Betrieb und Gewerkschaft

Kämpfer des Monats: Mahmoud Salehi

Mahmoud ist iranischer Gewerkschafter. Acht seiner 55 Lebensjahre war er in Haft. Nun sollen es neun weitere werden, weil er sich für Aufbau von ArbeiterInnenorganisationen einsetzte. Trotz Herz- und Nierenschäden wird er im Gefängnis misshandelt. Das CWI organisiert eine Kampagne: Freiheit für Mahmoud!

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Tarifrunde Metall: Wer Wind sät, wird Sturm ernten

Durchsetzung der Forderungen ist möglich!
Artikel unserer deutschen Schwesterorganisation der Sozialistischen Alternative (SAV)

Foto: IG Metall

Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer müsste 157 Jahre arbeiten, um das Jahreseinkommen eines Dax-Vorstandsvorsitzenden zu erzielen. Das ist die Erkenntnis aus dem diesjährigen Oxfam-Bericht, in dem festgestellt wurde, dass die Zahl der Milliardäre von 2016 bis 2017 weltweit noch nie so stark angewachsen ist. Auch in Deutschland gibt es eine schreiende Ungleichheit: die reichsten 40 Personen verfügen über das gleiche Vermögen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Die Bosse in der Metallindustrie freuen sich wieder einmal über Rekordgewinne. Umso dreister ihre Haltung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen.

IG Metall und Kampf um Arbeitszeit

Die IG Metall hat mit ihren Forderungen zum ersten Mal seit langem das Thema Arbeitszeitverkürzung auf die Tagesordnung gesetzt. Das ist positiv. Allerdings ist schade, dass gerade die potenziell kampfstarke IG Metall so bescheiden an die Frage der Arbeitszeitverkürzung heran geht und die Forderung darauf begrenzt, dass es nur für einen begrenzten Zeitraum und für einen Teil der KollegInnen gelten soll. Doch die Arbeitgeber sind inzwischen so arrogant geworden, dass sie selbst hier meinen, blockieren zu müssen.

Kampfkraft ist groß

Die Ausgangsposition für Streik ist extrem gut für die Beschäftigten! Die Durchsetzung der Forderungen ist möglich. Die bisherigen Warnstreiks wurden sehr gut befolgt. Mit 24-Stunden-Warnstreiks könnte angesichts der Auftragslage und der Just-in-Time-Produktion ein großer Druck erzeugt werden. Das gilt umso mehr, wenn zu Urabstimmung und Streik aufgerufen würde.

Keine Ausweitung nach oben!

Die Verhandlungsführer der Metallarbeitgeber wollen keinen Teillohnausgleich und gleichzeitig eine flexible Verlängerung der Arbeitszeiten auf 40 Stunden pro Woche. Eine weitere Flexiblisierung nach oben wäre aber fatal. Das, was bisher mit dem Kampf um die die 35-Stunden-Woche Mitte der 80iger Jahre erreicht wurde, würde noch weiter ausgehöhlt. Schon jetzt werden laut IG Metall in Wirklichkeit 40,6 Stunden pro Woche in der Metall- und Elektroindustrie gearbeitet. Wo soll das enden, wenn jetzt noch weiter nach oben verlängert wird?!

Bei dem Lohnausgleich darf es natürlich auch kein Zurückweichen geben. Es geht schließlich nicht um die befristete Umwandlung in Teilzeit, was sich viele überhaupt nicht leisten können. Es darf also keine Kompensationen geben. Deshalb ist wichtig, dass Druck auf die IG Metallführung und Verhandlungskommissionen gemacht wird, um nicht in die Defensive zu geraten.

30-Stunden-Woche für alle?

Wenn die Arbeitgeber jetzt so mauern, sollte in der IG Metall die Diskussion aufgemacht werden, ob man stattdessen die Forderung noch ausweitet. Es ist ein Skandal, dass die Arbeitgeber, die keine Probleme haben, KollegInnen durch Fremdvergabe und Leiharbeit zu unterschiedlichen Löhnen für die gleiche Arbeit nebeneinander arbeiten zu lassen, jetzt bei der Forderung nach dem Anrecht auf Arbeitszeitverkürzung meinen, das sei unzulässig, weil Ungleichheit geschaffen würde.

Dennoch – wenn sie darauf bestehen, könnte man auch das Argument umdrehen und sagen – dann fordern wir die Arbeitszeitverkürzung für alle – bei vollem Lohn- und Personalausgleich– zum Beispiel auf 30 Stunden. Das wäre völlig gerechtfertigt, angesichts des Produktivitätszuwachses seit der letzten Arbeitszeitverkürzung.

Und es wäre eine klare Forderung, die mobilisierend auf alle Kolleginnen und Kollegen wirken würde. Die jetzige Kampfkraft sollte unbedingt genutzt werden, um in die Offensive zu kommen. Und wenn schon richtig streiken, warum dann nicht gleich so, dass es sich lohnt?!

Zusammen kämpfen!

Auch für andere Bereiche laufen Tarifrunden: öffentlicher Dienst, Post, Telekom, Bauhauptgewerbe und andere, insgesamt sind zur Zeit für sechs Millionen Beschäftigte. Die Probleme sind überall dieselben: zu viel Arbeitsdruck und zu wenig Geld. Es wäre an der Zeit, gemeinsam auf die Straße zu gehen!

Gemeinsame Proteste und Demonstrationen während der Streiks könnten ein starkes Signal setzen, dass sich gemeinsames Kämpfen lohnt.

So könnte eine gesellschaftliche Bewegung für Umverteilung von oben daraus entstehen. Das ist angesichts der Tatsache, dass CDU/CSU und SPD auf Steuererhöhungen für die Reichen verzichten wollen und gleichzeitig eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes anstreben, umso dringender.

„Dumm, dreist, töricht“

Mit diesen Worten bezeichnete vor gut 35 Jahren der damalige CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl die Forderung der Gewerkschaft IG Metall und der Gewerkschaft Druck und Papier nach der 35-Stunden-Woche. Die Arbeitgeber gingen zum Frontalangriff über und reagierten mit Aussperrung von einer halben Million Beschäftigten auf die Arbeitskampfmaßnahmen. Mit Streik über mehrere Wochen, begleitet von Warnstreiks und Demonstrationen, konnte der Einstieg in die 35 Stunden-Woche erkämpft werden.

Leider wurde durch verschiedene Maßnahmen das Rad der Geschichte wieder zurück gedreht. Es ist ein untragbarer Zustand, dass man kaum noch Möglichkeiten sieht, sich genug um Angehörige zu kümmern oder zu wenig Zeit für die Kinder hat. Mit der Forderung nach einer weiteren Arbeitszeitverkürzung für alle, wie der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, könnte man zwei sinnvolle Dinge erreichen:

Erstens mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen: Dieser Slogan aus den Zeiten des Arbeitskampfes um die 35-Stunden-Woche hat heute – in Zeiten von permanentem Druck sogar eine größere Bedeutung als damals.

Zweitens Verhinderung von Arbeitsplatzabbau: Wenn die Bosse damit drohen, dass mit der Digitalisierung und Automatisierung ein Teil der menschlichen Arbeitskraft überflüssig wird, muss die Gewerkschaft sagen: Wenn es technischen Fortschritt gibt, dann weil die Beschäftigten ihn geschafften haben. Entsprechend soll dieser auch für die Beschäftigten genutzt werden. Daher: Verteilung der Arbeit auf alle – ohne Lohnabstriche!

Diese Forderung muss auch da gelten, wo die Konzernchefs von Siemens, General Electrics und anderen auf einmal entlassen wollen, obwohl sie Rekordgewinne eingefahren haben. Wenn sie das nicht einsehen, sollten sie enteignet werden. Unter demokratischer Kontrolle von Beschäftigten, Gewerkschaften und Staat könnte ein Plan für sinnvolle Produktion erstellt werden – bei Erhalt aller Arbeitsplätze.

3000 auf der Straße für bessere Bezahlung und eine 35-Stundenwoche im Sozialbereich

Kämpferische und entschlossene Stimmung als Rückenwind für Kampfmaßnahmen
Christoph Glanninger, aktiv bei Sozial aber nicht blöd und der Sozialistischen LinksPartei

Sozial aber nicht blöd Block

 

 

Bis zu 3000 Beschäftigte des privaten Gesundheits- und Sozialbereichs beteiligten sich am 24.1. an einer von den Gewerkschaften Vida und GPA-djp organisierten Demonstration über die Mariahilfer Straße.

Grund für die Demonstration ist die Unterbrechung bei den Kollektivvertragsverhandlungen im SWÖ-KV (Sozialwirtschaft Österreich, früher BAGS). Die Arbeitgeber weigern sich, die Gewerkschaftsforderungen nach einer ordentlichen Lohn- und Gehaltserhöhung sowie einer 35-Stundenwoche bei vollem Lohn und Personalausgleich zu erfüllen. Dabei verdienen Beschäftigte im privaten Sozialbereich ohnehin schon deutlich weniger als der österreichische Durchschnitt und viele KollegInnen werden von den belastenden Arbeitsbedingungen ins Burnout getrieben.

Im Vergleich zu der Demonstration im letzten Jahr nahmen mindestens dreimal so viele KollegInnen teil. Die große Beteiligung an der Demonstration zeigte auch, dass viele KollegInnen nicht mehr bereit sind, diesen Zustand länger zu akzeptieren. Auch der drohende Sozialabbau durch die schwarz-blaue Bundesregierung war für viele KollegInnen ein weiterer Grund, an der Demonstration teilzunehmen.

 

Block von „wir sind Sozial aber nicht blöd“ - streiken würd ich liken!

AktivistInnen der Basisinitiative „wir sind sozial aber nicht blöd“ (SANB) beteiligten sich nicht nur an der Demonstration, sondern organisierten auch schon im Vorfeld eine Auftaktkundgebung auf der Mariahilfer Straße. „Wir sind Sozial aber nicht blöd“ ist ein Zusammenschluss von Beschäftigten, BetriebsrätInnen und GewerkschaftsaktivistInnen im Sozialbereich, der unter anderem auch von der SLP unterstützt wird.

Auf der Auftaktkundgebung machten AktivistInnen von SANB klar, dass Verhandlungen nicht ausreichen werden, um die Arbeitgeber zum Einlenken zu zwingen. Um echte Verbesserungen zu erzwingen, müssen wir in die Offensive gehen und dürfen auch vor Streikmaßnahmen nicht zurückschrecken. Den Mut zum Streik forderte auch Selma Schacht, Betriebsratsvorsitzende der Kinder- und Jugendbetreuung Wien und Aktivistin bei Sozial aber nicht blöd, bei einer Rede von der Hauptbühne ein.

AktivistInnen verteilten dutzende Schilder mit Slogans wie „Streiken würd ich liken“ oder „Streiken geht auch im Sozialbereich“, „Mut zum Streiken“ und „Lieber Streik statt schlechter Abschluss“. Für viele KollegInnen waren diese Schilder, genauso wie der lautstarke SANB-Block, eine Möglichkeit zu zeigen, dass sie dieses Mal keinen faulen Abschluss, sondern offensive Maßnahmen für echte Verbesserungen fordern.

Unser Block war von einer kämpferischen Stimmung und vielen Parolen für einen Streik geprägt. Mit 2 Megaphonen machten "sozial, aber nicht blöd" -AktivistInnen gemeinsam mit KollegInnen aus dem Betriebsrat der Wiener Kinder- und Jungendbetreuung Stimmung. Immer wieder begleiteten uns KollegInnen aus verschiedenen Betrieben - oft eine gute Gelegenheit, darüber zu sprechen, wie ein Streik im Februar im betroffenen Betrieb der KollegInnen ausschauen könnte.

 

Jetzt in die Offensive gehen und Kampfmaßnahmen vorbereiten!

Am 25.1. findet die nächste Verhandlungsrunde statt. Falls die scheitert, haben die Gewerkschaften Streikvorbereitungen angekündigt. Wir müssen in den nächsten Tagen und Wochen dafür sorgen, dass wir in den verschiedenen Betrieben und Einrichtungen auch wirklich Möglichkeiten finden, wie wir einen Streik organisieren können. Natürlich ist streiken im Sozialbereich immer schwer, aber in den meisten Betrieben gibt es die Möglichkeit, durch kleinere und größere Streikmaßnahmen starken Druck auszuüben.

Und die Beschäftigten im Sozialbereich sind nicht alleine. Die positiven Reaktionen von PassantInnen auf der Demonstration zeigen, dass viele Menschen uns bei kommenden Auseinandersetzungen unterstützen würden.

Nutzen wir die kommenden Tage, um uns auf Auseinandersetzungen vorzubereiten und machen wir der Gewerkschaftsführung auch klar, dass wir dieses Mal keinen schlechten Abschluss akzeptieren werden.

Wenn du uns dabei helfen willst, melde dich einfach bei „sozial aber nicht blöd“.

 

Email: sozialabernichtbloed@gmx.at

Facebook: https://www.facebook.com/sozialabernichtbloed/ 

Verhandlungen beim Werbe-KV

Verhandlungen beim Werbe-KV: Für 4% eine echte IST-Erhöhung und Nein zu Arbeitszeitflexibilisierung!
Laura Rafetseder, Ersatzbetriebsrätin in einem österreichischen Medienbetrieb im Werbe-KV, Irene Mötzl, Betriebsrätin Wohnservice Wien (ebenfalls Werbe-KV)

Proteste während den KV-Verhandlungen 2017

Ende November 2017 haben wieder die Lohn- und Gehaltsverhandlungen für die Wiener Beschäftigen der Werbewirtschaft begonnen. In den letzten Jahren waren immer wieder Mobilisierungen rund um den sogenannten "Werbe-KV“ nötig. Der Werbe-KV, an sich bereits Ausweich-KV für Unternehmen die dort gar nicht hingehören, stand von Arbeitgeberseite immer wieder unter Beschuss. Sowohl 2012 wie auch 2017 konnte durch Mobilisierungen, wie öffentliche Betriebsversammlungen, ein KV-Abschluss erkämpft werden. Diese Mobilisierungen zeichneten sich durch kämpferische Stimmung und gute Beteiligung durch die KollegInnen aus. Die Art und Weise, wie die Abschlüsse erzielt wurden - hinter verschlossenen Türen, ohne Einbindung der KollegInnen die gekämpft hatten - hat aber dazu beigetragen, dass Forderungen der KollegInnen, wie jene nach einer IST-Erhöhung (dh viele KollegInnen die über dem Mindestlohn bezahlt werden, erhalten die KV-Erhöhung nicht weitergereicht) nicht umgesetzt wurden oder dass faule Kompromisse eingegangen wurden. 2017 ist der Abschluss sogar ohne Rücksprache mit den BetriebsrätInnen der Branche erfolgt. Das hat viele KollegInnen (zu recht) sehr wütend gemacht und Vertrauen in die Gewerkschaft gekostet. Aber gerade wenn es Kampfmaßnahmen braucht, ist Vertrauen in die Gewerkschaft notwendig! Wir brauchen demokratische Gewerkschaften in denen die Meinung der Mitglieder auch zählt!

Nicht zuletzt auf Druck der Arbeitgeber wurde vergangenes Jahr ein Reformprozess für den KV vereinbart, in dem das Rahmenrecht neu verhandelt werden sollte. Reformen sind etwas Gutes, wenn sie Verbesserungen bedeuten - wenn ein „KV neu“ z.B. eine IST-Lohnerhöhung oder Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn beinhaltet. Solche Verbesserungen dürfen jedoch nicht gegen Verschlechterungen in anderen Bereichen eingetauscht werden. Es steht zu befürchten, dass die Arbeitgeber Verschlechterungen in den KV hineinverhandeln wollen, z.B. bei der Arbeitszeit. Arbeitgeber zahlreicher Branchen versuchen derzeit "Flexibilisierungen" zulasten der Beschäftigten in die KVs zu bekommen. Gerade jetzt verspüren sie Rückenwind, wo die politische Großwetterlage im Zeichen von Angriffen auf die Rechte von Beschäftigten steht, wie der von der Regierung angekündigte 12h-Tag. Ein glaubwürdiger Kampf gegen die Ausweitung der Arbeitszeitgrenzen ist schwer möglich, wenn hier von Gewerkschaftsseite Zugeständnisse an die Arbeitgeber gemacht würden.

Selbst wenn das Verhandlerteam der Arbeitgeberseite diesmal ein freundlicheres Gesicht aufsetzen würde: Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir auch diesmal wieder kämpfen müssen, um Angriffe zu verhindern. Die Forderungen der ArbeitnehmerInnenseite sollte sein: 4% Gehaltserhöhung, eine Erhöhung auch der tatsächlichen „IST-Gehälter“ anstatt nur der KV-Mindestlöhne sowie ein deutliches Nein zu jeder Form von Verschlechterungen bei den Arbeitszeiten. Wir brauchen, um diese Forderungen durchzusetzen, einen Mobilisierungsplan, der an den Kämpfen der letzten Jahren anschließt:

  • Eine Organisierungskampagne um auch jene KollegInnen zu erreichen, die noch nicht gewerkschaftlich organisiert sind, und um über den Stand der Verhandlungen zu informieren.

  • Proteste auf der Straße sowie

  • Öffentliche Betriebsversammlungen im Rahmen eines Aktions- und Streiktages.

Um eine spürbare Gehaltserhöhung und eine gute "IST-Regelung" zu erreichen, braucht es wirtschaftlichen Druck aus den Betrieben. Kampfmaßnahmen wie z.B. Streiks sind aber kein Kinderspiel - besonders in einer zersplitterten und schwer zu organisierenden Branche. Die beteiligten KollegInnen riskieren viel. Für eine erfolgreiche Durchführung von Streiks müssen die Bedenken vieler KollegInnen im Vorfeld ernst genommen und ausgeräumt werden. Aktive KollegInnen, BetriebsrätInnen und die Gewerkschaft GPA-djp sollten daher beginnen, die Belegschaften über die Notwendigkeit von Streiks aufzuklären und den konkreten Ablauf von Streiks vorzubereiten. Je besser vorbereitet und je demokratischer ein Arbeitskampf ist, um so größer ist die Beteiligung und damit wird er erfolgreicher und auch „sicherer“ für die Beteiligten. Schon die Vorbereitungsarbeiten würden den UnternehmerInnen zeigen, dass es uns mit einer spürbaren Gehaltserhöhung und der Durchsetzung einer IST-Regelung ernst ist.

Die Vergangenheit hat gezeigt: Mit Druck aus den Betrieben können wir erfolgreich sein. Mit Protesten im Rücken lässt es sich am besten verhandeln. Um eine demokratische Entscheidung der Betroffenen zu ermöglichen, dürfen Abschlüsse nicht hinter verschlossenen Türen zu Stande kommen, sondern sollten nach einer demokratischen Debatte auf Betriebsversammlung einer Urabstimmung aller betroffenen KollegInnen unterzogen werden.

Die Erfahrung hat gezeigt: man kann KollegInnen nicht beliebig anknipsen (also für Aktionen mobilisieren) und dann wieder ausknipsen (die Mobilisierung beenden ohne die KollgeInnen zu fragen, ob sie mit dem Ergebnis zufrieden sind). Wir Beschäftigte wollen Ergebnisse sehen wenn wir kämpfen, wir wollen über diese Ergebnisse gut informiert werden und darüber entscheiden können ob wir mit dem Ergebnis einverstanden sind!

Laura Rafetseder, Ersatzbetriebsrätin in einem österreichischen Medienbetrieb im Werbe-KV, Irene Mötzl, Betriebsrätin Wohnservice Wien (ebenfalls Werbe-KV)

(Der Artikel gibt die Ansicht der Autorinnen wieder)

 

 

Geschenkt ist nix - Arbeitszeitverkürzung erkämpfen

Die Herrschenden haben den ArbeiterInnen noch nie etwas geschenkt, jede Verbesserung wurde erkämpft.
Manuel Schwaiger

In den letzten 150 Jahren wurden in zahlreichen Staaten gesetzliche oder kollektivvertragliche Beschränkungen der Arbeitszeit pro Woche und pro Tag eingeführt. Doch die Herrschenden haben der arbeitenden Mehrheit der Bevölkerung noch nie etwas geschenkt, jede Verbesserung, jede Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnkürzung, musste hart erkämpft werden.

Am Beginn der kapitalistischen Gesellschaft, in der Zeit während der industriellen Revolution, gab es keine Regelungen der Arbeitszeit. Der Arbeitstag dauerte zwischen 12 und sogar 16 Stunden, die Arbeitswoche hatte sechs Tage – und zwar für Männer, Frauen und Kinder. Die Arbeits- und Lebenssituation der ArbeiterInnen und ihrer Familien war menschenunwürdig.

So überrascht es nicht, dass die Forderung nach einer Begrenzung der Arbeitszeit eine der ersten Forderungen der sozialistischen und der ArbeiterInnen-Bewegung war. Mitte des 19. Jahrhunderts kam es im Mutterland der industriellen Revolution, England, zu ersten Beschränkungen des Arbeitstages auf zehn Stunden. Die Maßnahme wäre nie umgesetzt worden ohne den Druck der ArbeiterInnen, die sich zu Tausenden auf öffentlichen Versammlungen und mit Kampfmaßnahmen in der wachsenden ArbeiterInnenbewegung für die Verkürzung der Arbeitszeit aussprachen.

Der 1. Mai, bis heute Kampftag der internationalen ArbeiterInnenbewegung, erinnert an einen Streik in Chicago für den 8-Stunden-Tag, der von den Behörden gewaltsam niedergeschlagen wurde.

Auch in Österreich war die Einführung des 8-Stunden-Tages Ergebnis der Organisierung und Kampfbereitschaft von Beschäftigten. Erstmals wurde eine solche Beschränkung in der revolutionären Phase nach dem 1. Weltkrieg eingeführt, als sich auch in Österreich ArbeiterInnen in Räten organisierten und die Verwaltung zahlreicher Betriebe übernahmen. Die Herrschenden waren zu Zugeständnissen gezwungen, da sie sonst ihre Entmachtung durch die ArbeiterInnenräte fürchteten. Doch die Arbeitszeitbeschränkung blieb ihnen ein Dorn im Auge. Die Arbeitszeit wieder zu erhöhen war eine der ersten Maßnahmen zuerst der Austrofaschisten und dann der Nazis – so schnellten die Profite der Industriellen in die Höhe. Die Lage der ArbeiterInnen verschlechterte sich, wer protestierte wurde verfolgt oder gar ermordet.

Mit dem Ende des Faschismus erstarkten die ArbeiterInnenbewegung und die Gewerkschaften wieder. Vor dem Hintergrund des Nachkriegsaufschwunges, der Systemkonkurrenz mit dem „Ostblock“ und einer selbstbewussten ArbeiterInnenbewegung sank zwischen 1958 und 1975 die Arbeitszeit pro Woche von 48 auf 40 Stunden, immer bei vollem Lohn, die Reallöhne verdoppelten sich.

In den 1970er-Jahren kam es in Deutschland zwischen einzelnen Gewerkschaften und den Industriellen zu einigen der längsten Arbeitskämpfe der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zuvor war die Arbeitslosigkeit deutlich gestiegen, es kam zu Massenentlassungen in der Druckindustrie und einem Abbau von 10% der Stellen in der Metallindustrie. Die Gewerkschaftsführung, die sich in den vorrangehenden Jahren auf jeden noch so faulen Kompromiss eingelassen hatte, kam nun unter den Druck der Basis. Zwischen 1978 und 1984 kam es dann zu einer Reihe von Streiks in mehreren deutschen Bundesländern, vor allem in der Metall- und Druckindustrie. Die Streiks führten zu einer Reihe von Verbesserungen, etwa zu der Einführung der 6. Urlaubswoche in mehreren Branchen sowie einer je nach Branche unterschiedlich starken Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Nicht nur DruckerInnen und MetallerInnen konnten solche Verbesserungen erzielen - die Angst vor Streiks ließ in diesen Fragen auch die Unternehmerverbände z.B. beim Einzelhandel und bei Banken und Versicherungen einknicken. Jedoch wurden die Streiks durch die Gewerkschaftsführung praktisch ausnahmslos zu früh abgebrochen und gingen mit umfangreichen Zugeständnissen bei „flexibleren“ Arbeitszeiten einher.

Dass eine 35-Stunden Woche dennoch durchsetzbar ist, zeigte die Stadtregierung von Liverpool in den 1980er Jahren. In dieser waren AktivistInnen von Militant, der damals in der britischen Sozialdemokratie aktiven Vorgängerorganisation unserer britischen Schwesterpartei Socialist Party, führend. Neben einer ganzen Reihe anderer sozialer Maßnahmen wurde die Arbeitszeit pro Woche bei den öffentlich Bediensteten auf 35 Stunden begrenzt.

Für die Bosse sind Arbeitszeitregulierungen nie wirklich dauerhaft, sondern nur Zugeständnisse. In Österreich schreien Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer nach „Arbeitszeitflexibilisierung“ und meinen damit den 12-Stunden-Tag.

Niemand schenkt uns etwas. Wenn wir diese Verschlechterungen verhindern und wieder Verbesserungen erreichen wollen, dann müssen wir uns dafür politisch organisieren, demonstrieren und streiken.

 

Der ganze Schwerpunkt zum (Klassen)kampf um die Arbeitszeit:

  • Der (Klassen)kampf um die Arbeitszeit von Karin Karin Wottawa

https://www.slp.at/artikel/der-klassenkampf-um-die-arbeitszeit-8651

  • Her mit der 30h Woche bei vollem Lohn! Von Christian Bunke

https://www.slp.at/artikel/her-mit-der-30-stunden-woche-bei-vollem-lohn-8652

  • Marx aktuell: "Normalität" des Achtstundentagen von Thomas Hauer

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-%E2%80%9Enormalit%C3%A4t%E2%80%9C-des-achtstundentages-8653

  • Zahlen und Fakten: Arbeitszeit in Österreich

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-arbeitszeit-in-%C3%B6sterreich-8654

  • Geschenkt ist nix – Arbeitszeitverkürzung erkämpfen! Von Manuel Schweiger

https://www.slp.at/artikel/geschenkt-ist-nix-arbeitszeitverk%C3%BCrzung-erk%C3%A4mpfen-8655

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Zahlen und Fakten: Arbeitszeit in Österreich

  • In kaum einem anderen EU-Land wird so lange gearbeitet wie in Österreich. Nur in Griechenland und Großbritannien gibt es längere Arbeitszeiten. Während die Arbeitshetze ansteigt, nimmt die Teilzeitarbeit zu. 2004 arbeiteten 20% hierzulande Teilzeit. 2014 waren es schon 27%. Ohne Lohnausgleich.
  • Ursache der langen Arbeitszeiten sind v.a. die vielen Überstunden. Die sind nötig, weil 46 % kaum oder nicht mit ihrem Einkommen auskommen. Über 60 Millionen Überstunden pro Jahr werden allerdings nicht bezahlt und insgesamt rund 1,8 Millionen Wochenarbeitsstunden werden mehr gearbeitet als gewünscht. Überstunden sind also keineswegs freiwillig.
  • Rund 45% aller Menschen sind neben dem Beruf ehrenamtlich aktiv in Katastrophenschutz, Bildungs-, Rettungs- und Gesundheitswesen, Integrationsarbeit, Kultur- und Sporteinrichtungen, politischen und religiösen Einrichtungen etc. Es werden hier pro Jahr geschätzte 15 Millionen unbezahlte Arbeitsstunden geleistet.
  • Das österreichische Arbeitszeitgesetz sieht eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 40 Stunden, verteilt auf 8 Stunden pro Tag vor. Die letzte kollektivvertragliche (nicht gesetzliche!) Arbeitszeitverkürzung auf 38,5 Stunden gab es in den 1980er Jahren.
  • Nach sechs Stunden Arbeit ist eine Pause von mindestens 30 Minuten vorgeschrieben. Nach Beendigung der Arbeitszeit soll elf Stunden geruht werden. Kollektivverträge können diese Pause auf acht Stunden verkürzen.
  • Im Schichtdienst, bei Arbeitszeiten mit hohem Reiseanteil oder wenn einem Unternehmen ein „unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Nachteil droht“ sind 12 Stunden Arbeitstage schon jetzt zulässig. Das Krankenanstalten-Arbeitsgesetz und auch der Öffentliche Dienst erlauben eine Tagesarbeitszeit bis zu 13 Stunden. Zusätzlich sind verlängerte Dienste erlaubt. Pflegekräfte dürfen 25 Stunden, ÄrztInnen 32 Stunden am Stück arbeiten.
  • Das Unfallrisiko steigt ab der 7. geleisteten Arbeitsstunde massiv an, nach einem 12-Stunden-Tag ist es doppelt so hoch. Auch körperliche Beschwerden nehmen ab diesem Zeitpunkt zu. Der Organismus braucht ca. drei Tage, um sich von einem 12-Stunden-Tag so zu erholen.

 

Der ganze Schwerpunkt zum (Klassen)kampf um die Arbeitszeit:

  • Der (Klassen)kampf um die Arbeitszeit von Karin Karin Wottawa

https://www.slp.at/artikel/der-klassenkampf-um-die-arbeitszeit-8651

  • Her mit der 30h Woche bei vollem Lohn! Von Christian Bunke

https://www.slp.at/artikel/her-mit-der-30-stunden-woche-bei-vollem-lohn-8652

  • Marx aktuell: "Normalität" des Achtstundentagen von Thomas Hauer

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-%E2%80%9Enormalit%C3%A4t%E2%80%9C-des-achtstundentages-8653

  • Zahlen und Fakten: Arbeitszeit in Österreich

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-arbeitszeit-in-%C3%B6sterreich-8654

  • Geschenkt ist nix – Arbeitszeitverkürzung erkämpfen! Von Manuel Schweiger

https://www.slp.at/artikel/geschenkt-ist-nix-arbeitszeitverk%C3%BCrzung-erk%C3%A4mpfen-8655

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Marx aktuell: „Normalität“ des Achtstundentages

Thomas Hauer

Um die Produkte des menschlichen Bedarfs herzustellen, braucht die Gesellschaft Werkzeuge, Geräte, Maschinen - kurz gesagt Produktionsmittel. Der Großteil dieser Produktionsmittel befindet sich im Kapitalismus im Besitz der KapitalistInnen. Da es aber nicht ausreicht, Maschinen zu besitzen, um Güter zu erzeugen, benötigt „die Wirtschaft“ auch menschliche Arbeitskraft. Die Masse der Gesellschaft besitzt keine Produktionsmittel, mit der sie Produkte erzeugen kann, die sie dann verkaufen kann. Das Einzige, was die breite Masse verkaufen kann, ist sich selbst in Form ihrer Arbeitskraft. Also geht der/die ArbeiterIn einen Vertrag mit dem/der KapitalistIn ein, um mit deren Produktionsmittel Güter zu produzieren bzw. als Angestellte/R diverse Dienstleistungen zu erbringen. Dieser Vertrag legt fest, wie lange die ArbeitnehmerInnen (wobei dieser Begriff eigentlich falsch besetzt ist, da die Beschäftigten ihre Arbeit(skraft) hergeben) arbeiten, und wie viel Geld sie dafür erhalten (und zwar im Wesentlichen so viel, um ihre Arbeitskraft zu erhalten). Die ArbeiterInnen produzieren dabei nicht nur Waren, die dem Wert ihrer Entlohnung entsprechen, sondern erzeugen darüber hinaus mehr Wert, also Mehrwert, der dem Kapitalisten bleibt. Bei einer Erhöhung der täglichen Arbeitszeit und bei einer Intensivierung der Arbeit, bei gleichbleibendem Lohn, steigt also die Zeit, in der die Beschäftigten für den Gewinn der Eigentümer wirtschaften. Wird die Arbeitszeit erhöht, steigt der absolute Mehrwert, bleibt sie gleich, wird aber intensiver gearbeitet, steigt der relative Mehrwert.

In Österreich und vielen anderen westlichen Ländern sind diese Verträge bezüglich Arbeitszeit seit Jahrzehnten so geregelt, dass die tägliche „Normalarbeitszeit“ acht Stunden und die wöchentliche 40 bzw. 38,5 beträgt. Diesen Zustand haben wir mittlerweile schon so lange, dass er für mehrere Generationen bereits als Naturgesetz erscheint – obwohl er für viele immer weniger mit der realen Arbeitssituation zu tun hat.

Marx schreibt dazu im 1. Band des Kapitals: „Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normierung des Arbeitstags als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar - ein Kampf zwischen dem Gesamtkapitalisten, d.h. der Klasse der Kapitalisten, und dem Gesamtarbeiter, oder der Arbeiterklasse“ (Das Kapital, Band I)

Das Ganze hat aber nichts mit Naturgesetzen zu tun, sondern mit dem Nachkriegsaufschwung, der Spielraum für Zugeständnisse bei der Arbeitszeit brachte – die aber dennoch erkämpft werden mussten. Dieser Aufschwung ebbte in den 1970ern ab und der Wettlauf um die Märkte begann intensiver zu werden. Auch wurde es immer schwieriger, hohe Profitraten zu erzielen. Also versucht das Kapital, den Kostenfaktor Arbeitskraft durch erhöhten Arbeitsdruck und Verlängerung der Arbeitszeit zu reduzieren, um so den erzeugten Mehrwert der einzelnen ArbeiterInnen zu erhöhen. Als ArbeiterInnen wehren wir uns natürlich dagegen – schließlich bedeutet diese Mehrarbeit nur mehr Profit für die KapitalistInnen. Wir kämpfen dagegen für eine Verkürzung der Arbeitszeit, um diese Ausbeutung zu verringern – und letztendlich abzuschaffen.

 

Der ganze Schwerpunkt zum (Klassen)kampf um die Arbeitszeit:

  • Der (Klassen)kampf um die Arbeitszeit von Karin Karin Wottawa

https://www.slp.at/artikel/der-klassenkampf-um-die-arbeitszeit-8651

  • Her mit der 30h Woche bei vollem Lohn! Von Christian Bunke

https://www.slp.at/artikel/her-mit-der-30-stunden-woche-bei-vollem-lohn-8652

  • Marx aktuell: "Normalität" des Achtstundentagen von Thomas Hauer

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-%E2%80%9Enormalit%C3%A4t%E2%80%9C-des-achtstundentages-8653

  • Zahlen und Fakten: Arbeitszeit in Österreich

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-arbeitszeit-in-%C3%B6sterreich-8654

  • Geschenkt ist nix – Arbeitszeitverkürzung erkämpfen! Von Manuel Schweiger

https://www.slp.at/artikel/geschenkt-ist-nix-arbeitszeitverk%C3%BCrzung-erk%C3%A4mpfen-8655

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Her mit der 30 Stunden Woche bei vollem Lohn!

Wachsender Arbeitsdruck, Stress und Überstunden. Das ist der Alltag vieler Lohnabhängiger. Gleichzeitig nimmt ungewollte Teilzeitbeschäftigung zu. Eine 30 Stundenwoche für alle muss her.
Christian Bunke

Die Firma „Henry am Zug“ ist für das Catering von ÖBB-Fahrgästen zuständig. Die Beschäftigten schuften 17 Stunden am Stück. Ohne Pause. Der von der Gewerkschaft Vida ausgehandelte Kollektivvertrag sieht eine Arbeitszeit von „nur“ 12 Stunden vor.

In einem Wiener Bürobetrieb sorgt ein Personalnewsletter der Geschäftsleitung für Erheiterung. Man solle die Diensthandies am Wochenende ausschalten und die Zeit mit der Familie verbringen, ist dort zu lesen. Das sei außerdem für die Gesundheit gut. Allerdings: Die selbe Geschäftsleitung fordert die Erreichbarkeit per Diensthandy vehement ein.

Arbeitszeit betrifft uns alle. Und damit ist nicht nur die Zeit gemeint, die wir „in der Arbeit“ verbringen. „Arbeitszeit“ umfasst auch jene Bereiche, die zwar Arbeit bedeuten, aber nicht bezahlt werden: Hausarbeit, Einkaufen, Kinderbetreuung, die Pflege kranker oder gebrechlicher Verwandter etc.

Die anfallende Arbeit ist ungerecht verteilt. Frauen arbeiten insgesamt länger, allerdings ist weniger dieser Zeit bezahlt als bei Männern. Die wöchentliche Gesamtarbeitszeit schrammt bei beiden an der 70 Stunden-Marke. Männer leisten mehr Lohnarbeit, machen sich dafür bei Haushalt, Kinderversorgung oder Pflege rar. Frauen kriegen einen kleineren Teil des Kuchens „Lohnarbeit“, dafür „dürfen“ sie länger unbezahlte Arbeit verrichten. Und mit jeder Schließung einer Spitalsabteilung, mit jedem Kostenbeitrag für Kinderbetreuung, mit jeder Verringerung von Pflegeeinrichtungen wird diese unbezahlte Arbeit mehr.

Zufrieden ist aber kaum wer mit der Situation. Viele wollen kürzer arbeiten, weil der Druck zu hoch ist, viele aber auch länger, weil sie das Geld dringend brauchen. Oft finden sich beide Wünsche in einer Person wieder.

Es ist absurd. Während der Arbeitsstress für Vollzeitbeschäftigte jedes Jahr ansteigt, sinkt seit 1995 jedes Jahr die Zahl der Vollzeitjobs. Auch das betrifft vor allem Frauen, die in schlecht bezahlte Teilzeitjobs gedrängt werden, deren Lohn zum Leben nicht reicht.

Gleichzeitig diskutieren die PolitikerInnen über eine Verlängerung der Arbeitszeit und die Einführung des 12 Stundentages. Schon jetzt wird die anfallende Arbeit in vielen Betrieben extrem verdichtet. Die Produktivität steigt, die Zahl der Beschäftigten aber nicht. Es sind nicht nur modernere Maschinen, sondern ganz stark auch erhöhter Arbeitsdruck, der die Gewinne erhöht, aber die Beschäftigten in die Dauererschöpfung treibt. Den meisten LeserInnen fallen Beispiele aus dem eigenen Arbeitsleben dazu ein...

Die SLP fordert eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn – als ersten Schritt braucht es die 30 Stundenwoche. Die anfallende Arbeit muss auf alle Schultern verteilt werden. Und zwar nicht nur die bezahlte Arbeit. Da ist es mit einer Arbeitszeitverkürzung allein aber nicht getan. Es braucht mehr und bessere Kindergärten, mehr und bessere Pflegeeinrichtungen. Es braucht eine Gesellschaft, in der alle anfallenden Arbeiten wirklich als gesellschaftliche Aufgabe gesehen werden und nicht mehr „privatisiert“ werden. Auch Putzen, Wäsche und Kochen kann zu einem großen Teil durch Maschinen und professionelle öffentliche Einrichtungen übernommen werden.

Eine 30 Stundenwoche wäre auch ein effektives Mittel zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Auch diese ist ein Ergebnis der ungleich verteilten gesellschaftlichen Arbeit. Einerseits schaffen immer weniger Firmen neue Jobs, andererseits fallen Jobs im öffentlichen Dienst oder dem Gesundheitswesen zunehmend Einsparungen zum Opfer. Gerade im Gesundheitswesen wird absurd lange gearbeitet. Laut Arbeiterkammer entspricht allein das Volumen der unfreiwillig in Österreich geleisteten Überstunden 50.000 Vollzeitjobs. Insgesamt werden in Österreich 270 Millionen Überstunden geleistet. Das entspricht 150.000 Vollarbeitsplätzen. Die durch Arbeitszeitverkürzung neu entstehenden Jobs sind hier noch gar nicht eingerechnet.

Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Schon im Jahr 1909 verfasste Sidney Chapman, Chefberater der damaligen britischen Regierung, einen Bericht, in dem er eine Arbeitszeitverkürzung als „produktivitätssteigernd“ bezeichnete. Diese scheitere aber an der „Kurzsichtigkeit der Unternehmer“. Sein pessimistisches Fazit: „Der freie Markt produziert zu lange Arbeitszeiten“.

Ähnlich hieß es 2013 in einem Aufruf zahlreicher deutscher WissenschafterInnen für die Einführung der 30 Stundenwoche: „Die faire Teilung der Arbeit trägt sowohl den Interessen der Beschäftigten als auch der Arbeitslosen gleichermaßen Rechnung.“

Doch der Trend geht in die andere Richtung. Die täglich und wöchentlich erlaubte Arbeitszeit soll erhöht und Überzahlungen (für Überstunden, Nachtarbeit etc.) reduziert werden. Argumentiert wird das mit dem Wirtschaftsstandort Österreich, der im internationalen Wettbewerb fit werden/bleiben müsse. Und weil Profite das Ziel sind, ist das Mittel zur Wettbewerbssteigerung die Kostensenkung. Und das bedeutet, aus den Beschäftigten mehr für weniger Geld heraus zu holen. Die Hoffnung, dass dann alle von einem Wettbewerbsvorteil profitieren würden, erweist sich als trügerisch. Lohnverzicht ist kein Mittel, um Arbeitsplätze zu schaffen oder auch nur zu erhalten. Aber eine Spirale nach unten wird so losgetreten.

Unternehmen sind dann für Arbeitszeitverkürzung, wenn es ihren kurzfristigen Interessen nützt. Während der Krise 2008-09 wurden zehntausende österreichische Lohnabhängige von ihren Betrieben in die mit staatlichen Geldern subventionierte Kurzarbeit geschickt. Die Unternehmen reagierten so auf die drastisch gesunkene Auftragslage. In Erwartung, dass die Krise nicht so lange andauert, wollten sie die Verfügbarkeit über die Arbeitskraft für ihre Betriebe erhalten.

Die Kluft zwischen dem, was für die Wirtschaft und was für die Menschen nötig ist, wird im Kapitalismus immer größer. Es wäre weltweit und in Österreich genug Reichtum vorhanden, um modernste Technologie zum Wohle aller einzusetzen, die Arbeitszeit drastisch zu reduzieren und allen ein gutes Leben zu ermöglichen. Doch dieser Reichtum ist so ungleich wie noch nie in der Menschheitsgeschichte verteilt.

Damit das Mittel der Arbeitszeitverkürzung volle Wirkung entfalten kann, muss es der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten unterstehen. Das bedeutet auch einen gesellschaftlichen Bruch mit dem kurzfristigen Streben nach Profit als Hauptantrieb für die Wirtschaft. Die großen Betriebe gehören in Gemeineigentum überführt, damit sie den Menschen und nicht mehr den KapitalistInnen dienen.

So kann auch verhindert werden, dass Arbeitszeitverkürzung benutzt wird, um den Stress für die Beschäftigten zu erhöhen. Denn genau dies nimmt immer mehr zu. So werden vielerorts halbe Stellen für einen Berg an Arbeit geschaffen, dessen Bewältigung eigentlich eine Vollzeitkraft oder sogar zwei benötigt. Selbst gesetzlich vorgeschriebene Pausen werden zum Fremdwort.

Gesund ist das nicht. Zahlreiche Studien warnen vor erhöhten Burnout-Raten, Depressionen und anderen durch Überarbeitung verursachten Krankheiten. Die Krankenstandstage haben sich zwischen 1994 und 2011 vervierfacht.

In den letzten Jahren haben manche Kollektivverträge wie zum Beispiel in der Elektroindustrie einen so genannten „Freizeitausgleich“ eingeführt. Wenn KollegInnen auf Lohn verzichten, dürfen sie mehr Urlaub nehmen. Das ist ein bedenklicher Trend. Arbeitszeitverkürzung darf nicht aufs Geldbörserl gehen. Die 30 Stundenwoche muss mit vollem Lohn und Gehalt erkämpft werden.

 

Der ganze Schwerpunkt zum (Klassen)kampf um die Arbeitszeit:

  • Der (Klassen)kampf um die Arbeitszeit von Karin Karin Wottawa

https://www.slp.at/artikel/der-klassenkampf-um-die-arbeitszeit-8651

  • Her mit der 30h Woche bei vollem Lohn! Von Christian Bunke

https://www.slp.at/artikel/her-mit-der-30-stunden-woche-bei-vollem-lohn-8652

  • Marx aktuell: "Normalität" des Achtstundentagen von Thomas Hauer

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-%E2%80%9Enormalit%C3%A4t%E2%80%9C-des-achtstundentages-8653

  • Zahlen und Fakten: Arbeitszeit in Österreich

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-arbeitszeit-in-%C3%B6sterreich-8654

  • Geschenkt ist nix – Arbeitszeitverkürzung erkämpfen! Von Manuel Schweiger

https://www.slp.at/artikel/geschenkt-ist-nix-arbeitszeitverk%C3%BCrzung-erk%C3%A4mpfen-8655

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Der (Klassen)Kampf um die Arbeitszeit

Das Problem: Überarbeitung und Arbeitslosigkeit. 12-Stunden-Tag und flexibleres Arbeiten die Lösung?
Karin Wottawa

Arbeit bestimmt und dominiert unser Leben. Rund 40 Stunden und mehr pro Woche verbringen wir im Job (mehr übrigens als in den meisten EU-Staaten). Zusätzlich verlieren wir noch durchschnittlich fast 200 Stunden pro Jahr an Fahrzeiten zum und vom Job. Außerdem leisten wir noch 27 Stunden (Frauen) bzw. elf Stunden (Männer) an unbezahlter Arbeit mit Haushalt, Kindererziehung und Pflege. 41 % der 18-34 Jährigen leiden unter Stress am Arbeitsplatz. Auf der anderen Seite sind rund 400.000 Menschen hierzulande ohne bezahlten Job. Kaum ein Thema betrifft uns alle also derartig stark, wie die Frage der Arbeitszeit.

12-Stunden-Tag und Arbeitszeitflexibilisierung sind in aller Munde und Teil der Regierungspläne. Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sind für die Wirtschaftsprogramme von ÖVP und FPÖ Pate gestanden. Seit rund einem Jahr müssen wir uns von der WKO per Radiospot und Plakatkampagne anhören, dass Flexibilisierung für ArbeitnehmerInnen eines ihrer größten Anliegen sein soll. Bei dieser Werbung wird vermittelt, dass nur eine Flexibilisierung Arbeitsplätze retten könne. Kurz will "praktikablere Arbeitszeiten immer in Abstimmung auf betrieblicher Ebene" – also ein Aushebeln von Kollektivverträgen und Arbeitszeitgesetz. Auf der Wunschliste ist auch die Höchstgrenze der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden zu erhöhen, bei bis zu 60 Stunden in der Woche. Mit diesen Plänen ist die ÖVP-nahe „Tiroler Adlerrunde“, ein Kreis von Großindustriellen und Superreichen, schon im Wahlkampf vorgeprescht. Weil bei der vorgeschlagenen 2-jährigen Durchrechnung keine Zuschläge für Überstunden mehr anfallen würden, reduziert das die Lohnzahlungen. Das würde ein Minus von rund 1,5 Milliarden für die Beschäftigten bedeuten. Noch-ÖVP-Familienministerin Karmasin meint sogar, der 12-Stunden-Tag nütze dem Familienleben, es gäbe ja längere Wochenenden. Unter dem Motto „Fair arbeiten“ fordert die Industriellenvereinigung eine Orientierung an der EU-Arbeitszeitrichtlinie, die keine Höchstarbeitszeitgrenze pro Tag vorsieht. Als positiv wird auch präsentiert, dass die durchschnittliche Arbeitszeit ohnehin nicht mehr als 48 Stunden in vier Monaten betragen darf. Eine Schreckensvorstellung für viele!

Und die „soziale Heimatpartei“ FPÖ? Industriesprecher Pisec gefällt die 42 Stunden Woche und der Atterseekreis. Dieser wirtschaftspolitische FPÖ-Ideenkreis will den ersten Krankenstandstag als Urlaubstag werten. Auch Kuraufenthalte sollen nach diesen Plänen teilweise als Urlaub gerechnet werden.

In den NEOS könnte die neue Regierung hier ebenfalls Partner haben. Unter dem Motto angeblicher maximaler persönlicher Freiheit setzt man hier auf Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene, die den Kollektivverträgen gleichgestellt werden sollen. Das Freiheits- und Freiwilligkeitsargument ist ein verlogenes: wer kennt nicht die unterschwelligen oder offenen Drohungen von Vorgesetzten, man könne sich jederzeit wen anderen suchen, wenn man dies oder das nicht mache.

Tatsache ist: der klassische 40-Stunden Job, an dem Montag bis Freitag zwischen 8 und 18 Uhr gearbeitet wird, ist nur mehr für eine Minderheit aller Beschäftigten Realität. Seit Jahrzehnten wird bei der Arbeitszeit flexibilisiert und dereguliert. Sonn- und Feiertagsarbeit, Schichtarbeit, schwankende Arbeitszeiten, Gleitzeitmodell und vieles mehr wurde bereits eingeführt. Vieles, was nur als „Ausnahme“ und nur für wenige Beschäftigte vereinbart wurde, wird rasch auf alle umgelegt. Demgegenüber gab es die letzte gesetzliche Arbeitszeitverkürzung in Österreich 1975 – also vor 32 Jahren!

Trotz fortschreitender Technologisierung steigen Arbeitsdruck und Arbeitszeit. Längst könnte ein großer Teil der Arbeit durch Maschinen erledigt werden. Wir alle könnten weniger arbeiten und die vorhandene Arbeit könnte aufgeteilt werden. Stattdessen wird weitere Arbeitszeitflexibilisierung als Rettung für Arbeitsplätze verkauft. Doch trotz aller Flexibilisierungsmaßnahmen der letzten Jahrzehnte ist gleichzeitig die Arbeitslosigkeit gestiegen. Die österreichische Wirtschaft hat davon profitiert, die Beschäftigten aber nicht. Wenn sie „Flexibilität“ sagen, meinen sie „Arbeit auf Abruf“. Wenn sie „Deregulierung“ sagen, meinen sie Abbau von Schutzbestimmungen. Wenn sie also Arbeitszeitflexibilisierung sagen, müssen wir NEIN sagen. Und uns wehren.

 

Der ganze Schwerpunkt zum (Klassen)kampf um die Arbeitszeit:

  • Der (Klassen)kampf um die Arbeitszeit von Karin Karin Wottawa

https://www.slp.at/artikel/der-klassenkampf-um-die-arbeitszeit-8651

  • Her mit der 30h Woche bei vollem Lohn! Von Christian Bunke

https://www.slp.at/artikel/her-mit-der-30-stunden-woche-bei-vollem-lohn-8652

  • Marx aktuell: "Normalität" des Achtstundentagen von Thomas Hauer

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-%E2%80%9Enormalit%C3%A4t%E2%80%9C-des-achtstundentages-8653

  • Zahlen und Fakten: Arbeitszeit in Österreich

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-arbeitszeit-in-%C3%B6sterreich-8654

  • Geschenkt ist nix – Arbeitszeitverkürzung erkämpfen! Von Manuel Schweiger

https://www.slp.at/artikel/geschenkt-ist-nix-arbeitszeitverk%C3%BCrzung-erk%C3%A4mpfen-8655

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Streik in Kasachstan

Wut der Bergleute entlädt sich
Bericht von KorrespondentInnen aus Kasachstan

Solidaritätsaktion am 16.10.2012

WM-Qualifikationsspiel Österreich - Kasachstan

 

In den Kohlegruben von Karaganda kommt es derzeit zu einem dramatischen Arbeitskampf. Es geht um die Übernahme der Minen durch „Arcellor Mittal Temirtau“.

Schon wenige Stunden nach Beginn des Ausstands ist den Bergleuten eine Lohnsteigerung von zunächst 20 Prozent, dann sogar von 50 Prozent angeboten worden. Dennoch haben hunderte von Kumpeln, die sich unter Tage aufhalten, geschworen, solange im Stollen zu bleiben, bis die Gesamtforderung erfüllt ist. Sie wollen direkte Gespräche mit dem Besitzer, dem indischen Milliardär Lakshmi Mittal, der das Land fluchtartig verlassen hat.

Insgesamt sind mehrere tausend Bergleute involviert, die seit einem halbe Jahr schon auf die Erfüllung ihrer Forderungen warten. Jetzt ist ihre Geduld am Ende! Zu ihren Forderungen zählt eine Lohnsteigerung um 100 Prozent sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Minen, um das unsagbare Maß an (teilweise tödlichen) Arbeitsunfällen spürbar zu senken. Darüber hinaus ist die Rückkehr zum Renteneintrittsalter von 50 Jahren das Ziel.

Der „Minister für sozialen Schutz“ hat für eine Zuspitzung des Konflikts gesorgt, indem er behauptet hat, die Beschäftigten würden bereits mehr als 1.000 Dollar im Monat verdienen! Fakt ist, dass sie weniger als die Hälfte dieser Summe dafür bekommen, dass sie jeden Tag Leib und Leben riskieren.

In den vergangenen Tagen haben Streikende und JournalistInnen die Aktionen – teilweise bei Minusgraden unter freiem Himmel – gefilmt und rufen zu internationaler Solidarität auf. Wie die Bergleute in den Filminterviews selbst sagen, ist die Mehrheit der Bevölkerung Kasachstans immer noch von der Kohleenergie und somit von ihrer Hände Arbeit abhängig. Das gilt sowohl für die Stromversorgung als auch für Heizmaterial.

In einem Filmmitschnitt ist ein streikender Bergmann zu sehen, wie er bei einer Massenkundgebung wütend erklärt: „Sie haben ihre feinen Häuser, ihre feinen Limousinen, ihre feinen Gehälter und wir können noch nicht einmal unsere Familien durchbringen!“. Eine andere Aufnahme zeigt einen Streikführer in der Zeche „Lenin“, der vor versammelter Belegschaft eine Rede hält. Unterbrochen von lautem Jubel sagt er: „Lenin wird bis zuletzt zu uns halten!“. Auf die Frage, ob es nicht ein Fünkchen Stabilität in Kasachstan gibt, antwortet ein Streikender mit den Worten: „Stabilität in diesem Land? – Nein!“.

Der 16. Dezember

Während dieser Artikel verfasst wurde, befanden sich alle acht Bergwerke im Ausstand. So kurz vor dem Unabhängigkeitstag des Landes, der jährlich am 16. Dezember begangen wird, nehmen die Spannungen also weiter zu.

Aus historischen Gründen ist dieses Datum in Kasachstan von großer Bedeutung. Am 16. Dezember 1986, als Kasachstan noch zur UdSSR gehörte, ist Dinmuchamed Kunajew, Generalsekretär der Kasachischen SSR, von Moskau abgesetzt und durch Gennadi Kolbin ersetzt worden. das führte zu unmittelbaren Protesten, die von den Studierenden ausgingen. Sie waren der Meinung, ein Mensch aus Kasachstan müsse an der Spitze der Teilrepublik stehen.

In Almaty (Alma-Ata) kam es zu Massendemonstrationen, die auch auf andere kasachische Städte übersprangen. Die Proteste sind energisch unterdrückt worden, wobei auch die Armee zum Einsatz kam. Es gab zahlreiche Opfer und eine Reihe von AktivistInnen ist für eine Zeit lang hinter Gitter verfrachtet worden. Einige von ihnen sind im Gefängnis gestorben. Viele Studierende sind exmatrikuliert worden. 1989 folgte dann Nasarbajew auf Kolbin.

Nach der Auflösung der UdSSR im Jahr 1991 erklärte die Regierung des unabhängigen Kasachstan den 16. Dezember zum Unabhängigkeitstag.

Genau an diesem Tag kamen 25 Jahre später, im Jahr 2011, Beschäftigte der Ölindustrie und ihre Familienangehörigen zu einer friedlichen Kundgebung im Stadtzentrum von Schangaösen im Westen von Kasachstan zusammen. Vorangegangen war ein acht Monate langer Streik für höhere Löhne. Plötzlich wurden sie ohne Vorwarnung von bewaffneten staatlichen Kräften angegriffen. Über 70 Menschen wurden getötet, viele weitere wurden verletzt.

Rigoroses Durchgreifen und Widerstand

Für die Behörden ist der 16. Dezember aufgrund dieser Ereignisse zu einem Tag geworden, an dem sie besonders nervös werden. Man fürchtet, dass die Menschen das Datum aufgreifen, um die MärtyrerInnen der Vergangenheit zu ehren und ihre Wut gegenüber der fortdauernden diktatorischen Herrschaft von Nursultan Nasarbajew. Man hat Angst vor Massenprotesten, die von diesem Tag ausgehen könnten und zum Sturz der Regierung führen könnten. Dieses Jahr haben die Behörden bereits im Vorfeld Vorkehrungen getroffen, bei denen auch die Sondereinheit „Spetsnaz“, das Büro des Oberstaatsanwalts, die Geheimpolizei KNB, Polizei und Armee involviert sind. Telefone werden abgehört, Menschen beschattet, Polizeieinheiten verstärkt und interne ErmittlerInnen eingesetzt. All dies geschieht, um Proteste unmöglich zu machen.

Vor kurzem erst, am 30. November und somit einen Tag vor dem Nationalfeiertag zu Ehren von Präsident Nasarbajew am 1. Dezember, ist es zu einer spontanen Arbeitsniederlegung in einer Kupfer-Mine in Schesqasghan (Zentralkasachstan) gekommen. Das hat die Behörden schwer verunsichert. Die Geschäftsführung des Konzerns „Kazakhmys“ hat umgehend Lohnsteigerungen und umfangreiche Zugeständnisse zugesagt. Es gab jedoch nichts Schriftliches. Jetzt greift sie zusammen mit den Behörden auf verschiedene Methoden der Einschüchterung zurück: Erpressung, Drohungen, Warnungen, Versuche, um die AktivistInnen untereinander zu spalten, und viele andere schmutzige Tricks. Die Behörden versuchen verzweifelt, Proteste zum jetzigen Zeitpunkt zu verhindern.

Die Taktik des Regimes wird nicht aufgehen

Letztes Jahr sind die Leute sogar an den Tagen vor und nach dem 16. Dezember zu Hause geblieben. Die Straßen waren wie leer gefegt. Dieses Jahr könnte es anders kommen. Das Regime ist nervös, tritt aber gleichzeitig auch provokant auf.

Vor dem Hintergrund der ganzen diktatorischen Mittel ist der Flughafen der Hauptstadt Astana nach Nasarbajew benannt worden! In Almaty wurde eine Prachtstraße nach ihm benannt. Es gibt eine Universität, die seinen Namen trägt, einen Park, eine Schule und so weiter. Es gibt Denkmäler zu seinen Ehren und nun schlagen korrupte Parlamentsabgeordnete vor, die Hauptstadt Astana in „Nasarbajew“ umzubenennen!

Die Leute sind zwar außer sich, sie trauen sich bisher jedoch nicht, in der Öffentlichkeit irgendetwas in dieser Richtung zu äußern. Einige haben Angst ihre Arbeit zu verlieren. Andere sorgen sich um das Wohl ihrer Familie. Das ist die Methode, mit der die Schergen Nasarbajews vorgehen. Dem Journalisten Berig Schagiparow wurde offiziell mit Anklage gedroht, weil er in den sozialen Medien einfach nur über die Aktionen bei „Kazakhmys“ in Schesqasghan publiziert hat. Bevor es zum echten Wutausbruch kommt, wird man weiter versuchen, Einzelne herauszupicken. Eine starke Arbeiterbewegung ist wichtiger denn je. Und nun kommt es zu dem beeindruckenden Streik in Karaganda!

Sendet bitte Solidaritätsschreiben an die streikenden Kumpel. Fotos, Emails, Videonachrichten – alles ist in jeder Sprache willkommen. Nehmt über die „Kasachstan-Kampagne“ des CWI („Campaign Kasachstan“) Kontakt auf: campaignkazakhstan@gmail.com.

Schreibt auch der Botschaft Kasachstans in eurer Nähe, um dem Nasarbajew-Regime klarzumachen, dass wir weltweit noch genau das Bild vom Blutbad in Schangaösen vor Augen haben, als streikende ArbeiterInnen internationale Unterstützung für ihre Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen bekamen und dass die willkürliche Verhaftung von Menschen, die die Kämpfe der Arbeiterklasse unterstützen, ein Ende haben muss!

Bitte sendet heute noch Protestschreiben an Präsident Nasarbajew. Schreibt an die kasachische Botschaft: berlin@mfa.kz (https://embassy.goabroad.com/embassies-of/kazakhstan)

Muster für einen Protestbrief an Präsident Nursultan Nasarbajew:

Wir schreiben Ihnen und Ihrer Regierung, um unsere volle Unterstützung für die streikenden Bergleute in Karaganda auszudrücken, die einen entschlossenen Arbeitskampf für angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen begonnen haben. Jeden Tag setzen sie ihr Leben auf´s Spiel, um am Monatsende nur rund 500 € zu bekommen, während ein Minister der Regierung lügt und erzählt, sie würden das Doppelte bekommen. Seit einem halben Jahr bitten sie nun schon um bessere Verträge ohne bisher eine Antwort bekommen zu haben. Jetzt sind sie bereit zu streiken, viele von ihnen bleiben unter Tage bis ihnen ein faires Angebot gemacht wird.

Wir haben noch genau vor Augen, was vor sechs Jahren, am 16. Dezember 2011 passiert ist, als Beschäftigte der Ölindustrie in West-Kasachstan den Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen aufgenommen haben und Ihre Regierung bewaffnete Kräfte gegen friedlich demonstrierende Menschen in Schangaösen zum Einsatz gebracht und damit Dutzende ums Leben sowie viele weitere verletzt hat.

Sie haben schon Blut an den Händen, und wir möchten Sie warnen, dass jede weitere Gewalttat gegen streikende ArbeiterInnen und friedliche Proteste weltweit verurteilt werden wird.

Die Bergleute von Karaganda und andernorts haben die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung Kasachstans. Sie haben genug von dem, was Sie Regierung nennen. Sie erleben, wie ihnen vertraute Plätze Ihnen zu Ehren umbenannt werden – weil Sie seit Jahzehnten ein Diktator sind. Sie sehen, wie Sie, Ihre Familie und Freunde sich am Reichtum des Landes bereichern, den die ArbeiterInnen aus dem Boden holen. Und sie sind wütend, dass sie immer noch in erbärmlicher Armut und in einem Polizeistaat leben.

Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir niemals vergessen und vergeben, was am 16. Dezember 2011 passiert ist, und dass wir uns weiterhin für Gerechtigkeit einsetzen – für die Familien der Opfer und für all jene, die aufstehen und für ihre berechtigten Forderungen eintreten.

Wir sagen:

  • Geben Sie den ArbeiterInnen, was sie fordern oder bekommen Sie die Folgen zu spüren!
  • Treten sie ab und lassen Sie demokratische Wahlen zu!
  • Lassen Sie alle politischen Gefangenen frei, die Sie in Ihren Gefängnissen festhalten, und lassen sie alle Anklagen gegen sie fallen!
  • Keine Strafverfolgung gegen diejenigen, die sich für Arbeitnehmerrechte einsetzen!

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