Marx Aktuell: Was bedeutet Imperialismus?

Christine Franz, Franz Neuhold, Jan Millonig, Karma Melt, Manuel Schwaiger, Serafina Reisinger

Die marxistische Imperialismustheorie bietet eine Erklärung für Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnisse zwischen Ländern, sowie zur Entstehung von Konflikten und Kriegen im weltweiten Kapitalismus. Ihr Ausgangspunkt ist die Entwicklung in reichen Industriestaaten wie den USA, Europa oder Japan. Mit der Wende zum 20. Jahrhundert wandelte sich dort der Kapitalismus in mehrerlei Hinsicht. 

Erstens bildeten sich aus den zuvor dominanten Klein- und Mittelbetrieben größere wirtschaftliche Strukturen, die Konzerne. Dabei wurde die freie Konkurrenz durch zunehmende Monopolisierung verdrängt. So wird das Internet heute von einer Handvoll großer, hauptsächlich US-amerikanischer, aber auch teilweise chinesischer, Großkonzerne dominiert. Zweitens bildete sich durch die Verschmelzung von Bank- und Industriekapital - das „Finanzkapital“, dessen dominante Rolle etwa im Bereich der Aktienmärkte und großen Banken und Investmentfonds ersichtlich wird. An der Spitze dieses Finanzkapitals steht eine „Finanzoligarchie“ aus selbst für die Verhältnisse der kapitalistischen Klasse extrem mächtigen und finanzstarken Individuen und Organisationen. Dazu zählen etwa die 42 reichsten Milliardär*innen der Welt, welche zusammengenommen mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, oder der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock. Drittens veränderten sich die wirtschaftlichen Wechselbeziehungen zwischen reichen, imperialistischen und armen, abhängigen Ländern. Bis zum 20. Jahrhundert importierten bzw. raubten die reichen Staaten Rohstoffe aus den ärmeren Ländern. Diese wurden in den reichen Ländern weiterverarbeitet, um wieder in die ärmeren Länder verkauft zu werden. In den reichen Staaten boten sich damit jedoch immer weniger hochprofitable Anlagemöglichkeiten. Es bildete sich ein Überangebot an Kapital, welches nach außen strömte. Von nun an exportieren die nun imperialistischen Staaten v.a. Kapital (also sowohl Geld als auch z.B. Maschinen) in ärmere Länder, kontrollierten dort den Produktionsprozess und importierten dann Endprodukte. Viertens wurde der Weltmarkt zwischen großen Kapitalverbänden – bzw. multinationalen Konzernen – aufgeteilt. So teilt sich der Weltmarkt für Onlineversandhandel hauptsächlich zwischen Amazon im Westen und Alibaba in China. Fünftens entstand parallel zur Aufteilung der Weltmärkte unter Konzernen auch eine Aufteilung zwischen den jeweiligen, als imperialistisch bezeichneten, reichen Nationalstaaten, welche die Sitze eben jener Konzerne beherbergen. Diese Aufteilung geht heute so weit, dass imperialistische Konzerne und ihre Nationalstaaten neue Märkte nur mehr auf Kosten der Einflusszone anderer erschließen können, mit dementsprechendem Konfliktpotential.

Literaturtipp: Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Eine immer noch hochaktuelle Studie über den Übergang zum Imperialismus am Anfang des 20. Jahrhunderts, zu finden unter https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/imp/

 

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