Atomgespräche in Wien: Der Deal der Herrschenden ist keine Lösung!

Protest am 17.11. um 17:30 vor der UNO-City
Nina Mo

Vor dem Hintergrund der Massenbewegung im Iran gegen das Regime und den ersten Todesurteilen gegen die Gefangenen, die seit Beginn der Bewegung festgenommen wurden, der brutalen Repression usw. sind die Gespräche zwischen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und einer Delegation des Iranischen Regimes in Wien ein Schlag ins Gesicht für den Aufstand im Iran. Während die Menschen im Iran ihr Leben riskieren, um gegen das verbrecherische Regime zu protestieren, wird die iranische Delegation in Wien hofiert. Den Herrschenden und Regierenden waren und sind ihre Deals mit dem Regime immer wichtiger als Menschenrechte. Seit Beginn der Protestbewegung ist die Heuchelei, insbesondere der westlichen Staaten, sehr offensichtlich. Die “Diplomatie” der Herrschenden bedeutet immer nur Deals über die Köpfe der Mehrheit der Bevölkerung hinweg und gegen unsere Interessen. Deshalb hoffen wir nicht auf diese Diplomatie, sondern auf die Macht der arbeitenden Bevölkerung im Iran selbst, das Regime zu stürzen. 

Hintergrund des Atom-Deals

In den vergangenen Tagen sind die Töne der westlichen Herrschenden gegen die iranische Regierung etwas härter geworden. Eine Videobotschaft von Olaf Scholz und ein Treffen von Macron mit einer Gruppe von liberalen Oppositionellen haben nicht zufällig gleichzeitig stattgefunden. Das Vorgehen von Deutschland und Frankreich setzt immer ein Beispiel für die restlichen EU-Staaten. Gleichzeitig gehen auch die Interessen von Deutschland und Frankreich und den USA auseinander - Deutschland sucht aufgrund der großen Abhängigkeit von russischem Öl und Gas verzweifelter nach einem Ersatz. Die zuletzt angekündigte vorläufige Einstellung der Gespräche von US-Seite macht diese unterschiedlichen Strategien deutlich. Wir sollten uns von den Worten der US-Diplomaten nicht täuschen lassen, obwohl Druck von unten wahrscheinlich eine Rolle bei der Aufkündigung der Verhandlungen gespielt hat, ist der entscheidende Faktor eben eine geänderte Strategie. Die USA werden jetzt versuchen, durch Sanktionen und andere Maßnahmen ihre geopolitischen Ziele durchzusetzen, die Interessen der iranischen Bevölkerung werden aber auch dabei keine Rolle spielen. 

Es ist nicht klar, welches Kalkül hinter diesem Vorgehen steckt, es bedeutet jedenfalls nicht unbedingt, dass die EU das Regime am Rande des Zusammenbruchs sieht und sich auf eine Politik nach dem Islamischen Regime bzw. einen Regime-Change vorbereitet. Sicher spielt der Druck von unten durch die weltweite Solidaritätsbewegung eine Rolle dabei, westliche Regierende dazu zu zwingen, sich zu äußern. Aber eben weil von ihnen keine echten Lösungen kommen können sind sie zahnlos und die westlichen Herrschenden nützen es sogar für ihre eigenen Interessen: Es geht auch darum, Zugeständnisse vom jetzigen Regime zu bekommen, allen voran bezüglich der Atomverhandlungen und dem Versuch einer Rückkehr zum Deal von 2015. Neben dem Atomdeal geht es auch um außenpolitische Strategien des Regimes, die dem Westen angesichts des neuen kalten Krieges ein Dorn im Auge sind, wie die zunehmende Zusammenarbeit mit Russland und China.

Der JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) soll auf Papier den atom-industriellen Komplex Irans auf einem Niveau halten, auf dem das Regime diese Kapazitäten nicht militärisch nutzen kann. Das Abkommen verpflichtet den Iran, internationalen Inspektoren Zugang zu Atomanlagen und militärischen Objekten zu gewähren. Im Gegenzug würden Teile der Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden mit der Möglichkeit eines schnellen Wiederinkrafttretens. In den Verhandlungen, die in den letzten Monaten und Jahren massiv stagnieren, wurden aus geopolitischen Überlegungen auch die Atommächte China und Russland einbezogen. In diesem Sinne ging es bei dem Deal auch immer um geopolitische und wirtschaftliche Interessen des Westens, unter anderem durch eine wirtschaftliche Öffnung Irans gegenüber dem Westen - was auch das Ziel vergangener Regierungen wie unter Präsident Rohani war. Kurz gesagt: Für den Westen geht es darum, sich Zugriff auf die Ressourcen des Irans zu sichern und gleichzeitig eine atomare Bewaffnung zu verhindern - Menschenrechte spielen in diesen Überlegungen keine Rolle.

Rolle des Imperialismus und der Sanktionen

Das Interesse der europäischen Staaten und des US-Imperialismus am Atomdeal hängt also mit dem Interesse an einer Normalisierung der Beziehungen für Profite durch zunehmende Privatisierungen innerhalb des Land zusammen. Die Einschätzung eines Großteils der herrschenden Klasse im Westen, zumindest der europäischen Staaten, ist aktuell, dass eine zunehmende Konfrontation oder sogar mögliche Kriegsgefahr ihren Interessen in der Region eher schadet. Gleichzeitig steigt mit dem aktuellen Kurs der USA, die Gespräche vorläufig einzustellen und stärker auf Sanktionen zu setzen, nicht nur die Gefahr härterer Wirtschaftssanktionen auf Kosten der Bevölkerung, sondern auch die Kriegsgefahr.

Die Wirtschaftssanktionen der vergangenen Jahre hatten verheerende Folgen für die ärmsten Teile der Bevölkerung und die Arbeiter*innenklasse. Sie haben außerdem dem Regime in die Hände gespielt, indem es von seinen eigenen Verbrechen ablenken konnte. Die europäischen Staaten haben diese Sanktionen immer mitgetragen. Gleichzeitig haben die Sanktionen auch wirtschaftliche Folgen für das Profitinteresse westlicher Konzerne gehabt. Es ging bei der Wiederaufnahme des Atomdeals und besonders dem Drängen einiger Staaten auch um das direkte Interesse westlicher/transnationaler Konzerne, diese Wirtschaftssanktionen zu durchbrechen.  

Keine Lösung im kapitalistischen Rahmen

Eine mögliche atomare Bewaffnung des Iran macht zu Recht Angst. Atomwaffen gehören zu den gefährlichsten Waffen. Die Tatsache, dass die Atommächte (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich,China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea) insgesamt rund 13.000 Atomsprengköpfe besitzen, ist eine tödliche Bedrohung für die gesamte Menschheit. Natürlich ist es scheinheilig, wenn die USA, die im Irak und in Syrien Uranmonition eingesetzt hat und über fast die Hälfte der gesamten Atomsprengköpfe weltweit verfügt, sich gegenüber dem Iran als “Friedensengel” aufspielt. Doch die Antwort ist kein “Gleichgewicht des Schreckens", sondern weltweite Abrüstung - etwas, das im Rahmen des kapitalistischen Wettbewerbs nicht möglich ist.

Wir stellen uns also mit unserem Protest am Donnerstag, 17.11. vor der UN, nicht nur gegen das iranische Regime, sondern auch gegen die UN und die westlichen Staaten. Wir haben weder Illusionen in einen Atomdeal, noch in seine Aufkündigung. Tatsächlich gibt es im kapitalistischen Rahmen für die Arbeiter*innenklasse nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Bei einem erfolgreichen Atomdeal (der sowieso immer unwahrscheinlicher wird) würden die korrupten Mullahs noch mehr Profite erwirtschaften und Repressionen gegen die Bevölkerung weiter fortsetzen, bei einer Aufkündigung würden regionale Auseinandersetzungen (bis hin zu militärischen) ebenso wie brutale Unterdrückung und Sanktionen zunehmen. Beide Szenarien bedeuten eine Fortsetzung des Leidens der iranischen Arbeiter*innenklasse und Jugend.

Der einzige Weg, das Iranische Regime als Atommacht und regional-imperialistische Macht zu brechen - genauso wie die Macht der imperialistischen Länder ob Russland, China, USA oder EU ist eine erfolgreiche Revolution im Iran durch Frauen, Jugendliche, Arme, unterdrückte Minderheiten und der gesamten Arbeiter*innenklasse. Beschäftigte der Atomindustrie müssen in diesen Kampf gegen das Regime einbezogen werden - sie wissen am besten, wie sie umgebaut werden kann. Jede Form der imperialistischen Einmischung wäre dabei fatal. Eine siegreiche iranische Revolution hat kein Interesse an nuklearer Aufrüstung. Und gleichzeitig kann sie der Anlass sein auch gegen die imperialistische Aufrüstung und nuklearer Bewaffnung anderer Staaten von den USA, über die Türkei, Israel, Saudi Arabien bis Russland oder China zu kämpfen. Die Krise des Kapitalismus verstärkt auch die Kriegsgefahr weltweit - eine Alternative kann nur durch erfolgreiche Bewegungen von unten geschaffen werden, die die Ursache von Krieg - die kapitalistische Konkurrenz - abschafft. 

Alle Sanktionen des Westens, die die iranische Arbeiter*innenklasse treffen gehören aufgehoben. Stattdessen braucht es Maßnahmen, die das Regime wirklich treffen (siehe Forderungskasten am Ende) Deals mit dem Regime sind keine Lösung - die Staatschefs die diese Deals voranbringen, haben selbst Blut an ihren Händen kleben. Von Afghanistan bis Syrien haben sie die gesamte Region in Krieg und Zerstörung gestürzt. Die Solidaritätsbewegung mit dem Iran darf deshalb keine Illusionen in die Politik und die Herrschenden dieser Staaten haben. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen und werden alles daran setzen, diese bei einem erfolgreichen Sturz des jetzigen Regimes auch durchzusetzen. 

Wir kämpfen deshalb in Ländern wie Österreich dafür, dass das Regime und sein Spionagenetzwerk, die Botschaften und Vermögen durch die Kraft der Solidaritäts- und Arbeiter*innenbewegung von unten bekämpft werden:

- Aufbau einer internationalen Solidaritätsbewegung von unten - in Betrieben, Schulen, Universitäten und Nachbarschaften mit der Frauen-, LGBTQI+-, Jugend-, Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung an vorderster Front.

- Schluss mit der Heuchelei: Gegen Waffenlieferungen der imperialistischen Staaten und imperialistische Kriege in der gesamten Region und weltweit. Das bedeutet die vollständige Öffnung aller Firmenunterlagen und deren Überprüfung durch Vertreter*innen der Arbeiter*innenbewegung in Unternehmen, die direkt oder indirekt mit dem Iran Geschäfte machen.

- Dem Spionagenetz des Regimes weltweit den Kampf ansagen: Weg mit allen diplomatischen Privilegien, keine Zusammenarbeit mit den Behörden des Regimes, die Botschaften und Netzwerke dieses Terrorregimes müssen weg! Öffnung aller Firmenunterlagen, Vereinbarungen und Verträge, um wirtschaftliche Beziehungen aufzudecken, aber auch um zu erfahren, welche Aktivist*innen bedroht sind.

- Volle Rechte für Menschen aus dem Iran, die in anderen Ländern leben oder dorthin fliehen müssen - ihr Aufenthaltsrecht darf nicht von den iranischen Behörden kontrolliert oder beeinflusst werden, also weg mit Visa und anderen Beschränkungen.

- Gewinne, die Unternehmen durch Kooperation oder Duldung des Regimes gemacht haben, müssen durch die Solidaritätsbewegung eingezogen und zur Unterstützung der Bewegung und eines demokratischen Wiederaufbaus verwendet werden. Die Beschäftigten dieser Unternehmen dürfen nicht dafür zahlen, sondern nur die Eigentümer*innen und Aktionär*innen.

- Übernahme der Botschaften, Reichtümer und Vermögenswerte des Regimes und seiner Unterstützer*innen im Ausland durch die Solidaritätsbewegung.

- Der Atomdeal der Herrschenden ist keine Lösung – Weg mit allen Sanktionen, die die arbeitenden und armen Menschen treffen! Eine erfolgreiche Revolution ist die größte Garantie für Frieden, Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung in der gesamten Region.

- "Frau, Leben, Freiheit" überall: für eine weltweite Bewegung zum Sturz des globalen kapitalistischen Systems, das Frauen- und LGBTQI+-Unterdrückung, Diktaturen, Krieg, Elend und Ausbeutung überall produziert, und für den Aufbau einer weltweiten sozialistischen Demokratie.

 

 

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