Internationales

Jeremy Corbyn & die Labour Party

Corbyn Sieg überrascht Labour-Rechte - der Beginn eines Neuformierungsprozesses der Linken?
Roger Bannister, Bundesvorstandsmitglied der Socialist Party England und Wales, www.socialistparty.org.uk

Die Wahl Jeremy Corbyns zum Vorsitzenden der Labour Party im September hat viele überrascht. Er war ursprünglich nur auf den Wahlzettel gelangt, weil ihn rechte Labour Abgeordnete nominiert hatten, um eine demokratische Wahl vorzutäuschen. Sie waren entsetzt, welche politischen Auswirkungen ihr Manöver hatte! Corbyn zog Massen an jungen Menschen an, die von der Sparpolitik der letzten Jahre genug hatten. Während seiner Wahlkampagne sprach er vor unzähligen vollgepackten Sälen.

Ironischerweise war es eine Änderung im Wahlstatut der Labour Party durch die rechte Führung, die Corbyns Wahl ermöglichte. Über Jahre hinweg hatten sie die Partei von ihren Wurzeln als ArbeiterInnenpartei weggeführt. Labour ist heute eine komplett verbürgerlichte Partei, ein Prozess der in den frühen 90ern begonnen hatte. Das neue Wahlsystem sah vor, dass man sich für drei Pfund (ca. 4, 20 Euro) registrieren konnte um an der Wahl teilzunehmen. Das erlaubte tausenden von Corbyns jugendlichen AnhängerInnen, seinen Wahlsieg zu sichern.

Die Kampagne war zu einem Ventil für die Anti-Spar-Stimmung im Land geworden - zum Horror der Labourführung, der kapitalistischen Medien und der Tories. Diese Stimmung hatte in der Wahl im Mai keinen Ausdruck gefunden. Eine ähnliche Entwicklung hatte bereits in Schottland stattgefunden, wo nach dem Referendum über die Unabhängigkeit die Scottish National Party mit Anti-Spar-Rhetorik die Labour Party in den Wahlen gedemütigt hatte. Corbyns Sieg beweist, dass die Idee von Sozialismus nicht am Ende ist.

Corbyn steht vor großen Hindernissen, wenn er erfolgreich sein will – und wenn er sich nur an der Spitze der Partei halten will. Die Mehrheit der Labour-Abgeordneten ist ihm und seinen Ideen feindlich gesinnt. Er hat im Parlament so wenig Unterstützung, dass selbst Teile seines neu ernannten Schattenkabinetts sich offen gegen seine Forderungen aussprechen. Unter den ParlamentarierInnen formieren sich Anti-Corbyn Gruppen. In den Gemeinderäten ist Labour sehr weit rechts. In den traditionell starken Gegenden Labours setzen lokale Labour-Gemeinderäte die Tory-Kürzungen um - mit Massenkündigungen, Lohnkürzungen und Einsparungen im Öffentlichen Dienst.

Rasch hat Corbyn einige seiner ursprünglichen fortschrittlichen Ideen aufgegeben, wie seine EU-kritische Haltung im EU-Referendum bzw. seine Forderung nach Wiederverstaatlichung der Eisenbahnen. Das hatte er dahingehend relativiert, dass die Eisenbahnen nur Stück für Stück wiederverstaatlicht werden sollen, je nachdem wo die Lizenzen auslaufen. Auch zu Fragen der innerparteilichen Demokratie hat er seine Position revidiert.

Corbyns Sieg stützt sich auf Kräfte außerhalb der Labour Party. Es ist unwahrscheinlich, dass es gelingt, die Partei von Grund auf zu ändern und den Prozess der Verbürgerlichung umzukehren. Aber er hat sozialistische Ideen wieder auf die Agenda gesetzt. Damit hat er Möglichkeiten im Neuformierungsprozess der Linken in Britannien geöffnet – mit Kräften von innerhalb und außerhalb der Labour Party. Es gibt verschiedene Pro-Corbyn Gruppierungen innerhalb der Partei, eine davon nennt sich “Momentum”. Allerdings wird diese Gruppe von Labour-GemeinderätInnen dominiert, die um ihre Wiederwahl kämpfen.

Die Socialist Party (CWI in Britannien) hat Corbyns Kandidatur unterstützt. Wir unterstützen auch die fortschrittlichen Teile seines Programms. Wir sagen aber, es braucht eine Konferenz aller seiner UnterstützerInnen, um Strategie, Taktik und Programm zu diskutieren. Corbyns Einknicken in vielen programmatischen Punkten ist ein Beleg dafür, dass ihm genau das fehlt. Eine solche Konferenz ist notwendig, um die interne Opposition in Labour zu überwinden – und könnte der Beginn eines solchen Neuformierungsprozesses sein. Denn wenn Corbyns Versuch, die Partei zu ändern, nicht gelingt, ist es notwendig, darauf vorbereitet zu sein und bereits jetzt die ersten Schritte in Richtung einer neuen Partei von ArbeiterInnen und Jugendlichen zu legen. Corbyn muss in diese Richtung vorangehen, und breite Kampagnen zur Kooperation der Kräfte inner- und außerhalb der Labour Party initiieren.

Es ist anzunehmen, dass der Sieg Corbyns nicht alle Probleme lösen wird, vor der die ArbeiterInnenklasse steht. ArbeiterInnen sollten die Möglichkeit haben, bei Wahlen gegen Sparpolitik stimmen zu können. Auf dieser Basis wird TUSC (Trade Union and Socialist Coalition, die Socialist Party ist Teil dieses Bündnisses), weiterhin als Anti-Sparpolitik-Bündnis bei Wahlen antreten. Vor allem in jenen Sitzen, wo Labour KandidatInnen für Kürzungen und gegen Corbyns Politik stehen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

„Front National“ geht als stärkste Kraft aus französischen Regionalwahlen hervor

von Clare Doyle vom „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ // „Committee for a Workers´ International“ (CWI), dessen Sektion in Österreichdie SLP ist

Dieser Artikel erschien zuerst am 7. Dezember auf der englischsprachigen Webseite socialistworld.net

Regierende „Parti Socialiste“ (Sozialdemokraten) abgestraft

Aufgrund des massiven Stimmengewinns für die extreme Rechte vom „Front National“ (FN) ist die Partei in der ersten Runde der Regionalwahlen in Frankreich in beinahe der Hälfte der Regionen zur stärksten Kraft geworden. Parteichefin Marine le Pen kam auf 40 Prozent in einer der größten und ärmsten Regionen, im Nord-Pas de Calais-Picardie.

Diese Nachricht ist zwar schockierend, kommt aber nicht völlig überraschend. Die Stimmung nach den Gewalttaten vom 13. November in Paris scheint nicht der einzige Grund für diesen Wahlausgang zu sein. Nur ein bis zwei Prozent des Stimmenzuwachses für die Rechte sind schätzungsweise darauf zurückzuführen.

Seit Marine le Pen 2011 den Parteivorsitz übernommen hat, bekommt der FN immer mehr Unterstützung. Im Vergleich zu ihrem Vater, Jean-Marie Le Pen, der ein entschiedener Verteidiger der Verbrechen des Faschismus war, leitet sie die Partei auf wesentlich populistischere Art und Weise. Mit über 28 Prozent, die der FN bei diesen Wahlen erzielen konnte, hat er sein Ergebnis der letzten Parlamentswahlen von 2012 (13,6 Prozent) mehr als verdoppeln können. Aufgrund des Zuschnitts der französischen Wahlbezirke hat die Partei aber weiterhin nur zwei Vertreter im Parlament, der Nationalversammlung.

Jetzt sieht es so aus, dass der FN nach der zweiten Wahlrunde am Sonntag mindestens zwei Regionen unter seine politische Kontrolle bekommen wird: den deindustrialisierten Nord-Pas de Calais und eine reiche Region im Süden des Landes, wo die extremere Marion Marechal-Le Pen die Wahlliste des FN anführt. Während der FN offenkundig rassistisch ist, wird erklärt, dass man nicht gegen EinwanderInnen ist, so lange sie französisch sind und die französischen Traditionen einhalten. Der FN war gegen die Europäische Union und spricht sich für Wohnungen und Arbeitsplätze für FranzösInnen aus.

Die Partei war in der Lage, sowohl auf Kosten der regierenden Sozialdemokraten von der PS als auch der traditionell rechten Partei von Sarkozy Stimmen zu gewinnen. Bei letzterer handelt es sich um die ehemalige UMP, die sich in „Republikanische Partei“ (PR) umbenannt hat. Trotz eines kleinen Anstiegs der persönlichen Umfragewerte von Präsident Hollande steht das Wahlergebnis vom Sonntag für den Zusammenbruch seiner Partei. Die PS hat ihre KandidatInnen für die zweite Wahlrunde in den Regionen zurückgezogen, in denen sie sich ihrer Niederlage sicher sein kann. Dort schlägt sie eine „große Koalition“ mit der „traditionell“ rechts-konservativen PR vor, um den FN daran zu hindern, in irgendeiner Region die Macht zu übernehmen. Derselbe Vorschlag wird zweifellos auch dann kommen, wenn 2017 die Präsidentschaftswahlen anstehen, bei denen befürchtet wird, dass der FN ebenfalls einen hohen Stimmenanteil erhält.

Die PR hat bereits angekündigt, ein solches Vorgehen abzulehnen, weil sie unter keinen Umständen mit der krisengeschüttelten PS-Regierung von Hollande und Premierminister Valls in Verbindung gebracht werden will. Der Stimmenanteil für diese Parteien hätte sogar noch weiter zurückgehen können, wenn sie sich nach den Anschlägen vom 13. November nicht derart für eine repressive und nationalistische Politik eingesetzt hätten. Das hat dem FN nur wenig Raum für eine ähnliche Hetze gegeben.

Der große Stimmengewinn für die rechtsextreme Partei ist in Teilen auch auf ProtestwählerInnen zurückzuführen, weil es keine linken Kräfte gibt mit einer tragfähigen Alternative zu den Kürzungen und der Vernichtung von Arbeitsplätzen der regierenden Parteien. 47 Prozent derjenigen, die sagen, sie würden eher links wählen, haben sich nicht an den Regionalwahlen beteiligt. Die Tatsache, dass die „KommunistInnen“ von der alten PCF, Regierungsentscheidungen unterstützt haben, bedeutet, dass diese Partei nicht in der Lage gewesen ist, im Namen der arbeitenden Menschen und der jungen Leute dem eine ernsthafte Opposition entgegenzustellen. Marine le Pen hat oftmals Verständnis für die Probleme von Beschäftigten gezeigt (wenn auch nicht für ihre sozialen beziehungsweise betrieblichen Kämpfe). Die KollegInnen bei „Air France“, die sich gegen Entlassungen zur Wehr gesetzt haben, wurden vom FN als „Hooligans“ beschimpft.

Aus nationalistischen Gründen wurde die Idee vertreten, dass Industriebetriebe in staatlicher Hand bleiben müssen. Die größte Gefahr, die mit den derzeitigen Entwicklungen einhergeht, besteht darin, dass der FN seine Wahlergebnisse und Anhängerschaft konsolidieren kann.

Kämpfe abhängig Beschäftigter

Der größte Gewerkschaftsbund, CGT, der der „Kommunistischen Partei Frankreichs“ (PCF) nahesteht, ist von der Basis dazu gedrängt worden, die Verlängerung des seit dem 13. November geltenden Ausnahmezustands und Demonstrationsverbots nicht hinzunehmen (im Parlament, haben die PCF-Abgeordneten für die Verlängerung gestimmt). Die Mitgliedschaft der CGT hat dies als einseitige Erklärung eines Waffenstillstands im Kampf mit den Arbeitgebern und der Regierung aufgefasst, die ihrerseits ohne Unterlass mit ihren Angriffen fortfahren. Die führenden Köpfe des Gewerkschaftsbunds sahen sich genötigt, für den vergangenen Mittwoch (2. Dezember) einen landesweiten Aktionstag gegen die Entlassungen bei „Air France“ und Angriffe auf gewerkschaftliche Rechte sowie die Arbeitsbedingungen auszurufen.

Unter den abhängig Beschäftigten und jungen Leuten staut sich angesichts einer Reihe ganz wesentlicher Probleme beträchtliche Wut an, die das Fass jederzeit zum Überlaufen bringen kann. Es ist möglich, dass in den Schulen Proteste gegen den Erfolg des FN ausbrechen können und in den Betrieben gegen die Arroganz der Arbeitgeberseite. Die Wahl vom vergangenen Sonntag und die hohe Anzahl an NichtwählerInnen unter den abhängig Beschäftigten sowie jungen Leuten (ihr Anteil lag jeweils bei 62 Prozent) ist eine Missbilligung des Versagens der Parteien der „traditionellen Linken und Rechten“, die keine Lösung für die Probleme anzubieten haben. Unter denjenigen, die sagen, sie würden ansonsten eher links wählen, lag der Anteil der NichtwählerInnen in den Regionen bei 47 Prozent. Nur die ältere Generation, die RentnerInnen, haben sich mit 67 Prozent relativ stark an diesen Wahlen beteiligt.

Das Wahlbündnis „Linksfront“ bestehend aus der „Parti de Gauche“ von Melenchon, der PCF, einigen ökologischen Parteien und anderen ist auf ganzer Linie zusammengebrochen. Es war nicht in der Lage, auf landesweiter oder regionaler Ebene eine tragfähige einheitliche Opposition zur Regierungspolitik zustande zu bringen. „Gauche Revolutionnaire“, die Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Frankreich, hat sich beständig dafür eingesetzt, dass der einzige Weg, auf dem man die Rechte bezwingen und den Aufstieg des FN verhindern kann, darin besteht, eine Massen-Kampagne gegen die Austerität, Entlassungen und Rassismus zu starten. Der FN hat nicht nur der Linken sondern auch der „traditionellen“ Rechten die Kleider gestohlen und ist somit stärker geworden. Die Arbeiterbewegung muss zum „traditionellen“ Programm aus Kampf und Sozialismus in Frankreich zurückfinden und dieses neu beleben.

 

Türkei: Pyrrhussieg für Erdoğan

Der Aufbau einer vereinigten Linken ist möglich
von Nihat Boyraz, Sosyalist Alternatif (CWI in der Türkei)

Die AKP hat sich mit einer Kampagne von Terror und Unterdrückung von der Niederlage der Juni-Wahlen erholen können. Dennoch steht die Türkei vor unsicheren Entwicklungen.

Die AKP hat ihren Stimmenanteil auf 49,5 Prozent steigern können und kann nun eine Alleinregierung bilden. Verloren hat vor allem die rechts-nationalistische MHP, der linken HDP gelang der Wiedereinzug in das Parlament. Ein Beispiel für die nationalistisch-aufgeheizte Stimmung im Land ist, dass viele WählerInnen nationalistischer Parteien zur AKP wechselten, da sie sich von ihr besser vertreten fühlten. Die AKP konnte die Wahlen vor allem aufgrund ihrer Terrorkampagne gewinnen. Mehr als 500 Menschen wurden zwischen den beiden Wahlterminen getötet. Sicher gab es auch Wahlfälschungen, doch der Sieg der AKP kann damit allein nicht erklärt werden. Auch in den kurdischen Provinzen konnte die AKP zulegen. Sie gewann Stimmen von anderen islamistischen Parteien, wie der Huda-Par. Aber vor allem sank hier die Wahlbeteiligung, gleichzeitig wurden HDP-WählerInnen an der Wahlteilnahme gehindert.

Was bedeutet der AKP-Sieg?

Der Sieg von AKP und Erdoğan ist ein Pyrrhus-Sieg, der unter großen Kosten gewonnen wurde und in der Zukunft noch mehr kosten wird. Die kriminelle Bilanz von AKP und Erdogan ist massiv, es gibt keinen anderen Ausweg mehr, als die Unterdrückung weiter zu verstärken. Sicherlich galt diese bisher vor allem linken und kurdischen AktivistInnen. Aber nach und nach wird die AKP alle Teile der Gesellschaft ins Visier nehmen, die ihre Stimme gegen die soziale Krise im Land erheben. Gleichzeitig werden sie versuchen, den Krieg in Kurdistan auszuweiten. Das gilt um so mehr als die kurdischen Kräfte der PYD in Rojava zuletzt Erfolge erzielen konnten. Gleichzeitig spielen unterschiedliche Interessen der USA, die mit der PYD zusammenarbeiten, eine Rolle. Die Türkei will eine Ausweitung der Erfolge in Rojava um jeden Preis verhindern, während die USA auf die PYD als Bodentruppen setzen.

Ist die HDP gescheitert?

Als die HDP bei den Kommunalwahlen 2014 nur zwei Prozent der Stimmen in den westlichen Provinzen holte (gegenüber vier bis fünf Prozent in Kurdistan) haben viele linke Gruppen vom Ende der HDP gesprochen. Aber als die HPD dann zehn Prozent der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen im gleichen Jahr holte, wurde das Potential für eine linke Massenkraft in der Türkei deutlich. Die Entscheidung der HDP bei den Parlamentswahlen mit einer Parteienliste statt mit Einzelkandidaten anzutreten hielten viele angesichts der Zehn-Prozenthürde für ein Risiko. Doch das Ergebnis von 13,1 Prozent war dann sensationell und löste viel Begeisterung aus. Aber hätte die HDP schon im Juni nur die 10,8 Prozent der jetzigen Wahl geholt, wäre auch das ein wichtiger Sieg gewesen. Denn schon vor den Juni-Wahlen war die HDP Opfer massiver Repression: Büros wurden in die Luft gesprengt und Kundgebungen angegriffen. Gleichzeitig hatte die HDP-Führung nach dem Anschlag von Ankara alle Kundgebungen abgesagt. Damit machte sie in einer kritischen Phase ihre Stimme nicht hörbar. Generalstreik und Massendemonstrationen nach dem Anschlag zeigten aber die andere Seite der Medaille. Das Ergebnis der HDP ist vor allem vor diesem Hintergrund zu betrachten. Das Überspringen der Zehn-Prozenthürde ist daher beachtenswert. Die HDP hat immer noch gegenüber der Präsidentschaftswahl eine Million Stimmen hinzu gewonnen. Sie hat ihre Unterstützung im Westen der Türkei konsolidieren können.

Neue Möglichkeiten

Am Wahlabend waren viele enttäuscht über das Wahlergebnis. So mancher sprach davon, das Land verlassen zu wollen. Viele Linke haben das Ergebnis als Niederlage gesehen.

Doch vor allem ist wichtig, dass es seit dem Beginn der Gezi-Proteste 2013 in Bezug auf Wahlergebnisse und Anti-Regierungsstimmung eine Linksverschiebung in der türkischen Gesellschaft gegeben hat. Sicherlich hat Erdoğan in den letzten Jahren seine Macht ausbauen können, doch gleichzeitig hat die türkische Linke wichtige Erfahrungen gesammelt und Schlussfolgerungen gezogen.

Der Erfolg der HDP hat bestätigt, dass es vor allem das Fehlen einer Organisation war, die die Bewegung bisher bremste. Doch ihr Einfluss bleibt wegen ihrer Nähe zur PKK begrenzt. Es kommt daher darauf an, weitere gesellschaftliche Kräfte in den Prozess des Aufbaus einer neuen Partei der Massen einzubeziehen. Die linken Gewerkschaften sollten gemeinsam mit HDP und BHH einen Massenkongress organisieren, der Arbeiter und Jugendliche einbezieht. Ausgehend von diesem Kongress sollten Kampagnen gegen den Krieg und für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns begonnen werden. Die Zukunft des Klassenkampfs wird davon abhängen, ob es der der türkischen Linken gelingt, eine gemeinsame Kraft aufzubauen.

 

Rechts-konservative Regierung in Portugal zu Fall gebracht

Politische Krise dauert an
von Goncalo Romeiro, „Socialismo Revolucionario“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Portugal)

Nach der Zurückweisung des Programms und der Regierung des rechts-konservativen Wahlbündnisses PàF im gerade erst neu gewählten Parlament, richten sich – nicht einmal zwei Monate nach der letzten Wahl – nun alle Augen auf Cavaco Silva, den ultra-konservativen Staatspräsidenten des Landes.

Wie erwartet hatte dieser mit der Ernennung von Passos Coelho, dem Chef des o.g. konservativen Wahlbündnisses, zum Premierminister die kürzeste Amtszeit einer Regierung eingeleitet, die es in der Geschichte Portugals nach der Diktatur je gegeben hat. Das neue Parlament, in dem die Linke ihre Zahl an Abgeordneten vergrößern konnte und die (rechnet man die ehemals sozialdemokratische PS mit hinzu) die Mehrzahl der Sitze gewonnen hat, hat bereits versichert, jeden Vorschlag von PàF zur Bildung einer möglichen neuen Regierung abzulehnen.

Diese Ereignisse haben – in Verbindung mit dem Zögern der Kapitalisten, eine Minderheitsregierung unter der Führung der „sozialistischen“ Partei (gemeint ist die PS) zuzulassen, die von der Linken unterstützt wird – zu einer Regierungskrise geführt, die in der kommenden Phase zum bestimmenden Moment werden wird.

Möglichkeiten und Gefahren einer Regierung unter der Führung der PS

Wie wir zu einem früheren Zeitpunkt bereits gesagt haben, hat die Linke aus „Kommunistischer Partei“ und dem „Linksblock“ nach den Wahlen vom 4. Oktober die PS vor die Frage gestellt: Wird sie die Rechts-Konservativen unterstützen und an der Macht halten, damit diese mit der brutalen Austeritätspolitik der Troika fortfahren können, oder wird sie in den offenen Dialog mit der Linken treten, um eine alternative Regierung zu bilden, die darauf abzielt, eben dieser Politik ein Ende zu bereiten? Diese Taktik kann – abhängig davon, wie sie angewendet wird – große Möglichkeiten eröffnen aber für all jene, die gegen die Austerität kämpfen, auch eine Reihe von Gefahren mit sich bringen.

Die linken Parteien haben zugestimmt, die Bildung einer von der PS geführten Regierung als Alternative zu PàF zu unterstützen. Gleichzeitig haben sie es jedoch abgelehnt, sich selbst an einer solchen Regierung zu beteiligen. Im Allgemeinen unterstützen wir diese Taktik. Es war an der Zeit, das bürgerliche Zwei-Parteien-System zu entlarven und die PS vor die Entscheidung zu stellen, auf welcher Seite sie steht. Einerseits war eine rechts-konservative Regierung nur mit ihrer Zustimmung möglich, andererseits hatte sie die Möglichkeit, eine „Anti-Austeritäts“-Regierung zu bilden – mit Unterstützung der parlamentarischen Linken.

Was die Frage der demokratischen Rechte für Angehörige der LGBT-Community angeht, hat diese Taktik bereits zu einigen wichtigen Erfolgen geführt. So wurde für gleichgeschlechtliche Partnerschaften das Recht durchgesetzt, Kinder adoptieren zu können. Darüber hinaus hat die Ablehnung der letzten Veränderungen bei den Abtreibungsparagraphen für tausende von Frauen im ganzen Land eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die Frage der Beendigung der Austerität ist hingegen komplexer und birgt größere Gefahren, wenn man die bisherige Bilanz und die Geschichte der sogenannten „Sozialistischen Partei“ (PS) mit einbezieht.

Vertrauen in die PS oder Festhalten an PàF als Interimsregierung? – Die herrschende Klasse ist gespalten

Die Kapitalisten sind gespalten. Der konservativste Flügel um den Präsidenten fürchtet eine instabile Regierung unter der PS, die von der Unterstützung der Linken abhängig wäre. Eine solche Regierung wird ein Mindestmaß an Konzessionen gegenüber den arbeitenden Menschen und damit eine Aufweichung des TINA-Prinzips der neoliberalen Propaganda anstreben müssen (von engl.: „there is no alternative“; dt.: „Es gibt keine Alternative“). Und das im Kontext großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Dieser ultra-konservative Flügel greift zum Mittel der Panikmache und zu einer undemokratischen Kampagne gegen das, was sie einen „Putsch der Linken“ gegen PàF nennt. Letztere Kraft hat bei den Wahlen immerhin die meisten Stimmen bekommen. Damit wird bewusst ignoriert, dass Portugal ein parlamentarisches System hat, in dem wir die Abgeordneten wählen und nicht die Regierung, die vom Parlament bestimmt wird. Fakt ist, dass die politische Rechte weit davon entfernt war, die Mehrheit der Abgeordnetensitze zu erlangen.

Ein anderer Flügel, bei dem es sich allem Anschein nach um die Mehrheit unter den Konservativen handelt, akzeptiert eine Regierung unter Führung der PS. Schließlich handelt es sich bei der PS allgemein gesprochen um eine Partei der herrschenden Elite, der man zutraut, die Linke unter Kontrolle zu halten und der kapitalistischen Agenda zumindest in ihren wesentlichen Aspekten zu folgen. Zumindest für den Zeitraum einiger Monate (bis Neuwahlen möglich werden) wird dies unter einem neuen konservativen Präsidenten aller Wahrscheinlichkeit nach so kommen.

Die einflussreichsten Kapitalisten befürworten dieses zuletzt beschriebene Szenario. Wie nach ihrem letzten Treffen mit dem Präsidenten klar wurde, gehören auch die Bankiers zu diesem Kreis. Warum das so ist, ist nicht schwer zu verstehen.

Diese Option wird auch aufgrund einiger Fehler, die die Führungen der linken Parteien begangen haben, erleichtert. Der schwerwiegendste dieser Fehler der Linken bestand nicht allein darin, der Bildung der Regierung zuzustimmen, sondern diese für eine weitere 4-jährige Legislaturperiode im Amt zu belassen. Dies hat die nötige politische Unabhängigkeit der Linken und der Arbeiterklasse ausgehöhlt und konnte so zum Pflock am Bein des „Linksblocks“ und der „Kommunistischen Partei Portugals“ (PCP) werden.

Die wesentlichen Zugeständnisse, auf die sich die Linke und die PS verständigt haben, gelten für vier Jahre, über die gesamte Legislaturperiode hinweg. Dies bedeutet, dass die Linke unter Druck stehen wird, die sozialen Spannungen in Zaum zu halten, um nicht „das Abkommen zu brechen“, und auf den Tag zu warten, an dem die Vereinbarung erfüllt ist. Gleichzeitig werden die Kapitalisten ihre Kampagne für das, was sie „Realpolitik“ nennen, intensivieren, um die wichtigsten Zugeständnisse so lange wie möglich nach hinten zu verschieben. Dabei werden alle Widersprüche innerhalb der PS sowie im Verhältnis der PS zur Linken ausgenutzt. So hoffen sie, aus der Frustration und der Angst der Massen Kapital schlagen zu können.

Die Aufrechterhaltung einer Interimsregierung wird nur von einer Minderheit befürwortet, weil dies die Linke dazu zwingen würde, sich zu radikalisieren, sich von den Auflagen der o.g. Vereinbarung loszulösen und wieder auf die Straße zu gehen. Durch die neue Zusammensetzung des Parlaments und eine PS in der Opposition (die unter Druck steht, den Forderungen der ArbeiterInnen zu entsprechen) würde die politische Rechte sich nur noch mehr von den Massen entfernen. Die Notwendigkeit einer Regierung der Linken würde noch stärker zu Tage treten.

Und dennoch sollte uns die Tatsache, dass alle einflussreichen Arbeitgeber und Bankiers sich dazu entschlossen haben, der PS zu vertrauen, dazu veranlassen, noch einmal über die Art und Weise nachzudenken, wie diese Übereinkunft zustande gekommen ist. Was bedeutet dies für den Kampf zur Beendigung der Austerität?

Die „Sozialistische Partei“ muss dazu gebracht werden, in direkte Gespräche mit den ArbeiterInnen auf der Straße und in den Betrieben einzutreten

Deshalb stimmen wir nicht mit der Art und Weise überein, wie dieser Dialog zustande gebracht worden ist. Die übergroße Mehrheit der Arbeiterklasse ist bei diesem Prozess außen vor gelassen worden – auch der gewerkschaftlich organisierte Teil der arbeitenden Bevölkerung. Es ist zu keiner größeren Mobilisierung der abhängig Beschäftigten gekommen, die Verhandlungen sind hinter verschlossenen Türen abgelaufen. Die KollegInnen aus den Betrieben haben davon eigentlich nur über die kapitalistisch geprägten Medien erfahren, die ansonsten vollgestopft sind mit brutaler Panikmache und der o.g. Kampagne gegen die Linke.

Das bedeutet, dass die Linke die Arbeiterklasse in eine prekäre Position gebracht hat. Sie wurde auf den Posten des Beobachters gezwungen, auf dem sie mit reaktionärer Propaganda geradezu bombardiert worden ist. Die Verhandlungen sollten öffentlich geführt werden und unter Beteiligung der Arbeiterklasse stattfinden. Auf diese Weise wären wir in der Lage, der PS direkt zu vermitteln, was wir von einer linken Regierung erwarten.

In diesem Sinne haben wir die Mobilisierung für den 28. November durch den größten Gewerkschaftsbund CGTP begrüßt und mit Begeisterung daran teilgenommen. Damit ist der Präsident aufgefordert worden, eine Regierung unter Führung der PS zu empfehlen. Wir sollten jedoch mehr als nur das tun: Wir sollten eine aufrichtige Kampagne zur Umsetzung konkreter Maßnahmen führen.

Die Arbeiterklasse muss ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt werden

Die Aufgaben sind riesig, aber wir haben nun – wenn man die jetzige Situation mit den vergangenen Jahren oder gar Jahrzehnten vergleicht – die besten Voraussetzungen für den Kampf. Diese Möglichkeiten sollten wir nicht ungenutzt lassen. Egal, welche Regierung am Ende dabei herauskommt – wir haben jetzt ein Parlament, das viel stärker unter dem Druck der Arbeiter-Kämpfe steht als vorher.

Zuallererst sollten wir, der organisierte Teil der Arbeiterklasse, Branche für Branche und koordiniert auf die Straße gehen, um vom neuen Parlament konkrete Maßnahmen zur Rücknahme der bisherigen Kürzungen und Privatisierungen zu fordern, die Wiederherstellung aller (unterdessen reduzierter) Arbeitnehmerrechte, einen Entlassungsstopp und die Beendigung prekaärer Beschäftigungsverhältnisse.

Kämpfen für eine linke Regierung, die zu 100 Prozent gegen die Austerität ist

In der bevorstehenden Phase wird es zu starker politischer Instabilität und sozialen Kämpfen kommen. Wenn wir im Parlament eine Stimme haben, dann kann das der Arbeiterklasse die Zuversicht verleihen, um zum Mittel des massenhaften Widerstands zurückzukehren und echte Veränderungen einzufordern. In dieser Aufruhr-Situation wird die PS unweigerlich im Zentrum des Interesses stehen. Die Arbeiterklasse wird sie sehr aufmerksam beobachten und wichtige Schlüsse aus ihrem Verhalten ziehen.

Zentral wird die Frage sein, welche Regierung und welche Parteien wirklich für die Interessen der ArbeiterInnen stehen, und was eine linke Regierung überhaupt ist? Wie kann man zu einer linken Regierung kommen? Ist die EU ein Verbündeter oder der Feind der Arbeiterklasse in Portugal? Wie sieht die Antwort auf diese Frage auf europäischer Ebene aus? Wie schon im Falle Griechenlands wird die Troika nicht tatenlos zusehen und erlauben, dass die Antiausteritätspolitik, wie von der Linken gefordert, auch umgesetzt wird. Wer diese Politik verteidigen will, muss mit den Regeln der EU und des Kapitalismus brechen.

All diese Fragen müssen durch die Bildung einer Einheitsfront der arbeitenden Menschen in den Vordergrund gebracht werden. Dies muss über gemeinsame Kämpfe für ganz konkrete Forderungen geschehen. Es sollte beispielsweise um den Anstieg des Mindestlohns gehen, um bezahlbaren Wohnraum und den Kampf gegen die Erwerbslosigkeit. Durch solche sozialen Kämpfe wird die Masse der Arbeiterklasse zu dem Schluss kommen, dass sie ihre eigene Regierung braucht, eine Regierung, die zu 100 Prozent gegen die Austerität ist und die Willens ist, den Kampf zu Ende zu führen. Das heißt, dass die Diktatur der Märkte überwunden und für eine sozialistische Alternative gekämpft wird.

 

Rumänien: Massenproteste stürzen Regierung

Nach dem Tod von 45 Menschen bei Brand in einem Konzertsaal richtet sich die Wut gegen Korruption und Regierung
Von Vladimir Bortun

Am 30. Oktober war im Nachtclub „Colectiv“, im 4. Bezirk von Bukarest, während eines Rockkonzerts mit fast 400 BesucherInnen ein Feuer ausgebrochen. Das Inferno begann, als Feuerwerk zum Einsatz kam, das in weniger als einer Minute die Decke in Flammen aufgehen ließ. Diese war mit nicht brennbarem Schallschutz-Schaumstoff bedeckt. Das Feuer, giftige Dämpfe und das allgemeine Chaos, das einsetzte, als die Leute zum Ausgang drängten, führten dazu, dass bislang 45 Todesopfer zu beklagen sind. Viele weitere Opfer befinden sich immer noch im Krankenhaus, weil sie schwere Brandverletzungen davongetragen haben. Dies war die größte menschliche Tragödie in Rumänien seit dem Sturz des Stalinismus im Jahr 1989.

Verantwortlich für diese Katastrophe sind eine Reihe von Umständen. Zuerst sind die drei Besitzer des Clubs zu nennen, die nun in Haft sitzen und auf ihr Verfahren warten. Der Club hatte keinen Notausgang und keine Lizenz, Konzerte für hunderte von Menschen durchführen zu dürfen. Offiziell durften nur Veranstaltungen mit bis zu 80 Personen stattfinden, die alle einen Sitzplatz hätten haben müssen! Die Decke war mit billigem, nicht brennbarem Schaumstoff, den man im Baumarkt kaufen kann, verkleidet. Darüber hinaus tragen die Behörden eine Mitschuld, die eine Konzession ausgestellt haben, obwohl die Einrichtung keine Notausgänge hatte. Dies betrifft auch den Bezirksbürgermeister, der ebenfalls in Haft ist und auf den ein Verfahren zukommen wird. Regelmäßig haben dort Konzerte mit hunderten von Gästen stattgefunden. Als Drittes sind die Einsatzkräfte ins Visier geraten, die – trotz der großen Bemühungen des Personals vor Ort – schlecht organisiert und mangelhaft ausgestattet waren. Die Feuerwehrbrigade, die als erste am Einsatzort eintraf, konnte nicht ins Gebäude gelangen, weil sie keine Sauerstoffgeräte bei sich hatte. Das ist ein Mangel, der – wie wir weiter unten erläutern werden – Folge von strukturellen Problemen ist, die die Gesellschaft in Rumänien kennzeichnen.

In einem Land, in dem die Korruption schon als Normalzustand gilt, war ein derart trauriges Ereignis geradezu absehbar, auf gewisse Weise sogar nachvollziehbar, weil es voll und ganz auf die alte rumänische Vorgehensweise zurückzuführen ist, Gesetze zu umgehen. Betrieben wird dies von Behördenvertretern und BürgerInnen gleichermaßen. Der „Volkszorn“, den dieses Ereignis ausgelöst hat, wurde in der vergangenen Woche greifbar, als es zum wahrscheinlich größten Massenprotest in den letzten 25 Jahren gekommen ist. Mehr als 30.000 Menschen zogen durch Bukarest und weitere tausende Menschen gingen in anderen großen Städten des Landes auf die Straße. Die Folge davon war, dass die Regierung unter Premierminister Victor Ponta (einer der Namen, die mit am häufigsten mit der Korruption großen Stils in Verbindung gebracht werden) von der sozialdemokratischen Partei (SDP) noch am selben Tag zurücktrat. Dieses hastige Vorgehen kam für viele überraschend. Nach diesem Rücktritt bestellte der liberal-konservative Staatspräsident Klaus Iohannis sogenannte „Vertreter der Zivilgesellschaft“ zu sich ein, um sich mit ihnen über die Zusammensetzung und das Programm der neuen Regierung zu besprechen. Bei diesem Vorgehen, das von oben nach unten (engl.: „top-down“) durchgeführt worden ist, handelt es sich um nichts anderes als einen manipulativen Schritt, der darauf abzielt, den Menschen den Eindruck zu vermitteln, es herrsche „echte Demokratie“ und ein „sozialer Dialog“ würde geführt. Dieses Treffen ist sehr kurzfristig anberaumt worden, weshalb die „Vertreter der Zivilgesellschaft“ viel zu wenig Zeit hatten, sich entsprechend vorzubereiten. Hinzu kommt, dass lediglich nach Bukarest eingeladen wurde und es keine Treffen in den Regionen gab. Bei der vorbereiteten Tischvorlage handelte es sich um eine Liste von Minimalforderungen. Von daher ist es auch kein Wunder, dass es sich bei denjenigen, die die „großherzige“ Einladung des Präsidenten angenommen haben, hauptsächlich um gut finanzierte Nichtregierungsorganisationen mit besten Beziehungen handelt, die ein explizit neoliberales Programm verfolgen. Anwesend war das ganze Establishment der „Zivilgesellschaft“ Rumäniens. In diesem Prozess haben die Vertreter der Arbeiterklasse des Landes – was immerhin die Bevölkerungsmehrheit ist – keine nennenswerte Rolle gespielt.

Regierung der „Technokraten“

Nach diesen Konsultationen fanden dann Gespräche mit den im Parlament vertretenen Parteien statt, die am Dienstag, dem 10. November, – wie zu erwarten war – zur Ernennung eines Technokraten zum neuen Premierminister geführt haben. Hierbei handelt es sich um Dacian Ciolos, der bis zu den Wahlen in einem Jahr im Amt sein wird. Bei dem Begriff „technokratisch“ handelt es sich dieser Tage um ein Codewort für: neoliberal. Auch Ciolos stellt in diesem Zusammenhang keine Ausnahme dar. 2007 und 2008 war er Landwirtschaftsminister in einer rechts-konservativen Regierung, eine Zeit lang der landwirtschaftspolitische Berater des rechts-konservativen Präsidenten Basescu, nur um dann zum „Kommissar für Landwirtschaft“ in der „Europäischen Kommission“ von Barroso zu werden (von 2010 bis 2014). Im vergangenen Jahr war er dann Sonderberater des amtierenden Präsidenten der „Europäischen Kommission“, Jean-Claude Juncker.

Von daher steht die politische Ausrichtung dieses „Experten“ in direkter Verbindung zu den rechts-konservativen, neoliberalen politischen Parteien und Köpfen. Es wird davon ausgegangen, dass er „institutionelle Reformen“ umsetzen und den „Kampf gegen die Korruption“ in Rumänien beginnen wird. Am wahrscheinlichsten ist, dass dies genau in besagtem neoliberalen Rahmen ablaufen wird.

Auch wenn man in Rumänien von einer zutiefst korrupten Tradition sprechen kann, so wäre es nicht nur oberflächlich sondern auch gefährlich, sich allein auf dieses Problem zu beschränken. Das würde (wie in der Vergangenheit schon häufig der Fall) nur dazu dienen, dem Kapitalismus neoliberaler Spielart ein populistisches Werkzeug an die Hand zu geben, mit dem die tiefer liegenden strukturellen Probleme in Rumänien auf diese Weise verschleiert oder gar legitimiert werden könnten. Die gesellschaftliche Klasse der Kapitalisten würde davon unmittelbar profitieren. Es geht hierbei auch um schwere Fälle von Korruption und ausgefeiltere Formen (wovon einige direkt für die Tragödie beim Konzert im „Colectiv“ verantwortlich sind).

In Rumänien ist die Korruption, von der das multinationale Großkapital durchzogen ist, permanent durch den sogenannten „Anti-Korruptionskampf“ verhüllt worden. Zur Durchsetzung der eigenen Interessen sind multinationale Unternehmen häufig Bestandteil der „korrupten Kultur“ auf lokaler Ebene. Letztes Jahr flog ein Riesen-Skandal auf, bei dem „Microsoft“ mehr als 50 Millionen Dollar an Schmiergeldern an hohe Beamte gezahlt hatte, die drei aufeinander folgenden rumänischen Regierungen angehört haben. Das Ziel des Unternehmens bestand darin, höhere Lizenzgebühren für seine Produkte zu bekommen! Nach und nach stellte sich heraus, dass auch verschiedene andere Giganten der IT-Sparte (wie zum Beispiel IBM, „Fujitsu-Siemens“, „Compaq“ und „Hewlett-Packard“) Teil dieses riesigen Schmiergeld-Systems waren! In anderen Fällen (z.B. beim Fracking-Projekt von „Chevron“ in Ost-Rumänien vor zwei Jahren) drehte sich alles ausschließlich um die Korrumpierbarkeit der rumänischen Politiker und die korrupten rumänischen Mitarbeiter der betroffenen Firmen, weil letztere unabhängig von ihren Muttergesellschaften gehandelt hatten. In Wirklichkeit sind sie lediglich der inneren Logik des Kapitalismus gefolgt, nach der es gilt, mit allen erdenklichen Mitteln die Profite zu steigern. Gesetze, Vorschriften und Rechte stellen in dieser Hinsicht nichts anderes als Hürden dar und wenn das Großkapital Schmiergelder zahlen kann, um diese Hürden zu vermeiden, dann wird es dies mit Freude tun.

Das Mantra vom „Kampf gegen die Korruption“ ist in Rumänien auch dazu genutzt worden, um damit die brutalsten Austeritätsmaßnahmen zu legitimieren, die in Osteuropa zur Anwendung gekommen sind. 2010 nahm die rechts-konservative Regierung von Emil Boc einen IWF-Kredit auf, der hauptsächlich dazu genutzt worden ist, um die rumänischen Ableger ausländischer Bankhäuser zu rekapitalisieren. Wie überall in Europa wurde diese neoliberale Form staatlicher Intervention mit Kürzungen bei Renten und Löhnen im öffentlichen Dienst (bei denen es sich ohnehin schon um die niedrigsten in der EU handelt) sowie durch einen Abbau an sozialen Dienstleistungen und bei der öffentlichen Gesundheitsversorgung finanziert. All diese Kürzungen im öffentlichen Dienst (der im EU-Vergleich bereits der am meisten unterfinanzierte ist) sind – oh Wunder – mit den üblichen Sprüchen gerechtfertigt worden. Demnach seien sie Teil des „Kampfes gegen die Korruption“ und alle Maßnahmen würden sich gegen „die Faulen (richten), die Sozialbetrug betreiben und von unseren Steuern leben“ oder gegen das „korrupte und ineffektive Personal im öffentlichen Gesundheitssystem“. Zwar ist es richtig, dass viele Menschen in Rumänien den ÄrztInnen und dem Pflegepersonal unter dem Tisch Geld zuschieben. Die Lösung des Problems besteht jedoch nicht darin, dem öffentlichen Gesundheitssystem noch weniger Geld zur Verfügung zu stellen, sondern offensichtlich darin, die lächerlichen Bezüge des medizinischen Personal anzuheben.

Kürzungen und Korruption

Diese Kürzungen werden nicht nur dazu führen, dass sich derlei korrupte Praktiken noch viel stärker ausbreiten werden als zuvor. Sie werden auch Menschenleben fordern, wie die Feuerkatastrophe im Bukarester Club gerade erst unter Beweis gestellt hat. Eine neue, dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Krankenstation für Brandopfer konnte nicht genutzt werden, weil das Geld für den Kauf eines Luftreinigungssystems gefehlt hat, das zur Inbetriebnahme der Station nötig gewesen wäre. Die Front im „Kampf gegen die Korruption“, der NGOs genauso angehören wie verschiedene rechtslastige Medien und öffentlich bekannte Intellektuelle, hat einem Austeritätsprogramm Legitimität verliehen, das bewiesenermaßen genauso fatale wie vorhersehbare Folgen nach sich gezogen hat. Bei diesem Programm handelt es sich an sich schon um eine Form von Korruption höchsten Ranges. Bei der Austerität handelt es sich definitiv um nichts anderes als großangelegten, organisierten und systematischen Diebstahl an den arbeitenden Menschen durch die politischen und ökonomischen Eliten. Wenn sie durch die Kürzungsmaßnahmen nicht bereits zu Tode gekommen sind, stehen erstere am Ende mit noch weniger da als vorher.

Dass das Augenmerk einzig und allein auf die „nationale Korruption“ gerichtet wird, überschattet die neoliberale Politik der Deregulierung von Wirtschaftsbetrieben und des Arbeitsmarkts. Einhergehen tut dies mit einer allzu oft hysterischen konzernfreundlichen Attitüde. Auf diese Weise soll in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein geschaffen werden, mit dem jede Kritik an Konzernen von vornherein als „kommunistisches Gerede“ abgetan wird, und Arbeitgeber geradezu als unantastbare Helden betrachtet werden, die für Arbeit und Wohlstand sorgen. Es ist genau dieses gewissenlose kapitalistische Denkmuster, das zusammen mit der Korruption der örtlichen Behörden zur Tragödie im „Club Colectiv“ geführt hat. Damit wurde zur Profitmaximierung – koste es was es wolle – motiviert und diese überhaupt erst initiiert. Selbst die Gesundheit und Sicherheit von arbeitenden Menschen und / oder VerbraucherInnen wird dabei auf´s Spiel gesetzt. Unter den 45 Toten befand sich auch Maria Ion, eine 38-jährige Witwe, die als Reinigungskraft in dem Club gearbeitet hat. Sie lebte mit ihren fünf Kindern und einem gelähmten Vater in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Erneut bestand die Rolle der Behörden darin, ihren Pflichten nicht nachzukommen. Das ist eine nicht zu leugnende Tragödie. Die Besitzer des Clubs wussten, dass sie mit ihrem menschenverachtenden Verhalten würden davonkommen können. Sie scherten sich weder um die Einhaltung der grundlegendsten Gesundheitsbestimmungen noch um Sicherheitsregeln, weil sie wussten, dass sie nur die richtigen Leute schmieren mussten.

Alternative Linke

Bei der Debatte um die Korruption in Rumänien ist die entscheidende Frage durchweg ausgespart worden. Sie lautet: Wodurch wird Korruption befördert? Was ist es, das ÄrztInnen, die ihre PatientInnen eigentlich kostenlos behandeln sollten, und KontrolleurInnen, die illegal betriebene Einrichtungen eigentlich dichtmachen sollten, dazu treibt, das Gegenteil zu tun und stattdessen Schmiergelder anzunehmen? Bei der Antwort auf diese Fragen spielen „traditionelle Verhaltensmuster“ und Gewohnheiten sicherlich auch eine Rolle. Die wesentlichen strukturellen Ursachen für Korruption als zu beobachtendes Massenphänomen gingen immer und werden immer auf zwei Grundprobleme zurückgehen: auf die Armut und die Ungleichheit. Beides wird umgekehrt durch die Korruption wieder verstärkt. Statistiken zeigen, dass die korruptesten Staaten der Welt diejenigen sind, die auch die größte soziale Ungleichheit und die stärksten in Armut lebenden Bevölkerungsanteile aufweisen. Selbst ein standfest neoliberales Magazin wie „Forbes“ muss einräumen, dass Korruption auf der einen Seite zusammenhängt mit sozialer Ungleichheit auf der anderen. Beim sogenannten „Kampf gegen die Korruption“ in Rumänien hat man sich durchgehend über diesen Zusammenhang hinweggesetzt und ausschließlich mit der „nationalen Korruption“ beschäftigt. Wie oben skizziert geschah dies auf sehr oberflächliche Art und Weise und nicht mit Blick auf die strukturellen Ursachen namens Armut und Ungleichheit. Wenn aber die Ursachen übersehen und nur einige Symptome angegangen werden, so wird der „Krankheitsverlauf“ lediglich verzögert und die „Krankheit“ am Ende chronisch. Letztendlich dient dies solchen Gruppen, die sowohl von den Ursachen als auch den Symptomen profitieren.

Für die heutige rumänische Linke besteht eine der wesentlichen Aufgaben darin, den Zusammenhang zwischen der Korruption und dem sogenannten „Kampf gegen die Korruption“ einerseits sowie dem Großkapital, neoliberaler Politik, Armut und Ungerechtigkeit andererseits aufzuzeigen. All diese Probleme hängen unbestreitbar miteinander zusammen und können jeweils nicht angegangen werden, ohne dabei auch ein anderes dieser Problemfelder zu berühren. Der Grund dafür ist, dass sie alle dieselbe Wurzel haben: den Kapitalismus. In den letzten Wochen gab es allerdings einige positive Signale, dass es – im Gegensatz zu den Massenprotesten von 2013 gegen das Goldabbau-Projekt in Rosia Montana – diesmal tatsächlich in diese Richtung gehen könnte. Vor zwei Jahren war die Linke fragmentiert, schlecht organisiert und ziemlich ängstlich. Dieses Mal haben mehrere Mitglieder verschiedener linker Gruppen in Bukarest einen offenen Brief unterzeichnet, der den Titel trägt: „Die Zukunft hat einen kollektiven Verfasser: Es sind die Forderungen der Linken“ (was nicht nur eine direkte Anspielung auf den Veranstaltungsort ist, in dem sich die Tragödie von Bukarest abspielte, sondern auch eine der Parolen bei den Protesten von 2013 war). Die UnterzeichnerInnen gehören Gruppierungen an wie etwa der „Frontul Comun pentru Dreptul la Locuire“ (dt.: „Gemeinsame Front für das Recht auf Wohnraum“), „Gazeta de Arta Politica“ („Zeitung für politische Kunst), „Pumn“ („Faust“), „Claca“, „MozaiQ“, „Quantic“, „CriticAtac“. Die Petition, die bisher von fast 1.000 Personen unterschrieben worden ist (auch wenn nur die ersten beiden der genannten Organisation den offenen Brief als solche unterzeichnet haben), umfasst sieben Forderungen: 1. bessere Finanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems, 2. bessere Finanzierung staatlicher Stellen zur Überwachung öffentlicher Dienste und des Arbeitsmarkts, 3. Durchsetzung des Rechts auf Wohnraum für alle ohne Ansehen der ethnischen Zugehörigkeit oder sozialer Herkunft, 4. Korrektur des gesamten Steuersystems und Einführung einer Steuerprogression auf Einkommen und Profite, 5. Verstaatlichung leerstehender Gebäude und Nutzung derselben für öffentliche und soziale Zwecke, 6. Umschichtung der Mehrausgaben für Sicherheits- und Überwachungsdienste in Richtung öffentlicher und sozialer Dienstleistungen, 7. Stopp der Überfinanzierung der rumänisch-orthodoxen Kirche durch den Staat.

Diese Forderungen gehen zwar in keinster Weise über reformistische Vorschläge hinaus, und der Begriff des Kapitalismus oder gar die Notwendigkeit, selbigen überwinden zu müssen, werden gar nicht erst erwähnt. Und dennoch steht dieser Forderungskatalog für einen offensichtlichen Fortschritt im Vergleich zu vorangegangenen ganz ähnlichen Situationen. Schließlich geht es hierbei um die erste öffentliche und gemeinsame Erklärung der ansonsten stark zerstückelten und noch jungen alternativen Linken in Rumänien. Bei den Protesten in Bukarest haben Mitglieder der meisten dieser Gruppierungen sogar einen kompakten gemeinsamen Block formiert und eindeutig linke Parolen ausgegeben wie z.B.: „Armut tötet!“, „Krankenhäuser, Schulen und soziale Einrichtungen statt Kathedralen!“, „Wir müssen zuerst sterben, bevor wir ein Anrecht auf eine Sozialwohnung bekommen: Maria Ion, 1977-2015“ etc. Sowohl die Petition als auch die Präsenz der Linken bei diesem Protestzug sind ein Schritt in die richtige Richtung für die Linke in Rumänien. Vor nicht einmal fünf Jahren wäre dies noch unvorstellbar gewesen. Der nächste Schritt sollte darin bestehen, eine wirklich sozialistische politische Organisation zu gründen, um sich gegen den neoliberalen Kapitalismus und den Neokolonialismus zur Wehr setzen zu können. Schließlich klafft auf der Linken in Rumänien ein riesiges Loch. Gleichzeitig sind derzeit wohl die besten Voraussetzungen für eine solche Organisation seit 1989 vorhanden.

 

Kroatien: Die Wahl zwischen Pest und Cholera

Konservative siegen vor Sozialdemokraten. Die Verelendungspolitik geht weiter.
Von Yannic Dyck, Göttingen

Kroatien wählt den Stillstand. Bei den Parlamentswahlen konnte die rechtskonservativ-nationalistische HDZ 59 der insgesamt 151 Sitze erringen. Sie wurde im Wahlkampf unter anderem von Viktor Orban und der deutschen CDU unterstützt. Der Partei des ehemaligen Geheimdienstchefs Tomislav Karamarko gelang es, sich vor allem mit Hetze gegen Flüchtende und Abschottungsforderungen zu profilieren. So forderte die HDZ zum Beispiel die Grenzen für Flüchtlinge dichtzumachen und militärisch zu sichern.

Angesichts der menschenverachtenden Grenz„schutz“politik von Nachbarstaaten wie Ungarn ist Kroatien für Schutzsuchende, die über die Balkanroute fliehen, jedoch einer der letzten Fluchtwege nach Nord- und Mitteleuropa geworden. Sollte es die HDZ schaffen, eine Regierungsmehrheit zu organisieren und ihre Drohgebärden gegenüber Flüchtlingen in die Tat umsetzen, würde sich angesichts der dann vollkommen geschlossenen Fluchtwege eine humanitäre Katastrophe mitten in Europa anbahnen.

Das im bisherigen Ministerpräsidenten Zoran Milanović personifizierte kleinere Übel der sozialdemokratischen SDP kam unterdessen auf 56 Sitze. Durch neoliberale Sparmaßnahmen, eine Deregulierung des Arbeitsmarkts, Privatisierungen und Kürzungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge hat die SDP die kroatische Arbeiterklasse noch weiter in den Abgrund gestürzt. Zwanzig bis dreißig Prozent Arbeitslosigkeit (die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei vierzig bis fünfzig Prozent), Lohndumping und rapide wachsende Armut in weiten Teilen des Landes kennzeichnen ihre Regierungsbilanz. Als Spielball wirtschaftlicher und politischer Machtinteressen der EU-Hegemonialmächte hat sich die SDP auf Druck von Troika und ausländischen Banken und Konzernen zu Spar- und Kürzungsmaßnahmen verpflichtet. Nur durch gewerkschaftlichen Druck konnten noch schlimmere Privatisierungsorgien bis zur Parlamentswahl am vergangenen Wochenende verhindert werden. Nun, da der Druck der anstehenden Neuwahlen wegfällt, ist davon auszugehen, dass die neue Regierung (egal wer sie letztendlich anführen wird) die Diktate der EU noch brutaler als bisher umsetzen und die EU-Kolonie Kroatien weiter destabilisieren wird.

Neue Partei “Most”

Zünglein an der Waage wird die neue neoliberale Partei “Most” („Brücke“) sein. Sie konnte sich aufgrund der von Konservativen und Sozialdemokratie zu verantwortenden Sparpolitik im Interesse der Eliten in Kroatien und der EU als Alternative darstellen und somit 19 Parlamentssitze erringen. Die sich als Reformpartei inszenierende Most zog mit Forderungen nach der Wiederherstellung von Wettbewerbsfähigkeit in den Wahlkampf und setzte vor allem auf die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den etablierten Parteien. Praktisch unterscheidet sie sich jedoch kaum von SDP und HDZ, da auch sie Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierungen vorantreiben wird. Unklar bleibt, ob sich die Most auf eine Koalition mit den Parteien einlassen wird, als deren Alternative sie sich ausgibt. Von den 19 gewählten Abgeordneten sollen – neusten Informationen zufolge – bereits vier PolitikerInnen zurückgetreten sein. Hintergrund war ein geheimes Treffen zwischen Most-Spitzenmann und Ex-HDZ-Politiker Drago Prgomet und Premierminister Zoran Milanović. De facto besteht die Partei aus einem SDP-nahen sowie einem HDZ-nahen Flügel. Der jetzt entbrannte Richtungsstreit könnte zur Spaltung führen, indem die jeweiligen Flügel sich der HDZ und SDP anschließen würden. Aber auch eine Beilegung der Streitigkeiten und eine Regierungsbeteiligung bzw. die Tolerierung einer Minderheitenregierung sind denkbar.

So oder so: Die Leittragenden werden die kroatischen ArbeiterInnen, RentnerInnen und Jugendlichen, die jetzt schon mangels Perspektiven zu Scharen das Land verlassen, sein. Die EU-Diktate werden alle drei Parteien umsetzen. Damit droht sich die Lage weiter zu verschlimmern. Kroatien könnte zu einem zweiten Griechenland werden. Linke, sozialistische Alternativen sind rar, AntifaschistInnen haben mit Repression, Anfeindungen und Gewalt zu kämpfen. Nationalistische, rassistische und antiziganistische Einstellungen sind weit verbreitet und erhalten angesichts der rechten Hetze der HDZ und reaktionär-klerikaler Kräfte sowie der prokapitalistischen Sparpolitik des bürgerlichen Parteienkartells weiteren Auftrieb. Die starke Ablehnung des neoliberalen, undemokratischen und militaristischen Projekts EU wird weitgehend von rechts besetzt und mit nationalistischen Parolen beantwortet.

Gewerkschaften

Doch der gewerkschaftliche Druck im vergangenen Jahr gegen den Ausverkauf der noch vorhandenen Staatsbetriebe der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik macht auch Mut. Die Gewerkschaften diskutierten damals die Möglichkeiten eines Generalstreiks oder eines Referendums. Sie konnten so Druck auf die SDP-Regierung ausüben und die Privatisierungen vorerst verhindern. Die sozialen Proteste im Nachbarland Bosnien-Herzegowina vom letzten Jahr, als abertausende Menschen aller Nationalitäten und Religionen auf die Straßen gingen, Parlamentsgebäude stürmten und gegen Massenarbeitslosigkeit, Armut, menschenunwürdige Bezahlung, Privatisierungen, Korruption protestierten, zeigen zudem welche Kraft die Arbeiterklasse in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens besitzt, wenn sie vereint gegen ihre Unterdrücker kämpft. Diese Proteste können ein Vorbild für die kroatische Arbeiterklasse sein. Hierzu braucht es einer sozialistischen Arbeiterpartei, die linke, antikapitalistische Perspektiven aufzeigt. Währenddessen muss unsere Aufgabe hier in Deutschland – im Herzen der Bestie- sein, dem deutschen Imperialismus, der rassistischen Asylpolitik der Bundesregierung und den Spardiktaten von Merkel, Schäuble und Co. Widerstand entgegenzusetzen.

 

Irland: Repression gegen AktivistInnen

„Rechtsstaat“ versucht Proteste mundtot zu machen – Kampf gegen Wassergebühren geht weiter
Laura Rafetseder

Im November 2014 fand ein Sitzstreik bei einem lokalen Protest gegen die unsozialen Wassergebühren statt. Vizepremierministerin Joan Burton wurde dabei für zwei Stunden aufgehalten. Für diesen Protest sind nun AktivistInnen mit Strafen und Gefängnis bedroht. Beschuldigt sind 23 Personen aus dem proletarischen Stadtteil Jobstown in Dublin, inklusive Parlamentarier Paul Murphy (Socialist Party, CWI in Irland) und den Gemeinderäten Kieran Mahon und Mick Murphy von der Anti-Austerity-Alliance (ein Anti-Kürzungs-Bündnis, an dem die Socialist Party zentral beteiligt ist).

Diese Anschuldigungen sind politisch motiviert. Sie werden zu einer Zeit vorgebracht, da die Umfragewerte der Regierung im Keller sind und ihre Pläne für die Wassergebühr massivem Widerstand gegenüberstehen. Mitte Juli wurde bekannt, dass 57% die Gebühr nicht bezahlen. Das entspricht 860.000 Haushalten. Die Wassergebühr ist eine Massensteuer, betrifft die Ärmsten am härtesten und ist eine massive Belastung für viele Haushalte von ArbeiterInnen. Mehrmals gingen zehntausende gegen die Gebühr auf die Straße. Das gewaltsame Vorgehen gegen AktivistInnen durch den irischen Staat spiegelt die Polarisierung in der irischen Gesellschaft wider. Es zeigt, auf welcher Seite der Staat steht: Er greift jene an, die von Sparpolitik betroffen sind und schützt jene, die sie umsetzen. AAA, die Socialist Party und die Gemeinde von Jobstown werden weiterhin gegen Repression und Sparpolitik kämpfen.

 

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Chinas Wirtschaft kühlt ab

Max Uhlir

Am 11. August wertete die chinesische Regierung den Yuan um 3 % ab. Diese Abwertung schockte den globalen Markt. Allein am 24. August fiel der Shanghai Composite Index um 8,5 %. Der Schwarze Montag schickte Schockwellen um die gesamte Welt. Innerhalb eines Tages verloren die 300 größten europäischen Unternehmen 400 Milliarden Dollar an Wert.

Was aussieht wie ein kurzzeitiger Zusammenbruch der Börsen, zeigt in Wahrheit, wie langsam die chinesische Wirtschaft, das Zugpferd der Weltwirtschaft, schon geworden ist. Im Vergleich zum Vorjahr brachen die Exportzahlen Chinas um 5 % ein, die Importe sogar um 13,8%. China, das in den letzten Jahren ein Drittel des globalen Wirtschaftswachstums ausmachte, wächst immer langsamer, spekulativer und damit unsicherer.

Um den Fall zu bremsen, startete die chinesische Regierung die größte Finanzspritze in der Geschichte Chinas. 200 Milliarden Dollar wurden von staatlichen Banken für die Aktienmärkte bereitgestellt. Der staatliche Pensionsfonds durfte erstmals am Markt mit Aktien handeln. Der Staat kaufte, um die Börsen zu pushen, massiv Anteile auf. Auch international wurde reagiert: Die Federal Reserve (USA) verzichtete auf die erwartete Leitzinsanhebung.

Die Probleme werden dadurch zwar in die Zukunft verschoben, doch lösen lassen sie sich nicht. In China bläht sich seit Jahren die größte Immobilienblase aller Zeiten auf. Die Gesamtverschuldung der chinesischen Bevölkerung liegt bei über 280 %. Die Industrie sitzt auf gewaltigen Überkapazitäten und die Überproduktion ist enorm.

Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus betrifft auch China. Und das hat direkte Wirkungen auf die ganze Welt. China ist ein wichtiger Investor in Asien und Afrika und kauft einen großen Teil der Rohstoffexporte der Schwellenländer z.B. aus Lateinamerika. China ist der größte Gläubiger der USA und einer der wichtigsten Absatzmärkte für europäische Produkte. Die Weltwirtschaft steht auf tönernen Füßen und China kann zum Auslöser für den nächsten Einbruch werden. Doch die massiven Klassenkämpfe in China (1,5 Millionen Streiks alleine 2014) zeigen auch das Potential für Widerstand. Made in China auch für Arbeitskämpfe – das hat Zukunft!

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Internationale Notizen: Britannien - Finnland - Chile

Britannien: TUSC Konferenz

Über 200 TeilnehmerInnen diskutierten am 26.9. bei der Konferenz der TUSC (Trade Union and Socialist Coalition/Netzwerk von GewerkschafterInnen und SozialistInnen), darunter GewerkschafterInnen der RMT, von Unite sowie u.a. der Socialist Party (CWI England und Wales), die eine zentrale Rolle in TUSC spielt. Im Zentrum standen die Entwicklungen in der Labour Party nach dem Wahlsieg von Corbyn. Es wurde klargestellt: zentral ist der Kampf gegen Kürzungen. Bisher stellte sich die Labour Party gegen diese Kämpfe. Sollte sich das unter Corbyn ändern, so unterstützt TUSC diese Entwicklung. Festgestellt wurde auch, dass davon auszugehen ist, dass es über kurz oder lang zu einer Spaltung der Labour Party kommen wird, da aktuell zwei Parteien in einer existieren.

http://www.tusc.org.uk

www.socialistparty.org.uk

Finnland: Generalstreik

Am 18.9. wurde Finnland von einem Generalstreik erschüttert. ArbeiterInnen aus Transport-, Metall-, Papier- und Autobereich streikten ebenso wie Öffentlich Bedienstete, u.a. bei Post und Polizei, und auf den Werften. Studierende besetzten ein Uni-Gebäude in Helsinki. 30.000 demonstrierten im Zuge des Streiks gegen die brutalen Kürzungspläne der Regierung. Diese will u.a. den Urlaub kürzen, Überstunden- bzw. Wochenendzuschläge sowie das Krankengeld reduzieren und im Sozial- und Gesundheitsbereich 800 Millionen streichen. Die Flugblätter von Sosialistinen Vaihtoehtos (CWI in Finnland) „18. September – das ist erst der Anfang“ gingen weg wie die warmen Semmeln. Darin wurde u.a. ein 2-tägiger Generalstreik als nächster Schritt bei der Budgetdebatte im Dezember vorgeschlagen.

www.sosialistit.org

Chile: Unmut wächst

Bei Demonstrationen am 13.9. richtete sich die Wut v.a. gegen die Korruption und die staatliche Repression. Eine der zentralen Forderungen war der kostenlose Bildungszugang. Socialismo Revolucionario (CWI in Chile) fordert einen Plan zur Mobilisierung und die Verbindung der Proteste der Studierenden mit jenen der ArbeiterInnen bis zu einem Generalstreik.

www.revistasocialismorevolucionario.blogspot.co.at

 

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Türkei: Am Rande des Bürgerkriegs

Erdogan provoziert Bürgerkrieg zwecks Machterhalt – nur Einheit der ArbeiterInnenklasse kann ihn stoppen!
Nihat Boyraz

Am 7. und 8. September kam es zu explosiven Massenprotesten. Die Proteste richteten sich diesmal nicht gegen die Regierung, wie vor zwei Jahren bei den Gezi-Protesten. Diesmal standen sie in Zusammenhang mit Angriffen gegen im Westen der Türkei lebende KurdInnen. Auslöser war, dass 16 Soldaten durch einen Angriff der PKK ums Leben gekommen waren. Geführt von NationalistInnen wandte sich die Stimmung schnell gegen KurdInnen. Unter Duldung der Polizei wurden Büros der linken pro-kurdischen HDP, Geschäfte, Buchhandlungen und kurdische Cafes mit Brandanschlägen angegriffen. Viele bezeichneten diese Ereignisse als die „türkische Kristallnacht“.

Hintergrund sind die neuerlichen Parlamentswahlen am 1. November. Die regierende AKP hatte bei den Wahlen im Juli ihre absolute Mehrheit verloren und konnte nicht mehr allein regieren. Zu dieser Niederlage hatte nicht zuletzt die HDP (Demokratischen Partei der Völker, eine neue linke Formation, die aus der kurdischen Bewegung entstanden ist) beigetragen. Sie erreichte 13% der Stimmen, ein sensationelles Ergebnis. Damit brachte sie die ganze Parteienarithmetik im bürgerlichen Parlament, sowie die Machtpläne von Erdogan, durcheinander. Erdogan boykottierte Koalitionspläne mit anderen Parteien. Dann ließ er PKK-Stellungen bombardieren und beendete damit die 2-jährige Waffenruhe. Jetzt versucht er mit nationalistischer Propaganda Stimmen von WählerInnen der nationalistischen MHP zu gewinnen. Parallel dazu tut er alles, um die HDP an der 10%igen Wahlhürde scheitern zu lassen, indem er sie politisch zu diskreditieren versucht.

Nicht alle, die sich in der ersten Septemberwoche an diesen Ereignissen beteiligten, hassen KurdInnen oder sind FaschistInnen. Die Mehrheit davon waren Jugendliche und einfache Leute, die keine linke Alternative sahen. Gäbe es eine linke Massenkraft, hätte dies eine zweite „Gezi“-Bewegung sein können. Die Wut hätte sich nicht gegen KurdInnen, sondern gegen die AKP und die herrschende Klasse gerichtet.

Die Lage in der Region ist sehr kompliziert. Sie wird sich politisch und sozial weiter destabilisieren. Der Erfolg der HDP war ein riesiger Schritt für die Einheit der türkischen und kurdischen ArbeiterInnenklasse. Das jagte den Herrschenden und der AKP einen gehörigen Schreck ein. Die HDP hatte es geschafft, auch Unterstützung eines Teiles der türkischen ArbeiterInnenklasse zu gewinnen. Allerdings sind die Achillesferse der HDP die falschen Kampfmethoden der PKK. Eben darauf schießen sich die nationalistischen Kräfte ein.

Die programmatischen und strukturellen Schwächen der HDP machen ihre weitere Entwicklung unklar. Daher muss die Linke, während sie die HDP kritisch unterstützt, gleichzeitig für den Aufbau einer linken Kraft stehen, die ein klares sozialistisches Programm hat. Dieses Programm muss die demokratischen Forderungen der KurdInnen und anderer Minderheiten mit sozialen Forderungen der gesamten ArbeiterInnenklasse verbinden. Die im letzten Jahr gegründete BHH (Vereinte Juni Bewegung) könnte neben der HDP eine solche Kraft werden. Allerdings hatte ihre sektiererische Haltung bei den Wahlen im Juni sie fast in die Bedeutungslosigkeit getrieben. Eine von linken Gewerkschaften, Berufsverbänden, HDP und BHH organisierte Konferenz für eine breitere antikapitalistische Front könnte ein wichtiger Schritt in Richtung einer linken Kraft werden.

Sosyalist Alternatif lehnt alle Kampfmethoden ab, die zur Spaltung der Arbeiterklasse führen – so auch individuellen Terrorismus. Wir verteidigen die demokratischen Forderungen der kurdischen Bevölkerung bis hin zum Recht auf Lostrennung. Um diese Forderungen durchzusetzen, müssen die KurdInnen die türkische ArbeiterInnenklasse dafür gewinnen. Daher ist es notwendig, den Kampf um demokratische Rechte mit dem Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung zu verbinden, unter der alle ArbeiterInnen in der Türkei leiden. Kampfmethoden, durch die ihre Kinder ums Leben kommen, werden die ArbeiterInnenklasse nie überzeugen. Sie können nur die Spaltung, die schon existiert, weiter vertiefen – und damit den Herrschenden und ihrem Vertreter Erdogan in die Hände spielen.

Sosyalist Alternatif fordert u.a. eine sofortige Beendigung aller militärischen Operationen, Nein zu den rassistischen Angriffen auf die KurdInnen, sofortiger Stopp der Angriffe durch die PKK, Stopp der Unterstützung jihadistischer Gruppen durch die Türkei. Wir stehen für den gemeinsamen Kampf der türkischen und kurdischen ArbeiterInnenklasse gegen jihadistische Angriffe und gegen die AKP-Regierung sowie für eine demokratische und sozialistische Föderation des Nahen Ostens auf freiwilliger Basis. Nur so ist ein Ende der Gewalt möglich.

http://www.sosyalistalternatif.com

 

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