Internationales

Woran scheiterte Jugoslawien?

„Kurz zusammengefasst: es ist deprimierend“ (Studentin aus Kosovo/a)
Michael Gehmacher, Margarita Wolf

Die jugoslawische Arbeiter*innenbewegung begann früh, die nationalen Grenzen der Region zu überwinden. Es gab Streiks und lokale Aufstände, die von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten getragen wurden. Eine historische Leistung der Partisan*innenbewegung (von der bis 1948 Moskau treuen KP dominiert) bestand darin, dass die nationalen Unterschiede vorübergehend in den Hintergrund rückten. Trotz des Bruchs mit Moskau 1948 waren Jugoslawien und der Titoismus keine politische Alternative zum Stalinismus. Die KP setzte auf eine starke Bürokratie und einen permanenten Ausgleich, abwechselnd mit Repression und Zugeständnissen.

Wenn sie ihre Macht bedroht sahen, organisierten sie die Machtverteilung um. Wichtig war die starke Autonomie der einzelnen Teilrepubliken, und die Anlehnung an den Westen mit Krediten aus den USA, Großbritannien und dem Internationalen Währungsfonds IWF. Die Politik des kreditfinanzierten Aufschwungs erzeugte im Zuge der internationalen Rezession Ende der 1970er große Probleme. Anfang der 1980er einigte sich die jugoslawische Führung mit der IWF-Spitze auf ein umfassendes „Sanierungsprogramm“. Die Antwort war eine große Streikwelle: 331 Streiks gab es 1983, 1984 schon 384, 1987 waren es 1.685. Bundesweite Gewerkschafts- und Aktionsgruppen entstanden. Es gab Solidaritätsbesuche, landesweite Demonstrationen, Menschenketten über die Teilrepubliken hinweg, und vieles mehr.

Die Streikbewegung war die kämpferische Antwort auf IWF und Nationalismus der Bürokratie. Die fürchtete in allen Teilrepubliken um ihre Herrschaft und trat die Flucht nach vorne an. Der Nationalismus wurde extrem verstärkt, mit Abspaltung gedroht und später vollzogen. Die separaten Zahlungsverhandlungen halfen dem Westen, einen Keil zwischen die Teilrepubliken zu treiben. Österreich und Deutschland befeuerte den Nationalismus der herrschenden Eliten und Loslösung, um sich neue Profitmöglichkeiten zu sichern. Trotz ihrer Stärke scheiterte die gesamtjugoslawische Streikbewegung. Eine gemeinsam erarbeitete Strategie, eine marxistische Partei und eine politische Alternative gab es nicht. So verpuffte die Kraft und der Nationalismus setzte sich durch.

Balkan - lost generation

30 Jahre Waffenstillstand am Balkan: Der Kapitalismus hat der Bevölkerung aller „neu entworfenen“ Staaten weder soziale Absicherung, Minderheitenrechte noch die Lösung nationaler und ethnischer Konflikte gebracht. Alle exjugoslawischen Staaten, egal ob EU-Mitglied oder nicht, haben mit hoher Jugendarbeitslosigkeit (12.2020: Kroatien 21,6%, Kosovo/a über 50%), Korruption und Abwanderung zu kämpfen. In Serbien möchten 75% der Jugendlichen das Land verlassen. Sie haben keine Perspektive in ihrem Heimatland. Ein zusätzlicher Auswanderungsgrund sind Scheindemokratie und die Herrschaft politischer Kartelle, die sich das Geld in die eigenen Taschen stecken.

EU-Gelder, die den Einfluss von europäischen Unternehmen in der Region stärken sollen, versickern. Chinesische und russische Investitionen tragen im großen Stil zur Geldwäsche bei und erzeugen Abhängigkeit durch Verschuldung. Die ausländischen Infrastrukturprojekte helfen den Menschen vor Ort kaum, sondern dienen lediglich der Einflussnahme in einer strategisch wichtigen Region - u.a. Transitraum zwischen der EU und dem chinesischen Markt. Aber es rührt sich auch Widerstand jener, die im Land bleiben. Vor Beginn der Corona-Pandemie 2019 protestierten in Serbien, Bosnien, Albanien und Montenegro Tausende gegen die politischen Eliten und Streiks sowie linke Wahlerfolge sind schon längst keine Seltenheit mehr.

 

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China vs. USA - Wer kann den Krieg verhindern?

Langfristig schwächt der Konflikt die herrschenden Klassen – was sie noch gefährlicher macht.
Christine Franz, Franz Neuhold, Jan Millonig, Karma Melt, Manuel Schwaiger, Serafina Reisinger

Das Wachstum des imperialistischen Staatskapitalismus Chinas darf nicht als Zeichen der Stärke des Regimes missgedeutet werden. Denn es sind innere Widersprüche, die die Expansion antreiben, und die sich dadurch langfristig noch verschärfen werden. Während Chinas Kapital auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten ins Ausland drängt, lebt der Großteil der chinesischen Arbeiter*innen in bitterer Armut. Die Einkommensverteilung in China ist immer noch mit Kasachstan oder Mexiko vergleichbar. Obwohl es durch die wirtschaftliche Entwicklung gelungen ist, in den letzten Jahrzehnten massenhaft in extremer Armut lebende chinesische Bäuer*innen zumindest zu minimal konsumfähigen Arbeiter*innen zu heben, schlagen die sozialen Verheerungen der kapitalistischen Anarchie zunehmend zu. In Zhengzhou etwa – einem Produktionsstandort des Apple-Zulieferers Foxconn – beträgt die durchschnittliche monatliche Miete 4500 RMB, das Monatseinkommen der Arbeiter*innen liegt bei 5000 RMB. Die Folge: Während die Arbeiter*innen unter Elendsbedingungen hausen müssen, finden die Immobilienfirmen keine Mieter*innen. Solche Zustände bleiben nicht ohne Folgen. Zunehmend kommen rund um Themen wie demokratische Rechte, Feminismus, nationale Unterdrückung, Umwelt- und natürlich um soziale Fragen, Proteste und Streiks auf. Eine größer werdende Schicht an Arbeiter*innen und Studierenden erkennt die Kluft zwischen offizieller Staatsdoktrin und der kapitalistischen Realität. Sie suchen auch nach sozialistischen Antworten, worauf das Regime mit Verfolgung, Inhaftierung und Folter reagiert. Der Konflikt mit den USA stellt in diesem Kontext, etwa durch die Nutzung des „äußeren Feindes“ als Ablenkung, auch eine Art sozialen Puffer dar. Diese Strategie des Regimes von Diktator Xi Jinping ist auch innenpolitisch nicht ohne Risiko. Im Corona-Jahr 2020 wurden sowohl seine Außen- als auch Sozialpolitik von führenden Parteifunktionär*innen ungewöhnlich offen kritisiert. Zudem kommt es verstärkt zu nationalen Aufständen in Regionen wie Hong Kong, Tibet und Xinjiang, welche eine überaus große wirtschaftliche oder geostrategische Bedeutung haben.

Umgekehrt stellt ein aggressiver Kurs gegen China einen der wenigen Punkte dar, in denen sich Vertreter*innen der US-amerikanischen herrschenden Klasse, bei Demokraten wie Republikanern, einig sind. Der US-Imperialismus ist in einer Phase der Schwächung. Während Chinas Anteil am weltweiten BIP von 7% (2000) auf 19% (2019) stieg, sank jener der USA im selben Zeitraum von 30 auf 24%. Zentrale Elemente, die den Aufstieg des US-Imperialismus ermöglichten, wie technologische Überlegenheit, damals im Bereich der Fließbandproduktion, sowie erhebliche Wachstumsmöglichkeiten auf dem Binnenmarkt, sind längst verloren. Zudem führen innenpolitische Konflikte und eine militärische Überlastung durch die verlorenen Kriege der letzten Jahrzehnte zu einer Verminderung der Aktionsfähigkeit. Von der für eine weltweite Dominanz notwendigen politischen Einheit sind die USA weit entfernt. Während Trump die Spaltung sogar aggressiv vorantrieb, kann keine Maßnahme von Biden die tiefen sozialen Gräben und die massiven sozialen Probleme im reichsten Land der Welt lösen.

Für uns Marxist*innen ist klar, dass die Lösung bei keiner der „Seiten“ liegt, weil sie zur selben kapitalistischen Medaille gehören. Während China abgesehen von Hammer-und-Sichel-Folklore hardcore-kapitalistisch ist, tragen die USA Demokratie nur als hohle Phrase vor sich her, die fallen gelassen wird, sobald gute Geschäfte mit einer Diktatur gemacht werden können. Die geschädigten durch die Regime, den Kapitalismus und den Konflikt sind jeweils die Arbeiter*innen beider Seiten, sowie aller Länder dazwischen. Sie tragen die Kosten für Handelszölle vermittels Preisanstiege ebenso wie die Kosten für die Verschwendung von Ressourcen im Militär, die dringend etwa zur Bekämpfung von Klimawandel und sozialer Not gebraucht würden. Auch wenn ein voller direkter Krieg zwischen den beiden Großmächten unwahrscheinlich ist so betrifft ihr politisches, wirtschaftliches und auch militärisches Eingreifen jede Region der Welt. Direkt oder indirekt prallen sie in Myanmar, in Hong Kong etc. aufeinander.

Nur eine internationale Organisierung der Arbeiter*innenklasse kann der Konflikt- und Kriegstreiberei der herrschenden Klasse eine solidarische Alternative entgegensetzen. Die Internationale Sozialistische Alternative ISA ist nicht nur in Österreich, sondern in den USA, China und in über dreißig anderen Ländern aktiv. Während die Socialist Alternative der USA solidarisch für die Demokratiebewegung in Hong Kong marschierte, marschierte Socialist Action in Hong Kong solidarisch für die Black-Lives-Matter-Bewegung. Weltweit organisieren wir eine Kampagne gegen Repression und für demokratische und soziale Rechte in Hong Kong. Es sind nicht die Gipfeltreffen der Herrschenden und nicht die UNO, die Armut und Krieg beseitigen werden. Der Kern für ein menschliches, friedliches und sozialistisches Miteinander aller Menschen der Erde liegt in den Massenprotesten in Myanmar, den Streiks im Iran und den Straßenblockaden in Kolumbien. Schließ dich uns an! Weitere Infos unter: chinaworker.info/en und socialistalternative.org 

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Marx Aktuell: Was bedeutet Imperialismus?

Christine Franz, Franz Neuhold, Jan Millonig, Karma Melt, Manuel Schwaiger, Serafina Reisinger

Die marxistische Imperialismustheorie bietet eine Erklärung für Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnisse zwischen Ländern, sowie zur Entstehung von Konflikten und Kriegen im weltweiten Kapitalismus. Ihr Ausgangspunkt ist die Entwicklung in reichen Industriestaaten wie den USA, Europa oder Japan. Mit der Wende zum 20. Jahrhundert wandelte sich dort der Kapitalismus in mehrerlei Hinsicht. 

Erstens bildeten sich aus den zuvor dominanten Klein- und Mittelbetrieben größere wirtschaftliche Strukturen, die Konzerne. Dabei wurde die freie Konkurrenz durch zunehmende Monopolisierung verdrängt. So wird das Internet heute von einer Handvoll großer, hauptsächlich US-amerikanischer, aber auch teilweise chinesischer, Großkonzerne dominiert. Zweitens bildete sich durch die Verschmelzung von Bank- und Industriekapital - das „Finanzkapital“, dessen dominante Rolle etwa im Bereich der Aktienmärkte und großen Banken und Investmentfonds ersichtlich wird. An der Spitze dieses Finanzkapitals steht eine „Finanzoligarchie“ aus selbst für die Verhältnisse der kapitalistischen Klasse extrem mächtigen und finanzstarken Individuen und Organisationen. Dazu zählen etwa die 42 reichsten Milliardär*innen der Welt, welche zusammengenommen mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, oder der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock. Drittens veränderten sich die wirtschaftlichen Wechselbeziehungen zwischen reichen, imperialistischen und armen, abhängigen Ländern. Bis zum 20. Jahrhundert importierten bzw. raubten die reichen Staaten Rohstoffe aus den ärmeren Ländern. Diese wurden in den reichen Ländern weiterverarbeitet, um wieder in die ärmeren Länder verkauft zu werden. In den reichen Staaten boten sich damit jedoch immer weniger hochprofitable Anlagemöglichkeiten. Es bildete sich ein Überangebot an Kapital, welches nach außen strömte. Von nun an exportieren die nun imperialistischen Staaten v.a. Kapital (also sowohl Geld als auch z.B. Maschinen) in ärmere Länder, kontrollierten dort den Produktionsprozess und importierten dann Endprodukte. Viertens wurde der Weltmarkt zwischen großen Kapitalverbänden – bzw. multinationalen Konzernen – aufgeteilt. So teilt sich der Weltmarkt für Onlineversandhandel hauptsächlich zwischen Amazon im Westen und Alibaba in China. Fünftens entstand parallel zur Aufteilung der Weltmärkte unter Konzernen auch eine Aufteilung zwischen den jeweiligen, als imperialistisch bezeichneten, reichen Nationalstaaten, welche die Sitze eben jener Konzerne beherbergen. Diese Aufteilung geht heute so weit, dass imperialistische Konzerne und ihre Nationalstaaten neue Märkte nur mehr auf Kosten der Einflusszone anderer erschließen können, mit dementsprechendem Konfliktpotential.

Literaturtipp: Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Eine immer noch hochaktuelle Studie über den Übergang zum Imperialismus am Anfang des 20. Jahrhunderts, zu finden unter https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/imp/

 

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Wie China imperialistisch wurde

Der Konflikt zwischen den USA und China gründet sich auf den Widersprüchen des Kapitalismus.Weitere Auseinandersetzungen sind unumgänglich, solange der Kapitalismus nicht global gestürzt wird.
Christine Franz, Franz Neuhold, Jan Millonig, Karma Melt, Manuel Schwaiger, Serafina Reisinger

Schon im historischen Streit zwischen Marxismus und sozialdemokratischem Reformismus war die Imperialismus-Frage zentral. Lenin zerlegte die Annahme, der Imperialismus würde zum „Super-Imperialismus“ fusionieren und so würden Kriege und Ausbeutung von selbst enden. Lenin widersprach mit dem Hinweis, dass die herrschenden Klassen trotz Globalisierung niemals ihre nationale Machtbasis aufgeben könnten. Es wäre ihr Ende und das Ende des Kapitalismus. Der Verlauf der Geschichte bestätigt das.

Die kapitalistische Entwicklung mit all ihren technischen Revolutionen schuf die Grundlage einer weltweit vernetzten und hoch komplexen Wirtschaft, ohne die damit einhergehenden sozialen und politischen Probleme lösen zu können. Im Gegenteil führen diese immer wieder zu Krisen und Kriegen. Die wachsenden kollektivistischen Tendenzen (Werte werden von der Arbeiter*innenklasse geschaffen, die den immer größeren Teil der Bevölkerungen darstellt) bringen die Notwendigkeit für eine global geplante sozialistische Gesellschaft hervor. Ebenso kann eine höhere Effizienz der Nutzung dieser kollektivistischen Tendenzen innerhalb der imperialistischen Hackordnung für die herrschende Klasse eines Landes einen Vorteil bringen. Dies zeigt sich am Beispiel des heutigen chinesischen Staatskapitalismus, welcher sich aus dem stalinistisch regierten, wirtschaftlich nicht-kapitalistischen Regime entwickelte.

Mit der maoistischen Revolution 1949 entwickelten sich ein Staat und eine Wirtschaft, in der nicht oder kaum mehr für privaten Profit produziert wurde. Da die KP bei der gescheiterten Revolution 1925-27 ihre Verbindung zur Arbeiter*innenklasse verlor, bildete nun die Bäuer*innenschaft die Basis der Umwälzung. Das Eigentum an den Produktionsmitteln ging formal an die Bevölkerung, die Kontrolle hatte jedoch die staatliche und Parteibürokratie. Trotz fehlender Arbeiter*innen-Demokratie, unfassbarer Fehler und Eigeninteressen der Bürokratie kam es zu erheblichen sozialen Verbesserungen. Weit davon entfernt, Sozialismus zu sein, entwickelte sich unter Marxist*innen für solche stalinistischen/maoistischen Länder der Begriff des „deformierten Arbeiter*innenstaats“. Eine solche Ordnung ist nicht nachhaltig und führt entweder in einer weiteren, politischen Revolution zur Machtübernahme der Arbeiter*innenklasse, inklusive Umwandlung in Richtung eines echten demokratischen Arbeiter*innenstaates, oder zur kapitalistischen Konterrevolution.

Während die Vollendung der sozialen Konterrevolution in der Sowjetunion oder DDR zeitlich relativ scharf zu erkennen war, verlief diese in China anders. Ab 1978 („Vier Modernisierungen“) bzw. 1979 (Sonderwirtschaftszonen) wurden Maßnahmen der stalinistischen Bürokratie geschnürt, die langsam, jedoch immer mehr und tiefer das Fundament der Planwirtschaft durch Marktelemente und private Profit-Aneignung erst durchsetzen und später weitreichend verdrängen konnten. Die stalinistische Planwirtschaft war nicht nur geopolitisch immer isolierter, sondern durch innere Widersprüche (Fehlen von Arbeiter*innendemokratie, Korruption) am absteigenden Ast. Der Druck der kapitalistischen Weltordnung in Verbindung mit Entscheidungen der Bürokratie verwandelte die einst stalinistische Planwirtschaft in ein mit eiserner Faust geführtes kapitalistisches Staatswesen. Die sich entwickelnde revolutionäre und keineswegs pro-kapitalistische Alternative der Arbeiter*innen und Jugendlichen bei den Massenprotesten 1989 wurde mit brutaler Gewalt niedergeschlagen.

Weiter vorhandene Elemente der planwirtschaftlichen Vergangenheit ändern nichts daran. Entscheidend ist, dass in China die private Aneignung von Profit durch nationale UND ausländische besitzende Klassen nicht nur weitreichend stattfindet, sondern der Staat dieses soziale Regime sichert. Ab den 1990er Jahren stellte China als „Werkbank der Welt“ die wichtigste Säule des globalen Wachstums dar und wurde in diese Ausbeutungs-Verhältnisse integriert. Große Konzerne exportierten mittels ausländischer Investitionen massenhaft überschüssiges Kapital nach China. Die soziale Erosion infolge der Verdrängung der einst planwirtschaftlichen Grundlage bot diesem Kapital ein riesiges Heer billiger Arbeitskräfte. China lieferte arbeitsintensive Endprodukte. Das Regime konnte einerseits durch die enorme Größe und Bedeutung als Absatzmarkt, andererseits durch die Dominanz des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft den westlichen Konzernen beste Bedingungen bieten. So profitierten sowohl das Regime, dessen bürokratische Elite sich zunehmend mit der entstehenden Kapitalist*innenklasse verband, als auch ausländische Konzerne von der Ausbeutung der chinesischen Arbeiter*innen.

Während inzwischen die Zahl chinesischer Milliardär*innen jene der USA übersteigt, wurden das Bildungs- und Gesundheitssystem sowie Wohnen privatisiert. Der im Stalinismus aufgebaute Staatsapparat durchdringt weiter alles. Handlanger*innen der Staatspartei spionieren in Betrieben Arbeiter*innen aus. Die Partei und ihre Führung sind geprägt von Milliardär*innen. Partei und Kapitalist*innenklasse sind de facto verschmolzen. Das gibt dem chinesischen Kapitalismus die Möglichkeit, in noch größerem Ausmaß als seine westlichen Gegenstücke nicht unmittelbar profitable Projekte (wirtschaftlich und geopolitisch) im großen Stil sowie Kontrolle im Inneren durchzuführen.

China stellt nicht mehr nur günstige Endprodukte her, sondern ist in vielen Bereichen wie Solartechnik, Künstliche Intelligenz oder 5G führend. Es wurden massive Kapital- und Produktionsüberschüsse gebildet. Das Regime versucht nach außen zu expandieren, um langfristig Anlagemöglichkeiten zu finden, was auch Ausdruck innerer Spannungen ist. Die Phase geteilter Interessen mit dem globalen kapitalistischen Markt geht nun in eine Phase zunehmender imperialistischer Spannungen über. Dadurch kommt Chinas Regime unweigerlich in Konflikt zum bislang größten Imperialismus, den USA.

Um den Kern dieses Konflikts zu verstehen, ist etwas Grundlegendes unumgänglich: Es handelt sich bei der herrschenden Klasse im Kapitalismus nicht um eine graue Masse, die sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung verschwört. Das Bürgertum hat eine soziale Rolle im Ausbeutungsverhältnis. Es pflegt kein gesamtgesellschaftliches Interesse, sondern sein eigenes. Selbst wenn es versucht, geeint aufzutreten, ist es in mehrfacher Hinsicht gespalten. Ziemlich klar treten diese Spaltungen international hervor: Die herrschende Klasse Chinas muss in einer Welt, deren Märkte zwischen den imperialistischen Platzhirschen und ihren Großkonzernen aufgeteilt sind, in den Wettstreit treten. Geopolitik und militärische Spannungen sind dabei Ausdruck der wirtschaftlichen Widersprüche. Das angehäufte Kapital kann trotz enormer Ausbeutung nicht mehr so profitabel wie in der Vergangenheit eingesetzt werden. Es sucht Export- und Wachstumsmöglichkeiten. Dazu ist ein starker Staat unumgänglich, der global für gute Bedingungen sorgt. Gleichzeitig erleben wir infolge der Krise seit 2007 einen relativen Rückzug der Globalisierung und Elemente wirtschaftlicher Abschottung bei den wirtschaftlich starken Staaten, kombiniert mit einer Zunahme an Handelskonflikten. Am deutlichsten sind diese in der Ära Trump zwischen den USA und China hervorgetreten. Weitere Auseinandersetzungen bis hin zu Kriegen sind unumgänglich, solange der Kapitalismus nicht global gestürzt und durch räte-demokratische Planwirtschaft ersetzt wird.

 

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Zahlen und Fakten zur Neuen Seidenstraße

Christine Franz, Franz Neuhold, Jan Millonig, Karma Melt, Manuel Schwaiger, Serafina Reisinger

• Die Belt and Road Initiative (BRI) ist ein chinesisches geopolitisches Großprojekt und das größte weltweit. Insgesamt sollen bis 2049 durch Pipelines, Autobahnen, Häfen, neue Zugstrecken und sogar Glasfaserleitungen 65 Länder und somit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung durch ein Infrastrukturnetz verbunden werden, dabei sollen auch Grönland, Skandinavien und Arktis-Regionen mit großem Ölvorkommen erschlossen werden.• Anfang 2020 wurde geschätzt, dass die BRI mehr als 35% der globalen Wirtschaft beeinflusst und der Handel an der Neuen Seidenstraße könnte bis zu 40% des gesamten Welthandels ausmachen.• Das soll auch neue Märkte für chinesische Kapitalüberschüsse öffnen. Bisher hat China verglichen mit den USA einen viel kleineren Binnenmarkt. Grund ist der niedrigere Lebensstandard: Der Konsumanteil privater Haushalte am BIP beträgt 39,2% in China, hingegen in den USA 67,9%.• Gemeinsam mit Russland gibt es ca. 150 Projekte zum Ausbau der polaren Seidenstraße. Singapur unterstützt die BRI mit den höchsten Investitionen insgesamt. Auch in Afrika erhoffen sich die dortigen herrschenden Klassen Vorteile für sich. In Süd- und Osteuropa unterstützen neben Griechenland und Kroatien weitere 14 Länder die Neue Seidenstraße.• Im Oktober 2017 wurde die Belt and Road Initiative als Ziel im Statut der chinesischen Staatspartei festgelegt, es ist die zweite außenpolitische Maßnahme, die so eine Bedeutung hat.• In Pakistan - wo es bisher die größten BRI-Investitionen gab - erhält das chinesische Regime für die nächsten 40 Jahre 91% der Einnahmen durch den Gwadar Tiefseehafen. Wie auch in Myanmar und Indonesien führen diese Projekte zu verstärkten nationalen und ethnischen Spannungen sowie Umweltzerstörung und Vertreibungen.• Im November 2019 gründeten die USA gemeinsam mit Australien und Japan als Gegeninitiative zum BRI das "Blue Dot Network", im März desselben Jahres unterstützte Italien als erstes G7 Land die BRI. Dass traditionelle Verbündete der USA in Europa oder Australien gleichsam an der BRI und an den Gegenmaßnahmen teilnehmen, zeigt, wie komplex die geopolitischen Konflikte heute sind, Bündnisse sind wechselnder und v.a. fragiler als nach 1945.

 

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USA - China: Neuer Kalter Krieg?

Der Konflikt zwischen USA und China füllt die Spalten der Weltpresse und ist brandgefährlich.
Christine Franz, Franz Neuhold, Jan Millonig, Karma Melt, Manuel Schwaiger, Serafina Reisinger

Der Konflikt zwischen den USA und China sorgt weltweit für Schlagzeilen. Zwischen den beiden Staaten kommt es zu einem technologischen Wettrüsten und zum Kampf um wirtschaftliche Vorherrschaft, Märkte und Ressourcen. Spätestens 2018 begannen die USA mit einem Handelskrieg, in dem sich beide Seiten mit Strafzöllen überhäuften. Auf chinesischer Seite waren etwa Exportgüter im Wert von 200 Billionen $ betroffen. Seit 2020 gilt der Handelskonflikt zwar offiziell als beigelegt, tatsächlich werden immer noch 2/3 der chinesischen Exporte in die USA strafverzollt, China musste auch höheren Importen aus den USA zustimmen. Auf anderen Feldern geht der Konflikt ohnehin offen weiter. Chinesische Hightech-Firmen stehen im Westen zunehmend unter Beschuss. TikTok wäre in den USA beinahe verboten worden und Huawei wurde beim Export von 5G stark eingeschränkt. Alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Biden-Regierung haben die Eindämmung der chinesischen Wirtschaft als zentrales Ziel. Der US-Außenminister Antony Blinken meinte beim Treffen mit dem chinesischen Diplomaten Yang Jiechi, dass die Handlungen Chinas die globale Stabilität bedrohen würden. China forderte bei diesem Treffen die Aufhebung der Strafzölle, die unter Trump verhängt wurden. Insgesamt macht es bei der China-Politik der USA keinen Unterschied, ob Biden oder Trump im Weißen Haus sitzt.

Der Konflikt dreht sich um die Frage, wer die neue Supermacht ist – und das vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise. Der Kapitalismus steckt in einer strukturellen Krise. Da mit fortschreitender Entwicklung immer weniger profitable Anlagemöglichkeiten bestehen, bildet sich ein Überangebot von Kapital, während das Wirtschaftswachstum abnimmt. Dadurch wird der Streit um geopolitische Einflusssphären immer größer und wo der Kuchen kleiner wird, streitet man sich mehr um die Teile. Eines der wichtigsten geopolitischen Projekte von China, um seinen weltweiten Einfluss aufzubauen, ist „One belt one road“ (aka. „Neue Seidenstraße“). Hierbei werden über 120 Projekte gebündelt, die die Interessen und Ziele Chinas zusammenfassen. Es handelt sich v.a. um den Aufbau internationaler Handels- und Infrastruktur-Netze. Dieses Projekt sorgt für große Beunruhigung in den USA.

Etliche andere Länder pflegen enge Beziehungen und Handelsabkommen zu beiden Staaten und sind nicht einem der beiden Blöcke klar zuordenbar. Sie versuchen dazwischen zu balancieren bzw. es sich mit keinem der beiden zu verscherzen. Deutschland z.B. möchte weiterhin seine dominante Rolle in der EU behalten und hat starke ökonomische Beziehungen sowohl zu den USA als auch zu China. In eine schwierigere Position kommen ökonomisch schwächere, Schwellenländer oder neokoloniale Staaten. Hier versucht China etwa über Freihandelsabkommen wie den RCEP oder durch den massenhaften Export von Corona-Impfstoffen seinen Zugriff zu verstärken. Russland ist ein weiterer Faktor. Es ist eine Nuklearmacht, grenzt an China und steht im Konflikt mit den USA, u.a. in Syrien und im Mittleren Osten.

Auf die ökonomische und geostrategische Ebene folgt die militärische. Während die USA ihre militärische Präsenz rund um China kontinuierlich verstärken, verdoppelten sich die chinesischen Militärausgaben zwischen 2010 und 2020. Das Wettrüsten wurde besonders im südchinesischen Meer sichtbar.

All diese Ebenen haben Parallelen mit dem Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts. Der Unterschied ist, dass sowohl China als auch die USA imperialistisch sind, die Sowjetunion damals aber weder imperialistisch noch kapitalistisch war. Die Sowjetunion und die USA waren zwei klar voneinander getrennte Blöcke, die ihre Verbündeten unter Kontrolle hatten. China und die USA sind auch auf wirtschaftlicher Ebene viel mehr voneinander abhängig: 2017 verbuchten die USA mit China ein Handelsdefizit von 375 Milliarden $. 2019 kamen 18% der amerikanischen Importe aus China und 6 % der chinesischen Einfuhren waren aus den USA. Der chinesische Staat ist einer der größten Gläubiger der USA: Er hält Staatsanleihen in der Höhe von 1 Billion $, das sind circa 4 % der gesamten US Staatsschulden.

Aus marxistischer Sicht handelt es sich bei dem bestehenden Konflikt nicht um einen zweier unterschiedlicher Gesellschaftssysteme, sondern um einen imperialistischen Konflikt zweier kapitalistischer Supermächte. Um die andere Seite zu überbieten, sind sowohl der chinesische als auch der US-Imperialismus bereit, massenhaft Ressourcen im Militär zu verschwenden, umweltschädigende und oft für die lokale Bevölkerung sozial desaströse Großprojekte durchzusetzen und die eigene Arbeiter*innenklasse ebenso auszubeuten wie die Bevölkerung abhängiger Staaten.

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Zahlen und Fakten zur Neuen Seidenstraße

Wie China imperialistisch wurde

Marx Aktuell: Was bedeutet Imperialismus

Wer kann den Krieg verhindern

 

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Keine klimafreundliche Zukunft ohne Systemwechsel

Erstmals veröffentlicht in Offensiv, Wochenzeitung der Rättvisepartiet Socialisterna - ISA in Schweden
von Jonas Brännberg

Die Warnungen darüber, dass die kapitalistische Produktionsweise die Fähigkeit der Erde, mit allen Formen von Stress umzugehen, immer stärker strapaziert, häufen sich. Im vergangenen Jahr haben wir eine Rekordzahl von tropischen Stürmen in Mittelamerika und Südostasien, extreme Hitze in Sibirien und Brände in Australien und Nord- und Südamerika erlebt. 2020 war, trotz des abkühlenden Wetterphänomens La Niña, das wärmste Jahr in den Aufzeichnungen. Die Temperatur entsprach zwar der von 2016, aber damals war das wärmende Phänomen El Niño maßgeblich.

Der Klimawandel ist nicht die einzige Ursache dieser ernsten Warnungen. Weitere Gründe sind das schnelle Artensterben, die Überdüngung und die explosionsartige Verbreitung von Plastik und anderen Schadstoffen. Laut Klimaforscher*innen haben wir bereits bei vier von neun Indikatoren die sichere Zone innerhalb der "planetarischen Belastungsgrenzen" verlassen, die die Erde in dem stabilen Zustand halten, in dem sie sich seit 11 700 Jahren befindet, dem sogenannten Holozän.

Als Karl Marx und Friedrich Engels, die Begründer des modernen Sozialismus, den Kapitalismus studierten, konnten sie schon damals den Widerspruch zwischen dem System und der Natur erkennen. Marx drückte es so aus, dass der Kapitalismus eine metabolische Kluft zwischen Mensch und Natur geschaffen hat. Als Beispiel nannte er den Transport von Nährstoffen in der Nahrung vom Land in die Städte, um später als Abfallprodukt ins Meer gespült zu werden, was eine Verarmung der Böden zur Folge hatte.

Marx und Engels sahen jedoch nur einen ersten Vorgeschmack auf das, was sich zu einer völligen Umgestaltung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur entwickeln sollte. Auf der Jagd nach immer größeren Profiten wurden die Ökosysteme und natürlichen Rohstoffe der Erde als kostenlose Ressourcen behandelt, wobei Rohstoffe, Nahrungsmittel und andere Ressourcen aus der Natur geholt wurden, während die Verschmutzung zurück in den Boden, das Meer und die Luft geleitet wurde. Mit Hilfe fossiler Brennstoffe wurde die photosynthetische Barriere durchbrochen - der Kapitalismus hat ganz einfach, um seine Expansion und Jagd nach Profiten zu steigern, mehr "aus" der Natur produziert, als er wiederherstellen konnte, ohne auf die schwerwiegenden Folgen zu achten.

Es ist nicht immer leicht zu erkennen, wenn sich durch allmähliche Veränderungen Quantität in Qualität (einen völlig neuen Zustand) verwandelt, vor allem während es geschieht. Erst in den letzten Jahren sind Forscher*innen zu dem Schluss gekommen, dass die Erde bereits Mitte des 20. Jahrhunderts das so genannte Holozän verlassen hat - die 11.700 Jahre lange Ära mit sehr stabilen Bedingungen in den Systemen des Planeten.

Wir leben jetzt im sogenannten Anthropozän (Zeitalter des Menschen), auch wenn "Kapitalismozän" eine bessere Beschreibung wäre. Das bedeutet, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem der Mensch unter dem Kapitalismus zur wichtigsten Kraft für die Veränderung des Lebens auf der Erde geworden ist. Das Gleichgewicht im Erdsystem, das 2,6 Millionen Jahre lang durch Balance und Rückkopplung verschiedener Lebensformen die Temperaturen in einem Abweichungsbereich zwischen -5 und +2 vom langjährigen Durchschnitt gehalten hat, ist nun durch die Industrialisierung ernsthaft gefährdet.

Während der gesamten Menschheitsgeschichte wurde die Erde bzw. der Teil der Erde, auf dem Leben existieren kann, wahrscheinlich als mehr oder weniger unendlich wahrgenommen. Tatsächlich handelt es sich aber um einen extrem kleinen Ausschnitt der Welt, in der wir leben. Im Universum gibt es mindestens zwei Billionen Galaxien, und in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, gibt es bis zu 400 Milliarden Sterne. Um einen dieser Sterne, unsere Sonne, dreht sich die Erde, mit einer dünnen Lebensschicht von nur 20 km auf und über ihrer Oberfläche.

Mit einem kapitalistischen System, das in den letzten Jahrzehnten in den Turbomodus geschaltet hat, ist diese Biosphäre des Lebens schwer geschädigt worden. Nicht nur Temperaturveränderungen drohen den Zustand, unter dem unsere Zivilisation existiert, dramatisch zu verändern. Das Leben auf der Erde wird auch durch die Zirkulation in der Atmosphäre (wie den Jetstream, dessen jüngste Veränderungen den extremen Kälteeinbruch in Texas verursacht haben), durch die Zirkulation von Wasser durch Wasserdampf, Niederschlag und Meeresströmungen, die Ausdehnung der Eiskappen, den Boden, die Ausdehnung der Ozonschicht, die Nährstoffzirkulation und so weiter geprägt. Mit unserem Eintritt in das Anthropozän beeinflusst die menschliche Gesellschaft nicht nur die Dynamik allen Lebens auf der Erde, sondern auch das gesamte Erdsystem: die Ozeane, das Eis, die Erde, die Atmosphäre und das Klima.

Noch nie in der Geschichte des Planeten, seit seiner Entstehung vor 5 Milliarden Jahren, war die Vielfalt des Lebens so groß wie in der jüngsten geologischen Epoche. Dies ist dialektisch mit den klimatischen Bedingungen verknüpft. Stabile klimatische Bedingungen haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich das Leben entwickeln und diversifizieren konnte - aber die Vielfalt des Lebens hat auch das System Erde stabilisiert und eine elastische Biosphäre geschaffen, die mit Veränderungen und Unsicherheiten umgehen kann.

Mit dem Kapitalismus ist diese Vielfalt rapide ausgehöhlt worden. Seit 1970 hat der Kapitalismus nach Angaben des World Wildlife Fund (WWF) 60 Prozent der Säugetier-, Vogel-, Fisch- und Reptilienpopulationen ausgerottet. Im Durchschnitt ist jede vierte untersuchte Tier- und Pflanzenart bedroht, was bedeutet, dass etwa eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Dies wird in dem Artikel Pervasive human-driven decline of life on Earth points to the need for transformative change bestätigt.

Dieser Verlust der Artenvielfalt bedroht uns sehr direkt, zum Beispiel durch den Rückgang der bestäubenden Insekten, der zu einer Verringerung der Nahrungsmittelproduktion führt. Aber er ist auch eine Bedrohung, die den Klimawandel beschleunigen und die Anpassung an den Wandel erschweren kann. Durch die kapitalistische Agrarindustrie gingen beispielsweise 90 % der lokalen Nutzpflanzensorten, die sich an den Klimawandel anpassen können, verloren, als große multinationale Unternehmen ihre Hochertragspflanzen einführten.

Die kapitalistische Globalisierung der letzten Jahrzehnte hat also nicht nur fragile globale Produktionsketten geschaffen, sondern unseren stark verflochtenen Planeten auch aus biologischer Sicht anfälliger gemacht.

In den letzten Jahrzehnten wurden 50 Prozent der Landfläche der Erde in Landwirtschaft, Städte, Straßen und andere Infrastruktur umgewandelt. Heute ist die Landnutzungsänderung für 14 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Ein Beispiel dafür ist der Bericht der "Rainforest Foundation Norway", der kürzlich feststellte, dass nur noch ein Drittel der Regenwälder der Welt unberührt ist.

Um die Bedeutung des Menschen für die Biosphäre und die Ökosysteme zu verdeutlichen, kann man zum Beispiel erwähnen, dass das Gewicht der heutigen menschlichen Bevölkerung zehnmal größer ist als das aller wildlebenden Säugetiere. Zählt man das Gewicht der für den menschlichen Verzehr zur Verfügung gestellten Nutztiere hinzu, machen wilde Säugetiere nur 4 Prozent des Gesamtgewichts aus.

Das Problem ist jedoch der Kapitalismus, nicht die Menschen oder die Menschheit. Das reichste eine Prozent ist in den letzten 25 Jahren für mehr als doppelt so viele Treibhausgasemissionen verantwortlich wie die ärmste Hälfte der Welt. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung hat ihre Emissionen im gleichen Zeitraum, der heute als Ära der CO2-Ungleichheit bekannt ist, im Grunde überhaupt nicht erhöht. Gleichzeitig gibt es ein paar große Unternehmen, die die Ressourcen der Natur ausbeuten. Laut dem Bericht Transnational Corporations as 'Keystone Actors ' in Marine Ecosystems sind zum Beispiel nur 13 riesige Unternehmen für 20-40 Prozent aller Meeresfänge von größeren und schützenswerten Fischen verantwortlich.

[Emissions-Ungleichheit][Anteil ärmerer und reicherer Schichten am Wachstum der Treibhausgasmissionen von 1990 bis 2015. Ganz inks die ärmsten, rechts die reichsten 5%. Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung hat ihre Emissionen kaum gesteigert. Aus The Carbon Inequality Era

Besonders bedrohlich am Klimawandel ist, dass es sich wahrscheinlich nicht um eine allmähliche Veränderung mit steigenden Kohlendioxidwerten in der Atmosphäre handeln wird. Genau wie bei Massenprotesten oder Revolutionen werden wir Kipppunkte sehen - wo Ökosysteme aufgrund des Temperaturanstiegs ihren Zustand schlagartig und für immer verändern.

Beispiele dafür sind das Schmelzen des arktischen Eises und der Eisschilde in Grönland und der Antarktis, die Verwandlung des Amazonas in eine Savanne, das Auftauen des Permafrostes oder die verminderte Zirkulation in den Weltmeeren. Kürzlich gab es einen besorgniserregenden Bericht, dass das Auftauen des Permafrosts schneller voranschreitet als angenommen, mit großen Emissionen des Treibhausgases Methan als Folge. Wenn das stimmt, bedeutet das, dass ein Drittel des Treibhausgasbudgets, das uns unter einer Erwärmung von 1,5 Grad hält, bereits aufgebraucht ist.

Diese Kipppunkte wiederum erzeugen selbstverstärkende Rückkopplungen, die neue Kipppunkte provozieren können, zum Beispiel wenn schmelzende Eisschilde die Wärme der Sonne nicht mehr reflektieren oder wenn brennende Wälder von Kohlenstoffsenken zu Emissionsquellen werden. Das Ergebnis kann eine Reihe von Kipppunkten sein, die unsere Erde in eine "Treibhaus-Erde" verwandeln - selbst wenn die Kohlendioxid-Emissionen reduziert werden. Das wird natürlich Zeit brauchen - vielleicht Hunderte von Jahren -, aber das Problem ist, dass wir, wenn wir einen Kipppunkt erreichen, nicht wissen, ob es einen Weg zurück gibt.

Deshalb ist der Aufruf, unter einem Temperaturanstieg von 1,5 Grad zu bleiben, so wichtig. Neue Forschungen zeigen, dass die Kippppunkte viel näher sind als bisher angenommen. Einige sind wahrscheinlich schon überschritten, wie das Abschmelzen des Eises in der Arktis oder dass mindestens die Hälfte aller Korallenriffe absterben werden. Die heutigen Emissionswerte deuten auf einen globalen Temperaturanstieg von mehr als drei Grad bis zum Jahr 2100 hin.

Die Fähigkeit und Bereitschaft der herrschenden Elite zur Kooperation und Veränderung ist durch ein System begrenzt, das sich auf allen Ebenen in der Krise befindet

Die Klimakrise kann nicht losgelöst von den anderen Krisen des Kapitalismus gesehen werden; den wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Krisen. Sie alle weisen auf ein System hin, dessen Widersprüche immer stärker geworden sind und das Krisen erzeugt, die alle miteinander zusammenspielen.

Zum Beispiel schürt der Klimawandel Konflikte, die zu Krieg und Flüchtenden führen können, während der Klimawandel selbst Klimaflüchtende schafft. Laut Oxfam waren im letzten Jahrzehnt jedes Jahr 20 Millionen Menschen aufgrund des Klimawandels zur Flucht gezwungen. Wenn die Gesellschaft ihren Kurs nicht ändert, wird die Zukunft noch viel schlimmer sein. Abhängig von verschiedenen Szenarien für Bevölkerungswachstum und Erwärmung wird geschätzt, dass in 50 Jahren 1-3 Milliarden Menschen Sahara-ähnliche Bedingungen erleben könnten - fernab der klimatischen Bedingungen, unter denen die Menschen bisher gelebt haben. Schon heute führt der Klimawandel, genau wie die Covid-Pandemie und andere Krisen, zu verstärkter Klassen- und Geschlechterungleichheit.

Die Verschärfung der Ungerechtigkeiten durch die Privatisierung, Deregulierung und Austerität des Neoliberalismus hat die Stellung der bürgerlichen Elite in der Gesellschaft untergraben, und mit der Wirtschaftskrise haben die Gegensätze zwischen den Großmächten in der Welt, insbesondere zwischen den USA und China, zugenommen. Das bedeutet, dass die Fähigkeit und Bereitschaft der herrschenden Elite zur Kooperation und Veränderung durch ein System, das sich auf allen Ebenen in der Krise befindet, begrenzt ist.

Obwohl die Abschaltung als Folge der Pandemie eine Reduktion der Klimaemissionen um etwa 7 Prozent im Jahr 2020 bedeutete, deutet wenig darauf hin, dass dies der Beginn eines nachhaltigen Wandels ist. Im Gegenteil: Die Anreize, mit denen die Staaten die Kapitalist*innen überschüttet haben, um die Wirtschaft über Wasser zu halten, sind zu einem viel größeren Teil in die fossile Brennstoffindustrie geflossen als in erneuerbare Energien. Bis November 2020 haben die Regierungen der G20-Staaten 233 Milliarden Dollar zur Unterstützung von Aktivitäten bereitgestellt, die die Produktion oder den Verbrauch fossiler Brennstoffe fördern, während nur 146 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und emissionsarme Alternativen flossen (Production Gap Report 2020). Statt der notwendigen Reduzierung der Produktion fossiler Brennstoffe um sechs Prozent pro Jahr ist für 2030 eine Steigerung um zwei Prozent pro Jahr geplant.

Die Erkenntnis der existenziellen Bedrohung, der wir uns gegenübersehen, die Tiefe der metabolischen Kluft, von der Marx nur den Anfang sah, macht es leicht zu verstehen, dass das Problem nicht dadurch gelöst werden kann, dass man "nur" auf Elektroautos umsteigt, Sonnenkollektoren installiert oder weniger oder kein Fleisch isst. Das kommt nicht annähernd an die notwendige Veränderung heran.

So wie bisher werden die Vertreter*innen des Kapitalismus bestenfalls zu spät und zu wenig handeln. Ein neuer Bericht Fossile CO2 Emissions in the Post-COVID Era zeigt, wie die Rate der Emissionsreduktionen im Vergleich zum Zeitraum 2016-2019 verzehnfacht werden muss, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Das Problem ist nicht mangelnde Kompetenz oder fehlendes Wissen, sondern das kapitalistische System, in dem Profit und Wachstum immer an erster Stelle stehen, was bedeutet, dass die Natur wie eine kostenlose und unendliche Ressource behandelt wird.

Wir brauchen eine vollständige Transformation der Gesellschaft, um innerhalb der planetarischen Grenzen zu bleiben, die das Erdsystem und die Biosphäre in einem Zustand halten, der für unsere Zukunft sicher ist. Das bedeutet einen sofortigen Stopp der neuen Öl- und Gasförderung und einen demokratischen Plan, um die Emissionen innerhalb von ein oder zwei Jahrzehnten auf Null zu reduzieren. Es bedeutet eine Umgestaltung der Land- und Forstwirtschaft, des Bergbaus, des Transportwesens, der Energieerzeugung und anderer Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt und zur Umwandlung von Emissionsquellen in Kohlenstoffsenken. Es bedeutet auch, ein Minimum an natürlichen Ressourcen zu nutzen und gleichzeitig Wohlstand und Ressourcen als Teil eines grünen Investitionsplans umzuverteilen.

All dies ist im Rahmen des Kapitalismus nicht möglich. Die Menschheit ist eingebettet in die Zukunft der Natur und der Biosphäre, die uns umgibt, und ihre Zukunft ist mit ihr verflochten. Der Kapitalismus hingegen sieht die Natur als externe Ressource, die es zu verbrauchen und auszubeuten gilt, genau wie bei den Arbeiter*innen. Das Profitmotiv, das diese Entwicklung antreibt, kann weder durch fromme Aufrufe noch durch unzureichende Gesetze von Politiker*innen gestoppt werden, die das gleiche System verteidigen. Für eine wirkliche Veränderung ist ein demokratischer Sozialismus erforderlich: Die Abschaffung privater Profitinteressen durch die Verstaatlichung von Großunternehmen und Banken unter demokratischer Kontrolle, um umweltschädliche Aktivitäten einzustellen oder zu reorganisieren und gleichzeitig andere Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen.

Ungeachtet des unvermeidlichen Abschwungs, den die Klimabewegung derzeit erlebt, werden immer mehr Menschen, vor allem junge Menschen, zu dem Schluss kommen, dass der Klimakampf antikapitalistisch sein muss, um erfolgreich zu sein.

So wie die Krisen des Kapitalismus eng miteinander verwoben sind und sich gegenseitig beeinflussen, muss der Kampf gegen das kapitalistische System und seine Verteidiger*innen über alle Grenzen hinweg organisiert und gesammelt werden. Die Klimabewegung kann nur in internationaler Zusammenarbeit mit dem Kampf der Arbeiter*innen, dem Kampf der Frauen, dem Kampf gegen Rassismus und anderen Bewegungen das System herausfordern, das, wenn es nicht gestoppt wird, die Bedingungen für Leben und Zivilisation auf diesem Planeten zerstören wird.

Afghanistan: Nach Abzug der westlichen Truppen gewinnen Taliban an Boden

Wie die Erfahrung des letzten Jahres gezeigt hat, kann man sich nicht auf die imperialistischen Staaten verlassen, die ihre imperialistischen Interessen immer an die erste Stelle stellen werden - und an die zweite, und dritte…
von Bob Sulatycki (Mitglied der Socialist Alternative und ISA in England, Wales und Schottland)

Mit dem Termin für den Abzug der US- und Koalitionstruppen aus Afghanistan, den Biden für Ende August festgelegt hat, hat sich eine Dynamik im Rücken der Taliban aufgebaut. Ein nicht zu gewinnender Krieg, der von Präsident Bush und Premierminister Blair vor fast zwei Jahrzehnten begonnen wurde, kommt damit zu einem schmachvollen und demütigenden Ende für den westlichen Imperialismus. Trotz all der Zerstörungen, der Verluste an Menschenleben, der ausgegebenen Billionen von Dollar und der leeren Versprechungen gab es keinen greifbaren Nutzen für die USA und ihre Verbündeten, geschweige denn für die Menschen in Afghanistan,

Präsident Ghani und die afghanische Regierung sehen ihre Macht zusehends schwinden, während die Basis ihrer Unterstützung, die US-amerikanischen und verbündeten Streitkräfte, abziehen. Die staatliche Autorität gerät ins Wanken. Täglich gibt es Berichte über Überläufer aus der afghanischen Armee zu den Taliban, die ihre Waffen mitnehmen. Ganze Einheiten sind über die Grenzen ins benachbarte Tadschikistan geflohen. In kürzester Zeit sind die meisten Grenzübergänge auf allen Seiten des Landes in die Hände der Taliban gefallen. Ein Drittel der Bezirke steht jetzt unter der Herrschaft der Taliban, obwohl die wichtigsten städtischen Gebiete im Moment noch nicht unter ihrer direkten Kontrolle stehen.

Es gibt Ähnlichkeiten mit den letzten Tagen des südvietnamesischen Marionettenregimes von 1975, dessen Macht und Autorität zusammenbrach, als die USA die direkte militärische Intervention beendeten. Die chaotischen Szenen, die den endgültigen Abzug des US-Personals aus Saigon (heute Ho-Chi-Minh-Stadt) begleiteten, haben die herrschende Klasse in den USA lange verfolgt, und es ist durchaus möglich, dass sich solche Szenen schon bald in Kabul abspielen könnten.

Im Vergleich zu den Kräften, die den Kampf um die nationale Befreiung in Vietnam anführten (trotz all ihrer stalinistischen Unzulänglichkeiten), können die Taliban nicht als irgendwie fortschrittliche Kraft angesehen werden. Sie sind religiöse Obskurantisten und politische Reaktionäre mit einer brutalen Vorgeschichte der Verfolgung von Minderheiten und der Durchführung frauenfeindlicher Maßnahmen, einschließlich der Verweigerung von Bildung und Arbeit für Mädchen und Frauen, und repressiver Kontrolle über jeden Aspekt des Lebens von Frauen. Solche Kontrollen werden durch barbarische Strafen wie Auspeitschungen begleitet.

Die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Zusammenbruchs hat einen großen Teil der Herrschenden in Europa und den USA überrascht und alarmiert. Viele, vor allem in Europa, hatten gehofft, dass der neue Präsident Biden von dem im Herbst 2020 in Doha unterzeichneten Abkommen zwischen der Trump-Regierung und den Taliban, das das Ende der direkten amerikanischen Intervention in Afghanistan signalisierte, abrücken würde. Aber tatsächlich hält Biden am Truppenabzug fest und versucht, sicherzustellen, dass er so schnell wie möglich stattfindet.

Die Geschichte der westlichen Intervention ist die eines brutalen Krieges, der gegen große Teile der Landbevölkerung geführt wurde und der dazu beigetragen hat, den Widerstand nicht einzudämmen, sondern ihn zu fördern und die Unterstützung für die Taliban wieder aufzubauen. Es wurde völlig versäumt Tribalismus, Korruption und Vetternwirtschaft auszumerzen, die Wirtschaft zu entwickeln oder eine Infrastruktur aufzubauen. Trotz der Billionen, die der Westen in den letzten zwei Jahrzehnten für Bomben ausgegeben hat, wurden nur Almosen für die Verbesserung des Lebens der einfachen afghanischen Bevölkerung ausgegeben.

Biden hofft, die Taliban auf seine Seite ziehen zu können. Trotz der wiederholten Behauptungen der USA, dass die Interessen in Afghanistan von der Sorge um die Menschenrechte herrühren, sind diese Argumente inzwischen weitgehend fallen gelassen worden.

Natürlich wird oft übersehen, dass die Taliban ursprünglich Schützlinge der USA waren, die in den 1980er Jahren mit dem pakistanischen Geheimdienst unter einer Decke steckten, als das übergeordnete Ziel darin bestand, das "kommunistische" Regime in Afghanistan zu stürzen - ein Regime, das von der damaligen Sowjetunion militärisch unterstützt wurde. Aber, wie bei Al Qaida, drehten sich die Taliban sehr bald um und bissen in die (amerikanische) Hand, die sie gefüttert hatte.

Das Hauptinteresse Bidens ist, sicherzustellen, dass weder Al Qaida noch der Islamische Staat eine Operationsbasis in Afghanistan aufbauen, von der aus sie Anschläge auf die USA verüben können. Ein lang anhaltender Krieg und anhaltende Instabilität könnten dieses Alptraumszenario wahrscheinlicher machen. Aus diesem Grund verlassen sich die USA nicht einfach auf das weitere Überleben der aktuellen afghanischen Regierung, sondern sind bereit, mit den Taliban zu verhandeln, unter der Voraussetzung, dass diese keine Unterstützung für Al Qaida oder den IS leisten.

In der Tat hat das islamische Regime im Iran die gleichen Überlegungen wie die USA. In Anbetracht der Aussicht auf Chaos hat das iranische Regime gerade Gespräche in Teheran mit hochrangigen Vertreter*innen der Taliban abgeschlossen. Trotz der Tatsache, dass das iranische Regime und die Taliban zwei sehr unterschiedliche Versionen des Islams vertreten, ist Teheran sehr daran interessiert, die Stabilität in der Region zu gewährleisten, und zwar auf der Grundlage, dass die sunnitische Minderheit in den Grenzgebieten des Irans nicht ermutigt wird, ihre Interessen durchzusetzen, und der Islamische Staat unter Kontrolle gehalten wird. Beides ist nicht sicher, obwohl beide Regime, als die Taliban das letzte Mal an der Macht waren, glücklich koexistierten, beide ihre Bevölkerungen unterdrückten und einen fundamentalistischen Islam durchsetzten - der eine eine schiitische Version, der andere eine sunnitische.

Was wird in unmittelbarer Zukunft passieren? Die afghanische Armee, die vom Westen ausgebildet und bewaffnet wurde, scheint demoralisiert und außerstande zu sein, eine anhaltende militärische Kampagne zu führen. Ghani wendet sich zunehmend an die diskreditierten Warlords, die ihre privaten Milizen in den Krieg einbringen. Solche Kräfte haben keinen Rückhalt in der Bevölkerung, nicht einmal in den Anti-Taliban-Gebieten.

Mit dem Abzug der NATO-Truppen fällt auch die logistische Unterstützung für Ghanis Armee weg, ebenso wie die Luftunterstützung und ein Großteil des Geheimdienstnetzes. Nach Schätzungen der US-Geheimdienste ist es nur noch eine Frage von Monaten, bis Kabul und die anderen städtischen Zentren von den Taliban eingenommen werden. Sicher ist dies jedoch nicht.

Die Taliban selbst sind in hohem Maße auf die Unterstützung der Paschtunen angewiesen, aber andere nationale Minderheiten, vor allem im Norden des Landes, stehen ihnen feindselig gegenüber. Außerdem sind die Taliban in den städtischen Gebieten, insbesondere in Kabul, verhasst.

Es gibt Anzeichen für die Bildung von Volks- und vor allem von Frauenmilizen, die sich gegen die Taliban zur Wehr setzen wollen. Diese befinden sich zwar noch in einem frühen Stadium, aber wenn es in den städtischen Gebieten gelingt, Volksmilizen zu schaffen, die demokratische Strukturen haben, dann könnte ein echter Volkswiderstand gegen die Taliban möglich sein.

Vor allem kann man sich, wie die Erfahrungen des letzten Jahres gezeigt haben, nicht auf die imperialistischen Drittstaaten verlassen, die ihre imperialistischen Interessen immer an erster Stelle und an zweiter Stelle sehen werden. Das ist in Afghanistan genauso der Fall wie zuvor in Kurdistan.

Eine echte Widerstandsbewegung wird sich auf die Arbeiter*innenklasse und die Armen stützen, sich mit Frauenkomitees verbinden und unabhängig von den Warlords und Anführer*innen der Stämme sein, deren Vermächtnis von Korruption und Brutalität ein Hauptfaktor war, der zum Wiederaufleben der Taliban geführt hat. Die Arbeiter*innen in Afghanistan und in den Ländern der Region, in Iran und Pakistan und darüber hinaus in China, Indien und Russland, sind der Schlüssel zu einer dauerhaften Lösung für den Krieg, die Armut und die Unterentwicklung, die Afghanistan so lange heimgesucht haben.

Artikel im englischen Original

Foto: US Air Force

 

Iran: #KhuzestanIsThirsty #خوزستان_تشنه_است

Wassermangel hat zu fast einer Woche verzweifelter Proteste in der ölreichen iranischen Provinz Khuzestan geführt, bei denen es mindestens zehn Tote gab. Eines ist klar, der neu gewählte "Todesrichter" wird keine ruhige Minute haben.
Von E.R. aus dem Iran

Mit einer Bevölkerung von 5 Millionen Menschen kann Khuzestan als das "schlagende Herz" des Irans bezeichnet werden, denn es ist eines der wichtigsten und größten Zentren der Öl- und Gasförderung, in dem es in letzter Zeit zu großen Streiks gekommen ist.

Die Region ist aufgrund ihrer geografischen Verhältnisse sehr wasserreich und das Leben der Menschen ist davon abhängig. Daher ist es für die Regierung von besonderer Bedeutung. Doch aufgrund von Gier und Profitstreben und falscher Politik der Wasserindustrie ist Khuzestan nun das Opfer dieser Schmutzpolitik und leidet unter extremem Wassermangel.

Der Karun ist einer der größten und der einzige schiffbare Fluss im Iran, seine Quelle liegt im Zagros-Gebirge. Das Regime hat über zwanzig Dämme in seinem Lauf gebaut, um Wasser in die östlichen Halbwüsten- und Wüstengebiete zu leiten. Die wichtigsten dieser Dämme sind "Karun 1,2,3 und 4". Die Wasserentnahme und der Wassertransfer aus den Nebenflüssen Dez und Karun reicht bis zum Bau des Koohrang-Tunnels zurück. Er überträgt jedes Jahr 330 Millionen Kubikmeter Wasser in den Osten und in die Stadt Isfahan. Darüber hinaus nimmt das Tunnelprojekt "Koohrang 2" jährlich weitere 270 Millionen Kubikmeter Wasser auf, während der Beheshtabad-Damm und -Tunnel 770 Millionen Kubikmeter in die Städte Isfahan, Yazd und Kerman leitet. Das Wasser fließt weiter in die halbtrockene und wüstenhafte zentrale Hochebene und wird von Industrien mit hohem Wasserverbrauch, wie z.B. der Stahlindustrie, und nicht nachhaltiger Landwirtschaft genutzt. Auf diese Weise werden jährlich Milliarden Kubikmeter Wasser aus Karun und Karkheh in diese Gebiete geleitet. Dies führt zur Zerstörung des Lebens der Menschen in Khuzestan, die auf das Wasser angewiesen sind. Außerdem werden dadurch weiterhin Tausende von Pflanzen- und Tierarten zerstört.

Unter dem Banner eines "Nationalen Plans" wurde den Kleinbauern und -bäuerinnen und Nomaden das Recht auf Zugang zu Wasser aberkannt. Auf der anderen Seite wurde durch Missmanagement das 120.000 Hektar große und von Flüssen gespeiste Feuchtgebiet "Hur al-Azim" zerstört. Dies hat zu einer allmählichen Zerstörung des Ökosystems in der Region geführt. Der Karkheh-Fluss ist einer der größten und längsten Flüsse im Iran. Leider wurden an diesem Fluss in den tropischen Gebieten große und schlecht konzipierte Dämme gebaut. Aufgrund der kritischen Situation der globalen Erwärmung und des zunehmenden Klimawandels wurden diese Dämme praktisch in große, verdampfende Reservoirs verwandelt, während andererseits das verbleibende Wasser in andere Gebiete geleitet wird. Es gibt kein Wasser mehr für den Fluss und die Lagune. Die herrschende Elite hat einen unersättlichen Appetit bei der Zerstörung der Natur. Ein weiterer Faktor für die Zerstörung von "Hur al-Azim" ist die Existenz zahlreicher Ölförderanlagen in dem Feuchtgebiet, die zu Verschmutzung und Fischsterben geführt haben.

Die Zerstörung der Umwelt kann im Kapitalismus nicht gelöst werden. Im Fall von Khuzestan ist der Wassertransfer und die ungerechte Verteilung des Reichtums, mit der Konzentration des Reichtums in einer bestimmten Region, zum Scheitern verurteilt. Die Gewinne aus den Tunnelprojekten, der Öl- und Gasindustrie und der Stahlproduktion gehen an eine kleine Minderheit von reichen Mullahs und Kapitalist*innen. Dies geschieht auf Kosten der Umweltzerstörung sowie der niedrigen Löhne für die Arbeiter*innen in diesen Industrien.

Die Zerstörung von "Hur al-Azim" wird nicht nur massive soziale, sondern auch schwerwiegende ökologische Folgen haben. Sie wird zur Entstehung von Feinstaub, zur Zerstörung der Kohlenstoffspeicherung und des Ökosystems der Region im Allgemeinen führen. Es wird auch zu einer Abwanderung in die Ballungsräume führen und die Klassenspaltung verstärken. Die Zerstörung von "Hur al-Azim" ist nicht nur für Khuzestan bedauerlich, sondern für das ganze Land.

Massen von Menschen sind nun auf die Straße gegangen und protestieren friedlich. Sie fordern Wasser, aber die Wut wird von anderen, tieferen wirtschaftlichen und politischen Problemen ausgelöst, von der Wirtschaftskrise mit ihren vielfältigen Auswirkungen. Das Regime geht mit einem grausamen Militäreinsatz gegen die Protestierenden vor, sichert Städte, schüchtert Zivilpersonen ein und tötet sie, wobei es in den letzten Tagen mehr als zehn Tote gab und Hunderte verhaftet und gefoltert wurden.

Die reaktionären und kapitalistischen Regierungen sind bis an die Zähne bewaffnet. Das iranische Regime schützt die Interessen der profitorientierten Industrien, die natürliche Ressourcen plündern und die Arbeiter*innenklasse ausbeuten, um ihre Profite zu steigern. Das iranische Regime muss seine Oppositionellen unterdrücken und ermorden, um sein Überleben nach den letzten Jahren und Monaten der andauernden Kämpfe, Proteste und Streiks in verschiedenen Sektoren zu sichern. Diese Repression hat nun in den letzten Tagen dazu geführt, dass auch in anderen Gebieten und Städten Menschen zur Unterstützung der unterdrückten Menschen in Khuzestan und gegen die beklagenswerte Situation der Arbeiter*innenklasse und der Armen aufstehen, sowohl was die Umwelt als auch was die Existenzgrundlage betrifft.

Die Forderungen nach Zugang zu Wasser, nach einem Ende der Umweltzerstörung und der Plünderung der natürlichen Ressourcen für den Profit können nur gegen den Willen des Regimes der Islamischen Republik durchgesetzt werden. Über die Jahre hat das Regime Zerstörung und Unsicherheit nicht nur im Iran, sondern auch als Regionalmacht für den Nahen Osten im Allgemeinen geschaffen. Die Arbeiter*innenklasse, die Armen und die Jugend, die jetzt protestieren, müssen eine politische Kraft aufbauen, die in der Lage ist, einen koordinierten Widerstand gegen das Regime und das dahinter stehende kapitalistische System aufzubauen. Die Streiks im Energiesektor müssen mit diesen Protesten verbunden werden, denn nur wenn die Industrie von den Arbeiter*innen selbst übernommen wird, kann eine nachhaltige Produktion gewährleistet werden.

Sonntag, 25. Juli: Rallye für eine sozialistische Welt

International Socialist Alternative

Sei dabei am Sonntag, dem 25. Juli ab 19 Uhr auf FacebookYouTube oder über Zoom mit deutscher Übersetzung. 

Der Kapitalismus befindet sich in einer historischen Krise. Wir treten in ein "Zeitalter der Unordnung" ein, das durch eine sich vertiefende Polarisierung, Instabilität und Ungleichheit gekennzeichnet ist. Milliardär*innen haben ihren Reichtum während der Pandemie um 5 Billionen Dollar vermehrt, während Arbeiter*innen 3,7 Billionen Dollar verloren haben.

Im vergangenen Jahr sind Millionen von Menschen in Bewegungen gegen Rassismus, Polizeibrutalität, Krieg und staatliche Gewalt auf die Straßen gegangen. Massenbewegungen und Revolutionen sind überall auf der Welt ausgebrochen, von Kolumbien bis Myanmar. Die Jugend der Arbeiter*innenklasse hat die Revolte gegen Rassismus, Sexismus, staatliche Unterdrückung und die Klimakrise angeführt. Mehr denn je ist jetzt klar, dass das kapitalistische System keine Antworten für arbeitende und unterdrückte Menschen bietet.

In über 30 Ländern auf allen Kontinenten baut die Internationale Sozialistische Alternative eine Weltpartei auf, um Ausbeutung und Unterdrückung an der Wurzel zu packen - dem kapitalistischen System. Kommt zu unserer Rallye für eine sozialistische Welt, um von sozialistischen Aktivist*innenen aus der ganzen Welt zu hören und mehr darüber zu erfahren, wie man sich bei ISA engagieren kann!

Mit zahlreichen Redner*innen von der gesamten Welt:

  • Haritha Olaganathan ist eine junge Klimaaktivistin und Mitglied der Socialist Party (ISA in Irland) sowie YARI Youth Against Racism in Ireland: Der Kapitalismus bietet eine düstere Zukunft für junge Menschen - Niedriglohnjobs, Schuldenberge und Klimakatastrophe - aber eine neue Generation von Jugendlichen aus der Arbeiter*innenklasse wird dies nicht kampflos hinnehmen.

 

  • Jane Barros von Liberdade Socialismo Revolução (ISA in Brasilien) und Mitglied des Internationalen Frauenbüros der ISA: Wieder einmal befindet sich Lateinamerika im Auge des Sturms - von Peru bis Chile, von Brasilien bis Kolumbien - Arbeiter*innen und junge Menschen erheben sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt, Armut und staatliche Repression!

 

  • Mai Vermeulen von der Parti Socialiste de Lutte (ISA in Belgien) und Campagne Rosa in Belgien: Von Arbeitsplatzverlusten und der Kinderbetreuungskrise bis hin zur Pandemie der häuslichen Gewalt - Frauen haben die Hauptlast der COVID- und Wirtschaftskrise auf der ganzen Welt getragen. Aber wir haben auch eine globale Revolte gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Unterdrückung erlebt. Frauen und LGBTQ-Personen standen an vorderster Front der Kämpfe und Massenbewegungen auf der ganzen Welt.

 

  • Mick Barry ist ein irischer Parlamentsabgeordneter und Mitglied der Socialist Party (ISA in Irland): Die COVID-Krise und das rücksichtslose Vorgehen der Regierungen auf der ganzen Welt haben den Klassenkampf nicht gestoppt - sie haben die Ungleichheit und Unterdrückung des kapitalistischen Systems nur noch vergrößert. Von Schüler*innen, die für die Abschaffung des 'leaving cert' (eine Prüfung mit hohem Druck in Irland) kämpfen, bis hin zum heldenhaften Streik und der Besetzung von Debenhams-Einzelhandelsarbeiter*innen, die gegen Massenentlassungen kämpfen, hat der Parlamentsabgeornete der Socialist Party, Mick Barry, Seite an Seite mit Arbeiter*innen und jungen Menschen gekämpft und ein kritisches Beispiel dafür geliefert, wie Sozialist*innen gewählte Positionen nutzen können und sollten.

 

  • Toya Chester ist Mitglied der International Brotherhood of Electrical Workers (spricht als Privatperson) und der Socialist Alternative (ISA in den USA): Toya wird die Moderatorin unserer Rallye sein und Redner*innen aus der ganzen Welt zusammenbringen, die sozialistische Analysen der globalen Situation und unsere Ideen, wie wir den Kampf vorantreiben können, teilen. Sie wird auch spannende Updates über die Arbeit der ISA auf der ganzen Welt teilen und warum ihr euch beteiligen solltet!

 

  • Kshama Sawant ist Mitglied der Socialist Alternative in den USA und sozialistische Stadträtin von Seattle, die - basierend auf der Kraft von Bewegungen - den ersten 15-Dollar-Mindestlohn im Land durchsetzte und sich gegen Jeff Bezos stellte, um eine Steuer auf Amazon zu gewinnen: Kshama steht nun vor einem Abwahlversuch durch das Establishment und den rechten Flügel. Dies ist nicht nur ein Angriff auf Kshama und die in Seattle errungenen Siege, sondern ein Angriff auf die Linke und unsere Bewegungen auf der ganzen Welt. Die Kshama-Solidaritätskampagne führt einen umfassenden Kampf gegen die Abberufung und die rassistischen, undemokratischen Taktiken, die ihrer Kampagne zugrunde liegen.

 

  • Lance von der Kampagne "Solidarität mit China und Hongkong": Im Jahr 2020 hat Chinas Diktator Xi Jinping Hongkong ein Gesetz zur nationalen Sicherheit mit drakonischen Strafen auferlegt. Anklagen wegen "Unterwanderung" und "Separatismus" können mit lebenslanger Haft oder sogar mit der Auslieferung zur Verhandlung auf dem chinesischen Festland bestraft werden, wo für solche Vergehen immer noch die Todesstrafe gilt. Ziel dieses harten Vorgehens ist es, den Kampf der Massen gegen die Demokratie in Hongkong zu unterdrücken und hart erkämpfte demokratische Rechte zu beseitigen: Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht, politische Parteien zu gründen und sich an Wahlen zu beteiligen, sowie Gewerkschaftsrechte einschließlich des Streikrechts.

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