sich der Putsch als Peitsche der Konterrevolution herausstellen, die die Revolution vorantreibt.

Die Annullierung der Wahlergebnisse 1990, ein Sieg der NLD, folgten auf die Massenbewegung von 1988. Aber nun hat der Schritt der Armeeführung eine neue Bewegung ausgelöst. Das untergräbt die Strategie von Aung San Suu Kyi und der NLD-Führung. In den letzten Jahren folgten sie einer Strategie der loyalen Kooperation mit der Armeeführung. Falls die Massenbewegung die Machtergreifung des Militärs aufhält/beendet, wird es schwer für Aung San Suu Kyi weiter diesem Kurs zu folgen.

Denn der Putsch zeigt das Versagen dieser Zusammenarbeit auf und zudem neigt die Massenbewegung immer dazu, mehr Forderungen zu entwickeln, wenn sie an Selbstvertrauen gewinnt. Diese sich entwickelnde Massenbewegung durch Manöver an der Spitze aufzuhalten, wird schwierig, auch wenn die Bewegung nicht sehr organisiert ist und zweifellos widersprüchlichen Elemente in sich trägt.

Wenn die Massen einmal in Bewegung sind, ruft die Diskussion über demokratische Rechte schnell auch soziale Forderungen hervor. Beide gehören natürlich zusammen. Marxist*innen überlassen die Diskussion über Demokratie nicht den „liberalen“ Flügeln der herrschenden Klasse, sondern sind Teil des Kampfes, als die konsequentesten Demokrat*innen. Sie verbinden demokratische Forderungen mit der Notwendigkeit des revolutionären Kampfes für einen sozialistischen Wandel.

Das ist es nicht, wofür die NLD steht, weshalb in den letzten Jahren die Unzufriedenheit mit Politik und der Richtung der NLD wuchs. Wenn die NLD die Wahlen im November 2020 gewonnen hat, so war dies vor allem der Abneigung gegenüber dem Militär geschuldet. Die NLD hat den verschiedenen ethnischen Gruppen Myanmars, etwa in den Shan- oder Kachin-Staaten, nichts zu bieten. Im Rakhaing-Staat z.B. erlangte die lokale ethnische Arakanesische Nationalpartei mehr Stimmen als die NLD, sogar bei einer Begrenzung der Wahlbeteiligung auf nur 25%.

Arbeiter*innenklasse übernimmt die Führung

Nach dem Putsch und dem Beginn des Massenprotests änderte sich die Situation. Es ist logisch das viele der Demonstrierenden vor allem die Freilassung Aung San Suu Kyis und der NLD-Führung fordern. Sie sehen in ihnen ein Mittel gegen die Armee. Zugleich sollte sich die Diskussion jedoch darauf konzentrieren, wie die Armeeführung tatsächlich gestoppt werden kann: Aung San Suu Kyis Methoden haben offensichtlich nicht funktioniert. Ihre Politik der Zusammenarbeit fasste die Armeeführung als Zeichen von Schwäche auf. Und wie wir wissen, lädt Schwäche zu Aggression ein.

Um erfolgreich zu sein, muss die Bewegung ihre eigenen Instrumente entwickeln um sowohl die Bewegung selbst zu stärken als auch die politischen und sozialen Forderungen zu verteidigen, die durch die größtmögliche Beteiligung aus ihr entstehen. Bereits tausende Arbeiter*innen im Gesundheitsbereich und Mediziner*innen haben sich organisiert zum „zivilen Ungehorsam“ in Form von Streiks. Und Kupferminenarbeiter*innen und sogar Beamte beginnen zu streiken. Um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, gewährleisten Ärzt*innen des Yangoon Krankenhauses zwar weiter eine Notfallversorgung, behandeln jedoch keine Menschen, die sich in irgendeiner Weise an Aktionen pro Militär beteiligt haben.

Der Aufruf zum Generalstreik nach den Protesten von Ärzt*innen, Lehrkräften und anderen bietet Möglichkeiten die Bewegung erheblich zu stärken, besonders wenn Streikkomitees an allen Arbeitsplätzen und in den Stadtteilen gegründet werden, sodass eine Koordinierung dieser Streikkomitees die Basis für eine verfassungsgebende Versammlung bilden kann. Das ist dringend notwendig; auch um den Protest vor Repression und Gewalt der Obrigkeiten zu schützen.

Die Unterstützung für die Armeeführung ist sehr begrenzt, wie sich schon bei den Wahlen im November 2020 gezeigt hat, und das wird sich durch diesen Putsch nicht verbessern. Ein Regime, das mit dem Rücken zur Wand steht, kann seltsame Sprünge vollführen, etwas das erst recht für ein Regime zutrifft, dass dies bereits zuvor getan hat. Das kann zu einem deutlichen Anstieg an Gewalt und Repression führen, um den Protest blutig niederzuschlagen. Das Regime hat die Protestierenden schon mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen attackiert, zudem gibt es im Ausnahmezustand massive Einschränkungen des Internets und der sozialen Medien.

Lehren aus der Geschichte

Die Massen in Myanmar haben bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass auf blutige Niederlagen neue Bewegungen folgen können: Die Erfahrungen von 1988 sind noch nicht vergessen. Zugleich, müssen politische Lehren gezogen werden: Wandel lässt sich nicht durch gemeinsames Regieren mit dem Militär oder unter seinen Bedingungen erreichen. Demokratische Reformen reichen zudem nicht aus um den Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung zu verändern. Ein Programm des sozialistischen gesellschaftlichen Wandels und der Aufbau einer revolutionären Organisation, die diese Notwendigkeit in organisierten und koordinierten Streikkomitees vertritt, ist notwendig.

Es darf keinen Glauben daran geben, dass die Institution des globalen Kapitalismus eine wahrhaft „progressive“ Rolle spielen können: Die Heuchelei der entwickelten Nationen, sowie von Blöcken wie ASEAN, im Bezug auf Menschenrechte ist offensichtlich. Dazu kommt die Frage der Kapitalinteressen, die ihre Hauptmotivation darstellen; erst in Folge des tatsächlichen Putsches haben die große japanische Firma Kirin und der singapurische Geschäftsmann Lim Kaling ihre finanziellen Verbindungen mit vom Militär in Myanmar geführten Gemeinschaftsprojekten abgebrochen

Die Massenbewegung gegen das Regime im benachbarten Thailand, die Inspiration aus Hongkong zieht, und in der eine Vielzahl von jungen Menschen aktiv sind, hat sich auch auf das Bewusstsein der Menschen in Myanmar ausgewirkt.

Die jüngste Analyse der Bewegung in Thailand von Mitglieder der ISA ruft auf zum Aufbau „einer neuen im Kampf verankerten linken Partei um die Gesellschaft zu verändern“ durch eine Herausforderung des Militärs und der Großkonzerne (sowie der königlichen Familie Thailands). Die Bewegung in Myanmar muss Arbeiter*innen anziehen, einschließlich derer, die durch Joint-Venture-Unternehmen in Sonderwirtschaftszonen ausgebeutet werden, und eine solide Basis aufbauen unter den unterdrückten Massen auf dem gesamten asiatischen Kontinent.

 

Hier gehts zum Originalartikel auf Englisch.

Mehr zum Thema: 

Thailand - Lehren aus dem Kampf der Massen für Demokratie im Jahr 2020

Qiu Qing, Socialist Action (ISA in Hong Kong)

Unabhängig von der künftigen Entwicklung haben die Massendemonstrationen in Thailand die politische Landschaft des Landes bereits jetzt für immer verändert. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels erlebt Thailand seit Monaten beeindruckende Proteste. Die Regierung führte umfangreiche Repressionen und Zensur ein. Es wurden nicht nur regierungskritische Stimmen verboten, sondern auch die Liveübertragung von Demonstrationen oder die Veröffentlichung von Bildern oder Videos der Demonstrationen im Internet.

Das Regime schnitt sogar einige internationale satellitengestützte Medien ab, um die Nachrichten zu blockieren. Gleichzeitig verlieh es der Militärpolizei umfassende Befugnisse, erlaubte ihr, die Demonstrant*innen direkt und ohne strafrechtliche Verfolgung zu verhaften und festzuhalten, verweigerte den Verhafteten das Recht, eine*n Anwält*in zu kontaktieren oder Familienangehörige zu sehen, und befreite die Exekutive von der rechtlichen Verantwortung für die Folgen dieser Aktionen. Bis November hatten es die Massen noch mit Militär und Polizei auf den Straßen zu tun, wie die antiautoritäre Bewegung in Hongkong über einen langen Zeitraum. Ähnlich wie die Bewegung in Hongkong stellte das thailändische Volk drei Hauptforderungen: die Auflösung des Parlaments, die Beendigung der Unterdrückung des Volkes und die Verabschiedung einer neuen Verfassung. Laut einer im August durchgeführten Umfrage unterstützen 54%, 59% bzw. 63% des Volkes diese drei Forderungen.

Auch zum Zeitpunkt, in dem dieser Artikel geschrieben wird, geht die Protestbewegung in Thailand weiter. Die Regierung hat versucht, durch einen erhöhten Gewalteinsatz einen vernichtenden Schlag zu führen und versucht, die Massen durch Gewalt und Verbote zu zerstreuen, kombiniert mit falschen Zugeständnissen, um die allgemeine Wut zu spalten und zu lindern. Zur gleichen Zeit, am 18. November, lehnte die thailändische Nationalversammlung den Änderungsentwurf ab, der von dem gesamten Komitee zur Verfassungsänderung vorgelegt wurde. Der Änderungsentwurf selbst schlug nur eine kleine und symbolische Einschränkung der Macht des Königs von Thailand vor. Dies bedeutet, dass die derzeitige Regierung der thailändischen Militärjunta und der thailändische König entschlossen sind, sich den Forderungen der Demonstrant*innen zu widersetzen.

Gleichzeitig begann die Regierungspartei auch den thailändischen König zu mobilisieren, um Gegendemonstrant*innen auf die Straße zu schicken. Natürlich sind Anzahl und Dynamik im Vergleich zum Oppositionslager praktisch unbedeutend.

Seit Februar halten thailändische Studierende Demonstrationen an ihren Unis ab. Im Juli, nachdem die Menschen gewaltsam von der Polizei unterdrückt wurden, weil sie gegen den unzureichenden Umgang der thailändischen Regierung mit der Pandemie protestierten, entzündeten sich die Massenproteste. Die thailändische Regierung erließ wiederholt Verbote und versuchte, die Proteste mit Gewalt zu unterdrücken. Doch die Massen ignorierten die Verbote und die Repression und gingen auf die Straße.

Im August demonstrierten mehr als 100.000 Menschen in Bangkok. In mehr als 20 Provinzen in ganz Thailand, von Süden bis Norden, brachen Demonstrationen aus, darunter Chiang Mai, Ubon Ratchathani, Chonburi und Nakhon Ratchasima. Der 19. September war der Jahrestag des Militärputsches von 2006, der die Regierung stürzte. 100.000 Menschen strömten auf die Straßen von Bangkok. Am 14. Oktober jährte sich zum 74. Mal der Massenaufstand gegen die Militärdiktatur in den 1970er Jahren, und es versammelten sich wieder ähnlich viele Menschen. Die Demonstrant*innen belagerten einmal die Autokolonne des Königs, riefen "Repay my taxes!" und zeigten den Mitgliedern der königlichen Familie in der Autokolonne die Drei-Finger-Geste (der erhobene Daumen, Zeige- und Mittelfinger, übernommen aus „Die Tribute von Panem“ sind in Thailand das Symbol der Ablehnung des Militärregimes; Anm. d. Übers.).

Schüler*innen der Mittelschule (Schuljahre 6 bis 9; Anm. d. Übers.) sind das Rückgrat der Bewegung in Thailand, und junge Frauen spielen eine wichtige Rolle. Die Schüler*innen hoben bei den Eröffnungsfeiern ihrer Schulen die drei Finger zum Protest. Mittelschüler starteten sogar einen Protest beim Bildungsministerium. Als der Bildungsminister versuchte, die Schüler zu beschwichtigen, wurde er als "Handlanger des Diktators" bezeichnet. Im Gegensatz zur vorherigen Generation, die brutale Repressionen erlebte, spürt die neue Generation diese Angst nicht, so wie auch die radikalisierte linke Jugend in China einen Teil ihrer Angst vor den Repressionen des 4. Juni 1989 verloren hat. Aktivist*innen für LGBT-Gleichberechtigung und Abtreibungsrechte schlossen sich ebenfalls den Protesten an, und ebenfalls anwesend waren Gruppen, die für das Recht auf Selbstbestimmung in den südlichen drei Provinzen der muslimisch-malaiischen Region kämpfen.

Alle drei Forderungen stellen die Autorität des Königshauses direkt in Frage. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass sich die Massenbewegung traut, die Königsfamilie öffentlich zu kritisieren. Aber gleichzeitig ist sie den Beschränkungen der kapitalistischen Machtstruktur der Monarchie und der derzeitigen undemokratischen Militärregierung nicht völlig entkommen. Einige Demonstrant*innen sagten immer noch, dass sie den Fortbestand des thailändischen Königshauses "unterstützen", wenn die Regierung und die Königsfamilie zu Zugeständnissen bereit sind. Einige der progressiveren Jugendlichen befürworten eine Republik für Thailand.

Die Arbeiter*innenklasse in Thailand hat sich an dieser Bewegung nicht mit einer eigenständigen Identität und einem eigenen Programm beteiligt, sondern nur als Unterstützer*innen von Studierendengruppen und als Teil der Demonstrant*innen auf den Straßen. Da die Arbeiter*innenbewegung in ihrer historischen Entwicklung entmutigt wurde, hat sich die Situation verkompliziert. Das bedeutet, dass die Oppositionsbewegung die mächtigste Waffe gegen das Regime, Streiks, nicht eingesetzt hat; aber die Arbeiter*innenklasse ist der Kern der Organisation der neuen Gesellschaft. Aufgrund der Tatsache, dass die Bewegung noch nicht auf ein höheres Kampfniveau gehoben wurde, gepaart mit der unnachgiebigen Haltung der Behörden und der bewaffneten Unterdrückung durch das Militär und die Polizei, ist der Kampf im Dezember in eine Pattsituation geraten. Es ist noch unklar, wie lange die derzeitige Situation andauern wird, bevor die Bewegung ihren Höhepunkt erreicht.

Der Hauptauslöser für den Protest ist, dass Thailand 2014 seit eine Militärdiktatur ist und alle demokratischen Wahlen gestoppt hat. Letztes Jahr hat Thailand nach fünf Jahren Militärdiktatur die Parlamentswahlen wieder zugelassen. Die Ergebnisse der Wahlen lösten jedoch heftige Kontroversen aus. Der ehemalige Putschführer Prayut wurde durch Wahlbetrug an die Macht gebracht. Die neue Partei "Future Kadima", die zum ersten Mal an den Parlamentswahlen teilnahm, erhielt etwas mehr als ein Jahr nach ihrer Gründung 6,27 Millionen Stimmen (18%) und gewann 81 der 500 Sitze in der Nationalversammlung, was sie auf einen Schlag zur drittgrößten Partei machte.

Wie die neuen Parteien, die in den letzten Jahren in verschiedenen Ländern entstanden sind, zog die Future Kadima Party mit ihrem Anti-Establishment und ihrem jugendlichen Auftreten schnell eine große Zahl von Unterstützer*innen an. Anders als die "For Thai Party" und die "Thai Rak Thai Party" des Thaksin-Konzerns, die verschieden viel Unterstützung in den Städten und auf dem Land haben, gelang es der Kadima-Partei in der Vergangenheit, die Stimmen der Konservativen in vielen städtischen Gebieten zu gewinnen. Insbesondere kleinbürgerliche Selbstständige, die früher gut situiert waren, waren aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs Thailands in den letzten Jahren in diesem Jahr noch stärker von der Epidemie betroffen, von der Königsfamilie völlig enttäuscht und wandten sich in großer Zahl der Kadima zu. Als die Regierung die Kadima in Zukunft verbot, war das der Anlass für Jugenddemonstrationen.

Die politische Situation in Thailand erweckt oft den Eindruck, dass Militärputsche an der Tagesordnung sind. Tatsächlich hat es in Thailand von 1947 bis 2014 17 Militärputsche gegeben. Die thailändische Königsfamilie hat sich direkt oder indirekt an den bisherigen Putschen beteiligt, meist um die zivile Regierung zu stürzen, die die Interessen der Königsfamilie oder des Militärs bedrohte. In den letzten Jahren waren die bekanntesten Putschs natürlich die gegen die Thaksin-Familie und politische Gruppen 2006 und 2014. Offensichtlich haben die thailändische Armee und die königliche Familie ein ziemlich solides Band gemeinsamer Interessen, aber das wahre Machtverhältnis liegt in der Verbindung zwischen dem Militär und seinem riesigen Kapital.

Die thailändische Königsfamilie selbst führt einen äußerst luxuriösen und dekadenten Lebensstil. Sie hat ein Vermögen von etwa 43 Milliarden US-Dollar angehäuft. Es ist die reichste königliche Familie der Welt. Im Gegensatz dazu verfügt das britische Königshaus nur über 520 Millionen US-Dollar. Selbst saudische Königshaus kommt auf „nur“ 18 Milliarden US-Dollar, was immer noch weniger als die Hälfte des thailändischen Königshauses ist. Gleichzeitig ist die Korruption der thailändischen Armee ebenso erschreckend. Die thailändische Armee ist eine der weltweit größten Gruppen, die mit Menschenhandel und Prostitution Geschäfte macht. Laut dem "Human Trafficking Report" des US-Außenministeriums aus dem Jahr 2014 ist Thailand das Land, in dem der Menschenhandel am weitesten verbreitet ist. Der Bericht zeigt, dass ein Erwachsener in Thailand für etwa 2.000 US-Dollar gehandelt werden kann, und die Menschenhändler verdienen 320 US-Dollar. Der Rest wird von der Königlich Thailändischen Marine und der Küstenwache abgenommen.

Seit der Thronfolge des jetzigen Königs von Thailand, Wajiralongkorn, haben sein absurdes Privatleben und seine politische Inkompetenz die königliche Autorität in den Keller sinken lassen. Besonders nach dem Ausbruch von Covid-19 im Jahr 2020 floh Vajiralongkorn mit zwanzig Konkubinen nach München und ließ die nationalen Angelegenheiten hinter sich. Diese Nachricht hat das Ansehen der königlichen Familie völlig erschüttert und den Zorn des thailändischen Volkes weiter entfacht.

Das Bewusstsein der Massen hat sich gewaltig verändert, und es ist nun notwendig, ein klares klassenorientiertes Programm weiter vorzuschlagen. Insbesondere die großen Städte Thailands haben unter dem Einfluss der Epidemie eine wirtschaftliche Depression erlebt, eine große Anzahl inländischer kleiner und mittlerer Unternehmen ist in Konkurs gegangen, und Menschen haben massenhaft haben ihre Arbeit verloren. Auch die einheimischen Industriearbeiter*innen stehen vor einer Krise mit sinkenden Gehältern, schlechteren Lebensbedingungen und Massenentlassungen. Diese Probleme können nicht von der Thaksin-Gruppe, dem Telekommunikations-Tycoon der 2. Generation, Tanathon, oder irgendeiner anderen Partei gelöst werden. Auch die kapitalistische Elite wird sie nicht lösen.

Die linken Kräfte in Thailand hatten in den 1950er und 1970er Jahren einen beträchtlichen Einfluss und wurden danach vom thailändischen Königshaus und der Armee mit aktiver Unterstützung des US-Imperialismus brutal unterdrückt. Die arbeitenden Menschen in Thailand sollten jetzt die Gelegenheit zum Wiederaufbau nutzen. Die politischen Kräfte der linken Gewerkschaften und der Arbeiter*innenklasse können, indem sie den Kampf für demokratische Rechte vorantreiben und die wirtschaftlichen Forderungen der Arbeiter*innenklasse vortragen, einen Sieg gegen das autokratische Establishment erringen und dafür sorgen, dass die siegreichen Ergebnisse nicht vom einheimischen Großkapital und dem Big Business vereinnahmt werden.

Tatsächlich ist die königliche Familie seit dem Sturz der absoluten Monarchie Thailands durch die Revolution im Jahr 1932 zu einem Werkzeug geworden, das dem Willen des Militärs und der Kapitalist*innen dient, während ihre eigene unabhängige Macht tatsächlich sehr schwach ist. Natürlich ist es richtig und vernünftig, die Privilegien der Königsfamilie zu kritisieren, aber was die Massen wirklich herausfordern wollen, ist das kapitalistische System, das hinter dem Militär, dem Großkapital und der Königsfamilie steht. Dieser jugendliche Aufstand erfordert eine organisierte demokratische Struktur und eine Verbindung mit den arbeitenden Menschen. Das bedeutet auch, die Skepsis gegenüber politischen Parteien zu überwinden und mit den Arbeiter*innen zusammenzuarbeiten, um eine neue kämpferische, linke Partei aufzubauen, die die Gesellschaft verändern soll.

 

Corona stoppt uns nicht!

Trotz Pandemie und Repression baut sich die International Socialist Alternative ISA stetig auf.

Als sich Ende Jänner 2020 das CWI nach der Trennung von einer Minderheit in International Socialist Alternative umbenannte, konnte niemand ahnen, welch schwieriges Jahr vor uns liegen würde. Doch nicht nur die Herausforderungen, sondern auch unsere Leistungen waren beachtlich. Natürlich wurde auch unsere Arbeit von der Corona Pandemie geprägt. So kam es insbesondere während der ersten internationalen Lockdowns zu häufigen online Treffen unserer internationalen Führungsgremien mit dutzenden Vertreter*innen aus der ganzen Welt, um unsere Positionierung bezüglich COVID 19 auszuarbeiten.

Breit wurde und wird diskutiert, was die wirtschaftlichen und politischen Folgen und Forderungen sind. Dies ist Ausdruck einer ausgereiften und verbesserten Debattenkultur, die sich auch im regelmäßigen Erscheinen internationaler Bulletins ausdrückt, die zur Information und Schulung von Mitgliedern und der Verschriftlichung von Debatten dienen. Ein Ergebnis unserer Diskussionen war u.a. die internationale Vernetzung von Genoss*innen, die im Gesundheitsbereich arbeiten. In diesem Jahr konnten wir bei den irischen Parlamentswahlen den Sitz unseres Mitglieds Mick Barry verteidigen, der nun eine wichtige Rolle bei den Protesten von Schüler*innen gegen die wegen Corona noch ungerechteren „Aussiebprüfungen“ spielt.

Im Frühjahr, nach einer kurzen Schockstarre durch Corona wurde die Welt von der Black Lives Matter (BLM) Protestwelle erfasst, an der wir uns in einer Reihe von Ländern beteiligten. Unsere Schwesterorganisation in den USA spielte hierbei eine herausragende Rolle. Dass unsere Stadträtin in Seattle, Kshama Sawant, den Protestierenden Zugang zum Stadtrat verschaffte, zeigt wie Sozialist*innen politische Ämter zur Unterstützung sozialer Bewegungen einsetzen können – und dass gerade das zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen sie geführt hat, zeigt, wie sehr die Herrschenden es hassen, wenn man sich nicht an ihre die Demokratie beschränkenden „Spielregeln“ hält. In Minneapolis war ein Genosse als Mitglied der Busfahrer*innengewerkschaft treibend, dass die Gewerkschaft den Abtransport verhafteter Demonstrant*innen verweigerte. Dies und die richtige Position der US Genoss*innen, nach den Vorwahlen nicht Biden, sondern die Gründung einer Arbeiter*innenpartei zu unterstützen, stärkte die Position in den USA.

Auch in anderen Ländern waren Mitglieder der ISA in Massenbewegungen aktiv, brachten Vorschläge für Programm und Kampfstrategien ein: Z.B. bei den Protesten gegen Angriffe auf das Recht auf Abtreibung in Polen oder die Massenbewegung gegen Polizeigewalt in Nigeria. Unsere aktive Unterstützung der Proteste gegen Diktator Lukaschenko – inklusive einer Strategie für die Bewegung - führte zum Aufbau einer ISA Gruppe in Weißrussland.  Auch in anderen Regionen und Ländern haben wir neue Gruppen und Aktivist*innen, dazu gehören Mexiko, Indien und Argentinien. Dass sich gerade Jugendliche politisieren und nach neuen – und sozialistischen – Ideen suchen, zeigt sich in den intensiven Diskussionen, die wir mit Jugendlichen in u.a. Georgien und Kroatien führen.

Einige Sektionen mussten nach der Spaltung neu aufgebaut werden. Dies gelang z.B. in Nigeria. In England und Wales hielt unsere im letzten Jahr gegründete Sektion ihren ersten Kongress ab und in Schottland konnten wir erste Treffen organisieren. Neben unserer sehr lebendigen Homepage erreichen wir durch unseren YouTube Kanal „World to win“ in Englisch, Spanisch und Portugiesisch Menschen auf der ganzen Welt mit Berichten und Analysen. Neben Pandemie und Wirtschaftskrise sind unsere Aktivist*innen aber auch von Repression und staatlicher Gewalt betroffen. In Hong Kong z.B erschweren die Angriffe auf (noch) existierende demokratische Rechte unsere Arbeit. Einschüchtern lassen wir uns davon nicht – sondern verbinden wie z.B. bei Protesten in Russland, Tunesien oder dem Sudan Forderungen nach demokratischen Rechten mit sozialen Forderungen.

Das letzte Jahr sah auch eine Reihe internationaler Initiativen und Solidaritäts-Kampagnen. Besonders hervorzuheben dabei sind die bedeutenden Fortschritte unserer sozialistisch-feministischen Arbeit, die sich im neu gegründeten Frauenbüro sowie unserer internationalen Kampagne ROSA ausdrückt. 

Das letzte Jahr war mit Sicherheit kein leichtes und durch die Spaltung haben wir darauf mit anfangs geschwächten Kräften reagieren müssen. Doch das haben wir mit voller Dynamik, mit vielen neuen Aktivist*innen, lebendigen Diskussionen und Interventionen, mit „alten“ und „neuen“ Medien gut gemeistert. Corona und die voll entbrannte Wirtschaftskrise haben neben der Klimakrise den Arbeiter*innen und Jugendlichen weltweit die Brutalität des Kapitalismus offenbart. Die internationalen Verflechtungen, die gleichen brutalen Methoden der Herrschenden und die Gemeinsamkeiten der Unterdrückten, der Arbeiter*innen, weltweit treten überdeutlich hervor. Die letzten Monate stimmen aber zuversichtlich, dass die Kräfte der ISA eine zentrale Rolle dabei spielen werden, dass das herrschende System besser früher als später der Vergangenheit angehören wird.                    

www.internationalsocialist.net

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

#ZeroCovid-Aufruf löst Dynamik von links aus

Eine solidarisch-kritische Auseinandersetzung
Claus Ludwig, Köln, SAV (Schwesterorganisation der SLP in Deutschland)

Aber weist die zentrale Forderung nach null Neuinfektionen in richtige Richtung? Der von linken Aktivist*innen initiierte Aufruf #ZeroCovid hat in wenigen Tagen große Unterstützung bekommen. Der Aufruf thematisiert, dass Corona kein “Freizeit-Virus” ist, sondern endlich auch Betriebe vorübergehend geschlossen werden müssen. Zudem werden darin ein Ende der Privatisierung im Gesundheitswesen sowie bessere Ausstattung und Bezahlung gefordert. Das hat das Potenzial, die Diskussion in eine andere Richtung zu entwickeln. Der Hauptslogan des Aufrufs, die Neuinfektionen auf Null zu senken, und dafür einen harten Lockdown (wochenlang? monatelang?) in allen Bereichen gleichermaßen durchzusetzen, ist jedoch nicht geeignet, um eine größtmögliche Einheit von Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Jugendlichen, kleinen Selbstständigen und Eltern von Kita- oder Schulkindern zu erreichen.

veröffentlicht auf sozialismus.info

Linke und Arbeiter*innenbewegung müssen in die Offensive kommen und Alternativen sowohl zur Regierung als auch zu den “Corona-Skeptiker*innen” bieten. Dafür und um die Pandemie wirksam zu bekämpfen, braucht die Linke Slogans und Aktionsvorschläge, mit denen gemeinsame Klasseninteressen in den Vordergrund gerückt werden.

“Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme” (Karl Marx). Die Diskussion um #ZeroCovid wird helfen, diese Ideen zu entwickeln. Der Aufruf kann trotz Schwächen einen Beitrag dazu leisten, dass die Diskussion über Corona-Maßnahmen von unten, wie zum Beispiel über die Schließung von Betrieben, an Fahrt aufnimmt.

Sind null Neuinfektionen (noch) eine Option?

Die herrschenden Klassen Europas haben am Beginn der Pandemie versagt. Arrogant und selbstgefällig haben sie die Gefahr ignoriert. Die Erfahrungen Südkoreas, Vietnams und Neuseelands wurden nicht ernst genommen. Die Zustände in vielen Kliniken und vor allem Pflegeheimen waren schon vorher katastrophal. #ZeroCovid war zu Beginn der Pandemie eine Option, als die ersten Herde erkannt wurden. Schnelle, umfassende Shutdowns inklusive der Betriebe, sofortige Bereitstellung von Masken und eine umfassende Teststrategie hätten mindestens zu einer starken Eindämmung des Virus geführt. Jetzt haben wir ein überall verbreitetes Coronavirus, mitten im Winter, mit einer neuen mutierten Variante, die sich schnell ausbreitet. Von Nachverfolgung im effektiven Sinn kann keine Rede mehr sein.

Was würde es in dieser Lage bedeuten, alles runter zu fahren bis die Neuinfektionen bei Null sind? Schließt dieser Shutdown auch nächtliche Ausgangssperren, die unsinnige 15 Kilometer-Regel, Spielplätze und Kitas ein? Sollen die Sportplätze dicht bleiben, sollen Kinder nicht mehr als einen Freund ohne Elternteil treffen dürfen, wenn die Neuinfektionen gering, aber nicht bei Null sind? Warum nicht bei 20, 10 oder 5?

Das in einer Pandemie sehr wichtige Urteil von Virolog*innen bildet die Basis der Perspektive #ZeroCovid. Doch sie sind weder Psycholog*innen noch Allgemeinmediziner*innen. Die Kontaktbeschränkungen, aber auch die Schul- und Kita-Schließungen, haben umfassende gesundheitliche, psychosoziale Folgen, diese müssen einbezogen und können nicht durch Virolog*innen beantwortet werden.

Bei den jetzigen Kräfteverhältnissen werden die Einschränkungen von einem repressiven kapitalistischen Staat vorgenommen. Die Senkung auf 0 Infektionen würde, wäre sie überhaupt noch möglich, nur durch eine massive Repression eben dieses Staates und durch eine Abschottung nach Außen durchsetzbar sein. 

Eine linke Position erschöpft sich nicht darin, für möglichst viele Schließungen einzutreten und diese sozial abzufedern. Beispiel Schulen: Die Frage ist nicht, ob die Schulen auf oder zu sind. Die realen Konfliktlinien entwickeln sich um die Bedingungen der Schulöffnung. Geht das Chaos weiter wie bisher oder gibt es Luftfilter in jedem Klassenraum, dauerhaft halbe Klassen, täglich Tests für jede*Schüler*in und Lehrkräfte, eine Einstellungsoffensive von Lehrer*innen und weiterem Personal, Anschaffung von Hardware für alle usw.

Regierungspolitik angreifen

Die Autor*innen sagen wenig zu den unsinnigen und extrem belastenden Elementen des Shutdowns wie Ausgangsbeschränkungen, Sperrstunden und der Isolation von Alleinerziehenden und Kindern, außer, dass diese “aktionistisch” seien.  Zu den Auswirkungen eines kompletten Shutdowns für die demokratischen Rechte heißt es im Aufruf lediglich: 

“Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch. Gesundheitsschutz ohne Demokratie führt in den autoritären Staat. Die Einheit von beidem ist der entscheidende Schlüssel zu einer solidarischen ZeroCovid-Strategie”

Eine Kritik von links an den Maßnahmen der Regierung ist wichtig. Die Kontaktbeschränkungen im Privaten bringen wenig, sollen vor allem Handlungswillen der Regierenden demonstrieren und von kapitalistischen “Weiter so” in den Betrieben ablenken, beschränken Rechte und haben hohe psychosoziale Folgekosten.

Bisher ist es unter Beachtung von Hygiene-Auflagen möglich zu demonstrieren. Wenn man jede Art von Mobilität und Kontakt einschränken würde, wären Demonstrationen auch davon betroffen. Demos und Streiks sind aber die einzigen Mittel der arbeitenden Menschen, um sich gegen die sozialen Folgen der Krise zu wehren. Sie sind notwendig, um sinnvolle Maßnahmen gegen die Pandemie durchzusetzen oder zur Abwehr  von Angriffen seitens der Unternehmen, die gerade an Tempo und Schärfe zunehmen.

Die bürgerlichen Politiker*innen diskutieren aktuell über scharfe Ausgangsbeschränkungen, welche wenig zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beitragen, aber die Frustration in der Bevölkerung antreiben. Von Kontaktbeschränkungen dieser Art sind Menschen in ärmeren, dicht besiedelten Vierteln stärker betroffen als Mittelschichten mit Garten, Arbeitszimmer und Hobbykeller. Sie werden stärker von der Repression durch Polizei und Ordnungsamt getroffen, die in diesen Vierteln auch stärker präsent sind.

Betriebe schließen – aber wie?

Es ist korrekt, endlich Betriebe lahm zu legen, natürlich bei voller Lohnfortzahlung, und den ÖPNV leer zu bekommen. Allerdings ist das keine einfache Frage. Viele Beschäftigte fürchten Lohnverlust oder sogar, dass der Betrieb dauerhaft eingestellt.

Im Aufruf heißt es: “Menschen können nur zu Hause bleiben, wenn sie finanziell abgesichert sind. Deshalb ist ein umfassendes Rettungspaket für alle nötig.

“Rettungspaket” sollte jedoch definiert werden. Im schlimmsten Fall klingt es weder nach voller Lohnfortzahlung noch nach garantiertem Erhalt der Arbeitsplätze, sondern nach zu spät kommenden und unvollständigen “November”-Hilfen der Regierung. Der Appell an ein “wir”,  die auch bei der Arbeit die Kontakte beschränken sollen, klingt, als hätten es die Beschäftigten selbst in der Hand. Die Bedingungen in den Betrieben bestimmen allerdings nicht sie, sondern die Bosse.

Es ist notwendig, die Beschäftigten davon zu überzeugen, dass der Shutdown von Betrieben sinnvoll, möglich und für sie ohne negative Folgen durchgesetzt werden kann. Sonst wächst die Gefahr, dass sich Kapitalist*innen bei ihrer Forderung “Betriebe offenhalten” auf die Beschäftigten stützen und es zu einer Spaltung anhand der Frage kommt, ob man Jobverlust oder Corona für das größere Risiko hält.

Im Aufruf ist ein hilfreicher Punkt dazu enthalten: “Wichtig ist, dass die Beschäftigten die Maßnahmen in den Betrieben selber gestalten und gemeinsam durchsetzen. Mit diesem Aufruf fordern wir auch die Gewerkschaften auf, sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen, den Einsatz von Beschäftigten für ihre Gesundheit zu unterstützen und die erforderliche große und gemeinsame Pause zu organisieren. “

Das kann ein guter Ausgangspunkt dafür sein, um Beschäftigte und deren Kämpfe zu organisieren. Ergänzt werden sollten dies durch Forderungen nach 100% Lohnfortzahlung, Offenlegung von Geschäftsbüchern, wenn Unternehmen staatliche Hilfen beantragen und wenn nötig Überführung in öffentliches Eigentum. Darüber hinaus brauchen wir eine Diskussion, welche Betriebe überhaupt notwendig sind und welche nicht. Waffenindustrie, Kohle-Abbau, Werbung und dergleichen, sollten geschlossen bleiben – auch das bei Lohnfortzahlung und der garantierten Schaffung von gleichwertigen Ersatzarbeitsplätzen. Aber dafür braucht es eine antikapitalistische Perspektive, die über das aktuelle System hinaus denkt.

Ausgerechnet Europa

Im Aufruf wird ein europaweiter Shutdown gefordert. Doch wer soll das umsetzen? Soll Europa abgeschottet werden? Es wird, gewiss nicht gewollt, ein Bild gezeichnet, “wir in Europa” hätten gemeinsame Interessen, die vernunftgeleitet, auf wissenschaftlicher Basis, erkannt und durchgesetzt werden können. Unter dem Strich bleibt es beim Appell an die Regierungen und die Institution EU, auch wenn das nicht explizit formuliert wird.

Doch die Art, wie die Pandemie bekämpft oder eben nicht bekämpft wird, ist von gegensätzlichen Klasseninteressen und der Konkurrenz von Nationalstaaten bestimmt. Die Pandemie verwandelt die kapitalistische Konkurrenz in ein bizarres Autorennen. Wer stark auf die Bremse drückt, um die Ausbreitung zu verhindern, verliert Marktanteile. Wer zu langsam bremst, riskiert eine schnelle Ausbreitung und damit einen späteren tieferen Absturz durch Vollbremsung. Jede Regierung, ob in Europa oder dem Rest der Welt, versucht so spät wie möglich zu bremsen, um der Wirtschaft den Rücken frei zu halten. Die Rezession hatte bereits 2019 eingesetzt und verstärkt diesen Effekt.

Im Aufruf ist von einer “europaweiten Vermögensabgabe” die Rede. Diese Abgabe auf der Europaebene zu fordern, entzieht ihr jede Zugkraft. Der Kampf um Umverteilung auf steuerlicher Ebene wird nach wie vor in den Nationalstaaten ausgefochten. Auf der europäischen Ebene existieren weder Mechanismen noch Druckmittel seitens der Arbeiter*innenbewegung, dies durchzusetzen, in den einzelnen Ländern durchaus. Klar wäre es prima, dies auf dem gesamten Kontinent umzusetzen, aber diese Forderung hat keinen konkreten Ansatz.

Die Definition eines gemeinsamen europäischen Interesses ist auch problematisch, weil diese den Rest der Welt ausschließt. Das ist von den Autor*innen nicht beabsichtigt, aber hier scheint aus dem Blick geraten, welcher Kampf sich aktuell um die Impfdosen abspielt. Die entwickelten kapitalistischen Länder haben sich das Gros für 2021 gesichert, “Europa” hat sich durchgesetzt, die Patentrechte der deutschen, US-amerikanischen und französischen Pharma-Unternehmen verhindern die Produktion von Generika zum Beispiel in den leistungsfähigen Fabriken auch im globalen Süden. Somit ist nicht nur “ganz Europa in einer kritischen Situation”, sondern weitere und weitaus ärmere Teile der Welt ebenfalls. Hier ist es notwendig, wie schon im Aufruf zum Teil angedeutet, eine internationale Perspektive zu entwickeln. Forderungen wie die Vergesellschaftung von Impfstoffen und der Überführung der Pharmaindustrie  wären dabei ein notwendiger Schritt.

Die Europa-Frage müsste klassenpolitisch konkretisiert werden. Wichtige Ansätze wären eine Vernetzung zum Beispiel des Pflegepersonals gegen die Profit-Ausrichtung des Gesundheitswesens oder der Schüler- und Lehrer*innen gegen vorzeitige Schulöffnungen, zur besseren Schulausstattung und gegen das Durchziehen von Prüfungen.

Soziale Kämpfe in der Pandemie

#ZeroCovid fordert eine grundlegend andere Corona-Politik. Die Perspektive,  dass Bewegungen und soziale Kämpfe von unten sich zum Ziel setzen, die gesamte kapitalistische Corona-Politik zu ändern, ist gut. Allerdings wird sich die Infragestellung diese Politik aus konkreten Auseinandersetzungen ergeben, welche die Linke vorantreiben sollte.

Die Frage der Öffnung der Schulen, der Ausstattung, der kleinen Klassen, Zensuren und Prüfungen, “Sitzenbleiben” sind bereits öffentlich debattiert worden. In Großbritannien und Irland haben Lehrer*innen und Schüler*innen gegen Schulöffnungen protestiert. In Saarbrücken, Bremerhaven, Essen und Mönchengladbach gab es einzelne Streiks von Schüler*innen.

Die Katastrophe in den Altenheimen sollte in den Mittelpunkt gerückt werden. Hätte die Regierung dabei nicht komplett versagt, wäre Corona zwar kein harmloses Virus, aber hätte deutlich weniger Tote zur Folge. 

Viele Menschen haben durch Kurzarbeit bereits letztes Jahr Einkommen verloren, haben keine Arbeit gefunden oder wurden entlassen. Das wird 2021 eskalieren. Der Widerstand in Form von Protesten, Streiks oder Betriebsbesetzungen unter Pandemie-Bedingungen ist nicht einfach. Hier ist die Linke gefordert, Jobs und Löhne zu verteidigen.

Es gibt einige Ansätze, um mit linken Inhalten gegen die Corona-Politik auf Bundes- und Landesebene kampagnefähig zu werden und gemeinsam in die Offensive zu kommen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Die Reichen sollen zahlen – Covid-Abgabe und Vermögenssteuer jetzt.
  • Lockdown capitalism – Betriebe vorübergehend schließen.
  • Kostenlose FFP2-Masken für alle, kostenlose Tests für alle.
  • Keine Einschränkung demokratischer Rechte, nein zu unsinnigen Ausgangs- und Kontakt-Beschränkungen (Sperrstunden, 2+1-Regel, 15-km-Regel).
  • Impfstoffe u. Pharmaindustrie in öffentliches Eigentum unter demokratische Kontrolle.
  • Schulen bleiben so lange geschlossen, bis umfassende Tests, Luftfilter und halbierte Klassen ermöglicht sind, demokratische Entscheidungen von Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern, volle Lohnfortzahlung für Eltern, die Homeschooling unterstützen.
  • DRGs abschaffen, mehr Geld für Personal, Kliniken besser ausstatten,  Kliniken und Altenpflegeeinrichtungen rekommunalisieren.
  • Gegen Nazis und Verschwörungsmyster*innen.

Konkrete Initiativen, Kämpfe und Kampagnen bieten für Linke die Möglichkeit, nicht nur das Versagen der Bundesregierung und des Marktes, sondern des gesamten kapitalistischen Systems aufzuzeigen und auf der Grundlage für eine Gesellschaft einzutreten, die nach Bedürfnissen und nicht nach höchstmöglichem Profit ausgerichtet ist. Im Rahmen der Diskussion sind in den letzten Monaten passendere Slogans als #ZeroCovid entstanden. Die SAV fordert seit dem Herbst “Lockdown capitalism”. In Köln hat ein antifaschistisches Bündnis unter dem Motto “Corona bekämpfen. Menschen schützen, nicht den Kapitalismus” zu einer Demonstration aufgerufen.

Die Partei die LINKE hat es bisher nicht geschafft, wirksame Initiativen zu entwickeln. Die Gewerkschaften vertreten einzelne gute Forderungen, aber verzichten auf politische Stellungnahmen. Den Initiator*innen von #ZeroCovid gebührt Dank für ihre Initiative. Die Resonanz zeigt, wie überfällig eine Antwort von links mit einer gewissen Breite war. Jetzt gilt es, die Ansätze zu konkretisieren und daraus gemeinsames Handeln zu entwickeln.

 

Neue Welle von Massenbewegungen

Flo Klabacher

2019 sah eine Welle von Massenprotesten auf allen Kontinenten. Im Iran lösten Benzinpreiserhöhungen die heftigsten Proteste seit 40 Jahren aus. In Hong Kong brachten Angriffe auf demokratische Rechte ein Viertel der Bevölkerung auf die Straße. In Frankreich (general-)streikten Arbeiter*innen gegen die Pensionsreform und eine Fahrpreiserhöhung führte zu den größten Protesten in der Geschichte Chiles. Die Liste lässt sich fortsetzen.

Die Protestwelle wurde wegen der Pandemie vorübergehend ausgebremst, die Probleme aber nicht gelöst. Doch die Unfähigkeit kapitalistischer Regierungen, Antworten auf Pandemie und Wirtschaftskrise zu geben, führen zu einer Zuspitzung der sozialen Widersprüche. Massenarbeitslosigkeit und Verarmung führen bei Jugendlichen und Arbeiter*innen weltweit zu Angst und Wut. Gleichzeitig fehlen kampfbereite Organisationen der Arbeiter*innenklasse. Das macht es schwer vorhersehbar, an welchen Funken sich Proteste entzünden.

In den USA hat der Polizeimord an George Floyd eine neue #BlackLivesMatter-Bewegung ausgelöst. Soziale Fragen stehen hier stärker im Vordergrund als früher. Das hat (wie 2019 Fridays For Future) weltweit Menschen auf die Straße gebracht. Mit #EndSars ist in Nigeria eine Massenbewegung gegen Polizeimorde entstanden. In Peru löste der Putsch des völlig korrupten Kongresses gegen den Präsidenten Massenproteste aus. Sie zwangen den neu eingesetzten Präsidenten nach fünf Tagen zum Rücktritt. In Belarus folg(t)en auf Lukaschenkos Wahlbetrug Massendemonstrationen und Streiks. Frauen spielen in allen diesen Bewegungen eine zentrale Rolle. In Polen sind es vor allem junge Frauen, die erneut weitere Verschärfungen des Abtreibungsverbotes erfolgreich bekämpft haben. Auch diese Liste ist nicht vollständig.

Gründe für Massenproteste gibt es überall. Um dauerhafte Erfolge einzufahren, brauchen sie ein Programm, das die konkreten Anlässe der Proteste mit sozialen Forderungen und der Perspektive einer demokratischen, sozialistischen Gesellschaft verbindet. Der Kapitalismus beweist Tag für Tag, dass er nicht fähig ist, menschliche Grundbedürfnisse zu erfüllen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Chaos im Capitol: Wir müssen eine Bewegung aufbauen, um die Rechte zurückzudrängen!

Die Socialist Alternative (USA) zu den jüngsten Erreignissen
Keely Mullen - ISA USA

Zuerst kam die Meldung: "Pro-Trump-Mob bricht in Capitol ein." Dann: "Kongressabgeordnete werden aufgefordert, sich unter ihren Stühlen zu verstecken", gefolgt von: "Sie haben in die Sitzungssäle geschossen."

Die Stürmung des Kapitols schockierte hunderte Millionen Menschen in den USA und auf der ganzen Welt. Das Chaos, das sich im Inneren eines der Grundpfeiler der amerikanischen Macht abspielte, ist in vielerlei Hinsicht eine Verkörperung der vielschichtigen Krisen, die das Land erfasst haben. Stundenlang war das Kapitol von einem Mob besetzt, der von rechtsextremen und faschistischen Teilen angeführt wurde, die entschlossen waren, die Ergebnisse der Novemberwahlen zu kippen.

Kurz nachdem das Kapitol gestürmt worden war, wurden die Mitglieder des Kongresses an einen "sicheren Ort" gebracht, als die Rechtsextremen die Kammern des Repräsentantenhauses und des Senats stürmten. Die Rechtsextremen wanderten durch die Hallen des Kongresses, stahlen Nancy Pelosi die Post, rissen Gemälde ab. Ein Mann nahm sogar ein ganzes Pult mit und spazierte damit durch die Eingangstür hinaus.

Die völlige Unvorbereitetheit der Capitol Police auf den Angriff auf das Kapitol stand in krassem Gegensatz zu der Art und Weise, wie die Polizei auf Black Lives Matter-Proteste im vergangenen Sommer reagiert hat. Tausende Nationalgardisten wurden während der Proteste am 1. Juni mobilisiert, um "das Kapitol zu schützen", während in einer Stadt nach der nächsten brutale Methoden angewandt wurden. Die Aktion gestern hingegen wurde, wie inzwischen bekannt ist, von den Rechten in den sozialen Medien schon seit Wochen offen geplant, aber selbst das hat keine Reaktion der Strafverfolgungsbehörden ausgelöst.

In den letzten Wochen und Monaten vor diesem "Aufstand" hat Trump nicht versucht, seine Ambitionen eines Putsches zu verstecken (denken wir nur an "Proud Boys, haltet euch zurück und haltet euch bereit"). Bis gestern Abend hat er wiederholt erklärt, dass er das Wahlergebnis nicht anerkennen oder akzeptieren wird. Er hat den Weg für die gestrigen Ereignisse während seiner 2020er Wahlkampagne geebnet. Er warnte vor weit verbreitetem Wahlbetrug und falschen Briefwahlstimmen. Und er stellte mehr als deutlich klar, dass alles außer einem Erdrutschsieg für ihn “Wahlbetrug” sein würde.

Nach der Wahl hat Trump - neben der Einreichung von 60 Klagen - versucht, republikanische Beamt*innen in Schlüsselstaaten zur Aufhebung der Ergebnisse zu drängen. Zuletzt hat er in einem - inzwischen geleakten - Anruf versucht, den Staatssekretär von Georgia, Brad Raffensperger, einzuschüchtern, damit dieser 11.000 Stimmen "findet". Er hat sich an Diskussionen mit Verschwörungsmystiker*innen über die Ausrufung des Kriegsrechts beteiligt. Schließlich hat er versucht, den Vizepräsidenten Mike Pence dazu zu bringen, im Alleingang und während der Bestätigung durch den Kongress die Wahlergebnisse zu kippen.

"Zerstört die GOP!"

Bevor er gestern zum Capitol marschierte, hielt Trump eine "Rettet Amerika"-Kundgebung ab, bei der er “illoyale” Republikaner*innen wie Mike Pence und Mitch McConnell anprangerte, die den Sieg von Joe Biden bestätigen wollten. Trump rief seine Anhänger*innen auf, zum Capitol zu marschieren und "schwache Republikaner*innen" ins Visier zu nehmen.

Bei einer Pro-Trump-Kundgebung im Dezember in D.C., “um den Wahlbetrug zu stoppen", rief Nick Fuentes, ein rechtsextremes Aushängeschild und bekennender weißer Rassist: "Wir haben versprochen, dass, wenn die GOP ("Grand Old Party", gemeint sind die Republikaner, Anm. d. Übers.) nicht alles in ihrer Macht stehende tun würde, um Trump im Amt zu halten, wir die GOP zerstören würden." Es folgte ein begeisterter Sprechchor aus der Menge: "Zerstört die GOP!" Trump selbst hat dazu aufgerufen, den republikanischen Gouverneur von Georgia ins Gefängnis zu stecken und Republikaner*innen, die sich ihm widersetzen, als "RINOs" ("Republican in Name Only" - Leute, die sich nur Republikaner*in nennen; Anm. d. Übers.) zu beleidigen.

Wie wir immer wieder gewarnt haben, sind die Rechten noch da - trotz Trumps Wahlniederlage und der hohen Wahrscheinlichkeit, dass seine Versuche, das Wahlergebnis zu kippen, am Widerstand der Konzerneliten und wichtiger Teile des Staatsapparats scheitern werden. Vielmehr dürften sie unter einer Biden-Regierung und der anhaltenden kapitalistischen Krise sogar noch weiter wachsen.

Die tatsächlichen faschistischen und quasi-faschistischen Gruppen bleiben noch immer relativ klein. Dennoch ist es durchaus möglich, dass wir gerade Zeug*innen der frühen Stadien einer Spaltung in der Republikanischen Partei werden. Und damit Zeugen der Entwicklung einer neuen rechtspopulistischen Partei, die aus Trumps harten Kern besteht.

Die Spaltungslinien in der republikanischen Partei wurden gestern in den Debatten im Kongress deutlich sichtbar. Nachdem die Rechtsextremen wieder aus dem Capitol entfernt worden waren und  der Senat wieder zusammen trat, machten die meisten Republikaner*innen, die die "Einwände" gegen die Wahlergebnisse unterstützen wollten, einen Rückzieher davon.

Die Debatte spiegelte wider, wie erschüttert das Establishment und die herrschende Klasse - die der Senat eher widerspiegelt - durch die gestrigen Ereignisse waren. Besondere Aufmerksamkeit wurde auf den Schaden gelegt, den die Ausschreitungen für das "Ansehen der USA in der Welt" bedeuten würden (d.h. für die Fähigkeit des Imperialismus, seine "demokratische" Legitimation zum Schutz seiner Interessen einzusetzen). Die Abstimmungen über die Einwände gegen die Bestätigungen im Senat gingen 96 zu 3 und 93 zu 6 aus. Im Repräsentantenhaus hingegen weigerte sich die Mehrheit der Republikaner*innen (über 120), nachzugeben - selbst angesichts der scharfen Kritik auch von einer Minderheit republikanischer Kongressabgeordneter.

Insgesamt waren die gestrigen Ereignisse eine Niederlage für Trump, da er angesichts des enormen Drucks der herrschenden Klasse gezwungen war, formell einzulenken. Dies war etwas, was er zu Beginn des Tages nicht vorhatte. Es ist natürlich möglich, dass er seinen Kurs in den kommenden Tagen wieder ändert, aber das politische Establishment als Ganzes, einschließlich wichtiger Teile der republikanischen Führung, bereitet sich darauf vor, ihn aus dem Weißen Haus zu vertreiben, sollte er versuchen, nach dem 20. Januar zu bleiben.

Republikanische Meinungsverschiedenheiten waren auch der Hauptgrund dafür, dass republikanische Amtsinhaber*innen ihre Sitze im Senat von Georgia verloren haben. Ein Teil von Trumps Basis weigerte sich, für Loeffler und Purdue zu stimmen, zum Teil wegen des allgemeinen Gefühls unter Trumps Anhänger*innen, dass die Wahl manipuliert werden würde. Der ehemalige Trump-Anwalt Lin Wood sprach bei einer Reihe von MAGA-Kundgebungen und riet den Trump-Anhänger*innen in Georgia davon ab, für Loeffler oder Perdue zu stimmen, weil sie Trump gegenüber nicht loyal genug gewesen seien. Er sagte: "Sie haben eure Stimme nicht verdient. Gebt sie ihnen nicht."

Nach dem Sturm

Während sich der Staub der gestrigen Ereignisse zu legen beginnt, fragen sich Millionen: Was zum Teufel wird als nächstes kommen?

Das politische Establishment in beiden Parteien redet sich den Mund fusselig über die Notwendigkeit, das Herz des amerikanischen Volkes zurückzuerobern. Sie geben den Wolf im Schafspelz und predigen eine “Rückkehr zur Normalität”. Biden hat "schlichten Anstand" angemahnt. Er hat auch eine lange Vorgeschichte darin, überparteiliche Kooperationen mit reaktionären Republikaner*innen zu schätzen. Biden könnte McConnells Distanzierung von Trump als ein Signal verstehen, auf diesem Weg weiterzugehen. Viele Menschen durchschauen aber diese leeren Phrasen und fragen sich: "Ok, aber jetzt mal ernsthaft, was nun?"

Inmitten der Angst vor dem Erstarken rechtsextremer Kräfte steht die Linke und die Arbeiter*innenbewegung vor einer dringenden Aufgabe. Die Geschichte lehrt uns, dass die einzige wirkliche Verteidigung, die wir gegen die Bedrohung durch die extreme Rechte haben, die ein Produkt des Verfalls des Kapitalismus ist, eine vereinte, massenhafte, multiethnische Bewegung der Menschen aus der Arbeiter*innenklasse ist. Wir haben das erst vor ein paar Jahren in Boston gesehen, wo nach den Ereignissen von Charlottesville 40.000 gegen die extreme Rechte demonstrierten und diese eine ganze Zeit lang in die Schranken wiesen.

Doch anstatt diese Gelegenheit zu nutzen und zu Massenaktionen aufzurufen, um diesen versuchten Putsch zu stoppen, gehen linke Führer*innen wie Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) in die falsche Richtung. Anstatt einen Aufruf zu Massendemonstrationen herauszugeben oder die Linke und die Arbeiter*innenbewegung auch nur vage dazu aufzufordern, sich zu organisieren, twitterte sie: "Amtsenthebung". Darauf folgte eine überstürzte Bemühung unter den Squad-Mitgliedern ("The Squad" ist eine Gruppe linker Abgeordneter, Anm. d. Übers.), neue Anklageartikel zu formulieren. Cori Bush, neu gewähltes Squad-Mitglied, brachte eine Resolution ein, um die Kongressabgeordneten auszuschließen, die "diesen inländischen Terroranschlag angestiftet haben."

Diese Taktiken wären in Ordnung als Beilage zu einer viel größeren Strategie zur Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung, aber das ist nicht das, was diese linken Führer*innen tun. Sie gehen nicht weiter als Establishment-Demokrat*innen wie Chuck Schumer, der das Kabinett auffordert, den 25. Verfassungszusatz anzurufen und Trump aus dem Amt zu entfernen.

AOC und The Squad sollte für Massendemonstrationen und dauerhafte Organisierung gegen die extreme Rechte aufrufen. Sie sollten darauf hinweisen, dass es gerade die neoliberale Agenda ist, die ja von beiden Big-Business-Parteien verfolgt wird, die den Boden für die extreme Rechte geebnet hat. Sie sollten die umfassende Reihe von Reformen hervorheben, die notwendig sind, um diese Polarisierung nach rechts zu durchbrechen, einschließlich 2.000-Dollar-Stimulus-Schecks, Medicare for All, einem Green New Deal und einer Vermögenssteuer für Reiche.

Die weitere Verbreitung rechter Ideen ist sehr gefährlich für arbeitende Menschen, Unterdrückte und die gesamte Linke. Wir brauchen eine entschlossene und mutige Führung auf der Linken, um diese Herausforderung zu bestehen.

Was nun, Demokraten?

Mitten im gestrigen Wahnsinn meldete die AP (amerikanische Presseagentur, Anm. d. Übers.) die beiden Wahlen in Georgia als für die Demokraten gewonnen - was ihnen die Kontrolle über beide Kammern des Kongresses und das Weiße Haus verschafft.

Viele Amerikaner*innen, deren Miete fällig ist und deren Rechnungen sich stapeln, werden froh sein, Mitch McConnel abtreten zu sehen, der die 2.000-Dollar-Stimulus-Schecks blockierte, die sogar Trump unterstützte.

Es wird eine enorme Erleichterung darüber herrschen, dass sowohl Trump als auch Mitch McConnel als unmittelbare Hindernisse bei der Lösung dieser Krise beseitigt worden sind. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der gestrigen Ereignisse. Die Demokraten werden wahrscheinlich gezwungen sein, 2.000-Dollar-Stimulus-Schecks zu verschicken und den Bundesstaaten erhebliche Hilfen zu gewähren. Biden könnte bereit sein, entscheidende Schritte zum Ausbau der Impfstoffinfrastruktur zu unternehmen, wie etwa die Nutzung des Defense Production Act, um die Produktion von Impfausrüstung zu steigern.

Während dies Biden und den Demokraten vielleicht einen vorübergehenden Aufschwung beschert, ist ihr Sieg in Georgia andererseits eine schlechte Nachricht für das Establishment. Es bedeutet, dass sie keine Ausreden und keinen republikanischen Buhmann haben, den sie beschuldigen können, wenn sie sich weigern, Medicare for All, einen Green New Deal, eine Steuer für Reiche und Großunternehmen zu liefern.

Die nächsten zwei Jahre werden wahrscheinlich Millionen Menschen klar machen, dass den Demokraten im Großen und Ganzen nicht zu trauen ist, wenn es darum geht, für die arbeitenden Menschen zu kämpfen. Das wird die Notwendigkeit der politischen Unabhängigkeit der Arbeiter*innenklasse von den Demokraten klar auf den Tisch bringen.

Das Establishment wird sich weithin populären progressiven Maßnahmen wie Medicare for All, die der Bourgeoisie ein Gräuel sind, entschieden entgegenstellen. Ohne eine*n Republikaner*in, der*m sie die Schuld geben können, werden sie gezwungen sein, ihre Feindseligkeit gegenüber fortschrittlicher Politik zu zeigen. Wie sich The Squad und Bernie Sanders in den nächsten zwei Jahren dazu verhalten, wird dramatische Folgen für die Linke haben.

Schlagt die Rechte zurück, baut die Linke auf

Es fühlte sich gestern an, als ob ein ganzes Jahrhundert in den Nachrichtenzyklus eines Tages gepresst würde. Es ist durchaus möglich, dass wir in den nächsten zwei Wochen weitere rechtsextreme Demonstrationen sehen werden, die versuchen, eine Machtübergabe zu verhindern, wofür in einer Reihe von Bundesstaaten bereits zu Demonstrationen aufgerufen wurde. Die Stimmung für weitere Proteste unter den Rechtsextremen ist durch Trumps heutiges Einlenken vielleicht gedämpft, aber dennoch gibt es in einer Reihe von Städten Demonstrationen, zu denen aufgerufen wurde und die anscheinend weitergehen werden.

Wir haben kein Vertrauen, dass das Establishment der Demokraten oder der Staat selbst diese Bedrohung beseitigen kann oder wird, und es ist entscheidend, dass die Linke und die Arbeiter*innenbewegung die Führung bei der Organisation von Massendemonstrationen übernimmt, um die extreme Rechte auszuschalten und die multiethnische Arbeiter*innenklasse hinter einem Programm für echten Fortschritt zu vereinen. Wo immer sie versuchen, sich Raum zu verschaffen, müssen wir ihnen mit einer massiven Demonstration der vereinten Arbeiter*innenklasse begegnen. Gewerkschafts- und linke Führer*innen müssen eine große Rolle bei der Verbreitung dieser Botschaft spielen, aber wir müssen auch schnell den Boden für eine unabhängige Partei bereiten, die die Interessen der arbeitenden Menschen und der Unterdrückten vertritt.

Wir müssen mit der bedeutungslosen "Anstands"-Politik des Establishments brechen. Wir müssen uns jetzt organisieren, um die Rechten zu besiegen und für die arbeitenden Menschen entscheidend notwendige Reformen auf dem Weg zur Beendigung des kapitalistischen Systems, das Ungleichheit, Rassismus, Sexismus und Faschismus hervorbringt, zu erkämpfen.

https://socialistalternative.ca/

Rechter Putschversuch in den USA

Kshama Sawant verurteilt die rechtsextreme Gewalt im Kapitol und ruft Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Sozialist*innen auf, sich zu organisieren, um die Rechtsextremen zu stoppen
Kshama Sawant, ISA-USA

Die folgende Erklärung wurde vom Ratsbüro von Kshama Sawant, der sozialistischen Stadträtin in Seattle und Mitglied der Socialist Alternative (Schwesterorganisation von SLP und SAV in den USA), herausgegeben:

"Die erschreckende Demonstration rechtsextremer Gewalt, die wir heute in DC sehen, ist eine beängstigende Warnung, dass Trump die Wahl zwar verloren haben mag, aber der Trumpismus und die extreme Rechte bleiben. Trump und seine reaktionäre Basis weigern sich, ein demokratisches Wahlergebnis anzuerkennen. Socialist Alternative und mein Ratsbüro stehen in Solidarität mit allen, die gegen die Rechten kämpfen, und mit all jenen, die in die Ausschreitungen im Kapitolgebäude hineingeraten sind, darunter Hausmeister*innen, Servicekräfte, Mitarbeiter*innen und andere.

Ich hoffe, dass alle, die im Moment in DC zu Recht in Angst und Schrecken sind, unversehrt bleiben. Wir müssen uns als Teil der Arbeiter*innenklasse aufeinander verlassen und auf unsere Solidarität. Mein Ratsbüro unterstützt die friedlichen Gegenproteste, zu denen arbeitende Menschen und Sozialist*innen aufrufen, als Teil eines sofortigen Gegenschlags gegen diese rechtsextremen Aktionen. Die einzige wirkliche Verteidigung ist eine Massenbewegung und Massenorganisation von arbeitenden Menschen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Sozialist*innen, um die extreme Rechte zu stoppen!

Die Polizei hat im letzten Sommer in einer Stadt nach der anderen friedliche Black-Lives-Matter-Demonstrationen brutal niedergeschlagen, im Namen von 'Recht und Ordnung'. Wo sind diese angeblichen Verteidiger*innen von Recht und Ordnung, wenn die Rechten auf einen terrorisierenden Amoklauf geht?

Diese Ausschreitungen werden enden, und dieses Wahlergebnis wird anerkannt werden - aber die rechtsextreme Selbstjustiz, die wir gerade sehen, ist nur der Anfang, wenn die arbeitenden Menschen sich nicht organisieren. Das sind die Anfänge einer möglichen rechtsextremen Bewegung, möglicherweise sogar mit einer eigenen politischen Partei.

Die rechtsextreme Gewalt im Kapitol ist nicht nur das Ergebnis von Trump, sondern auch des völligen Versagens der Führung der demokratischen Partei, sich nachdrücklich gegen dessen Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse zu stellen. Der heutige Tag zeigt, dass wir einfach keine Zeit haben, auf Veränderungen zu warten. Wir brauchen eine Partei der Arbeiter*innenklasse. Wir müssen einen Massenkampf für Medicare For All, für einen Green New Deal und für eine demokratische Kontrolle der Polizei führen. Gewerkschaften, Lokale Gruppen, Sozialist*innen, Aktivist*innen und andere müssen für all diese Forderungen kämpfen, um eine starke Alternative gegen den falschen und gefährlichen Populismus von Trump aufzubauen und die extreme Rechte zu besiegen."

Hier gehts zur Homepage der Socialist Alternative - USA: https://www.socialistalternative.org/

USA - Aus der Geschichte lernen: https://www.slp.at/artikel/usa-aus-der-geschichte-lernen-10265

Bis zum Ende gehen: Von der Revolution zum Sieg

Unvollendete Revolutionen führen zu Krieg, Reaktion und Niederlagen für die Arbeiter*innenklasse.
Sarah Moayeri

Der „Arabische Frühling“ war kein kurzfristiges Phänomen, sondern der Beginn einer Periode von Revolution und Konterrevolution. Dass die Revolutionen im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika unvollendet geblieben bzw. gescheitert sind, zeigt sich seitdem darin, dass es immer wieder neue Ausbrüche von Massenbewegungen gibt. Dieser unvollendete Prozess hat in einigen Ländern zu Rückschlägen, Konterrevolutionen und (Bürger-)kriegen wie in Syrien oder Libyen geführt. Auch in Ländern wie Ägypten oder Tunesien wurden die drängenden Probleme wie Armut, Repression und Arbeitslosigkeit nicht gelöst. Der verstärkte Aufstieg fundamentalistischer Kräfte, des IS, der Muslimbruderschaft etc. hing mit dem Scheitern der Revolutionen zusammen, weil diese Kräfte ein politisches Vakuum füllen konnten. Die offensiven reaktionären Kräfte waren dem westlichen Imperialismus lieber als erfolgreiche sozialistische Revolutionen, bzw. wurden von diesem erst groß gemacht.

Trotz aller Rückschläge konnten wir in den vergangenen Jahren sehen, wie die Massen wichtige Lehren aus dem Arabischen Frühling gezogen haben. 2019 haben sich Massenproteste im Sudan, Libanon, Irak auch nach einzelnen Erfolgen oder Zugeständnissen fortgesetzt. Anders als beispielsweise in Ägypten nach dem Sturz von Mubarak ist der Arbeiter*innenklasse heute zum Teil bewusster, dass der Sturz einzelner Diktatoren oder Figuren der Regimes, wie im Sudan oder Irak, nicht ausreicht. Diese Entwicklungen im Bewusstsein verdeutlichen das Potential für tiefgehende soziale Umwälzungen.

Von Chile über Indonesien bis Libanon: Zahlreiche revolutionäre Entwicklungen in unterschiedlichen Teilen der Welt haben in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass es immer wieder, quasi “automatisch”, zu Massenbewegungen und Aufständen durch die Arbeiter*innenmassen und Unterdrückten kommen wird, solange es Kapitalismus, Krieg und Unterdrückung gibt. Die Geschichte verschiedener Revolutionen zeigt aber auch, dass es notwendig ist, in den entscheidenden Momenten bis zum Ende zu gehen und politisch die alten Eliten vollständig zu stürzen, aber auch sozial und wirtschaftlich die Herrschaft der Kapitalist*innenklasse zu brechen, um diese Revolutionen zum Sieg zu führen und ihre Errungenschaften verteidigen zu können.

Eine der wichtigsten Lehren aus den revolutionären Entwicklungen ist die Notwendigkeit einer revolutionären Partei: Diese braucht ein Programm für die Errichtung einer sozialistischen Demokratie, die mit Arbeiter*inneneinheit eine Antwort auf tiefgreifende religiöse, nationale und ethnische Spaltungen bietet und ist fähig, die Arbeiter*innenklasse zu organisieren und sie zum Sieg zu führen. Revolutionäre Spontanität der Massen ist nicht genug für eine erfolgreiche Revolution. Trotzki schrieb über die Rolle der revolutionären Partei in der russischen Revolution: “Ohne eine leitende Organisation würde die Energie der Massen verfliegen wie Dampf, der nicht in einem Kolbenzylinder eingeschlossen ist. Die Bewegung erzeugt indes weder der Zylinder noch der Kolben, sondern der Dampf”.

Hätte es in den verschiedensten Revolutionen eine Massenpartei gegeben, die mit einer revolutionären Führung bewaffnet gewesen wäre, hätten die Arbeiter*innen und Armen mehr als einmal die politische und wirtschaftliche Macht ergreifen können. Angesichts von massiver staatlicher Repression, militärischen Konflikten und sich ausbreitendem religiösen Fundamentalismus war die Vorstellung "führerloser Revolutionen" nicht nur naiv, sondern fatal. Linke Kräfte in verschiedenen Ländern hätten sich zu größeren revolutionären Kräften entwickeln können, wenn ihre Führung sich nicht opportunistisch gegenüber prokapitalistischen Kräften verhalten, keine Illusionen in eine Phase bürgerlicher Demokratie gehabt und damit die Entwicklung neuer Arbeiter*innenparteien in ihren jeweiligen Ländern nicht behindert hätte. Eine revolutionäre Partei des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas muss Klarheit über den Klassencharakter des Staatsapparats und des Imperialismus, die Notwendigkeit des Internationalismus und die zentrale Rolle der Arbeiter*innenklasse haben. Sie muss ein Programm zum Sturz der reaktionären Regimes und der “demokratischen” Regierungen aufstellen, das eine Perspektive für die notwendigen Schritte nach revolutionären Erhebungen bietet: Eine sozialistische Staaten-Föderation und die Übernahme der politischen Macht und der Wirtschaft durch die Arbeiter*innenklasse. Zentrale Aspekte eines solchen Programms sind die Verbindung sozialer Maßnahmen gegen Armut, Inflation und Massenarbeitslosigkeit und für menschenwürdiges Wohnen, Gesundheitsversorgung, Bildung usw. mit dem Kampf um demokratische Rechte, Frauenrechte, das Recht auf nationale Selbstbestimmung wie z.B. in Kurdistan und gegen sektiererische Politik, Korruption und Krieg. Dafür darf es kein Vertrauen in imperialistische Kräfte geben, die Arbeiter*innenklasse muss einen unabhängigen Standpunkt für eine Regierung von demokratisch gewählten Vertreter*innen der Arbeiter*innen und Armen und die Überführung der Schlüsselindustrien und der Wirtschaft in ihre eigenen Hände einnehmen. DAS ist die Basis um zu gewinnen!

 

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