Geschichte und politische Theorie

Marx aktuell: Proletarischer Klassenstandpunkt

Viele fragen sich momentan, warum dieser Krieg begonnen hat und wie wir ihn beenden können - die Antworten auf diese Fragen werden beim Betrachten der zugrundeliegenden gesellschaftlichen Systeme plötzlich viel deutlicher.

Kapitalist*innen und kapitalistische Staaten stehen im erbarmungslosen Konkurrenzkampf untereinander um Macht und Märkte. Dieser Kampf geht in keinster Weise friedlich vor sich. Auch diesmal können wir erkennen, dass die wahren Gründe des Kriegs in der Einforderung des unumgänglichen Wachstums des Kapitals liegen. Dieses Wachstum war in bzw. für Russland sowie andere imperialistische Mächte immer weniger möglich, weshalb eine, zynisch gesagt, “Sicherung” von Einflusssphären notwendig wurde.

Kapitalistische Konkurrenz und imperialistische Kriege bedeuten für die Arbeiter*innenklasse letzten Endes nur Ausbeutung und Unterdrückung. Die imperialistischen Interessen der Großmächte, aber auch die Profitinteressen der ukrainischen Oligarch*innenklassen, waren vor dem Krieg wichtiger als die Bedürfnisse der ukrainischen und russischen Arbeiter*innenklasse und werden es auch danach wieder sein.

Das bedeutet: Selbst wenn die ukrainische Regierung/Armee siegt, ist es nur ein halber Sieg, denn auch dann wären die Leben vieler Ukrainer*innen weiterhin nicht “frei”, sondern eben abhängig von den Entscheidungen ukrainischer, europäischer oder amerikanischer Kapitalist*innen. Verstärkt gilt Gleiches bei einem Sieg Russlands mit russischen oder chinesischen Kapitalist*innen.

Marx & Engels erkannten bereits früh, dass die wahren Grenzen in dieser Gesellschaft nicht zwischen Nationen oder verfeindeten Kapitalfraktionen verlaufen, sondern zwischen der Kapitalist*innen- und der Arbeiter*innenklasse. Diese Erkenntnis bringt uns sehr viel näher zur Antwort auf die Frage des Endes des Kriegs. Sie liegt im Aufbau einer von den kapitalistischen Kriegsparteien unabhängigen politischen Kraft der internationalen Arbeiter*innenklasse. Engels schrieb dazu: “die Politik, auf die es ankommt, muss eine proletarische Politik sein; die Arbeiterpartei darf sich nicht als Schwanz irgendwelcher Bourgeoisparteien, sondern muss sich vielmehr als unabhängige Partei konstituieren, die ihr eignes Ziel, ihre eigne Politik hat.” (Engels: Über die die politische Aktion der Arbeiterklasse)

Dies bezeichnen Sozialist*innen als proletarischen Klassenstandpunkt. Die Befreiung der Arbeiter*innenklasse kann nur als international geführter Kampf gelingen. Wir müssen nicht nur unsere Solidarität gegen den Krieg kundtun, sondern diese auch durch Taten und Anstrengungen gegen die hiesige Obrigkeit untermauern, indem wir eine internationale proletarische Antikriegsbewegung aufbauen, die sich v.a. auch gegen die jeweils “eigene” herrschende Klasse richtet. Die Kosten dieses Krieges werden auf uns genauso zurückfallen, sollten wir dies nicht tun!

Zum Weiterlesen

Der grundlegendste Text zur Frage eines unabhängigen proletarischen Klassenstandpunktes bleibt das Manifest der Kommunistischen Partei von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahr 1848. Bestellen unter: slp@slp.at

Weder Krieg noch Burgfrieden

Sebastian Kugler

Die Geschichte revolutionär-sozialistischer Kriegsgegner*innen birgt wichtige Lehren für heute.

Der einzige Ausweg aus dem Teufelskreis imperialistischer Konflikte heißt Sozialismus.

„Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges.“, erklärte Hugo Haase, Parteivorsitzender der SPD, am 4. August 1914 vor dem deutschen Parlament: „Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen. […] Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite.“

Die SPD war damals das Flaggschiff der internationalen Arbeiter*innenbewegung, die sich das Ende von Krieg und Ausbeutung auf die Fahnen geschrieben hatte. Mit der Erklärung von Haase warf sie all das über Bord und gab grünes Licht für das Massenschlachten des 1. Weltkriegs. Auf Kritik oder gar den Kampf gegen die eigenen Herrschenden verzichtete man – das nannte man „Burgfrieden“ (wenn die Burg von außen angegriffen wird, müssen alle im Inneren zusammenhalten).

Für manche mag Haases Argumentation – insbesondere heutzutage – gar nicht so absurd klingen. War das zaristische Regime in Russland nicht tatsächlich ein durch und durch reaktionäres und brutales? Unterdrückte es nicht ganze Nationen – nicht zuletzt die Ukraine – und hielt sein eigenes Volk entrechtet und in Armut? Und muss man nicht auch heute sich gegen Putins Regime und den kriegerischen russischen Imperialismus stellen? Auf jeden Fall, antworteten damalige und heutige revolutionäre Sozialist*innen – doch wer ist „man“, und welche Ziele verfolgt „man“ tatsächlich?

1914 erhob der deutsche Sozialist Karl Liebknecht als einer von ganz wenigen die Stimme gegen die Kriegskredite. War Liebknecht ein „Zaren-Versteher“? Keineswegs. Als revolutionärer Sozialist stand er an der Seite der deutschen und der russischen Arbeiter*innenbewegung und der Bolschewiki, die gegen das Regime kämpften. Doch Liebknecht erkannte, dass es dem deutschen Staat (und dem österreichischen) keineswegs um Freiheit und Menschenrechte ging. In seiner Rede gegen Kriegskredite hielt er fest: „Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg, einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des Weltmarktes“. Und das ist der zentrale Punkt: Wenn im Kapitalismus große Machtblöcke aneinandergeraten – etwa Russland (bzw. im Hintergrund China) und die NATO – dann ist keiner davon der „Gute“, auf dessen Seite Sozialist*innen sich stellen könnten. Den Herrschenden auf beiden Seiten geht es um Marktanteile, Ressourcen, Anlagemöglichkeiten und Stützpunkte für ihre jeweiligen imperialistischen Blöcke, egal, ob sie ihre Kriege im Namen „historischer nationaler Ansprüche“ oder von „Freiheit und Demokratie“ führen.

Imperialistische Kriege sind die Fortsetzung imperialistischer Wirtschaftspolitik mit anderen Mitteln. Deswegen ist es auch zu wenig, bei einem abstrakten Pazifismus stehen zu bleiben und „die Waffen nieder!“ zu rufen. Appelle an die Herrschenden, doch bitte „zum Verhandlungstisch zurückzukehren“ ignorieren die strukturelle Krise des Kapitalismus, welche die Herrschenden überhaupt erst dazu gebracht hat, übereinander herzufallen - und legen die Verantwortung für den Frieden in deren Hände, an denen noch das Blut der Kriegsopfer klebt. Solche Appelle sind deshalb auch zur Wirkungslosigkeit verdammt. Aus diesen Gründen kritisierte Liebknechts Verbündete Rosa Luxemburg bereits 1915 jene Kriegsgegner*innen, die Illusionen in „diplomatische Abmachungen über ‚Abrüstung‘“ sowie „nationale Pufferstaaten und dergleichen“ hatten – unter ihnen übrigens der „geläuterte“ Hugo Haase. Gibt ihr nicht die heutige Situation recht, die das jahrzehntelange Gerede über Abrüstung angesichts blitzschneller Rekord-Rüstungsausgaben als hohle Phrase entlarvt? Ist nicht gerade der „Pufferstaat“ Ukraine zum Auslöser dieses weltweiten Konflikts geworden?

Luxemburgs Alternative ist klar: „Imperialismus, Militarismus und Kriege sind nicht zu beseitigen oder einzudämmen, solange die kapitalistischen Klassen unbestritten ihre Klassenherrschaft ausüben. Das einzige Mittel, ihnen erfolgreich Widerstand zu leisten, und die einzige Sicherung des Weltfriedens ist die politische Aktionsfähigkeit und der revolutionäre Wille des internationalen Proletariats, seine Macht in die Waagschale zu werfen.“

Diese Perspektive schien 1915 nicht weniger utopisch als heute – die großen Organisationen der Arbeiter*innenklasse hatten sich allesamt vor den nationalistischen Karren spannen lassen, die Sozialistische Internationale war de facto zusammengebrochen. Die Kriegsgegner*innen passten, als sie sich zu einer geheimen Konferenz im Schweizer Zimmerwald trafen, in vier Pferdekutschen. Sie wussten, dass sie gegen den Strom schwimmen mussten – sie wussten aber auch, dass die Strömung sich früher oder später umkehren würde. Egal wie groß die Begeisterung anfangs war – bislang hat noch jeder imperialistische Krieg Unmut, Widerstand, Massenbewegungen und sogar Revolutionen der „eigenen“ Bevölkerung provoziert. Diese Perspektive hatten auch die damaligen revolutionären Sozialist*innen, allen voran Lenin, Trotzki und die Bolschewiki. Wie Liebknecht und Luxemburg in Deutschland kämpften sie gegen den Krieg, indem sie den „Burgfrieden“ bekämpften. Lenin propagierte die „Fraternisierung (Verbrüderung) der Frontsoldaten aller kriegführenden Nationen“ und den Sturz des Zaren sowie der russischen herrschenden Klasse. Je kriegsmüder die Bevölkerung wurde, desto mehr stieg die Unterstützung für das bolschewistische Friedensprogramm. Schließlich gelang der russischen Arbeiter*innenklasse unter der Führung der Bolschewiki durch die Russische Revolution das, was die deutschen und österreichischen Imperialist*innen vorgegeben hatten erreichen zu wollen: Der Sturz des „russischen Despotismus“. Die gerade noch verfeindeten imperialistischen Kriegsparteien verbündeten sich übrigens rasch gegen die Revolution und zur Unterstützung der alten russischen Herrschenden. Doch zu ihrem Schrecken beendete die Revolution 1917 nicht nur die Zarenherrschaft, sondern gemeinsam mit den von ihr inspirierten revolutionären Bewegungen in Mitteleuropa 1918 auch den Weltkrieg und das deutsche und österreichische Kaiserreich.

Wenn heute der neue Zar Putin vom Wiederauferstehen des russischen Kaiserreichs träumt und der neue Hugo Haase Olaf Scholz 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung des westlichen Imperialismus locker macht, dann kämpfen heute die neuen Liebknechts, Luxemburgs und Lenins für ein neues 1917.

1848 und die Folgen: Eine neue Hoffnung 

Teil 2 der Artikelserie: Geschichte der österreichischen Arbeiter*innenbewegung
Albert Kropf

Revolution 1848: Anfangs sind die Arbeiter*innen im Schlepptau des Bürgertums. Im August wird den Erdarbeiterinnen der Lohn gekürzt, die folgenden Proteste, geführt von Frauen, werden von der bürgerlichen Nationalgarde in der “Praterschlacht” niedergeschossen. Ab da und spätestens dem Oktoberaufstand geht die revolutionäre Initiative auf die Arbeiter*innen über, das Bürgertum schließt Frieden mit dem alten Regime. Der sich in der Revolution gegründete “Erste Allgemeine Arbeiterverein” wird verboten. Das zeigt: Es braucht eigenständige Organisierung. Marx und Engels beschreiben diese Wandlung von der “Klasse an sich” zur “Klasse für sich”.

Trotz der harten Reaktion nach 1848 zeigte sich der Niedergang der Habsburgermonarchie auch in militärischen Niederlagen (Italienische Einigungskriege, Königgrätz 1866). Damit war die seit 1848 offene Frage der deutschen Einigung ohne Österreich “geklärt”. Um den Zerfall der Monarchie einzudämmen, folgte der “Ausgleich” mit Ungarn 1867, gemeinsam blieben Außen-, Kriegs- und Finanzministerium. Für den österreichischen Teil gab es Staatsgrundgesetz und Ende des Versammlungsverbots. Sofort erwachte die Arbeiter*innen-Bewegung, es wurden „Arbeitervereine“ gegründet, Pensions- und Invaliditätskassen, Keime der Gewerkschaften - Nun aber wesentlich politischer.

Für Teile der Arbeiter*innen-Bewegung bestand die 1848er Idee der deutschen Einigung nach Königgrätz weiter. Dadurch und durch das lange Verbot von Organisationen, konnte das stark auf preußischen Staat und legale Vereine orientierte Lassallianertum in Österreich nicht Fuß fassen. Im Gegenteil bestand der Kontakt zur Gruppe um Bebel und Liebknecht, die mit Marx und Engels in Verbindung standen. So waren bei der Gründung der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) im deutschen Eisenach 1869 österreichische Delegierte anwesend, die Kontrollkommission der für ganz Deutschland gegründeten Partei war in Wien. Das nützte die staatliche Reaktion: Unter dem Vorwand der gemein- und staatsgefährdenden Verbindung mit der SDAP wurden 1870 beim Hochverratsprozess führende Persönlichkeiten zu langer Haft verurteilt, die Arbeiter*innen-Bewegung unterdrückt. Der Rückschlag war durch die Wirtschaftskrise der 1870er Jahre verstärkt, viele Organisationen brachen unter wirtschaftlichem und politischem Druck zusammen. 

1874 war der Versuch, die verzweigten Äste beim Gründungskongress im damals ungarischen Neudörfl (heute Burgenland) zu vereinen. Doch waren die Unterschiede zu groß, die Spaltung blieb aufrecht. Wenn man sich aber nicht kollektiv organisieren und kämpfen kann, fallen individuelle Lösungen auf fruchtbaren Boden. Verzweifelte, anarchistische terroristische Anschläge gegen Polizeispitzel, Obrigkeit, Vorarbeiter etc. waren typisch für die 1880er. Doch keimte mit der wirtschaftlichen Erholung auch ein neuer Zweig der Arbeiter*innen-Bewegung um Victor Adler heran: Der ursprünglich bürgerlich-liberale Arzt stellte sich durch seine Frau Emma in den Dienst der sozialdemokratischen Bewegung. Sein Verdienst war, unterschiedliche Zugänge 1888/89 am Hainfelder Parteitag zu vereinen. Doch es mangelnde an marxistischer Tiefe. Waren anfangs Kautsky und Engels eine Stütze, fiel dieser notwendige Gegenpol zunehmend weg. Dass die großen Debatten der 2. Internationale wie der Revisionismus-Streit Bernsteins kaum in Österreich stattfanden, war nicht marxistischer Prinzipienfestigkeit geschuldet. Es fehlten vielmehr die objektiven Voraussetzungen. Der Neoabsolutismus erlaubte kein Mitregieren und Integration in den Staat wie in Deutschland nach dem Ende der Bismarck’schen Sozialismusgesetze.

Ein Hauptaugenmerk lag auf Koalitions- und allgemeinem Wahlrecht. Ersteres wurde 1890 durch die Gründung reichsweiter Gewerkschaftsverbände erkämpft. Zweiteres war Produkt der russischen Revolution von 1905. Neben sozialer Ungerechtigkeit war die nationale Unterdrückung wesentlicher Antrieb in Russland. Das schwappte auf die Vielvölker-Monarchie über. Um Ungarn zu halten, versprach der Kaiser in deren Reich das allgemeine Wahlrecht. Auch der tschechische Teil forderte im Sog der Revolution den Generalstreik fürs Wahlrecht, die Parteiführung zauderte. Der Streik wurde dennoch angekündigt, aber Adler versicherte in Geheimverhandlungen dem Kaiser, dass für die SDAP Revolution nicht auf der Tagesordnung stünde. Letztlich erreichte ein Massenprotest vor dem Parlament das Wahlrecht in Österreich, ohne Generalstreik aber nur für Männer.

War die Orientierung auf Deutschland anfangs fortschrittlich, wandelte sie sich zum Österreich-Chauvinismus gegenüber der Mehrheit der Monarchie. Sowohl Partei als auch Gewerkschaften brachen an ethnisch, sprachlichen Linien. Beim 1. Weltkrieg agierte die SDAP ähnlich wie das Gros der 2. Internationale. Bis zum Ausbruch gab man sich radikal pazifistisch, als es soweit war, stand die SDAP der österreichischen herrschenden Klasse zur Seite. Dass sie sich im Gegensatz zur SPD mit der Zustimmung der Kriegskredite nicht die Finger schmutzig machte, lag schlicht daran, dass sie nicht gefragt wurde. Die Sozialdemokratie hatte den Praxistest nicht bestanden, war am Österreich-Chauvinismus und der eigenen Prinzipienlosigkeit zusammengebrochen, ein Neuanfang stand wieder auf der Tagesordnung.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

12. Februar Gedenken

Im Zuge des Gedenkens zum 12. Februar 1934 fanden in Wien Gedenkveranstaltungen statt, um des bewaffneten Kampfes gegen das faschistische Regime unter Dollfuß zu gedenken. Es geht auch darum, aus den Fehlern der Sozialdemokratie zu lernen, um sie nicht zu wiederholen. Diese machte den reaktionären Kräften Zugeständnis um Zugeständnis. Der Februaraufstand wurde auch wegen der Rolle der sozialdemokratischen Führung niedergeschlagen, es folgten Zerschlagung der Arbeiter*innenbewegung und Festigung des Faschismus.

Die SLP war auf vier Gedenkfeiern dabei, jene am Matteottihof war am politischsten und größten. Wir beschränkten uns nicht auf Reden und Singen, sondern sprachen mit unserem Material Teilnehmer*innen und Passant*innen an. Denn Erinnern heißt kämpfen! Das große Interesse an unserem Material gibt uns recht.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Der 8. März - eine Geschichte des Klassenkampfes

gekürzter Auszug aus dem SLP-Frauenprogramm in der aktuellen ROSA-Zeitung (März 2022)

Am 8. März 1908 demonstrierten in New York 15.000 Textilarbeiterinnen ihre Forderungen nach kürzerer Wochenarbeitszeit, besseren Arbeitsbedingungen und insbesondere das Wahlrecht. Ein Jahr später, Am 28. Februar 1909 organisierten Sozialistinnen in den USA große Demonstrationen und Versammlungen bei denen sie politische Rechte für arbeitende Frauen forderten. Ein nationaler "Woman's Day". Diesem Protest folgte 1909-10 der "Aufstand der 20.000" in den New Yorker Shirtwaist-Fabriken, der größte Streik von Arbeiterinnen zu dieser Zeit. 

Der Ursprung des 8. März, des internationalen Frauentags, geht zurück auf diese Sozialist*innen und ist daher ursprünglich ein Kampftag der Arbeiter*innenklasse. Auf dem 2. Internationalen Kongress der Sozialistischen Frauen 1910 schlug Clara Zetkin, Delegierte der SPD, einen Internationalen Frauentag vor, als einen Kampftag für die ökonomische und politische Gleichstellung von Frauen weltweit.

Daraufhin wurden unter anderem in Deutschland und Österreich Anstrengungen unternommen einen Frauentag zu begehen. Die Pläne für eine Demonstration wurden sowohl durch Mundpropaganda als auch in der Arbeiter*innenpresse bekannt gemacht. Der 1. Internationale Frauentag fand 1911 statt. Sein Erfolg übertraf alle Erwartungen. In Deutschland und Österreich wurden Versammlungen organisiert, auch in kleinen Städten und den Dörfern. Die Säle waren so voll, dass man die männlichen Arbeiter bitten musste, ihre Plätze für die Frauen freizugeben. 

Der Frauentag erwies sich vor allem als eine ausgezeichnete Methode der Agitation unter den weniger politisierten Frauen. Ihre ganz Aufmerksamkeit wurde auf Versammlungen, Demonstrationen, Plakate, Flugblätter und Zeitungen gerichtet.

Nach jedem Tag der “arbeitenden Frauen” traten mehr Frauen den sozialistischen Parteien bei und die Gewerkschaften wuchsen. 

Ebenfalls gestärkt wurde die internationale Solidarität der Arbeiter*innenklasse, in dem Rednerninnen international getauscht wurden: Deutsche Genossinnen sprachen in England, englische Genossinnen in Holland, usw. Der bekannteste Frauentag war dann 1917, als Textilarbeiterinnen in St. Petersburg in Russland streikten und angesichts der Lebensmittelknappheit und der schlechten Lebensbedingungen "Brot und Heringe" forderten. Was zur sogenannten "Februarrevolution" in Russland und somit zum erfolgreichen Sturz des Zaren führte und letztlich die Beteiligung Russlands am 1. Weltkrieg beendete.

 

Die ganze ROSA-Zeitung findest du hier:

Vor 30 Jahren: SJ schließt Sozialist*innen aus

Karin Wottawa

Vor 30 Jahren war die Sozialistische Jugend (SJ) noch eine relevante Struktur der SPÖ mit lebendigen Bezirksorganisationen. 2018 war Andreas Schieder „linkerer“ Gegenkandidat zu Ludwig in Wien. Kai Jan Krainer präsentiert sich gern fortschrittlich. Ihrer beider Karriere wurzeln im Ausschluss von Sozialist*innen aus der SJ. Vorgegeben wurden rein organisatorisch-formale Gründe, der Aufbau einer eigenen Formation. Es ging aber um mehr. Die Bezirksorganisationen, die die meisten Aktivist*innen hatten, die Außenaktionen machten, waren Sozialist*innen rund um die Zeitung Vorwärts. Als ehemalige „SJ-lerin“ erinnere ich mich gut, wie viele Jugendliche wir dafür begeisterten, gegen einen EU-Beitritt, „Gegen das Europa der Konzerne“ aufzutreten, antifaschistische Arbeit zu machen, Frauenrechte zu verteidigen; die Welt als eine kapitalistische zu begreifen und marxistisch zu analysieren. Die Gruppe, die sich rund um „Vorwärts“ sammelte, hatte gute Chancen, eine Mehrheit in der Wiener SJ zu bekommen. Knapp vor der EU-Volksabstimmung hätte die wichtigste Landesorganisation damit offensiv gegen die SPÖ-Kampagne mobilisiert. Am 19.3.1992 wurden daher die Bezirksorganisationen aufgelöst, führende Mitglieder ausgeschlossen. Die SJÖ folgte in Oberösterreich, Salzburg und auf Bundesebene. Die SJ war danach für ein Jahrzehnt kaum existent während uns die Ausschlüsse keinen Tag vom Aufbau einer sozialistischen Kraft aufhielten.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Inflation, Verschuldung und die Gefahr einer Rezession: Die jüngste Phase der globalen Krise

Eric Byl, Internationale Leitung der International Socialist Alternative (ISA)

In vielen Ländern sind die Verbraucher mit dem stärksten Preisanstieg seit Jahrzehnten konfrontiert. Am stärksten betroffen sind Lebensmittel, Energie und Wohnen, die den größten Anteil an den Ausgaben der Arbeiter*innenklasse und der armen Haushalte ausmachen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 25. Februar 2022 auf der Homepage der International Socialist Alternative (ISA).

"Der jahrzehntelange Zyklus von Stagnation, Aufschwung, Überproduktion und Krise, der sich von 1825 bis 1867 immer wiederholte, scheint tatsächlich zu Ende zu gehen, aber nur, um uns in den Sumpf der Niedergeschlagenheit einer permanenten und chronischen Depression zu stürzen. Die ersehnte Periode der Prosperität wird nicht kommen; so oft wir ihre Vorboten wahrzunehmen scheinen, so oft lösen sie sich wieder in Luft auf." - F. Engels, Vorwort zur englischen Ausgabe des Kapital, 1886

Schon vor dem Ausbruch der Omikron-Variante wichen die euphorischen Erwartungen eines starken Aufschwungs nach der Pandemie, der auf der Freisetzung aufgestauter Konsumausgaben und Unternehmensinvestitionen beruhte, großen Sorgen. In vielen Ländern sind die Konsument*innen mit dem stärksten Preisanstieg seit Jahrzehnten konfrontiert. Am stärksten betroffen sind Lebensmittel, Energie und Wohnraum, die den größten Teil der Ausgaben der Arbeiter*innenklasse und der armen Haushalte verschlingen. Der Lebensstandard wird stark beeinträchtigt, und die Arbeiter*innen fordern einen Ausgleich für den Kaufkraftverlust. Doch die Bosse und die kapitalistischen Medien trommeln zunehmend für Lohnzurückhaltung, um eine "Inflationsspirale" zu verhindern.

Was sind die Ursachen der Inflation?

Am 11. November 2021 erschien in der USA Today ein Artikel mit der Überschrift: "Die Löhne steigen, aber auch die Verbraucherpreise. Ist das die Lohn-Preisspirale?" In dem Artikel heißt es: "Steigende Rohstoffkosten, Engpässe in der Lieferkette und Arbeitskräftemangel zwingen die Amerikaner*innen dazu, mehr für Produkte von Fleisch bis Benzin zu bezahlen. ... Infolgedessen fordern die Beschäftigten höhere Löhne, um ihre Familien mit dem Nötigsten versorgen zu können. Und da die Arbeitgeber für die höheren Arbeitskosten aufkommen müssen, werden die Unternehmenspreise steigen."

Ist das wahr? Mit einem Wort: Nein. Der Preis, zu dem ein Arbeitgeber das Produkt verkaufen kann, wird nicht grundsätzlich durch die gezahlten Löhne bestimmt, sondern durch den Wettbewerb auf dem Markt. Wenn zwei Hersteller genau das gleiche Produkt herstellen, aber der eine seinen Arbeiter*innen mehr zahlt als der andere und dann versucht, den Preis für das Produkt zu erhöhen, wird der Kunde einfach das von seinem Konkurrenten hergestellte Produkt zu einem niedrigeren Preis kaufen. Wenn dieser Hersteller also im Geschäft bleiben will, muss der Preis wieder gesenkt werden. Wenn also die Löhne steigen, führen sie nicht zu einer Erhöhung des Preises, sondern zu einer Verringerung der Gewinne des Arbeitgebers.

Welche Rolle spielen also "Angebot und Nachfrage"? Wäre die Wirtschaft im Gleichgewicht, d. h. würden die Produzenten genau so viele Produkte herstellen, wie die Verbraucher benötigen, dann würde der Preis des Produkts durch seinen tatsächlichen Wert bestimmt, d. h. durch die "gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit", die für die Herstellung des Produkts aufgewendet wird, wie Marx es ausdrückte. Dies umfasst sowohl die Arbeit, die direkt für die Herstellung des Produkts aufgewendet wird, als auch die Arbeit, die für die Herstellung der Maschinen usw. erforderlich ist. Befindet sich der Markt jedoch nicht im Gleichgewicht und besteht ein Mangel an einem bestimmten Gut, für das eine starke Nachfrage besteht, dann steigt der Preis. Veränderungen bei Angebot und Nachfrage führen dazu, dass die Preise schwanken, aber im Durchschnitt spiegeln sie den zugrunde liegenden Wert wider, der durch die Arbeit definiert ist, die sie verkörpern. Aus diesem Grund steigen die Preise derzeit, wenn die Produzenten aufgrund von Störungen in der Lieferkette die Nachfrage nicht decken können, da die Unternehmen zusätzliche Gewinne erzielen. Dies erklärt, warum manche glauben, dass die Preise zurückgehen werden, wenn die Lieferketten wieder im Gleichgewicht sind.

Aber selbst das ist nicht die ganze Geschichte. Waren werden mit Geld gekauft. Eine Währung in ihrer einfachsten Form ist einfach ein bequemes Tauschmittel, und eine Währungseinheit entspricht einer Einheit materiellen Wohlstands. Aber Regierungen haben die Geldmenge lange Zeit erhöht, um in den Krieg zu ziehen oder Schulden zu begleichen, oder, wie wir jetzt sehen, Geld in die Finanzmärkte gepumpt, um sie zu stützen. Eine signifikante Erhöhung der Geldmenge ohne eine entsprechende Steigerung des gesellschaftlichen Wohlstands führt tendenziell zu einer Abwertung der Währung und zu einer Inflation. Wenn man Geld in die Märkte pumpt und Spekulationsblasen aufbläst, hat das ebenfalls eine inflationäre Wirkung, zumindest auf diesen Märkten.

Für den Preisanstieg gibt es viele Faktoren. Einer davon sind Versorgungsunterbrechungen. In der Mainstream-Presse werden diese hauptsächlich als Folge von Pandemieabschaltungen erklärt und daher als "vorübergehend" oder "transitorisch" betrachtet. So beschrieb sie auch der Vorsitzende der Federal Reserve Jerome Powell, bis selbst er diesen Begriff fallen lassen musste. Die Abschottung ist zweifelsohne ein wichtiger Faktor, aber es gibt noch mehr, und die Auswirkungen werden die Pandemie überdauern.

Die Globalisierung kam nach der Großen Rezession 2008/09 zum Stillstand. Während der historische Trend zu einer verstärkten internationalen Arbeitsteilung bedeutet, dass die Globalisierung nicht vollständig rückgängig gemacht werden kann, hat sich die Entkopplung der globalen integrierten Lieferkette durch die Diversifizierung, Verlagerung und in geringerem Maße sogar durch die Verlagerung der Produktion beschleunigt. Diese Entwicklung ist darauf zurückzuführen, dass das Wachstum Chinas nicht mehr als Chance, sondern als Bedrohung gesehen wird, vor allem vom US-amerikanischen Establishment. Dieser Prozess hat sich während der Präsidentschaft Trumps beschleunigt und hat seitdem ein qualitativ neues Niveau erreicht. Mit dem Aufkommen der Pandemie zerfällt die globale Lieferkette in weniger stabile regionale Lieferketten.

Die Versorgungsunterbrechungen machen die Anfälligkeit der "Just-in-time"-Produktion deutlich. Diese sehr hohe Integration von Produktions-, Versand- und Lagersystemen erfordert stabile internationale Beziehungen, aber wir sehen jetzt zunehmende internationale Spannungen, insbesondere den sich verschärfenden Kalten Krieg zwischen den USA und China, der überall in alles eindringt. Es gibt keine begründete Aussicht, dass diese Spannungen abnehmen werden, vielmehr gibt es einen beschleunigten und gefährlichen Aufschwung in der Taiwan-Frage. Während die Lieferketten also irgendwann ein neues, weniger sicheres Gleichgewicht erreichen werden, werden die Probleme weit über die derzeitige Prognose einer Stabilisierung bis Mitte 2022 hinaus bestehen bleiben.

Just-in-time-Produktion bedeutet Kostensenkung durch geringe Lagerbestände. Als die Pandemie die großen Volkswirtschaften zum Stillstand zwang und die Lagerkapazitäten nicht ausreichten, um die Käufe für die Zukunft fortzusetzen, haben die Länder einfach aufgehört, Rohöl zu kaufen, und der Preis hat sich sogar ins Negative entwickelt. Dies führte zu erheblichen Einkommenseinbußen in einigen schwächeren ölproduzierenden Volkswirtschaften wie Venezuela und anderen.

Die Inflationsraten gingen im Jahr 2020 weltweit zurück, in der Eurozone rutschten sie Ende des Jahres gegen Null. Doch mit der Wiederbelebung der Wirtschaft wurden Käufe, die in der Anfangsphase der Pandemie aufgeschoben worden waren, beschleunigt, und Autos und Lastwagen kehrten auf die Straßen zurück. Die Kapitalisten waren auf diese große Nachfrage nicht vorbereitet und nutzten die Gelegenheit zu Preiserhöhungen, entweder um die Verluste während der Lockdowns auszugleichen oder einfach nur, um schnelles Geld zu machen. Die Stahlpreise stiegen bis Ende 2021 um 60-70 %, Kupfer um mehr als 50 % und Holz um über 80 %. Die Preise für Energie, Kraftstoffe, Benzin, Gas und Strom stiegen mit dem nahenden Winter auf der Nordhalbkugel sprunghaft an.

Hinzu kommt, dass die Wiederbelebung der Volkswirtschaften nicht gleichzeitig erfolgte. So kam es immer wieder zu Rückschlägen, die zu Ungleichgewichten und Produktionsunterbrechungen führten. Mit Flüssiggas beladene Schiffe sind an der falschen Stelle gelandet, während der Mangel an Schiffscontainern und Computerchips für die Autoproduktion zu einem Preisanstieg von 20-30 % bei Gebrauchtwagen geführt hat.

Eines der größten Ungleichgewichte ist die ungleiche Verteilung von Impfstoffen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts hatten über 66 % der G20-Länder zwei Impfungen erhalten, aber nur 6 % in Afrika. Dies wird richtigerweise als Impfstoff-Nationalismus oder Impfstoff-Imperialismus bezeichnet. Aus diesem Grund ist Omikron entstanden, und neue Varianten werden wahrscheinlich in den kommenden Jahren ein wiederkehrendes Phänomen sein.

Wie Omikron zeigt, dauert es Wochen, bis man ausreichende Erkenntnisse darüber gewonnen hat, ob neue Varianten mehr oder weniger impfstoffresistent, mehr oder weniger gefährlich sind, so dass die Regierungen entscheiden können, welche neuen Maßnahmen erforderlich sind. Trotz des Widerstands der Wirtschaft gegen neue Verbote ist es unvermeidlich, dass es zu neuen Versorgungsengpässen kommt, die die Inflation anheizen, oder dass neue Reisebeschränkungen den Reiseverkehr und das Gastgewerbe einschränken. Dies wird den Druck auf die Preise verringern, allerdings in einer Situation, in der die öffentliche Verschuldung und die Defizite bereits enorm hoch sind.

Flut von Geld

Als Reaktion auf die Große Rezession 2008/09 senkten die Zentralbanken die Zinssätze auf Null oder sogar auf negative Werte. Während der Pandemie des "leichten Geldes" wurde die Geldpolitik wiederum durch massive fiskalische Anreize ergänzt.

Der Haupteffekt dieser Maßnahmen bestand nicht darin, der produktiven Wirtschaft zu helfen, sondern die Immobilien- und Finanzvermögensblasen zu vergrößern. Tatsächlich sind zwei Drittel des weltweiten Nettovermögens in Immobilien und nur 20 % in anderen Anlagegütern angelegt. Dies ist eine Folge des längerfristigen Trends der geringen Rentabilität in den produktiven Sektoren als Ergebnis der Überakkumulation von Kapital. Investoren können mit "Kapitalgewinnen" - Gewinnen aus dem Anstieg von Aktien- und Immobilienpreisen - mehr Geld verdienen, als sie mit Investitionen in Fabriken, Maschinen, Forschung und Arbeitskräfte erzielen können.

Nach Angaben des McKinsey Global Institute beruhte weniger als ein Drittel des Nettowachstums seit Beginn des Jahrhunderts auf neuen Investitionen. Fast drei Viertel des Wachstums wurden durch Preiserhöhungen angetrieben, mit anderen Worten durch die Bildung von hochgradig fremdfinanziertem "fiktivem" Kapital aus spekulativen Aktivitäten anstelle von Arbeitsausbeutung. Seit 2011 ist in einer Auswahl von zehn Ländern der Wert der Unternehmensvermögen im Verhältnis zum BIP um 61 % gestiegen, aber der Wert, der sie untermauern soll, die Unternehmensgewinne, sind im Verhältnis zum globalen BIP um 1 % gesunken. McKinsey ist zu Recht besorgt und weist auf einen möglichen Zusammenbruch der Finanz- und Immobilienmärkte hin.

Sowohl die privaten als auch die öffentlichen Investitionen bleiben hinter dem massiven globalen Bedarf zurück, Ressourcen für Gesundheit, Bildung, soziale Dienste, erschwinglichen Wohnraum und die Erneuerung der Infrastruktur, einschließlich des Übergangs zu grüner Energie, bereitzustellen.

Die einzige Möglichkeit, die Wirtschaft über Wasser zu halten, besteht darin, gigantische Mengen an zusätzlichem Geld in die Kassen zu pumpen. Die gemeinsame Bilanz der US-Notenbank (Fed), der Europäischen Zentralbank (EZB), der Bank of Japan (BOJ) und der People's Bank of China (PBOC) betrug bereits 5 Billionen Dollar, bevor sie sich während der Großen Rezession 2008/9 verdoppelte. Das Wachstum setzte sich bis auf 20 Billionen Dollar fort und beschleunigte sich während der Pandemie noch einmal auf heute schwindelerregende 31 Billionen Dollar. Der Saldo der Fed, der in der Vergangenheit 6 % des BIP entsprach, nähert sich jetzt 40 %, ein ähnliches Niveau wie bei der PBOC. Der Saldo der EZB hat 60 % und der der BOJ 130 % erreicht.

Auf längere Sicht ist dies unhaltbar. Es bedeutet, dass jeder wirtschaftliche Aufschwung die Gefahr einer Überhitzung birgt, es sei denn, ein konsistenter Wachstumspfad, ähnlich der Expansion nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er und 60er Jahren, ermöglicht es, dass Waren und Dienstleistungen diese Geldflut absorbieren. Ein solches Wachstum ist im heutigen Kapitalismus, selbst im staatskapitalistischen China, ausgeschlossen. Die Evergrande-Krise ist nur eine erste Warnung vor einem möglichen Zusammenbruch von Chinas gigantischer, durch Schulden angeheizter 5-Billionen-Dollar-Immobilienblase, dem wichtigsten Wachstumsmotor des Landes im letzten Jahrzehnt. Selbst wenn es Peking gelingt, den unkontrollierten Zusammenbruch von Evergrande zu vermeiden, wird dies Chinas Wachstumspfad drastisch einschränken und möglicherweise zu einer Rezession führen. In jedem Fall wird dies enorme globale Auswirkungen haben.

In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern hat die Flut des billigen Geldes Vermögens- und Kreditblasen mit hohen Kurs-Gewinn-Verhältnissen und niedrigen Risikoprämien angeheizt. Sie hat Tech-Werte, hochverzinsliche Unternehmensanleihen, Meme-Aktien und andere Vermögenswerte aufgebläht und eine irrationale Krypto-Manie ausgelöst.

Risikokapital, das zur Finanzierung risikoreicher Unternehmen eingesetzt wird, ist mit jährlichen Renditen von 17 % im letzten Jahrzehnt exponentiell gewachsen. Allein die US-amerikanischen Risikokapitalfonds haben Unternehmen im Wert von mindestens 18 Billionen Dollar gegründet. In der Vergangenheit beschränkte sich dieser Ansatz auf exklusive US-Fonds, ist aber inzwischen zu einem globalen Phänomen geworden, an dem auch etablierte Finanzunternehmen beteiligt sind. Die Risiken, die sie eingehen, sind rücksichtslos und reichen von exzessivem Cash-Burning - auf der Grundlage steigender Bewertungen und reichlicher Kapitalzuflüsse - bis hin zur Verschwendung von Pensionsfonds. Von den 100 größten Risikokapitalfirmen, die 2021 an der Börse notiert sind, schreiben 54 rote Zahlen mit kumulierten Verlusten von 71 Milliarden Dollar!

Im staatskapitalistischen China dienen Immobilien und nicht die Aktienmärkte als Hauptquelle für Spekulationen. Sie machen inzwischen 27 % des BIP aus, im Gegensatz zu den USA, wo sie 14-18 % ausmachen. Das bedeutet nicht, dass die Immobilienspekulation ein spezifisches Merkmal Chinas ist. In den letzten 40 Jahren sind die durchschnittlichen Hauspreise in den USA um 420 % gestiegen, was durch die Tatsache verstärkt wird, dass in den letzten beiden Jahrzehnten der Bau neuer Häuser im Vergleich zu den drei vorangegangenen Jahrzehnten um fünf bis sieben Millionen Einheiten zurückblieb. Mit der Pandemie sind die Hauspreise sogar noch dramatischer gestiegen, allein um 16 % im Jahr 2021. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Kosten für Baumaterialien und Energie bis November 2021 um 14,5 % steigen werden. Die Pandemie hat auch als Weckruf gedient, der zur Ausweitung der Arbeit von zu Hause aus geführt und diejenigen, die dazu in der Lage sind, dazu angeregt hat, aus den Stadtzentren in größere und grünere Gebiete zu ziehen. Die Bauträger haben diese Gelegenheit voll ausgenutzt. Höhere Preise für Wohnungen führen unweigerlich dazu, dass mehr Menschen zur Miete wohnen und die Mieten steigen. Die Wohnkosten sind für bis zu einem Drittel der Inflation in den USA verantwortlich.

Auch die Lebensmittelpreise steigen schneller als die allgemeine Inflation. Im dritten Quartal 2021 stieg der US-Agrarrohstoffpreisindex auf Jahresbasis um 33 %, wobei Mais und Weizen 44 % bzw. 38 % über dem Niveau vor der Pandemie lagen. Wie Wohnen und Energie haben Lebensmittel einen weitaus größeren Anteil am Haushaltsbudget von Arbeiter*innenklassen und armen Familien, vor allem in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Weltweit hat die Weltbank bestätigt, dass durch Covid 19 die Zahl der Menschen, die von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind, drastisch gestiegen ist.

Im wahrscheinlichen Szenario einer Finanz- oder Immobilienkrise ist damit zu rechnen, dass Spekulanten den Markt für Ernte-Termingeschäfte in ähnlicher Weise überschwemmen wie vor über einem Jahrzehnt, was zu einem wichtigen Element des so genannten arabischen Frühlings wurde. Eine Wiederholung eines solchen Szenarios, insbesondere in einer Zeit, in der Knappheit viele Spekulationsmöglichkeiten schafft, ist durchaus vorstellbar, aber die Auswirkungen wären im Kontext von Klimakatastrophen, überteuerten Finanzmärkten und einer grassierenden Pandemie noch verheerender. Lebensmittelknappheit und Preiserhöhungen waren bereits wichtige Faktoren für Bewegungen und Unruhen im Libanon, Sudan, Algerien, Südafrika, Madagaskar und kürzlich auf den Salomonen.

Das Rätsel der Verschuldung

Jedes größere Land hat ein Haushaltsdefizit. In den USA hat es fast 14 % des BIP erreicht, höher als in jedem anderen G7-Land. Der Einsatz fiskalischer Anreize ist zu einem notwendigen Instrument geworden, um das System über Wasser zu halten und massive soziale Explosionen zu verhindern. Infolgedessen ist die weltweite Staatsverschuldung auf 88 Billionen Dollar gestiegen, was nahezu 100 % des weltweiten BIP entspricht. Zwar sind die Kosten dafür aufgrund der historisch niedrigen Zinssätze im Moment noch relativ günstig, aber auf längere Sicht wird man sich damit befassen müssen, bevor die Zinsen deutlich ansteigen und die Refinanzierung dieser Schulden zu einer untragbaren Belastung wird, die in einem "Schuldenschneeballsystem" endet.

Die Zentralbanken in den imperialistischen Ländern werden versuchen, das Programm der milliardenschweren Anleihekäufe zur Stützung der Märkte (auch bekannt als Quantitative Easing) allmählich zurückzufahren und gleichzeitig die Zinsen langsam anzuheben, in der Hoffnung, dass dies ihre Volkswirtschaften nicht wieder in eine Rezession stürzt, was als das "Ende der Ära des leichten Geldes" bezeichnet wird.

Im November beschloss die Fed, ihre monatlichen Käufe von Staatsanleihen im Wert von 80 Milliarden Dollar und von mit Hypotheken besicherten Wertpapieren im Wert von 4 Milliarden Dollar um 10 Milliarden bzw. 5 Milliarden Dollar zu reduzieren. Im Dezember erhöhte die Bank of England (BOE) ihren Leitzins von 0,1 % auf 0,25 %, und es wird erwartet, dass weitere Erhöhungen auf 0,5 % erfolgen werden, um die Inflation zu bekämpfen. Die Diskussionen in der EZB über ein Tapering wurden noch intensiver, als die Inflation in der Eurozone im November 4,9 % erreichte, den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen in der Eurozone im Jahr 1997. In Deutschland hat sie bereits 6 % erreicht.

Schwächere Volkswirtschaften können sich diesen Luxus nicht leisten und sind gezwungen, entschlossener zu handeln. Von den 38 Zentralbanken, die von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) beobachtet werden, haben 13 ihren Leitzins bereits mindestens einmal angehoben, und weitere werden folgen. Die chilenische Zentralbank zum Beispiel erhöhte ihren Zinssatz im Oktober um 1,25 % auf 2,75 %, die größte Zinserhöhung seit 20 Jahren. Auch Peru und Kolumbien haben ihre Geldpolitik gestrafft, ebenso wie Sri Lanka, Russland, Norwegen und viele andere Länder.

Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete die Türkei, wo Präsident Recip Erdogan unlogischerweise auf eine Begrenzung der Zinserhöhungen drängt, obwohl die Inflation bereits über 30 % liegt. Im Jahr 2021 hat die türkische Lira 40 % ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren. Dies führt zu großen sozialen Unruhen, während Erdogans Popularität sinkt.

Höhere globale Zinssätze werden jedoch die Refinanzierung der Schulden insbesondere für ärmere Länder erschweren. Die Zahlungen an die Gläubiger machten 2021 14,3 % der Staatseinnahmen der armen Länder aus, ein Anstieg gegenüber 6,8 % im Jahr 2010 und der höchste Stand seit 2001. Die Schuldenkampagne Jubilee Debt Campaign schätzt, dass 54 Länder von einer Schuldenkrise bedroht sind. Dies könnte zu einer Kette von Zahlungsausfällen führen, die einige große private Kreditgeber mit in den Abgrund reißen und weitere zwischenimperialistische Spannungen darüber auslösen, wer für die Verluste aufkommen wird. Außerdem würden billige Kredite wegfallen, die Risikoprämien in die Höhe schnellen, eine Kreditklemme drohen, Investitionen untergraben und die Volkswirtschaften zurück in die Rezession stürzen.

Die Gesamtverschuldung der Welt, einschließlich der öffentlichen, privaten und Unternehmensverschuldung, war im Juni auf einen Rekordwert von 296 Billionen Dollar angestiegen. Zu Beginn des Jahrhunderts galten 11 % der weltweiten Unternehmen als Zombie-Unternehmen, d. h. als unrentable Firmen, die nur durch billige Kredite überleben konnten. Es wurde erwartet, dass fünfzig Prozent dieser Unternehmen Zombies bleiben würden. Heute sind 16 % der weltweiten Unternehmen Zombies, 90 % werden es wahrscheinlich bleiben. Eine Studie von zwei argentinischen Wirtschaftswissenschaftlern zeigt, dass die Hauptursache für die Existenz solcher Unternehmen nicht die Höhe ihrer Schulden ist, sondern vielmehr der niedrige Gewinn, den sie aus der Produktion erzielen und der sie zwingt, Kredite aufzunehmen. Wenn die Refinanzierung der Schulden teurer wird, wird eine Kette von Konkursen andere Unternehmen und Banken, die heute als gesund gelten, mit in den Abgrund reißen. Deshalb gleicht die Frage nach dem Auslaufen der quantitativen Lockerung und der Anhebung der Zinssätze einem Drahtseilakt.

Klassenkampf

Die Krise ist so groß, dass die Linderung der Symptome nicht ausreichen wird. Der Kapitalismus ist in eine Situation geraten, in der er, egal welche Maßnahmen er ergreift, tendenziell neue Probleme hervorrufen oder alte wiederbeleben wird. Wenn die lockere Geldpolitik fortgesetzt wird, könnte die Inflation in den zweistelligen Bereich steigen und in Kombination mit geringem oder stagnierendem Wachstum eine lang anhaltende Stagflation hervorrufen, die Kombination aus hoher Inflation und langsamem Wachstum, die in den 1970er Jahren viele wichtige Volkswirtschaften plagte. In einigen Ländern könnte es sogar zu einer Hyperinflation kommen. Wird die lockere Geldpolitik jedoch zu früh beendet, könnte die Wirtschaft in die Mutter aller Rezessionen stürzen. Die Realität ist, dass sich diese Krise, ein perfekter Sturm, seit Jahrzehnten zusammenbraut.

Der Kapitalismus hat sich mit dem Produkt der menschlichen Arbeit und den natürlichen Ressourcen vollgestopft und das, was Marx den metabolischen Bruch zwischen Mensch und Umwelt nannte, in einen gähnenden Abgrund verwandelt. Er hat unsere Gesundheitssysteme heruntergewirtschaftet und sie zu einer hohlen Hülle gemacht, die nicht in der Lage ist, die unvermeidlichen Krisen zu bewältigen. Das Gleiche gilt für alle Sozial- und Notfalldienste, von der Feuerwehr bis zum Katastrophenschutz. Sie hat das Bildungs- und Gesundheitswesen und andere öffentliche Dienstleistungen zunehmend dem privaten Profitsektor überlassen, was zu Lasten von Qualität, Preis und Arbeitsbedingungen geht. Sie hat die Produktion aller Sicherheitsnetze beraubt, die Versorgung auf das absolute Minimum reduziert und eine unerträgliche Flexibilität bei Arbeitszeiten und Arbeitsverträgen eingeführt, um jeden Bruchteil der aufgewendeten Arbeitszeit auszubeuten. Sie hat jeden Aspekt der menschlichen Existenz in eine bloße Ware verwandelt, die auf dem "freien" Markt getauscht werden kann.

Einige Kapitalisten mögen einwenden, dass dieses Argument lediglich Beschimpfung ist, aber die gesamte Logik ihres Systems, seine Funktionsweise, seine ideologische Ausrichtung basiert auf der Notwendigkeit, alle humanitären Belange beiseite zu schieben, um in erster Linie Platz für "Investitionsmöglichkeiten" zu schaffen.

Big Pharma hat mit der Corona-Pandemie Milliarden verdient, ebenso wie die Energiekonzerne, Immobilienentwickler und so weiter. Die für dieses Jahr prognostizierten Einnahmen von 80 Milliarden Dollar für Pfizer sind ein neuer Rekord für einen Arzneimittelhersteller. Die weltweiten Dividendenausschüttungen an die Aktionäre der 1200 größten börsennotierten Unternehmen der Welt werden in diesem Jahr voraussichtlich um 16 % steigen und einen Rekordwert von 1,46 Billionen Dollar erreichen.

Trotzdem sind die kapitalistischen Medien eher besorgt, dass die Inflation zu höheren Lohnforderungen führen wird und dass die Kapitalisten dann die gestiegenen Arbeitskosten an die Verbraucher "weitergeben" werden. Dies wird als eine Art Naturgesetz dargestellt, aber in Wirklichkeit handelt es sich um einen Klassenkampf darüber, wer die Last tragen wird, die Arbeiter*innen aus ihren Löhnen oder die Bosse aus ihren Gewinnen. Es gibt keinen automatischen Mechanismus, wie Marx erklärte, bei dem höhere Löhne zu höheren Preisen führen.

Seit mehreren Jahrzehnten ist der Anteil der Löhne am BIP in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern rückläufig. Wenn der Anteil der Löhne am BIP in den USA auf dem Niveau der 1960er Jahre geblieben wäre, hätten die amerikanischen Arbeiter*innen heute schätzungsweise 1 Billion Dollar mehr pro Jahr zur Verfügung. Im Durchschnitt der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder stieg der Anteil der Löhne, der in den 1960er Jahren 60-65 % des BIP betrug, Mitte der 1970er Jahre auf 65-70 %, wurde dann aber während der neoliberalen Ära drastisch auf heute 50-55 % des BIP gesenkt.

Mit Ausnahme einiger weniger Branchen und Unternehmen bleiben die Löhne stark hinter der Inflation zurück. Nach Angaben des "Conference Board" erreichten die durchschnittlichen Gehaltssteigerungen in den USA im Jahr 2021 3 % bei einer Gesamtinflationsrate von 6,2 %. Die Inflationszahlen umfassen jedoch die Preise für eine Reihe von Waren und Dienstleistungen. Nicht alle von ihnen steigen mit der gleichen Geschwindigkeit. Wenn Sie, wie die Mehrheit der Bevölkerung, am unteren Ende des Einkommensspektrums stehen, werden Sie proportional mehr für Lebensmittel, Energie und Wohnen ausgeben, wobei die Preissteigerungen weit über dem Durchschnitt liegen, und Ihre gefühlte Inflation wird viel höher sein als die offizielle Zahl.

Während der neoliberalen Ära wurden die Arbeiter*innen leider oft mit Hilfe der so genannten Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsführer*innen mundtot gemacht. Dies führte zur Ausweitung von Niedriglohnsektoren, extremen Flexibilitätsanforderungen, unsicheren Arbeitsverträgen und einem unhaltbaren Arbeitsrhythmus.

Dies untergrub auch den Glauben an die Vorteile kollektiver Maßnahmen, aber auch wenn kollektive Maßnahmen für viele weit entfernt scheinen, zwingen konkrete Bedingungen die Arbeiter*innen dazu, nach einem Ausweg zu suchen.

Schreckliche Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne in Verbindung mit dem Arbeitskräftemangel und einem veränderten Bewusstsein aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre erklären, warum im September 2021 rekordverdächtige 3 % der US-Arbeitskräfte ihren Arbeitsplatz kündigten. Dies ist als die "Große Resignation" bekannt geworden. Die Bosse haben einen gewissen Nachteil und sind gezwungen, etwas bessere Löhne und Arbeitsbedingungen anzubieten, um Arbeiter*innen zu halten. Aber die Arbeiter*innen wären in den USA in einer viel stärkeren Position, wenn der gewerkschaftliche Organisationsgrad so hoch wäre wie vor 40 Jahren.

In Großbritannien erklären solche Kündigungen die rekordverdächtige Zahl von Arbeitsplatzwechseln im dritten Quartal des Jahres. Die Arbeiter*innen sind mit den sich verschlechternden Bedingungen einfach nicht mehr einverstanden. Als Reaktion auf den Mangel an Lkw-Fahrer*innen vereinfachte die britische Regierung die Fahrprüfungen, aber es stellte sich heraus, dass die schlechten Löhne und Bedingungen daran schuld waren.

Während die Pandemie die Arbeiter*innenbewegung kurzzeitig lähmte, wurde den Arbeiter*innen in einer ganzen Reihe von Sektoren ihre entscheidende Rolle für das Funktionieren der Gesellschaft bewusst. Andererseits sahen sie die völlige Inkompetenz der herrschenden Klasse im Umgang mit der Pandemie.

All dies, einschließlich der Peitsche der Inflation, führt unweigerlich zu Forderungen nach Löhnen und Arbeitsbedingungen. In den USA, Spanien und Indien, um nur einige zu nennen, kommt es zu Streikwellen, die zum Teil siegreich verlaufen. Die Arbeiter*innen sind nicht mehr bereit, die Last der Krise zu tragen.

Kampfbereitschaft an sich reicht jedoch nicht aus. Die Kapitalist*innen bereiten sich die ganze Zeit auf eine Konfrontation vor. Sie nutzen Spaltungs- und Herrschaftstaktiken, um Arbeiter*innen und Arme zu schwächen. Heute wird dies durch ständige repressive Maßnahmen des Staates ergänzt, die manchmal verdeckt, manchmal offen und brutal eingesetzt werden. Es ist kein Zufall, dass in den letzten Jahren in immer mehr Ländern autoritäre Figuren an die Macht gekommen sind. Gleichzeitig haben monopolistische multinationale Unternehmen beträchtliche Macht angehäuft und nutzen diese, um ihre eigene Agenda durchzusetzen.

Um der ideologischen Offensive und den direkten Angriffen der Kapitalist*innenklasse zu widerstehen, brauchen die Arbeiter*innen und die Armen ihre eigenen vereinigenden Organisationen mit demokratischen Strukturen, Diskussionen, Aktivitäten, Zeitungen und sozialen Medien. Wir brauchen demokratische und kämpferische Gewerkschaften, die bei Bedarf durch Ad-hoc-Organisationen ergänzt werden, um den Kampf zu verbreitern und zu stärken. Wir brauchen Arbeiter*innenparteien, die sich auf den sozialen Kampf stützen, mit demokratisch gewählten Anführer*innen, die bereit sind, zu mobilisieren und Initiativen zu ergreifen, die den anstehenden Herausforderungen entsprechen. Da die allgemeine Ausrichtung der Gesellschaft heute auf nationaler und internationaler Ebene entschieden wird, brauchen wir unsere eigenen internationalen politischen Organisationen mit demokratisch gewählten Vertretern, die von denselben Löhnen leben wie die Arbeiter*innenklasse.

Wenn die Arbeiter*innenklasse dies nicht leistet, schlecht organisiert ist, keine entschlossenen Aktionen, kein klares Programm und keine erprobte Führung hat, werden Rechtspopulisten und rechtsextreme Gruppierungen die massive Wut über die unerträglichen Zustände in der Gesellschaft ausnutzen, um die Arbeiter*innen und Armen weiter zu spalten und zu schwächen und ihnen schwere Niederlagen zuzufügen.

Wir brauchen ein Programm, das einen echten Ausweg bietet, das die unmittelbaren Forderungen zur Bekämpfung der Inflation mit der Notwendigkeit eines sozialistischen Wandels verbindet und sie in konkrete Aktionen und Mobilisierung umsetzt. Wir rufen dazu auf:

  1. Gewerkschaften und Konsumverbände müssen die Preise überwachen und den realen Anstieg der Lebenshaltungskosten auf der Grundlage eines Warenkorbs messen, der die realen Ausgaben der arbeitenden Menschen widerspiegelt.
  2. Eine sofortige Anhebung der Niedriglöhne und Sozialleistungen auf einen existenzsichernden Lohn, der den realen Lebenshaltungskosten entspricht, ohne die Bruttolöhne zu untergraben.
  3. Die sofortige Einführung einer gleitenden Lohnskala, um den Arbeiter*innen einen automatischen Ausgleich für den Anstieg der Lebenshaltungskosten zu bieten.
  4. Die Bücher der Unternehmen, insbesondere derjenigen, die sich während der Krise bereichert haben, sollten zur Überprüfung geöffnet werden, um ihre tatsächlichen Kosten, Gewinne, Managergehälter und Dividendenausschüttungen zu ermitteln.
  5. Unternehmen, die Steuern hinterziehen oder in Betrug verwickelt sind, müssen sofort in öffentliches Eigentum überführt und unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter*innen geführt werden.
  6. Eine sofortige "windfall tax" für Unternehmen, die durch die Pandemie oder Preiserhöhungen riesige Gewinne gemacht haben.
  7. Diese Maßnahmen sollten die Übernahme der Vermögenswerte der großen Pharma- und Versorgungsunternehmen in öffentliches Eigentum vorbereiten, damit diese als öffentliche Unternehmen unter Arbeiterkontrolle und -verwaltung geführt werden können, um die Bedürfnisse der Mehrheit der Gesellschaft zu erfüllen.
  8. Ein sofortiges Moratorium für Miet- und Hypothekenzinserhöhungen; Der sofortige Erlass der Auslandsschulden der Entwicklungsländer.
  9. Die Abschaffung der Offshore-Zonen und der spekulativen Märkte mit der Enteignung der Ressourcen, die sie derzeit enthalten.
  10. Die Übernahme der Banken und Finanzinstitutionen in öffentliches Eigentum und ihre Zusammenführung zu einem öffentlichen Finanzinstrument unter demokratischer Kontrolle sowie die Verwendung der Mittel für die Umstellung auf eine grüne, nachhaltige Planwirtschaft.
  11. Die Schaffung eines Programms für grüne Arbeitsplätze mit der Garantie, dass diejenigen, die ihre Arbeit verlagern, mindestens das frühere Lohnniveau beibehalten.
  12. Ein Programm für öffentliche Investitionen in öffentlichen, kohlenstoffneutralen und hochwertigen Sozialwohnungen für alle zu erschwinglichen Preisen.
  13. Ein Plan für öffentliche Arbeiten zur Verbesserung der vernachlässigten Infrastruktur und zur Verringerung der durch mangelnde Wartung und Reparatur verursachten Abfälle.
  14. Die Schaffung eines kostenlosen, qualitativ hochwertigen, integrierten öffentlichen Verkehrssystems, das auf nachhaltiger Energie basiert.
  15. Für die internationale Mobilisierung und Zusammenarbeit von Arbeiter*innenorganisationen über Grenzen hinweg zur Vorbereitung freiwilliger Konföderationen sozialistischer Arbeiter*innenstaaten auf der Grundlage einer demokratischen, bedarfsgerechten ökonomischen und ökologischen Planung im Gegensatz zum profitdominierten Chaos des Kapitalismus.

Vor 95 Jahren: Mord in Schattendorf und Justizpalastbrand

Katja Stranka

Schon 1918 würgt die Sozialdemokratie in Österreich die Revolution ab, beginnend mit dem Jännerstreik. Obwohl sich Räte bildeten und in Ungarn und Bayern Räterepubliken entstanden, retteten Otto Bauer, Karl Renner & Co. den Kapitalismus und setzten auf die Arbeit in einer Koalitionsregierung. Im „Roten Wien“ kam es zu einer Reihe Verbesserungen wie Gemeindebauten, Waschküchen, Kindergärten etc. Aber das Kapital wurde nicht enteignet und so blieb die Macht der Unternehmen intakt, die sich zunehmend bewaffnete Organisationen schufen, die Heimwehr und den Frontkämpferbund, um die Arbeiter*innenklasse und ihre Errungenschaften zurückzudrängen. Am 30.1.1927 organisierte der sozialdemokratische Schutzbund im burgenländischen Schattendorf einen Aufmarsch. Frontkämpfer schossen auf den Aufmarsch und ermordeten 2 Teilnehmer.

Trotzdem kam es am 15. Juli zum Freispruch der rechten Mörder. Die Beschäftigten der städtischen Elektrizitätswerke in Wien schalteten zum Protest den Strom ab. Es kam zu Massenprotesten von Arbeiter*innen und der Justizpalast ging in Flammen auf. Die „Christlich-Soziale“ Partei (Vorgängerin der ÖVP, Trägerin des Austrofaschismus) war verantwortlich für das Blutbad, das die Polizei anrichtete, als sie in die Demonstration schoss: 89 Tote und über 1.600 Verletzte. Und die Sozialdemokratie? Die Parteiführung war auf Tauchstation, reagierte nicht mal auf Anfrage - eine Taktik, die direkt in die Niederlage führte.

 

Aller Anfang ist schwer…

Teil 1 der Artikelserie: Geschichte der österreichischen Arbeiter*innenbewegung
Sebastian Kugler

Arbeiter*innenklasse und –bewegung in Österreich: Eine widersprüchliche und revolutionäre Entwicklung.

Als „ewiges Bollwerk der Barbarei“ bezeichnete Friedrich Engels das habsburgische Österreich Anfang 1848. Die Auswirkungen der englischen industriellen Revolution und der französischen sozialen Revolution brachten in Europa im 19. Jahrhunderts immer mehr den Kampf des Proletariats um das Ende jeglicher Ausbeutung auf die Tagesordnung. Doch das „biedermeierliche“ Österreich schien trotz seiner Größe und politischen Macht dem Zeitgeist hinterherzuhinken. Das hatte gute Gründe: Die Epizentren des frühen Kapitalismus hatten sich im 17. und 18. Jahrhundert ja vor allem rund um Handelsstädte an wichtigen Küsten gebildet, und davon hatte die Monarchie nur eine (Triest). Im 18. Jahrhundert hatten die Habsburger unter Maria Theresia und Joseph II. noch versucht, dem Kapitalismus Starthilfe zu verschaffen: Der Staat förderte den Handel, erste Fabriksgründungen und befreite sie vom Zunftzwang, die drückendsten Formen der Leibeigenschaft wurden abgeschafft. Ein unabhängiges und starkes Bürgertum, das in anderen Ländern der Träger dieser Entwicklungen war, bildete sich so allerdings kaum. Die Französische Revolution 1789 jagte dem Kaiserhaus schließlich einen solchen Schrecken ein, dass Kaiser Franz II/I sich alle Mühe gab, die kapitalistische Entwicklung, und mit ihr die Entstehung der neuen gesellschaftlichen Kräfte Bürgertum und Proletariat, aufzuhalten. Bauverbote für Fabriken im Wiener Umland wurden beschlossen. Auf die Förderung des Eisenbahnwesens angesprochen, antwortete der Kaiser: „Na, na, durch die Eisenbahnen käm' nur die Revolution ins Land.“

Dennoch begann das Bollwerk zu bröckeln. Ironischerweise beschleunigte sich diese Entwicklung erst nach dem konterrevolutionären Sieg Österreichs und seiner Verbündeten über das napoleonische Frankreich 1815. Vor allem die westlichen Gebiete der Monarchie wurden in den Strom des Kapitalismus gerissen. Federführend war dabei die Textilindustrie, besonders in Niederösterreich und Böhmen. Bezeichnenderweise war es vor allem ausländisches Kapital, das diese Entwicklungen in Gang setzte, wie etwa John Thornton aus Manchester, der die Technologie der englischen Textilindustrie nach Österreich brachte. Brünn (heute Brno) erlangte aufgrund seiner Textilfabriken sogar den Beinamen „Manchester Österreichs“. Den Inseln der Industrialisierung standen jedoch breite Landstriche gegenüber, die immer noch stark feudal geprägt waren: „Kennzeichnend für die stoßweise vorangetriebene frühe Industrialisierung der österreichischen Monarchie war die ungleichmäßige Entwicklung, die zu auffallenden Disproportionalitäten [Ungleichgewichten] führte.“ (Wolfgang Häusler). So entstanden die „für Österreich typischen feudal-kapitalistischen Mischverhältnisse“ (Ernst Hanisch). Die politischen Konsequenzen dieser „ungleichen und kombinierten Entwicklung“ (Leo Trotzki) waren zweierlei: Einerseits blieben Adel und Grundbesitz politisch vorherrschend – das Bürgertum war nicht nur zu schwach, eine bürgerlich-demokratische Entwicklung voranzutreiben, sondern auch unwillens, da es sich im Schoße der Monarchie entwickelt hatte und auf ihre Stabilität angewiesen war. Andererseits entstand ein modernes Proletariat, das sich sowohl gegen seine wirtschaftlichen Ausbeuter (das Bürgertum) als auch seine politischen Unterdrücker (den Adel) in Stellung brachte. Die Lage der arbeitenden Klasse in Österreich stand dabei an Armut und Elend ihrer englischen Vorgängerin um nichts nach.

Das Revolutionsjahr 1848 fand unter diesen Voraussetzungen in Österreich einen fruchtbaren Boden. Und es ist nicht verwunderlich, dass es das Proletariat war, welches die größte revolutionäre Energie entfaltete. Der 1848er-Revolutionär Violand berichtet in seinen Erinnerungen: „Die entschlossene Haltung der Arbeiter gab den entscheidenden Ausschlag […] niemand konnte auch wütender über die Zustände in Österreich sein als das Proletariat, welches für sein Leben kämpfte.“ Während im März Proletariat und Bürgertum noch gemeinsam für demokratische Rechte und soziale Verbesserungen kämpften, wechselten immer größere bürgerliche Schichten im Verlaufe des Jahres die Seiten, als sie erkannten, dass ein Sieg der Revolution den gesamten Habsburgerstaat sprengen würde. Leo Trotzki schrieb über die Ereignisse: „Die Arbeiter waren tapfer genug, die Reaktion zu zerschlagen, aber nicht organisiert und bewusst genug, um deren Erbe anzutreten. Es gab eine kraftvolle Arbeiterbewegung, aber noch keinen entwickelten Klassenkampf des Proletariats, der sich bestimmte politische Ziele gesetzt hätte.“ Dafür fehlten Erfahrung, Theorie und Organisation. Die Folgen waren blutig: Im August massakrierte die bürgerliche Nationalgarde in der „Praterschlacht“ demonstrierende Arbeiter*innen. Als im Oktober kaiserliche Truppen Wien zurückeroberten, stellte sich ihnen nur das Proletariat entgegen: Mehr als 240 der 360 Toten der Oktoberkämpfer waren Fabriksarbeiter*innen. Dennoch hatte die Klasse grundlegende Kampf- und in Form des „Ersten Wiener Allgemeinen Arbeitervereins“ auch politische Organisationserfahrung gesammelt.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Zahlen und Fakten zur Inflation

Stefan Brandl
  • Der Miniwarenkorb umfasst ca. 55 Produkte des “wöchentlichen” Bedarfs, wie Treibstoff, Lebensmittel, Hygieneprodukte und Gastronomie. Das Inflationsempfinden der Meisten lässt sich besser am Miniwarenkorb als am VPI ablesen. “Wohnen” aber fehlt und “Energie” ist unterrepräsentiert.
  • Der Mikrowarenkorb umfasst ca. 20 Produkte des “täglichen” Bedarfs, v.a. Lebensmittel, die relativ preisstabil sind.
  • Der VPI (Verbraucherpreisindex) misst Preisentwicklung bzw. Inflation - gemittelt über eine Vielzahl von Produkten. Ausgehend vom Basiswert 100 im Jahr 2000 beträgt der VPI nun 152% (2,01% pro Jahr): Man braucht nun 52% mehr Geld, um dasselbe zu kaufen. Medianlöhne sind seit 2000 um 49% (1,92% pro Jahr) gestiegen (Median: 50% der Löhne liegen darunter, 50% darüber). Ein Reallohnverlust. Und: Das unterste Viertel hat in den letzten 20 Jahren real 10,4% weniger Lohn, das oberste Viertel hat stagniert (siehe Grafik).
  • Hyperinflation gab es in Österreich 1922-24; 1924 sind die Preise auf das 14.000fache des Vorkriegsniveaus (1914) gestiegen.
  • Wohnen ist besonders stark von Teuerung betroffenen: Die Kosten sind seit 2000 um rund 70% gestiegen (2,7% pro Jahr).
  • Seit 2015 sind die Lohnstückkosten im Vergleich zu den wichtigsten Handelspartnern um knapp 5% zurückgegangen - gegenüber Deutschland über 5%. Der Grund: Die Produktivität ist überdurchschnittlich gestiegen, Löhne nur durchschnittlich.
  • Die Nettolohnquote (Anteil von Nettolöhnen am Nettoinlandsprodukt) betrug Anfang der 1980er Jahre noch ca. 75% und ist seither auf ca. 69% gesunken.
  • Reallöhne stagnieren in Österreich seit knapp 30 Jahren. Der Durchschnittswert trügt: Reallöhne unter dem Medianeinkommen sind um bis zu 20% gesunken, Reallöhne im obersten Viertel um 10% gestiegen.
  • Zombie-Unternehmen sind oft auf billiges Geld angewiesen - in Österreich betrifft das 1/5. 2010 gab es weltweit 1,9% Zombies; 2020 bereits 4,5%. Corona Hilfen in 2020/21 verzögern Insolvenzen nur und verhindern sie nicht.
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