Internationales

Türkei nach den Wahlen: Für eine starke Linke

Interview mit Ismail Okay von Sosyalist Alternatif

Wie bewertest Du das Wahlergebnis für Erdogan und sein Bündnis mit der MHP?

Mit dem Referendum im letzten Jahr wurde in der Türkei ein präsidiales System beschlossen, das aber erst nach der nächsten Wahl eingeführt werden sollte. Das war ein Grund für die vorgezogenen Wahlen. Ein noch wichtigerer Grund war die alarmierende Situation der Wirtschaft. Auf dem Papier gibt es zwar einen wirtschaftlichen Aufschwung, aber das sieht im realen Leben der Massen anders aus. Erdogan sah eine mögliche ökonomische Krise als Hauptgefahr für seinen Machterhalt. Mit diesem Wahlsieg ist das Erdogan-Regime erst einmal gefestigt. Auf der anderen Seite konnten die AKP und Erdogan nur durch das Bündnis mit der nationalistischen Partei MHP diesen Wahlsieg erreichen. Das wird sicher Folgen haben. Die MHP wird die AKP unter Druck setzen, zum Beispiel für eine Amnestie der im Gefängnis sitzenden Mafia-Bosse oder auch im Hinblick auf ein noch härteres Vorgehen gegen die KurdInnen.

Wird die Türkei jetzt eine Ein-Mann-Diktatur und wird Erdogan ein starker Präsident sein?

Die Türkei ist seit langem de facto eine Ein-Mann-Diktatur. Diese hat jetzt eine „Legitimation“ und strukturelle Konsolidierung erreicht. So gesehen ist Erdogan durchaus gestärkt und werden die Zeiten für die Linke und andere oppositionelle Kräfte noch schwieriger.

Das bedeutet aber nicht, dass der Faschismus in der Türkei gesiegt hat und alles hoffnungslos ist. Es gibt immer noch funktionierende Gewerkschaften, linke Parteien und Organisationen, auf die in der kommenden Periode viele wichtige Aufgaben zukommen. Eine wichtigste davon ist es, eine starke, unabhängige politische Kraft der ArbeiterInnenklasse aufzubauen.

Die objektive Lage wird sich in der kommenden Periode zu Gunsten der Linken entwickeln. Die Wirtschaft entwickelt sich in Richtung einer Krise. Die Folgen dieser Krise werden die ArbeiterInnenklasse und arme Menschen, die teilweise noch Illusionen in das Regime haben, stark erschüttern.

Wie ist das Ergebnis der HDP einzuordnen?

Die HDP war die einzige Partei, die an keinem Wahlbündnis beteiligt war. Die zehn-Prozent-Wahlhürde galt nur für sie. Wäre sie daran gescheitert, wären alle ihre Sitze auf die AKP übergegangen, was sie zur stärksten Kraft aller Zeiten im Parlament gemacht hätte.

Die HDP ist jetzt die dritte Kraft im Parlament. Aber wichtiger ist: sie hat viele VertreterInnen anderer linker Kräfte auf ihre Liste genommen und ist somit ein faktisches linkes Bündnis geworden. Das ist von enormer Bedeutung für den Aufbau einer starken linken Kraft, die die kurdische und türkische Arbeiterklasse und Armen zusammen bringen kann.

Außerdem ist die HDP seit drei Jahren einer enormen Repressionen ausgesetzt. Für viele gilt sie als der legale Arm der PKK. Trotzt diese Umstände konnte sie bei den Wahlen zulegen. Das ist von sehr großer Bedeutung.

Die HDP hatte in Kurdistan gewisse Verluste. Möglicherweise wurde sie aufgrund ihrer Linksentwicklung von manchen eher konservativen und nationalistischen Kräften unter den KurdInnen deshalb nicht gewählt. Aber der eigentliche Hauptgrund ist wahrscheinlich die militärische Besatzung unter der die Wahl in den kurdischen Gebieten stattfinden musste und damit einhergehende Wahlfälschungen.

Im Westen der Türkei hat die HDP aber zugelegt. Sicher gab es taktische Stimmen von KemalistInnen. Aber selbst das bedeutet viel. Vor allem zeigt es, dass die türkische ArbeiterInnenklasse ihre Berührungsangst mit einer Partei, die mit der PKK bzw. mit Terror gleich gestellt wird, überwinden kann.

Was sind eure Forderungen und Vorschläge für die neue Situation?

Sosyalist Alternatif hat gleich nach der Ankündigung der vorgezogenen Wahlen für ein Bündnis von HDP und der linken Kräfte geworben. Das ist geschehen. Außerdem, haben wir in unseren Stellungnahmen immer wieder vor Illusionen in die bürgerlichen Oppositionsparteien gewarnt und betont, dass der schwierigste Kampf nach den Wahlen auf uns zukommen wird, egal wie sie ausgehen. Es ist wichtig, das linke Bündnis, das vor der Wahl entstanden ist, nach den Wahlen zu stärken und in eine echte sozialistische Kraft zu verwandeln, die einen Kampf gegen die Auswirkungen der kommenden Krise und das kapitalistische System führen kann.

Die Regierung wird sicher bald Maßnahmen zu Lasten der ArbeiterInnenklasse beschließen. Die HDP und die linken Kräfte müssen in den kommenden Tagen einen Plan erstellen, wie man den Kampf im Parlament und außerhalb des Parlaments verbinden kann. Dafür wäre eine schnell einzuberufende Konferenz ein wichtiger Schritt.

Erfolgreicher Kampf für „Amazon-Steuer“

Nicolas Prettner

In der US-amerikanischen Stadt Seattle wurde eine Unternehmenssteuer, die Konzerne wie Amazon betrifft, eingeführt. Beinahe 50 Millionen Dollar stehen als Folge zur Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum in öffentlicher Hand zur Verfügung. Dieser historische Erfolg wurde durch die Bewegung #TaxAmazon erkämpft, die von Socialist Alternative, der amerikanischen Schwesterorganisation der SLP, entscheidend mitgetragen wurde. Tausende engagierten sich in der Kampagne und gingen auf die Straße, sogar das Rathaus wurde zeitweise besetzt. Auch Forderungen wie die Vergesellschaftung von Großkonzernen unter demokratischer Kontrolle der Belegschaft, waren sehr präsent in der Bewegung.

Die etablierten Parteien und Großkonzerne taten alles, um diese Steuer zu verhindern. Die Bürgermeisterin wollte Schlupflöcher für die Unternehmen einbauen. Amazon-Chef Jeff Bezos, der reichste Mann der Welt, drohte sogar, dass sein Konzern aufhört, in Seattle zu bauen. Er nahm damit 7.000 Arbeitsplätze in Geiselhaft. Doch es blieb bei der leeren Drohung - die Jobs bleiben, und Amazon muss zahlen.

Dieser Erfolg stellt aber nicht das Ende eines Kampfes, sondern den Anfang dar. Das Beispiel von Seattle kann auch von Bewegungen in anderen Teilen der USA aufgegriffen werden. Ähnlich wie die Bewegung für einen 15$ Mindestlohn, die ebenfalls in Seattle ihren Ausgangspunkt hatte und mittlerweile die ganzen USA und sogar Kanada erfasst hat.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Irland: it’s time for a choice

Aktivistin der SLP

Am 25. Mai wurde in Irland das Referendum über den 8. Verfassungszusatz durchgeführt, der es in Irland Frauen unmöglich macht, eine sichere und legale Abtreibung durchführen zu lassen. Bisher hatte Irland eines der strengsten Abtreibungsgesetze in ganz Europa. Beim Referendum waren knapp 3,2 Millionen Menschen wahlberechtigt und es ging mit einem eindeutigen Ergebnis aus: Mehr als 2/3 aller WählerInnen stimmt mit einem Ja für die Aufhebung des Gesetzes, das in der Vergangenheit nicht nur Frauen zu Auslandsreisen gezwungen hat, sondern auch in ihrer medizinischen Behandlung einschränkte oder sogar zum Tod von Frauen führte, denen einen lebensrettende Abtreibung verwehrt wurde.

Dieses mehr als eindeutige Ja der irischen Bevölkerung spiegelt den gesellschaftlichen Umbruch und die massive Schwächung konservativer Kräfte wider. Irische Frauen (und Männer) sind nicht länger bereit, sich durch das „moralische“ Weltbild der Kirche, die letztlich nur zur Unterdrückung der Frau und Sicherstellung ihrer Machtposition dient, bevormunden zu lassen. Zahlreiche Organisationen haben sich an der Pro-Choice Kampagne beteiligt, darunter Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, feministische Organisationen und Plattformen die sich für LGBT-Rechte und gegen Rassismus einsetzen. Eine besonders herausragende Rolle spielt in der Pro-Choice Kampagne seit Jahren die sozialistisch-feministische Organisation ROSA. Die kämpferische Kampagne in der Frauen auch der Zugang zur Abtreibungspille ermöglicht wurde war ein wichtiger Bestandteil für diesen Sieg.

Noch ist nicht klar, wie das kommende Abtreibungsgesetz von der konservativen Regierung formuliert wird und wie der praktische Zugang gewährleistet wird. Dass dieser Sieg erst ein Anfang ist betonte die sozialistische Parlamentsabgeordnete und Aktivistin von ROSA, Ruth Coppinger, in ihrem Statement nach dem Referendum. Ein weiterer wichtiger Schritt ist nun die Bereitstellung und Verbreitung von Verhütungsmitteln durch das öffentliche Gesundheitswesen, ein fortschrittlicher Aufklärungsunterricht und echter Zugang zu Abtreibung. Heute wird ein Großteil des Schul- und Gesundheitswesen durch die katholische Kirche betrieben. Auch damit muss Schluss sein macht Coppinger klar.

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Internationale Notizen - Katalonien - Belgien - HK/China

Streik in Katalonien

Am 26. April rief die Studierendengewerkschaft Sindicat d’Estudiants, die Studierendenorganisation der CWI-Organisation in Spanien, zum Generalstreik in Katalonien auf. Klassenzimmer und Hörsäle blieben leer, mehr als 10.000 junge Menschen in Barcelona und hunderte weitere im restlichen Katalonien gingen auf die Straße um sich gegen die antidemokratischen Angriffe der konservativen Regierungspartei Spaniens zu wehren. Freiheit für die politischen Gefangenen und das Ende der Verfolgung der Komitees zur Verteidigung der Republik waren Hauptforderungen. Sindicato de Estudiants organisierte im Rest Spaniens aktive Unterstützung: Proteste im Baskenland sowie Versammlungen und Arbeitsniederlegungen in anderen Landesteilen.

http://www.izquierdarevolucionaria.net

http://www.sindicatodeestudiantes.net

 

 

Demonstration in Belgien

Die belgische Regierung führt momentan massive Angriffe auf das Pensionssystem durch. Das Antrittsalter wurde von 65 auf 67 erhöht, der Zugang zu Frühpensionen eingeschränkt und die Regierung plant, die Pensionen zu reduzieren. Am 16. Mai gingen 80.000 Menschen dagegen auf die Straße. LSP/PSL (CWI in Belgien) beteiligte sich mit dutzenden Mitgliedern an der Demo und verteilten 2.500 Flugblätter die eine Strategie aufzeigten, wie die Regierung besiegt werden kann. LSP/PSL erklärte, dass die Demonstration nur ein erster Schritt ist und ein ernsthafter Aktionsplan für nächste Schritte mit genauen Vorbereitung auf allen Ebenen notwendig ist. Wenn die Gewerkschaften ihre eigenen Forderungen ernst meinen, dürfen sie nur jene Parteien unterstützen, die bereit sind, die Sparpolitik zu beenden.

http://www.socialisme.be

 

 

Hong Kong/China

Am 4. Mai fand ein weltweiter Protesttag im Rahmen der Kampagne "Stop Repression" gegen die politische Unterdrückung in Hongkong und China statt. "Stop Repression" wird von Socialist Action (CWI Hongkong) und dem CWI weltweit unterstützt. Der Protesttag richtete sich gegen Wahlmanipulationen in Hongkong und neue repressive Gesetze, die den Gehorsam gegenüber Chinas Diktatur durchsetzten sollen.

http://www.chinaworker.info

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Kanada: Die Fratze hinter Trudeaus lächelnder Maske

Viele sind angesichts Trudeaus Politik begeistert, doch wie progressiv ist seine Politik wirklich?
Bill Hopwood, Socialist Alternative Canada,

Angesichts von Politikern wie Trump oder Strache blicken viele hoffnungsvoll nach Kanada zu Justin Trudeau: der liberale Premierminister lächelt viel, spricht von Geschlechtergerechtigkeit und geht auf Pride-Paraden. Doch was steckt wirklich hinter seiner Politik?

Kanadas liberale Partei und Trudeau haben einen linken Wahlkampf inszeniert und regieren doch rechts. Bei den letzten Wahlen versprachen die Liberalen eine „strahlende Zukunft“ und gaben sich linker als die sozialdemokratisch geprägte New Democratic Party (NDP). Die Liberalen griffen die Stimmung gegen die Sparpolitik der Konservativen auf, verdrängten die NDP auf den dritten Platz und gewannen.

Anfangs schien Trudeau das Bild zu bestätigen, das während der Wahlen entstand: Das erste Kabinett bestand zu 50% aus Frauen, beim Pariser Klimagipfel erklärte er die Erderwärmung auf 1,5° C begrenzen zu wollen (im Gegensatz zum offiziellen Ziel von 2° C).

Die Liberalen führten einige bescheidene Reformen durch, wie höhere Steuervorteile für Familien mit Kindern. Sie profitierten von der Stärke der kanadischen Wirtschaft, diese hat allerdings ein sehr wackliges Fundament - eine Immobilienblase und hohe Privat-Verschuldung. Die durchschnittlichen Schulden von Familien betragen 174% des Einkommens und über 50% aller KanadierInnen wären in finanziellen Schwierigkeiten, wenn sie eine unerwartete Rechnung von 200$ bezahlen müssten.

Im Gegensatz dazu geht es den Superreichen extrem gut. Zwei Familien sind so reich wie elf Millionen KanadierInnen. Das internationale Netzwerk investigativer JournalistInnen erklärte anlässlich der Paradise Papers, dass Kanada zu „den größten Geschäftsquellen“ für Offshore-Unternehmen zählt. Auch Stephen Bronfman, Trudeaus Hauptsponsor, wurde in den Papers genannt.

Wenig überraschend, dass Trudeaus „Regierung keine […] Untersuchung der Steuer-Schlupflöcher unternommen hat, obwohl sie jährlich mehr als 100 Milliarden Dollar an Staatseinnahmen verloren haben“ (Canadian Centre for Policy Alternatives). Allein durch die Steuersenkungen seit 2000 gehen 78,5 Milliarden Dollar/Jahr verloren, die Unternehmen sitzen gleichzeitig auf nicht investierten 680 Milliarden Dollar. Damit bleiben die Liberalen ihrem Ruf als Partei der Bay Street (das Zentrum der kanadischen Wirtschaft) treu.

Ein zentrales Wahlversprechen Trudeaus waren Infrastruktur-Investitionen. Nicht erwähnt hatte er, dass diese mit der Privatisierung öffentlicher Flughäfen und Häfen finanziert und durch Partnerschaften mit Privaten erfolgen werden – ein weiteres Geschenk an die Bay Street.

Im Gegensatz zu seinen Versprechungen bezüglich des Klimawandels treibt Trudeau gleich drei Pipeline-Projekte voran. Das umstrittenste Projekt ist die Pipeline von Kinder Morgan (ein US-Konzern), dieses wird von der Provinzregierung British Columbias, indigenen Völkern entlang der geplanten Strecke und Gemeinden um Vancouver abgelehnt. Trudeau ignoriert deren Widerstand und hat Kinder Morgan finanzielle Hilfe angeboten.

Bei den Wahlen versprachen die Liberalen „eine […] Beziehung [mit den indigenen Völkern], die auf Vertrauen, Respekt und […] echter Zusammenarbeit beruht.“ Jetzt sind die indigenen Völker enttäuscht von der fehlenden Umsetzung des Versprechens. Die Untersuchung bezüglich der vermissten oder ermordeten indigenen Frauen (insgesamt 1.200 wurden seit 1980 ermordet) ist von Verzögerungen und Kontroversen geprägt.

Seine großen Worte von Geschlechtergerechtigkeit haben keinerlei Maßnahmen zur Verringerung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles hervorgebracht, weltweit steht Kanada hier auf Platz 30, Frauen in Vollzeitjobs verdienen nur rund 73,5% von dem Gehalt eines Mannes. Seine Reden über Menschenrechte hinderten ihn auch nicht, einen 15-Milliarden-Dollar-Waffendeal mit Saudi-Arabien abzuschließen.

Die Aufnahme von 30.000 syrischen Flüchtlingen sorgte für Lob von vielen Linken, zum Einreiseverbot für Muslime von Trump schrieb er: „An die, die vor Verfolgung, Terror und Krieg fliehen, die KanadierInnen werden euch willkommen heißen.“ Doch viele SyrerInnen müssen darum kämpfen, sich niederzulassen, einen Anstieg der Flüchtlinge aus den USA beantwortete die Regierung mit Drohungen. 41.000 Flüchtlingsanträge sind unbearbeitet.

Aber es gibt immer mehr Widerstand gegen die Pipeline. Der Kampf um einen 15$-Mindestlohn hat wichtige Fortschritte gemacht und der beliebteste Politiker Kanadas ist kein Kanadier, sondern Bernie Sanders. Bei Stadtratswahlen in Vancouver konnte eine radikale Kampagne von BasisaktivistInnen den zweiten Platz erreichen. Socialist Alternative ist aktiv in diesen Kampagnen und bekommt immer mehr Unterstützung, da viele ArbeiterInnen und Jugendliche nach Alternativen zum Kapitalismus suchen.


http://www.socialistalternative.ca

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Bei jeder Schweinerei dabei

Deutschlands Außenpolitik folgt den Interessen des deutschen Kapitals
Sebastian Rave, Bremen, Mitglied der SAV (deutsche Sektion der SLP)

Die Welt wird instabiler und kriegerischer. Auch Deutschland mischt dabei mit: Noch nie wurden mehr deutsche Waffen in Krisengebiete geliefert als letztes Jahr. Dazu kommt eine aggressivere Außenpolitik und die Militarisierung der von Deutschland dominierten EU.

Krieg in Syrien, Krieg im Jemen, Krieg in Afghanistan, Krieg im Irak, bewaffnete Konflikte in Nigeria, Myanmar, Somalia, Ukraine, Südsudan, Libyen, Mali, in der Türkei… . Die Liste ließe sich fortführen. Weltweit nehmen gewaltsame Konflikte angesichts der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus zu. Aus Konkurrenzkampf wird irgendwann Krieg. Deutsche Waffenhändler haben ihren Umsatz 2017 um 6,6 Prozent gesteigert. Der größte deutsche Waffenhersteller, Rheinmetall, hat seinen Gewinn in der Rüstungssparte sogar um 18 Prozent erhöht. Um das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen zu umgehen, das den Export in kriegsführende Länder verbietet, wurden insgesamt 39 Rheinmetall-Filialen und ganze Fabriken im Ausland gegründet, von wo aus an Kriegsparteien geliefert wird. Auch nach Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Ägypten, die einen blutigen Krieg im Jemen führen: Saudische Flugzeuge made in Germany (Tornado und Eurofighter) werfen Bomben und Raketen made in Germany (Sidewinder-Raketen von Diehl) auf jemenitische Städte und Dörfer. Zehntausende sind vom Hunger bedroht, weil saudische Kriegsschiffe made in Germany (Patrouillenboote der Lürssen-Werft) eine Seeblockade errichtet haben.

„Deutsche“ Interessen

Zuletzt genehmigte die Bundesregierung zahlreiche Rüstungsexporte in die Türkei. Unter anderem wahrscheinlich die von der Türkei angeforderte Modernisierung von Leopard 2 Panzern, die in Erdoğans Feldzug gegen die KurdInnen in Afrin eingesetzt wurden. Bei dem offensiven Wegschauen der Bundesregierung zur beginnenden Annexion der nordsyrischen Gebiete durch die Türkei, spielt noch etwas anderes eine Rolle: Die Türkei hat ihre Beziehungen zu Russland ausgebaut. Für die NATO ist die Türkei aber wegen deren geostrategischer Lage im Nahen Osten ein äußerst bedeutender Verbündeter. Auch wenn es zwischen den NATO-Partnern Deutschland und Türkei zu Spannungen kommt: Beide wissen, was sie voneinander haben. Für die Türkei ist Deutschland der größte Exportmarkt, und nur aus China wird mehr in die Türkei importiert als aus Deutschland. Zahlreiche deutsche Konzerne nutzen die Türkei als Produktionsstandort, an dem niedrige Löhne gezahlt werden. Für Deutschland ist die Türkei zudem als Pufferstaat zwischen Nahost und Europa wichtig, alleine schon, um Millionen Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa zu stoppen.

Europa militarisiert

Die EU selbst ist nach den Vorstellungen der europäischen Kapitalfraktionen geformt, von denen das deutsche Kapital das höchste Gewicht hat. Eine gemeinsame Handels- und Außenpolitik erhöht das Gewicht Deutschlands auf dem Weltmarkt. Oder wie es die SPD auf ihren Wahlplakaten formulierte: „Warum Europa? Weil wir gemeinsam stärker sind als allein.“. Das gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch militärisch. Im November 2017 wurde der Europäische Militärpakt Pesco (Permanent Structured Cooperation, ständige strukturierte Zusammenarbeit) beschlossen. Unter deutscher Führung sollen zunächst ein europäisches Sanitätskommando, Logistik-Drehscheiben und ein Trainingszentrum für Militärausbilder aufgebaut werden. Die 23 unterzeichnenden Staaten verpflichten sich unter anderem, ihre Rüstungsausgaben regelmäßig zu erhöhen, Rüstungsprojekte zu koordinieren und SoldatInnen für die sogenannten „Krisenreaktionskräfte“ bereitzustellen.

Deutschland holt auf

Die EU – und Deutschland – holt damit militärisch nach, was ihrer wirtschaftlichen Rolle in der Welt entspricht. Das steckt dahinter, wenn Deutschland die Auslandseinsätze der Bundeswehr immer mehr ausweitet. Seit September 2017 hat der Bundestag elf Auslandseinsätze abgenickt. Mehr SoldatInnen sollen nach Mali und Afghanistan. Auch die Mission im Irak soll ausgeweitet werden. Zur Zeit ist die Bundeswehr mit insgesamt 3600 SoldatInnen in vierzehn Einsätzen unterwegs.

Die Zeiten, in denen die USA die alleinige „Weltpolizei“ war, sind nach deren wirtschaftlicher Schwächung im letzten Jahrzehnt vorbei. China, Russland, die EU-Länder – mal gemeinsam, mal einzeln -, sowie regionale Mächte mischen fleißig mit.

Imperialistischer Konkurrenzkampf

Aus der unipolaren Ordnung nach dem Kalten Krieg ist längst ein multipolares Chaos geworden. Immer häufiger kollidieren die gegensätzlichen Interessen auch innerhalb der NATO. Teile des us-amerikanischen Kapitals würden Russland gerne deutlich mehr isolieren, als es einigen Kapitalisten in der EU, und vor allem in Deutschland, lieb wäre. Es mehren sich die Stimmen, seitens Deutschland wieder eine engere Kooperation mit Russland einzugehen.

Trotzdem hat die SPD ohne Murren zugestimmt, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO (zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen fürs Militär ausgegeben werden) ins Regierungsprogramm aufzunehmen. Damit würden sich die Militärausgaben in Deutschland in den nächsten sechs Jahren fast verdoppeln.

Deutschland ist die viertstärkste Wirtschaftsmacht der Welt. Durch die Niederlage im II. Weltkrieg, die anschließende Teilung Deutschlands in zwei Länder mit unterschiedlichen Systemen, und durch die, aus schrecklicher Erfahrung, stark verwurzelte Opposition gegen Bundeswehreinsätze und Rüstungsexporte, konnte der deutsche Imperialismus militärisch bis heute nicht so agieren wie er gerne wollte. Aber er ist schon länger dabei, dies Schritt für Schritt zu ändern.

USA: SchülerInnen gegen NRA

Republikaner und Demokraten stehen auf der Lohnliste von NRA & Co.
Simon Salzmann

Die BefürworterInnen von stärkerer Waffenkontrolle in der Debatte rund um Waffengewalt in den USA bekam nach einem weiteren Amoklauf an einer Schule neuen Aufwind. Es folgten SchülerInnenstreiks und eine Demonstration in Washington mit über 100.000 TeilnehmerInnen.

Diese Proteste sind vor allem gegen die Waffenlobby in den USA gerichtet. Während an Schulen und auf den Straßen beinahe täglich um die Opfer ihrer Geschäfte getrauert wird, sehen diese Lobbies, allen voran die NRA, vor allem das Problem darin, dass nicht nur die „good guys“ Waffen besitzen? Nun, wer sind denn diese „good guys“? Dazu gehören ja auch PolizistInnen, von denen – oft rassistisch motivierte - Waffengewalt ausgeht.

Diese Bewegung, die von den Demokraten stark unterstützt wird, zeigt auf Trump und die Regierung und sagt korrekterweise: „Wenn ihr das nicht lösen könnt, sollt ihr gehen“. Sie kritisieren ebenfalls den zerstörerischen Einfluss von Konzernen. Damit greifen sie allerdings nicht nur die Republikaner an, sondern auch die Demokraten. Denn das sind beides die Parteien der Reichen.

Die Lösung der Demokraten ist, dass man sie wählen soll. Doch der einzige Weg, die aktuelle Lage zu verbessern und die Regierung zu stürzen ist es, eine Massenbewegung aufzubauen, die die Interessen der ArbeiterInnen, Jugendlichen und SchülerInnen vertritt – und nicht der NRA.

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Rote Ostern in Berlin

Jens Knoll

Wie jedes Jahr fanden heuer wieder die Sozialismustage der SAV (deutsche Schwesterorganisation der SLP) statt. Um die 500 Menschen nahmen an der dreitägigen Veranstaltung teil. Es gab Veranstaltungen zu diversen Themen: Über Arbeitskämpfe in Spitälern, zur Situation von LGBTIQ-Personen in Russland, Inklusion von Menschen mit Behinderungen bis zu marxistischen Grundlagen. SLP-AktivistInnen waren von der ersten bis zur letzten Stunde aktiv dabei, sei es beim Auf- und Abbau, Redebeiträgen, Organisation oder Erste Hilfe. Höhepunkt war die Teilnahme der sozialistischen Stadträtin Kshama Sawant aus Seattle. Sie ist eine der bekanntesten AktivistInnen unserer Schwesterorganisation in den USA, Socialist Alternative und berichtete, wie erfolgreiche sozialistische Politik auf lokaler Ebene funktionieren kann.

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Nein zur Repression der Proteste in Gaza

Massenhafter Widerstand notwendig
Erklärung des Vorstands von „Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Israel/Palästina); zuerst veröffentlicht in hebräischer Sprache am 16. Mai 2018.

Als in Jerusalem zur noblen Eröffnungsfeier der neuen US-Botschaft geladen wurde, war dieser Tag im Gazastreifen der mit den meisten Todesopfern seit dem Krieg von 2014.

Im Einklang mit einer verabscheuungswürdigen Hetzkampagne hat die Regierung Netanjahu die Armee geschickt, um den Massenprotest der BewohnerInnen des Gazastreifens im Blut zu ertränken, die unter einer vor über zehn Jahren auferlegten brutalen Belagerung zu leiden haben.

An einem Tag sind rund 60 DemonstrationsteilnehmerInnen erschossen worden. Hinzu kommen Dutzende, die in den letzten Wochen bei vorangegangenen Demonstrationen ums Leben gekommen sind. Unter den Toten sind Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren und ein acht Monate altes Baby, das an den Folgen des massiven Einsatzes von Tränengas gestorben ist.

Dieses an den DemonstrantInnen verübte Blutbad – das der Aufrechterhaltung des Belagerungszustands und der Unterdrückung der palästinensischen ArbeiterInnen und Armen diente – hat Netanjahu nicht davon abgehalten, von einem „großen Tag für den Frieden“ zu sprechen!

Die Provokation der Verlegung der US-amerikanischen Botschaft unterstreicht, in welche Richtung es für die seit Jahrzehnten mit Füßen getretenen Rechte der PalästinenserInnen unter der Regierung Trump gehen wird. Die Frage eines eigenen Staates mit Hauptstadt in Jerusalem betrifft dies ebenfalls. Es geht um Rechte, die der US-Botschafter in Israel, der Hardliner und Rechtsausleger David Friedman, ausdrücklich leugnet. Dieselbe Administration, die das jetzige Blutbad voll und ganz unterstützt hat, wird auch weiterhin zynische Sprüche über den Frieden rezitieren und für den „Deal des Jahrtausends“ werben, der auf anhaltender Unterstützung für die israelische Besetzung und der Verleugnung palästinensischer Rechte basiert.

Und als ob das Schüren des Konflikts noch nicht „genug“ wäre, wird der Abschied der USA vom Atomabkommen mit dem Iran die nationalen Spannungen in der Region weiter verschärfen. Das könnte sehr zerstörerische Folgen haben und bringt die reale Gefahr eines Krieges mit sich.

Protest ist kein Terrorismus!

Entgegen der Propaganda des israelischen Establishments, mit der die Sicherheits-Hysterie angeheizt und die Protestbewegung als „terroristischer Akt“ gebrandmarkt worden ist, hat „Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki“ in den vergangenen Wochen klargemacht, dass es sich dabei um eine gerechtfertigte und wichtige Form des Protests der Zivilgesellschaft handelt, die Solidarität auch von Seiten israelischer ArbeitnehmerInnen bekommen sollte.
Der „Internationale Gewerkschaftsbund“ (ITUC) verurteilt die Tötungen und Verwundungen von DemonstrantInnen durch die Regierung Netanjahu ebenso wie die Verlegung der Botschaft unter Präsident Trump. Es ist die Verantwortung der führenden Köpfe der Arbeiter-Organisationen in Israel, eine ähnlich gelagerte Haltung einzunehmen, um dazu beizutragen, eine Lösung für die abhängig Beschäftigten auf beiden Seiten der nationalen Spaltungslinie zu finden.

Beim „Großen Marsch der Rückkehr“ handelt es sich aktuell um den bedeutsamsten Protest gegen den Zustand der Belagerung. Die Mobilisierung zehntausender Menschen, die einen täglichen Überlebenskampf führen müssen, ist ein Zeichen der Hoffnung. Am Tag des Umzugs der US-Botschaft ist der Gazastreifen abgeriegelt worden und Berichte sprechen von gut 50.000 DemonstrationsteilnehmerInnen. Im Verhältnis zur Bevölkerung müssten in Israel 200.000 Menschen auf die Straße gehen, um denselben Anteil an Beteiligten zu erreichen.

Demonstrationen über mehrere Wochen mit tausenden und sogar zehntausenden TeilnehmerInnen haben zu keiner/m einzigen verletzten oder gar getöteten IsraelIn geführt. Im Vergleich dazu starben ungefähr 110 PalästinenserInnen im Gazastreifen und rund 10.000 wurden verletzt, die meisten durch scharfe Munition. Allein schon diese nackten Zahlen relativieren das Geschrei des Establishments in Israel von der „Gewalt“ und der angeblichen Gefahr, die von diesen Demonstrationen ausgeht. Die Opferzahlen zeigen, wer am meisten und organisierter Gewaltausübung zu leiden hat. Es handelt sich um einen einseitig geführten Krieg gegen DemonstrantInnen, in dem auch Scharfschützen und Panzer zum Einsatz kommen.

Verzweifelte Handlungen von Einzelpersonen oder Gruppen, wie die zahlreichen Brandanschläge mit Lenkdrachen, an denen Brandsätze befestigt sind, oder die Zerstörung von Gasleitungen am Eingang zum Gazastreifen, haben geringe Schäden verursacht. Doch sie sind zuerst und vor allem das Resultat schrecklichen und erzwungenen täglichen Elends durch eine arrogant und rücksichtslos vorgehende kapitalistische Regierung in Israel.

Die Rolle der „Hamas“

Aufgrund der Blockade haben die BewohnerInnen des Gazastreifens nur vier Stunden am Tag Strom, leiden unter dem Mangel an Trinkwasser, dem Kollaps der Infrastruktur, einer der höchsten Erwerbslosenquoten der Welt, schwerwiegenden Restriktionen in puncto Bewegungsfreiheit, mangelhafter medizinischer Versorgung und dem Beschuss von Seeleuten, Bäuerinnen, Bauern sowie DemonstrantInnen. Vor diesem Hintergrund hat es auch Berichte über Selbstmordfälle gegeben.

Es ist richtig, dass die rechtsgerichteten Führungen von „Hamas“ und der „Palästinensischen Autonomiebehörde“ zur Verschlimmerung der Lage beitragen. Sie tun dies auf ihre jeweils eigene Weise. Die wesentliche Kontrolle über den Gazastreifen obliegt jedoch der rechtsgerichteten Regierung Israels. Im Zusammenspiel mit der Regierung Ägyptens führt dieser Umstand dazu, dass die Blockade als Teil einer Politik der Kollektivstrafe gegen rund zwei Millionen Menschen durchgesetzt wird. Die Hälfte dieser Menschen ist jünger als 18 Jahre. Eigentlich wollte man mit dieser Methode einen politischen Machtwechsel in Gaza herbeiführen. Dieser seit langem durchgeführte Ansatz kann als gescheitert bewertet werden.

Das Establishment in Israel ist außer sich vor Freude, als hätte es fette Beute gemacht, da die „Hamas“ angibt, 50 der in den letzten Wochen zu Tode gekommenen Personen seien angeblich ihre Mitglieder gewesen. Als ob die politische Zuordnung der Opfer etwas an der Tatsache verändert, dass es sich bei ihnen um unbewaffnete DemonstrantInnen gehandelt hat, die für niemanden eine Gefahr dargestellt haben und die mit scharfer Munition erschossen worden sind. Ebenso belanglos ist die Behauptung des Militärs, wonach 24 der Toten vom 14. Mai den Angaben zufolge in der Vergangenheit einen „Hintergrund feindseliger terroristischer Aktivitäten“ gehabt hätten. Das sind demagogische Ausflüchte. Die Armee hat ohne Rücksicht auf die politische Ausrichtung oder politischen Vergangenheit der Menschen das Feuer eröffnet und Leute erschossen bzw. verwundet.

Es sollte in diesem Zusammenhang auch festgehalten werden, dass die Demonstrationen – während es so scheint, als sei die „Hamas“ nicht nur involviert sondern zu einem gewissen Grad auch federführend daran beteiligt gewesen – nicht nur an sich gerechtfertigt waren. Diese Demonstrationen sind augenscheinlich von sämtlichen politischen Strömungen unterstützt worden. Mobilisiert hatten auch BewohnerInnen des Gazastreifens, die keiner politischen Richtung zuzuordnen sind.

Es gibt auch kritische Stimmen unter den ProtestteilnehmerInnen zu der Rolle, die die „Hamas“ dabei gespielt hat. Die „Hamas“ selbst bietet absolut nicht die Methode des Massenwiderstands als Ausweg aus der Misere an. Was sie hingegen mit Sicherheit tut, ist zu versuchen, die Entwicklung des Protests für sich nutzbar zu machen, um öffentliche Sympathien für sich zu generieren. Diese Zustimmung hat sie nämlich verloren, weil sie keine effektive Strategie gegen die Krise im Gazastreifen anzubieten hat. Die BewohnerInnen des Gazastreifens – und nur sie – sollten das Recht haben, ihre Führungsfiguren demokratisch zu wählen, und die Möglichkeit, gescheiterte FunktionsträgerInnen abzuwählen, wenn sie nicht in ihrem Interesse handeln.

Die Regierung Netanjahu entscheidet sich für die militärische Konfrontation

Die wirkliche Bedrohung, die durch die Proteste auf die Tagesordnung gekommen sind, bestand nicht in der „Auslöschung Israels“, wie Netanjahu giftete. Er selbst weiß, wie irrwitzig dieses Argument angesichts des Kräfteverhältnisses zwischen tausenden von DemonstrantInnen und der stärksten Armee des Nahen Ostens ist. Die wirkliche Bedrohung für das Establishment in Israel war, dass die palästinensischen Massen – Frauen und Männer, Junge und Alte – sich überhaupt getraut haben aufzubegehren. Damit haben sie geschafft, die bestehende Ordnung aus unhaltbarer Unterdrückung und Armut zu stören und Veränderung zu fordern.

Als Teil der Regierungspropaganda wird die Behauptung neu aufgelegt, nach der die Versuche von DemonstrantInnen, den riesigen Zaun um den Gazastreifen zu überwinden, deren Erschießung rechtfertigt – nicht die Auflösung der entsprechenden Kundgebung oder Verhaftungen sondern tatsächlich die Erschießung. Genauso wird von der rechtsgerichteten israelischen Regierung auch das Recht in Anspruch genommen, die verarmte Bevölkerung der Gazastreifens weiter mit allen Mitteln – auch dem Mittel des Tötens – in einem erzwungenen Belagerungszustand zu halten.

SozialistInnen lehnen die Parteinahme mit den Aktionen der kapitalistischen Regierung rundherum ab und unterstützen das Recht der BewohnerInnen des Gazastreifens auf Protest, Widerstand, Selbstorganisation und auch auf Verteidigung gegen die militärische Aggression. Wenn die rechtsgerichtete Regierung nicht erleben will, dass die Massen durch den Belagerungsring durchbrechen, dann hindert sie niemand daran, die Belagerung aufzuheben und das Recht auf Bewegungsfreiheit sowohl den Menschen als auch für Warenverkehr einzuräumen – auf klar geregelte Art und Weise an den Grenzpunkten.

Die wahre Bedrohung, der die Regierung Netanjahu mit mörderischer Repression entgegenwirkt, war die Ausweitung des massenhaften Kampfes der Bevölkerung, die das rechtsgerichtete Regime in Israel dazu hätte zwingen könne, von der Politik der Besatzung abzugehen, und mit der die PalästinenserInnen allgemein in die Lage gekommen wären, einen Weg aus der Misere zu finden. Mit diesem Ansatz ist schließlich der Aufbau eines effektiven Kampfes zur Veränderung der Lage vor Ort möglich. Bleibt zu hoffen, dass die Proteste trotz der barbarischen Repression gegen die DemonstrantInnen im Gazastreifen dort insofern von Erfolg gekrönt sein werden, als dass sie für eine breite Erneuerung von unten sorgen mit der Forderung nach Wandel.

Die Regierung Netanjahu zieht es unterdessen vor, angesichts der Massenproteste der Bevölkerung eine neue Runde militärischer Auseinandersetzungen mit der „Hamas“ einzuläuten. Aus diesem Grund wurden Kampfjets entsendet, um Bomben über den Gazastreifen abzuwerfen. Das war die Antwort auf verschiedene Versuche von DemonstrantInnen, durch den Zaun um das weltgrößte Gefängnis zu brechen. Auch die Politik der angedrohten Ermordung von Führungspersonen der „Hamas“ wurde neu aufgelegt. Mit ihren Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Belagerung und Besetzung verstärkt die Regierung Netanjahu die Gefahr eines neuen blutigen Krieges.

Zudem lehnt die rechtsgerichtete Regierung wiederholt und weiterhin Vorschläge zur Deeskalation des Konflikt und der Rehabilitation der Gazastreifens ab. Derartige Ansätze liegen seit Jahren auf dem Tisch und hätten die schrecklichen kriegerischen Auseinandersetzungen verhindern können, die schmerzliche Verluste und eine Zerstörung gigantischen Ausmaßes im Gazastreifen nach sich gezogen haben und die auch mit dem Raketenbeschuss sowie Anschlägen auf israelische ZivilistInnen einhergehen.

„Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki“ wird auch in Zukunft davor warnen, dass die Sicherheitsbedrohung Nummer eins für die israelischen ArbeiterInnen aus der Regierung Netanjahu und ihrer Politik „für Kapital und die Siedlungen“ sowie ihrer zerstörerischen nationalistisch-erlöserischen Agenda besteht. Dabei kommt es auch noch zur Zusammenarbeit mit seinen Imitatoren, den Herren Lapid (Liberale) und Gabbai (SozialdemokratInnen) von den sogenannten Oppositionsparteien.

Angesichts dieser Gefahr muss beiderseits der nationalen Trennungslinie ein Kampf vorbereitet und eine Alternative in Form von sozialistischer Veränderung vorangebracht werden. Auf diese Weise kann der Pfad des Verderbens verlassen werden, der bis in den Abgrund führt und von Netanjahu, Trump und ihren Partnern angeführt wird.

„Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki“ fordert:

  • Schluss mit den Schüssen auf DemonstrantInnen! Schluss mit der kriegslüsternen Politik! Schluss mit der Hetze, Protest ist kein Terrorismus!
  • Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission, der israelische, palästinensische und internationale VertreterInnen von unabhängigen Arbeiter-, Menschenrechts- und kommunalen Organisationen angehören müssen und die die Todesumstände von DemonstrantInnen aufgeklärt. Auch die die politische Führungsebene darf davon nicht ausgenommen werden.
  • Für ein Zusammengehen der Arbeiterorganisationen in Israel mit den Arbeiterorganisationen weltweit, um gemeinsam die Tötung von DemonstrantInnen und die Aufrechterhaltung des Belagerungszustands und der Besatzung zu verurteilen sowie den Einsatz für den Frieden zu unterstützen.
  • Solidarität mit den Protesten der EinwohnerInnen des Gazastreifens. Ja zu gemeinsamen Demonstrationen von Jüdinnen, Juden und AraberInnen, Israelis und PalästinenserInnen gegen Belagerung, Besetzung, Armut, Ungleichheit und Netanjahus Regierung des Kapitals und Siedlungsbaus. Ja zum Kampf für Frieden und soziale Gerechtigkeit!
  • Ja zur Ausweitung des Protest der Bevölkerung, ja zum Kampf der Massen der PalästinenserInnen für nationale und soziale Befreiung. Es müssen demokratische Aktionskomitees gegründet werden, um bei der Organisierung von Protesten und der Verteidigung der Demonstrationen zu helfen.
  • Schluss mit der Politik des „Konfliktmanagements“. Die Belagerung der BewohnerInnen des Gazastreifens muss aufhören, die Besatzung muss ein Ende haben. Schluss mit verordneter Armut und Elend, Schluss mit den Räumungen, Schluss mit der nationalen Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung.
  • Das Recht aus Selbstbestimmung darf nicht länger verweigert werden: Ja zu einem unabhängigen, demokratischen, sozialistischen und gerechten palästinensischen Staat mit Hauptstadt in Ost-Jerusalem neben einem demokratischen und sozialistischen Israel, wodurch gleiche Rechte für alle gewährleistet werden.
  • Für eine gerechte Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge. Das historische Unrecht, dass durch die „Nakba“ verübt worden ist, muss anerkannt werden: Zerstörung hunderter Dörfer und Umsiedlung hunderttausender EinwohnerInnen. Auch das Recht der Flüchtlinge, die eine Rückkehr wünschen, muss anerkannt werden. Dabei muss ein abgesichertes Leben und gleiches Recht für alle EinwohnerInnen sichergestellt werden.
  • Einsatz für Frieden in der Region. Solidarität mit den Kämpfen im Nahen Osten und dem Rest der Welt gegen korrupte Eliten, Unterdrückung und Armut. Gleiche Rechte für alle Nationalitäten. Für Demokratie und sozialistischen Wandel.

 

Rote Seitenblicke

Manuel Schwaiger

Im Mai findet die royale Hochzeit von Prinz Harry statt. Die Kosten werden 14 Millionen € betragen. Insgesamt kostet die britische Königsfamilie nach offiziellen Angaben 100 Millionen € pro Jahr. Tatsächlich liegt der Betrag viel höher, da z.B. Sicherheitskosten nicht eingerechnet werden.
Dass man sich das leisten kann, wirkt seltsam, fährt die britische Regierung doch seit Jahren Sparkurs. So befand sich das Gesundheitssystem im letzten Winter kurz vor dem Zusammenbruch. 55.000 Operationen wurden abgesagt, in vielen Krankenhäusern starben PatientInnen auf den Gängen, während sich vor Notaufnahmen Krankenwagen stauten. Jahrelanges Sparen schädigte die öffentliche Gesundheitsversorgung so stark, dass es mit der Grippewelle heuer kaum noch zurecht kam. Die katastrophalen Folgen der Sozialabbaupolitik seit den 1980ern zeigen sich in allen Bereichen der britischen Gesellschaft. Vom Mangel an leistbarem Wohnraum über ständig steigende Preise für (privatisierte) öffentliche Verkehrsmittel bis zu örtlichen Bibliotheken und Jugendzentren, die mangels Förderungen geschlossen werden.
Dennoch läuft jetzt schon eine mediale Kampagne über die „romantische“ Hochzeit an. Damit soll die Mehrheit der britischen Bevölkerung von ihren sozialen Problemen abgelenkt werden. Wie romantisch ist es, einen schmarotzenden Clan durchfüttern zu müssen, während viele britische ArbeiterInnen mit ihren kargen Löhnen kaum noch über die Runden kommen und nicht einmal eine richtige Gesundheitsversorgung erhalten?

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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