Geschichte und politische Theorie

Überleben wird teuer!

Die Inflation steigt massiv und liegt deutlich über den Lohnabschlüssen der Herbstlohnrunde.
Martina Gergits

Die Angst vor der Inflation geht um. Während die bisher verhandelten Kollektivvertragserhöhungen großteils unter 3% liegen, rechnet das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO für 2022 mit einer Teuerung von 3,3%. Im November erreichte die Inflation mit 4,3% in Österreich und 4,9% in der EU Höchstwerte (seit 1992 bzw. 1997). Die Inflation liegt mehr als doppelt so hoch wie das Ziel der Europäischen Zentralbank vorgibt. Das alles gibt nur teilweise die Dramatik wieder. Und auch wenn sie versuchen zu beruhigen, wissen die Herrschenden um die soziale Sprengkraft der Inflation.

Zunächst eine kurze Erklärung: Der Verbraucherpreisindex (VPI) misst die Entwicklung des Preisniveaus für Konsument*innen, also die Inflation. Vereinfacht gesagt, beschreibt die Inflation, wie viel weniger ich um denselben Geldbetrag kaufen kann. Die Grundlage für diese Berechnung bildet der „Warenkorb“, in dem Güter, nach einem errechneten Durchschnittsbedarf, gewichtet sind. Der VPI wird als Indikator bei Mietverträgen oder Lohnverhandlungen herangezogen.

Und hier beginnt das Problem – Warenkorb bzw. Gewichtung entsprechen nicht dem, wofür Menschen mit niedrigem Einkommen tatsächlich ihr Geld ausgeben müssen. Die Statistik Austria, zuständig für die Inflationsberechnung, schreibt: „Die 5,5% stellen den Anteil der Mieten an den gesamten Ausgaben aller privaten Haushalte in Österreich dar.“ Es ist also ein Durchschnitt – doch wer von uns gibt nur 5,5 % des Einkommens für Wohnen aus?

Der Preisanstieg für Verkehr (durchschnittlich plus 12,2 %) beeinflusste die Inflationsrate mit plus 1,69 Prozentpunkten. Die Treibstoffpreise stiegen um 38,7 % (Einfluss: plus 1,3 Prozentpunkte). Auch hier sind Teuerungen für Normalos unterbewertet. Ein bisschen näher an der Realität der Nicht-Reichen ist der Miniwarenkorb: Beim Wocheneinkauf, der auch Treibstoff enthält, stieg das Preisniveau um 10 %. Auch EU-weit ist Energie der stärkste Preistreiber. Verantwortlich für den Preisanstieg bei Energie sind: Ein strenger Winter im Vorjahr, der zu unterdurchschnittlich gefüllten Gasspeichern führte, hohe Nachfrage aus Asien nach der Coronakrise, geringere Gasimporte aus Russland und Norwegen in Folge politischer Konflikte, und auch der steigende CO2-Preis treibt den Gaspreis an.

Und es kommt noch schlimmer: Der österreichische Großhandelspreis für Strom stieg 2021 um 85%, für Gas um 563%. Diese Preisexplosion hat der Großhandel noch nicht in vollem Umfang “weitergegeben”, das kommt aber noch. Das heißt: Die Kosten für Kochen, Heizen, zur Nutzung von elektrischen Geräten etc. werden noch einmal sehr stark anziehen in den nächsten Wochen und Monaten.

Wer sich also noch den „Luxus“ gönnen möchte, zu heizen, zu wohnen, oder mobil zu sein, muss “den Gürtel enger schnallen”. Das trifft hauptsächlich die Arbeiter*innenklasse. Denn während alles teurer wird, stagnieren die Löhne.

Wenn der ÖGB fordert, die Teuerung durch das WIFO zu erheben, dann ändert das nichts. Denn auch der ÖGB zieht in den Kollektivvertragsverhandlung bestenfalls den VPI heran, teilweise sogar die vergangene und nicht die künftige Inflation. Das ÖGB ”Theorie”magazin Kompetenz erklärt: “Maßgeblich ist dabei die durchschnittliche Inflation der 12 Monate seit der letzten Tarifverhandlung gemessen am VPI.” Also: Egal wie hoch die kommende Inflation ist, der ÖGB will nur die vergangene Inflation ausgleichen. Wenn überhaupt. Reallohnverluste sind so insbesondere in Zeiten steigender Inflation vorprogrammiert.

Im Handel gab es im vergangenen Jahrzehnt 5 Jahre, in denen die Kollektivvertragserhöhungen nicht einmal die Inflation ausgeglichen haben. Und auch 2022 wird ein solches Jahr: Die Kolleg*innen im Handel sind zwar “systemrelevant”, aber ihr Kollektivvertragsabschluss ist mit 2,8% sogar unter dem VPI für 2022!

Der Preisanstieg drückt auf den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse und der ärmeren Haushalte. Bei vielen kommen angesichts der Inflation Ängste vor einer Wiederholung der 1920er und 30er Jahre mit Hyperinflation, Weltwirtschaftskrise und Aufstieg des Faschismus auf. Die Geschichte wiederholt sich nicht einfach, aber sie ist eine Warnung, wohin eine solche Krise führen kann, wenn die Polarisierung steigt, wenn die Rechte mit rassistischen, sexistischen, nationalistischen Antworten auf eine hohe Arbeitslosigkeit und steigende Armut trifft. 

Dort sind wir noch nicht, aber Inflation ist eine echte Gefahr, ganz besonders für die Arbeiter*innenklasse, in mehrerlei Hinsicht. Es geht sowohl um die Gefahr von Armut als auch darüber hinaus auch um eine politische Zuspitzung mit noch stärkeren Angriffen. Die Herrschenden werden das Instrument der Spaltung noch stärker einsetzen, um unterschiedliche Gruppen gegeneinander auszuspielen und für die Krise verantwortlich zu machen. Für uns muss aber klar sein: Die Illusion, man könne Entscheidungen der Weisheit des Marktes bzw. der herrschenden Klasse überlassen, müssen endlich der Vergangenheit angehören

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Kampf der Inflation? Kampf dem Kapitalismus!

Was schlagen die politisch Verantwortlichen vor – und was ist tatsächlich nötig?
Sonja Grusch

Inflation wird gerne, sofern sie sich im Rahmen hält, als positiv und Zeichen von Wirtschaftswachstum gesehen. Doch für die Arbeiter*innenklasse bedeutet sie Verluste. Aber Inflation trifft nicht alle gleich! Während Reiche und Unternehmen ihre Vermögen in Gold, Immobilien, Land und anderen „handfesten“ Werten anlegen, sehen wir, wie uns das Geld zwischen den Fingern zerrinnt. Aktuell hinken die Lohnerhöhungen nicht nur den steigenden Preisen weit hinterher, sondern auch die Sparzinsen sind minimal. Verlust auf allen Ebenen! Was also tun?

Instinktiv versucht die Arbeiter*innenbewegung jeher auf steigende Preise mit Lohnforderungen zu reagieren. Das wird von Kapitalseite mit der „Lohn-Preis-Spirale“ abgelehnt. „Metaller-Einigung: Inflation treibt Löhne stark an“ schreibt das Zentralorgan des Kapitals, die Presse. Die Lohn-Preis-Spirale ist eine leicht zu entlarvende Lüge (siehe vorige Seite). 

Doch wo bleiben angesichts der Preissteigerungen entsprechende Lohnerhöhungen? Der ÖGB hat sich in den letzten Jahrzehnten die „Benya-Formel“ zurechtgelegt: Löhne und Gehälter sollen um die Inflation plus Produktivitätssteigerung steigen. Damit würde die Ausbeutung im Wesentlichen unverändert bleiben. In der Praxis sinkt der Anteil der Löhne und Gehälter am erwirtschafteten Reichtum seit Jahrzehnten stetig – bei gleichzeitiger Zunahme an unselbstständig Beschäftigten. Wirklich notwendig wäre als erster Schritt eine automatische Bindung der Löhne/Gehälter an die Inflation: Steigen die Preise, steigen automatisch die Löhne. Die Gewerkschaft verhandelt dann Erhöhungen darüber hinaus. Diese „gleitende Skala der Löhne und Arbeitszeit“ hat der Revolutionär Trotzki bereits 1938 im „Übergangsprogramm“ formuliert. An Aktualität hat sie nichts eingebüßt!

Doch was fordert der ÖGB (fast wortgleich auch die SPÖ) aktuell? Eine befristete Senkung der Umsatzsteuer auf manche Warengruppen (z.B. Heizen) sowie staatliche Zuschüsse, um über den Winter zu kommen. Beides wäre nicht falsch, aber entschieden zu wenig. Die Bundesregierung selbst plant einen Teuerungsausgleich für arme Haushalte. Konkret ist eine Einmalzahlung von 150 Euro vorgesehen. In der Praxis werden die Hürden hoch sein, diese Einmalzahlung zu bekommen, viele die sie brauchen, werden sie nicht bekommen. Und warum nur eine befristete Senkung der Umsatzsteuer und nur auf manche Warengruppen? Die Umsatzsteuer ist die unsozialste Steuer überhaupt. 10-20% werden auf die Preise draufgeschlagen, das trifft jene, die einen höheren Teil ihres Einkommens für Konsum ausgeben müssen überproportional. Es braucht also eine vollständige Abschaffung der Umsatzsteuer, das würde z.B. Wohnen auf einen Schlag um über 10% verbilligen!

Aber, kommt als Argument, das würde ja nicht weitergegeben an die Konsument*innen. Und tatsächlich: Als Corona-Maßnahme wurde die Umsatzsteuer in der Gastronomie auf 5% gesenkt – aber nicht um den Konsum billiger zu machen, sondern damit die Konsument*innen (unfreiwillig) der Gastronomie zusätzliche Einnahmen verschaffen. Sobald diese wieder angehoben wird, werden die Preise in der Gastronomie steigen, und wieder zahlen wir! Übrigens schulden die Unternehmen dem Staat über 3 Milliarden an Umsatzsteuerschulden, Geld das wir bezahlt haben und das sie nur ans Finanzamt weiterleiten müssten! Es braucht also auch die Kontrolle von Maßnahmen. Vertreter*innen der Arbeiter*innenklasse müssen die Inflation berechnen, die tatsächlich für die Arbeiter*innen anfällt – und als Grundlage für die automatische Lohnerhöhung nehmen, nicht einmal pro Jahr (oder seltener), sondern laufend. Dazu gehört auch die Überprüfung der Unternehmen, da diese jederzeit mit „gestiegenen Produktionspreisen“ argumentieren und sich hinter dem „Betriebsgeheimnis“ verstecken können. Um das zu verhindern, müssten die gesamten Finanzunterlagen durch Betriebsräte und Vertreter*innen der Gewerkschaften untersucht werden. Auch eine staatliche Preiskontrolle wäre ein Schritt in die richtige Richtung, doch darf sie nicht bürgerlich-staatlichen Organen überlassen werden, die doch nur wieder die Interessen der Kapitalist*innen umsetzen.

Wie bei allen anderen wirtschaftspolitischen Problemen (Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung etc.) sind letztlich alle Ansätze zum Scheitern verurteilt, die im Rahmen kapitalistischer “Sachzwänge“ stecken bleiben. Das gilt für Neoliberale wie für Keynesianer*innen inklusive ihrer jüngsten Spielart, der „Modern Monetary Theory“ (MMT). Logisch, wer nicht versteht wo die Probleme herkommen, kann sie nicht wirksam bekämpfen. Inflation ist nicht Ausdruck einer „falschen“ Wirtschaftspolitik, sondern eines falschen Wirtschaftssystems, des Kapitalismus. Warum die Wirtschaft nicht nach den Bedürfnissen der Menschen organisieren und planen? Warum nicht Nachhaltigkeit, menschenwürdige Bezahlung, umfassende soziale Absicherung ins Zentrum rücken und Profitorientierung beseitigen? Warum nicht jene entscheiden lassen, die den gesellschaftlichen Reichtum durch ihre Arbeit schaffen? Utopisch? 1000 Mal realistischer als die Hoffnung, den Kapitalismus human, sozial, friedlich oder ökologisch zu machen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Marx aktuell: Was ist der Preis einer Ware?

Severin Berger

Diese Frage mag auf den ersten Blick relativ simpel wirken, bis man anfängt, wirklich darüber nachzudenken. Karl Marx hat sich bereits im Jahr 1865 in einem Vortrag, welcher heute als “Lohn, Preis und Profit” bekannt ist, damit beschäftigt. 

Was bezeichnen wir als “Preis”? Nach Marx verstehen wir unter dem Preis den Geldausdruck des Werts, heißt den Wert einer Ware ausgedrückt in einer bestimmten Menge an Geld. Mit dieser Definition haben wir nun den zusätzlichen Begriff vom “Wert einer Ware” aufgebracht. Meistens denkt man dabei an den relativen Wert einer Ware im Vergleich zu einer anderen Ware, also ein Tauschwert (Austausch einer Ware gegen beliebige andere Waren). Wir müssen es irgendwie schaffen, diesen Tauschwert auf einen Ausdruck zu vereinheitlichen. Marx schafft dies mit der “gesellschaftlich notwendigen Arbeit” - die Arbeit, die in die Produktion der Ware geflossen ist, inklusive der Arbeit, die in die Produktion der Ware Arbeitskraft und in die Produktion der Rohstoffe und Produktionsmittel (Maschinen) geflossen ist.

Der Wert einer Ware ist also die gesamte in ihr enthaltene Menge von Arbeit. Hierbei gilt dann die “gesellschaftlich notwendige", die durchschnittliche Menge an Arbeit als Richtwert für eine bestimmte Ware - diese kann z.B. durch neue Technologien niedriger werden.

Die für die Zusammensetzung des Preises besonders wichtige Ware ist die Arbeitskraft - jede arbeitende Person verkauft nicht ihre Arbeit, sondern ihre Arbeitskraft an Kapitalist*innen. Diese Arbeitskraft hat wie jede andere Ware einen Wert, eine bestimmte Menge an Arbeit, die zu ihrer (Re-)Produktion notwendig ist. Die Arbeitskraft eines Menschen kann nur solange zur Verfügung stehen, wie der Mensch selbst lebt und “funktioniert” und der Wert setzt sich daher aus dem Wert aller Waren, die zum Erhalt der Arbeitskraft, inklusive einer nächsten Generation an Arbeiter*innen, notwendig sind, zusammen. 

Eine Arbeiter*in stellt nun an einem Arbeitstag normalerweise mehr Wert her als die Arbeitskraft die Kapitalist*innen kostet, also mehr als die Kosten, die zur Reproduktion notwendig sind. Marx spricht hier vom Mehrwert, dem Wert, den die arbeitende Person mehr herstellt als sie Lohn bekommt. Dieser Mehrwert wird von Kapitalist*innen als Rente, Zins oder Profit an sich genommen, teilweise investiert, teilweise konsumiert, teilweise verprasst.

Oft werden Angebot und Nachfrage für den Preis einer Ware verantwortlich gemacht. Wie wir allerdings durch die Definitionen von Preis und Wert sehen, sind die Produktionskosten (in Arbeitsquantum) die wahre Quelle. Verändern sich die gesellschaftlich notwendigen Arbeitsmengen, die für die einzelnen Schritte, die bis zur Endware notwendig sind, so verändert sich der Wert dieser und damit auch der Preis. Was bleibt: Die Lohn-Preis-Spirale ist ein Märchen.

 

Zum Weiterlesen

Allen interessierten Leser*innen ist die Broschüre “Lohn, Preis, Profit” von Karl Marx zu empfehlen. Viele der komplexen Begriffe werden darin durch gut gewählte Beispiele um einiges greifbarer.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Woher kommt die Inflation?

Stefan Brandl

Die Inflation wird mehr und mehr spürbar, vor allem bei Produkten und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Die Angst vor der Inflation wird wachsen, ist historisch gesehen aber nichts Neues. In Europa sind die dramatischsten Beispiele in der Zwischenkriegszeit zu finden; gemeinsam mit der Wirtschaftskrise und der Zerstörung im 1. Weltkrieg schaffte der Kapitalismus die Grundlage für gesellschaftliche Deklassierung und politische Polarisierung. Eine zweite große Inflationswelle rollte in den 1970er Jahren über die Welt, als das Nachkriegs-Wachstum mit der Ölpreiskrise einen großen Dämpfer erhalten hatte. 

Woher kommt die Inflation aber jetzt? Bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler*innen können uns dafür verschiedenste - teilweise widersprüchliche - Argumentationen anbieten, sie alle haben aber gemeinsam, dass sie an der Oberfläche bleiben.

Die wohl bekannteste “Erklärung” ist die grundlegende These des Monetarismus: Steigt das Geldvolumen (=das vorhandene Geld) schneller als die Produktion / verfügbaren Dienstleistungen, muss auch die Inflation steigen. Folglich hätten alle Preise 2021 also um ca. 25% steigen müssen, weil die Geldmenge um diesen Prozentsatz angewachsen ist - sind sie aber nicht. 

Eine andere “Erklärung” ist sie sogenannte “Cost-Push”-These (deutsch: “Lohn-Preis-Spirale”): Inflation wird durch höhere Löhne getrieben - geringe Arbeitslosigkeit sowie hohe Löhne führen zu höheren Preisen; hohe Arbeitslosigkeit sowie niedrige Löhne führen zu niedrigen Preisen. Preise sind weder während der Krise 2007/8 noch 2020 entsprechend der Beschäftigungsquote gefallen, noch sind Preise mit der niedrigen Arbeitslosigkeit dazwischen massiv gestiegen.

Marxist*innen stellen diesen simplen und ideologisch klar bürgerlichen Erklärungsmustern eine umfassende Analyse entgegen (siehe “Marx aktuell”): Geld repräsentiert den “Tauschwert” - also das Äquivalent zur durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeit, die notwendig ist, um eine Ware zu schaffen. Höhere/Niedrigere Löhne ändern nichts am Wert einer Ware, sondern lediglich daran, wie viel von dem von ihnen produzierten Mehrwert die Arbeiter*innen erhalten - oder eben nicht. Automatisierung und technischer Fortschritt reduzieren im allgemeinen die durchschnittlich notwendige Arbeitszeit pro Produktionseinheit und damit den Anteil von auszubeutender Arbeit im Produktionsprozess tendenziell - somit auch die Profitrate. Kapitalist*innen versuchen, diesem “tendenziellen Fall der Profitrate” dann entsprechend mit erhöhter Ausbeutung entgegenzuwirken - Inflation ist eine Form davon.                                                                                                                    

Für Arbeiter*innen ist weder Inflation noch Deflation und das damit verbundene Zusammenbrechen der Warenzirkulation wünschenswert. Kapitalist*innen argumentieren oft für eine “gesunde” Inflation: Investitionen könnten durch billiges Geld oder Negativzinsen beeinflusst werden. Die Rückzahlung von (Staats-)Schulden könne kurzfristig erleichtert und “ausländische Assets” (Infrastruktur, Firmen, ...) könnten leichter gekauft werden. In diesem Rahmen ist es dann die Aufgabe von Zentralbanken, Geld in dem Ausmaß zu “produzieren”, den bestmöglichen Umlauf von Waren zu gewährleisten - quasi als “Schmiermittel”, um Preisstabilität zu gewährleisten.

Die Praxis hält der Theorie nicht stand und (zu) hohe Inflation bringt ihre eigenen Widersprüche mit sich: Länder, deren Staatsschulden vor allem in Fremdwährungen gehalten werden, können sich Inflation auf keinen Fall leisten, während Länder mit Staatsschulden in Eigenwährung durch Inflation die Schuldenlast reduzieren können und teilweise müssen. Diese Art von lockerer Geldpolitik ist offensichtlich kein Zeichen für eine stabile und wachsende Wirtschaft: Kapitalflucht ist oft eine direkte Reaktion auf Inflation (Bsp. Türkei); Kredit- und Immobilienblasen (bsp. Evergrande in China) sind ebenfalls direkte Auswirkungen von zu hoher Inflation. Geld wird als Wertanlage zu unsicher und “handfeste” Werte wie Immobilien oder Anlage in andere Spekulationsobjekte gewinnen an Bedeutung. Es kommt zu Spekulationsblasen, die irgendwann auch platzen.

Klein- und Mittelbetriebe haben auch kein Interesse an Inflation, weil sie dadurch nur ihre Rücklagen - oft in Form von Geld - verlieren. Für Arbeiter*innen hat das natürlich ganz oft noch dramatischere Folgen: Wohnen, Essen oder Strom wird unleistbar(er). Die sozialen Folgen polarisieren. Historisch waren die Antworten der Rechten rassistisch wie das Märchen vom “schaffendem” und “raffendem” Kapital bei antisemitischen Wirtschafts”erklärungen” der Nazis. 

Denn bei den “Lösungen” stochern die bürgerlichen “Expert*innen” und Politiker*innen im Nebel herum. Zentralbanken können nicht einfach Leitzinsen erhöhen, um Inflation und “billiges Geld” zu bekämpfen: Ein Fünftel aller europäischen Unternehmen sind “Zombie-Firmen” und von billigem Geld abhängig. Folglich stünden sie in diesem Falle vor einer Pleitewelle und damit verbunden vor Produktionsausfällen und einer starken Rezession.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wollen uns IWF, Zentralbanken und Politik weismachen, dieser Inflationsschub wäre ein vorübergehendes Phänomen. Doch sie ignorieren, dass die Fundamente der Wirtschaft mehr als wackelig sind. Schon vor Corona zeigten die diversen Indikatoren nach unten, Corona hat diesen Trend mit einem Turbo versehen. Wenn aber vorher schon vieles im Argen war, warum sollte dann “nach” Corona (wann immer das sein soll) plötzlich wieder “alles gut” werden?

Die Herrschenden haben keine Antworten auf das Problem der Inflation und keine Antworten auf die noch tiefer liegenden Probleme der Wirtschaft. Sie werden ihre Politik, die uns dieses Dilemma verschafft hat, fortsetzen. Wie immer sie reagieren, welche Wirtschaftspolitik sie auch immer anwenden, mehr oder weniger neoliberal, mehr oder weniger keynesianisch - es wird alles nichts helfen. Denn diese Situation wird durch die Widersprüche des Kapitalismus geschaffen. 

Mittelfristig können wir davon ausgehen, dass die “lockere Geldpolitik” fortgesetzt wird, während der Kapitalismus sich in weitere unüberwindbare Widersprüche manövriert. Nicht nur die globale Inflationskrise, sondern auch die Klimakrise und Corona-Pandemie erfordern erhöhte internationale Zusammenarbeit, stattdessen nehmen die Blockbildung und Protektionismus weiterhin zu. Der verzweifelte Versuch der “unabhängigen” Zentralbanken, Preise stabil zu halten, scheitert kläglich vor dem Hintergrund von bröckelnden Lieferketten und Rückstaus in Häfen und Verkehrsknotenpunkten.

Krisenzeiten führen zu schnellerer Polarisierung - die politische “Mitte” wird zunehmend aufgerieben. Die Illusion, weder “links” noch “rechts” zu sein, bedeutet letztlich ja immer, den status quo mitzutragen. Im Rahmen dieser Gesellschaft gibt es keine Lösungen für ihre selbst verursachten Probleme. Es ist nicht die Aufgabe von Sozialist*innen bzw. Gewerkschafter*innen, dieses System zu “fixen” oder die besseren Wirtschaftsberater*innen zu sein. Die Frage der Inflation ist nur ein Symptom der unüberwindbaren und systemischen Krise der Profitabilität: Für Milliarden von Menschen bietet der Kapitalismus keine Stabilität oder Zukunftsperspektive - ob mit oder ohne Inflation. 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Vor 80 Jahren: Cassius Marcellus Clay alias Muhammad Ali

Lukas Kastner

Am 17. Jänner wäre Muhammad Ali 80 Jahre alt geworden. Er wurde nicht nur durch seinen tänzelnden Boxstil, sondern auch seine politische Einstellung bekannt. Diese war geprägt von der rassistischen Unterdrückung der Afroamerikaner*innen. Am bekanntesten dürfte seine Weigerung, für einen imperialistischen und rassistischen Staat Militärdienst abzuleisten und nach Vietnam zu gehen, sein. Dafür wurde Ali mit der Aberkennung seiner Titel und einem Kampfverbot bestraft. In der Folge galt er – besonders rund um den Kampf gegen George Foreman 1974 – als Symbol des schwarzen und gegen “das weiße” Amerika.

1964 trat Cassius Clay, nun Muhammad Ali der “Nation of Islam” bei und teilte deren Ideologie einer schwarzen Vorherrschaft bzw. Separation. Von seiner ersten Frau trennte er sich, weil sie nicht islamisch genug war. Beim Kampf 1974 in Kinshasa verhalf er dem Diktator Zaires (heute Demokratische Republik Kongo) Mobutu zu weltweiter Popularität. Dieser war allerdings ein korrupter Massenmörder und wichtiger Verbündeter des US-Imperialismus und lieferte wichtige Rohstoffe für den Vietnamkrieg. Grund dafür war, dass Ali ideologisch und (später) auch ökonomisch fest im Kapitalismus verankert war. Einen Zusammenhang zwischen Klassenunterdrückung und Rassismus sah er nicht. Ganz anders sahen das Aktivist*innen der schwarzen Befreiungsbewegung wie Angela Davis, Malcom X oder die Black Panthers, die sich in Richtung sozialistischer Analyse entwickelten. 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Zahlen und Fakten: Klassenstruktur in Österreich

Katja Straka

Quellen: WKO, Statistik Austria.
Durchschnittswerte von 2020

  • 88 % aller Erwerbstätigen in Österreich sind unselbständig erwerbstätig, können also nur “ihre Arbeitskraft verkaufen”.
  • 2020 gab es im Durchschnitt 3.772.100 unselbständig Erwerbstätige, davon 1.946.100 Männer und 1.826.000 Frauen, in Summe aber 4.555.328 - dazu kommen dann noch die Scheinselbständigen, pensionierten Beschäftigten und die jeweiligen Angehörigen. Also die absolute Mehrheit der österreichischen Bevölkerung. 
  • Wegen Corona war der Wert 2020 gesunken, aber in den letzten Jahrzehnten stiegen Anzahl und Anteil kontinuierlich. Allerdings ersetzen Teilzeitjobs zunehmend die Vollzeitjobs.
  • Jede 2. berufstätige Frau bzw. rund 80% aller Teilzeitbeschäftigten sind u.a. dank der mangelnden Kinderbetreuung Frauen, hier nimmt Österreich europaweit einen negativen Spitzenplatz ein. 
  • Wenig aussagekräftig ist das durchschnittliche Einkommen pro Monat, das schon 2016 bei 2.360 Euro lag. Mehr sagt das Medianeinkommen aus: Dieses ergibt, dass 50% aller Vollzeitbeschäftigten weniger als 1.700.-/netto pro Monat verdienen! Pflegeassistent*innen liegen in etwa bei diesen 1.700.-. Im Gegensatz dazu verdienen gerade mal 10% über 4.000/Monat. 
  • 2019 entsprach das Durchschnittsgehalt der Vorstände von ATX-Unternehmen dem 57fachen des mittleren Einkommens aller Beschäftigten.
  • Doch Arbeit schützt nicht vor Armut: 2010 war jedeR 12. Erwerbstätige von Armut bedroht, 2020 bereits jedeR 8. Besonders betroffen: Frauen, die oft Teilzeit bzw. zu 23 % im Niedriglohnsektor arbeiten.
  • Die größte staatliche Einnahmequelle sind die Mehrwertsteuer und die Lohnsteuer, die zum überwiegenden Teil von der Arbeiter*innenklasse bezahlt werden, die aufgrund der Steuerstruktur weder Steuern hinterziehen noch vermeiden kann - im Gegensatz zu Reichen und Unternehmen. Bei Geringverdiener*innen geht allein für die Mehrwertsteuer rund ¼ des Lohns drauf!

Quellen: u.a. Statistik Austria, AK, Rechnungshof

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

An und für sich: Die Klasse und ihr Bewusstsein

„Alle Räder stehen still… wenn dein starker Arm es will.“
Sonja Grusch

Mit dem Aufstieg des Kapitalismus entstand eine neue Klasse arbeitender Menschen: Das Proletariat bzw. die Arbeiter*innenklasse. Schon vorher hatten manche “nichts zu verkaufen als ihre Arbeitskraft”. Durch Veränderungen in der Produktionsweise wurden sie zur größten Klasse. Die Entfremdung vom erzeugten Produkt nahm zu, man wurde zum immer kleineren Rädchen in einem immer komplexeren Produktionsprozess. Die Ausbeutung war enorm und ist es bis heute geblieben. Zwar können sich zumindest in den reichen Ländern auch Arbeiter*innen den „Luxus“ eines (meist für den Arbeitsweg nötigen) Autos bzw. eines (zur Regeneration der Arbeitskraft nötigen) Urlaubs leisten, doch die grundlegenden Strukturen kapitalistischer Ausbeutung blieben gleich. Wir erhalten nur einen Bruchteil der Werte, die wir selbst produzieren.

Arm und Reich, oben und unten - das gibt es, seit es Klassengesellschaften gibt. Staat und “Überbau” (Schule, Kultur, Religion etc) haben bis heute die Aufgabe, das als “natürlich” darzustellen. Doch immer haben Menschen gesehen, dass es nicht so sein muss und sich gewehrt. Das Bewusstsein, Teil einer Gruppe mit gleichen Interessen zu sein, steht am Anfang von Klassenbewusstsein. Das Verständnis über die Rolle in der Gesellschaft, die potentielle Macht der Arbeiter*innenklasse wenn sie sich organisiert ist als nächstes nötig. Ein solches Bewusstsein entsteht aus Erfahrungen v.a. von Kämpfen, aber auch Niederlagen. Es entwickelt sich nicht automatisch und nicht geradlinig. Und manchmal kann es ein Ereignis sein, das dieses Bewusstsein nach vorne katapultiert. 

Mit der Arbeiter*innenklasse entstand die Arbeiter*innenbewegung: Der Zusammenschluss in Gewerkschaften und Parteien, die für unmittelbare Verbesserungen der Arbeitsbedingungen kämpften sowie für grundlegende demokratische Rechte bis hin zu einer ganz anderen Gesellschaft. 

“Früher” schien die Klasse bewusst, organisiert und kampffähig. Die Schwäche bzw. das Fehlen von Organisationen der Arbeiter*innenklasse in den letzten Jahrzehnten hatte negative Auswirkungen. Aber die ideologische Dominanz des Neoliberalismus und seines philosophischen Partners, der „Postmoderne“ (die Behauptung, es gäbe keine Gesellschaft, alles wäre individuell) bricht aktuell zusammen. Auch wenn nach wie vor nur eine Minderheit sich selbst als „Arbeiter*innenklasse“ definieren würde: Die Ungerechtigkeit des Kapitalismus führt spätestens seit der Krise 2007 zu einem wachsenden Bewusstsein für “oben und unten”. Das ist noch kein “Klassenbewusstsein” - was fehlt, ist ein Bewusstsein für die Macht und Aktionskraft, die Beschäftigte in ihren Betrieben haben. Viele der Massenbewegungen waren noch unklar: Occupy sprach von 99% gegen 1%, die Indignados-Bewegung in Spanien richtete sich gegen eine “Kaste” an der Spitze. Die zentrale Kampfform der meisten Bewegungen waren Massenproteste, Platzbesetzungen oder Straßenkampf. Aber spätestens seit der Corona-Krise sehen wir gerade auch hier Veränderungen und eine zunehmende Aktivität der Klasse als Klasse. Das gilt international in z.B. Kolumbien oder Belarus, besonders stark in den USA aber auch in Österreich mit den Streiks und anderen Formen der Arbeitsniederlegung im Gesundheitswesen und bei den Kindergärten.

Kaum jemand glaubt noch an ein „faires“ System. Zwar reden alle von “flachen Hierarchien”, doch die Chefs erhöhen den Arbeitsdruck, versuchen Beschäftigte und ganze Belegschaften gegeneinander auszuspielen (Arbeiter*innen - Angestellte - Leiharbeitskräfte bzw. Standorte) und kassieren den Profit. Aber wo gemeinsam gearbeitet wird, ist leichter zu sehen, wo die gemeinsamen Interessen und der gemeinsame Gegner sind. Das Klassenbewusstsein ist daher auch tendenziell größer in der Industrie und größeren Unternehmen - wie z.B. auch in Spitälern. Bei den Betriebsversammlungen im Metallbereich haben sich die Kolleg*innen an der Basis ausgetauscht. Überall sind die Auftragsbücher voll und trotzdem wollen die Firmen nicht einmal die Inflation abdecken. Es sind überall die gleichen Erfahrungen, das schweißt zusammen und zeigt, dass das Problem nicht einzelne Chefs sind, sondern das ganze System. 

Auch außerhalb des Betriebs ist die Ungerechtigkeit groß: Wer monatelang auf einen Termin für eine Untersuchung oder eine OP warten muss, weiß, dass wir eine Mehr-Klassen-Medizin haben. Wer sich ewig von einem prekären Job zum nächsten hanteln muss, weiß, dass das Versprechen „wer sich bemüht und lernt, hat eine bessere Zukunft“ leer ist.

Die triste eigene Lebenssituation mit grauer Zukunftsperspektive trifft auf die Arroganz und Glitzerwelt der „Reichen und Mächtigen“. Das Gefühl, dass da „was nicht passt“ hat verschiedene Quellen, die sich zu einem Gefühl auftürmen, dass es so nicht weitergehen kann. Junge Frauen, die mit der Propaganda aufwachsen, dass Sexismus nur importiert wäre und doch täglich erleben, dass Sexismus und Diskriminierung Alltag sind.

Die Ungerechtigkeit im Betrieb und jene außerhalb wird oft noch nicht zusammengebracht. Doch es sind gerade diese jungen Frauen, die in einer Pflegeausbildung stecken, die soziale Arbeit studieren oder im Supermarkt jobben. Sie haben gerade unter Corona erlebt, wie wichtig ihre Arbeit ist. Es sind gerade die Frauen der Arbeiter*innenklasse, deren Wut vermehrt zu Ausbrüchen führt.

Klassenbewusstsein entwickelt sich nicht “nach Plan” und aktuell bricht es oft nicht an betrieblichen Fragen bzw. Fragen der Bezahlung auf. Bei den Protesten in den Kindergärten und beim Pflegepersonal geht es v.a. um mehr Personal - mehr Geld ist auch nötig, doch hier ist der Leidensdruck (noch) geringer. 

Es sind Arbeiter*innen, die die Proteste in Österreich wie auch die Massenbewegungen in Kolumbien und Peru, im Irak und Iran, in den USA und Südafrika prägen. Sie treten zunehmend als Klasse auf und greifen zu Kampfmitteln der Klasse. Die Streiks in Myanmar und Südkorea verdeutlichen das. In den USA spricht man vom “Striketober” (Strike & Oktober). Es ist eine Arbeiter*innenklasse, die sich um politische Fragen wie nationale Unterdrückung, fehlende Demokratie und Frauenrechte auf die Füße stellt - und dabei zwangsläufig die Frage aufwerfen muss, wie die Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft sind und damit die Politik bestimmen. Soziale und politische Fragen lassen sich angesichts der zahlreichen Krisen von Klima, Wirtschaft und Politik immer weniger trennen. 

Die Frage ist, wann aus der „Klasse an sich“, also dem Objekt historischer Entwicklungen, die „Klasse für sich“, also das Subjekt in diesen Entwicklungen, wird. Welche Erfahrungen führen dazu, dass Arbeiter*innen sich nicht mehr ausgeliefert fühlen, sondern sehen, dass sie gemeinsam die Welt aus den Angeln heben können? Corona hat gezeigt, dass die „kleinen“ Leute das Werk am Laufen halten. Das schafft zu Recht Selbstbewusstsein und ist ein Grund, dass Menschen einen wirklich miesen Job kündigen bzw. nicht annehmen, weil sie - zu Recht - Besseres wollen. Dazu kommt noch die Erfahrung, dass es offensichtlich nicht am Geld mangelt, das die Regierungen mit vollen Händen an Firmen verteilen. 

Bei aller Buntheit der Arbeiter*innenklasse machen uns doch die Gemeinsamkeiten aus. Dabei geht es aber nicht um das „geteilte Leid“, das leichter zu ertragen wäre, sondern dass wir gemeinsam stärker sind, um echte Verbesserungen und eine andere Gesellschaft zu erreichen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Wer ist das “revolutionäre Subjekt”?

Nur die Arbeiter*innenklasse hat Notwendigkeit & Möglichkeit, Trägerin revolutionärer Veränderung zu sein.
Jan Millonig

Auf die Schlussfolgerung “es muss sich grundlegend was ändern” folgt: Wer kann das schaffen? Die herrschenden Parteien und Regierungen sicher nicht, sie sind der verlängerte Arm der herrschenden Klasse. Veränderung muss von unten erkämpft werden. Doch von wem genau? Mit der Krise der Arbeiter*innenorganisationen und ihrem Niedergang ging das Verständnis für die Notwendigkeit eines “revolutionären Subjekts”, das zur Trägerin der Veränderung wird, verloren. Zwar stieg in den letzten 20 Jahren das Verständnis wieder, dass Veränderung erkämpft werden muss, aber wer das machen kann, dafür gab es verschiedene Ansätze: Die Jugend, die Urban Poor, die Frauen, die Indigenen, die Landlosen, die nationalen Befreiungsbewegungen... Ihnen allen ist gemein, dass sie sich gegen Ungerechtigkeiten wehren. Sie alle sind Teil, aber nicht alleinige Träger*innen gesellschaftlicher Veränderungen.

Die offensichtlichste Stärke der Arbeiter*innenklasse gegenüber dem Kapital, aber auch anderen unterdrückten Gruppen, ist ihre Größe. Doch die entscheidende Rolle der Arbeiter*innenklasse in der Gesellschaft sowie ihre Möglichkeit, eine Revolution durchzuführen, kommt aus ihren wirtschaftlichen bzw. sozialen Interessen, ihren Fähigkeiten und ihrer Position im Produktionsprozess. Sie kann sich keine Nischen im Kapitalismus suchen. 

Denn Arbeiter*innen brauchen höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten usw. und die Bosse das genaue Gegenteil. Dieser andauernde Klassenkampf führt die Arbeiter*innenklasse automatisch in eine Auseinandersetzung auch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Dieser systemimmanente Konflikt kann nur durch die Überwindung von Ausbeutung und damit des Kapitalismus an sich aufgelöst werden. Nur wenn Arbeiter*innen die Wirtschaft selbst übernehmen, können sie die Rahmenbedingungen selbst bestimmen.

Zur Notwendigkeit kommt die Möglichkeit. Keine Wahl, keine Petition, keine Volksabstimmung, aber auch kein Guerillakampf hat die Macht, diese nötige Veränderung zu erreichen. Nur die Arbeiter*innenklasse hat die Macht dazu. Sie hat Werkzeuge und Produktionsmittel in der Hand (auch wenn sie ihr nicht gehören). Wenn die Arbeiter*innen entscheiden, nicht mehr zu produzieren, werden keine Profite gemacht. So treffen wir die Herrschenden am empfindlichsten. Deshalb sind Streiks das effektivste Mittel, um Angriffe zurückzuschlagen und der Ansatzpunkt für eine Arbeiter*innenklasse, die die Macht in Wirtschaft und Gesellschaft übernimmt.

Das gilt auch z.B. für den Kampf gegen Sexismus: Es hat in den letzten Jahren mehrere Streiks gegen sexuelle Belästigung gegeben, wie etwa bei Google, McDonald’s oder jüngst in einem Mercedes-Werk im Baskenland. So auch 2019 in einer Mine in Südafrika. Das Bergbauunternehmen musste nach einer Woche Streik nachgeben und einer externen Untersuchung zustimmen. Wenn ein paar Linke gegen Kurz&Co.  demonstrieren oder einen Antrag im Bezirksrat einbringen, kommt das in seiner Wirkung nicht annähernd an die Proteste der Kindergärtner*innen heran. Diese haben das reale Potential, nicht nur die Regierung und ihre Politik zu stürzen, sondern auch Frauen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und so ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Gewalt an Frauen zu sein.

Auch aktuelle revolutionäre Aufstände, wie im Sudan oder in Myanmar, werden durch Kampfformen der Arbeiter*innenklasse auf eine neue Stufe gehoben. Als die Textilindustrie und andere Bereiche in Myanmar streikten, wurde es richtig bedrohlich für die Militärjunta. Sobald die Arbeiter*innen als solche die Bühne des Kampfes betreten, werden die Machtverhältnisse in Frage gestellt. Der nächste Schritt wäre die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft selbst zu übernehmen. Das ist praktisch naheliegend, da die Arbeiter*innen es ja bisher getan haben, nur für andere. Und genau das passiert auch in revolutionären Situationen - doch die Übernahme der Kontrolle und Verwaltung von Wirtschaft und Gesellschaft durch jene, die die Arbeit tatsächlich machen, trifft auf brutalen Widerstand durch die Herrschenden. 

Eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft wird nur international funktionieren, da durch Arbeitsteilung und Lieferketten der Kapitalismus weltweit zusammenhängt: Z.B. lassen H&M und andere Marken in den Fabriken der Militärs in Myanmar produzieren. Doch die einzige soziale Kraft in der Gesellschaft mit der Macht, dem Gewicht, dem Zusammenhalt und der Organisation, die nicht nur Fortschritt, sondern die Befreiung aller erreichen kann, ist die Arbeiter*innenklasse „für sich“.

Um diese Analyse, die Idee des Sozialismus (also einer demokratischen selbst verwalteten Gesellschaft) und die Lehren aus vergangenen Bewegungen unter Arbeiter*innen, deren Großteil sich ihrer Klassenzugehörigkeit (noch) gar nicht bewusst ist, zu verbreiten und diese Kämpfe dann auch zu führen, braucht es eine sozialistische Organisation und diese weltweit.

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Preis, Lohn und Inflation

Die Inflationskoppelung ist nicht ungewöhnlich, es gibt sie bei Mieten, warum also nicht bei Löhnen?
Peter Hauer

Eine sozialistische Antwort auf die Inflation? Schon Trotzki hat 1938 im Übergangsprogramm von der “gleitenden Skala der Löhne” geschrieben, sprich die Löhne steigen automatisch mit der Inflation. Das ist eine Verteidigungstaktik, um die Beschäftigten vor Lohnverlusten zu schützen (1998-2016 gab es z.B. bei Arbeiter*innen einen Reallohnverlust von 13%). Die Koppelung an die Inflation erhält nur die aktuelle Ausbeutung, weil sich das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit nicht verändert, das sollte eigentlich die Untergrenze sein, um Reallohnverluste zu verhindern. Wenn die Gewerkschaft mit der „Benya-Formel“ argumentiert (Lohnerhöhung = Inflation + Produktivitätssteigerung) dann will sie nur den Status quo beibehalten.

Eine Inflationskoppelung ist nicht ungewöhnlich, es gibt sie z.B. bei Mieten. Pünktlich zum 1. April werden viele Mieten „indexiert“, also an die Inflation angepasst. „Wertsicherung“ nennt sich das. Bei Löhnen aber argumentieren die Kapitalist*innen, dass eine solche Koppelung zu erhöhten Preisen führt. Bürgerliche Ökonom*innen warnen dann vor einer „Lohn-Preis-Spirale“. Sie ignorieren dabei u.a., dass es verschiedene Wirtschaftssektoren gibt und Kapitalist*innen sich selbst einen Gewinn „gönnen“, den sie auf Kosten der Beschäftigten abzweigen. Doch es wird Zeit, dass wir unseren Anteil erhalten und für echte Verbesserungen kämpfen!

 

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Vor 65 Jahren: Ungarn - Aufstand gegen Stalinismus und Kapitalismus

Katja Straka

© Gabor B. Racz CC-BY-4.0 via Wikimedia

Nach dem Sieg gegen den Faschismus wurde in Ungarn 1945 ein stalinistisches Regime eingeführt. Die Planwirtschaft bedeutete einen gewaltigen Fortschritt der Produktion in dem rückständigen Land. Doch während eine bürokratische Clique sich parasitär von den Früchten des wirtschaftlichen Aufbaus ernährte, litt die Bevölkerung unter Reallohnverlusten, Arbeitszwang und mangelnder Demokratie. Nach dem Tod Stalins 1954 schob die Bürokratie die Schattenseiten des Systems Stalin alleine zu. Doch es gab Widerstand: Schon 1953 gab es in der DDR Streiks. Auch in Ungarn kam es 1956 zu Streiks, die nicht durch Repression der Geheimpolizei eingedämmt werden konnten. Auf Befehl Moskaus wurde der Ministerpräsident ausgetauscht - eine kosmetische Änderung, aber keine große Reform. Bei der Demo am 23. Oktober erhob die Schriftsteller*innengewerkschaft Forderungen, die sich gegen Stalinismus, aber für Sozialismus aussprachen und begeistert aufgenommen wurden. Doch von der Polizei wurde geschossen. Am selben Tag bildeten sich in vielen Betrieben Räte und in einer Woche erfasste die Bewegung das ganze Land. Um sie endgültig niederzuschlagen, brauchte Moskau Truppen aus Asien, die die Sprache nicht verstanden und von Infos abgeschnitten wurden. Hätte es eine internationale revolutionäre Partei gegeben, hätte sie internationale Solidarität statt internationaler Repression organisieren können. So hätte es eine Chance gegeben, dass Ungarn nicht isoliert geblieben wäre.

 

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