Der Marxismus und "die Nationale Frage"

Sascha Pirker

Nationalismus wird von MarxistInnen nie als grundsätzlich positiv verstanden. Es muss zwischen den Nationalismen unterdrückender und unterdrückter Völker unterschieden werden. So haben der kurdische und der palästinensische Nationalismus bzw. die Unabhängigkeitsbestrebungen dieser Völker fortschrittliche Elemente. Lenin erkannte die unterschiedlichen Arten der nationalen Strömungen. Er hatte bei seiner Betrachtung eine differenziertere Herangehensweise an dieses Thema als Beispielsweise Rosa Luxemburg, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker als eine rein bürgerliche Forderung kategorisch ablehnte.
Es geht bei der Forderung des "Selbstbestimmungsrechtes der Völker" um das Aufbrechen von Diskriminierung, das in manchen Fällen, wie bei de PalästinenserInnen nur durch die Erlangung der Eigenständigkeit möglich sein wird. Der Schritt hin zur Bildung von Nationen wäre eigentlich eine Aufgabe der bürgerlichen Revolution. Die Nation stellt die bestmögliche Organisation für den Kapitalismus dar. Doch der Kapitalismus ist längst nicht mehr in der Lage, nationale Probleme zu lösen. Zu stark sind die Widersprüche im imperialistischen Zeitalter (z.B. zwischen den Großmächten und ihren Einflusszonen). Der Schritt Richtung Aufhebung nationaler Unterdrückung ist ein fortschrittlicher. Er kann einen Schritt hin zum Sozialismus bedeuten, da sich parallel die sozialen Fragen zuspitzen.
Das bedeutet aber nicht, dass in einer "unterdrückten" Nation, die Interessensgegensätze aufgehoben sind. Auch in ihr besteht der Widerspruch zwischen der Bourgeoisie und der ArbeiterInnenklasse und armer Landbevölkerung. Entscheidend sind nicht die "nationalen Interessen", sondern wieweit sich die "soziale Frage" im Unabhängigkeitskampf entwickeln kann. Im Rahmen der kapitalistischen Logik kann das nur soweit geschehen, solange die Forderungen nicht über die Grenzen der Interessen der Bourgeoisie hinausgehen. Diese Grenzen sind sehr schnell erreicht, die "nationale Einheit" ohne sozialen Inhalt wird rasch zum Hemmschuh des Unabhängigkeitskampfes an sich.
So liegt die Fähigkeit, die nationale Befreiung zu erkämpfen, bei der Klasse, in deren Interesse auch die vollständige soziale Befreiung liegt; der ArbeiterInnenklasse. Aber auch die Unabhängigkeit von unterdrückten Nationen kann nur ein Schritt sein auf dem Weg zum Sozialismus und zu einer staatenfreien Welt. Erst im Sozialismus wird es zu einem wirklichen Selbstbestimmungsrecht der Völker kommen, dann aber fern ab von jeglichen Nationalismen. Das CWI zeigt durch seine Forderungen nach einem unabhängigem, sozialistischen Palästina und einem sozialistischen Israel, dass die Problematik des Nationalismus nur mit dem Kapitalismus gemeinsam aufzulösen ist. Sie kann dazu beitragen, annähernd gleiche Ausgangspositionen für die Völker zu schaffen. Wenn man/frau aber unterdrückten Völkern nicht die Chance gibt, sich aus unterdrückenden Staaten zu befreien, werden sich die Schranken zwischen den Völkern nicht abbauen lassen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: