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Neue „Omikron“-Variante: Eine weitere Warnung, dass der Kapitalismus die Pandemie nicht beenden kann

von Danny O´Rourke, Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP und Sektion der "International Socialist Alternativ" in Irland)

Der neue Covid-19-Erregerstamm mit der Bezeichnung B.1.1.529, der in Botswana und Südafrika gefunden worden ist, wird von der WHO als „Omikron“ bezeichnet und als „besorgniserregend“ beschrieben. Einige Expert*innen sprechen von der bislang „schlimmsten“ Variante. Ähnlich wie die Delta-Variante ist der neue Stamm extrem ansteckend.

Auch wenn noch Hoffnung besteht, dass es sich bei „Omikron“ (benannt nach dem 15. Buchstaben im griech. Alphabet) um eine weniger gefährliche Virus-Variante handelt und die vorhandenen Impfstoffe ausreichend stark wirken, so wird es mit Sicherheit auch in Zukunft neue Varianten geben. So lange die weltweite Anwendung der Impfstoffe nicht in demokratisch geplanter Weise stattfindet, wird das auch so bleiben. Denn die Aufhebung aller Impfpatente wäre nötig, damit Generika in die Massen-Produktion und -Verteilung gehen können.

Das momentane Vorgehen, das sich durch wiederkehrende Wellen und eine schlechte Organisation auszeichnet, schafft die besten Voraussetzungen zum Entstehen von Mutationen. Dieser Punkt bei der Kontrolle ansteckender Krankheiten ist von der Medizin schon lange verstanden worden. Unterstrichen werden diese wissenschaftlichen Erkenntnisse noch einmal in einem Forschungsbericht vom letzten Mai, den das US-amerikanische „National Center for Biotechnology Information“ veröffentlicht hat. Darin heißt es:

„Wir haben herausgefunden, dass die Art und Weise, wie bisher bei dem Impfen vorgegangen wird, nicht ausreicht, um der Verschlimmerung der Pandemie vorzubeugen. Das bisherige Vorgehen wird zur Entstehung neuer, noch ansteckenderer Varianten von SARS-CoV-2 beitragen […] Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, die Produktion und Verteilung der COVID-19-Impfstoffe zu erhöhen, um die Priorisierungsgruppen der zu Impfenden sowie die Verteilungsstellen auszuweiten.“

Schon im September 2020 wies Dr. Mike Ryan von der WHO auf führende politischen Köpfe aus den Industriestaaten hin, die einer „gerechten und vernünftigen“ Herangehensweise an die Impfpolitik im Wege stehen. Die Socialist Party hat von Anfang an gefordert, die Patente für Impfstoffe aufzuheben und mit der Massenproduktion und -Verteilung von Generika zu beginnen. Permanent fordern wir stärkere Investitionen im Gesundheitssektor und ein demokratisch geplantes Vorgehen zur Bekämpfung der sich wiederholenden Corona-Wellen.

Die Profite der Pharmakonzerne

Wie wir allerdings schon im Fall der Klimakatastrophe sehen, stehen wissenschaftliche Erkenntnisse und menschliche Bedürfnisse im Kapitalismus hinten an, wenn es um Profite geht.

Wenn eine neue Corona-Mutante auftaucht, dann sind es die abhängig Beschäftigten, die an die Front gezwungen werden. Sie tragen wiedermal die Hauptlast des Ganzen, wenn tausende an vermeidbaren Krankheiten sterben. Und wieder sind es die Arbeiter*innenklasse und die Armen, die am härtesten betroffen sind – vor allen die „communities of colour“, Frauen und jungen Leute.

Währenddessen erhalten die Pharmaunternehmen Milliarden an öffentlichen Geldern geschenkt, um neue Impfstoffe zu entwickeln. Größer werden zunächst nur die privat einkassierten Profite. Unter anderen haben Johnson & Johnson sowie Moderna mehr als 2,7 Milliarden US-Dollar erhalten, um ihre Ausgaben zu tätigen. Pfizer bekam 800 Millionen Dollar und erwartet allein für das Jahr 2021 Verkaufserlöse von bis zu 30 Milliarden Dollar. Der Aktienkurs von Moderna ist zwischen März 2020 und März 2021 um schwindelerregende 320 Prozent durch die Decke gegangen.

Sogar bei den beiden Pharmaunternehmen, die ihre Impfstoffe ohne Profitabsicht verkaufen, ist der Aktienkurs in den letzten 12 Monaten angestiegen. Das hat den Aktionär*innen einen Haufen an Geld gebracht, für das sie nicht arbeiten mussten. Für die großen Pharmakonzerne sind Pandemien gut fürs Geschäft.

Kapitalistische Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Welthandelsorganisation (WTO) arbeiten angeblich zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), um in allen Ländern bis Ende des Jahre das (nicht besonders ehrgeizige) Ziel einer Impfquote von 40% zu erreichen. Allerdings zeigen Prognosen, dass das Ziel wahrscheinlich verfehlt werden wird. Das kann kaum überraschen, da die Priorität von IWF und WTO darauf liegt sicherzustellen, dass die profitorientierte Marktwirtschaft trotz aller Probleme (Corona eingeschlossen) weiterhin „funktioniert“. Die Ausrottung des Coronavirus würde jedoch spürbare Schritte voraussetzen, die der Logik der Marktwirtschaft entgegen ständen.

Der Pandemie ein Ende setzen

Das ist umso frustrierender und tragischer, wenn man bedenkt, dass wir zahlreiche Beispiele für geplante und eben nicht auf den Profit ausgerichtete Ansätze haben, um Epidemien und Pandemien zu überwinden. Erinnert sei nur an die Ausrottung der Kinderlähmung (Polio). Jonas Salk, der Erschaffer des Polio-Impfstoffs, war nicht darauf aus, Profit aus seinen Forschungsarbeiten zu schlagen, weil er die menschlichen Bedürfnisse an die erste Stelle gesetzt hat. Das führte dazu, dass die Produktion und Anwendung des Impfstoffes exponentiell effizienter war, als es im Falle einer Gewinnorientierung gewesen wäre.

Während die vollständige Ausrottung des Coronavirus Jahre in Anspruch nehmen würde, so würde eine rationale und koordinierte Herangehensweise an das Impfen, bei dem die Allgemeinheit über den Profitinteressen steht, die Anzahl der zur Verfügung gestellten Dosen um das Vielfache erhöhen. Das wiederum würde präventiv auf das Entstehen neuer Mutanten wie der Delta- oder nun der Omikron-Variante wirken. Damit wäre ein Ende der globalen Pandemie in Sicht, und Milliarden von Menschen wären vor einer Ansteckung geschützt. Das Leben von Millionen wäre gerettet.

Nötig ist eine konzentrierte Antwort der Arbeiter*innenklasse

Nur wenn die Profitinteressen aus der Gleichung herausgenommen und der Einfluss der großen Pharmakonzerne gestrichen wird, kann die globale Reaktion auf das Virus die Impfraten erreichen, die nötig sind, um die Welt vor Corona zu schützen. Abgesehen von den Milliarden Menschen, die einfach keinen Zugang zu einer Impfung haben, sind Millionen weitere skeptisch, was die Verabreichung des Impfstoffs angeht. Das Misstrauen gegenüber den Pharmafirmen und die schändliche Rolle, die sie einnehmen, wenn sie von Krankheiten profitieren, hat dabei einen nicht unwesentlichen Anteil.

Anstatt punktuell verpflichtende Impfregeln einzuführen, wie in einigen Ländern aktuell der Fall, brauchen wir in den öffentlichen Gesundheitssystemen eine Vorgehensweise, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und demokratischer Kontrolle – ausgeübt durch die Beschäftigten und die Gemeinschaft der Menschen – fußt. Bleibt es bei den auf bestimmte Länder begrenzten Regeln zur Impfpflicht, so spielt das nur der Rechten und anderen gefährlichen Impfgegner*innen in die Hände. Die Produktion von Impfstoffen sollte vom Staat organisiert werden, der die Labore und pharmazeutischen Produktionsstätten übernehmen muss. Das muss einhergehen mit einem Plan zur Herstellung und gleichberechtigten Verteilung der Impfvorräte, die dringend benötigen.

Die Regierungen haben auf globaler Ebene durchweg versagt, wenn es darum geht, mit der Macht der Konzerne zu brechen. Das hat zuletzt die Schönfärberei deutlich zum Ausdruck gebracht, wie sie in Glasgow beim COP26 zu erleben war. Wenn es um die Lösung des Corona-Problems geht, können wir dem kapitalistischen Polit-Establishment nicht vertrauen. Stattdessen müssen die Arbeitnehmer*innen und die jungen Leute sich organisieren und die Kontrolle über die Maßnahmen gegen die Pandemie übernehmen. Eingeschlossen in diesen Prozess müssen die Gewerkschaften und Studierendenvertretungen sein. Sie sollten zum Handeln aufgefordert werden.

Es gibt keinen anderen Weg aus dieser Pandemie – auch nicht aus der Klima-Problematik oder den zahllosen anderen Katastrophen, die der Kapitalismus für unser Leben und unsere Zukunft bedeutet. Eine Alternative ist möglich. Eine Alternative, die auf Solidarität basiert und die den gesellschaftlichen Wohlstand und die Ressourcen nutzt, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen – nicht die Profitgier einer schmarotzenden und reichen Elite.

Alle Augen auf Seattle: Kshama Sawant stellt sich gegen Abwahl-Referendum der Rechten

Greyson Van Arsdale, Socialist Alternative

Dieser Artikel erschien am 1. November 2021 zuerst auf der Website der "Socialist Alternative" (die Schwesterorganisation der SLP in den USA): www.socialistalternative.org

Diesen Winter wird es in Seattle zum ersten Mal in der Geschichte der nordamerikanischen Metropole zu einer Wahl im Dezember kommen. Das Referendum ist von den Konzernen und der politischen Rechten initiiert worden und dreht sich um die Frage, ob Kshama Sawant, Seattles einzige sozialistische Stadträtin, abberufen werden soll. Damit gehen alle Anstrengungen, die ihre Gegner*innen seit einem Jahr gegen sie unternommen haben, in die entscheidende Phase. 

Dieses Referendum ist ein rassistischer, rechter und undemokratischer Angriff, der darauf abzielt, eine der effektivsten Kämpferinnen des Landes für die arbeitende Bevölkerung zu beseitigen.

Dieser Termin ist ein übler Schritt gegen die Wahlberechtigten, da er genau zwischen zwei wichtigen US-amerikanischen Feiertagen liegt. Viele arbeitende Menschen könnten gar nicht darüber informiert sein, dass sie an einer Wahl teilnehmen können. Der Versuch Kshama Sawant abzusetzen, ist ein rassistischer, rechtsgerichteter und undemokratischer Angriff, mit dem Ziel eine der erfolgreichsten Kämpfer*innen für die Belange der arbeitenden Menschen in den USA auszuschalten.

Kshama wird vorgeworfen an friedlichen „Black Lives Matter“-Protesten teilgenommen zu haben. Außerdem hat sie ihr Stadtratsbüro benutzt, um eine erfolgreiche Bewegung zur Einführung einer Sondersteuer für Amazon und andere Großunternehmen aufzubauen. Mit den Einnahmen aus dieser Steuer soll bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden und ein nachhaltiges Investitionsprogramm aufgelegt werden.

Für die sozialistische und die „Black Lives Matter“-Bewegung ist das ein entscheidender Moment. Schon drei Jahre vor der großen Wahlkampagne von Bernie Sanders (2016) hat Kshama Sawant als erste gewählte Sozialistin in Seattle seit einhundert Jahren die Richtung vorgegeben. Ihr Stadtratsbüro hat Bewegungen und Initiativen zum Erfolg geführt, die für Sozialist*innen und progressive Kräfte im ganzen Land maßgebend sind. Dazu zählen die Anhebung des Mindestlohns, der zuerst in Seattle auf 15 Dollar erhöht worden ist, die Amazon-Steuer und immense Erfolge für Mieter*innen, die die Immobilien-Lobby von Seattle in Rage gebracht haben.

Obwohl sie Rekordsummen aus ihren Unternehmensvermögen dafür eingesetzt haben, sind Amazon und die Großkonzerne 2019 mit ihrem Versuch gescheitert, den Stadtratssitz von Kshama einfach zu kaufen. Und nun treten Sozialist*innen erneut direkt gegen die reichen Unternehmen in Seattle an, um die Absetzungskampagne abzuwehren und die von unseren Bewegungen errungenen Erfolge zu verteidigen. Bei diesem Urnengang, bei dem es sich um die wohl wichtigste kommunale Abstimmung des Jahres 2021 handelt, sind die größten Anstrengungen nötig, um weiter erfolgreich zu bleiben.

Das „liberale Seattle“ unter der Fuchtel von Republikaner*innen, die die Wählerschaft linken wollen

Obwohl die Stadt Seattle mit einem fortschrittlichen Image prahlt, hat die Absetzungskampagne gegen Kshama die hiesigen „Republikaner*innen“ aus ihren Löchern kommen lassen. Sowas hat es bislang nicht gegeben. Die Kampagne gegen Kshama hat Spenden von mehr als 500 wohlhabenden Republikaner*innen bekommen, darunter auch 130 Personen, die schon Trump finanziell unterstützt haben. Grundbesitzer George Petrie, der Spender, der im ganzen Staat Washington am meisten an Trump gespendet hat, gehört dazu. Aber auch bekanntere Feinde von uns sind durch die Anti-Kshama-Absetzungskampagne wieder auf den Plan getreten: So zum Beispiel die Vorstandsmitglieder von Amazon, die 2019 den Kontrahenten von Kshama bei den Kommunalwahlen finanziell unterstützt haben. Sie hatten nur deshalb keinen Erfolg, weil es eine historisch hohe Wahlbeteiligung unter den arbeitenden Menschen gab. Das kam Kshama zu Gute. Bisher haben drei Top-Vorstandsmitglieder von Amazon (John Schoettler, Morgan Battrell und Doug Herrington) Geld für die Absetzungskampagne gegen Kshama gespendet.

Der rechtslastige und undemokratische Charakter der Absetzungskampagne tritt offen zu Tage, wenn man sich anschaut, wie diese Menschen die Wahlbeteiligung drücken wollen, um Kshama aus dem Amt zu bekommen. Mit dem Ziel, die historisch hohe Wahlbeteiligung der arbeitenden Menschen, der Mieter*innen und der People of Colour, wie auch der ganzen jungen Leute auszuhebeln, die Kshama drei aufeinander folgende Wahlsiege beschert haben, ist man bei diesem Absetzungsverfahren so vorgegangen, dass man Unterschriften für die Petition gesammelt, diese aber nicht bei der Bezirksbehörde eingereicht hat. Man wartete so lange, bis es zu spät war, um wie die anderen Wahl behandelt zu werden. So kam es, dass die Absetzungskampagne eben nicht mehr Teil der allgemeinen Wahlen werden konnte. Dieses Timing hat der Bezirksbehörde keine andere Möglichkeit gelassen, als einen noch nie dagewesenen und undemokratischen Abstimmungstermin für den 7. Dezember, zwischen Thanksgiving und den Weihnachtsferien, festzulegen.

Die arbeitenden Menschen von Seattle leiden viel zu lange schon unter immens steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten, die sie zu Überstunden und häufig sogar zu mehreren Jobs zwingen. Viele sind aufgrund ihres anstrengenden Alltags nicht immer exakt darüber informiert, wann welche Abstimmung ansteht. Das wird zwischen Thanksgiving und Weihnachten, nachdem die regulären Wahlen vom November gerade erst einige Wochen zurückliegen, noch weit schlimmer sein. Die Initiator*innen der Absetzungskampagne haben sich ganz bewusst für diesen Zeitraum entschieden. Sie wollen eine Abstimmung, bei der die Reichsten, Hellhäutigsten und Konservativsten aus Kshamas Wahlbezirk gegen die Mehrheit entscheiden, die weniger als ein Jahr vor dem Beginn der Absetzungsinitiative, Kshama bereits zum dritten Mal wiedergewählt haben.

Dass die Macher*innen der Absetzungskampagne das Ziel verfolgen, die Wahlbeteiligung gering zu halten, stinkt zehn Meilen gegen den Wind. Zwischen einer üblichen allgemeinen Wahl im November und einer regulären Sonderabstimmung (die normalerweise im Februar durchgeführt wird), kann die Wahlbeteiligung um bis zu 50 Prozent sinken. Und die Wähler*innen, die sich an einer solchen Sonderabstimmung beteiligen, tendieren dazu, überproportional stark aus den wohlhabenderen und hellhäutigeren Teilen der Wahlberechtigten zu sein. Jetzt geht es nicht nur um eine Sonderabstimmung sondern um eine, die auch noch zwischen den besagten Ferienterminen stattfindet. Das hat es noch nie gegeben und droht, zu einem noch stärkeren Rückgang der Wahlbeteiligung als ansonsten üblich zu führen.

Vor diesem Hintergrund wird unsere Kampagne ausziehen, um für eine umso größere Wahlbeteiligung zu sorgen. Die Solidaritätskampagne „Kshama Solidarity Campaign“ hat einen einmaligen zu bezeichnenden „Get-Out-The-Vote“-Ansatz angekündigt, mit dem so viele arbeitende Menschen wie nur irgend möglich angesprochen werden sollen. Um zu gewinnen wird unsere Bewegung an hunderttausende Haustüren klopfen und sogar noch über das hinausgehen müssen, was wir im Zuge der Kampagne zur Wiederwahl von Kshama im Jahr 2019 geleistet haben.

Was wird ihr vorgeworfen?

Als die Anschuldigungen zuerst im August 2020 erhoben worden sind, war offensichtlich, dass es sich um einen Rachefeldzug gegen Kshama handelt, weil sie sich an die Seite der „Justice for George Floyd“-Bewegung gestellt hat. Nach Abschluss des juristischen Vorgangs sind von den ursprünglich sechs Anklagepunkten gegen Kshama noch drei übrig geblieben. Eine dieser Anschuldigungen der Absetzungskampagne gegen sie bezog sich auf die Proteste der „Black Lives Matter“-Bewegung, die als „Kriegsgebiet“ bezeichnet wurden. Darin wird argumentiert, dass Kshama „gescheitert (sei) […] „unsere Sicherheit und Fähigkeit zu gewährleisten, in Frieden zu leben“. Trotz der Tatsache, dass die am klarsten rassistisch motivierten Anschuldigungen abgewiesen worden sind, kommt in den übrig gebliebenen derselbe Ton zur Geltung: Die „Black Lives Matter“-Bewegung wird diffamiert und es wird versucht, den Aufbau der Bewegung als kriminelle Handlung darzustellen.

Erster Anklagepunkt

Vorwurf: „Kshama führte einen Marsch zum Haus von Bürgermeisterin Jenny Durkan an, deren Adresse geschützt ist.“

Die Faktenlage: Als Durkan’s police department wüsten Tränengas-Beschuss gegen Wohnviertel der Stadt Seattle und Protestteilnehmer*innen erlaubt, organisierten die Familien der Opfer von Polizeigewalt einen friedlichen Protest und baten Kshama dort eine Rede zu halten. Kshama sprach in Solidarität mit den Familien, kannte aber die Adresse von Durkan überhaupt nicht und hatte nichts mit der Festlegung der Demoroute zu tun.

Zweiter Anklagepunkt

Vorwurf: „Kshama setzte die öffentliche Sicherheit aufs Spiel, als sie den BLM-Protestler*innen die Rathaustüren geöffnet hat“.

Faktenlage: Kshama öffnete den Protestteilnehmer*innen das Rathaus, um eine öffentliche Versammlung mit Gesichtsmasken und unter Wahrung der Abstandsregeln zu ermöglichen, die weniger als eine Stunde dauerte. Die Demonstration war nicht nur friedlich und äußerst sorgsam, was die Corona-Regeln angeht, sondern ermöglichte darüber hinaus die Nutzung einer Fläche, auf der die Bewegung die nächsten Schritte nach vorn diskutieren konnte. Das führte unmittelbar zum Erfolg, dass Seattle als erste US-amerikanische Stadt den Einsatz von chemischen Waffen gegen Demonstrant*innen durch die Polizei verbot.

Dritter Anklagepunkt

Vorwurf: „Kshama hat öffentliche Gelder missbräuchlich im Sinne einer Referendum-Initiative („Besteuert Amazon!“) verwendet.“

Faktenlage: Kshama stand an der Spitze einer Bewegung für die Besteuerung von Amazon, die 2020 darin erfolgreich war, Millionen von Dollar für den Bau bezahlbarer Wohnungen und ein nachhaltiges Programm für einen „Grünen New Deal“ zu generieren. Im Januar 2020 hat das Büro von Kshama Materialien und Verpflegung für ein organisatorisches Treffen der „Tax Amazon“-Kampagne gekauft, an der Mitglieder der Community teilgenommen haben. Bei „Tax Amazon“ hat es sich nicht um eine Initiative für ein Referendum gehandelt, und die Bewegung hat erst Monate später entschieden, das Thema als Referendum einzubringen. Dennoch ist Kshama dem nachgekommen, als die „Seattle Ethics and Elections Commission“ (SEEC) entschieden hat, dass sie ein kleines Bußgeld deswegen bezahlen muss. Die Großkonzerne sind nicht böse wegen der von der SEEC verhängten Strafe sondern deshalb, weil Kshama den historischen Sieg der Amazon-Steuer angeführt hat.

Protestieren – egal, ob vor dem Haus der Bürgermeisterin oder im Rathaus – ist nicht illegal. Dasselbe gilt für die Benutzung von Ratsbüros, um Einwohner*innentreffen arbeitender Menschen zu organisieren und durchzuführen, damit am Ende Großkonzerne besteuert werden. Doch die Kräfte, die hinter dem Absetzungsverfahren stehen, wünschen sich eindeutig, dass all dies gesetzeswidrig wäre. Sie wollen eine der wenigen gewählten Vertreter*innen aus dem Amt haben, die sich in diesem Land als Vertreterin für die arbeitenden Menschen und die Unterdrückten zur Verfügung stellt.

Wofür das Absetzungsverfahren stellvertretend steht

Worum geht es in Wirklichkeit? Die Liste derer, die für die Kampagne zur Absetzung von Kshama Geld gespendet haben, sagt eigentlich schon alles. Sie liest sich wie das „who is who“ der großen Immobilieneigner*innen, Hedge Fonds-Manager*innen, Investor*innen, Grundbesitzer*innen, gewerkschaftsfeindlichen Unternehmer*innen und der Wohlhabenden. Fest steht, dass die drei reichsten, milliardenschweren Familiendynastien aus dem Bundesstaat Washington zu den Spender*innen für das Absetzungsverfahren gegen Kshama gehören. Im Grunde steht diese Kampagne für die ganze Wut der Reichen und Mächtigen auf Kshama, weil sie acht lange Jahre damit zugebracht hat, Bewegungen der Arbeiter*innenklasse aufzubauen und dabei weitreichende Erfolge erzielt hat.

Auch neben den Erfolgen um den 15-Dollar-Mindestlohn in Seattle und die Einführung der Amazon-Steuer kann das Büro von Kshama eine produktive Bilanz vorweisen. Wir haben es geschafft, für mieterfreundliche Gesetze zu sorgen, wir haben zahllose Streikposten besucht, um unsere Solidarität mit den streikenden Beschäftigten auszudrücken, waren darin erfolgreich, Mieter*innen und weitere Bewohner*innen gegen Zwangsräumungen zu organisieren und haben Dutzende Millionen von Dollar erstritten, mit denen nun soziale Dienste finanziert werden können. Geschafft haben wir das, indem wir jedes Jahr seit Kshamas erstmaliger Wahl zur Stadträtin den „Bürgerhaushalt“ organisiert haben.

Sie haben so verzweifelt versucht, Kshama loszuwerden, dass die großen Konzerne zusammengenommen vier Millionen Dollar aufgebracht haben, um sie und andere progressive Kandidat*inen bei den Kommunalwahlen 2019 in Seattle zu schlagen. Dazu zählen auch die 1,4 Millionen Dollar, die allein der Amazon-Konzern dazu beigetragen hat. Der Großteil dieser Gelder ist in den Wahlkampf des konzernfreundlichen Kontrahenten von Kshama geflossen. Doch die arbeitenden Menschen haben sich gewehrt und sich so organisiert, dass am Ende eine historisch hohe Wahlbeteiligung dabei herausgekommen ist. So wurde Kshama zum dritten Mal in Folge wiedergewählt. Diese überwältigende Niederlage für Amazon und die Großkonzerne sorgte für den nötigen Aufwind, um in weniger als einem Jahr danach schon die Amazon-Steuer durchsetzen zu können.

Die Geschichte hat zahllose Male gezeigt, dass die Großkonzerne – wenn sie eine entscheidende Schlacht selbst unter den ihnen genehmen Bedingungen verloren haben – versuchen, diese Bedingungen auf Biegen und Brechen zu überwinden. Anstatt es Kshama zu erlauben, vier Jahre so zu arbeiten, wie die arbeitenden Menschen von Seattle, die ihr ihre Stimme gegeben haben, es möchten, haben sie ein Absetzungsverfahren aus dem Hut gezaubert, um die Wahl, die sie nicht kaufen konnten, doch noch rückgängig zu machen. Dies soll nun durch die undemokratischste Abstimmung erfolgen, die sie zu manipulieren in der Lage sind.

Dieses Absetzungsverfahren erinnert ganz klar an die Geschichte von Anna Louise Strong, der letzten unabhängigen gewählten Sozialistin in Seattle. Sie war eine Aktivistin und Journalist, die 1916 einen Sitz im „School Board“ (Schulaufsicht) der Stadt bekam. Als die herrschende Klasse begann, nationalistische Gefühle zu schüren, um den Einstieg in den Ersten Weltkrieg vorzubereiten, musste Strong sich gegen ein rechtsgerichtetes Absetzungsverfahren gegen sie zur Wehr setzen. Dieses galt ihrer Haltung gegen den Krieg und für Arbeitnehmer*innenrechte. Am Ende unterlag sie und musste ihr Amt abtreten. Die Welle anti-sozialistischer Angriffe, die zu Strongs Amtsenthebung führte, sollte in den 1950er Jahren in Gestalt der „McCarthy-Ära“ erneut einsetzen. Heute, da Sozialist*innen in immer größerer Zahl in Ämter gewählt werden, müssen wir davon ausgehen, dass es zu einem Neubeginn der „Kommunistenjagd“ und der Methoden aus der „McCarthy-Zeit“ kommen wird.

Nichtsdestotrotz sendet dieses Absetzungsverfahren ein wichtiges Signal in die Welt, weil es den Angriff auf Kshama mit der „Black Lives Matter“-Bewegung verknüpft. Bei den Protesten unter dem Banner „Justice for George Floyd“ hat es sich um die größte Protestbewegung in der Geschichte der Vereinigten Staaten gehandelt. Es war eine mächtige Demonstration der Wut der Massen über die rassistische Polizeigewalt. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte haben Großstädte Kürzungen für ihre Polizeibehörden beschlossen anstatt sie noch stärker zu unterstützen und mit noch mehr militärischen Waffen auszustatten (der Vollständigkeit halber muss ergänzt werden, dass viele dieser Kürzungen seitdem wieder zurückgenommen worden sind).

Zusammen mit der „Black Lives Matter“-Bewegung zu protestieren ist keine Straftat. Aber wenn das Absetzungsverfahren gegen Kshama mit dieser Anschuldigung durchkommen sollte, dann kann das das Einfallstor für die politische Rechte sein, um weiter gegen Protestbewegungen vorzugehen. Damit wäre der Präzedenzfall geschaffen, um gegen andere Sozialist*innen in gewählten Funktionen vorzugehen, die ihrerseits an der BLM-Bewegung teilgenommen haben. Die Sichtweise der Rechten, wonach Proteste von „Black Lives Matter“ mit „Krawall“ gleichzusetzen sind, wäre somit voll und ganz entsprochen.

Das System trägt das Absetzungsverfahren

Die ganze Rhetorik der Absetzungskampagne hat akribisch wiederholt, dass „niemand über dem Gesetz“ steht. Dabei konnte man bislang kein einziges Gesetz benennen, gegen das Kshama verstoßen haben soll. Im gleichen Atemzug, wie sie bekräftigen, dem „Rechtsstaat“ anzuhängen, untergräbt das von ihnen angestrengte Absetzungsverfahren gegen Kshama sehr bewusst die grundlegendsten demokratischen Rechte der Wahlberechtigten von Seattle. Auf der einen Seite tut man so, als sei man dafür, dass Gesetze für alle gleich gelten. Auf der anderen Seite versucht man vollkommen ohne Scham, die Anzahl der Wähler*innen an der Abstimmung über das Absetzungsverfahren klein zu halten.

Diese Art von Heuchelei ist typisch für die politische Rechte. Doch bei jeder neuen Entwicklung sind die angeblich so unparteiischen Institutionen der kapitalistischen Demokratie dabei, um diese Heuchelei aufrecht zu erhalten und sogar noch zu befördern. Tatsächlich besteht der einzige Grund dafür, weshalb es der Absetzungskampagne gegen Kshama möglich war, diesen nie dagewesenen Dezember-Wahltermin zu bekommen, darin, dass der Oberste Gerichtshof des Bundesstaats Washington sein Urteil zu diesem Verfahren mit Verspätung gefällt hat. Erst drei ganze Monate nach dem offiziell festgelegten Termin für das Urteil kam man mit der Entscheidung um die Ecke. Die Anschuldigungen gegen Kshama wurden bestätigt, obwohl sie nicht nur falsch sondern sehr einfach zu widerlegen sind.

Erst wenige Monate vorher hatte dasselbe Gericht den Antrag für eine Absetzungskampagne zurückgewiesen, der sich gegen die Bürgermeisterin von Seattle, Jenny Durkan, gerichtet hat. Sie sollte des Amtes enthoben werden, weil sie dem breiten Einsatz von Tränengas durch die Polizei gegen friedliche Demonstrationsteilnehmer*innen îm Zuge der Solidaritätskampagne für George Floyd zugestimmt hatte. Dass Durkan den Einsatz von Chemikalien in Waffen gegen Proteste und während einer Pandemie, die die Atemwege betraf, zugelassen hat, wurde in der Öffentlichkeit als derart gefühllos aufgenommen, dass sie bald schon den Beinamen „Teargas Jenny“ bekam. Doch der „Supreme Court“ des Bundesstaats Washington wies die Anklage sehr kurzsilbig ab. Auch gegen John Snaza, den Bezirks-Sheriff von Thurston, der es abgelehnt hatte, die Maskenpflicht für seine Einsatzkräfte aufrecht zu erhalten, ist ein Absetzbungsverfahren angestrengt worden, das die Gerichte ebenfalls in Bausch und Bogen abgewiesen haben.

Diese schwerwiegenden Ungerechtigkeiten sind vor dem Hintergrund einer langen Geschichte des Rechtssystems im Kapitalismus zu sehen, das gegen die „einfachen Leute“ arbeitet. Die Gerichte haben in großem Maße darin versagt, den Opfern von Polizeigewalt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Auf Video festgehaltene gewalttätige Polizeikräfte werden von ihr regelmäßig laufen gelassen. Vor zwei Monaten erst hat keine geringere Instanz als der „Supreme Court“ (Oberster Gerichtshof der USA) ein Gesetz in Texas ignoriert, mit dem Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche nun verboten sind. Vor diesem Zeitpunkt wissen die meisten Betroffenen gar nicht, dass sie überhaupt schwanger sind. Damit hat man es zugleich abgelehnt, eine Grundsatzentscheidung des „Supreme Court“ von 1973 aufrechtzuerhalten (damals wurde Abtreibung als Recht der Privatsphäre definiert; Anm. d. Übers.).

Aus diesem Grund haben es Bewegungen, die sich für Gerechtigkeit eingesetzt haben, in der Geschichte immer wieder als notwendig betrachtet, ungerechte Gesetze zu brechen. Auf diese Weise wollte man echte Veränderungen durchsetzen. In der Zeit der Bürgerrechtsbewegung war es illegal, sich der Rassentrennung zu widersetzen. Dass Rosa Parks es 1955 gewagt hatte, ihren Sitzplatz im Bus nicht für eine hellhäutige Person freizumachen, war eine illegale Handlung, die den historischen Bus-Boykott in der Stadt Montgomery auslöste. Dieser ebnete den Weg für den letztlichen Sieg über die Rassentrennung. Gerade im Kontext der aktuellen Absetzungskampagne, die ganz klar als Angriff auf die „Black Lives Matter“-Bewegung zu verstehen ist, um diese zu verunglimpfen, scheint sich abermals zu wiederholen, dass die größten Errungenschaften auf unerbittlichen Widerstand und – wenn nötig – auf den Bruch ungerechter Gesetze zurückzuführen sind. Kshama hat kein Gesetz gebrochen. Aber ganz, wie es sich für Sozialist*ìnnen gehört, ist sie immer bereit gewesen, sich für den Kampf der arbeitenden Menschen einzusetzen.

Doch die Absetzungskampagne zeigt, wie die Gerichte im Kapitalismus sich mit Händen und Füßen dagegen wehren werden (und in diesem Prozess jeden Schein von Neutralität aufgeben), um sozialistische Vorkämpfer*innen zu bezwingen, die eine Gefahr für ihr System darstellen.

Alle Augen auf Seattle!

Sollte die Absetzungskampagne Erfolg haben, dann wäre damit ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen: In Zukunft würden Großkonzerne, die es nicht hinbekommen, gewählte Sozialist*innen mit ihren üblichen Methoden (wie z.B. immense finanzielle Unterstützung der Wahlgegner*innen) zu verhindern, auf weitergehende Mittel zurückgreifen. In diesem Sinn ist die Absetzungskampagne gegen Kshama auch ein Testlauf: Wird sie auf der Basis von rassistischen und fadenscheinigen Anschuldigungen aus dem Stadtrat gedrängt, indem die Wahlbeteiligung der arbeitenden Menschen bewusst niedrig gehalten wird, dann wird das die Grundlage für zukünftige Attacken auf andere gewählte Sozialist*innen, das potentielle Zurückdrehen unserer Erfolge in Seattle und breit angelegte Angriffe auf „Black Lives Matter“ sowie die US-weite Linke sein.

Während diese beispiellose Wahl eine ernste Herausforderung darstellt (und faktisch für die heftigste Auseinandersetzung steht, in die unsere Bewegung in Seattle bis dato hineingezogen worden ist), so zeigt unsere bisherige Bilanz, dass man uns besser nicht unterschätzen sollte. Wenn wir diese gegen uns gerichtete Absetzungskampagne abwehren und Kshama Sawant, eine bahnbrechende Sozialistin und aufrichtige Vorkämpferin aus der Bewegung heraus, verteidigen können, dann zeigen wir nicht nur ein weiteres Mal, dass Amazon und die Immobilien-Riesen doch nicht zu groß zum Besiegen sind. Dann wird auch klar, dass wir es schaffen können, zum ersten Mal in Seattle auch die Kontrolle über die Entwicklung der Mieten zu erlangen.

Es steht viel auf dem Spiel, und es ist nicht damit getan uns nur zu verteidigen – denn wir haben eine ganze Welt zu erkämpfen.

Link zur Kshama-Solidaritäts-Kampagne: www.kshamasolidarity.org

Mehr zum Thema: 

Die ISA bei den COP26-Protesten in Glasgow

​"Monumentales Versagen", "Leere Worte, keine Taten" und "Völliger Verrat" sind nur einige der Wörter, die verwendet werden, um das Ergebnis der COP26 zu beschreiben. Um das Klima zu retten, muss der Kapitalismus beendet werden. ISA war in Glasgow, um ein
Marie O’Toole, Mitglied des COP26-Organisationsteams der International Socialist Alternative (ISA)

Dieser Artikel erschien am 15. November 2021 zuerst auf der Website der International Socialist Alternative (ISA), der die SLP angehört: www.internationalsocialist.net

Die Mächtigen der Welt haben sich in den letzten zwei Wochen in Glasgow zur UN-Klimakonferenz COP26 versammelt, um dem globalen kapitalistischen System ein schönes, frisches grünes Image zu verpassen. Was von vornherein als Farce geplant war, erwies sich dabei letztlich als noch unbefriedigender, als manche gehofft hatten. Die arbeitenden Menschen und die Jugend auf der ganzen Welt sind mit steigenden Temperaturen, Naturkatastrophen und dem Risiko weiterer Pandemien konfrontiert. Die Konferenz antwortete darauf mit Joe Biden und Boris Johnson, die während der Eröffnungsrede einschliefen, Bolsonaro, Putin und Xi Jinping, die gar nicht teilgenommen haben, und einer Sammlung leerer Versprechen, die sich trotzdem immer noch zu einer katastrophalen globalen Erwärmung von 2,7 °C bis 2100 summieren.

Das einzige wirklich positive Ergebnis der COP26 fand nicht in den Konferenzsälen mit Leuten wie Biden und Johnson statt, sondern draußen auf den Straßen, wo man das Wiederaufleben der Klimabewegung sehen konnte, die 2019 die ganze Welt erobert hat. Demonstrant*innen, die echte, substanzielle Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels forderten, brachten letzten Freitag und Samstag 100.000 Menschen auf die Straßen von Glasgow!

Die International Socialist Alternative ist sich der enormen Bedeutung und des revolutionären Potenzials dieser Bewegung bewusst, weshalb wir 300 unserer Mitglieder und Unterstützer*innen aus der ganzen Welt mobilisiert haben, um einen internationalen sozialistischen Block bei den Protesten zu bilden. Revolutionäre Sozialist*innen aus unseren Sektionen auf allen Kontinenten, darunter Brasilien, USA, China/Hongkong/Taiwan, Belgien, Irland und weitere, versammelten sich mit über 100 Mitgliedern und Unterstützer*innen von Socialist Alternative (ISA in Schottland, England und Wales), um sicherzustellen, dass eine klassenkämpferische, internationalistische Stimme auf den Protesten lautstark zu hören ist, die die Notwendigkeit eines sozialistischen Wandels benennt, um dem Klimawandel ein Ende zu setzen.

Warum war die Konferenz ein solcher Misserfolg?

Es ist nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass Politiker*innen und Wirtschaftsvertreter*innen zu dieser Art von „Greenwashing-Festival“ zusammenkommen. Das Pariser Klimaabkommen wurde auf der COP21 im Jahr 2015 verabschiedet und als großer Fortschritt bei den Bemühungen zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs verkauft. Fünf Konferenzen später hat sich die Situation aber nur weiter verschlimmert. Der diesjährige IPCC-Bericht, der die harten Realitäten der Klimaforschung darlegte, wurde als „Alarmstufe Rot für die Menschheit“ bezeichnet. Trotz dieser vernichtenden Prognose wäre es falsch zu glauben, dass auf der Konferenz wesentliche Maßnahmen vereinbart werden.

Milliardär*innen und ihre Politiker*innen werden nie in der Lage sein, die Krise, die aus dem Profitstreben im Herzen ihres Systems resultiert, ausreichend zu bekämpfen. Wenn nur 100 Unternehmen für 71 % aller industriellen CO2-Emissionen verantwortlich sind, wird deutlich, dass die Interessen der Superreichen den Zielen der Klimabewegung grundlegend entgegenstehen. Alle Bemühungen, die zu echten Fortschritten im Kampf gegen den Klimawandel führen könnten, stellen eine Bedrohung für die Stabilität des Systems dar, das diese Figuren an der Macht hält. Jedes wirklich positive Ergebnis der COP26 war von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Sozialist*innen auf der Straße

Millionen von Arbeiter*innen und Jugendlichen auf der ganzen Welt wissen, dass sie das Vertrauen in die Zukunft unseres Planeten nicht länger in Hinterzimmerdeals von Geschäftsleuten und Politiker*innen setzen können – das wurde durch die wütende Stimmung auf den Straßen Schottlands deutlich. Zehntausende versammelten sich zum Schulstreik von Fridays For Future, eine Fortsetzung der Bewegung von 2019 in einem noch größeren Rahmen. Noch mehr kamen am Samstag zu einem massiven Marsch mit einer Vielzahl von Blöcken und Bannern verschiedener sozialer und ökologischer Bewegungen, darunter viele Gewerkschaften. Selbst starker Regen konnte die Arbeiter*innen und Jugendlichen nicht davon abhalten, ihre Forderungen für den Klimaschutz zu stellen.

Die International Socialist Alternative (ISA) hat die COP26 als einen Schlüsselmoment für die globale Klimabewegung erkannt. Deshalb haben wir unsere Mitglieder aus allen Ecken der Welt in Schottland versammelt, um unmissverständlich darauf hinzuweisen, wer für diese Krise verantwortlich ist: die CEOs und Milliardär*innen der Welt. Wir forderten massive öffentliche Investitionen in einen sozialistischen Green New Deal, um weltweit zig Millionen hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, den Reichtum der Milliardär*innen zu beschlagnahmen, um klimafreundliche Maßnahmen zu finanzieren, und die Überführung umweltverschmutzender multinationaler Unternehmen in demokratisches öffentliches Eigentum, um einen nachhaltigen sozialistischen Wirtschaftsplan umzusetzen, der die Wirtschaft so umgestaltet, dass sie in erster Linie den Menschen und dem Planeten dient – das sind nur einige der Forderungen, die die Bewegung mit Nachdruck aufgreifen muss!

Internationalismus ist von grundlegender Bedeutung, um die miteinander verwobenen Gefahren von Klimawandel und Kapitalismus zu bekämpfen. Deshalb versammelten sich ISA-Mitglieder von Glasgow bis Brasilien, um bei den Demonstrationen das größtmögliche Kontingent an Arbeiter*innen und Jugendlichen aus der ganzen Welt zu bilden. Zu den 300 teilnehmenden Mitgliedern gesellten sich auf den Märschen Hunderte weitere, die sich von unserer Lebendigkeit und der Botschaft, die wir vermittelten, inspirieren ließen. Wir haben mehr als 1.000 Exemplare unserer Zeitung verkauft und sind dabei, begeisterte neue Mitglieder und Unterstützer*innen zu gewinnen, in Glasgow, Edinburgh und weltweit.

Die ISA hatte auch eine Rednerin auf der Hauptbühne bei der Kundgebung im Anschluss an den Schulstreik. Amy Ferguson, eine Aktivistin der Gewerkschaft Unite und Mitglied der Socialist Party (ISA in Irland), sprach kurz vor Greta Thunberg. Sie betonte die Macht der Arbeiter*innenklasse und die notwendige Rolle, die sie bei der Schaffung einer besseren Welt spielen wird. Amy schloss ihre Rede mit einem Zitat des in Schottland geborenen irischen Sozialist*innen James Connolly, der sagte:

"Unsere Forderungen sind bescheiden, wir wollen nur die Welt."
James Connolly

Wir haben nicht nur die Gelegenheit genutzt, um uns am Wochenende begeistert an den Demonstrationen in Glasgow zu beteiligen, sondern wir haben am Freitag sogar eine eigene Demonstration durch Edinburgh organisiert, für Schulstreikende, die die Reise nach Glasgow nicht antreten konnten, an der über 100 Menschen teilnahmen. Die Demonstration endete mit einem offenen Mikrofon, an dem sich ISA-Mitglieder, Student*innen und Arbeiter*innen aus Edinburgh beteiligten.

Die Begeisterung, die uns entgegenschlug, spiegelte sich in der Teilnahme an unserer Veranstaltung nach der Demonstration am Samstag wider, die unter dem Motto „Capitalism is Killing the Planet: Fight for International Socialism“ stattfand. Es nahmen über 350 Menschen teil. Zu den Redner*innen gehörten die schottische Gewerkschafter*in Caitlin Lee, der sozialistische Abgeordnete im irischen Parlament Mick Barry, ein Mitglied der Kampagne „Solidarity against Repression in China and Hong Kong“ sowie Aktivist*innen aus Brasilien und Südafrika. Auf der motivierenden Versammlung waren die Macht, die arbeitende Menschen im Kampf für Klimagerechtigkeit haben, und die Notwendigkeit eines vereinigenden sozialistischen Programms, um die Kämpfe gegen die dringendsten Probleme der Welt zu verbinden jederzeit präsent.

Die nächsten Schritte für die Klimabewegung

Die Macht der Arbeiter*innenklasse erwächst aus ihrer Rolle in der Gesellschaft. Wenn das Streben nach Profit eine so zentrale Rolle beim Klimawandel spielt, dann sind die Arbeiter*innen, die sämtlichen Gewinn erwirtschaften und jederzeit die Macht haben, ihn zu blockieren, die entscheidende Kraft, um echte Veränderungen zu erreichen. Greta Thunberg hat genau gezeigt, in welche Richtung die Klimabewegung gehen muss, als sie die streikenden Arbeiter*innen aus dem Transportwesen und der Müllentsorgung in Schottland dazu aufrief, sich den COP26-Demonstrationen anzuschließen. Die Schulstreikbewegung sollte von den Gewerkschaften mit aktiver Solidarität begleitet und auf Wirtschaftsstreiks an Arbeitsplätzen ausgeweitet werden, die national und international koordiniert werden. Wir können wesentliche Zugeständnisse erzwingen, indem wir die Bosse dort treffen, wo es weh tut – bei ihren Profiten – und gleichzeitig zeigen, dass die Arbeiter*innenklasse die Gesellschaft grundlegend verändern kann, wenn sie organisiert ist und sich ihrer Macht bewusst ist.

Gewerkschafter*innen sollten dabei eine wichtige Rolle spielen, indem sie in Betrieben und Gewerkschaften Klimaausschüsse bilden. Diese Ausschüsse könnten zur Organisation von Aktionen genutzt werden, die den Kampf für eine sicherere und sauberere Zukunft mit den Interessen der arbeitenden Menschen verbinden. Dazu gehört auch die Aufstockung der Gelder für umweltfreundliche Arbeitsplätze durch die Besteuerung der Reichen und die Umschulung von Arbeiter*innen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten, auf erneuerbare Energien, ohne Lohneinbußen.

Der Kapitalismus tötet den Planeten: Kämpft für internationalen Sozialismus!

Die Klimakrise ist die größte Bedrohung, mit der die Menschheit je konfrontiert war, und ihre Bewältigung erfordert eine vollständige Umstrukturierung unserer Gesellschaft nach sozialistischen Grundsätzen. CO2-Emissionen, die Abholzung von Wäldern und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen sind fundamental für das Fortbestehen der kapitalistischen Produktion. Die arbeitenden Menschen müssen sich organisieren und unabhängige politische Parteien aufbauen, um die notwendigen Schritte zu unternehmen, um diesem umweltverschmutzenden System ein Ende zu setzen und die Kämpfe mit demokratischen Massenorganisationen voranzutreiben.

Um den revolutionären Wandel zu erreichen, den unser Planet braucht, müssen wir eine revolutionäre Massenorganisation von arbeitenden Menschen und Jugendlichen aufbauen, die sich dem Kampf für den internationalen Sozialismus verpflichtet. Wir sind stolz darauf, eine kämpferische und dynamische internationale Organisation aufzubauen, die sich diesem Ziel verschrieben hat und in über 30 Ländern auf allen Kontinenten aktiv ist und weiter wächst. Wie wir vom Kelvingrove Park bis Glasgow Green in alle Ecken der Welt skandiert haben: „Unsere Bewegung ist unaufhaltsam – eine sozialistische Welt ist möglich!“

Shane, ein neues Mitglied, berichtet:

"Die COP26 war ein Ereignis, wie ich es noch nie erlebt habe. Da ich der ISA während der Pandemie beigetreten bin, war dies meine erste Gelegenheit, eine internationale Demonstration zu erleben. In den Tagen und Wochen davor war ich etwas nervös, und manchmal fragte ich mich sogar, ob ich hingehen sollte, weil ich mir Sorgen machte, ob ich mit meiner Anwesenheit überhaupt etwas bewirken würde.

Aber am Ende des Wochenendes hatte ich nach stundenlangen Gesängen und interessanten Gesprächen mit anderen Mitgliedern meine Stimme verloren. Es ist eine Sache, das zu tun, was wir tun, nämlich zu theoretisieren und im Detail über Situationen der Klasseneinheit und des Klassenkampfes zu diskutieren. Es ist eine andere Sache, mittendrin zu sein, sich mit den Menschen, die um einen herum stehen, so vereint zu fühlen und Teil von etwas zu sein, das sich viel größer anfühlt als man selbst. Im Alltag kann es manchmal entmutigend sein, zu sehen, wie wenig Fortschritte gemacht werden, aber die Teilnahme hat mir geholfen zu verstehen, dass dies die Situationen sind, in denen wirkliche Veränderungen entstehen, indem wir uns der Macht bewusst werden, die wir alle gemeinsam haben, wenn wir uns für ein gemeinsames Ziel zusammenschließen.

Für mich war die Teilnahme an den Protesten ein Gegenmittel gegen die Hoffnungslosigkeit, etwas so Belebendes, dass ich es kaum beschreiben kann. Nach dieser Konferenz fühle ich mich konzentrierter, bin optimistisch für die Zukunft und verstehe besser, welche Veränderungen möglich sind und woher sie kommen werden.“

Beteilige Dich am Kampf gegen den Klimawandel, die Unterdrückung und den Kapitalismus – schließe Dich noch heute der ISA an!

Wütende Proteste in Glasgow gegen die COP26

Sarah Moayeri

Am Wochenende beteiligte sich die ISA (International Socialist Alternative) an den Mobilisierungen rund um den UN-Klimagipfel. Während prokapitalistische Politiker*innen sich wieder einmal für ein “Blah Blah Blah” (Greta Thunberg) trafen und Maßnahmen besprochen haben, die nicht einmal ansatzweise das Problem lösen werden, haben die Demonstrant*innen gezeigt, dass wir kein Vertrauen in diese leeren Versprechen haben dürfen. Hunderte ISA-Mitglieder sind nach Schottland gereist, um sozialistische Ideen in die Demonstrationen zu tragen, darunter auch eine Delegation der SLP aus Österreich. 

Wir haben vor der Anreise am Donnerstag noch bei den Warnstreiks der Metaller*innen interveniert und unsere Solidarität zum Ausdruck gebracht, hier geht es zu unserem Flugblatt und einem Bericht: https://www.slp.at/artikel/warnstreiks-im-metallbereich-streiks-ausweite...

Am Freitag organisierte Fridays for Future einen Schulstreik in Glasgow, an dem wir uns mit einem großen Block beteiligten, während ein anderer Teil der ISA-Mitglieder in Edinburgh blieb, um auch dort eine Demonstration zu organisieren. Schon im Vorfeld hatte die ISA in Edinburgh und Glasgow für die Proteste mobilisiert und dabei auch neue Mitglieder für den Aufbau einer Sektion in Schottland gewonnen. Am Samstag fand die Großdemonstration statt, bei der wir einen der größten Demo-Blöcke organisiert haben, mit kämpferischen Slogans und politischen Reden. Wir haben betont, dass die Klimabewegung auf die Arbeiter*innenklasse orientieren muss, denn wir dürfen nicht bei Schulstreiks stehen bleiben, sondern müssen durch Arbeitskämpfe den größtmöglichen ökonomischen Druck aufbauen. Die Herrschenden wollen uns erzählen, dass es einen Widerspruch zwischen Arbeitsplätzen und Klimaschutz gäbe, aber das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen für den Erhalt aller Arbeitsplätze durch nachhaltige Jobs, den Ausbau vom öffentlichen Verkehr usw. kämpfen, die Gewerkschaften müssen dafür in die Offensive kommen. Wir haben auch betont, dass die Klimabewegung demokratisch organisiert sein muss, um ihre Methoden und ihr Programm zu diskutieren. Es braucht Basisstrukturen in Schulen, Universitäten, Betrieben und eine Diskussion darüber, wie wir wirklich gewinnen können. Denn es ist schon längst klar, dass Appelle an die Politik nicht ausreichen. Die Ursache für den Klimawandel ist das kapitalistische System, das auf Profitmaximierung und nicht auf den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt basiert. Wir müssen deshalb die Schlüsselindustrien verstaatlichen und unter demokratische Kontrolle und Verwaltung bringen, um die Wirtschaft ökologisch umwandeln zu können. Denn wir können nicht kontrollieren, was uns nicht gehört. Deshalb braucht es den Kampf um eine demokratische Planwirtschaft - eine sozialistische Alternative. Diese Ideen sind auf enorm große Zustimmung gestoßen, besonders unter Jugendlichen. 

Wir haben uns auch am Gewerkschaftsblock beteiligt und unsere Solidarität mit den Streiks, die in den letzten Wochen in Glasgow stattgefunden haben ausgedrückt. Streikende Arbeiter*innen des öffentlichen Nahverkehrs und der Abfallentsorgung haben sich zum Teil den Protesten angeschlossen. Am Freitag hat eine Genossin der ISA aus Nordirland, die Gewerkschaftsaktivistin bei Unite Hospitality (Gastronomie) in Nordirland ist, auf der Hauptbühne sprechen können und hat als einzige konkrete Vorschläge gemacht, wie die Klimabewegung weiter kommen kann. Sie hat auf die Zentralität der Arbeiter*innenklasse hingewiesen und die Notwendigkeit von einer sozialistischen Alternative betont. Durch ihre Rede und unseren starken Demo-Block haben wir den Protesten einen politisch wichtigen Stempel verliehen: Auch die bürgerlichen Medien mussten von einem starken antikapitalistischen Profil der Proteste sprechen.

Für ISA-Mitglieder war es ein hoch politisches und lehrreiches Wochenende. Denn wir haben nicht bei den Demonstrationen aufgehört. Wir haben Freitag Abend in Workshops über den USA / China Konflikt, sozialistischen Feminismus, den IPCC Bericht und die nationale Frage in Schottland diskutiert und am Samstag Abend mit einer öffentlichen Veranstaltung das Wochenende abgeschlossen. Über 200 Menschen haben an der Veranstaltung teilgenommen, darunter 50 (Noch)Nicht-ISA Mitglieder. Redner*innen und ISA-Mitglieder aus der ganzen Welt, aus China/Hong Kong, den USA, Irland, Schottland, Brasilien und Belgien haben über den Kampf gegen Kapitalismus und Klimawandel gesprochen. Einen ausführlichen Bericht über die Veranstaltung werden wir in den nächsten Tagen hier veröffentlichen.

Die Intervention der ISA in die COP26 Proteste war ein großer Schritt für den Aufbau der revolutionären Kräfte in unterschiedlichen Ländern. Einige interessierte Menschen, die mit uns nach Glasgow gefahren sind und an den Protesten teilgenommen haben, haben sich entschieden der ISA beizutreten. Angesichts der katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels und den vielen anderen Auswirkungen des verrotteten kapitalistischen Systems ist der Kampf um eine sozialistische Welt dringender denn je. Melde auch du dich bei uns, wenn du Teil dieses Kampfes werden willst!

Mehr Bilder, Videos und Berichte von den Protesten findet ihr auf den Kanälen der International Socialist Alternative (ISA):

www.internationalsocialist.net

www.facebook.com/InternationalSocialistAlternative

www.instagram.com/international.socialist.alt

www.youtube.com/c/ISA-vid

Aufbau der Internationalen Sozialistischen Alternative!

Aufbau der Internationalen Sozialistischen Alternative!
SLP Bundesleitung

Die SLP ändert ihren Namen in Internationale Sozialistische Alternative (ISA). Hier erklären wir, was für eine Organisation wir weiterhin aufbauen und warum wir unseren Namen ändern.

Klimakrise, Rassismus, Sexismus oder die wachsende Ungleichheit: Der Kapitalismus ist unfähig, uns eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Aber immer mehr erkennen die zerstörerische Wirkung dieses Systems und kämpfen dagegen. Das zeigen u.a. die beeindruckenden Bewegungen in Myanmar, Iran, Kolumbien, USA... Auch in Österreich gibt es Proteste gegen Umweltzerstörung, Gewalt an Frauen und für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Sozialbereich. Doch selten gewinnen diese Bewegungen.

Das wirft die Frage auf: Wie organisieren, um die Welt tatsächlich zu verändern? Die vielen Krisen im Kapitalismus machen klar: Kleine Veränderungen reichen nicht! Es braucht einen grundsätzlichen Bruch mit diesem System. Arbeiter*innen und Jugendliche müssen Wirtschaft und Gesellschaft demokratisch verwalten und kontrollieren. Wir kämpfen für jede unmittelbare Verbesserung, auch weil dadurch die Grundlage für ein anderes System gelegt wird. Ein Streik für höhere Löhne z.B. zeigt, dass Chefs und Staat auf der anderen Seite stehen, die Streikenden lernen die Kraft von Solidarität und Arbeiter*innenklasse kennen. So können konkrete Kämpfe und eine Systemalternative verbunden werden. Die Aufgabe einer sozialistischen Organisation ist es nicht nur, zu kommentieren, sondern die kämpferischsten Teile aus Arbeiter*innenklasse, Jugend und sozialen Bewegungen um ein Programm für so eine sozialistische Alternative zu sammeln. Eine Organisation, deren Mitglieder in allen Kämpfen gegen Unterdrückung und Ausbeutung aktiv sind und dazu beitragen, sie zu gewinnen. Das braucht Schulung anhand von marxistischer Theorie und den Erfahrungen der Arbeiter*innenbewegung sowie Diskussionen über politische Entwicklungen und Prioritäten sowie ein gemeinsam geplantes Handeln, um die Organisation schlagkräftig zu machen.

Sowohl die Diskussionen als auch der Kampf gegen dieses System können nicht auf Nationalstaaten begrenzt sein - der Kapitalismus ist ein internationales System und muss international bekämpft werden. Das haben auch die Aktivist*innen der Klimabewegung, der feministischen Bewegung, aber auch der Arbeitskämpfe im Gesundheits- und Sozialbereich oder gegen internationale Konzerne wie Amazon erkannt. Deshalb sind wir Teil der internationalen Organisation ISA mit Gruppen in über 30 Ländern auf allen Kontinenten. 

So eine Organisation macht den Unterschied. Die Bolschewiki in Russland hatten sich eine Basis in der russischen Arbeiter*innenklasse erarbeitet und das Programm, um die Klasse im entscheidenden Moment zum Sieg zu führen. Die stalinistische Entwicklung der Sowjetunion ist keine Folge davon, sondern steht im Widerspruch zu Ideen und Methoden der Bolschewiki. Unzählige Revolutionen sind aufgrund des Fehlens einer solchen Kraft gescheitert.

So eine Partei macht auch den Unterschied in alltäglichen Kämpfen. Z.B. hat unsere irische Schwesterorganisation eine zentrale Rolle dabei gespielt, eine Massenbewegung aufzubauen, um die unsoziale Wassersteuer zu Fall zu bringen und das Recht auf Abtreibung zu gewinnen. In Seattle erkämpfte unsere Schwesterorganisation den ersten 15$ Mindestlohn und Siege gegen Amazon. Auch in Österreich haben wir eine wichtige Rolle bei Streiks und Protesten im Gesundheits- und Sozialbereich und bei der Organisation des 8. März und der Pride in Linz, beim Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch sowie gegen Rechtsextreme und Faschist*innen, wie z.B. in Vöcklabruck. 

So eine Partei unterscheidet sich fundamental von allen anderen Parteien und Organisationen. Alle etablierten Parteien sind fest im System verankert und betreiben Politik für Banken und Konzernen. Aber wir unterscheiden uns auch grundsätzlich von Organisationen wie der KPÖ oder Links. Die Wahlerfolge der KPÖ in Graz und anderer linker Listen sind positiv. Aber so wichtig eine linke Alternative am Stimmzettel auch ist, sind Wahlparteien kein Ersatz für Organisierung und den Aufbau von Klassenkämpfen und sozialen Bewegungen. Ohne Verbindung von konkreten Kämpfen mit einer sozialistischen Alternative stoßen diese Formationen schnell an ihre Grenzen - Syriza, Podemos und Die Linke zeigen das.

Diesen Charakter unserer Partei soll auch unser Name ausdrücken. Wir sind keine “linkere SPÖ” oder “eine Partei, die auch so werden will wie die anderen”. Unser neuer Name “Internationale Sozialistische Alternative” verdeutlicht die internationale Dimension unseres Kampfes und macht klar: Uns gibt es nicht nur für kleinere Reformen oder um ein linkes Feigenblatt für das bestehende System zu sein, sondern um die tagtäglichen Kämpfe der Arbeiter*innenlasse bestmöglich zu organisieren und mit dem Kampf um eine andere Gesellschaft zu verbinden. Unser Ziel ist eine Organisation, die in den kämpferischsten Schichten der Arbeiter*innenklasse und Jugend verankert ist und in konkreten Kämpfen den Unterschied macht. Angesichts der internationalen Krise des Kapitalismus und des Widerstandes dagegen ist jetzt die Zeit, um sich an diesem Aufbau zu beteiligen - mach mit!

 

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Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Nigeria: ISA Mitglied angeschossen

Movement for a Socialist Alternative - Nigeria - verurteilt den Beschuss von friedlichen Protestierenden beim Hauptquartier Nigerian Petroleum Development Company in Benin City - Presseaussendung

Auch ein Jahr nachdem die End SARS Proteste Nigeria erschütterten und weltweit (auch in Österreich) Menschen gegen die Gewalt der nigerianischen Polizei und des Buhari Regimes auf die Straße gingen, ist diese immer noch zentrales Herrschaftsmittel der Herrschenden. Im folgenden veröffentlichten wir einen Artikel und eine Stellungnahme unserer nigerianischen Schwesterorganisation, Movement for a Socialist Alternative (MSA) 

Keine vier Tage nachdem sie von der am Wochenende zuvor abgehaltenen Bundeskonferenz des MSA in Lagos auf ihren Kampus zurückgekehrt war, nahm unsere Genossin Juliana Martins an einer friedlichen Demonstration in Benin City teil. Auf dieser forderten Studierende ihre Stipendien und Unterstützungspackete, welche aufgrund ihrer Teilnahme an einem Petrolium Industrial Act (PIA) workshop fällig waren. Das Management der Nigerian Petroleum Development Company (NPDC) unter Ali Muhammad Zarah weigerte sich Berichten zufolge, die gegenüber den Studierenden gemachten Versprechen einzuhalten, was zu den Protesten führte. Auf der friedlichen Demonstration, über die von mehreren Medien landesweit berichtet wurde, eröffnete ein schießfreudiger Polizist des Edo State Commands - später als Kommissar Emmanuel identifiziert - das Feuer auf die Protestierenden und schoß unsere Genossin Juliana an. Juliana ist eine 400 level Massenkomunikationsstudentin der Universität von Benin in Benin City. Seit ihrem Beitritt war sie aktives Mitglied der MSA.  Am Kongress trug sie zur Diskussion bei und versprach, in ihrer Ortsgruppe noch aktiver zu werden. Wir wollen die Möglichkeit nutzen, um zur Solidarität aufzurufen und um Briefe, in denen die Aktion des NPDC und der Polizei verurteilt werden, zu bitten. Dazu geben wir die folgenden Namen und Adressen der zu verurteilenden Beteiligten bekannt und fordern eine umfassende medizinische Behandlung, die sie von all ihren Narben - physisch und psychisch - befreien würde, sowie einen fälligen Schadensersatz für diese. Diesbezüglich haben wir eine Stellungnahme verfasst. Diese verlangt nach einer Untersuchungskommission, an welcher Studierende beteiligt sind, um den Fall zu untersuchen und den schießfreudigen mit dem Konzern verbundenen  Polizeimann - identifiziert als Kommissar Emmanuel - zur Rechenschaft zieht.

29. Oktober öffentliche Stellungnahme: MSA verurteilt das Feuer auf friedliche Protestierende am NPDC Hauptquartier, Benin City.

Wenige Tage nach dem Gedenken an das Massaker an friedlichen Protestierenden am Lekki Toll Gate durch die Regierung (in Lagos im Zuge der End Sars Proteste 2020 Anm.) haben die Fälle von Polizeigewalt und militarisierten Angriffen auf die Bevölkerung nicht nachgelassen. Traurigerweise wurde eine unserer Genoss*innen, Juliana Martin, angeschossen und wird zur Zeit im Militärspital in Benin behandelt.Bei dem Vorfall, welcher sich beim Hauptquartier der Nigerian Petroleum Development Company (NPDC) in Benin City ereignete, wurden friedliche Protestierende des Niger Delta Student Union Government und des Ijaw Youth Council von der Polizei unter Beschuss genommen. Laut Polizeibericht verlangten die Protestierenden eine bessere soziale Absicherung, nachdem das Firmenmanagement seine Versprechen nicht einhielt. Das MSA betrachtet diesen Akt der Polzei und des NPDC Managements als eine Verletzung des Rechts auf Leben und des demokratischen Rechts, sich an friedlichen Protesten zu beteiligen. Traurigerweise zeigte dies, dass in einem angeblich demokratischen Land die Rechte unschuldiger, armer, arbeitender Bürger*innen nicht garantiert sind. Und es wirft die Frage von Demokratie in einem System, welches scheinbar darauf aufgebaut ist, Profit aus jenen die fast nichts haben herauszupressen und folglich die Staatsmaschinerie einzusetzen um deren Agitation zu unterdrücken auf. Berichten zufolge waren die meisten Protestierenden aus der Gemeinschaft des Niger Deltas und verhielten sich friedlich ohne jegliche Provokationen. Ist dies jedoch die "neue Ordnung" von Firmenführung des Petroleum Industrial Acts 2021? Müssen Nigerianer*innen nun  ungezügelte Herrschaft und Verwendung von Terror von Seiten der Regierung im Zuge ihrer Initiative zur Schaffung eines Konzernfreundlichen Umfeldes erwarten? Ist die NPDC nicht so gefestigt, dass sie die Bedürfnisse der Menschen aus dem Niger Delta erfüllen kann und sind Studierende nicht Teil davon? Was versteckt die NPDC, etwa dass Gelder missgemanaged oder abgezweigt wurden und nun soziale Bedenken weg von ihrem Radar sind? Das MSA verlangt, dass die NPDC Rechenschaft über diesen besonderen Vorfall ablegt und Ali Muhammad Zarah zur Verantwortung für dieses schreckliche und zu verurteilende Ereignis gezogen wird. Wir bestehen auf einer Untersuchungskommission, deren Teil Studierende sind, um den Vorfall zu untersuchen und alle in dieses Verbrechen Involvierten zur Rechenschaft zu bringen. Wir freuen uns darauf, dass ihr Medienunternehmen über dieses Ereigniss berichten. Danke für Ihre Anteilnahme. Mit solidarischen Grüßen Dagga Tolar

Generalsekretär MSA.

Sudan: Generäle ergreifen die Macht – Revolution und Konterrevolution auf der Straße

Serge Jordan, International Socialist Alternative (ISA)

Dieser Artikel erschienen am 26. Oktober 2021 zuerst auf der Website der International Socialist Alternative (ISA), der die SLP angehört: https://internationalsocialist.net

“Millionen von leidenden Arbeiter*innen, Jugendlichen, Frauen und Unterdrückten wollen einen Sudan ohne Gewalt und Armut, während die Generäle und Warlords, die das Land beherrschen und plündern auf die Gelegenheit warten, noch stärker zurückzuschlagen um ihre Macht und ihre Profite zu sichern.” — aus einer Stellungnahme der ISA, Juni 2021

Montagmorgen eskalierte der seit Monaten schwelende Konflikt zwischen den Militärs und den zivilen Vertreter*innen im „Souveränen Rat“ des Sudan, der seit 2019 als kollektives Staatsoberhaupt amtierte. Die Armeeführung organisierte einen Putsch, rief den Ausnahmezustand aus, löste den Rat auf und verhaftete Premierminister Abdalla Hamdok und seine Regierung sowie die Vorsitzenden mehrerer die Regierung unterstützender Parteien. Der Flughafen von Khartoum und die Zentrale der staatlichen TV- und Radiosender wurden vom Militär besetzt, das Internet und Handynetze abgeschaltet.

Hinter dem Konflikt zwischen Zivilist*innen und Militärs steckt ein tieferer Widerspruch zwischen den revolutionären Hoffnungen von Millionen Sudanes*innen und der Konterrevolution, die die Generäle verkörpern. Die tiefe Krise der sudanesischen Wirtschaft und die gesellschaftliche Polarisierung, die durch das Ausbleiben von Veränderungen nach der Revolution 2018/19 entstanden führte zu wachsendem Druck auf die prekäre Koexistenz zwischen den zivilen Führer*innen und den Generälen. Durch eine Reihe von Massenmobilisierungen in den letzten Monaten kam es zum offenen Bruch. Der zivile Block (bekannt als „Kräfte für Freiheit und Wandel“, FFC) brach auseinander, eine Gruppe von Parteien und bewaffneten Bewegungen, die früher in Darfur gegen das Regime von Omar al-Bashir gekämpft hatten, wendeten sich dem Militär zu.

Außerdem war ursprünglich geplant, dass der Vorsitz im Souveränen Rat im November von einem Militärvertreter auf einen Zivilisten übergeht. Der Putschführer General Abdel Fattah al-Burhan und seine Kameraden sahen dadurch ihre Macht und ihr Ansehen in Gefahr und fürchteten, dass die Massen das Militär aus dem Staatsapparat entfernen und Gerechtigkeit fordern könnte, etwa für die Opfer des Massakers vom 3. Juni 2019, als der damals herrschende Militärrat hunderte von revolutionären Protestierenden im Zentrum der Hauptstadt Khartoum abschlachten ließ. Letztlich ergreift die Armee die alleinige Macht aus Angst vor einer neuen sozialen Explosion und zur Verteidigung ihrer Privilegien.

In einem im Juni veröffentlichten Artikel schrieb die ISA, dass „Millionen von leidenden Arbeiter*innen, Jugendlichen, Frauen und Unterdrückten einen Sudan ohne Gewalt und Armut [wollen], während die Generäle und Warlords, die das Land beherrschen und plündern auf die Gelegenheit warten, noch stärker zurückzuschlagen um ihre Macht und ihre Profite zu sichern.“ Dieser Moment, der lange vorbereitet wurde ist gekommen.

Die Massen leisten Widerstand

In der Morgendämmerung, sobald sich die Nachricht vom Putsch verbreitete, begann der Widerstand auf den Straßen. Oft von örtlichen „Widerstandskomitees“ organisiert, brachen in der Hauptstadt Khartoum, in Omdurman und vielen anderen Städten Proteste gegen den Putsch aus. Jugendliche begannen in ihren Stadtteilen mit dem Bau von Barrikaden und zündeten Reifen an. Der wichtigste Sprechchor auf den Straßen lautet „Es gibt kein Zurück!“, wie Satti berichtet, ein ISA-Unterstützer der an den Demonstrationen in Khartoum teilnimmt.

In den letzten Monaten sind die Menschen im Sudan verstärkt auf die Straßen gegangen, um ihre Reveolution gegen die spürbare Putschgefahr zu verteidigen. Seit einigen Wochen hatte al-Burhan – einst ein loyaler, blutiger Henker im Dienst al-Bashirs – offen gefordert, die zivile Regierung aufzulösen. Mit einem ersten, abgebrochenen Putschversuch am 21. September wurde die Bedrohung konkreter. Als Reaktion auf diesen Angriff einer Gruppe von Anhänger*innen des alten Regimes hatte es in verschiedenen Bundesstaaten Demonstrationen gegeben, darunter in al-Dschazira, Nordkordofan, al-Bahr al-ahmar und al-Qadarif. Seit Mitte Oktober hatten Anhänger*innen des Militärs den Platz vor dem Präsidentenpalast in Khartoum besetzt und die Armee zum Putschen aufgefordert.

Am 21. Oktober zeigten dann nach einer Reihe von Provokationen die Massen ihre revolutionäre Energie. Hunderttausende demonstrierten im ganzen Land mit der Forderung nach einer zivile Regierung, einer der größten Proteste gegen das Militär seit dem Sturz al-Bashirs. Es war auch der Jahrestag des revolutionären Generalstreiks, mit dem 1964 das Militärregime von General Ibrahim Abbud gestürzt wurde, der sich kurz nach der Unabhängigkeit 1956 an die Macht geputscht hatte.

Seit der Unabhängigkeit gab es im Sudan drei längere Phasen der Militärdiktatur, jeweils unterbrochen durch prekäre und kurzlebige Perioden die als „Übergangs zur Demokratie“ bezeichnet wurden. Diese demokratischen Intermezzos zwischen offen tyrannischen Regimes waren selbst durch immer wieder aufflackernde Repression durch staatliche Kräfte und schwere Einschränkungen demokratischer Rechte geprägt.

Der aktuelle Putsch ist eine schreckliche Erinnerung an eine Lehre, die in der Geschichte des Landes immer wieder bewiesen wurde: dass es nicht möglich ist, „Demokratie“ aufzubauen ohne die bestehende Wirtschaftsordnung zu beseitigen, in der Millionen extrem ausgebeutet und in Armut gestürzt werden. Der Kapitalismus, der im Sudan stark vom Militär und der gefürchteten Miliz „Schnelle Eingreiftruppe“ (RSF) geprägt ist, die ganze Branchen beherrschen, bietet keine Grundlage für demokratische Rechte und erst recht nicht für ein Leben in Würde für Alle.

Seit die Corona-Pandemie zu einer neuen Krisenphase für den globalen Kapitalismus geführt hat bröckelt der demokratische Anstrich des Regimes an allen Ecken. Ein deutliches Beispiel ist die Rückkehr der Militärputsche und autoritären Staatsstreiche in Afrika im letzten Jahr, darunter zweimal in Mali, einmal im Tschad, einmal in Tunesien und ein gescheiterter Putsch in Niger im März.

Opposition

Am Montag riefen Führer*innen verschiedener Parteien die sudanesische Bevölkerung auf, gegen den Putsch auf die Straße zu gehen. Das ist schön und gut, und viele Protestierende waren schon vor den Aufrufen ihrer Führer*innen aktiv geworden. Es gibt ein gesundes Misstrauen gegenüber Führer*innen, die das Blut der Märtyrer*innen verkauft hatten indem sie den revolutionären Kampf in die Sackgasse einer Partnerschaft mit der mörderischen Militärjunta führten. Premierminister Hamdok, der jetzt unter Hausarrest steht, kritisierte letzten Monat die „Reste des ehemaligen Regimes, die versuchen den Übergang zur Demokratie zu stoppen“. Aber er selbst führte seit fast zwei Jahren eine Regierung, die verzweifelt versuchte Kompromisse mit diesen „Resten“ zu schließen.

Die Massenbewegung, die sich gegen den Putsch entwickelt hat sollte natürlich die sofortige Freilassung alle zivilen Führungspersonen und Minister*innen fordern – und der hunderten von Protestierenden, die seit Montagmorgen verhaftet wurden. Aber die Schäden, die die kurzsichtige Strategie dieser Politiker*innen angerichtet hat, die versucht haben sich politisch mit der alten herrschenden Klasse zu arrangieren statt auf den revolutionären Kampf zu vertrauen müssen als solche erkannt werden.

Die Kompromissler*innen der FFC sahen im Machtteilungsabkommen mit der Militärführung eine Möglichkeit, die revolutionären Demonstrant*innen mit dem Staatsapparat zu versöhnen. Nachdem sie zu lange versucht haben, die Massenbewegung zu befrieden rufen sie sie jetzt aus politischem Selbsterhaltungstrieb zu Hilfe.

Ihre Wirtschaftspolitik war objektiv im Interesse der kapitalistischen herrschenden Eliten und der Institutionen des Imperialismus. Sie haben harte Austeritätsmaßnahmen eingeführt, Subventionen abgeschafft und staatliche Leistungen weiter ausgehölt. Damit zieht sich die Schlinge um den Hals der Arbeiter*innen und Armen weiter zu. Für die Mehrheit der Bevölkerung ist die wirtschaftliche Lage noch schlimmer geworden, Preise steigen und es herrscht Mangel an Medikamenten, Weizen und Benzin. Schätzungen zufolge wird ein Drittel der Bevölkerung bis Jahresende auf humanitäre Hilfe angewiesen sein.

Die Generäle nutzen die Rolle, die die zivilen Führer*innen und abgesetzten Minister*innen bei dieser wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe gespielt haben auf zynische Weise aus, um ihren Putsch zu rechtfertigen. Der Chef der RSF [diese Miliz wurde seit den 2000er-Jahren unter dem Namen Dschandschawid für Kriegsverbrechen in Darfur bekannt und spielt seit dem Aufstand, der zum Sturz al-Bashirs führte eine besonders brutale Rolle bei der Niederschlagung von Protesten, a.d.Ü.], General Mohamed Hamdan Dagalo (genannt „Hemedti“) erklärte, die Regierung habe „den normalen Bürger vernachlässigt“. Natürlich haben die Generäle und Warlords wie Hemedti nichts anders anzubieten als die fortgesetzte Plünderung des Landes und die Unterdrückung der Mehrheit im Interesse ihrer eigenen Bereicherung.

Aber der zivile Block und die FFS-Führung setzen dem keine ernsthafte Alternative entgegen. Deshalb ist es notwendig, ein Programm aufzustellen das mehr umfasst als die Forderung nach „ziviler Regierung“ – worunter manche einfach die Rückkehr der ungewählten bürgerlichen Minister*innen an die Macht verstehen könnten – um die Basis der revolutionären Bewegung zu verbreitern und sie attraktiver zu machen. Letztlich verläuft die wichtigste Grenze nicht nur zwischen Zivilist*innen und Generälen, sondern zwischen denen die vom Kapitalismus ausgebeutet und zerquetscht werden und denen, die davon profitieren – ob mit Uniform oder ohne Alternative.

Das ganze vom westlichen Imperialismus unterstützte politische Konstrukt, das nach dem Sturz al-Bashirs geschaffen wurde, um auf den Fundamenten des alten Unterdrückungsapparats und der ökonomischen Ausbeutung eine demokratische Fassade zu errichten liegt in Trümmern – ebenso wie die Strategie der zivilen Führer*innen, die jetzt am eigenen Leib die Konsequenzen ihrer zweijährigen Versuche erfahren, die Revolution mit der Konterrevolution zu versöhnen.

Direkt nach dem Abschluss des Machtteilungsabgkommens im Sommer 2019 betonte die ISA, dass die alte herrschende Klasse die Krise letzten Endes auf ihre Art lösen würde, wenn die sudanesische Arbeiter*innenklasse und die Masse der Bevölkerung die Macht nicht in die eigenen Hände nehmen und sie enteignen würden. Wir rechneten damit, dass sie „auf einen Militärputsch oder ‚neue 3. Junis‘, vielleicht in größerem Umfang [zurückgreifen]“ würden. Diese Gefahr ist heute noch größer geworden. Im Moment setzt der massenhafte Widerstand in den Straßen des Sudan den repressiven Zielen der Generäle gewisse Grenzen. Aber schon jetzt wurden einige Demonstrant*innen erschossen, die Putschführer prüfen die Bedingungen für größere Angriffe. In manchen Gebieten, etwa in Darfur, hat die Gewalt nie wirklich aufgehört. In einem Konflikt, für den zu einem großen Teil die Herrschenden in Khartoum verantwortlich sind wurden hunderte Menschen getötet und hunderttausende vertrieben.

Auf die Sprache nackter militärischer Gewalt kann man nur in der Sprache revolutionärer Massenaktionen und kollektiver Selbstverteidigung antworten. Es sollten sofort im ganzen Land Volksselbstverteidigungskomitees gegründet werden, um die Angriffe des Militärs abzuwehren. Die Widerstandskomitees, die das Herz der Bewegung sind sollten die Selbstverteidigung planen und koordinieren. Es ist notwendig, die unteren Ränge der Armee, die von ihren Vorgesetzten für die Drecksarbeit eingesetzt werden und von ihrem Sold ihre Familien nicht ernähren können, aufzufordern den konterrevolutionären Generälen den Gehorsam zu verweigern und alle Verbrecher*innen, Folterer*innen, Vergewaltiger*innen und Mörder*innen in den staatlichen und paramilitärischen Kräften zu entwaffnen.

Eine breite Beteiligung der Arbeiter*innenbewegung ist entscheidend, denn sie kann der Militärjunta die Profite und die Handlungsfähigkeit nehmen. Es gibt Berichte über Streiks von Ärzt*innen, Bergarbeiter*innen und den Beschäftigten der Zentralbank des Sudan, sie sind wichtige Schritte in diese Richtung. Die Aufrufe zum Generalstreik von der SPA und der Kommunistischen Partei des Sudan sollten daher unterstützt werden.

Aber um den stärksten Widerstand gegen den Putsch aufzubauen, muss innerhalb der Bewegung ein Programm vertreten werden, das die Arbeiter*innen, armen Bäuer*innen, arbeitslosen Jugendlichen und unterdrückten Gemeinschaften wirklich anspricht. Forderungen nach der Wiederherstellung aller demokratischen Rechte, der sofortigen Freilassung aller Demonstrant*innen und politischen Gefangenen, dem Ende des Ausnahmezustands und der Verhaftung der Putschführer sollten mit einem radikalen Programm für eine soziale Revolution verbunden werden – einer Revolution, die das Elend, Arbeitslosigkeit und tägliche Existenzangst beenden kann, unter der so viele Sudanes*innen leiden.

Die Ressourcen des Landes, die von einer Clique korrupter und gewalttätiger Gauner*innen beherrscht werden, sollten im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung öffentlich verwaltet, kontrolliert und geplant werden. Um das zu erreichen, könnte die Bewegung die Verstaatlichung der Investmentfirmen, Goldminen und anderer Unternehmen die dem Militär und der RSF gehören unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter*innen fordern; die vom IWF geforderten Austeritätspläne ablehnen und die Nichtanerkennung der Staatsschulden fordern; die Enteignung der Großgrundbesitzer*innen und eine umfassende Landreform zugunsten armer Bäuer*innen; Maßnahmen zur Begrenzung von Preisen und die Verteilung von Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern durch Basiskomitees; die Streichung der enormen Militär- und Sicherheitsausgaben und massive staatliche Investitionen in Infrastruktur, Gesundheit und Bildung; für gleiche Rechte für alle Völker, einschließlich dem Recht auf Selbstbestimmung für alle unterdrückten Gruppen in Darfur, Südkordofan und den Nuba-Bergen.

Weil die offiziellen zivilen Führer*innen ihre Unfähigkeit und ihren Unwillen, mit dem Kapitalismus zu brechen gezeigt haben müssen die Arbeiter*innen, die armen Massen und die revolutionäre Jugend ihre eigene, unabhängige politische Organisation aufbauen, um ein solches Programm durchzuführen. Sie werden auch die volle Unterstützung und Solidarität der internationalen Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung brauchen, die eine wichtige Rolle dabei zu spielen hat den heroischen Widerstand gegen den Militärputsch zu stärken.

Nieder mit dem Putschregime! Es gibt kein zurück – vorwärts zu einem freien, sozialistischen und demokratischen Sudan!

Brasilien: Die "Partido Socialismo e Liberdade" (PSOL) steht vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte

Die "Partido Socialismo e Liberdade" (PSOL) in Brasilien hat gerade ihren 7. Nationalkongress abgeschlossen. "Liberdade, Socialismo e Revolução" (LSR) - die brasilianische Schwesterorganisation der SLP - nahm teil.
Marcus Kollbrunner, Delegierter der LSR auf dem Kongress

Dieser Artikel erschienen am 7. Oktober 2021 zuerst auf der Website der International Socialist Alternative (ISA), der die SLP angehört: https://internationalsocialist.net

Der Siebte Bundeskongress der "Partido Socialismo e Liberdade" (PSOL) fand vom 24. bis zum 26. September im Zeichen der Pandemie statt, inmitten einer komplizierten politischen Lage. Die Situation ist gekennzeichnet durch den sich entwickelnden Kampf gegen die völkermordende, rechtsextreme Regierung Bolsonaro, in welchem die Arbeiter*innenklasse noch nicht entschieden in das Kampfgeschehen eingegriffen hat. Dies hat zu einer Reihe von Debatten innerhalb der Partei und in deren Folge zu Neuausrichtungen geführt.

Wegen der Pandemie musste der Kongress virtuell stattfinden. Das schränkte die Debatte in vielerlei Hinsicht ein. Bei den Wahlen vor Ort für die Delegierten für die Landeskongresse, die dem Bundeskongress vorausgehen,  wuchs die Zahl der Teilnehmer*innen von 27.000 im Jahr 2017 auf jetzt 50.000. Aber an den virtuellen Debatten, die der eigentlichen Abstimmung auf dem Kongress vorausgingen, nahmen nur etwa 5.000 Teilnehmer*innen teil, also nur ein Zehntel derjenigen, die bei der Wahl der Delegierten abstimmten. Ein weiterer Nachteil war, dass durch dieses Verfahren die Debatten und die Abstimmung zeitlich voneinander getrennt wurden.

Der Grund für die Durchführung des Kongresses unter diesen schwierigen Bedingungen war die Notwendigkeit, eine neue Führung zu wählen, die die neue Zusammensetzung der Partei widerspiegelt. Guilherme Boulos und andere Aktivist*innen der "Bewegung der obdachlosen Arbeiter*innen" (MTST) sind vor kurzem der Partei beigetreten und haben dabei eine neue Strömung, Revolução Solidária (RS), gebildet, die jetzt die drittgrößte in der Partei ist. Resistência, die aus der Vereinigung der Neuen Sozialistischen Organisation (NOS) und der Bewegung für eine Unabhängige Sozialistische Alternative (MAIS), beides Abspaltungen der PSTU, hervorgegangen ist, ist eine weitere neue Strömung, die jetzt die fünftgrößte ist.

Zentrales Thema des Kongresses

Das zentrale Thema des Kongresses war die Diskussion über die Taktik in der aktuellen Situation unter der Regierung Bolsonaro und die Vorbereitung auf die Wahlen im Jahr 2022. Die Wiederherstellung der politischen Rechte des ehemaligen Präsidenten Lula infolge der Aufhebung seiner Verurteilung nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis bedeutet, dass es möglich ist, Bolsonaro bei den Wahlen zu schlagen. Auch wenn die Arbeiter*innenklasse noch nicht entschlossen gekämpft hat, hat diese Situation einen Prozess der Neuausrichtung innerhalb der Partei beschleunigt, der zu ihrer politischen Neuordnung geführt hat.

Diese neue Situation hat zu einer Veränderung der Position der LSR (ISA Brasilien) im Vorfeld des Kongresses geführt. Seit der Gründung der PSOL im Jahr 2004 haben wir argumentiert, dass es notwendig ist, einen konsequenten revolutionären Bezugspunkt zu schaffen, um das sozialistische Programm und demokratische Verfahren zu verteidigen. Wir tun dies unabhängig von den beiden größten politischen Blöcken innerhalb der PSOL - Primavera Socialista (PS) und Movimento Esquerda Socialista (MES) -, die eine Politik vertreten, die auf Wahlen ausgerichtet ist, einschließlich der Bereitschaft, Bündnisse mit "Mitte-Links"-Parteien einzugehen und Spenden von Konzernen anzunehmen.

Nach dem Kongress 2017 zeichnete sich jedoch eine Neordnung zwischen den Strömungen ab. Dies war vor allem auf das Zusammentreffen der Anführer*innen von MTST und PSOL zurückzuführen. Die MTST hat seit dem Beginn der zweiten Amtszeit von Dilma Rousseff an vorderster Front der Kämpfe in Brasilien gestanden. Dann spielte sie eine Schlüsselrolle in der Opposition gegen die rechtswidrige Regierung von Michel Temer, nachdem Dilma Rousseff ihres Amtes enthoben worden war. Die LSR unterstützte diesen Prozess, auch wenn andere oppositionelle Strömungen innerhalb der PSOL dagegen waren. Wir waren die erste Strömung, die bei Sitzungen des Parteivorstandes die Möglichkeit ansprach, Guilherme Boulos als Präsidentschaftskandidat bei den Wahlen 2018 aufzustellen.

Gleichzeitig vertraten einige der Strömungen des ehemals wichtigsten "linken" Blocks innerhalb der PSOL, beispielsweise die MES, eine sektiererische Haltung gegenüber der MTST. Die MES hatte auch eine widersprüchliche Position zum parlamentarischen Staatsstreich und der Amtsenthebung von Dilma im Jahr 2016 und unterstützte zudem die "Operation Car Wash", eine groß angelegte Anti-Korruptionskampagne unter der Leitung eines rechten Richters, die Lula ins Gefängnis brachte (wobei der Richter, der ihn inhaftierte, später Justizminister in Bolsonaros Regierung wurde).

Infolgedessen beteiligten wir uns an der Bildung eines dritten Blocks als Schritt zum Aufbau einer neuen linken Opposition in der PSOL, die später "Semente" ("Saat") genannt wurde. Dazu gehörten neben der LSR die Strömungen "Resistência", "Insurgência", "Subverta" und andere. Dennoch gab es einen Widerspruch innerhalb dieses Blocks, denn Teile von ihm fanden sich auch mit der mehrheitlich führenden Strömung "Primavera Socialista" (PS) in einem größeren Block namens PSOL de Todas as Lutas ("PSOL aller Kämpfe", PTL) zusammen. Obwohl wir damals mit der PS in einigen wichtigen Fragen übereinstimmten, wie z.B. der Notwendigkeit der Einheit mit der MTST und der Opposition gegen die "Operation Car Wash", waren wir mit ihrem Programm, ihrem politischen Ansatz für Bündnisse und die Zusammensetzung von Regierungen, und ihren Methoden der Parteidemokratie weiterhin zutiefst uneins.

Um unsere Position zu verdeutlichen, haben wir Anfang des Jahres ein Manifest veröffentlicht, das unsere Analyse der aktuellen Situation, unsere Kampftaktik und unsere wichtigsten programmatischen Punkte enthielt. Unmittelbar nach der  Veröffentlichung des Manifests gab es mit der oben genannten Wiederherstellung der politischen Rechte Lulas einen Wendepunkt in der Situation. Mit dieser Entwicklung vertieften sich unsere Differenzen mit anderen Strömungen im "Semente", da die übrigen an der Linie festhielten, dass die PSOL bei den kommenden Wahlen keine eigene Kandidatur aufstellen und stattdessen eine Front mit Lula bilden sollte, selbst im ersten Wahlgang.
Wir argumentieren, dass die PSOL bei den Wahlen ein sozialistisches Programm verteidigen muss, um einen wirklichen Weg aus der Krise aufzuzeigen und um Bolsonaro, den Bolsonarismus und das kapitalistische System, das er geschaffen hat, zu besiegen - auch wenn sie bei einer Wahl, die zwischen Bolsonaro und Lula polarisiert sein wird, wahrscheinlich unter Druck geraten wird. Denn es besteht kein Zweifel an der Natur von Lulas Vorhaben. Er will ein Bündnis bilden, das rechte Parteien einschließt, und ist bereit, bis zum Äußersten zu gehen und viele Zugeständnisse zu machen, indem er dieselbe Politik der Klassenbeschwichtigung wiederholt, die zu der gegenwärtigen Situation geführt hat. Das haben wir in seinen Reden gegen die Besteuerung der Reichen und für die (teilweise) Privatisierung der Caixa, der zweitgrößten staatlichen Bank, gesehen. Natürlich werden wir ihn beim zweiten Wahlgang unterstützen, um Bolsonaro zu besiegen, so wie wir es getan haben, als wir Haddad gegen Bolsonaro im zweiten Wahlgang 2018 unterstützt haben.

Es steht außer Frage, dass wir die Kämpfe unserer Klasse in einer Einheitsfront gegen Bolsonaro vereinen müssen, aber das ist nicht dasselbe wie die Bildung einer Wahlfront. Tatsächlich verwässern die politischen Strömungen, die diesen Ansatz unterstützen, bereits ihre Kritik an den vorherigen Regierungen der Arbeiter*innenpartei (PT) von Lula und Dilma. Dies fand sogar ein Echo in den Erklärungen von "Semente". Infolgedessen haben wir beschlossen, die politische Plattform von "Semente" nicht zu unterstützen und unsere eigene politische Plattform für den Kongress zu erstellen. Leider war es uns aus Zeitgründen nicht möglich, genügend Unterschriften zu sammeln, um unsere Plattform dem nationalen Kongress vorzulegen. In den verschiedenen brasilianischen Bundesstaaten variierte unsere Taktik, von der Erstellung gemeinsamer politischer Plattformen mit einzelnen Strömungen von "Semente" in einigen Orten bis hin zur Beibehaltung einer unabhängigen Position in anderen.

In den Diskussionen im Vorfeld des Bundeskongresses und vor allem während des Kongresses selbst schloss sich das "Semente"-Lager voll und ganz der Mehrheit der PTL an und äußerte nur wenige oder gar keine Differenzen. Sie taten das sogar bei Themen, bei denen Semente in der Öffentlichkeit bereits eine andere Position vertrat, z.B. bei der Opposition gegen die Beteiligung der PSOL an den Stadtregierungen der PT in Diadema und Maua im Bundesstaat São Paulo oder an einer zukünftigen Regierung Lula. Unser Abstimmungsverhalten entsprach unseren Positionen in diesen Fragen, die fast immer den oppositionellen Anträgen entsprachen.

Beschlüsse des Kongresses

Die von der PTL vorgeschlagene Resolution zur nationalen Situation setzte die bereits erfolgte extreme programmatische Verwässerung fort. Wichtige Themen wie die Aussetzung der Schuldenzahlungen und die Prüfung der Staatsverschuldung oder die Verstaatlichung des Finanzsystems unter demokratischer Kontrolle wurden aufgegeben. Der Text beschränkt sich darauf, einen "Wiederaufbau des Landes auf anti-neoliberaler Grundlage" zu fordern, was zeigt, dass das Programm in Vorbereitung auf ein mögliches Bündnis mit der PT abgeschwächt wird. In Bezug auf die Wirtschaftspolitik ist nur von einer "progressiven Steuerreform" die Rede, ohne dass die Besteuerung großer Vermögen auch nur andeutungsweise erwähnt wird.

In dem Antrag der Opposition wurde der Schwerpunkt stärker auf den Kampf gelegt, indem die Notwendigkeit der Vereinigung der Kämpfe gegen Bolsonaro betont, aber auch die notwendige Kritik an der PT-Führung geübt wurde. Diese legt nicht den notwendigen Nachdruck auf die Notwendigkeit von Mobilisierungen, sondern bevorzugt stattdessen die Taktik, Bolsonaro so lange "ausbluten" zu lassen, bis er bei den Wahlen besiegt werden kann. Darüber hinaus enthielt sie konkretere programmatische Forderungen, darunter "Nieder mit Bolsonaro und Mourão", ein Soforthilfepaket in Höhe des Mindestlohns, Widerstand gegen Angriffe und Repression, aber auch Themen wie die Staatsverschuldung und die Verstaatlichung des Finanzsystems unter öffentlicher Kontrolle.

In der von der PTL vorgeschlagenen Resolution zu den Wahlen wird argumentiert, dass die PSOL keine eigenständige Kandidatur aufstellen sollte, sondern dass die Taktik von einer Wahlkonferenz festgelegt werden soll. Diese wäre aber in Wirklichkeit nur ein Treffen der nationalen Führung unter einem anderen Namen, während die PSOL in der Vergangenheit große Wahlkonferenzen mit gewählten Delegierten abgehalten hat. Zudem liegt die Betonung auf dem Aufbau einer "Wahlfront der Linken", d.h. "mit der PT". Im Text heißt es außerdem: "Wir wollen nicht einfach eine Regierung der 'nationalen Rettung': Wir wollen eine linke Regierung". Diese Formulierung wirft natürlich die Frage nach der Beteiligung an einer PT-geführten Regierung auf. Welche andere Alternative gäbe es, wenn die PSOL nicht für das Präsidentschaftsamt kandidiert? Auf nationaler Ebene wird diese Frage noch nicht gestellt, obwohl es einen entsprechenden Druck geben wird, wie wir bereits in einigen lokalen Regierungen gesehen haben.

In der Resolution der Opposition hingegen wird das Recht des Kongresses verteidigt, seine eigene Kandidatur vorzuschlagen: "In diesem Sinne beschließt der Kongress, dass die Partei in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2022 eine eigene Kandidatur aufstellen wird. Heute wird der Name des Genossen Glauber Braga als Vorkandidat für die Präsidentschaft zur Debatte auf dem nächsten Wahlkongress der Partei vorgestellt, der das Programm und den Namen unseres Kandidaten für die Präsidentschaft der Republik festlegen soll." Obwohl die LSR den Namen des Abgeordneten Glauber Braga nicht ausdrücklich befürwortet, hat seine Vorkandidatur wichtige programmatische Punkte angesprochen. Aber die Frage einer PSOL-Kandidatur im ersten Wahlgang war für uns eine zentrale Frage. Deshalb haben wir für diese Resolution gestimmt.

Darüber hinaus legte die Opposition eine Beschlussvorlage vor, in der sie den Standpunkt vertrat, dass die PSOL sich nicht an einer eventuellen Lula-Regierung beteiligen sollte, was wir auch in unserem Manifest vertreten. Die PTL legte eine Resolution vor, die das Thema bewusst verschleierte, nämlich "die Position zu bekräftigen, sich nicht an Regierungen rechter Parteien zu beteiligen oder so eine Beteiligung anzustreben, und auch nicht an Regierungen, die Angriffe auf Arbeiter*innen fördern und die liberale/konservative Tagesordnung und/oder autoritäre Aspekte reproduzieren". Das ist etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte.

Zum Thema Wahlkampffinanzierung legte die PTL einen guten Antrag vor, in dem sie vorschlug, dass die Partei weder Geld von Eigentümer*innen großer Unternehmen und Banken noch von Initiativen wie RenovaBR, einem liberalen privaten Fonds zur "Ausbildung" von Politiker*innen, annimmt. Die Opposition stimmte diesem Vorschlag zu, und auch wir stimmten dafür.

Nationale Führung

Aufgrund unserer Meinungsverschiedenheiten in wichtigen Fragen war es LSR natürlich nicht möglich, für den Wahlvorschlag der PTL für die nationale Führung zu stimmen. Aber obwohl wir bei den meisten Anträgen mit der Opposition gestimmt haben, haben wir uns nicht dem Oppositionsblock angeschlossen, der von der MES und Fortalecer angeführt wurde.

Dies hat mehrere Gründe. Fortalecer war bis vor kurzem mit der Primavera Socialista (PS) verbündet und stimmte mit ihr in wichtigen inhaltlichen und Bündnisfragen überein. Auch mit der MES sind wir seit langem in einer Reihe von wichtigen Fragen uneins, zum Beispiel zu Bündnissen, zur Wahlkampffinanzierung, zur "Operation Car Wash", zum Umgang mit der MTST und zu ihrer Unterstützung der bürgerlichen Politikerin Baleia Rossi als Sprecherin des Unterhauses im Kongress, um nur einige Beispiele zu nennen. Dort, wo diese Strömungen in der Mehrheit sind, bedienen sie sich oft der gleichen bürokratischen Methoden wie die PS.

Anpassungskurs führt zur Vermeidung wichtiger Debatten

Die Polarisierung der PSOL in zwei Blöcke hat nicht dazu beigetragen, das Niveau der Debatte zu erhöhen, im Gegenteil. Die Themen sind viel komplexer, als es in diesem Zweikampf zum Ausdruck kommt, wie wir im Fall des "Semente"-Lagers gesehen haben: Wichtige Debatten wurden vermieden, um die Beziehungen zum PTL-Block aufrechtzuerhalten. Dies gilt auch für die andere Seite.

Es gab eine wichtige Debatte zwischen den Positionen, in einer Reihe von Artikeln, aber die Debatten in den sozialen Medien und auf den Kongressen hatten ein sehr niedriges Niveau, was durch den virtuellen Charakter des Kongresses noch verschlimmert wurde. Manchmal glich die Diskussion eher einer Auseinandersetzung zwischen Fußballfans rivalisierender Vereine, wobei sich der Kongress-Chat in eine Gruselshow aus moralischen Anschuldigungen und Beschimpfungen verwandelte.

Angesichts dieser Situation prüften wir die Möglichkeit, einen dritten Alternativvorschlag für die Wahl der neuen Führung zu machen. Leider war dies nicht möglich, so dass wir uns bei der Abstimmung über den nationalen Vorstand der Stimme enthalten haben.

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns der Debatte enthalten haben oder dass diese beendet ist. Die nächste Zeit wird turbulent sein, nicht nur allgemein im Land, sondern auch innerhalb der Partei. Die Zeit bis zu den Wahlen und danach wird von einer neuen Welle von Krisen und Brüchen in den verschiedenen Strömungen geprägt sein, die Raum für neue Ausrichtungen eröffnen. So wie wir mit den Niederlagen von 2016 und 2018 wichtige Wendepunkte erlebt haben, wird auch die bevorstehende Zeit neue Wendungen bringen.

In gewisser Weise ist dies von Vorteil für die PSOL. Sie ist keine verknöcherte Partei; es ist möglich, dass es echte Veränderungen gibt, auch wenn diese oft als Streitigkeiten über den Apparat wahrgenommen werden.

Die nächste Zeit wird vielleicht der bisher größte historische Test für die PSOL sein, bei dem die Herausforderung darin bestehen wird, dem wachsenden institutionellen Druck zu widerstehen und das richtige Programm und den richtigen Weg zum unabhängigen Kampf unserer Klasse zu finden. Die Herausforderung wird darin bestehen, eine sozialistische Alternative aufzubauen, ausgerüstet mit einem sozialistischen und revolutionären Programm und einer Strategie, die den kommenden großen Kämpfen gewachsen ist.

 

Das "Who is who" in der PSOL:

Primavera Socialista („Sozialistischer Frühling“): größte Strömung, hat ihre Wurzeln in der kubanischen Linken, trat 2005 der PSOL bei (ein Jahr nach ihrer Gründung)

Revolução Solidária („Solidarische Revolution“): neue Strömung, die in diesem Jahr von Aktivisten der MTST („Bewegung für heimatlose Arbeiter“) gegründet wurde, drittgrößte Strömung.

Fortalecer („Stärken“): viertgrößte Strömung, einschließlich Abspaltung von MES und linken Gewerkschaftsaktivist*innen, die sich von PT (Arbeiter*innenpartei) 2005 abgespalten haben.

Movimento Esquerda Socialista („Linkssozialistische Bewegung“): zweitgrößte Strömung, in den 1990er Jahren von der PSTU abgespalten, „Morenoite“, eine der Gruppen, die PSOL gründeten.

Resistência („Widerstand“): Ergebnis der Fusion von Gruppen, die sich von PSTU ab 2016 abgespalten haben, "Morenoite", fünftgrößter Strom.

Insurgência („Aufstand“) e Subverta („Umsturz“): Sektionen der Mandelistischen „Vierte Internationale“, nahmen an der Gründung von PSOL teil.

PSTU („Vereinte sozialistische Arbeiter*innenpartei“): Morenoite-Partei

Internationale Solidarität = Praxis

Internationale Solidarität = Praxis
Dylan Pattillo

Als Reaktion auf das brutale Vorgehen gegen demokratische und Arbeiter*innenrechte hat ISA die Kampagne "Solidarität gegen Repression in Hongkong und China" gestartet. Mit dem neuen Gesetz zur nationalen Sicherheit in Hongkong hat die Repression in Hongkong und Festlandchina dramatisch zugenommen. Unsere Aktivist*innen in Hongkong, die früher offen protestieren und Kampagnen durchführen konnten, werden in den Untergrund gezwungen.

Der ehemalige Hongkonger Abgeordnete, linke Aktivist und Bündnispartner der ISA, "Long Hair" Leung Kwok-hung, bleibt wie Dutzende andere inhaftiert. Schon früher wurde er mehrfach verurteilt und muss nun mit einer lebenslangen Haftstrafe rechnen.

Wir fordern ein Ende der Unterdrückung und die Freilassung aller politischen Gefangenen in Hongkong und China und zeigen auf, was tatsächlich vor sich geht. Wer Illusionen in eine fortschrittliche Rolle Chinas hatte, wird angesichts der Angriffe auch auf Sozialist*innen und Gewerkschafter*innen eines Besseren belehrt! Ganz anders diverse z.B. US-amerikanische Initiativen, die von Regierungs- bzw. Geschäftsinteressen geprägt sind.

Die Kampagne hat die internationale Solidarität der Arbeiter*innenklasse zum Ziel. Gewerkschaften und Arbeiter*innenorganisationen können sich informieren und Solidarität z.B. durch den Beschluss entsprechender Resolutionen, zum Ausdruck bringen. Wenn ihr wissen wollt, wie ihr helfen könnt, wendet euch an die SLP.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

China: Xi in Bedrängnis

Brettros

Das Regime von Xi Jinping bzw. Der “Kommunistischen” Partei Chinas ist zunehmend instabil. Der Zusammenbruch des Immobilienriesen Evergrande im September (mit 300 Milliarden US-Dollar Schulden) ist ein dramatisches Symbol für die kollabierende Immobilienblase. Dies ist jedoch nur eine von mehreren miteinander verknüpften Krisen.

Die sozialen Spannungen nehmen zu, da die Kosten für Wohnen, Bildung und Güter des täglichen Bedarfs in die Höhe schießen. Gleichzeitig stagnieren Löhne und Lebensstandard. Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen und Waldbrände nehmen zu, und trotz der Versprechen, die CO2-Emissionen zu verringern, werden immer mehr Kohlekraftwerke geplant. Die USA und andere westliche Länder isolieren China wirtschaftlich und diplomatisch, während die Demonstrant*innen in Hongkong für Demokratie kämpf(t)en. Die Bevölkerung beginnt zu schrumpfen (vor allem weil sich viele kein 2. Kind leisten können), was bedeutet, dass es nicht genügend Arbeitskräfte geben wird, um das Wachstum aufrechtzuerhalten.

Xi reagiert mit hartem Durchgreifen, u.a. gegen Frauen (einschließlich des Rechts auf Abtreibung), aber auch gegen LGBTQ-Personen. Demokratieproteste in Hongkong wurden gewaltsam niedergeschlagen, während Millionen muslimischer Uigur*innen in Lager gezwungen wurden. Echte gewerkschaftliche Aktivitäten werden brutal unterdrückt. Der Gefahr eines neuen Kalten Krieges wird mit dem Versuch begegnet, Hurra-Patriotismus zu schüren. Xi hat sogar die Repressionsmaschine gegen Teile des Staates gerichtet, indem er lokale Bürokrat*innen beschuldigte, die Pläne Pekings zu untergraben.

All diese Maßnahmen, die Xi und seine Herrschaft stark erscheinen lassen sollen, sind in Wirklichkeit Zeichen der Krise und Schwäche. Der Versuch, wirtschaftliche und soziale Widersprüche durch Zensur und Repression zu verbergen, lässt die Widersprüche nicht verschwinden.

2021 sollte ein Jahr lang das 100-jährige Bestehen der KPCh gefeiert werden. Xis Hoffnung war, dass er auf einer Welle nationalistischer Inbrunst reiten könnte, um auf dem Parteitag im nächsten Jahr mehr Macht in seinen Händen zu festigen. Aber die Realität der einfachen Arbeiter*innen und ihre wachsende Unzufriedenheit werden sich nicht in der Propaganda auflösen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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