Internationales

Gaza: Ausbruch neuer Massenproteste

Brutale Repression der Regierung Netanjahu
Marcus Hesse

In den letzten Wochen hat sich im Gaza-Streifen eine neue Welle des Massenprotestes entwickelt, der sich gegen die Blockade durch den israelischen Staat und gegen politische Unterdrückung richtet. Ausgangspunkt war eine von einem breiten Bündnis getragene Demonstration am 30. März gegen die Sperrmauern.

Dabei wurde die Forderung nach Rückkehr der im Zuge der als Nakba bekannten Vertreibungen zu Flüchtlingen gemachten Menschen laut. Auf die Demonstration von 25.000 Menschen reagierte die Regierung Netanjahu mit militärischer Gewalt. Dabei wurden selbst Scharfschützen eingesetzt, die auf Unbewaffnete schossen. Die Folge dieses Vorgehens: 1500 DemonstrantInnen wurden verletzt, bis zu 18 Menschen wurden getötet. Seitdem finden jeden Freitag erneut Demonstrationen statt. Jahrzehntelang angestaute Wut und Erfahrung von Unterdrückung haben sich in einer Massenbewegung Bahn gebrochen.

Auswirkungen auf die israelische Bevölkerung

Die Brutalität der militärischen Repression hat auch in der israelischen Bevölkerung eine kritische Debatte ausgelöst. Zwar steht auch weiterhin eine Mehrheit der Israelis hinter dem Vorgehen der Regierung, die die Maßnahmen als Mittel zur Bekämpfung von Terrorismus legitimiert. Die Forderung nach dem Rückkehrrecht der einst Vertriebenen wird als Bedrohung empfunden. Die rechte Regierung spielt weiterhin die sicherheitspolitische und nationalistische Karte. Damit vermag sie es auch, von sozialen Problemen im Land, wie Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot, abzulenken, die noch 2012 zu einer großen Protestbewegung geführt hatten. Aber es gab auch erste Ansätze der Solidarisierung von Teilen der jüdischen Bevölkerung. Spektakulär sind Fälle von SoldatInnen, die sich öffentlich kritisch über das Vorgehen der militärischen Führung äußerten und vereinzelt Befehle verweigerten. Das sind kleine, aber politisch sehr interessante Ansätze einer Resonanz der Bewegung in der israelischen ArbeiterInnenklasse und Jugend.

Frage der politischen Führung

Spätestens hier stellt sich die Frage nach der politischen Ausrichtung der palästinensischen Protestbewegung. Seit den 90er Jahren sind die Kräfte der Linken geschwächt. Seit 2006 regiert die rechte Hamas im Gaza-Streifen, die auch Teil der Bewegung ist. Politisch bietet sie keinen Ausweg für den Befreiungskampf. In Gaza hat sie sich als korrupt und repressiv gezeigt und konnte keines der brennenden sozialen Probleme lösen. Durch ihre Politik, die sich gegen die einfache Bevölkerung in Israel richtet und ihre antijüdische Propaganda, stärkt sie die rechten und nationalistischen Kräfte in Israel. Unabhängige linke Strömungen – wie die von den Aufständen des „Arabischen Frühling“ inspirierte Gruppe „Gaza Youth Breaks Out“ wurden durch die Bombardierungen durch die israelische Luftwaffe an den Rand gedrängt. In der palästinensischen Bewegung stellt sich die Frage der unabhängigen und demokratischen Selbstorganisation, auf der Grundlage eines politischen Programmes, das den Kampf gegen Unterdrückung mit sozialen Kämpfen verbindet und damit auch in die israelische Arbeiterklasse und Jugend hineinwirken kann. Eine solche Entwicklung gab es in der Ersten Intifada ansatzweise.

Internationale Solidarität

Weltweit hat der neue Ausbruch von Massenprotesten im Gaza-Streifen eine Welle der Solidarität ausgelöst. Die deutschsprachige Linke tut sich allerdings schwer mit einer klaren Positionierung zu diesem Konflikt, was nicht zuletzt am starken Einfluss von Tendenzen liegt, die sich auf die Seite des israelischen bürgerlichen Staates stellen, Viele können auch nicht zwischen einer legitimen Aufstandsbewegung gegen Unterdrückung und politischer Unterstützung ihrer momentanen politischen Führung unterscheiden. Die Schwesterorganisation der SLP in Israel/Palästina, Maavak Sozialisti/Nidal Ishtiraki, unterstützt die Bewegung in Gaza und verurteilt die Unterdrückung durch die israelische Regierung und Armee. Zugleich orientiert sie auf gemeinsamen Kampf von arabischen und jüdischen ArbeiterInnen und Jugendlichen als Schlüssel zur Überwindung der Spaltung.

Seattle führt „Amazon-Steuer“ ein

Wichtiger Erfolg der #TaxAmazon-Kampagne
Von Keely Mullen und Calvin Priest, Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SAV in den USA)

Am 14. Mai hat der Stadtrat der US-amerikanischen Metropole Seattle eine als historisch zu bezeichnende Unternehmenssteuer beschlossen, die für Amazon und weitere ortsansässige Konzerne gelten wird. Darüber soll die Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum in öffentlicher Hand dauerhaft sichergestellt werden. Treibende Kraft hinter diesem Erfolg war die Stärke unserer Bewegung namens „#TaxAmazon“. Angeführt von Mieter-AktivistInnen, Socialist Alternative, den „Democratic Socialists of America“ und Stadträtin Kshama Sawant (die Mitglied von Socialist Alternative ist) hat unsere Bewegung das Thema im vergangenen Herbst auf die Tagesordnung gebracht. Wir haben für eine Nacht das Rathaus besetzt und unseren Kampf bis in die Haushaltsberatungen hineingetragen, die im November im Stadtrat stattgefunden haben.

In der Woche vor der letztlichen Abstimmung haben die Konzerne und ihre gekauften PolitikerInnen (wie beispielsweise Bürgermeisterin Jenny Durkan) noch wie wild daran gearbeitet, dass die Gesetzesvorlage abgeschwächt wird und Schlupflöcher für die Unternehmen eingebaut werden. Bürgermeisterin Durkan von den „Demokraten“ brachte einen Gegenentwurf ein, der die bis dato diskutierte Steuer im Umfang von 75 Millionen Dollar um fast die Hälfte auf vierzig Millionen pro Jahr schrumpfen ließ. Der Großteil der Einnahmen sollte demnach in die FinanzierunVertreiben von Obdachlosen finanziert werden und nicht mehr der Bau von langfristigen und bezahlbaren Wohnungen. Wegen der Stärke unserer „#TaxAmazon“-Bewegung wurden ihre Vorschläge im Finanzausschuss des Stadtrats jedoch abgelehnt. Am Wochenende, als die Bewegung auf der Straße aktiv war, um für das 75 Millionen-Paket ohne Schlupflöcher zu kämpfen, traf sich der Rest des Stadtrats mit der Bürgermeisterin und Konzernvertretern, um eine Übereinkunft zu treffen. Der Deal, den sie dabei getroffen haben, ist nur unwesentlich besser als der frühere Vorschlag aus der Feder von Durkan und AmazonChef Bezos. Im ersten Gegenentwurf zu unserem 75 Millionen Dollar umfassenden Antrag ging es um lediglich 40 Millionen Dollar an zusätzlichen Einnahmen für die Stadtkasse. Jetzt sollten es 48 Millionen Dollar sein, die jedes Jahr vom Reichtum der Konzerne abgezogen und den arbeitenden Menschen der Stadt übergeben würden. Ohne den Kampf, den wir geführt haben, wäre auch das niemals möglich gewesen.

Genau wie im Fall des Mindestlohns in Höhe von 15 Dollar, den wir auf Grundlage der Stärke einer von uns ins Leben gerufenen Bewegung erreichen konnten, war auch jetzt unsere Fähigkeit, weiter öffentliche Unterstützung zu mobilisieren, und unsere Fähigkeit, die Argumente der Konzern-Seite auf politischer Ebene zurückzuweisen, ausschlaggebend. Amazon hat mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen diese Steuer gekämpft, und wir haben jetzt Millionenbeträge aus den Händen von Bezos entreißen können, um davon bezahlbaren Wohnraum zu finanzieren.

Erpressung durch Amazon und die allgemeine Abwärtsspirale im Kapitalismus

Im Vorfeld der abschließenden Abstimmung hat Amazon eine erpresserische Drohung an die Adresse der Beschäftigten in Seattle gesendet. Das Unternehmen stellte einen Baustopp in Seattle in Aussicht, sollte diese Steuer eingeführt werden. Damit wurden über 7.000 Beschäftigte in der Baubranche in Geiselhaft genommen!

Wir wollen an dieser Stelle ganz klar sein: Für Amazon macht es kurzfristig und aus finanzieller Sicht überhaupt keinen Sinn, den Bau des entsprechenden Projekts zu stoppen, das schon halb fertiggestellt ist. Und die besagte Steuer kratzt auch nur unwesentlich an den enormen Profiten, die der Konzern in Seattle macht. Es handelte sich folglich um einen beschämenden Mobbing-Versuch der Milliarden-schweren Oberschicht und einen offensichtlichen Versuch, die Arbeitnehmerschaft von Seattle spalten zu wollen. Der Steueranteil von Amazon ist für Jeff Bezos, den reichsten Mann der Welt, nichts mehr als Kleingeld. Diese Form der Erpressung war der Versuch, die Lokalpolitik unter Kontrolle zu halten, indem man die Muskeln (in Form des vorhandenen Konzernkapitals und der wirtschaftlichen Bedeutung für die Stadt Seattle) spielen lässt. Es war aber auch ein Signal, das darauf abzielte, die Beschäftigten auch in anderen Städten der USA einzuschüchtern, in denen Amazon Niederlassungen und Versandzentren unterhält. Als SozialistInnen sind wir keineswegs naiv, was die enorme Macht von Amazon oder die Anzahl der Arbeitsplätze angeht, über die der Konzern herrscht. Was wir aber voll und ganz ablehnen, ist die Abwärtsspirale, die im Kapitalismus angestrebt wird: Wohnungsbau soll gegen Arbeitsplätze ins Spiel gebracht werden, Städte werden gegen andere Städte aufgebracht und ArbeiterInnen gegen ArbeiterInnen.

Es sind Drohkulissen wie diese, die in der Praxis nur bestätigen wie brutal die Abwärtsspirale ist, ohne die der Kapitalismus nicht auskommt. Großkonzerne wie Amazon wollen um jeden Preis Kosten senken, und die abhängig Beschäftigten sind die Leidtragenden dieser Angriffe. Das ist üblich in einem System, das den Profit und Reichtum einiger weniger über die Bedürfnisse der großen Mehrheit der Gesellschaft stellt. Der Reichtum von Jeff Bezos ist das Ergebnis der harten Arbeit von zehntausenden von ArbeiterInnen, und es sind die ArbeiterInnen, die den Laden am Laufen halten und für dessen Einnahmen sorgen. Wir brauchen eine grundlegend andere Gesellschaft, eine sozialistische Gesellschaft, in der man nicht vor den Erspressungsversuchen der Konzerne auf die Knie fällt sondern in der wir Konzerne wie Amazon in demokratisches öffentliches Eigentum überführen und selbst – durch die vor Ort Beschäftigten – verwalten. Bahnbrechende Erfolge von SozialistInnen wie die Steuer für Amazon oder die Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar die Stunde sind ganz entscheidende Schritte. Allerdings dürfen unsere Bewegungen an dieser Stelle nicht Halt machen.

Notwendigkeit des sozialen Wohnungsbaus

Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, qualitativ hochwertigen und bezahlbaren Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen. Deshalb müssen wir für eine Alternative zum kaputten privatwirtschaftlich organisierten Wohnungsmarkt und für Mieterschutz kämpfen. Was wir brauchen ist eine massive Ausweitung auf zehntausende Einheiten an Sozialwohnungen in öffentlicher Hand und unter öffentlicher Verwaltung. Das aber ist mit den Interessen des Marktes nicht vereinbar. Anstatt dass die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre und die Lobby der Baulöwen darüber verfügt, wie viel ein Mensch für Wohnen bezahlt, könnten wir damit beginnen, eine Alternative für die arbeitenden Menschen anzubieten. Wir können darüber hinaus auch sicherstellen, dass alle Mieteinnahmen direkt in den Erhalt und Ausbau des öffentlichen Wohnungsbaus fließen, anstatt steigende private Profite zu ermöglichen. Und schließlich können wir uns dafür einsetzen, dass die entsprechenden Wohnungen in vollem Umfang von ArbeiterInnen gebaut werden, die tariflich beschäftigt sind. Priorität sollte dabei haben, Aufträge an in erster Linie an lokale Firmen und Betriebe zu geben, die von Angehörigen der Minderheiten geführt werden. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass den ArbeiterInnen aus Seattle ein Maximum zuteil wird.

Wir sind bereit zu kämpfen! – Eine andere Welt ist möglich!

Der Erfolg, den unsere Bewegung in Seattle erreichen konnte, hat das Potential, im ganzen Land erzielt zu werden. Auch wenn wir unsere Forderungen nicht vollständig durchsetzen konnten und viel weniger geschafft haben, als eigentlich nötig wäre, so geht es doch um beinahe fünfzig Millionen Dollar mehr, als das, was Amazon und andere Großunternehmen zu zahlen bereit waren. Es ist auch das Doppelte von dem, was die etablierten Ratsmitglieder vergangenen Herbst im Zuge der Haushaltsanhörungen noch abgelehnt hatten. Indem wir eine entschlossene und kompromisslose Bewegung aufgebaut haben, konnten wir eine der fortschrittlichsten Unternehmenssteuern der USA durchsetzen! Die führende Rolle, die Socialist Alternative und Kshama Sawant in dieser Bewegung eingenommen haben, darf nicht unterschätzt werden. Indem wir uns auf die potentielle Macht der arbeitenden Menschen verlassen haben, den „üblichen Gang der Dinge“ durchbrechen zu können, haben wir die gesamte Geschäftswelt und das Polit-Establishment in Seattle zur Kapitulation vor unserer Bewegung gebracht.

Jetzt muss der Kampf weitergehen. Wir werden nicht mehr stillhalten und zusehen, wie das Establishment in unserer Stadt es den Großkonzernen und Baulöwen erlaubt, Amok zu laufen und uns, unseren Freundinnen und Freunden und NachbarInnen das Recht auf sicheren und bezahlbaren Wohnraum vorenthält. Wir müssen nicht nur für kurzfristige Ziele im Hier und Jetzt kämpfen sondern für eine Alternative zum bankrotten System des Kapitalismus. Es geht um eine Zukunft, in der niemand einsam auf der Straße sterben muss, in der niemand gezwungen ist, sich zwischen Obdachlosigkeit oder eineR gewalttätigen LebenspartnerIn entscheiden zu müssen. Es darf auch niemand gezwungen werden, die Stadt, in der man arbeitet, verlassen zu müssen.

Wir kämpfen für eine Stadt und für eine Welt, in der Solidarität gelebt wird, Gerechtigkeit herrscht und Demokratie existiert. Maßgabe müssen die Bedürfnisse und Ziele aller arbeitenden Menschen und unterdrückten Communities sein. Wir müssen unsere Kämpfe zusammenführen – um Amazon und die Großkonzerne zu besteuern, flächendeckend den Mindestlohn von 15 Dollar zu bekommen, eine ausreichend finanzierte Bildung, das Ende der Polizeigewalt durchzusetzen und die Aufhebung des Systems der Massen-Verhaftungen. All das gehört zum Kampf für eine andere Form von Gesellschaft. Wir haben eine Welt zu gewinnen.

 

70 Jahre seit der Gründung des Staates Israel

SozialistInnen kämpfen für die Befreiung der PalästinenserInnen und die Einheit der ArbeitnehmerInnenschaft
Erklärung des „Committee for a Workers‘ International“ / „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI), dessen Sektion in Österreich die SLP ist

Diesen Monat wird in Israel der 70. Jahrestag der Gründung des Staates im Jahr 1948 begangen. Für palästinensische Flüchtlinge steht das ganze jedoch für ihre „Nakba“, das arabische Wort für „Katastrophe“. Schließlich wurden damals über 750.000 Menschen aus ihren Dörfern und Städten vertrieben. Sie wurden obdachlos und verarmten.

Weitere 300.000 PalästinenserInnen sind im Zuge des Sechs-Tage-Kriegs aus ihren Häusern verdrängt worden, der 1967 geführt worden ist. Seither leben die PalästinenserInnen im Westjordanland und im Gaza-Streifen unter zunehmend untragbaren Verhältnissen aufgrund der brutalen Besatzung durch den Staat Israel.

Im Vorfeld der breiten Protestmärsche, die für den diesjährigen „Tag der Nakba“ am 15. Mai geplant sind, haben sich Wut und Frustration bereits in wöchentlich stattfindenden Protesten ausgedrückt, an denen zu Beginn mehr als 30.000 Menschen teilgenommen haben, die den Grenzzaun um Gaza zum Ziel hatten und bei denen die Forderung nach einem Rückkehrrecht für die Flüchtlinge aufgestellt worden ist. Aus Sorge, dass diese Proteste eskalieren könnten, hat der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die SoldatInnen angewiesen mit scharfer Munition zu schießen. Das Ergebnis ist, dass bislang über 45 Personen erschossen und tausende weitere verletzt worden sind.

Weiteres Öl wird dadurch ins Feuer gegossen, dass die US-amerikanische Botschaft in Israel nun von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt werden soll. Als Umzugsdatum wurde der 15. Mai festgelegt. Das ist ein starkes Signal der Unterstützung von US-Präsident Trump an Israel, dass man Jerusalem dominieren soll und eine herbe Absage an die Forderungen der PalästinenserInnen, die ihren eigenen Staat wollen – mit Jerusalem als Hauptstadt.

Trump hat auch die Gelder an die UNO beschnitten, mit denen palästinensische Flüchtlinge unterstützt werden. Das führt zu einer weiteren Verschlechterung der ohnehin schon schlimmen Bedingungen in den besetzten Gebieten. Der dicht besiedelte Gaza-Streifen leidet unter Strom-, Wasser- und Lebensmittelmangel. 50 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter sind arbeitslos.

Palästinensische BewohnerInnen des Westjordanlands, Ost-Jerusalems und des Gaza-Streifens droht stets die Beschlagnahmung von Grund und Boden, die Zerstörung ihrer Wohnungen und der regelmäßige Einmarsch israelischer SoldatInnen, wobei es üblich ist, dass Tote zu beklagen sind und PalästinenserInnen zu Schaden kommen.

Hinzu kommt, dass rechtsgerichtete jüdische SiedlerInnen PalästinenserInnen oft belästigen oder angreifen. Angaben des israelischen Inlandsgeheimdienstes „Shin Bet“ zufolge nimmt diese „Hass-Kriminalität“ momentan zu.

Zur Politik der Besatzung gehören auch Festnahmen und Inhaftierungen unter heftigen Bedingungen: Eine Mehrheit der erwachsenen Männer in den besetzten Gebieten ist im Leben schon einmal festgenommen worden. Aktuell befinden sich über 6.000 PalästinenserInnen – darunter auch Kinder – in Haft.

Eine von ihnen ist die 17-jährige Ahed Tamimi, deren Fall weltweit Schlagzeilen machte, nachdem sie einem israelischen Soldaten eine Backpfeife verpasst und ihm einen Tritt ins Gesäß versetzt hat, weil dieser das Grundstück der Familie nicht verlassen wollte. Der Vorfall ereignete sich, kurz nachdem Ahed die Nachricht erhielt, dass ihrem Cousin von der israelischen Armee ins Gesicht geschossen worden ist.

Aktion der Massen

Angesichts des todbringenden Vorgehens der Regierung Netanjahu muss der Kampf der PalästinenserInnen natürlich sehr gut organisiert werden. Er muss demokratisch geführt, stets einer Bewertung unterzogen werden und eskalierend ausgerichtet sein, um maximale Wirkung zu zeigen und zum Erfolg zu führen. Wie die erste Intifada (dt.: „Aufstand) von 1987 gezeigt hat, können Massen-Aktionen, die sich gegen die Besatzung richten, sehr effektiv sein.

Letzten Sommer, als die israelischen Behörden neue restriktive Kontrollposten rund um das Gelände der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem einrichteten, erzwangen Sitz-Proteste mit Massenbeteiligung durch die PalästinenserInnen im Osten der Stadt ein Einlenken der Regierung.

Anfangs hatten auch die Proteste an der Grenze zwischen Gaza-Streifen und Israel, zu denen es in den vergangenen Wochen gekommen ist, Massencharakter – unter besonders repressiven Bedingungen. Diese Art von Kampf zu entwickeln bedeutet den Weg aus der Sackgasse zu weisen. Das Gegenteil davon wären Verzweiflungstaten wie eine Rückkehr zu individuellem oder kollektiven Terroranschlägen gegen israelische ZivilistInnen, die im Zuge der zweiten Intifada durchgeführt worden sind.

Diese Methoden waren kontraproduktiv und nutzten nur den Zielen der rechtsgerichteten PolitikerInnen in Israel. Während SozialistInnen das Recht der PalästinenserInnen auf bewaffneten Widerstand und Kampf voll und ganz unterstützen, rufen wir gleichzeitig dazu auf, dass man sich konzertiert an die „einfache“ Bevölkerung in Israel richtet. Den „einfachen“ Israelis muss erklärt werden, dass sie nicht das Ziel sind sondern dass es um die Beendigung der brutalen Besatzung und Blockaden geht.

Klassen-Unterschiede in Israel

Auf keiner Seite der Spaltungslinie haben ArbeiterInnenklasse oder Mittelschicht irgendetwas von dem Konflikt. Ihnen nutzen auch die armen und prekären Lebensbedingungen wenig, die ihnen von den pro-kapitalistischen politischen Parteien angeboten werden.

In Israel leidet die palästinensische Minderheit in der Bevölkerung am stärksten unter der Armut. Es gilt aber auch, dass rund 20 Prozent der jüdischen Kinder in Armut leben und eine breite Schicht israelischer Jüdinnen und Juden von Niedriglöhnen, unsicheren Arbeitsverhältnissen, einer massiven Knappheit an bezahlbarem Wohnraum und insgesamt vom Druck betroffen sind, über die Runden zu kommen. In der Gruppe der 35 entwickelten und sich entwickelnden OECD-Staaten verzeichnet Israel einen der höchsten Werte, was die Lebenshaltungskosten angeht. Parallel dazu ist das verfügbare Einkommen inklusive staatlicher Maßnahmen so niedrig, dass Israel auf dem vorletzten Platz der OECD-Liste rangiert. Nur Mexiko weist einen noch niedrigeren Wert auf.

Wir haben es bei Israel mit einer Klassen-Gesellschaft wie fast überall auf der Welt zu tun. Die Kluft zwischen arm und reich ist jedoch extrem groß, da eine kleine Anzahl an „Magnaten“ an der Spitze die Kontrolle über die Wirtschaft ausübt. Israelische ArbeiterInnen sehen sich regelmäßig zum Kampf gezwungen. So besetzten beispielsweise die Beschäftigten des Pharmaunternehmens „Teva“ letzten Dezember eine Produktionsstätte in Jerusalem und demonstrierten gegen den Verlust von 1.750 Arbeitsplätzen. Unterstützung erhielten die KollegInnen durch einen halbtägigen Generalstreik.

In den Folgemonaten kam es zu Demonstrationen in Tel Aviv, an denen zehntausende israelischer Jüdinnen und Juden sowie Asylsuchende (vor allem aus Afrika) teilnahmen. Sie richteten sich gegen die Vollstreckung von Abschiebungen. Aber auch Aktionen gegen die Korruption von SpitzenpolitikerInnen der Regierung fanden auf wöchentlicher Basis statt. Die höchste TeilnehmerInnenzahl betrug dabei zehntausend Personen. Viele Parlamentsabgeordnete und FunktionsträgerInnen sind Gegenstand polizeilicher Ermittlungen (darunter auch Premier Netanjahu selbst). In vielen Fällen empfiehlt die Polizei bereits jetzt Anklage zu erheben.

Nationaler Konflikt

Was allerdings den nationalen Konflikt angeht, so führt die Tatsache, dass keine der etablierten politischen Parteien eine Lösung anzubieten hat, dazu, dass eine Mehrheit des jüdischen Teils der Bevölkerung zum jetzigen Zeitpunkt der reaktionären Stimmung zum Opfer fällt, die von oben verbreitet wird. Es ist nicht neu, dass eine Regierung in Israel die Angst vor Übergriffen durch palästinensische Milizen, Einzelpersonen oder Nachbarstaaten (v.a. Iran) schürt, und Netanjahus Regierungskoalition macht da keine Ausnahme. Über den gesamten April hinweg haben seine MinisterInnen geradezu ein Sperrfeuer an Propaganda abgeliefert und damit auf die Proteste im Gaza-Streifen reagiert. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman erklärte, es gibt in Gaza „keine unschuldigen Menschen“ und „alle [dort] haben Verbindungen zur Hamas“.

Der nationale Konflikt befindet sich in einer Sackgasse. Zur Zeit gibt es keine nennenswerten Verhandlungen. Netanjahu hat es innerhalb seiner eigenen „Likud“-Partei mit einer starken Opposition zu tun und es droht der Bruch der Regierungskoalition, sollte er Konzessionen machen. Das gilt vor allem für die Siedler-freundliche Partei „Jüdisches Heim“ („HaBajit haJehudi“), die mit in der Regierung sitzt.

Seine rechtslastige Regierung hat im Parlament spalterische Gesetze durchgebracht, mit denen die Arbeit von NGOs eingeschränkt wird, die sich für die Sache der PalästinenserInnen einsetzen, und die die Rechte von 1,8 Millionen PalästinenserInnen in Israel limitieren. Dazu gehört auch die Erklärung, wonach Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes ist.

Doch der Zustand der Besatzung ist auch ein großes Problem für die israelische herrschende Klasse, die in sich gespalten ist, wie man damit umzugehen habe. Einige Spitzen-VertreterInnen plädieren für Zugeständnisse an die „palästinensische Autonomiebehörde“, um sich auf diese Weise eine Periode der stabileren Koexistenz zu erkaufen. Die Besatzung und Repression ist teuer: 13 Prozent des gesamten Haushalts gehen an die Armee. Darüber hinaus wird Israel aus dem Ausland kritisiert und erfährt aufgrund der in den besetzten Gebieten zum Einsatz kommenden Brutalität ein gewisses Maß an Isolation durch anderen Staaten der Welt.

Ferner hat Israels herrschende Klasse – trotz der Tatsache, dass Netanjahu an seiner geostrategischen Ausrichtung festhält und weiter „Fakten am Boden“ schafft, die Siedlungen ausbaut und eine nur für Jüdinnen und Juden gedacht Infrastruktur schafft – ein demografisches Problem, was die eigene nationale Basis angeht. Schließlich wird die palästinensische Bevölkerung in all den Gebieten, die unter ihrer Kontrolle stehen, die jüdische Bevölkerung zahlenmäßig schon bald übertreffen (wenn sie es nicht bereits tut).

Ein oder zwei Staaten?

Wegen des Versagens der etablierten politischen Parteien, die es nicht vermocht haben, eine Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen, und aufgrund des Ausmaßes, zu dem der Siedlungsbau das Westjordanland aufgebrochen hat, existieren auf beiden Seiten der nationalen Spaltungslinie Minderheiten, die der Meinung sind, dass jetzt nur noch eine Ein-Staaten-Lösung in Frage kommt.

Ein einzelner Staat kann auf sozialistischer Grundlage den Bedürfnissen und Anliegen sowohl von PalästinenserInnen als auch der Jüdinnen und Juden entsprechen. Ein solcher Staat kann auf kurze Sicht aber auch langfristig demokratisch beschlossen und in der Praxis durchgesetzt werden. Gehen wir aber von den heute vorliegenden Bedingungen aus, so bedeutet das nach Jahrzehnten des Blutvergießens angestaute Misstrauen sowie die auf beiden Seiten bestehende Angst, dann möglicherweise zur diskriminierten Minderheit zu zählen (wie im Falle der PalästinenserInnen in Israel schon heute zu beobachten), dass eine Ein-Staaten-Lösung von den meisten Menschen momentan nicht in Betracht gezogen wird.

Diese Ansicht ist unter israelischen Jüdinnen und Juden als Folge der Lebenserfahrung in einem Staat, der ihnen nach der Verfolgung von Jüdinnen und Juden in Osteuropa und darüber hinaus sowie nach den Schrecken des Holocaust als Schutzraum ihrer eigenen Interessen beschrieben worden ist, weit verbreitet. Heute führen der Krieg im benachbarten Syrien und die Unterstützung der Massen im gesamten Nahen Osten für die Sache der PalästinenserInnen dazu, dass bei israelischen Jüdinnen und Juden eine Art „Basatzungs-Mentalität“ ebenso normal ist wie der Wunsch den Staat Israel zu verteidigen.

Die Palästinensische Autonomie

Für die PalästinenserInnen gilt, dass die Abscheu gegen Repression und Schikane zum ausschlaggebenden Moment geworden ist. Das liegt an der dauerhaften Leugnung ihrer Grundrechte durch das Regime in Israel. Doch die an der Macht befindlichen politischen Parteien in den palästinensische Autonomiegebieten zeigen ebenso wenig einen Ausweg wie die Parteien in Israel.

Da der Lebensstandard im Niedergang begriffen ist und seine Strategie des Bittens und Bettelns bei den imperialistischen Weltmächten, sie mögen sich doch für einen Palästinenser-Staat einsetzen, wiederholt gescheitert ist, geht auch die Unterstützung für Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, den Chef der „Fatah“, zurück.

Jene Mächte haben ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Verbindungen zu Israel vor Augen und betrachten diese als wesentlich wichtiger. Abgesehen davon können sie sich nicht einfach über die ablehnende Haltung der israelischen herrschenden Klasse hinwegsetzen, für die kein echter palästinensischer Staat vor der eigenen Haustür in Frage kommt.

Die rechts-islamistische Partei „Hamas“, die im Gaza-Streifen schwer mit ihrem Machtanspruch zu kämpfen hat, hat keine Wahl, als einen stärker anti-imperialistischen Standpunkt als die „Fatah“ einzunehmen. Schließlich wird sie von den USA und der EU als terroristische Organisation betrachtet.

Aber auch sie hat keine Strategie, um den Kampf für die palästinensische Befreiung voranzutreiben. Sie wird niemals mit der einzigen Möglichkeit übereinstimmen, diese Befreiung wirklich zu erreichen: mit dem demokratisch organisierten Kampf auf Grundlage eines sozialistischen Programms. Denn das würde die Abschaffung all ihrer Privilegien bedeuten und die Absetzung ihrer VertreterInnen von den bisherigen Ämtern.

Um an einigen dieser elitären „Ansprüche“ festzuhalten und als Reaktion auf den Druck aus Ägypten und von Seiten einiger anderer arabischer Regime hat man versucht, sich mit der „Fatah“ auszusöhnen. So hat die „Hamas“ formal ihren Führungsanspruch im Gaza-Streifen abgelehnt, aber die Vereinbarungen sind bisher nicht umgesetzt worden.

Eine Anfang des Jahres durchgeführte Umfrage ergab, dass über 50 Prozent der BewohnerInnen des Gaza-Streifens und des Westjordanlands keiner der aktuell vorhandenen politischen oder religiösen Fraktionen Vertrauen schenken. In Israel haben bei den letzten Parlamentswahlen nur 16,7 Prozent ihr Kreuzchen bei der „Likud“-Partei von Netanjahu gemacht. Der größte Teil der Wahlberechtigten (27,7 Prozent) hat sich der Stimme enthalten.

Alternativen aus der und für die Arbeiterklasse

Auf beiden Seiten der Spaltungslinie müssen neue unabhängige ArbeiterInnen-Organisationen aufgebaut werden, die demokratisch geführt und kontrolliert werden und in der Lage sein müssen, aufgrund einer an den Interessen der „einfachen“ Leute orientierten Politik Unterstützung zu bekommen.

Die einzige ideologische Möglichkeit, um diese Unterstützung bekommen zu können, besteht darin, ein sozialistisches Programm anzunehmen, da nur eine sozialistische Lösung die Unsicherheit, Kriege, Ungleichheit, Enteignung, Diskriminierung und niedrige Lebensstandards beenden kann, die im Kapitalismus im Nahen Osten heute weit verbreitet sind.

Unsere marxistischen Vorgänger haben die Gründung des Staates Israel in Palästina vor 70 Jahren abgelehnt. Sie haben prophezeit, dass dadurch keine Sicherheit für Jüdinnen und Juden entstehen und dass es für die PalästinenserInnen nur Leid bedeuten würde.

In den seither vergangenen Jahrzehnten mussten MarxistInnen jedoch anerkennen, dass sich ein israelisches Nationalbewusstsein herausgebildet hat. Eine große Mehrheit der heutigen Bevölkerung ist in Israel geboren, und eine es existiert eine herrschende Klasse, der eine der stärksten und am stärksten bewaffneten Armeen der Welt zur Verfügung steht. Ebenso aber existiert eine Millionen Menschen starke israelische Arbeiterklasse, die die potentielle Macht hat, ihre kapitalistischen AusbeuterInnen herauszufordern und abzusetzen.

Opposition gegen den Zionismus, die politische Rechte in Israel und israelische KapitalistInnen ist in keinster Weise antisemitische Opposition gegen Menschen jüdischer Konfession oder gegenüber der jüdischen Arbeiterklasse und/oder Mittelschicht.

Unsere Schwesterorganisation in Israel/Palästina heißt „Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki“ (hebräisch und arabisch für: „Bewegung für den sozialistischen Kampf“) und ist Teil des „Committee for a Workers‘ International“ / „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI). Es gibt Ortsgruppen in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa, die die Kämpfe der ArbeiterInnen in Israel (von Jüdinnen/Juden und AraberInnen) unterstützen und für die Einheit der Beschäftigten in einer neu zu gründenden ArbeiterInnenpartei eintreten.

Die GenossInnen beteiligen sich aktiv am Protest gegen die Besatzung und die Blockade des Gaza-Streifens, sie setzen sich für das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge ein und fordern zwei sozialistische Staaten, in denen alle Minderheiten die vollen Rechte zugestanden werden.

Ungarn nach den Wahlen

Orbáns Erfolg ist durch den autoritären Staatsumbau und das Fehlen einer linken Alternative zu erklären.
Nicolas Prettner

Orbán hat die Wahlen klar gewonnen und scheint fester im Sattel zu sitzen als je zuvor. Bei der Ursachenforschung beschränkt sich die bürgerliche Berichterstattung auf die staatliche Repression gegen die oppositionelle Presse und den Kulturbereich. Doch die Regierung geht auch hart gegen Gewerkschaften und ArbeiterInnenrechte vor. So muss jeder Streik von einem Gericht bewilligt werden, was fast nie passiert und im Öffentlichen Dienst wurden gewerkschaftliche Rechte de facto abgeschafft. Obwohl es Wut über Kürzungen und Armut gibt, waren die sozialen Probleme – rund die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze – kaum Thema im Wahlkampf.

Zu Recht befindet sich die Sozialdemokratie am absteigenden Ast: Immerhin hat sie, als sie an der Macht war, die Troika und damit einhergehend Sozialabbau nach Ungarn geholt. Auf der Wahlebene gibt es auch deshalb keine linke Kraft, die dem existierenden Unmut eine Plattform bietet, weil sich die „fortschrittliche“ Opposition an die EU kettet.

Die einzig andere relevante Partei neben Orbáns Fidesz ist die faschistische Jobbik. Sie gibt sich bei Großdemos nach den Wahlen als „oppositionell“. Tatsächlich braucht es eine echte, sozialistische Alternative. Um diese aufzubauen, ist es nötig, sozialistische Perspektiven und kompromisslosen Widerstand gegen Jobbik & Co in die Proteste zu tragen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Streiks in Slowenien

Christoph Glanninger

Seit dem Jahreswechsel sieht sich die slowenische Regierung mit Streiks im Öffentlichen Dienst konfrontiert. Begonnen hatte es mit 30.000 streikenden öffentlich Bediensteten im Jänner. Gefolgt von 9.000 PolizistInnen und einem zweistündigen Warnstreik von Beschäftigten im Gesundheitsbereich im Februar. Im März folgten 40.000 streikende Beschäftigte im Bildungsbereich, 90% aller Schulen waren betroffen und 15.000 Menschen beteiligten sich an Demonstrationen. Sogar Beschäftigte des Geheimdienstes beteiligten sich an Kampfmaßnahmen.

Mittlerweile sah sich der slowenische Premier gezwungen zurückzutreten, in der Hoffnung, durch vorgezogenen Neuwahlen die Streikdynamik zu bremsen. Hintergrund der Auseinandersetzungen sind Forderungen nach ordentlichen Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen und besseren Arbeitsbedingungen. In einigen Bereichen werden Erhöhungen von bis zu 15% verlangt. Eine streikende Lehrerin beschreibt gegenüber Vorwärts die Stimmung als „Entschlossen und geprägt von Solidarität“ und meint, dass „es ein großes Misstrauen gegenüber Versprechen gibt, die vor der Wahl gemacht werden“.

Obwohl zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Sloweniens ein Haushaltsüberschuss erzielt wurde und die Wirtschaft auch sonst schneller als erwartet wächst (Prognose für 2018: + 5,1%), weigert sich die Regierung, die Forderungen zu erfüllen. Der zuständige Minister warnte davor, durch Lohnerhöhungen „die makroökonomische Balance zu brechen“. Dahinter steckt die Angst der Regierung, die Position Sloweniens als „Billiglohnland“ zu gefährden. Gleichzeitig macht die Gewerkschaft klar, dass trotz fünf Jahre anhaltendem Wirtschaftswachstum die Löhne nicht angemessen erhöht wurden bzw. vorherige Verschlechterungen, die die Regierung als Reaktion auf die Krise gesetzt hatte, nicht zurückgenommen wurden.

Die aktuelle Streikbewegung reiht sich ein in eine Serie wichtiger sozialer Kämpfe in den letzten Jahren. Begonnen bei der Massenbewegung gegen Sparpolitik und Korruption 2012, den Streiks der HafenarbeiterInnen in Koper, Protesten beim Transportunternehmen Arriva und aktuell Streiks von BergarbeiterInnen. SozialistInnen müssen die verschiedenen Proteste zusammenbringen, um einen gemeinsamen Kampf für echte Verbesserungen zu führen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Portugal: Wie links ist die Regierung?

„Contraption“ bedeutet eine neoliberale Politik, die von links weißgewaschen wird
Minerva Martins, Socialismo Revolucinário

Die Idee, dass die aktuelle Regierung in Portugal die Sparpolitik der Troika beenden würde, hat sich als Illusion erwiesen. Die liberale Sozialistische Partei (PS) bildete Ende 2015 eine neue Regierung nach vier Jahren brutaler Kürzungen durch die konservative Rechte. Allerdings ist die Regierung sehr instabil und braucht die Unterstützung des Linksblocks (BE) und der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP). Diese Allianz ist als Contraption bekannt.

Doch die Zeit der Sparprogramme ist nicht vorbei. Die öffentlichen Investitionen sind unter dem Niveau der Troika-Jahre. Es gibt heute mehr Beschäftigte, die nur den Mindestlohn von 580 Euro verdienen und mehr prekäre Jobs als fixe Anstellungen. Gleichzeitig sind die Kosten für Wohnen 2010-16 um 40% gestiegen und steigen noch weiter.

In der Zwischenzeit bricht das öffentliche Bildungssystem zusammen, wie auch der öffentliche Verkehr und das Gesundheitssystem. Die Infrastruktur ist in einem gefährlichen Zustand, aber öffentliches Geld wird an Private gegeben. In den letzten Monaten standen Proteste und Streiks von Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf der Tagesordnung. Einige wurden gegen den Widerstand der Gewerkschaftsführung organisiert. Das ist das Resultat der Regierung des „kleineren Übels“, die sowohl von der EU als auch linksreformistischen PolitikerInnen gelobt wird.

BE und PCP hätten ein Anti-Sparprogramm fordern sollen, wie die sofortige Anhebung des Mindestlohns auf 900 Euro, eine Verringerung der Arbeitszeit auf 35 Stunden und das Recht auf Kollektivverträge. Sie sollten Frauenkampagnen gegen sexuelle Belästigung und gleichen Lohn für gleiche Arbeit unterstützen, Kampagnen führen gegen Delogierungen und für Mietregulierungen, in denen sie die AnrainerInnen mobilisieren. Sie hätten damit aufzeigen können, dass die PS eine bürgerliche Partei ist, die die Profite der Kapitalisten gegen die Interessen von ArbeitnehmerInnen verteidigt. Diese Chance wurde vom Linksblock und der PCP nicht genutzt.  Stattdessen ordnen sich beide Parteien dem Pakt und dem Programm der PS unter und machen nur hier und da andere Vorschläge, oft hinter verschlossenen Türen.

Die Folgen für die Linke haben sich bei den Lokalwahlen im Oktober 2017 gezeigt: Die PCP verlor ihre Mehrheit in zehn Gemeinden, der Linksblock bleibt auf lokaler Ebene eine unbedeutende Kraft. Die jüngsten Umfragen zeigen die PS nahe an der absoluten Mehrheit und sinkende Werte für Linksblock und PCP. Dennoch unterstützen beide Parteien weiterhin die Regierung und ermöglichen ihr dadurch, ihr Sparprogramm für die ganze Regierungsperiode umzusetzen.

Das schwächt beide Parteien: Die internen Strukturen des LB sind leer und konzentrieren sich auf Aktivitäten in den Institutionen. Die PCP ist immer weniger fähig, die neue Generation an Jugendlichen und prekär Beschäftigen anzusprechen und zu mobilisieren. Sie isolieren sich von allen kämpferischen Bewegungen. Das wurde am 8. März klar, als die Führung der PCP den internationalen Streik nicht unterstützte und sich dem Protest nicht anschloss, bei dem in Lissabon mehr als 1.000 Frauen und Jugendliche in einer der größten Demonstrationen gegen Sexismus im Lande auf die Straße gingen.

Der größte Gewerkschaftsverband (CGTP), der von der PCP angeführt wird, zeigt die widersprüchliche Rolle der Linken zur aktuellen Regierung. Die Zahl an Streiks im öffentlichen Dienst hat – wegen des Drucks aus der Basis - 2017 jene der Troika-Jahre sogar überstiegen. Aber die Führung verunmöglicht wichtige Siege, ruft nur zu isolierten Streiks in einzelnen Branchen auf und weigert sich, die Kämpfe zu vereinen und einen Generalstreik auszurufen. So trennen sie z.B. den Kampf der PflegerInnen von jenem der ÄrztInnen. 2018 wird mehr Kämpfe in verschiedenen Bereichen sehen. Aber die CGTP-Führung setzt den Generalstreik nicht auf die Tagesordnung.

Mitglieder des CWI sind führend in einer neuen bundesweiten SchülerInnenorganisation beteiligt und Teil in wichtigen Kampagnen für freien Bildungszugang und die Vergesellschaftung der Hausarbeit. Die Unzufriedenheit bezüglich der aktuellen Arbeitsmarktsituation, Gesundheit, Bildung und Wohnen wächst – und es gibt eine Offenheit für die Idee von Organisierung um ein antikapitalistisches sozialistisches Programm. Allerdings ist dies nicht einmal die Spitze des Eisberges der neuen sozialistischen Massenbewegung, die sich bilden wird. Unsere Aufgabe ist es, in diesem Prozess der Reorganisierung der Linken und der Radikalisierung der ArbeiterInnenklasse einzugreifen und neue breite ArbeiterInnenparteien aufzubauen ohne den Aufbau eines revolutionären Kerns zu vernachlässigen, der einen klaren Weg in Richtung Überwindung des Kapitalismus aufzeigt als Weg, um die Sparpolitik endlich zu beenden.


http://www.socialismohoje.wordpress.com

 

Minerva Martins wird beim Sommercamp der SLP von 19-26.8. in Kärnten teilnehmen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Corbyn und der Brexit

„Regelungen im Interesse der arbeitenden Menschen“
Judy Beishon (Mitglied im Exekutivkomitee der Socialist Party England und Wales)

Eine Rede, die Jeremy Corbyn, Vorsitzender der britschen Labour-Partei , am 26. Februar in Coventry gehalten hat, stellt eine erfreuliche Weiterentwicklung seiner Position gegenüber dem „Brexit“ dar. Er wiederholte, dass er die „Pro-Austritt“-Stimmen, die beim EU-Referendum abgegeben worden waren, respektieren will und verlangte einen „Brexit“, der strikt im Interesse der Menschen aus der Arbeiterklasse gestaltet werden muss.

Auf die Sorgen der abhängig Beschäftigten eingehend, wonach ein „harter Brexit“ unter Führung der konservativen Tory-Regierung zum Verlust von Arbeitsplätzen und Einkommen führen kann, sagte der Labour-Vorsitzende, dass er den EU-Binnenmarkt zwar ablehnt, aber für Verhandlungen über eine „neue“ Zoll-Union ist. Damit könne sichergestellt werden, dass der Warenhandel weiter ohne Zölle auskommt und Kontrollen an der Grenze zu Irland vermieden werden.

Im Wesentlichen hat Corbyn gesagt, er wolle die zur Zeit in Kraft befindliche pro-kapitalistische Zoll-Union der EU durch eine Vereinbarung ersetzen, die im Interesse der arbeitenden Menschen ist. Damit hat er eine „rote Linie“ gezogen zwischen der Position von Labour und der der Tory-Regierung, die auf Druck ihres rechten Parteiflügels derzeit jede Form von Zoll-Union ablehnt.

Corbyn verbessert Haltung

Corbyn liegt auch richtig, wenn er die pro-kapitalistischen „Blairites“ in der Labour-Partei zurückweist, die sich für die Beibehaltung des Binnenmarktes und die damit verbundenen konzernfreundlichen Regelungen einsetzen. Im Rahmen des Parteitags der schottischen Labour-Partei am 9. März erklärte er: „Wir würden uns dafür stark machen, – wo nötig – Absicherungen bzw. Ausnahmen zu verhandeln, die sich von den aktuell geltenden Regularien und Direktiven unterscheiden. Denn letztere stehen nur im Zeichen von Privatisierungen und befördern den Wettbewerb im öffentlichen Dienst oder sie schränken unsere Möglichkeiten der Einflussnahme ein, um etwa die Industrie in der Region unterstützen zu können.“ Er hob außerdem hervor, dass eine Regierung unter Labour in der Lage sein muss, die ArbeitgeberInnen daran zu hindern, „die Möglichkeit zu haben, sich billige Zeitarbeit aus dem Ausland einkaufen zu können, um bestehende Lohn- und Sozialstandards zu umgehen“ und dass es „einen verbindlichen Rahmen für Rechtsansprüche, Standards, soziale Sicherheit für ArbeitnehmerInnen, VerbraucherInnen und die Umwelt geben muss.“

Wenn man das mit der Position vergleicht, die Corbyn vor dem Referendum eingenommen hatte, so hat sich seine Haltung deutlich verbessert. Um den rechten Flügel von Labour zufriedenzustellen, hatte er zu jener Zeit Abstand von der langjährigen Position der Labour-Linken genommen, derzufolge die EU im Grunde nichts anderes ist, als ein Verein der Bosse, der ganz im Sinne des Kapitalismus handelt. Stattdessen hatte Corbyn sich widerstrebend bereit erklärt, für den Verbleib in dieser EU zu werben.

Das hat damals auch dazu geführt, dass rechte NationalistInnen in die Lage versetzt wurden, die Seite der AustrittsbefürworterInnen zu dominieren. Corbyn hätte den Einsatz rassistischer Methoden und einer ausländerfeindlichen Propaganda der EU-feindlichen Rechten durchkreuzen können, wenn er entschlossen für einen anti-rassistischen, sozialistischen und internationalistischen Brexit eingetreten wäre.

Für ein sozialistisches Europa

Viele kapitalistische KommentatorInnen tönten, dass die Position von Corbyn von den führenden Köpfen der EU abgebügelt werden würde. Corbyn kann seine Haltung jedoch nutzen, um die arbeitnehmerfeindliche Kürzungspolitik der EU vor den Augen der ArbeiterInnenklasse ganz Europas in Frage zu stellen und die Motive hinter deren ablehnender Haltung offen zu legen. Ein solches Vorgehen würde – in Verbindung mit einem entschiedenen Aufruf an die ArbeiterInnenbewegungen in den Ländern der EU, dort ebenfalls sozialistische Maßnahmen einzufordern – die Interessen der Menschen aus der ArbeiterInnenklasse und den Mittelschichten auf dem gesamten Kontinent nach vorne bringen. Die EU vertritt neoliberale und kapitalistische Interessen, die in ihren Abkommen und Vereinbarungen zur Geltung kommen. Dem muss die Vorstellung von einer freiwilligen und sozialistischen Föderation der europäischen Staaten entgegengesetzt werden.

Darüber hinaus hat Jeremy Corbyn die Möglichkeit für die Labour-Abgordneten geschaffen, Theresa May in einer künftigen Abstimmung über eine Zoll-Union eine schwere Niederlage zu bereiten, weil auch eine Reihe von Abgeordneten der Tories sich anschließen und ebenfalls gegen die Position der Premierministerin votieren könnten. Das hat das Potential, ihren Führungsanspruch in Frage zu stellen und sogar zu Neuwahlen zu führen.

Zweifellos sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt viele potentielle Labour-WählerInnen, die beim Referendum für den Verbleib in der EU gestimmt haben, ob der Brexit-Positionierung von Corbyn und von Labour im Allgemeinen, verwirrt. Während viele in der britischen ArbeiterInnenbewegung angesichts der jüngsten Rede von Corbyn erleichtert sind, so fürchtet doch eine beträchtliche Anzahl an Austritts-BefürworterInnen unter ihnen, dass er unter dem Druck von rechts wieder ins Wanken geraten und einem pro-kapitalistischen „Brexit nur dem Namen nach“ verfallen könnte oder sich sogar erneut gegen den „Brexit“ an sich aussprechen könnte.

Diese Zweifel werden Labour unter Corbyn nicht notwendigerweise um den Sieg bei den nächsten Wahlen bringen, wenn es um Themen geht, wie seine Forderungen nach mehr bezahlbarem Wohnraum und der Abschaffung der Studiengebühren, aber sicher ist das noch nicht.

Spanien: Streik gegen das Patriarchat

Leon Neureiter

Am Frauentag gab es in Spanien einen von der Basis der großen Gewerkschaften getragenen Streik, an dem 5,3 Millionen Frauen teilnahmen. Kein Wunder, schließlich sind Frauen in Spanien besonders benachteiligt. Sie bekommen z. B. um 57% geringere Pensionen. Millionen von Frauen legten bezahlte wie unbezahlte Arbeit nieder. Die sexistische Hetze des Establishments (so sprach die neoliberale Partei Ciudadanos von einem »antikapitalistischen Streik«, womit sie sogar recht hatte) konnte daran ebenso wenig ändern wie Ausbremsungsversuche seitens der Gewerkschaftsbürokratie: bei 82 % der SpanierInnen stieß der Streik auf Sympathie. Die Kampagne „Libres y Combativas“ unserer Schwesterorganisation „Izqierda Revolucionaria“ spielte eine wichtige Rolle und organisierte Streiks an Unis und Schulen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

HeldInnen des Monats: Lehrende in West Virginia

Wochenlang streikten 33.000 LehrerInnen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen – obwohl das in dem US-Bundesstaat illegal ist. Sie wiesen jeden faulen Kompromiss zurück. Inspiriert davon tragen nun LehrerInnen in anderen Bundesstaaten aus Solidarität rote Kleidung bei der Arbeit - und bereiten selbst Streiks vor.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Italien: Wie weiter nach den Wahlen

Die Wahlen am 4. März waren das größte politische Erdbeben seit den Korruptionsskandalen der frühen 90er.
Christine Thomas

Resistenze Internazionali, http://www.resistenzeinternazionali.it


Die PD (Demokratische Partei) von Premier Renzi wurde hinter der 5-Sterne-Bewegung (M5S) nur zweite. Berlusconis Forza Italia (FI) wurde von der rechtspopulistischen Lega unter Matteo Salvini überholt. Bei einer Wahlbeteiligung von 73% gingen mehr als 50% der Stimmen an Anti-Establishment Parteien. Das ist eine klare Ablehnung der traditionellen Politik und zeigt den verzweifelten Wunsch nach Veränderung nach Jahren der Korruption, Sparpolitik und wirtschaftlicher Krise für ArbeitnehmerInnen. Ohne klaren Sieger stehen nun Wochen bis Monate der Unsicherheit bevor.

Die Verluste für die PD, der Hauptregierungs- und Lieblingspartei des italienischen Kapitals waren stärker als vorhergesagt. Selbst ihre Dominanz in den "roten Regionen" gehört nun der Vergangenheit an. Obwohl es nach fast zehn Jahren der Rezession eine kleine Erholung der Wirtschaft gibt, gelang es der PD nicht, davon zu profitieren. Das Wachstum ist immer noch kleiner als vor der Krise, und die Arbeitslosigkeit höher. Viele Menschen aus der ArbeiterInnenklasse oder Mittelklasse haben keine Verbesserung ihres Lebensstandards gespürt.

Mit mehr als 32% ist die 5 Sterne-Bewegung nun die bei weitem größte Partei und erreichte besonders viele Stimmen unter Jungen. Die Unterstützung für M5S kommt von links- und rechtsgerichteten WählerInnen, die zutiefst enttäuscht von den traditionellen Parteien sind. Sie waren sogar bereit, das Chaos der M5S-Regierung in Rom zu ignorieren, um etwas neues auszuprobieren. Doch Luigi Di Maio, der Anführer des M5S, hat die letzten Wochen damit verbracht, die Konzerne abzuklappern und sich als verlässlichen Premier und M5S als verlässliche kapitalistische Partei zu präsentieren. Sie wandten sich sogar von der früheren Anti-EU/Euro Haltung ab und sind nun gegen eine Reichtumsbesteuerung. Er hat auch erklärt, dass er offen für ein Bündnis mit anderen Parteien ist. Wie weit er bereit ist zu gehen, ist offen, da das der ursprünglichen Intention von M5S diametral entgegengesetzt ist - nämlich einer Opposition zur verrotteten politischen Kaste. Wenn die M5S in eine Koalition mit einer der anderen Parteien geht, wird sie das vermutlich spalten - mit einem Teil, der zurück zur Anti-Establishment Haltung will.

Die "rechte Mitte" ist mit 37% nun das größte Bündnis, aber auch sie hat keine Mehrheit. Die rassistische Lega ist nun die größte Partei auf der Rechten und hat Berlusconis Forza Italia überholt. Damit hat sich das Kräfteverhältnis innerhalb des Bündnisses geändert.

Die Frage der Migration dominierte den Wahlkampf in den Medien. Alle großen Parteien setzten auf eine harte Linie. Im Norden und in Zentralitalien profitierte v.a. die Lega davon. Ihr Stimmenanteil ist von 4% auf 18% gestiegen (ein Drittel kam von den NichtwählerInnen, ein Viertel von der Forza Italia). Auch Teil des Bündnisses ist Fratelli d'Italia, die ihre Wurzeln in der faschistischen MSI hat und sich auf 4,35% verdreifachte. Die „rechte Mitte“ wird zweifellos versuchen, die nötigen 50 Abgeordneten von anderen Parteien für eine Mehrheit zu gewinnen. Allerdings wird das schwierig sein, besonders wenn Salvini der Kandidat für den Premier ist.

Trotz der politischen Stimmungsmache gegen Flüchtlinge und einer nie dagewesenen medialen Öffentlichkeit für den faschistischen CasaPound, erhielt dieser nur 0,9%. Allerdings war die Ermordung von sechs MigrantInnen durch einen rechtsextremen Terroristen während des Wahlkampfes Ergebnis dieser Hetze. Antirassismus und Antifaschismus sind weiterhin zentral, egal welche Regierung gebildet wird.

Die neue linke Potere al Popolo (Macht für das Volk) erhielt 370.000 Stimmen, knapp über 1% bundesweit (2013 erhielt die radikale Linke bei den Wahlen 3%). Ursache ist u.a. die Angst vor einer „verlorenen Stimme“, die kleinere Parteien schwächte. Für eine Bewegung, die nur wenige Wochen vor der Wahl entstanden war, und weit weniger Medienöffentlichkeit erhielt als andere, war das kein schlechtes Resultat. Mandate zu erreichen war nie das Hauptziel. Potere al Popolo ist von unten entstanden, als kämpferische aktive Organisation zum Mitmachen. Sie ist Sammelpunkt für verschiedene soziale Bewegungen und linke Parteien. Hunderte Versammlungen im ganzen Land wurden in über 100 Städten abgehalten und zogen tausende Menschen, v.a. Jugendliche an.

Aufgrund dieses Potentials für den Aufbau einer kämpferischen antikapitalistischen Kraft hat Resistenze Internazionali (CWI in Italien) sich Potere al Popolo angeschlossen, war Teil der Wahlkampagne und kandidierte in Genua. Ob diese Organisation ihr Potential verwirklicht, ist noch ungewiss.

Zu diesem Zeitpunkt ist noch offen, welche Regierungskoalition entstehen wird oder ob Neuwahlen kommen. Nichts davon wird auch nur ansatzweise die Probleme von ArbeitnehmerInnen und der Mittelschichten lösen.

Die wirtschaftliche, politische und soziale Krise des italienischen Kapitalismus wird weitergehen - und der Aufbau einer kämpferischen antikapitalistischen Alternative ist nötiger denn je.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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