Interview mit Gewerkschafter aus Belgien

“Wir brauchen einen Eskalationsplan”
Interview mit Wouter, Betriebsrat im Sozialbereich in Gent und Aktivist der LSP/PSL (belgische Sektion der ISA)

Wouter, wie kann die Gewerkschaft so viele Menschen in den Streik führen?

In Belgien sind 55% der Bevölkerung gewerkschaftlich organisiert, da Gewerkschaften unter anderem als Sozialservice fungieren. In den letzten 150 Jahren hat sich eine Streiktradition entwickelt. Momentan mobilisieren wir von der LSP/PSL (ISA in Belgien) mit der “Operation Wahrheit", um zu zeigen, wie viel Gewinn die Konzerne die letzten Jahre gemacht haben. Letztendlich ist das Thema selbst und die Einstellung der Betriebsräte ausschlaggebend. 

Die automatische Inflationsanpassung klingt super. Stimmt die Berechnung?

Die Anpassung stimmt zwar, jedoch sind einzelne Sektoren aus der Berechnung ausgenommen und so sinken die Reallöhne. Z.B. wurden in den 90ern Benzin, Gas, Tabak und Alkohol aus der Berechnung exkludiert. Je nach Sektor wird monatlich, quartalsweise oder jährlich angepasst. All das verzerrt die Berechnung stark. Außerdem sind z.B. Scheinselbstständige von Lieferdiensten etc. ausgenommen. Dafür ist ein Kollektivvertrag nötig.

Was sind die konkreten Forderungen für den Generalstreik?

Unsere Hauptforderung ist die Lohnerhöhung um 2€ pro Stunde statt Einmalzahlungen sowie die Verstaatlichung und die demokratische Kontrolle des Energiesektors. Besonders ist, dass wir keine prozentuale Lohnerhöhung fordern, um kleine Löhne zu bevorzugen. Natürlich sind wir auch für die Abschaffung des Gesetzes von ‘96.

Wie wird der Streik organisiert und wie kann der Kampf gewonnen werden?

Im Juni fand eine Demonstration mit 80.000 Menschen gegen das Gesetz von ‘96 statt. Die sozialistische Gewerkschaft hat die Stimmung aufgegriffen und Aktionen im September angekündigt. Am 21.9. konnten über 10.000 aktive Gewerkschafter*innen mobilisiert werden, um demonstrierend zur Vertretung der Wirtschaft zu gehen. Die Forderung von LSP/PSL nach Verstaatlichung des Energiesektors ist auf offene Ohren gestoßen. Jedoch fehlt es an einem Eskalationsplan. Wir schlagen Betriebsrät*innen vor, Treffen zur “Operation Wahrheit” zu organisieren und Eskalationsmöglichkeiten zu diskutieren, um so Druck von unten aufzubauen.

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