Wie China imperialistisch wurde

Der Konflikt zwischen den USA und China gründet sich auf den Widersprüchen des Kapitalismus.Weitere Auseinandersetzungen sind unumgänglich, solange der Kapitalismus nicht global gestürzt wird.
Christine Franz, Franz Neuhold, Jan Millonig, Karma Melt, Manuel Schwaiger, Serafina Reisinger

Schon im historischen Streit zwischen Marxismus und sozialdemokratischem Reformismus war die Imperialismus-Frage zentral. Lenin zerlegte die Annahme, der Imperialismus würde zum „Super-Imperialismus“ fusionieren und so würden Kriege und Ausbeutung von selbst enden. Lenin widersprach mit dem Hinweis, dass die herrschenden Klassen trotz Globalisierung niemals ihre nationale Machtbasis aufgeben könnten. Es wäre ihr Ende und das Ende des Kapitalismus. Der Verlauf der Geschichte bestätigt das.

Die kapitalistische Entwicklung mit all ihren technischen Revolutionen schuf die Grundlage einer weltweit vernetzten und hoch komplexen Wirtschaft, ohne die damit einhergehenden sozialen und politischen Probleme lösen zu können. Im Gegenteil führen diese immer wieder zu Krisen und Kriegen. Die wachsenden kollektivistischen Tendenzen (Werte werden von der Arbeiter*innenklasse geschaffen, die den immer größeren Teil der Bevölkerungen darstellt) bringen die Notwendigkeit für eine global geplante sozialistische Gesellschaft hervor. Ebenso kann eine höhere Effizienz der Nutzung dieser kollektivistischen Tendenzen innerhalb der imperialistischen Hackordnung für die herrschende Klasse eines Landes einen Vorteil bringen. Dies zeigt sich am Beispiel des heutigen chinesischen Staatskapitalismus, welcher sich aus dem stalinistisch regierten, wirtschaftlich nicht-kapitalistischen Regime entwickelte.

Mit der maoistischen Revolution 1949 entwickelten sich ein Staat und eine Wirtschaft, in der nicht oder kaum mehr für privaten Profit produziert wurde. Da die KP bei der gescheiterten Revolution 1925-27 ihre Verbindung zur Arbeiter*innenklasse verlor, bildete nun die Bäuer*innenschaft die Basis der Umwälzung. Das Eigentum an den Produktionsmitteln ging formal an die Bevölkerung, die Kontrolle hatte jedoch die staatliche und Parteibürokratie. Trotz fehlender Arbeiter*innen-Demokratie, unfassbarer Fehler und Eigeninteressen der Bürokratie kam es zu erheblichen sozialen Verbesserungen. Weit davon entfernt, Sozialismus zu sein, entwickelte sich unter Marxist*innen für solche stalinistischen/maoistischen Länder der Begriff des „deformierten Arbeiter*innenstaats“. Eine solche Ordnung ist nicht nachhaltig und führt entweder in einer weiteren, politischen Revolution zur Machtübernahme der Arbeiter*innenklasse, inklusive Umwandlung in Richtung eines echten demokratischen Arbeiter*innenstaates, oder zur kapitalistischen Konterrevolution.

Während die Vollendung der sozialen Konterrevolution in der Sowjetunion oder DDR zeitlich relativ scharf zu erkennen war, verlief diese in China anders. Ab 1978 („Vier Modernisierungen“) bzw. 1979 (Sonderwirtschaftszonen) wurden Maßnahmen der stalinistischen Bürokratie geschnürt, die langsam, jedoch immer mehr und tiefer das Fundament der Planwirtschaft durch Marktelemente und private Profit-Aneignung erst durchsetzen und später weitreichend verdrängen konnten. Die stalinistische Planwirtschaft war nicht nur geopolitisch immer isolierter, sondern durch innere Widersprüche (Fehlen von Arbeiter*innendemokratie, Korruption) am absteigenden Ast. Der Druck der kapitalistischen Weltordnung in Verbindung mit Entscheidungen der Bürokratie verwandelte die einst stalinistische Planwirtschaft in ein mit eiserner Faust geführtes kapitalistisches Staatswesen. Die sich entwickelnde revolutionäre und keineswegs pro-kapitalistische Alternative der Arbeiter*innen und Jugendlichen bei den Massenprotesten 1989 wurde mit brutaler Gewalt niedergeschlagen.

Weiter vorhandene Elemente der planwirtschaftlichen Vergangenheit ändern nichts daran. Entscheidend ist, dass in China die private Aneignung von Profit durch nationale UND ausländische besitzende Klassen nicht nur weitreichend stattfindet, sondern der Staat dieses soziale Regime sichert. Ab den 1990er Jahren stellte China als „Werkbank der Welt“ die wichtigste Säule des globalen Wachstums dar und wurde in diese Ausbeutungs-Verhältnisse integriert. Große Konzerne exportierten mittels ausländischer Investitionen massenhaft überschüssiges Kapital nach China. Die soziale Erosion infolge der Verdrängung der einst planwirtschaftlichen Grundlage bot diesem Kapital ein riesiges Heer billiger Arbeitskräfte. China lieferte arbeitsintensive Endprodukte. Das Regime konnte einerseits durch die enorme Größe und Bedeutung als Absatzmarkt, andererseits durch die Dominanz des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft den westlichen Konzernen beste Bedingungen bieten. So profitierten sowohl das Regime, dessen bürokratische Elite sich zunehmend mit der entstehenden Kapitalist*innenklasse verband, als auch ausländische Konzerne von der Ausbeutung der chinesischen Arbeiter*innen.

Während inzwischen die Zahl chinesischer Milliardär*innen jene der USA übersteigt, wurden das Bildungs- und Gesundheitssystem sowie Wohnen privatisiert. Der im Stalinismus aufgebaute Staatsapparat durchdringt weiter alles. Handlanger*innen der Staatspartei spionieren in Betrieben Arbeiter*innen aus. Die Partei und ihre Führung sind geprägt von Milliardär*innen. Partei und Kapitalist*innenklasse sind de facto verschmolzen. Das gibt dem chinesischen Kapitalismus die Möglichkeit, in noch größerem Ausmaß als seine westlichen Gegenstücke nicht unmittelbar profitable Projekte (wirtschaftlich und geopolitisch) im großen Stil sowie Kontrolle im Inneren durchzuführen.

China stellt nicht mehr nur günstige Endprodukte her, sondern ist in vielen Bereichen wie Solartechnik, Künstliche Intelligenz oder 5G führend. Es wurden massive Kapital- und Produktionsüberschüsse gebildet. Das Regime versucht nach außen zu expandieren, um langfristig Anlagemöglichkeiten zu finden, was auch Ausdruck innerer Spannungen ist. Die Phase geteilter Interessen mit dem globalen kapitalistischen Markt geht nun in eine Phase zunehmender imperialistischer Spannungen über. Dadurch kommt Chinas Regime unweigerlich in Konflikt zum bislang größten Imperialismus, den USA.

Um den Kern dieses Konflikts zu verstehen, ist etwas Grundlegendes unumgänglich: Es handelt sich bei der herrschenden Klasse im Kapitalismus nicht um eine graue Masse, die sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung verschwört. Das Bürgertum hat eine soziale Rolle im Ausbeutungsverhältnis. Es pflegt kein gesamtgesellschaftliches Interesse, sondern sein eigenes. Selbst wenn es versucht, geeint aufzutreten, ist es in mehrfacher Hinsicht gespalten. Ziemlich klar treten diese Spaltungen international hervor: Die herrschende Klasse Chinas muss in einer Welt, deren Märkte zwischen den imperialistischen Platzhirschen und ihren Großkonzernen aufgeteilt sind, in den Wettstreit treten. Geopolitik und militärische Spannungen sind dabei Ausdruck der wirtschaftlichen Widersprüche. Das angehäufte Kapital kann trotz enormer Ausbeutung nicht mehr so profitabel wie in der Vergangenheit eingesetzt werden. Es sucht Export- und Wachstumsmöglichkeiten. Dazu ist ein starker Staat unumgänglich, der global für gute Bedingungen sorgt. Gleichzeitig erleben wir infolge der Krise seit 2007 einen relativen Rückzug der Globalisierung und Elemente wirtschaftlicher Abschottung bei den wirtschaftlich starken Staaten, kombiniert mit einer Zunahme an Handelskonflikten. Am deutlichsten sind diese in der Ära Trump zwischen den USA und China hervorgetreten. Weitere Auseinandersetzungen bis hin zu Kriegen sind unumgänglich, solange der Kapitalismus nicht global gestürzt und durch räte-demokratische Planwirtschaft ersetzt wird.

 

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