Internationales

Bericht vom Linksjugend [’solid] Bundeskongress 2018

Demokratische Mitgliederrechte im Jugendverband verteidigen
Katharina Doll

Der diesjährige Bundeskongress der Linksjugend [’solid] (Jugendverband der Linke in Deutschland) war überschattet vom Antrag auf Unvereinbarkeit mit der Sozialistischen Alternative (SAV, deutsche Schwesterorganisation der SLP), der Doppelmitgliedschaften in SAV und Linksjugend [’solid] unterbinden sollte. Das war ein klarer Angriff auf organisierte, linke Strömungen im Jugendverband. Der Antrag erhielt jedoch nicht die nötige Mehrheit. In der kommenden Zeit muss das demokratische Recht aller Linksjugend-Mitglieder, sich frei in Strömungen zu organisieren, verteidigt werden!

Gleichzeitig waren Diskussionen um die Positionierung des Verbandes nach wie vor kontrovers und Mehrheitsverhältnisse nicht immer eindeutig. Zumindest in Worten wurde eine verstärkte Orientierung auf die arbeitende Klasse und eine gute Position zu den Auseinandersetzungen in der Partei DIE LINKE angenommen. Diesen Beschlüssen müssen jetzt Taten folgen.

Zur beantragten Unvereinbarkeit mit der SAV

Unter dem Titel „Wer die Befreiung fordert, darf seine Mitglieder nicht unfrei machen“ wurde die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft des Jugendverbands mit der SAV-Mitgliedschaft beantragt. Es sollte der Eindruck entstehen, die Methode der Unvereinbarkeit wäre keine bürokratische Maßnahme, sondern ein notwendiger, ein „linker“ Schritt hin zu mehr Pluralismus. Das wurde unter anderem damit begründet, dass sich SAV-Mitglieder aufgrund von inhaltlichen Differenzen aktiv am Aufbau der Strömung „Revolutionäre Linke“ beteiligen und dort auch Material zu Themen veröffentlicht wird, zu denen thematische Arbeitskreise der Linksjugend arbeiten.

Außerdem wurde bereits im Antragstext mit Unwahrheiten um sich geworfen: die SAV würde organisiert Mitgliederversammlungen der Linksjugend überrennen. Das sähe man daran, dass fünf von sieben LandessprecherInnen und der jugendpolitische Sprecher des Verbandes in NRW Mitglieder der SAV seien. Das eigentliche Problem seien aber nicht Basismitglieder der SAV, sondern ihre angeblich hierarchische Struktur , die sie Strukturen innerhalb der Linksjugend (gemeint ist der Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke) aufzwingen würde.

Nichts an diesen Vorwürfen ist wahr. Nur zwei Landessprecher der Linksjugend NRW sind Mitglieder der SAV, der jugendpolitische Sprecher ist es nicht. Auch ist der Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke nicht die einzige Gruppierung, die im Jugendverband strömungspolitische Positionen vertritt, und es hat nichts mit Pluralismus zu tun, eine solche Arbeit zu unterbinden. Auch der Vorwurf , die SAV würde Beschlüsse generell von oben nach unten treffen und Strukturen wie dem Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke (RL) eine undemokratische Arbeitsweise aufzwingen, ist an den Haaren herbeigezogen. Die Revolutionäre Linke ist keine undemokratische Gruppe, sondern ein Zusammenschluss von über 200 Mitgliedern der Linksjugend, in dem Beschlüsse in solidarischer Diskussion von unten auf Mitgliedertreffen getroffen werden. Jede und jeder der daran zweifelt, ist herzlich eingeladen, sich auf einem Treffen der Revolutionären Linken selbst davon zu überzeugen.

Und auch die SAV selbst vertritt demokratischere Prinzipien, als es die AntragsstellerInnen des Unvereinbarkeitsantrags tun. Alle Gremien und FunktionsträgerInnen in der SAV sind rechenschaftspflichtig und abwählbar. Es gibt keine Privilegien von Abgeordneten oder Vorstandsmitgliedern. Hauptamtliche und FunktionsträgerInnen erhalten nicht mehr als einen FacharbeiterInnenlohn. Höchstes beschlussfähiges Gremium der SAV ist die Bundeskonferenz (vergleichbar mit dem Bundeskongress der Linksjugend). Die Bundesleitung der SAV ist gewählt und abwählbar, um in der Zeit in der sich keine anderen demokratisch legitimierten Gremien auf Bundesebene treffen, Entscheidungen für die Organisation zu fällen. Allgemein gilt das Prinzip „Freiheit in der Diskussion und Entscheidung, Einheit im Handeln“. Das heißt aber nicht, dass Entscheidungen von oben durchgedrückt werden oder Minderheiten in der SAV keine Rechte hätten. Alle die die SAV kennen, wissen, dass es dort lebendige demokratische Debatten gibt.

Im Falle von ernsthaften politischen Differenzen vertritt die SAV in der Tradition der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus ein Fraktionsrecht, das Veröffentlichungen von Fraktionen gestattet und Minderheitsmeinungen schützen soll. In ihrem Statut schreibt die SAV dazu: „Grundsätzlich haben alle Mitglieder das Recht, eine abweichende Meinung in Wort und Schrift zu verbreiten. Darüber hinaus haben UnterstützerInnen einer bestimmten Position das Recht, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen, um die Diskussion und Weiterentwicklung ihrer Position zu ermöglichen und sie in die Diskussion zu tragen“. Die Fraktionsrechte innerhalb der SAV umfassen unter anderem das Recht, sich innerhalb der Organisation eigenständig zu organisieren, einen eigenen Finanzbeitrag zu erheben, bundesweite Debatten um Kritikpunkte zu beantragen und eigene Publikationen in der Organisation zu verbreiten und vieles mehr. Diese Freiheiten gehen über das hinaus, was die Strömung Revolutionäre Linke innerhalb der Linksjugend derzeit für sich einfordert.

Die Freiheit der Organisation in Strömungen innerhalb der Linksjugend muss verteidigt werden, denn sie ist ein grundlegendes demokratisches Recht aller Mitglieder! Strömungen innerhalb von breiten linken Strukturen sind nichts undemokratisches, im Gegenteil. Sie können an Stellen, wo grundsätzliche Fragen zur Diskussion stehen, zum Austausch der Mitglieder und zur Klarheit in der Debatte beitragen – wenn man Auseinandersetzungen mit den richtigen Mitteln führt.

Dass mit vielen Unwahrheiten im Unvereinbarkeitsantrag argumentiert wurde, zeigt, dass es um politische Differenzen geht, die mit bürokratischen Methoden aus dem Weg geräumt werden sollen. Anders als in der Antragsbehandlung auf dem Bundeskongress behauptet, soll mit einem Unvereinbarkeitsantrag (offensichtlich!) keine politische Diskussion über das Arbeiten der SAV und ihre Positionen angestoßen, sondern beendet werden. Eine Maßnahme wie die beantragte Unvereinbarkeit dient dem Interesse, Positionen mehrheitsfähig zu machen, die von Mitgliedern der SAV kritisiert werden. Ohne SAV-Mitglieder hätte es dieses Jahr vielleicht keine Beschlüsse zur Orientierung auf die soziale Frage oder zur Lage der LINKEN gegeben und hätten klare antimilitaristische Positionen gegen Auslandseinsätze und eine Aussprache gegen Regierungsbeteiligungen keine Mehrheit gefunden. Es ist schon sehr absurd, in einem solchen Antrag den Versuch zu sehen, mehr Pluralität und eine offenere Debatte herzustellen. Es geht den AntragsstellerInnen letztlich darum für ihre eigenen Interessen die Mehrheiten zu ändern.

SAV-Mitglieder haben sich in den letzten Jahren an etlichen Kampagnen des Jugendverbandes beteiligt, sie angestoßen und den Verband aktiv von unten mit aufgebaut. So spielt die Linksjugend Mainz, in der auch SAV-Mitglieder mitarbeiten, eine wichtige Rolle im Widerstand gegen faschistische Strukturen in der Region. In Kassel hätte ohne die aktive Aufbauarbeit auch durch Mitglieder der SAV im Dezember kein so erfolgreicher Schulstreik stattgefunden. In Hamburg gäbe es ohne Mitwirken der SAV-Mitglieder im Jugendverband keine regelmäßigen Frauendemonstrationen, und hätte es auch keine Kampagne der Linksjugend gegen den Thor-Steinar-Laden in Hamburg Barmbek gegeben. In NRW haben SAV-Mitglieder geholfen, Streitigkeiten im Verband zu beenden, die Debatte zu politisieren und den Landesverband wieder auf Proteste und Bewegungen auszurichten. Gerade in Zeiten, wo die Rechte in Europa erstarkt und ein Jens Spahn Gesundheitsminister wird, gehört ein Ausschluss marxistischer Organisationen aus linken Strukturen sicherlich nicht zu den Methoden, die den Aufbau einer geeinten und kämpferischen linken Bewegung stärken.

In der linksjugend [’solid] gibt es schon länger einen Teil von Mitgliedern, vor allem aus den ostdeutschen Landesverbänden, die Mitgliedern der SAV gegenüber sehr feindlich eingestellt sind. Sie schafften es, bei diesem Kongress für den Unvereinbarkeitsantrag 58 Prozent der Stimmen zu bekommen, da sie unter den AntragstellerInnen und BefürworterInnen einige Personen zusammenbekommen haben, mit denen sie außer für den Ausschluss der SAV, wenig Einigkeit hatten.

Die Motivation dafür hat sicherlich mit den großen Erfolgen im Aufbau der Revolutionären Linken und der Unterstützung für SAV Mitglieder in ihren Landesverbänden zu tun. Die AntragsstellerInnen konnten neuere Mitglieder gewinnen, da sie die Abstimmungen in den letzten Monaten mit viel Energie vorbereitet haben. Dass die AntragsstellerInnen in der übergroßen Mehrheit aus Landesverbänden kommen, in denen die SAV nicht aktiv ist, zeigt, dass die Zustimmung zum Antrag nicht etwa das Produkt einer realen Unzufriedenheit in der Zusammenarbeit mit der SAV ist, sondern das Ergebnis von Unwahrheiten, die über die Arbeit der SAV gestreut wurden. Da es am ersten Tag nur eine kurze Debatte dazu mitten in der Nacht gab, konnten die Delegierten, welche die SAV noch nicht kannten, auch nicht mehr vom Gegenteil überzeugt werden.

Debatten in der Sache austragen!

Trotz der längere Zeit vorbereiteten und auf Unwahrheiten aufgebauten Kampagne zur Unvereinbarkeit mit der SAV, haben sich die Kräfteverhältnisse auf den letzten zwei Bundeskongressen nicht gravierend verändert. Eine Reihe von SAV-Mitgliedern erhielten bei den Wahlen für Delegierte des Bundesparteitags ähnliche Stimmergebnisse wie das letzte Mal , und auch die Stimmenverhältnisse bei strittigen Anträgen wie beispielsweise zu den Themen Islamismus oder dem Einwanderungsgesetz waren weiterhin knapp.

Ein zentrales Thema des Bundeskongresses war die Haltung von LINKE und Linksjugend zur EU. Auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Europa, die den Bundeskongress am Freitag einleitete, formulierten besonders die Parteivorstandsmitglieder Judith Benda und Raul Zelik scharfe Kritik am undemokratischen, neoliberalen und militaristischen Charakter der EU und hielten ihre Reformierung für utopisch. Ein diesbezüglicher Antrag, der später auf dem Kongress beschlossen wurde, lässt die Haltung der Linksjugend zur EU leider etwas offener.

Daneben wurde ein Antrag des Bundesarbeitskreises Revolutionäre Linke mit dem Titel „Kein „Weiter so“ mit Niedriglöhnen und Sozialabbau! Zurückschlagen gegen die unsoziale Politik der Merkel-Regierung!“ beschlossen, der eine verstärkte Orientierung des Verbandes auf die soziale Frage forderte. Da dieser Antrag angenommen wurde, ist der BundessprecherInnenrat nun aufgefordert, in Zusammenarbeit mit dem Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke Material zu Themen wie Ausbildungsgehalt, Arbeitszeitverkürzung oder Personalbemessungsgesetz in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu erarbeiten. Dass eine solche Orientierung nötig ist, wird auch daran sichtbar, dass sich in den über 200 Seiten in den drei Antragsheften zum Bundeskongress kaum ein Text mit der sozialen Lage in Deutschland oder Gewerkschaften beschäftigt hat. Am Rande wurde auf dem Kongress über die Auseinandersetzungen in den deutschen Krankenhäusern gesprochen, ein Beschäftigter bekam unabhängig von Anträgen die Zeit über die Situation in seinem Krankenhaus zu sprechen, im Workshop zum Antrag der Revolutionären Linken gab es dazu weitere Beiträge.

Es gab außerdem einen weiteren Antrag des Bundesarbeitskreises Revolutionäre Linke, der sich mit den aktuellen Diskussionen in der Partei DIE LINKE beschäftigte. Der Antrag zeichnete ein Bild davon, wie eine demokratische, linke Mitgliederpartei aussehen sollte. Er richtete sich gegen die Tendenz, dass FunktionsträgerInnen der Partei nach außen Positionen vertreten, auf die sich die Partei nie verständigt hat. Das gilt aktuell besonders für die Vorstöße von Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht, sich einem „linken Flügel“ von SPD und Grünen für eine „linke Sammlungsbewegung“ anzubieten. Außerdem forderte der Antrag, dass sich die Partei nicht auf bürgerliche Parteien, sondern auf soziale Bewegungen als Bündnispartner orientieren sollte. Das heißt auch, dass die Partei die Interessen einfacher Lohnabhängiger zu vertreten hat, und diese nicht in einer Regierungsbeteiligung verraten darf. Zu diesen Interessen gehört auch der Internationalismus und Antirassismus. Das heißt, dass die Partei sich nicht an Regierungen beteiligen kann, die kürzen oder abschieben und jede Spaltung nach Linien der Herkunft, des Geschlechts oder der Religion klar zurückweisen muss. An Änderungsanträgen zu diesem Antrag wurden einmal mehr grundsätzliche Fragen zur Ausrichtung der Linksjugend diskutiert. Ein Änderungsantrag, der bei der Ablehnung von Militäreinsätzen zwischen Kriegs- und Auslandseinsätzen unterscheiden wollte, wurde abgelehnt. Auch die Aufweichung des Neins zu Regierungsbeteiligungen mit bürgerlichen Parteien fand keine Mehrheit. Lediglich ein Antrag, die Vorstöße von Katja Kipping und anderen in Richtung eines „linken“ bürgerlichen Einwanderungsgesetz nicht zurückzuweisen, wurde angenommen. Das macht auch deutlich, dass eine gewisse Unklarheit besteht, wie staatlicher Rassismus nicht nur mit legalen Mitteln „von innen abgeschwächt“, sondern gänzlich überwunden werden kann.

Andere Kontroversen entstanden bei der Religionsfrage. Außerdem wurde ein Antrag zur Ehrung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 100. Jahrestag ihrer Ermordung, der hart die Rolle der deutschen SPD damals wie heute angriff, abgelehnt. Wie jedes Jahr gab es eine Reihe von Anträgen zum Thema Feminismus, in denen unter anderem der Kampf gegen den §219a (Verbot von Werbung für Schwangerschaftsabbruch) beschlossen wurde. Auch kam es zu einer Diskussion zur Haltung des Verbandes zum Thema feministische Pornografie. Einigkeit besteht im Verband darin, dass die Mainstream-Pornografie ein frauen- und menschenfeindliches Bild von Sexualität vermittelt. Darüber hinaus bleibt die Diskussion um die Haltung der Linksjugend zur Sexindustrie kontrovers. Bereits auf dem letzten Bundeskongress in Erfurt kam die Diskussion zur Bewertung von Prostitution im Kapitalismus auf. Die SAV lehnt die kommerzielle Vermarktung des weiblichen Körpers und weiblicher Sexualität ab. Viele andere Anträge wurden diskutiert und beschlossen, und können sicher bald über die Homepage der Linksjugend [’solid] abgerufen werden.

Das erste Mal seit Jahren gab es wieder zahlreiche Kandidaturen zum Bundessprecher*innenrat, der diesmal sogar zehn Personen umfasst. Die wegen antideutscher Positionen und undemokratischen Handeln umstrittene Bundessprecherin Sarah Rambatz wurde nicht nochmal gewählt, sondern unterlag in einer Stichwahl. Die politische Zusammensetzung des BundessprecherInnenrates hat sich aber kaum geändert. Um die Wahl der jugendpolitischen Sprecherin und des Jugendkandidaten zur Europawahl gab es kaum Konflikte, wofür Franziska Fehst aus Sachsen und Malte Fiedler aus Berlin bestimmt wurden. Politische Konflikte wurden von der Mehrheit erstmal zurückgestellt, um die Wahlen hinzubekommen und bei der Unvereinbarkeit keine Angriffsfläche zu bieten. Ob das zu größerer Arbeits- und Kampagnenfähigkeit führt, wie es sich viele im Verband wünschen, bleibt noch abzuwarten.

Neben einer Reihe von Anträgen gab es neben dem regulären Programm des Bundeskongresses auch kleinere Aktionen, wie eine Protestaktion gegen ein Volksfest der AfD und ein gemeinsames Gruppenfoto gegen die militärischen Angriffe der Türkei auf Kurdistan. Eine längere Diskussion zu den Angriffen auf Syrien und Kurdistan fand, trotz drängender Lage, leider nicht statt.

Zukunft des Verbands

Der Bundeskongress war vordergründig weniger polarisiert als die letzten drei Kongresse. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Jugendverband, in dem es so eine hohe Zustimmung für bürokratischen Maßnahmen gibt, wie dem Ausschluss ganzer aktiver Gruppen, seine eigene Zukunft als attraktive kämpferische Jugendorganisation gefährdet. Darum ist es wichtig, dass der Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke gestärkt wird, damit sich gemeinsam und stark gegen undemokratische Maßnahmen und für den Erhalt linker Grundsätze eingesetzt werden kann.

Nach wie vor ist der Verband von starken inhaltlichen Differenzen geprägt. Diese werden weiterhin nach innen häufig mit schädlichen Methoden ausgetragen – RednerInnen werden ausgelacht oder anderweitig eingeschüchtert. Das führt dazu, dass gerade (aber nicht nur) neuere und weibliche Mitglieder in Diskussionen an den Rand gedrängt werden und es einiges an Überwindung kostet, sich zu Wort zu melden. Auch dass Mitglieder der Linksjugend unwidersprochen mit Propaganda imperialistischer Militärs wie der IDF (Israel Defence Force – Israelische Armee) den Bundeskongress besuchen, stimmt nicht gerade hoffnungsvoll. Von einer wirklichen ArbeiterInnenjugendorganisation, in denen Gemeinsamkeiten vor Spaltung stehen, ein respektvoller Umgang herrscht, und Internationalismus und Solidarität großgeschrieben werden, ist diese Organisation auf Bundesebene nach wie vor weit entfernt.

Auch nach außen schadet ein solches Auftreten dem Aufbau linker Organisationen. Es ist kaum in Worte zu fassen, welche menschenfeindlichen und unpolitischen Kommentare den Bundeskongress auf Twitter oder Facebook dokumentieren. SAV-Mitglieder beteiligen sich an inhaltlichen Debatten – nicht aber an wüsten Beschimpfungen über Twitter oder Facebook! In der einfachen Bevölkerung weiß heute kaum jemand, was „Antideutsche“ sind oder weshalb Menschen in einer linken Organisation sich behandeln als würden sie sich am liebsten gegenseitig an die Gurgel gehen. Szenedebatten in einer linken Organisation – vor allem aber in der Öffentlichkeit – nach vorne zu stellen, zerstört aktiv Anknüpfungspunkte linker Strukturen mit der heute noch unorganisierten Bevölkerung.

Dagegen sollten alle im Verband, die das anders sehen, gegenhalten und mit guten auf die ArbeiterInnenklasse orientierten Kampagnen, einer guten Diskussionskultur und einer Politik ohne Ausgrenzung in ihren Landesverbänden und Basisgruppen vormachen, wie eine kämpferische und sozialistische Jugendorganisation aussehen kann.

Widerstand gegen Trumps Bomben!

Für den Aufbau einer Massenbewegung gegen den Krieg!
Serge Jordan

Vorbemerkung: Die USA, Großbritannien und Frankreich haben in der Nacht von Freitag auf Samstag Luftangriffe auf Ziele in Syrien durchgeführt. Damit hat Trump seine Drohungen der letzten Tage wahr gemacht und riskiert eine gefährliche Eskalation des Syrien-Konflikts, der immer mehr zu einem Stellvertreterkrieg der westlichen imperialistischen Mächte und Russlands bzw. der regionalen Mächte geworden ist. Die relative Begrenztheit der Luftschläge, die nach offiziellen Angaben keine Todesopfer zur Folge hatten und außerhalb des russischen Einflussbereichs in Syrien durchgeführt wurden, drückt aus, dass sich die westlichen Strategen dieser Gefahr bewusst sind, aber auch, dass sie bereit sind eine Kettenreaktion zu riskieren und ihrer militärischen Logik nicht entrinnen können.

Vor dem Hintergrund der verschärften Konflikte zwischen den Großmächten und der allgemeinen Zunahme imperialistischer Konkurrenz um Märkte und Einflusssphären in Folge des Zusammenbruchs der stalinistischen Staaten und der Weltwirtschaftskrise von 2008/09, sowie der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, nehmen Kriege und militärische Konflikte zu und steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu direkten militärischen Konfrontationen zwischen Russland und NATO-Staaten kommen kann.

Die politische Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Luftschläge ist ein Skandal und Ausdruck der Komplizenschaft der deutschen herrschenden Klasse mit Trump und den anderen imperialistischen NATO-Staaten – trotz aller Konflikte und Differenzen, die es um Handelspolitik und andere Fragen gibt.

Wir veröffentlichen hier einen Artikel von Serge Jordan, Mitglied des Internationalen Sekretariats des Komitees für eine Arbeiterinternationale, der wenige Tage vor den Luftangriffen auf socialistworld.net veröffentlicht wurde und dessen Analyse der Situation Gültigkeit behält.

 

Sowohl Trump als auch die britische Premierministerin Theresa May erleben turbulente politische Zeiten und müssen die öffentliche Aufmerksamkeit von den Problemen ihrer jeweiligen Regierungen ablenken. In Großbritannien kam es May sehr gelegen, dass der mutmaßliche Giftgasanschlag, für den keine konkreten Beweise geliefert wurden, im Vorfeld dieser Krise stattfand. Neben Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron mit einer neuen Welle kämpfender ArbeiterInnen ringt, und Saudi-Arabien, welches den anderen dreien Unterstützung zugesagt hat, verschärfen alle ihre Rhetorik und lassen gegenüber dem Assad-Regime und seinen Unterstützern im Kreml die Muskeln spielen. Zynischerweise benutzen sie als Vorwand einen mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz in Douma, der größten Stadt Ost-Ghoutas in den Vororten von Damaskus.

Diese abscheuliche Tat, welche mutmaßlich dutzende Menschen tötete, wird ohne irgendwelche substantiellen bisher vorgebrachten Beweise dem Regime von Bashar al-Assad und seinen ausländischen Unterstützern in die Schuhe geschoben. Um eines klarzustellen: Assads Regime hat seine korrupte Herrschaft seit Jahren unter Strömen von Blut unschuldiger Menschen verteidigt. Das CWI unterstützt weder dieses brutale reaktionäre Regime noch seine russischen und iranischen Patronen. Doch warum sollte die syrische Armee gerade jetzt einen Chemiewaffenangriff tätigen, welcher den Zorn der westlich-imperialistischen Mächte auf sie ziehen würde? Auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, erschließt sich die taktische Logik hinter solch einer Entscheidung nicht. Ein militärischer Erfolg in Ost-Ghouta war für das Regime in Reichweite und hätte Assads Kontrolle in den meisten der städtischen Zentren Syriens etabliert. Einige Kommentatoren spekulieren, dass dieser kürzliche Angriff von dschihadistischen „Rebellen“ hätte initiiert werden können, um den US-Imperialismus tiefer in den Konflikt zu ziehen.

Unabhängig davon wer für den Angriff verantwortlich ist: Dass dieser jetzt als Legitimation für eine weitere imperialistische Intervention benutzt wird, sollte zurückgewiesen und bekämpft werden. 15 Jahre nach der Invasion und Besetzung des Irak erinnern sich Millionen Menschen an die Lügen herrschender Politiker und ihrer Freunde in den etablierten, unternehmernahen Medien von damals, welche den furchtbaren Krieg rechtfertigen sollten. Berechtigterweise sind viele nicht bereit die offizielle Version der Ereignisse hinzunehmen, wie sie jetzt von westlichen Regierungen und Mainstream-Medien präsentiert wird. Andere westliche Interventionen in Afghanistan und Libyen waren ebenfalls ein Desaster für die Völker der Region und haben die Krise nur verschlimmert.

Der Irak-Krieg läutete den Niedergang des US-Imperialismus im Nahen Osten ein. Der aktuelle Krieg in Syrien hat seine Schwäche noch mehr zutage gebracht und für Russland und Iran Möglichkeiten eröffnet, ihren regionalen Einfluss auszubauen. Zudem hat die offen verstärkte Unterstützung der Erzfeinde des Iran – Israel und Saudi-Arabien – durch die Trump-Administration die regionalen Spannungen auf ein neues Hoch schnellen lassen.

Die Spannungen zwischen den Großmächten, welche während des Kampfs gegen den IS in Schach gehalten wurden, wurden nun mit neuer Intensität an die Oberfläche gespült, nachdem der Proto-Staat des IS zusammenfiel. Die letzten Entwicklungen zeigten eine Eskalation „zwischenstaatlicher“ militärischer Scharmützel auf syrischem Territorium: Israel, die Türkei, Iran und andere weisen ein verstärktes militärisches Engagement auf.

Trumps Luftschläge werden wahrscheinlich eine Machtdemonstration von beschränkter Dauer sein; in etwa so wie jene vom April 2017, als die US-Navy 59 Tomahawk-Raketen auf eine syrische Luftwaffenbasis abfeuerte. Größere Optionen, wie die eines richtigen Kriegs mit dem Ziel eines „Regime Change“, würden nicht nur riskieren, die ganze Region in die Flammen eines heftigen Kriegs zu ziehen, sondern würden auch in den westlichen Hauptstädten und auf der ganzen Welt große politische und soziale Verwerfungen befeuern. Doch der Krieg hat seine eigene Logik und neue US-Luftschläge könnten in so einer leicht entflammbaren Situation zu ungewollten Konsequenzen führen.

Heuchelei

Während die zwischenimperialistischen Spannungen im Nahen Osten und auf dem Globus zunehmen, so erreichen auch die schiere Heuchelei und doppelten Standards der herrschenden Klassen neue Höhen und Ausmaße. Während sie Assad „Missachtung von Menschenleben“ vorwerfen, haben Trump, May und Macron erst kürzlich dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman den roten Teppich ausgerollt – dem Hauptarchitekten des Gemetzels im jemen und der Aushungerung des Landes, die im Durchschnitt alle zehn Minuten ein Kind tötet. Alle beglückwünschten sie den konterrevolutionären Schlächter al-Sisi zu seiner kürzlichen „Wiederwahl“-Farce in Ägypten. Alle stellten sowohl der ethnischen Säuberung des türkischen Präsidenten Erdogan in Afrin einen Freifahrtsschein aus, als auch den israelischen Scharfschützen, welche unbewaffnete PalästinenserInnen in Gaza niederschossen. Eine Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat wurde durch das Veto des US-Imperialismus verhindert.

KeineR der KommentatorInnen, welche sich nun über den Einsatz von Chemiewaffen entrüsten und eine neue militärische Aggression in Syrien legitimieren, zuckten auch nur mit der Wimper, als im letzten Jahr die US-Armee Phosphorbomben in dicht besiedelten Gegenden von Mosul und Raqqa im Kampf gegen den IS einsetzte. Im Namen des „Krieg gegen den Terror“ konnte anscheinend auf hunderte ZivilistInnen verzichtet und ihre Städte ausgelöscht werden. Dieselbe Logik wurde von Assad- und Putin-UnterstützerInnen angewandt, um die tödlichen Belagerungen und brutalen Bombardierungen der zivilen Bevölkerung in den Gegenden Syriens zu rechtfertigen, welche von bewaffneten Rebellengruppen gehalten wurden. Die meisten dieser Gruppen waren von islamistisch-fundamentalistischer Tendenz, wie die Salafisten von „Jaysh al-Islam“, welche bis vor Kurzem noch Ost-Ghouta kontrollierten.

Stattdessen werden das mörderische Wüten von Assad und seinen Unterstützern wie auch die zivilen Opfer durch die westlich-imperialistische „Befreiung“ vom IS – in Kombination mit Massenarmut und -entfremdung von Millionen Menschen – wie Rekrutierungsgehilfen für zukünftige sunnitische bewaffnete Gruppen wirken, wenn sie nicht durch eine wirkliche Alternative herausgefordert werden. Parallel haben skrupellose bewaffnete Gangs von SalafistInnen und DschihadistInnen Assad dabei geholfen, durch die Angst vor selbigen Kontrolle über wichtige Schichten der Bevölkerung zu behalten. Eine neue Serie von imperialistischen Luftschlägen würde denselben Effekt haben und Assads Märchen bestärken, das sein Regime mit einer Festung vergleicht, die sich gegen interne und äußere terroristische und imperialistische Feinde verteidigt.

Das CWI stellt sich unnachgiebig gegen alle Militärschläge in Syrien sowie gegen jede ausländische Intervention und Einmischung im Land. Das Blutvergießen und die Zerstörung, welche fast unvermindert seit sieben Jahren anhalten, müssen gestoppt und nicht verschärft werden. Das ist eine Aufgabe, zu deren Lösung alle existierenden kapitalistischen und imperialistischen Mächte, welche in der Region agieren und um Einfluss, Prestige und Profit ringen, offensichtlich nicht in der Lage sind. Es kann auf der Grundlage dieses verrotteten Systems ganz einfach keine Lösung für die Schrecken geben, mit denen die syrische Bevölkerung konfrontiert ist.

Während das syrische Volk die Schläge der Konterrevolution und des Krieges erträgt, existiert eine mächtige und wichtige Arbeiterklasse in den Ländern des Iran, der Türkei und Ägyptens. Im Bündnis mit den Armen und Unterdrückten der Region und Schulter an Schulter mit einer dringend erforderlichen Anti-Kriegs-Bewegung im Westen könnte solch eine mit demokratischen und sozialistischen Ideen bewaffnete Kraft einen Weg aus dem Albtraum zeigen, mit welchem Syrien und der Nahe Osten konfrontiert ist.

Wir sagen:

– Stoppt Trumps Angriff auf Syrien – Sofortiger Abzug aller ausländischen Truppen aus Syrien – Nein zu allen Einmischungen von ausländischen Kräften in der Region

– Baut eine massenhafte, internationale Bewegung gegen den Krieg auf!

– Für den Aufbau vereinter, multiethnischer und säkularer Verteidigungskomitees in allen Teilen Syriens, um ArbeiterInnen und Arme gegen spaltende und militärische Attacken von allen Seiten zu verteidigen

– Für den Aufbau unabhängiger Gewerkschaften und MassenarbeiterInnenparteien mit dem Programm: Das Land den Massen – Die Fabriken den ArbeiterInnen

– Nieder mit Diktatur, Kapitalismus und Imperialismus – Für ArbeiterInneneinheit und Sozialismus

– Für eine demokratisch-sozialistische Förderation des Nahen Ostens und Nordafrikas, welche die Rechte aller Minderheiten respektiert

Antikapitalistisches Einsteigerprogramm

Sozialismustage der SAV (deutsche Schwesterorganisation der SLP)

SAV Bundessprecher Sascha Staničić

Kshama Sawant

Frigga Haug

Rote Ostern gab es in diesem Jahr wieder in Berlin bei den von der SAV (deutsche Sektion des CWI) organisierten Sozialismustagen. Bis zu 500 TeilnehmerInnen diskutierten auf über 35 verschiedenen Veranstaltung über Themen, die von Marx bis zum Bedingungslosen Grundeinkommen, von den Kämpfen in den Krankenhäusern bis zur Novemberrevolution, von der Zukunft der Partei DIE LINKE bis zur Frage, wie Prostitution zu bekämpfen ist, reichten.

Von den Stühlen riss es die ZuhörerInnen am Samstag Abend, als die sozialistische Stadträtin aus der US-Metropole Seattle, Kshama Sawant, ihre ergreifende Rede beendet hatte, in der sie darlegte, weshalb die Trump-Präsidentschaft, trotz der großen von ihr ausgehenden Gefahr, keinen Rechtsruck der US-Gesellschaft widerspiegelt, sondern im Gegenteil die vielen Massenmobilisierungen und das sich verändernde Bewusstsein unter vielen ArbeiterInnen und Jugendlichen große Chancen für den Aufbau einer sozialistischen Linken darstellen. Es war Sawants erster Auftritt in Deutschland, den ein Linkspartei-Mitglied auf facebook mit dem Satz kommentierte: „Ich glaub ich bin verknallt. Sie ist sooo klasse!“

Die Beteiligung internationaler Gäste ist ein Markenzeichen der jährlich stattfindenden Sozialismustage. In diesem Jahr waren Borja Latorre Campos (ehemaliger Generalsekretär der katalanischen SchülerInnengewerkschaft), Clare Doyle (Internationales Sekretariat des Komitees für eine Arbeiterinternationale), Sonja Grusch (Bundessprecherin der Sozialistischen LinksPartei aus Österreich), Igor Iasine (LGBTIQ-Aktivist und Vorstandsmitglied der unabhängigen Journalistengewerkschaft) und Sinéad Daly (Vorstandsmitglied der Socialist Party Scotland) eingeladene RednerInnen. Außerdem waren TeilnehmerInnen aus Polen, der Tschechischen Republik, Österreich, Schottland, dem Spanischen Staat, England und Schweden angereist. Diese machten die Sozialismustage zu einem greifbar internationalistischen Wochenende.

Für sozialistische Demokratie

Auf der Auftaktveranstaltung standen die Themen Repression und Demokratieabbau im Mittelpunkt. Unter dem Motto „Rebellion gegen Repression. Demokratie geht nur sozialistisch“ wurde unter anderem über den Aufstieg der FPÖ in Österreich, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, die Trump-Präsidentschaft und die Unterdrückung der LGBTIQ-Gemeinschaft in Russland gesprochen. Auch der mittlerweile in Deutschland Asyl beantragende schwule russisch-usbekische Journalist Ali Feruz sprach am Samstag in einer Veranstaltung über seine Erfahrungen in monatelanger russischer Abschiebehaft und den Kampf für die Rechte von LGBTIQ-Menschen. Eine Videobotschaft hatte Ferat Ali Kocak an die Sozialismustage gesendet. Er ist Aktivist des prokurdischen HDK und der LINKEN in Berlin-Neukölln und war vor einigen Wochen Opfer eines faschistischen Brandanschlags geworden.

Der SAV-Bundessprecher Sascha Staničić betonte in seiner Abschlussrede der Auftaktveranstaltung, dass die Bundesrepublik unter der neuen Großen Koalition rassistischer, undemokratischer und militaristischer werde und rief unter anderem zur Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden auf. Tenor des Abends war, dass die Klassenwidersprüche der kapitalistischen Gesellschaft Demokratieabbau und staatliche Repression zwangsläufig nach sich ziehen und eine Demokratie, die den Namen verdient, die Überwindung der kapitalistischen Profitwirtschaft zur Voraussetzung hat.

Neben Einführungsveranstaltungen in marxistischer Theorie und Geschichte und internationalen Themen, waren der Kampf um mehr Personal in den Krankenhäusern und Debatten zur Situation der Linkspartei ein Schwerpunkt des Wochenende.

Auf einem Vernetzungstreffen für Beschäftigte und Aktive aus dem Gesundheitswesen wurde unter anderem ein Zeitungsprojekt besprochen, dass „von KollegInnen für KollegInnen“ den Erfahrungsaustausch unter Aktiven in dem Bereich fördern und linke Positionen in die innergewerkschaftlichen Debatten tragen soll.

DIE LINKE

Alle Themen, die zur Zeit in der Partei DIE LINKE kontrovers diskutiert werden, wurden auch auf kontrovers besetzten Podien auf den Sozialismustagen debattiert. So diskutierten Ianka Pigors (SAV), Lena Kreck (Mitautorin des „linken“ Gesetzentwurfs für ein Einwanderungsgesetz) und Ali Al-Dailami (LINKE Parteivorstand) über die Fragen von Migration und Einwanderungsgesetz; Olaf Michael Ostertag (BAG Bedingungsloses Grundeinkommen) und Sebastian Rave (SAV) debattierten über Für und Wider des Bedingungslosen Grundeinkommens. Der Parteivorsitzende Bernd Riexinger debattierte mit Lucy Redler (SAV-Bundessprecherin und LINKE Parteivorstand) und Carsten Becker (Sprecher der ver.di Betriebsgruppe an der Charité) über die Frage, wie DIE LINKE eine „klassenbasierte Massenpartei“ werden kann. Neben einem gewissen Maß an Einigkeit über die Notwendigkeit einer stärkeren Orientierung der Partei auf gewerkschaftliche und soziale Kämpfe, kamen in dieser Debatte auch die Differenzen zum Beispiel in der Frage der Beteiligung an Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen auf den Tisch. Carsten Becker betonte, dass die Glaubwürdigkeit der Partei weiterhin unter den Entscheidungen von Landesregierungen mit LINKE-Beteiligung, wie der Ausgliederung des Servicebereichs an der Charité, leide und forderte eine „authentische und konsequente“ Haltung. Lucy Redler warnte unter großem Applaus vor dem von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine vorgeschlagenen Kurs in der Migrationspolitik und auch Bernd Riexinger betonte, dass es keine Aufweichung der Position in dieser Frage geben darf. Zu einer weiteren Debatte zum Thema Regierungsbeteiligung in Thüringen hatte der dortige Staatssekretär Benjamin Hoff seine Teilnahme aus privaten Gründen kurzfristig abgesagt, so dass dort mit Johanna Scheringer-Wright (Landtagsabgeordnete in Thüringen und Mitglied der Kommunistischen Plattform) und Steve Hollasky (SAV Dresden) zwei GegnerInnen der Koalitionspolitik miteinander debattierten.

Highlights

Weitere Highlights des Wochenendes waren sicher die Veranstaltungen mit dem Theaterregisseur Volker Lösch (zu „Theater der Partizipation“ und zum Kampf gegen Rechts), mit der marxistischen Feministin Frigga Haug zu „Frauen in der ’68er Bewegung“, mit Manuela Schon (Buchautorin) und Sinéad Daly zum Thema Prostitution und mit Mareice Kaiser (Buchautorin und Bloggerin), Margit Glasow (Inklusionsbeauftragte der LINKEN) und Guido Schönian (GEW Köln) zum Thema „Was tun gegen Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen?“. Hier kamen auch Betroffene zu Wort, die den Wunsch äußerten, dass in der LINKEN und der SAV ein größeres Augenmerk auf das Thema Inklusion und Barrierefreiheit gelegt wird.

Junge Auszubildende debattierten in einem Workshop die Frage, wie bessere Ausbildungsbedingungen erkämpft werden können und der marxistische Ökonom und Verkehrsexperte Winfried Wolf diskutierte mit der gewerkschaftspolitischen Sprecherin der SAV, Angelika Teweleit, die Situation in der Autoindustrie.

Den Abschluss bildete eine Ehrung von Karl Marx zu seinem 200. Geburtstag im Mai, die dem Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus gefallen hätte. AktivistInnen aus verschiedenen Bewegungen und Kshama Sawant sprachen zur Bedeutung marxistischer Ideen für ihre Kämpfe. Stephan Gummert, ver.di-Streikaktivist der letzten Jahre an der Charité, betonte die Bedeutung, die marxistische Ideen für ihn und andere GewerkschafterInnen bei der Organisierung ihrer Kämpfe hatten. Vanessa Diener aus Kassel berichtete vom Schülerinnen- und Schülerstreik im Dezember letzten Jahres und betonte die Bedeutung der Verbindung von Jugend- und ArbeiterInnenkämpfen. Sarah Moayeri, Aktivistin in der linksjugend [’solid] sprach über die Wichtigkeit marxistischer Ideen beim Kampf gegen Rassismus und Frauenunterdrückung. Roter Faden dieser Veranstaltung war die Notwendigkeit der Einheit der ArbeiterInnenklasse im Kampf für eine bessere Gesellschaft.

Die Sozialismustage waren nicht nur ein Erfolg, sondern eine begeisternde und motivierende Veranstaltung. Sie sind auch Ausdruck der Fortschritte, die die SAV in den letzten Jahren dabei gemacht, ihre Organisation zu stärken, auszudehnen (viele TeilnehmerInnen kamen aus den neuen SAV-Gruppen in München, Lemgo, Mainz, Hannover) und ihren Einfluss in der LINKEN, der linksjugend [’solid] und sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen zu vergrößern. Zwölf TeilnehmerInnen wollen SAV-Mitglied werden und dutzende weitere die Diskussion mit der SAV fortsetzen. Die Sozialismustage waren, wie Sascha Staničić in Replik auf die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung angekündigten „Aussteigerprogramme für Linksextremisten“ ein Einsteigerprogramm für „antikapitalistische AktivistInnen“. Ostern 2019 sollte sich jedenfalls jetzt schon im Terminkalender rot angestrichen werden.

Italien: Wie weiter nach den Wahlen

Die Wahlen am 4. März waren das größte politische Erdbeben seit den Korruptionsskandalen der frühen 90er.
Christine Thomas, Resistenze Internazionali, www.resistenzeinternazionali.it

Die PD (Demokratische Partei) von Premier Renzi wurde hinter der 5-Sterne-Bewegung (M5S) nur zweite. Berlusconis Forza Italia (FI) wurde von der rechtspopulistischen Lega unter Matteo Salvini überholt. Bei einer Wahlbeteiligung von 73% gingen mehr als 50% der Stimmen an Anti-Establishment Parteien. Das ist eine klare Ablehnung der traditionellen Politik und zeigt den verzweifelten Wunsch nach Veränderung nach Jahren der Korruption, Sparpolitik und wirtschaftlicher Krise für ArbeitnehmerInnen. Ohne klaren Sieger stehen nun Wochen bis Monate der Unsicherheit bevor.

Die Verluste für die PD, der Hauptregierungs- und Lieblingspartei des italienischen Kapitals waren stärker als vorhergesagt. Selbst ihre Dominanz in den "roten Regionen" gehört nun der Vergangenheit an. Obwohl es nach fast zehn Jahren der Rezession eine kleine Erholung der Wirtschaft gibt, gelang es der PD nicht, davon zu profitieren. Das Wachstum ist immer noch kleiner als vor der Krise, und die Arbeitslosigkeit höher. Viele Menschen aus der ArbeiterInnenklasse oder Mittelklasse haben keine Verbesserung ihres Lebensstandards gespürt.

Mit mehr als 32% ist die 5 Sterne-Bewegung nun die bei weitem größte Partei und erreichte besonders viele Stimmen unter Jungen. Die Unterstützung für M5S kommt von links- und rechtsgerichteten WählerInnen, die zutiefst enttäuscht von den traditionellen Parteien sind. Sie waren sogar bereit, das Chaos der M5S-Regierung in Rom zu ignorieren, um etwas neues auszuprobieren. Doch Luigi Di Maio, der Anführer des M5S, hat die letzten Wochen damit verbracht, die Konzerne abzuklappern und sich als verlässlichen Premier und M5S als verlässliche kapitalistische Partei zu präsentieren. Sie wandten sich sogar von der früheren Anti-EU/Euro Haltung ab und sind nun gegen eine Reichtumsbesteuerung. Er hat auch erklärt, dass er offen für ein Bündnis mit anderen Parteien ist. Wie weit er bereit ist zu gehen, ist offen, da das der ursprünglichen Intention von M5S diametral entgegengesetzt ist - nämlich einer Opposition zur verrotteten politischen Kaste. Wenn die M5S in eine Koalition mit einer der anderen Parteien geht, wird sie das vermutlich spalten - mit einem Teil, der zurück zur Anti-Establishment Haltung will.

Die "rechte Mitte" ist mit 37% nun das größte Bündnis, aber auch sie hat keine Mehrheit. Die rassistische Lega ist nun die größte Partei auf der Rechten und hat Berlusconis Forza Italia überholt. Damit hat sich das Kräfteverhältnis innerhalb des Bündnisses geändert.

Die Frage der Migration dominierte den Wahlkampf in den Medien. Alle großen Parteien setzten auf eine harte Linie. Im Norden und in Zentralitalien profitierte v.a. die Lega davon. Ihr Stimmenanteil ist von 4% auf 18% gestiegen (ein Drittel kam von den NichtwählerInnen, ein Viertel von der Forza Italia). Auch Teil des Bündnisses ist Fratelli d'Italia, die ihre Wurzeln in der faschistischen MSI hat und sich auf 4,35% verdreifachte. Die „rechte Mitte“ wird zweifellos versuchen, die nötigen 50 Abgeordneten von anderen Parteien für eine Mehrheit zu gewinnen. Allerdings wird das schwierig sein, besonders wenn Salvini der Kandidat für den Premier ist.

Trotz der politischen Stimmungsmache gegen Flüchtlinge und einer nie dagewesenen medialen Öffentlichkeit für den faschistischen CasaPound, erhielt dieser nur 0,9%. Allerdings war die Ermordung von sechs MigrantInnen durch einen rechtsextremen Terroristen während des Wahlkampfes Ergebnis dieser Hetze. Antirassismus und Antifaschismus sind weiterhin zentral, egal welche Regierung gebildet wird.

Die neue linke Potere al Popolo (Macht für das Volk) erhielt 370.000 Stimmen, knapp über 1% bundesweit (2013 erhielt die radikale Linke bei den Wahlen 3%). Ursache ist u.a. die Angst vor einer „verlorenen Stimme“, die kleinere Parteien schwächte. Für eine Bewegung, die nur wenige Wochen vor der Wahl entstanden war, und weit weniger Medienöffentlichkeit erhielt als andere, war das kein schlechtes Resultat. Mandate zu erreichen war nie das Hauptziel. Potere al Popolo ist von unten entstanden, als kämpferische aktive Organisation zum Mitmachen. Sie ist Sammelpunkt für verschiedene soziale Bewegungen und linke Parteien. Hunderte Versammlungen im ganzen Land wurden in über 100 Städten abgehalten und zogen tausende Menschen, v.a. Jugendliche an.

Aufgrund dieses Potentials für den Aufbau einer kämpferischen antikapitalistischen Kraft hat Resistenze Internazionali (CWI in Italien) sich Potere al Popolo angeschlossen, war Teil der Wahlkampagne und kandidierte in Genua. Ob diese Organisation ihr Potential verwirklicht, ist noch ungewiss.

Zu diesem Zeitpunkt ist noch offen, welche Regierungskoalition entstehen wird oder ob Neuwahlen kommen. Nichts davon wird auch nur ansatzweise die Probleme von ArbeitnehmerInnen und der Mittelschichten lösen.

Die wirtschaftliche, politische und soziale Krise des italienischen Kapitalismus wird weitergehen - und der Aufbau einer kämpferischen antikapitalistischen Alternative ist nötiger denn je.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Marielle Presente!

Warum die Ermordung von Marielle Franco in Rio de Janeiro ein Angriff auf demokratische Rechte und damit auf uns alle ist.

In der Nacht vom 14. März wurden Marielle Franco und ihr Fahrer Anderson Pedro Gomes im brasilianischen Rio de Janeiro in ihrem Auto erschossen, Marielles Assistentin wurde schwer verletzt. Marielle war erst 38 Jahre alt. Sie gehörte der Partei PSOL (Partei für Freiheit und Sozialismus) an, in der auch die SAV-Schwesterorganisation LSR (Freiheit, Sozialismus, Revolution) aktiv ist.

Von Anne Engelhardt, SAV Kassel, derzeit in Sao Paulo

Viele GenossInnen der LSR kannten Marielle schon sehr lange, waren eng mit ihr befreundet und waren mit ihr gemeinsam aktiv, sei es gegen rassistische Polizeigewalt, gegen die aktuelle Welle von Sozialkürzungen oder sexistische Übergriffe. Der Schock über ihre Ermordung sitzt tief. Selbst die Mordkommission spricht von einer „regelrechten Hinrichtung.“ Marielles Auto fuhr durch das sehr belebte und sehr zentrale Viertel Lapa, in dem auch viele Mitglieder von PSOL leben. Neun Kugeln wurden gezielt auf sie abgegeben, da nichts gestohlen wurde, ist ein Raubüberfall, wie er leider Aufgrund der Armut und Polarisierung in Rio de Janeiro sehr häufig vorkommt, ausgeschlossen.

Politischer Mord

Marielles Ermordung hatte ausschließlich politische Motive. Denn in Marielles Herkunft und in ihrem politischen Aktivismus konzentrierten sich sämtliche Widersprüche der brasilianischen, aber auch der weltweiten ökonomischen und sozialen Lage von ArbeiterInnen, Schwarzen, Frauen, Homosexuellen. Einerseits gibt es eine starke Zunahme von Bewegungen von schwarzen Frauen und insgesamt der Frauen-, Trans*- und LGBTQ-Bewegung gegen Übergriffe und ihre soziale Lage. In Brasiliens Großstädten gibt es eine unglaublich hohe Sichtbarkeit von Diversität und Bewegung. Andererseits scheint genau das, neben der Armut Anlass zu sein, schwarze und vor allem Frauen gezielt anzugreifen, da diese, eben genau wie Marielle, als SprecherInnen und KämpferInnen für Menschenrechte in der ersten Reihe stehen. Marielle selbst ist in Maré geboren, einem der größten Favelas in Rio de Janeiro. Häufig sind Favelas dadurch gekennzeichnet, dass die regionale Verwaltung diese nicht als Wohngebiete anerkennt, sie sozusagen als illegal gebrandmarkt sind und daher keine Postleitzahl erhalten. Dadurch sind die dort lebenden BewohnerInnen von der Registrierung für Schule, Gesundheitswesen oder sonstige administrative Bereiche ausgeschlossen und können sich nur über Scheinregistrierungen in anderen Vierteln abhelfen. Es fehlt häufiger als in „offiziellen“ Vierteln an Strom und Wasser. Die Landes- und Bundesregierung weigern sich, notwendige Investitionen, für Straßen, Abwasser und Stromversorgung zu leisten, obwohl viele der Millionen BewohneIinnen in den Vierteln landesweit arbeiten und Steuern zahlen. Marielle war eine schwarze linke Aktivistin, sie lebte in einer lesbischen Beziehung und hinterlässt eine Tochter. Marielle schaffte es trotz Armut, zu studieren und einen Master in Soziologie und Verwaltung abzuschließen. Marielles Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht, waren wie unsere Schwesterorganisation LSR schreibt ebenfalls Faktor in der Ermordung. Denn „alle 21 Minuten wird in Brasilien eine junge schwarze Person getötet. Von 100 Mordfällen, sind 71 schwarz. Die gezielte Tötung von schwarzen Frauen ist zwischen 2005 und 2015 um 22 Prozent gestiegen, während die Rate der ermordeten Nicht-Schwarzen um 7,6 Prozent gesunken ist“ (die englischsprachige Stellungnahme unserer brasilianischen Sektion findet ihr hier: http://socialistworld.net/index.php/international/americas/45-brazil/969...).

Polizeigewalt gegen Schwarze

2016 wurde Marielle als erste schwarze Frau mit dem fünfthöchsten Ergebnis als Abgeordnete für den Bundesstaat Rio de Janeiro für die linke Partei PSOL gewählt. PSOL ist für seine heterogene Sozialstruktur bekannt. Erst kürzlich wurden die indigene Aktivistin Sonía Guajajara und Guilherme Boulos, Aktivist der Bewegung ArbeiterInnen ohne Wohnraum, als PräsidentschaftskandidatInnen gewählt, für die im November anstehende Präsidentschaftswahl. Trennung zwischen den sogenannten ‚indentitären‘ und ‚sozialen‘ Themen, wie sie derzeit noch in der LINKE diskutiert werden, sind hier ein weiteres Mal überwunden worden und ein breites Bündnis von ArbeiterInnen, die unterschiedlich von Diskriminierung und Ausbeutung betroffen sind, konnte sich in den letzten Jahren formieren. Marielle leistete dazu einen wichtigen Beitrag. Als Abgeordnete vom Bundesstaat Rio de Janeiro engagierte sie sich überwiegend für die Sichtbarmachung polizeilicher Repressionen in den Favelas in Rio de Janeiro. Dort kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen Drogen- und Schmugglerbanden und der Militärpolizei. Diese ist ein strukturelles Erbe aus der Militärdiktatur Brasiliens und mit extrem rechten Kräften durchzogen. So werden in den Armenvierteln und Favelas täglich willkürliche Razzien durchgeführt und immer wieder kommt es zu kaltblütigen Erschießungen unbewaffneter Schwarzer. So fragte Marielle in einem ihren letzten Facebook-Posts: „Zu wie vielen Toten muss es noch kommen, damit dieser Krieg endlich aufhört?“

Ausnahmezustand

Ende Februar verhängte die Bundesregierung im Bundesstaat Rio de Janeiro den Ausnahmezustand, angeblich sei die Kriminalitätsrate enorm gestiegen. Das hatte zur Folge, dass heute in den Favelas nicht nur die Militärpolizei, sondern auch das Militär inklusive Panzer patrouillieren darf. Dieser Einsatz und die Debatte um die angebliche Zunahme der Gewalt in Rio de Janeiro sind schlicht ein Ablenkungsmanöver der aktuellen – nicht gewählten – Regierung des rechts-konservativen Präsidenten Michael Temer, von der Regierungskrise. Denn aufgrund des enormen Widerstandes kann er derzeit eine drastische Rentenkürzung im öffentliche Dienst nicht durchsetzen, da er dafür die Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament benötigt. Der Ausnahmezustand in Rio de Janeiro führte dazu, dass Temer die Abstimmung über die Kürzung verschieben konnte und er sich jetzt keine Niederlage einfangen musste. Ein Schelm wer Böses dabei denkt, dass der Ausnahmezustand genau drei Tage vor der Abstimmung verhängt wurde. „Temer“ bedeutet im Portugiesischen übrigens „Befürchten“ und der Name ist Programm. Die Armut und die soziale Ungleichheit haben sich seit seiner Amtsübername drastisch verschärft. Insbesondere gegen sozialdemokratische und linke Kräfte geht der Staat immer aggressiver vor. In Rio de Janeiro vergeht seit den Protesten 2013 kaum ein Protest ohne den massiven Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen. Es ist normal geworden, sich mit Schutzbrille und Gasmaske auf Demonstrationen zu begeben. Als das Militär Ende Februar in den Favelas von Rio einrückte, forderte Marielle einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um die Arbeit des Militärs zu kontrollieren. Marielle selbst wurde Vorsitzende dieses Ausschusses und prangerte scharf jeden Übergriff und jede neue Ermordung von Schwarzen an. Erst in der letzten Woche wurden zwei Menschen erneut von der Polizei erschossen. Marielle machte das öffentlich.

Direkt am Tag, nach Marielles Ermordung gingen etwa eine Million Menschen in ganz Brasilien auf die Straße. In São Paulo waren etwa 100.000 Menschen unterwegs um zu trauern, um ihre Wut über die Regierung auszudrücken und ihren Rücktritt zu fordern. Temer wandte sich ebenfalls an die Bevölkerung und prangerte die ‚feige Tat‘ an. Doch seine Rolle in dem sozialpolitischen Gefecht zwischen den Klassen, ist unübersehbar. Jetzt geht es darum die Bewegung gegen die Temer- Regierung und die rassistische Polizeigewalt, sowie die sexuellen Übergriffe weiter aufzubauen. Im São Paulo sind zehn weitere Landes- und Wohnraumbesetzungen geplant, bei denen es vor allem auch darum geht, Frauen aus Beziehungen mit häuslicher Gewalt, durch Wohnraum eine neue Perspektive zu geben. Die Mehrheit der BesetzerInnen besteht aus schwarzen Frauen. Das politische Erbe, das Marielle für diese Bewegungen hinterlässt, ist riesig. In einem Gedicht von PSOL- AktivistInnen heißt es: „Warum wurde Marielle umgebracht? Weil sie eine Aktivistin, eine Frau, eine Schwarze, eine Jugendliche, eine Mutter, eine Soziologin war, weil sie das Potential hatte, die Dinge zu verändern. […] Der Tod von Marielle soll nicht umsonst sein. Unsere Trauer soll in Kraft umgewandelt werden. Die Kraft Marielles ist in uns. Sie veränderte, verändert und wird Strukturen verändern.“

 

Türkei: Dem AKP-Regime stehen stürmische Zeiten bevor

Serge Jordan, CWI (vom 21. März 2018)

Solidarität mit Afrin in WIen

Solidarität mit Afrin in Linz

Deutsche Waffen werden

beim Einmarsch in Afrin benutzt

„Wenn die Demokratie dabei ist, erfolgreich über die muslimische Welt, vor allem in den arabischen Ländern, verbreitet zu werden, so ist es wesentlich, dieses türkische Beispiel hervorzuheben.“ Vor vierzehn Jahren waren dies die Worte von „The Economist“ bezogen auf deren türkischen Liebling Recep Tayyip Erdogan und seiner Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP). Heute greift dieses Magazin der Banken und Konzerne regelmäßig Erdogan als Möchtegern-Sultan an, der sein Land in den Ruin führt. Das fasst die vermehrt abgeneigte Haltung der westlichen herrschenden Klassen gegenüber der Türkei zusammen, der einstigen Werbetafel für demokratische Öffnung und blühende, freie Märkte.

In der Vergangenheit ist Erdogan von einem relativ fügsamen Machthaber zu einem etwas unberechenbaren Alleingänger angewachsen, der regelmäßig den westlichen Mächten auf die Zehen steigt. Im Nachspiel eines misslungenen Militärputsches gegen seinen Willen im Sommer 2016 wurde eine enorme staatliche Repression entfesselt. Das Wirtschaftswachstum, das immer noch wesentlich auf Papier basiert, hält Probleme bereit und verbirgt die steigende Unzufriedenheit der ArbeiterInnenklasse. Hoffnungen auf eine friedliche Lösung der kurdischen nationalen Frage sind durch den erneuten militärischen Schlachtzug der türkischen Armee, der sich nun in den Nordwesten des gegenwärtigen Syriens ausweitet, zerschlagen worden.

Eine starke Wirtschaft?

Finanziert durch einen reichlichen Zustrom an Auslandskapital seit 2001, ist der türkische Wirtschaftsaufschwung der treibende Motor für die langandauernde Machtkonzentration der AKP. Die Basis für den Wahlerfolg dieser Partei war also zum einen das Wirtschaftswachstum, zum anderen die Enttäuschung vieler Menschen mit den alten politischen und militärischen Institutionen sowie dem islamischen Glauben gewisser Bevölkerungsschichten.

Obwohl das Regime noch soziale Reserven besitzt, geht Erdogans Beliebtheitsgrad heutzutage, gerade unter ArbeiterInnen und JungwählerInnen, zweifelsohne in die abnehmende Richtung. Das veranschaulichte das Referendum im letzten April, welches darauf abzielte die persönliche Machtergreifung des Präsidenten zu konsolidieren: Das Regime war gezwungen die Abstimmung zu manipulieren, um die benötigte Mehrheit zu bekommen, doch das „Ja“ blieb weit unter den offiziellen Erwartungen, besonders in den Städten.

Massenhafte Prekarisierung von Arbeit, fanatische Privatisierung und krasse Ungleichheit haben den Mythos des All-Inclusive-Wachstums untergraben. Gemäß einer im Jänner durchgeführten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos, meinten 54% der ArbeiterInnen in der Türkei, sie würden „damit kämpfen über dir Runden zu kommen.“ Die Inflation liegt im zweistelligen Bereich (12%), was den Leuten die Löhne wegfrisst und besonders unter Jugendlichen die Arbeitslosigkeit steigen lässt. Berichten zufolge sind mehr als 400 ArbeiterInnen beim Bau eines neuen Megaflughafens in Istanbul ums Leben gekommen: Eine grausige Zahl die aufzeigt, dass die, von der Regierung unterstützten milliardenschweren Bauprojekte eine Profit-Goldgrube für regierungsnahe Immobilienmogule sind und unter kompletter Missachtung für die Leben von ArbeiterInnen umgesetzt werden.

Im letzten Quartal 2017 registrierte die Türkei ein ökonomisches Wachstum von 11%, größer als irgendeine andere der weltweiten Top-20-Wirtschaften. Nach einem großen Rückschlag im Jahr davor, wird diese ökonomische Wende von den RegimebefürworterInnen als Bestätigung der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte der AKP benutzt. Jedoch ist das kürzliche Wachstum hauptsächlich von einer massiven staatlichen Kreditspritze aufrechterhalten worden, da Erdogan sich für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im November 2019 rüstet (welche er möglicherweise früher ausrufen wird, bevor sich die Probleme zu offenbaren beginnen). Ein Unternehmensberater in Istanbul kommentierte letztes Jahr: „Die WählerInnen sind extrem beunruhigt aufgrund der Säuberungen und der staatlichen Repression. Erdogan kann das System nur zusammenhalten, indem er genug Geld hineinpumpt, um das Wachstum hoch zu halten, also wird er nicht auf die Bremse treten.“

Massenhafte Repression

Der Putschversuch gegen Erdogan im Juli 2016 bot ein Sprungbrett für die Säuberungen und hartes Durchgreifen. Damals ahnten das CWI und seine Sektion in der Türkei, die Sosyalist Alternatif, voraus, dass der fehlgeschlagene Putsch von einem umfassenden „Gegenputsch“ von Seiten Erdogans und seinen UnterstützerInnen gefolgt werden würde.

Seither ist der Ausnahmezustand, alle Opposition unterdrückend, im ganzen Land in Kraft. Die staatliche Repression wird mit aller Härte durchgesetzt, v.a. auch von bewaffneten Pro-AKP Milizen wie etwa den „Spezialeinheiten des Volkes“ (HÖH). Deren Selbstjustiztruppen wurde für ihre Aktivitäten ein legaler Blankoscheck in Form eines Dekretes vom letzten Dezember ausgestellt, um der regulären Staatsgewalt dabei zu helfen die Drecksarbeit gegen Regierungsgegner zu erledigen.

Die am weitesten links stehende Oppositionspartei, die HDP (Demokratische Partei der Völker) ist teilweise geschwächt worden. Neun Parlamentsmitglieder der Partei sind von ihrem Parlamentsstatus abgesetzt worden und viele ihrer Kader, Mitglieder und UnterstützerInnen wurden ins Gefängnis gesteckt. Insgesamt sind über die vergangenen 20 Monate etwa 150.000 angebliche oder echte RegierungsgegnerInnen aus ihren Jobs geschmissen und über 55.000 Menschen verhaftet worden. Viele JournalistInnen sind als Folge einer Mediensäuberung hinter Gittern. Die Regierung schloss hunderte von Magazinen, Zeitungen und Radiosendern, lässt aber Medienunternehmen, die regierungsnahen Medienmagnaten gehören, als einzige Clown-Show in der Stadt.

Als Ergebnis dieser hysterischen Razzien ist Angst mittlerweile ein starker Faktor in großen Teilen der Gesellschaft. Jedoch bieten diese repressiven Maßnahmen keine Garantie auf eine langfristige Stabilität des Regimes.

Letzten Sommer, mitten im Ausnahmezustand, scharte sich etwa eine Million Menschen, in einem „Marsch für Gerechtigkeit“ gegen Erdogans Herrschaft in Istanbul zusammen, die dem Aufruf der kemalistischen Oppositionspartei CHP (Republikanische Partei des Volkes, die den traditionellen säkularen Flügel der Kapitalistenklasse repräsentiert) gefolgt war. Diese Resonanz zeigt keine Massenunterstützung für die CHP. Eher deutet es an, dass irgendein Bruch in der jetzigen Situation die Fluttore für den passiven, aber wachsenden Ärger gegen das Regime öffnen kann.

Gegenwärtig gehen viele ArbeiterInnen und junge Menschen in die Deckung. Aber das ist kein allgemeines Phänomen und wir nicht von Dauer sein. Die großflächig abgehaltenen Proteste am Weltfrauentag, auf denen Slogans wie etwa „Wir sind nicht still, wir haben keine Angst, wir gehorchen nicht“ zu hören waren, sind eine kraftvolle Antwort auf die vorherrschende Mythos einer allmächtigen und unanfechtbaren Regierung. Und auch die ArbeiterInnenbewegung hat kürzlich bestätigt, dass sie eine Kraft sein wird, mit der gerechnet werden muss.

MetallarbeiterInnen trotzen der Regierung

Letzten Juli machte Erdogan gegenüber AuslandsinvestorInnen klar, dass der Ausnahmezustand ein potentielles Werkzeug zur Ruhigstellung von ArbeiterInnen wäre: „Wir erließen den Ausnahmezustand damit unsere Geschäftswelt bequem arbeiten kann.“ Ein praktischer Test kam im Jänner als 130.000 MetallarbeiterInnen damit drohten, in 180 Standorten im ganzen Land in den Streik zu treten. Der Streik, für den ein Beginn am 2. Februar 2018 vorgesehen war, wurde von der Regierung aus Gründen der „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ verboten.

Die Gewerkschaften entschieden sich der Regierung zu widersetzen, und richtigerweise die Anerkennung des Streikbanns zu verweigern bzw. den Kampf trotzdem fortzuführen. Die entschlossene Haltung der MetallarbeiterInnen zwang die Organisationen der Bosse, die einen dürftigen Lohnanstieg von 3.2% auf den Tisch gelegt hatten, einen Anstieg von 24.6% bei Löhnen und 23% auf soziale Leistungen zuzugestehen. Dieses Beispiel zeigt, inwiefern eine kämpferische Haltung von GewerkschaftsführerInnen einen wesentlichen Unterschied darin machen kann, ein scheinbares Kräftemessen zu Gunsten der Kapitalistenklasse zu erschüttern. Nach zwei Jahren ungebrochener Repression, hat so ein Brennpunkt größere Bedeutung und zeigt uns das Potential für ein zukünftiges Aufbrechen von Widerstand aus der ArbeiterInnenklasse. Die wachsende soziale Unzufriedenheit war sicherlich ein Beweggrund für das Regime, das Land, durch ein Aufstacheln des türkische Chauvinismus und eine Erhöhung des Drucks gegenüber den KurdInnen, zurück in den Kriegszustand zu versetzen.

Erneuter Krieg gegen die Kurden

Jenseits des Gebrauchs roher, staatlicher Gewalt hat der Verlust politischen und ökonomischen Auftriebs von Erdogan und seiner Clique sie dazu veranlasst, verschiedene Möglichkeiten zu nutzen um ihre Unterstützung künstlich hoch zu halten: Das Anstacheln von Nationalismus und Intoleranz gegenüber Minderheiten, das Drängen auf Islamisierung kultureller und sozialer Bräuche, die massive Verstärkung von Frauenunterdrückung, die Glorifizierung des Erbes des Osmanischen Reiches, das Hervorheben regionaler Hegemonie und die Wortgefechte mit dem westlichen Imperialismus und Israel.

Ein zentraler Teil dieser Strategie war die seit 2015 durchgeführte Politik der verbrannten Erde gegen die kurdische Minderheit , im Anschluss an den ersten größeren Wahlerfolg der pro-kurdischen HDP. Die zaghafte aber doch echte Auseinandersetzung dieser Partei mit Klassenfragen und sozialen Themen brachte die linksgerichtete Politisierung einer ganzen neuen Generation zum Vorschein und zeigte das Potenzial für einen Brückenbau zwischen polarisierten Communitys (kurdische-türkische) auf. Diese Brücke zu zerstören wurde zur Besessenheit des Regimes, genauso wie die Zerschlagung der kurdischen Bewegung im benachbarten Syrien – die dort seit 2013 ihre eigenen Institutionen aufbaut und somit ein ermutigendes Beispiel für die kurdische Minderheit in der Türkei und dem Wunsch nach Befreiung wurden.

All diese Bedenken regten Erdogan dazu an die „Operation Olivenzweig“ am 20. Jänner 2018 zu starten, also die Invasion Afrins, einer der drei mehrheitlich kurdischen Selbstverwaltungskantone in Nordwestsyrien (oder Rojava). Im Falle eines Erfolgs, würde dieser Militäreinsatz auch ein territoriales Druckmittel für die Türkei auf dem Macht-Schachbrett des syrischen Bürgerkriegs darstellen und außerdem Erdogans neoosomanische Ambitionen nach einer Ausweitung des geopolitischen Einflusses der Türkei im Nahen Osten befriedigen.

Der Amoklauf der türkischen Armee hat bereits hunderte Menschen getötet und zehntausende zur Flucht gezwungen. Am Boden wird das türkische Militär gestützt durch sunnitische Kämpfer aus der sogenannten Feien Syrischen Armee, Al-Nusra Front und anderen dschihadistischen Söldnern. Das Regime fürchtet, dass zu viele heimkehrende Leichensäcke türkischer Soldaten der gegenwärtig vorherrschenden Mehrheitsunterstützung für den Krieg unter ethnischen Türken Abbruch tun.

Vor dem Hintergrund der Ablehnung des westlichen Imperialismus durch die türkische Öffentlichkeit, konnte die enge Kooperation zwischen den AnführerInnen der Regierung in Rojava und der US-Regierung (die ursprünglich zum gemeinsamen Kampf gegen den IS geformt wurde) leider genutzt werden um der antiimperialistische Maskerade, in die sich das Regime in letzter Zeit hüllen will, ein bisschen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die bisherige Abhängigkeit von US Luftschlägen hat viele kurdische Kämpfer und Unterstützer Rojavas unvorbereitet auf eine Situation zurückgelassen, wo die US Lufthoheit abwesend ist und die Kämpfer der YPG (Volksverteidigungseinheiten, die Milizen zur Verteidigung Rojavas) nur auf ihre einzige Kraft zählen können. Das Weiße Haus, sowie die Europäischen Regierungen haben rhetorisch gegen die Offensive in Afrin protestiert, aber keinen Finger gerührt diese zu verhindern. Sie können es sich kaum leisten ihre ganzen Beziehungen zur Türkei zu gefährden – was diese starke Nato-Macht wahrscheinlich in die Richtung von Putins Russland drängen würde.

Diese Faktoren, angesichts der massiven Lufthoheit der türkischen Armee, erklären teilweise, warum es so scheint, als wäre das Stadtzentrum Afrins von türkisch gestützten Kräften mit relativem Minimalaufwand am Sonntag, dem 18. März, eingenommen worden.

In den südöstlichen Kurdengebieten der Türkei brachen so weit keine beträchtlichen Reaktionen auf der Straße gegen die Invasion aus, im Gegensatz zu den Massenprotesten und Aufständen, die zur Zeit des IS-Angriffs auf Kobane 2014 stattfanden. Dies zeugt vom erdrückenden Staatsterror genauso wie der Verzweiflung , die in der kurdischen Bevölkerung in diesen Gebieten existiert, die noch immer den brutalen, vom Regime angeordneten Krieg 2015-2016 verarbeiten müssen.

Die internationale ArbeiterInnenbewegung muss sich dem Angriff des türkischen Regimes und der Besetzung Afrins entgegenstellen, um das Recht der Selbstbestimmung von KurdInnen aufrecht zu erhalten. Entscheidend ist, dass die kriegstreiberische Politik enorme Kosten für die in der Türkei lebenden ArbeiterInnen und Arme mit sich bringen wird, geschweige denn der Tatsache, dass solche militärischen Abenteuer finanziell auf die Schultern der türkischen SteuerzahlerInnen geladen werden.

In der Türkei sind Grenzstädte Ziele von Vergeltungsraketen seitens der YPG gewesen, was den Tod von ZivilistInnen zur Folge hatte. Die „Operation Olivenzweig“ streut noch zusätzliches Salz in die offenen Wunden ethnischer Spaltungen des Landes und gibt einen Vorwand für weitere anti-demokratische Maßnahmen, was den Machthabern und Bossen dabei helfen wird, die ArbeiterInnenklasse noch mundtoter zu machen. Im Jänner wurden 11 Mitglieder des Zentralrates der türkischen Medizinervereinigung wegen eines Statements gegen den Krieg mit dem Titel „Krieg ist eine Sache der öffentlichen Gesundheit“ , als „Terroristenliebhaber“ bezeichnet und verhaftet.

Die „Gute Partei“ und die Notwendigkeit einer Alternative für die ArbeiterInnenklasse

Erdogans impulsive, außenpolitische Entscheidungen und sein zunehmend größenwahnsinniger Weg der Herrschaft, schafft auch Unbehagen unter Teilen der Kapitalistenklasse, sowohl in der Türkei als auch international. Natürlich hatten sie nie ein Problem mit dem Bekenntnis der AKP zum Neoliberalismus, genauso wenig wie mit der blutrünstigen türkischen Staatsmaschinerie, zumindest solange sie effektiv dazu beiträgt, die Massen in Schach zu halten und sich als förderlich erweist, um Profite zu machen. Allerdings befürchten Manche nun, dass die Vorgehensweise des Präsidentendiktator das Land an den Rand sozialer Implosion oder des Bürgerkriegs führt.

Die Säuberungen der Regierung betrafen nicht nur Linke, GewerkschafterInnen und kurdische AktivistInnen. Sie wandten sich ebenfalls gegen einen Teil der ökonomischen Elite des Landes, um auf diesem Wege die Position einer handvoll regierungsnaher Unternehmen im inneren Kreis des Regimes zu konsolidieren. Hunderte von Firmen und Milliarden an Kapital wurden also beschlagnahmt und an Erdogan-freundliche Oligarchen übergeben.

Der Mangel an unternehmensfreundlichen Alternativen machte Erdogan zu einem „notwendigen Übel“, an das sich westliche Großunternehmen und Teile der kapitalistische Elite anzupassen hatten. Eine solche Alternative strebt auch die neugegründete IYI („Die gute Partei“) an. IYI wurde von Meral Aksener, einer Ex-Innenministerin und von der MHP abgespaltenem Politikerin, gegründet (letztere haben sich bei den nächsten Wahlen zum Parlament als Beiwagen an die AKP angeschlossen, da sie Angst hatten, an der 10% Hürde zu scheitern).

Die „Gute Partei“ versucht sich selbst als frisches Pferd, auf das die herrschende Klasse wetten kann, zu positionieren – als Vorbereitung auf die politische Situation nach Erdogan. Sie verspricht die geschädigten Beziehungen mit dem Westen wiederherzustellen, während sie versucht Wahlstimmen desillusionierter ArbeiterInnen, junger Leuten und Frauen, die kein Vertrauen in die AKP mehr haben, zu fangen.

So wie sich die Eliten auf die Zukunft vorbereiten, so sollten es auch ArbeiterInnen und Jugendliche tun. Trotz ihrer Rhetorik zu Gunsten der Armen, repräsentieren die CHP und die „Gute Partei“ nicht die Interessen der ArbeiterInnenklasse und unterdrückter Schichten. Zwar lehnen sie bestimmte Aspekte der AKP Politik ab, doch diese Parteien stimmen in ihrer pro-kapitalistischen Natur überein und heißen beide die mörderische Operation gegen Afrin gut.

Zur Zeit muss die Linke gegen den Strom von Nationalismus und Repression anschwimmen. Dabei wird die zunehmende Verbitterung sich mit der sich verschlechternden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Situation nicht dauerhaft in Ruhe äußern, sondern im Gegenteil: Stürmische Zeiten werden dem AKP Regime bevorstehen. Der Charakter, den das künftige politische Geschehen in der Türkei annehmen wird, wird stark von der Fähigkeit der Linken abhängen sich selbst wieder zu einem glaubhaften Anziehungspol für Schichten, die gegen das derzeitige System in Aktion treten wollen, zu machen.

Die Verteidigung demokratischer und gewerkschaftlicher Rechte, die Freilassung politischer Gefangener, sowie die Rücknahme unfairer Entlassungen, der Kampf gegen Krieg und Staatsterror an KurdInnen und anderen Minderheiten sind wichtige Schlachtfelder für eine künftige vereinigte Front. Eine Front, die kurdische und türkische linke Organisationen miteinbezieht, ebenso wie kämpferische GewerkschafterInnen, AktivistInnen sozialer Bewegungen und HDP-UnterstützerInnen. Das kann die Bedingungen für den Wiederaufbau einer linken Massenbewegung schaffen, die für eine vereinigte ArbeiterInnenbewegung eintritt, welche nicht nur das bestehende Regime herausfordert, sondern die Herrschaft des Kapitals in der Türkei und der ganzen Region.

Während sie sich für so eine Bewegung einsetzen, wird Sosyalist Alternatif ein entschlossenes sozialistisches Programm nach vorne stellen; mit dem Ziel die Ressourcen der Türkei und der Region in öffentliches Eigentum zu überführen und die Wirtschaft demokratisch zu planen und es KurdInnen endlich zu ermöglichen selbständig und frei über ihre Zukunft zu entscheiden.

 

 

 

Demonstrationen in Solidarität mit Afrin

Mehrere hundert Menschen demonstrieren in Wien und Linz in Solidarität mit Afrin
Aktivistin der SLP

Demonstration in Linz

Manuel, ein SLP-Aktivist,

bei seiner Rede auf der Demonstration

Demo in Wien

Am 24.4.2018 fanden erneut weltweit Proteste gegen die Verbrechen in Afrin, die sich gegen die dortige kurdische Bevölkerung richten, statt. Die Türkei startete auf Erdogans Befehl hin, vor circa zwei Monaten die militärische Offensive gegen die Stadt in Nordsyrien, welche Teil Kurdistans ist. Laut türkischer Armee wurde Afrin vor einigen Tagen nun vollkommen eingenommen. Während dieses kriegerischen Verbrechens wurde mit extremster Brutalität auch gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen. Hunderte wurden verletzt oder gar getötet, die Infrastruktur der Stadt ist zerstört und der Zugang zur Gütern des täglichen Bedarfs ist kaum existent. Hunderttausende Menschen befinden sich nun auf der Flucht.

In Wien und Oberösterreich beteiligten sich AktivistInnen der Sozialistischen Linkspartei solidarisch an den Protestmärschen gegen Erdogans Terror in Afrin. In Linz formierte sich erst vor kurzem ein Bündnis aus verschiedenen linken Gruppierungen, welches die Demonstration über die Linzer Landstraße organisierte, und auch weiterhin Aktionen gegen Erdogans Tyrannei in Afrin organisieren möchte. Die Sozialistische Linkspartei ist Teil dieses Bündnisses.

In unseren Gesprächen mit DemoteilnehmerInnen und PassantInnen, Flyern, sowie in Redebeiträgen haben wir nicht nur unsere Forderung nach einem freien, unabhängigen und sozialistischen Kurdistan absolut deutlich gemacht, sondern außerdem die Ereignisse in Afrin klar in Verbindungen mit der kapitalistischen Krise gebracht.

Manuel Schweiger, SLP-Aktivist in Linz, machte in seiner Rede auf der Demonstration klar:

„Das Schweigen der Schwarz-Blauen Regierung zeigt, dass sie in Wirklichkeit kein Problem mit dem Erdogan Regime haben. Ihre populistische Erdogan Kritik nutzen sie nur für billigen Rassismus gegenüber unseren türkischen KollegInnen und FreundInnen während sie und ihre Hintermänner in Industrie und Wirtschaft gleichzeitig beste Geschäfte mit dem Erdogan-Regime machen. Von ihnen können wir uns nichts erwarten. Es gibt nur einen Verbündeten der kurdischen Befreiungsbewegung und das ist die internationale sozialistische Bewegung"

Ebenso haben wir haben offen und laut das Verhalten von EU, NATO und der österreichischen Regierung an den Pranger gestellt: 90 Prozent der, gegen die Bevölkerung Afrins, eingesetzten Waffen, stammen aus dem Westen, allem voran aus Deutschland.

Die österreichische Schwarz-Blaue Regierung schweigt eisern über dieses Kriegsverbrechen, obgleich die Türkei sonst bei jeder europapolitischen Frage kritisiert und gegen TürkInnen gehetzt wird. Und wenn sich großen westlichen imperialistische Mächte dazu herablassen, die Angriffe in Afrin zu kritisieren, so sind dies heuchlerische und letztlich zynische Lippenbekenntnisse.

Klarerweise wird es zu keinem Einschreiten der EU oder NATO kommen und klarerweise wird Schwarz-Blau auch weiterhin keinen Anlass sehen, die gerade in Afrin an KurdInnen verübten Verbrechen, auch nur zu kritisieren, da sie genau wie die Türkei von dieser Militärinvasion profitieren.

Der Angriff auf Afrin und die massive Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung dort, wie auch anderswo, ist unter anderem der Versuch, türkische imperialistische Interessen zu sichern, den kurdischen Widerstand noch weiter zu schwächen und Hetze gegen sie zu schüren, sowie die türkische Bevölkerung von innerpolitischen und wirtschaftlichen Krisen abzulenken.

Der Angriff auf Afrin ist nur eines, zahlreicher Beispiele, die zeigen, wie rücksichtslos und brutal der Imperialismus vorgeht, um seine Profitinteressen zu sichern. Der Kapitalismus befindet sich weltweit in einer Dauerkrise, und die Lage spitzt sich immer weiter zu, weshalb militärische Gewalt und Konflikte kontinuierlich ansteigen und die Repression gegen Minderheiten zunimmt.

Deshalb fordern wir den ÖGB dazu auf, sich deutlich und aktiv, in der Sache von Afrin und der Kurdenfrage solidarisch zu zeigen und mit uns gemeinsam aktiv zu werden.

Verbleiben wir nicht dabei, diesen imperialistischen Akt des Grauens anzuprangern, sondern werden wir aktiv und kämpfen nicht bloß gegen symptomatische Ausbrüche eines krisenhaften Systems, das auf der Ausbeutung Vieler für den Profit Weniger beruht.

Werden wir auf der Straße, in linken politischen Bündnissen und Organisationen, in Schulen, Betrieben und in gewerkschaftlichen Strukturen aktiv, um uns gegen die Ursache für diese katastrophalen und menschenverachtenden Übergriffe zu wehren – das kapitalistische System, das in seinem Streben nach Anhäufung von Profit, natürlich nur für eine privilegierte Minderheit, keine Grenzen kennt, Menschen der ArbeiterInnenklasse systematisch auszubeuten und Menschen aufgrund, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung usw. zu unterdrücken.

Überwinden wir religiöse, sexistische und nationale Barrieren und werden wir gegen den Terror in Afrin, gegen Schwarz-Blau, Trump, Orban, Putin und andere Auswüchse des kapitalistischen Wahnsinns aktiv!

 

HOCH DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT!
FÜR EINEN INTERNATIONALEN KAMPF GEGEN ERDOGANS TERROR IN AFRIN
UND DEN KAPITALISMUS!
BIJI BERXWEDANA AFRIN!

 

Neue Massenproteste in Tunesien

Fabian Lehr

Sieben Jahre ist der Beginn des arabischen Frühlings her, in dem sich die Massen von Tunesien bis Syrien gegen ihre diktatorischen, korrupten Regierungen und gegen Arbeitslosigkeit und Armut erhoben. Die euphorische Stimmung dieser Zeit ist verflogen. In Ägypten hat sich eine neue Militärdiktatur etabliert, in Syrien tobt ein endloser Bürgerkrieg. In Tunesien, wo die Proteste 2011 zum Sturz des Diktators Ben Ali führten, hat sich die neue Demokratie zwar halten können, aber zunehmend müssen ArbeiterInnen und Arme erkennen, dass mit der formellen, bürgerlichen Demokratie der soziale Inhalt der Politik kein grundlegend anderer geworden ist. Die Arbeitslosigkeit in Tunesien liegt heute bei über 15%, in einigen Regionen über 25%. Die hohe Inflation lässt die Kaufkraft der Lohnabhängigen zusammenschmelzen. Die Regierung reagiert auf die chronische Wirtschaftskrise, wie es bürgerliche Regierungen so tun: Mit einem Kürzungsprogramm, das die Armen trifft und die Reichen schont.

Im Jänner sorgte das neue Sparprogramm, in dem kräftige Mehrwertsteuererhöhungen vorgesehen sind, die alle Güter des täglichen Bedarfs stark verteuern werden, für den Ausbruch ausgedehnter neuer Proteste im ganzen Land. In verschiedenen Städten wurden Polizeiwachen niedergebrannt, knapp 1.000 DemonstrantInnen festgenommen, mindestens einer von der Polizei getötet. Das neue „demokratische“ Tunesien zeigt, dass es der Masse der ArbeiterInnen und Armen nicht weniger feindlich gegenübersteht als einst das Regime Ben Alis. Wohl wurden die politischen Formen ausgewechselt, aber nicht die herrschende Klasse, in deren Interesse auch die Regierung Präsident Essebsis ihre Politik gestaltet. Und angesichts der sich ständig verschärfenden Wirtschaftskrise (so ist nach der Revolution der Tourismus eingebrochen) ist kaum davon auszugehen, dass sie von der Sparpolitik freiwillig abrücken wird. SozialistInnen von Al-Badil al-Ishtiraki (CWI in Tunesien) treten für eine neue Stufe der Revolution ein, für die Vergesellschaftung der Banken, Konzerne und großen Landbesitze sowie eine Regierung aus demokratisch in Betrieben, Unis und Stadtteilen gewählten VertreterInnen von ArbeiterInnen, KleinbäuerInnen und Jugendlichen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Irland erkämpft Recht auf Abtreibung!

Schluss damit: Das irische Abtreibungsverbot hat Frauen entmündigt, diskriminiert und sogar getötet.
Philipp Chmel

Die irische Rechtslage bezüglich Schwangerschaftsabbruch ist eine der restriktivsten in Europa: Abtreibung ist sogar bei Vergewaltigung oder Inzucht verboten, und selbst für “Beihilfe” drohen bis zu 14 Jahre Gefängnis.

Ende Mai wird in einem Referendum endlich über die Abschaffung des 8. Verfassungszusatzes, durch den Abtreibungen außer bei Todesgefahr für die Schwangere verboten sind, entschieden. Wegbereiter des Referendums waren nicht die führenden PolitikerInnen, die, wie Ministerpräsident Leo Varadkar, selbiges nun “unterstützen”, sondern der große Druck aus der Bevölkerung. Dieser zeigte sich wiederholt bei großen Massenprotesten, bei denen Zehntausende für das Recht auf Abtreibung demonstrierten; zuletzt im Herbst 2017.

Die feministische, sozialistische Gruppe ROSA und die Socialist Party (Schwesterpartei der SLP) spielten eine zentrale Rolle. Sie verteilten u.a. sichere, aber illegale Abtreibungspillen und zeigten durch die Inkaufnahme des Risikos einer Gefängnisstrafe, dass es eine kämpferische, entschlossene Kampagne braucht. Die AktivistInnen von ROSA und der Socialist Party kämpfen aber für mehr als das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Sie setzen sich u.a. für die Gleichberechtigung aller Ehen und Lebensgemeinschaften und gegen die unsozialen Wassersteuern ein. Und sie stehen für einen internationalen, aktiven und organisierten Kampf für eine neue Gesellschaft ohne Sexismus und Unterdrückung. Wie hierzulande die Kampagne Nicht mit Mir!

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Internationale Notizen März 2018

Russland: Freigelassen

Der Journalist Ali Feruz wurde am 15. Februar nach knapp einem Jahr aus russischer Haft freigelassen. Er war aus Usbekistan geflohen, nachdem er für seine oppositionelle Arbeit gefoltert worden war. Russland verweigerte ihm Asyl, weil er dem Regime nicht passte: er ist homosexuell und tritt für Gewerkschafts- und demokratische Rechte ein. Stattdessen wurde er eingesperrt, ein Gericht in Moskau hatte im August 2017 seine Abschiebung beschlossen, obwohl ihm in Usbekistan neuerlich Gefängnis drohte. Nun ist er wieder frei. Grund sind die Mobilisierungen aus der LGBTQI-, Gewerkschafts- und Menschenrechtsbewegung, bei denen die russische Sektion des CWI, Sozialistische Alternative (CA), eine Schlüsselrolle gespielt hat und zahlreiche Aktionen organisierte.

Www.socialist.news

China: Gegen Repression

Wer in Opposition zum immer autoritäreren Regime in China rückt, wird als „anti-chinesische Kräfte“ verfolgt. Das Regime Xi Jinpings mag zwar manchmal Mao als Referenz nehmen, doch gleichzeitig werden junge MaoistInnen verfolgt. Linke KritikerInnen fürchtet das Regime besonders. So geschah es einigen jungen MaoistInnen, die in einem Lesekreis unter anderem über das Massaker von Tian’anmen und die heutige Zensur geredet haben. Sie wurden eingesperrt. Die große öffentliche Aufmerksamkeit sowie die Proteste, zu denen auch China Worker (CWI für China) aufgerufen hatte, haben das Regime schließlich dazu gezwungen, die Gefangenen freizulassen. Sie werden aber noch von der Polizei überwacht, die weiter, auch gegen andere, repressiv vorgeht.

www.chinaworker.info

Finnland: Streik

Gegen eine „Reform“ des Arbeitslosengeldes, mit dem Arbeitslose in prekäre Beschäftigungsverhältnisse getrieben werden sollen, gingen ca. 10 % der finnischen Beschäftigten Anfang Februar auf die Straße und in Streik. Sosialistinen Vaihtoehto („Sozialistische Alternative“ – CWI in Finnland) betont, dass der Protest ausgeweitet werden muss, um alle Angriffe zurückzuschlagen.

www.sosialistit.fi

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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