Der (Klassen)Kampf um die Arbeitszeit

Das Problem: Überarbeitung und Arbeitslosigkeit. 12-Stunden-Tag und flexibleres Arbeiten die Lösung?
Karin Wottawa

Arbeit bestimmt und dominiert unser Leben. Rund 40 Stunden und mehr pro Woche verbringen wir im Job (mehr übrigens als in den meisten EU-Staaten). Zusätzlich verlieren wir noch durchschnittlich fast 200 Stunden pro Jahr an Fahrzeiten zum und vom Job. Außerdem leisten wir noch 27 Stunden (Frauen) bzw. elf Stunden (Männer) an unbezahlter Arbeit mit Haushalt, Kindererziehung und Pflege. 41 % der 18-34 Jährigen leiden unter Stress am Arbeitsplatz. Auf der anderen Seite sind rund 400.000 Menschen hierzulande ohne bezahlten Job. Kaum ein Thema betrifft uns alle also derartig stark, wie die Frage der Arbeitszeit.

12-Stunden-Tag und Arbeitszeitflexibilisierung sind in aller Munde und Teil der Regierungspläne. Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sind für die Wirtschaftsprogramme von ÖVP und FPÖ Pate gestanden. Seit rund einem Jahr müssen wir uns von der WKO per Radiospot und Plakatkampagne anhören, dass Flexibilisierung für ArbeitnehmerInnen eines ihrer größten Anliegen sein soll. Bei dieser Werbung wird vermittelt, dass nur eine Flexibilisierung Arbeitsplätze retten könne. Kurz will "praktikablere Arbeitszeiten immer in Abstimmung auf betrieblicher Ebene" – also ein Aushebeln von Kollektivverträgen und Arbeitszeitgesetz. Auf der Wunschliste ist auch die Höchstgrenze der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden zu erhöhen, bei bis zu 60 Stunden in der Woche. Mit diesen Plänen ist die ÖVP-nahe „Tiroler Adlerrunde“, ein Kreis von Großindustriellen und Superreichen, schon im Wahlkampf vorgeprescht. Weil bei der vorgeschlagenen 2-jährigen Durchrechnung keine Zuschläge für Überstunden mehr anfallen würden, reduziert das die Lohnzahlungen. Das würde ein Minus von rund 1,5 Milliarden für die Beschäftigten bedeuten. Noch-ÖVP-Familienministerin Karmasin meint sogar, der 12-Stunden-Tag nütze dem Familienleben, es gäbe ja längere Wochenenden. Unter dem Motto „Fair arbeiten“ fordert die Industriellenvereinigung eine Orientierung an der EU-Arbeitszeitrichtlinie, die keine Höchstarbeitszeitgrenze pro Tag vorsieht. Als positiv wird auch präsentiert, dass die durchschnittliche Arbeitszeit ohnehin nicht mehr als 48 Stunden in vier Monaten betragen darf. Eine Schreckensvorstellung für viele!

Und die „soziale Heimatpartei“ FPÖ? Industriesprecher Pisec gefällt die 42 Stunden Woche und der Atterseekreis. Dieser wirtschaftspolitische FPÖ-Ideenkreis will den ersten Krankenstandstag als Urlaubstag werten. Auch Kuraufenthalte sollen nach diesen Plänen teilweise als Urlaub gerechnet werden.

In den NEOS könnte die neue Regierung hier ebenfalls Partner haben. Unter dem Motto angeblicher maximaler persönlicher Freiheit setzt man hier auf Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene, die den Kollektivverträgen gleichgestellt werden sollen. Das Freiheits- und Freiwilligkeitsargument ist ein verlogenes: wer kennt nicht die unterschwelligen oder offenen Drohungen von Vorgesetzten, man könne sich jederzeit wen anderen suchen, wenn man dies oder das nicht mache.

Tatsache ist: der klassische 40-Stunden Job, an dem Montag bis Freitag zwischen 8 und 18 Uhr gearbeitet wird, ist nur mehr für eine Minderheit aller Beschäftigten Realität. Seit Jahrzehnten wird bei der Arbeitszeit flexibilisiert und dereguliert. Sonn- und Feiertagsarbeit, Schichtarbeit, schwankende Arbeitszeiten, Gleitzeitmodell und vieles mehr wurde bereits eingeführt. Vieles, was nur als „Ausnahme“ und nur für wenige Beschäftigte vereinbart wurde, wird rasch auf alle umgelegt. Demgegenüber gab es die letzte gesetzliche Arbeitszeitverkürzung in Österreich 1975 – also vor 32 Jahren!

Trotz fortschreitender Technologisierung steigen Arbeitsdruck und Arbeitszeit. Längst könnte ein großer Teil der Arbeit durch Maschinen erledigt werden. Wir alle könnten weniger arbeiten und die vorhandene Arbeit könnte aufgeteilt werden. Stattdessen wird weitere Arbeitszeitflexibilisierung als Rettung für Arbeitsplätze verkauft. Doch trotz aller Flexibilisierungsmaßnahmen der letzten Jahrzehnte ist gleichzeitig die Arbeitslosigkeit gestiegen. Die österreichische Wirtschaft hat davon profitiert, die Beschäftigten aber nicht. Wenn sie „Flexibilität“ sagen, meinen sie „Arbeit auf Abruf“. Wenn sie „Deregulierung“ sagen, meinen sie Abbau von Schutzbestimmungen. Wenn sie also Arbeitszeitflexibilisierung sagen, müssen wir NEIN sagen. Und uns wehren.

 

Der ganze Schwerpunkt zum (Klassen)kampf um die Arbeitszeit:

  • Der (Klassen)kampf um die Arbeitszeit von Karin Karin Wottawa

https://www.slp.at/artikel/der-klassenkampf-um-die-arbeitszeit-8651

  • Her mit der 30h Woche bei vollem Lohn! Von Christian Bunke

https://www.slp.at/artikel/her-mit-der-30-stunden-woche-bei-vollem-lohn-8652

  • Marx aktuell: "Normalität" des Achtstundentagen von Thomas Hauer

https://www.slp.at/artikel/marx-aktuell-%E2%80%9Enormalit%C3%A4t%E2%80%9C-des-achtstundentages-8653

  • Zahlen und Fakten: Arbeitszeit in Österreich

https://www.slp.at/artikel/zahlen-und-fakten-arbeitszeit-in-%C3%B6sterreich-8654

  • Geschenkt ist nix – Arbeitszeitverkürzung erkämpfen! Von Manuel Schweiger

https://www.slp.at/artikel/geschenkt-ist-nix-arbeitszeitverk%C3%BCrzung-erk%C3%A4mpfen-8655

 

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