Internationales

AfD: Reaktionär und arbeiterfeindlich

Das wahre Gesicht der Alternative für Deutschland
von Leonie Meliones, Hamburg

Die Alternative für Deutschland (AfD) gewinnt Anhänger. Wenn aktuell Bundestagswahlen stattfänden, würde die AfD laut Umfragen zwischen zehn und 13 Prozent der Wählerstimmen erhalten.

Für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März sagen Prognosen der AfD sogar 17 Prozent voraus. Dort gaben dreißig Prozent der unter 29-jährigen an die AfD wählen zu wollen (Umfrage des MDR). Anhänger der Partei nennen Asylpolitik, Islam und innere Sicherheit als häufigsten Grund für ihre Wahlentscheidung. Ängste um den eigenen Lebensstandard werden von der AfD mit einer Sündenbockpolitik beantwortet. Dabei präsentieren sie sich als mutige Aufklärer gegen das Establishment. Eine Umsetzung des politischen Programms der AfD würde jedoch zu einem massiven Angriff auf die Mehrheit der Bevölkerung führen.

AfD greift Beschäftigte an

Den Kampf gegen Zuwanderung und den Schutz vor den angeblich daraus resultierenden Gefahren, wie zunehmenden Terrorismus, Ausbeutung unseres Sozialsystems und ansteigende Kriminalität haben sie sich groß auf die Fahnen geschrieben. Sie schüren mit ihrer Propaganda Ängste und warnen vor einem Verlust unseres Lebensstandards, aber ihre Politik greift genau diesen an. Sie sind gegen die Einführung eines Mindestlohns, für Lohnsenkungen, eine Hochsetzung des Renteneinstiegsalters, Privatisierungen und einen Rückzug des Staates aus dem Arbeitsmarkt. Damit würden auch Arbeitsschutzgesetze, wie das Arbeitszeitgesetz und der Mindesturlaub wegfallen. Sie wollen staatliche Unterstützungen für arbeitslose Menschen kürzen oder sogar ganz streichen und Vorstandsmitglied Konrad Adam vertrat die Position ihnen gleich dazu noch das Wahlrecht zu entziehen. Ihre bildungspolitischen Forderungen setzen auf Leistungsdruck und Selektion, wie zum Beispiel mit den Forderungen im Landtagswahlprogramm der AfD in Baden Württemberg nach der Wiedereinführung von Grundschulempfehlungen, dem Erhalt und der Förderung des dreigliedrigen Schulsystems, einer Stärkung der Autorität der Lehrer durch „konsequente Unterrichtsdisziplin“ und gegen Inklusion. Einige AfD-Politiker sind auch für die Wiedereinführung von Studiengebühren. Die Hochschule würde dann nur einer reichen Elite zugänglich sein oder StudentInnen ohne Eltern mit den nötigen finanziellen Mitteln in Schulden stürzen (Landeswahlprogramm Baden-Württemberg).

Bei Fragen des Umweltschutzes und des Gesundheitswesens verweist die AfD auf die Notwendigkeit eines freien Wettbewerbs und fordert eine Deregulierung des Marktes.

Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft

Die rechten Hetzer sehen das deutsche Volk durch den demographischen Wandel und „geburtsfreudige“ EinwandererInnen gefährdet. Dagegen stellt die AfD in Sachsen-Anhalt und Baden Württemberg „eine Willkommenskultur für den Nachwuchs der einheimischen Bevölkerung“ (Landeswahlprogramm Sachsen-Anhalt) und spricht sich für staatliche Anreize zur Anhebung der Geburtenrate, „die auch eine Reduzierung der viel zu hohen Abtreibungszahlen mit sich bringen würde“ (also vermutlich einer Einschränkung des Abtreibungsrechts). Die Eckpunkte ihrer Familienpolitik bestehen aus den Forderungen nach Betreuungsgeld beziehungsweise Familiengeld, Familiensplitting und andere Steuervorteile und der Möglichkeit des Hausunterrichts. Auch wenn die AfD zum Beispiel in Sachsen-Anhalt in ihrem Wahlprogramm einerseits den Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten als wünschenswert formuliert, betont sie andererseits sehr stark die „echte Wahlfreiheit“ für einheimische Frauen ihre Kinder auch ausschließlich zu Hause zu betreuen. Diese Wahlfreiheit wäre aber nur für Familien mit dem nötigen Einkommen „echt”.

Geprägt ist das ganze von einem reaktionäre Familienbegriff. Nur das klassische Modell mit Vater, Mutter und so vielen Kindern wie möglich, wird als richtige Familie anerkannt. In Baden-Württemberg fordert die AfD das Adoptionsverbot für homosexuelle Paare, „da nur die Ehe zwischen Mann und Frau eine Familie begründen kann“. Die Wurzel des Übels sei das „Gender-Mainstreaming“, das Ehen zerstöre und die Chancengleichheit für Männer gefährde. Viel eher sollten Jungen laut der AfD gefördert werden, da sie in unserem Bildungssystem strukturell unterdrückt würden.

Die Auseinandersetzung mit Sexualität in Bildungseinrichtungen lehnt sie als „Früh- und Hypersexualisierung“ ab, genauso wie die rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Lebensgemeinschaften.

Die AfD ist alles andere als eine Alternative zur herrschenden Politik. Sie ist neoliberal, antisozial, national, sexistisch, homo- und transphob und elitär.

Politik für Reiche

Profitieren von der Politik der AfD würden vor allem reiche Menschen, die in das reaktionäre Weltbild der Partei passen. Menschen mit Migrationshintergrund, LGBTIQ, Frauen, Arbeitslose, Geringverdiener, Rentner und Kinder und Jugendliche würden klar zu den VerliererInnen zählen. Auch wenn die AfD sich gerne als Anti-Establishment-Partei darstellt, verfolgt sie eine menschenverachtende Politik, die ganz im Interesse der Kapitalisten ist. Ihre Hetze spielt ihnen in die Hände und unterstützt ein gesellschaftliches Klima, das MigrantInnen, FeministInnen, Homo- und Transsexuelle, Arbeitslose und Linke als Verursacher von sozialen Problemen und Kürzungspolitik hinstellt und uns alle spaltet. Aufgabe der LINKEN/Linken und Gewerkschaften ist es den Kampf gegen Rassismus mit dem Kampf gegen soziale Probleme zu verbinden. Der Kapitalismus ist der Grund für die schlecht bezahlten Jobs, die miesen Arbeitsbedingungen, die fehlenden Wohnungen, gestiegene Preise der Grundversorgung und Einsparungen bei Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.

 

Griechenland: „Wir bereiten uns auf die nächste Runde vor“

Nach dem Verrat von Tsipras gibt es weiter Widerstand – Interview mit Eleni Mitsou

Nach dem massiven Verrat von Tsipras und der Umsetzung der Kürzungspolitik durch die Syriza-Regierung – wie ist die Stimmung in der griechischen Bevölkerung?

Die Menschen sind sehr enttäuscht und verärgert. Zur Zeit herrscht eine gewisse Demoralisierung vor, viele denken, dass man nichts mehr ändern kann. Aber es gibt doch auch eine wichtige Schicht, die entschieden ist mit dem Kampf weiter zu machen.

Es gibt also Proteste gegen die Regierung?

Ja, Syrizas Schonfrist ist vorbei. Es gibt die ersten Massenmobilisierungen: Am 4 Februar gab es einen Generalstreik, der massenhaft befolgt wurde. Aktuell protestieren außerdem die Bauern. Die Syriza-Regierung hat die Steuern für Bauern geändert. In den nächsten Jahren sollen die Steuerabgaben um das dreifache steigen. Außerdem werden auch die  staatlichen Versicherungsbeiträge angehoben. Die Landwirte haben nun zehntausend Traktoren auf alle großen Straßen gefahrenm um den Verkehr jeweils bis zu sechs Stunden zu blockieren, zum Beispiel werden die Fernverkehrsstraßen um Athen herum blockiert.

Außerdem gibt es auch Demonstrationen und Streiks von Selbstständigen, von Ärzten, Architekten und Anwälten, also eher der Mittelschicht. Aber es sind nicht nur solche Schichten, die auf den Demos sind, sondern auch viele andere. Es gibt in Griechenland viele Menschen, die Architektur studiert haben oder ein kleine Firma oder einen Laden haben und wirklich wenig verdienen. Sie verdienen ungefähr 600 bis 800 Euro im Monat, sind also keine reichen Leute. Die Proteste richten sich gegen die Regierung und gegen die Reformen, die ähnlich sind wie bei den Bauern (höhere Steuerabgaben, höhere Versicherungsbeiträge).

Es gibt auch viele kleinere Kämpfe. Im Januar begann ein Streik der Putzfrauen, die die öffentlichen Busse putzen. Sie werden nicht direkt vom Staat angestellt, sondern von einer ausgelagerten Firma, die einen Vertrag mit dem Staat hat.  Die Firma zahlt ihnen seit fünf Monaten keinen Lohn. Sie haben zu unseren GenossInnen Kontakt aufgenommen und haben nach Hilfe gefragt. Jetzt streiken sie. Die Busfahrer, unsere GenossInnen und andere solidarischen Leute aus Athen stehen mit ihnen Streikposten.

Und solche Kämpfe gibt es die ganze Zeit. Es kommt sehr oft vor, dass man arbeitet, aber nicht bezahlt wird. Das muss dann irgendwie über die Familie aufgefangen werden. Man muss wirklich häufig streiken, einfach nur um das normale Gehalt zu bekommen.

Und wie ist die Einstellung zu Parteien und Politik bei den Protestierenden und in der griechischen Bevölkerung allgemein?

Ich glaube es ist ähnlich wie in allen europäischen Ländern. Es gibt eine Anti-Parteien-Stimmung. Und das ist eines der Probleme, die man jetzt überwinden muss. Die Bevölkerung denkt, dass alle Parteien gleich sind. Und besonders nach dem Verrat von Syriza hat sich diese Stimmung noch verstärkt.

Es gibt und gab Abspaltungen von Syriza. Welche sind das?

Die erste Spaltung war die Linke Strömung, die zusammen mit anderen die „Volkseinheit“ (LAE) geformt hat. Und dann gibt es von der Jugend mehrere Abspaltungen. Mehr als zwei Drittel der Syriza-Jugend sind aus der Partei ausgetreten, aber sie haben sich weiter gespalten. Und jetzt gibt es ungefähr fünf oder sechs Syriza-Abspaltungen. Da es aber noch ein paar Parteimitglieder gibt, die keine hohen Funktionäre sind, gehen die Austritte weiter.

Die „Volkseinheit“, zu dessen Wahl Xekinima im September aufgerufen hatte, hat den Einzug in das griechische Parlament nicht geschafft. Wie ist die „Volkseinheit“ entstanden und was ist ihr Charakter?

Die Volkseinheit wurde im August gegründet, ungefähr einen Monat vor den Wahlen. Die Hauptkraft ist die Linke Strömung aus Synaspismos (der größten Mitgliedsorganisation innerhalb von Syriza) und ihre Verbündeten DEA (Internationale Arbeiter-Linke, eine Organisation aus der Tradition der britischen Socialist Workers’ Party), sowie drei politische Organisationen die sich von Antarsya (dem Bündnis der antikapitalistischen Linken) abgespalten haben. Antarsya hat die Hälfte ihrer Mitglieder an die “Volkseinheit” verloren. Außerdem gibt es noch ein paar sehr kleine politische Gruppen und mit ARK eine kleinere Abspaltung von Syriza. Wir haben bei den ersten Treffen teilgenommen, aber uns entschieden nicht Teil der “Volkseinheit” zu werden.

Die “Volkseinheit“ ist sehr stark von der Linken Strömung kontrolliert. Die Mehrheit der Führungsfiguren in der “Volkseinheit” gehören dieser an. In vielen Fällen handelt es sich um Personen, die Parlamentssitze oder andere sehr wichtige Positionen in der ersten Syriza-Regierung hatten. Viele Menschen finden nicht, dass sie ausreichend Widerstand gegen Tsipras und seine Clique geleistet haben, die der griechische Arbeiterklasse in den Rücken gefallen ist.

Dazu präsentiert sich die “Volkseinheit” als “demokratische patriotische Front” und ihr Programm zur Überwindung der Krise ist begrenzt auf die Notwendigkeit mit dem Euro zu brechen, eine Nationalwährung einzuführen und die Schulden nicht zu bezahlen. Diese Forderungen werden nicht mit Maßnahmen und Strategien verbunden die mit der Herrschaft des Kapitals brechen und den Weg zum Sozialismus aufzeigen, auch wenn sie Sozialismus irgendwo in ihrem Programm erwähnen.

Im Gegenteil: Die “Volkseinheit” schürt die Illusion, Griechenland könne die Krise auf Basis des Kapitalismus überwinden ohne wirklich mit den griechischen Kapitalisten zu brechen. Sie denken, dass es ausreicht Griechenlands Abhängigkeit von der EU zu beenden und mit anderen kapitalistischen Ländern wie Russland oder China zusammenzuarbeiten.

Die „Volkseinheit“ hat während des Wahlkampfes versucht Basisgruppen aufzubauen. Viele Menschen, insbesondere die Syriza verlassen haben, sind zu diesen Treffen gegangen um zu erfahren welche Perspektiven die „Volkseinheit“ diskutiert. Die meisten der dieser AktivistInnen sind nicht eingetreten. Sie wollten diskutieren, was falsch gelaufen ist mit Syriza, aber die Linke Strömung hat nur gesagt, dass es dafür keine Zeit gäbe. Sie wollten über das Programm diskutieren, aber die Kader der Linken Strömung erwiderten, dass für solche Diskussionen keine Zeit sei und man nach den Wahlen darüber diskutieren könne.  Sie wollten die Kandidaten für die Wahlliste wählen. Die Linke Strömung hat ihnen geantwortet, dass sie selbst ganz oben auf der Liste stehen werden.

Deshalb war und ist die „Volkseinheit“ nicht sonderlich attraktiv für die Arbeiterklasse und die Jugend. Es ist trotzdem wahrscheinlich, dass sie bei den nächsten Wahlen ins Parlament kommt, weil viele Menschen die im September letzten Jahres noch Illusionen in Syriza hatten dann wahrscheinlich die „Volkseinheit“ wählen werden. Allerdings haben sie auch nicht so viel Auswahl auf der Linken. Es gibt die „Volkseinheit“ oder die Kommunistische Partei und ein paar werden wohl auch noch für Antarsya stimmen. Auf Wahlebene kann es also sein, dass sie in Zukunft besser abschneiden, aber ansonsten sind sie nicht sehr attraktiv.

Was ist mit den Faschisten. Die „Goldene Morgenröte“ stagniert zwar aktuell, aber wie groß ist die potenzielle Gefahr ?

Die potenzielle Gefahr ist groß. Sie stagnieren, aber haben auch nicht verloren. Trotzdem ist es wichtig anzuerkennen, dass sie es bisher noch nicht geschafft haben die Welle von Flüchtlingen erfolgreich für ihren Hass und die Stärkung ihrer Kräfte zu benutzen.

Was sie gerade auch etwas schwächer macht ist der Fakt, dass sie vor Gericht stehen und viele im Gefängnis sind. Aber die Regierung schenkt dem Verfahren keine große Beachtung. Wenn es der „Goldenen Morgenröte“ irgendwie gelingt aus dem Verfahren rauszukommen ohne verurteilt zu werden, kann sie das in Zukunft stärken. Vor allem weil es wenig Beachtung seitens der Linken gibt. Von der Linken gehen nur wir und ein paar andere antifaschistische Gruppen zu den Gerichtsverhandlungen, um die Bevölkerung über den Verlauf zu informieren, aber niemand sonst aus der gesellschaftlichen Linken.

Die „Goldene Morgenröte“ hat Verbindungen zur Polizei, hat Verbindungen zum Justizsystem usw. Es wird also nicht wirklich unparteiisch entschieden werden.

Eine andere Gefahr ergibt sich aus der Flüchtlingssituation. Bis jetzt haben die Flüchtlinge Griechenland durchquert um nach Deutschland oder ein anderes nordeuropäisches Land zu gelangen. Wenn die EU ihre aktuellen Pläne durchsetzt, besteht die Gefahr, dass Hunderttausende in Griechenland fest sitzen werden. Dann könnte sich die Stimmung in Teilen der griechischen Bevölkerung ändern. Die Geflüchteten werden kein Essen, Trinken usw. haben. Das wird früher oder später zu Auseinandersetzungen mit der griechischen Bevölkerung führen. Das wird man nicht nur mit Solidaritätsaufrufen verhindern können, im besonderen in einer Gesellschaft die ökonomisch zerstört wurde. Die Linke und die antifaschistische Bewegung würde mit einer großen Herausforderung konfrontiert sein.

Aber aktuell gibt es auch große Solidarität mit den Flüchtlingen in der griechischen Bevölkerung?

Ja, die Mehrheit spricht sich für die Flüchtlinge aus. Sie symphatisieren mit Ihnen, insbesondere nachdem sie gesehen haben, dass es Kinder und Familien sind, und dass sie der griechischen Bevölkerung  nichts wegnehmen wollen, sondern nur einen sicheren Ort zum Leben suchen. Selbst an Orten und Arbeitsplätzen wo die Faschisten sehr regelmäßig ihre Propaganda verbreiten, zum Beispiel bei den Busfahrern. Viele Busfahrer haben Flüchtlinge von einem Ort zum anderen in Athen transportiert. Sobald sie den geflüchteten Menschen selbst begegnet sind und ihre Lage mitbekommen haben, ist die Propaganda der Faschisten zusammengebrochen.

Und es gibt sehr viel Solidaritätsarbeit. Wenn diese Arbeit, die es in jeder Nachbarschaft in Athen oder auf den Inseln gibt, koordiniert werden würde, dann könnte sie soviel effektiver sein.  Die Menschen geben Schuhe, Kleidung, Essen, Decken usw. in enormer Anzahl. Wenn die Syriza-Regierung dies effektiv koordinieren würde, wäre die Situation sehr viel besser. Aber Syriza ist noch nicht einmal fähig das zu machen.

Was die Haltung von Syriza gegenüber den Geflüchteten?

Sie machen keine Propaganda gegen die Flüchtlinge, aber sie tun auch nicht wirklich etwas. Sie hätten mehr Volksküchen und Unterkünfte für die geflüchteten Menschen bauen und eröffnen können. Sie haben mehr gemacht als die Regierungen zuvor, aber es ist extrem wenig, verglichen damit was eine sogenannte Linke Regierung eigentlich tun sollte. Sie haben sich bisher noch nicht gegen die Flüchtlinge gewandt. Es fängt aber an, dass die Regierung sich gegen Immigranten ausspricht. Vor ein paar Monaten haben sie Immigranten ins Land gelassen, jetzt stoppen sie die Immigranten und versuchen sie wieder zurück in die Länder zu schicken aus denen sie gekommen sind, wie Marokko oder Algerien.

In welchen Kampagnen ist Xekinima aktiv?

Wir machen viel Gewerkschaftsarbeit. Wir haben einige GenossInnen, die gewählte Gewerkschaftsvertreter sind. Wir versuchen Streiks und andere Formen von Mobilisierungen gegen die Kürzungen und die Entlassungen zu organisieren.

Zum Beispiel in Volos, da gibt es eine Tochterfirma von Continental und die entlassen wieder Mitarbeiter. Wir haben dort einen Genossen, der ein gewählter Gewerkschaftsvertreter ist und wir versuchen Streiks gegen die Entlassungen und Gehaltskürzungen zu initiieren.

Neben der Gewerkschaftsarbeit ist die antifaschistische Arbeit und die Mobilisierung gegen Faschisten wichtig.

Kampagnen die die Umwelt betreffen nehmen in letzter Zeit zu, weil ganze Teile von Griechenland verkauft werden. Es gibt eine sehr schöne Gegend im Süden von Griechenland, die aus Sanddünen besteht. Eigentlich ist das ein Umweltschutzgebiet, aber sie wollen es verkaufen damit darauf eine Golfanlage gebaut wird.

Außerdem ist die Bewegung in Chalkidiki gegen den Bau einer Godmine sehr wichtig für uns. Es gibt eine kanadische Firma die ein großes Gebiet zerstören will, was derzeit ein Gebirgswald ist, um Gold abzubauen. Goldminen zerstören die Umwelt bis auf den Grund: Das Wasser würde vergiftet werden, die Luft würde verschmutzen, die Bäume würden gefällt werden und die Gefahren bei einem Unfall sind massiv. Diese Firma zahlt noch nicht mal Steuern in Griechenland. Wir sind sehr aktiv gegen dieses Vorhaben. Die Polizeibrutalität gegen die Bewegung ist unfassbar, weil die Polizei die Interessen der Firma schützt. Die Mehrheit der Dörfer sind in dieser Bewegung aktiv und auch viele Leute aus Chalkidiki.

Diese Bewegung hatte große Hoffnungen in Syriza gesetzt, dass sie diese sogenannte Investition stoppen und die Firma, die sich “Eldorado Gold” nennt, vertreiben würden. Aber das hat Syriza nicht getan. Und einige sind dadurch sehr enttäuscht und haben aufgegeben, aber es gibt immer noch viele die den Kampf weiter führen.

Abschließend, welche Lehren ergeben sich aus der Entwicklung Syrizas und welches Programm  schlägt Xekinima vor?

Wir erklären, dass es eine neue Partei der Linken, eine neue Arbeiterpartei, braucht, die demokratisch geführt wird und ein revolutionäres Programm hat. Es reicht nicht aus nur zu sagen, dass wir mit dem Euro brechen müssen und die Schulden nicht bezahlen. Diese zwei Schritte müssen unweigerlich und unmittelbar zu anderen Maßnahmen führen. Sie führen zu Fragen der Verstaatlichung der Banken, um überhaupt Geld zur Verfügung zu haben. Denn, wenn Griechenland aufhört die Schulden zu zahlen, werden die Kapitalisten anfangen die Wirtschaft zu ersticken. Wir müssen die Schlüsselindustrien verstaatlichen und unter Arbeiterkontrolle stellen. Nicht von staatlich eingesetzten Leuten, sondern von demokratisch gewählten Arbeitern geführt und kontrolliert.

Und wir müssen die Wirtschaft planen. Insbesondere muss man beginnen die Landwirtschaft zu planen um die Grundbedürfnisse der griechischen Bevölkerung nach Essen usw. zu bedienen.

All diese Maßnahmen führen zu einem Zusammenstoß mit dem Kapitalismus und führen zu sozialistischen Schlussfolgerungen.  Diese Maßnahmen sind die einzige Möglichkeit die griechische Bevölkerung aus der Krise zu führen. Das ist das, was wir vorschlagen und in der Linken und in Bewegungen hinein tragen. Die Abspaltungen von Syriza, außer die „Volkseinheit“ die als Einzige organisiert ist, sind auf der Suche nach Antworten, sie wissen noch nicht, was sie tun wollen. Es gibt neue Gruppen, die aber noch keine Strukturen haben oder sagen können ob sie eine Partei sind oder nicht. Sie sprechen teilweise miteinander und sind im Diskussionsprozess, aber die Situation ist sehr fließend.

Und der Klassenkampf geht weiter. Tsipras wird herausfinden, dass die griechischen Massen seine Lügen nicht fressen werden. Wir bereiten uns auf die nächste Runde vor.

Eleni Mitsou ist führendes Mitglied der griechischen sozialistischen Organisation Xekinima und Mitglied im Internationalen Vorstand des Komitees für eine Arbeiterinternationale. Das Interview führte Linda Fischer.

 

     

    BäuerInnen besetzen das Zentrum von Athen

    „Alle zusammen – ArbeiterInnen, verarmte Bäuerinnen und Bauern müssen auf den Syntagma Platz vor das Parlament kommen!“
    Flugblatt-Text von Xekinima (Schwesterorganisation der SLP in Griechenland) vom 17. Februar 2016

    Vorbemerkung: Am Freitag und Samstag, dem 12. und 13. Februar, haben Bäuerinnen und Bauern, die aus ganz Griechenland in die Hauptstadt gekommen waren, den Syntagma Platz im Zentrum Athens besetzt. Sie forderten die Rücknahme des neuen Renten-Gesetzes, dass die SYRIZA-Regierung auf den Weg bringen will.

    Das folgende Flugblatt ist von Xekinima, der Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland, in den Tagen kurz vor dem Protest der Bäuerinnen und Bauern erstellt und verteilt worden. Darin wird zum vereinten Kampf von ArbeiterInnen, Bäuerinnen und Bauern gegen die Politik von Regierung und der Troika aufgerufen.

    Bei der derzeitigen Bewegung der Bäuerinnen und Bauern in Griechenland handelt es sich um einen der wichtigsten Kämpfe in ihrer Geschichte. Diese Bewegung ist von größerer Bedeutung als die letzte große Erhebung aus dem Jahre 1996. Damals blockierten die Bäuerinnen und Bauern wieder einmal die Autobahnen, um gegen den sogenannten „sozialistischen“ Premierminister Simitis zu protestieren.

    Natürlich gibt es einen guten Grund für die beispielhaft umfassende Mobilisierung der Bäuerinnen und Bauern. Dieser Grund besteht nicht darin, dass die Bäuerinnen und Bauern etwas „nicht verstehen“ oder dass sie „in die Irre geführt“ worden wären, wie die Regierung behauptet. Der Grund ist, dass das neue Renten- und Steuersystem, das die Regierung umzusetzen versucht, einfach die Existenz der großen Masse der verarmten Bäuerinnen und Bauern bedroht. Genau wie im Rest der „entwickelten“ Länder wird für die Bäuerinnen und Bauern die Folge so aussehen: Die landwirtschaftliche Produktion wird in den Hände einer Handvoll superreicher LandwirtInnen gelangen, die nur zwei Prozent bis vier Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Kleinbetriebe von heute werden dann nur noch landlose ArbeiterInnen hervorbringen, mit Löhnen auf niedrigstem Niveau, vergleichbar dem, was EinwanderInnen heute von gierigen GroßbäuerInnen erhalten.

    Der Kampf der verarmten Bäuerinnen und Bauern von heute findet im Interesse der gesamten ArbeiterInnenklasse statt. Wenn die Bäuerinnen und Bauern es schaffen, die Regierung dazu zu zwingen, von ihrem Vorhaben abzulassen, dann wird der Weg für die ArbeiterInnen und verarmten Schichten frei sein, um die Regierung zurückzudrängen. Das würde es uns erlauben, lautstark die Forderung vorzubringen: „Wir werden die Schulden nicht zahlen!“. Das ist ein Slogan, der in den Mittelpunkt der Forderungen der ArbeiterInnen, Bäuerinnen und Bauern und aller Armen im Land rücken muss.

    Natürlich werden die EU und die KreditgeberInnen mit der schon üblichen Drohung vom „Grexit“ reagieren. Die Bewegung kann und muss diesen Erpressungsversuch beantworten, indem sie die Umsetzung eines sozialistischen Programms einfordert. Auf dieser Grundlage kann die Wirtschaft geplant werden. Zu Beginn müssen die primäre und die landwirtschaftliche Produktion unterstützt werden, und es müssen Schritte zum Wiederaufbau der griechischen Industrie unternommen werden, die von den Vorgängerregierungen aus sozialdemokratischer PASOK und konservativer „Nea Demokratia“ zerstört worden ist. Diese Planung und dieser Neuaufbau der Wirtschaft muss im Sinne der Gesellschaft vonstatten gehen – nicht zum Nutzen der fünfzig Familien, die auf parasitäre Weise den Reichtum des Landes unter der Kontrolle haben!

    Um ein derartiges sozialistisches Programm zur Anwendung bringen zu können, müssen wir mit der Verstaatlichung des Bankensystems und der Schlüsselindustrien beginnen. Einhergehen muss dies mit der Einführung einer nationalen Währung, der Kontrolle über die Kapitalströme und den Außenhandel. Die Produktion und Verteilung der Güter muss demokratisch geplant werden. Dazu braucht es die Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten selbst.

    Heute drücken die Bäuerinnen und Bauern die Hoffnung der ArbeiterInnen in den Städten aus, die sich im Zuge der letzten Jahre an historischen Schlachten beteiligt aber leider nicht gewonnen haben. Die Anwesenheit der Bäuerinnen und Bauern auf dem Syntagma Platz muss von der gesamten griechischen Gesellschaft unterstützt werden. Dies bedeutet:

    • Die Parteien und Organisationen der Linken, die nicht sektiererisch sind und sich für gemeinsames Handeln einsetzen, müssen die Initiative ergreifen, um die Gewerkschaftsvorsitzenden unter Druck zu setzen. Am Ende müssen die letzteren zu konkreten Aktionen aufrufen.
    • Basis-Gewerkschaften sollten ihre Mitglieder dazu aufrufen, die Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen, indem sie zu Kundgebungen auf dem Syntagma Platz mobilisieren.
    • Das Handelszentrum in Athens, in dem die Linke stark vertreten ist, muss umgehend zu Streikmaßnahmen aufrufen, die ab Freitagmittag beginnen sollten, damit die ArbeiterInnen sich den Bäuerinnen und Bauern auf dem Syntagma Platz anschließen können.
    • Die Gewerkschaftsbünde (in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst) müssen dringend unter Druck gesetzt werden, damit sie umgehend zu einen neuen 24-stündigen Generalstreik in den nächsten Wochen aufrufen. Dies muss auf den erfolgreichen Streik vom 4. Februar folgen. Danach muss dann ein 48-stündiger Generalstreik durchgeführt werden.
    • Die Besetzung des Syntagma Platzes durch die Bäuerinnen und Bauern darf nicht am Sonntag beendet werden. Naturgemäß werden die meisten Bäuerinnen und Bauern wieder zurück in ihre Betriebe müssen und somit auch die Blockaden der Straßen aufgeben. Doch eine starke Delegation sollte ausharren und den Syntagma Platz besetzt halten – zusammen mit ArbeiterInnen und jungen Leuten.

    Wir können eine gemeinsame Front des Kampfes aufbauen, der alle unterdrückten Schichten der Gesellschaft angehören! Wir können Schäuble und seinen Freunden, den multinationalen Konzernen und EU-Bürokraten, der herrschenden Elite in Griechenland und ihren politischen Vertretern eine Lektion erteilen!

     

    Afrika – Neue Unruhen, Kämpfe und Chancen liegen vor uns

    Stellungnahme des CWI, beschlossen am Weltkongress im Jänner 2016

    In Afrika beginnt eine neue Phase massiver Umbrüche und revolutionärer Kämpfe. Schon die letzten Jahre waren vom Umsturz langandauernder Diktaturen und autoritärer Regimes geprägt. Beispiele dafür sind Tunesien, Ägypten und erst kürzlich die Revolution in Burkina Faso und die Proteste gegen den Versuch der unbeliebten Regierungsmitglieder in Burundi ihre Amtszeiten zu verlängern. Ebenso die Bewegung gegen die Unterdrückungs- und Sparpolitik im Sudan, Streiks der ArbeiterInnen um Verbesserungen in Kenia und Südafrika zu erringen und Kämpfe für Reformen, wie die kürzlich stattgefundene studentische Bewegung gegen Studiengebühren in Südafrika. Obwohl Kaboré, der ehemalige Premierminister des Compaoré Regime, in Burkina Faso erneut zum Präsident gewählt wurde, bedeutet das nicht das Ende der Revolution. Das Vermächtnis der linksorientierten Herrschaft Thomas Sankaras’ hat ArbeiterInnen und Jugendendliche radikalisiert. Der Sturz Compaorés’ und das Verhindern des Staatsstreiches im September 2015 haben die Bewegung bestärkt, die nicht einfach eine Rückkehr des alten Regimes akzeptieren wird. Obwohl es Nkurunziza in Burundi gelungen ist für die dritte Amtszeit als Präsident wiedergewählt zu werden, hat dies nicht zum Abflauen jener Proteste und Unruhen geführt, die das Leben hunderter Menschen gekostet haben. In diesem Land ist ein Bürgerkrieg nicht ausgeschlossen.

    Die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage wird in vielen Ländern dazu beitragen, dass sich das schon brisante Thema der Korruption verschärfen wird. Vor allem wird sich die Frage stellen, wo das ganze in den prosperierenden Jahren erwirtschaftete Geld hin ist? Die Siege jener Präsidentschaftskandidaten in Nigeria und Tansania, die als nicht-korrupt gelten, reflektieren dies. Sie werden eine Zeit lang in der Gunst der Massen stehen, bald werden diese aber anfangen Forderungen zu stellen, die nicht ignoriert werden können.

    Die allgegenwärtige Gefahr der Spaltung der Bevölkerung entlang ethnischer, religiöser und nationaler Linien kann nur durch eine vereinte ArbeiterInnenklasse, die für Veränderung und den Umsturz des kapitalistischen Systems kämpft, verhindert werden. Das Anwachsen von Boko Haram hat die internationale Aufmerksamkeit, vor allem nach der Entführung der 200 Chibok-SchülerInnen 2014, ebenso auf sich gezogen wie die Ausweitung ihrer Einflusszone über Nigeria hinaus. Es ist daher sehr wichtig sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Boko Haram es nicht wagte, während der größten Massenbewegungen Nigerias, den Protesten gegen die steigenden Benzinpreise sowie dem Generalstreik, Anschläge zu verüben.

    Das Fehlen einer organisierten ArbeiterInnenklasse, die die Bewegungen anführt und wenn es zum Scheitern von Bewegungen kommt, können Reaktion und Konterrevolutionen die Form von ethnischen, religiösen und nationalen Konflikte annehmen. Beispiele dafür sind Boko Haram in Westafrika, die Kämpfe an der östlichen Grenze der Demokratischen Republik Kongo (DRC) und im Gebiet der Großen Seen, im Südsudan und Ostafrika. Solche Konflikte übertreten die vom Kolonialismus gezogenen Landesgrenzen, wie die wachsenden islamistischen Aufstände am südlichen Rand der Sahara und Ostafrika demonstrieren.

    Des Weiteren werden die Konflikte zwischen den rivalisierenden national untergliederten herrschenden Klassen fortgeführt, obwohl diese noch nicht den Umfang des afrikanischen Weltkrieges von 1994 erreicht haben. Der damalige Konflikt in Zentralafrika, der durch die Ermordung von 800.000 Tutsis in Ruanda ausgelöst wurde, hat zwischen vier und fünf Millionen Menschen das Leben gekostet. Dennoch haben die aktuellen Kriege 10.000e Opfer und Millionen Flüchtlinge erzeugt.

    Die Grenzen und Realität von Aufstieg Afrikas”

    Afrika ist zunehmend erschüttert und dieser Ereignisse finden statt vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Weltwirtschaft, dem Einbruch der Rohstoffpreise, Klimawandel und einem starken Bevölkerungswachstum. Obwohl einige wenige Länder, wie z.B. Kenia, vorübergehend von den fallenden Ölpreisen profitiert haben, sind sie nach wie vor völlig abhängig von der instabilen Weltwirtschaft. Generell führt die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation zu sinkenden Lebensstandards und einer hoffnungslosen Zukunft. In vielen Ländern verschärft sich dadurch die brennende Frage, was mit den enormen Ressourcen des Kontinents geworden ist, im Besonderen in Ländern wie Nigeria das am Öl verdient (hat). Viele aktuelle Bewegungen gegen Machthaber waren vom brennenden Wunsch getrieben, korrupte Führungen los zu werden.

    Die sich verlangsamende Weltwirtschaft, vor allem die stark fallenden Rohstoffpreise haben schon viele Länder des Kontinents hart getroffen und in die Krise getrieben. Obwohl die Zinsen international niedrig sind können die sinkenden Exporteinnahmen zu einer neuen Schuldenkrise führen. Weltbank und IMF erwarten nach wie vor ein Wirtschaftswachstum von 3,7% für Afrika im Jahr 2015. Das ist die niedrigste Prognose seit 2009 und liegt unter dem erwarteten Bevölkerungswachstum. In manchen Ländern wie Nigeria bedeutet das Bevölkerungswachstum eine Verringerung des Bruttoinlandsproduktes pro Kopf.

    Das immense Bevölkerungswachstum, der Klimawandel und das Ausbreiten der Wüstenflächen tragen zur instabilen Lage Afrikas bei. Der Kontinent hat eine stark wachsende jungendliche Bevölkerung von aktuell einer Milliarde die nach Schätzungen bis 2015 auf zwei Milliarden und bis zum Ende des Jahrhunderts auf vier Milliarden anwachsen soll. Damit einher geht eine immense Urbanisierungsrate. Aktuell leben 40% der Afrikaner im städtischen Raum und die UN prognostiziert ein Anwachsen auf 60% bis 2050. Vor einem Jahrhundert war Kairo die einzige afrikanische Stadt mit einer Bevölkerung von über einer Million. Nun gibt es bereits 50 Städte und die UN erwartet, dass 43 weitere Städte die Schwelle bis 2030 überschreiten werden. Lagos ist mit 21 Millionen Einwohnern die größte Stadt Afrikas und die viert größte Stadt der Welt. Solche Megastädte entwickeln ihre eigene Identität was dazu führt, dass mehr und mehr Einwohner sich als “LagosianerInnen” sehen, dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine religiösen oder ethnischen Spannungen gibt.

    Natürlich müssen regionale Unterschiede berücksichtigt werden müssen doch die Behauptung, dass Afrika sich aufgrund der kapitalistischen Wirtschaftsweise im Aufschwung befindet, ist bestenfalls oberflächlich und vorübergehend. Sogar SympathisantInnenen dieses Wirtschaftssystems waren gezwungen zu sehen, dass der ökonomische “Fortschritt, der am Anfang des Jahrhunderts zu verzeichnen war, größtenteils das Ergebnis hoher Warenpreise war” (Financial Times, Oktober 27, 2015).

    Diese neuerliche Verlangsamung begräbt die Hoffnung von Millionen Menschen, vor allem in Ländern wie Ghana, wo viele glaubten, dass neu entdeckte Rohstoffe ihr Leben und das ihrer Familien verändern könnten. Es gab immer starke Elemente von Propaganda wenn die KapitalistInnen behaupteten, dass sich die afrikanische Mittelschicht schnell ausweitet. Diese Aussagen beruhen auf einer sehr niedrig angesetzten Definition dessen was als „Mittelschicht“ gezählt wird. Daher argumentierte die African Development Bank (AfDB) 2014, dass sich die Mittelschicht von 115 Millionen (1980) auf 326 Millionen AfrikanerInnen (2010) ausgeweitet hat. Und obwohl die Definition ohnehin schon sehr bescheiden angelegt war bestand diese Mittelschicht aus einer fließenden Klasse” von ungefähr 200 Millionen AfrikanerInnen die zwischen $2 und $4 am Tag haben, 82 Millionen die die „untere Mittelschicht” mit zwischen $4 und $10 bilden und einer Mittelschicht” die zwischen $10 und $20 am Tag zur Verfügung hat. (Anmerkung: Zum Vergleich die Definition von absoluter Armut erfasst alle mit einem Einkommen von max. 1,25$. Der Unterschied zwischen absoluter Armut und Mittelschicht soll also bei 75 Cent liegen.)

    Die häufig betonte explosionsartig angestiegenen Zahl der AfrikanerInnen die ein Mobiltelefon besitzen, bedeutet nicht, dass deren Einkommen und Vermögen gestiegen sind. Um ein anderes Bild Afrikas zu demonstrieren: die UN Economic Commission for Africa (UNECA) hat 2015 berichtet, dass die Anzahl armer AfrikanerInnen” von 291 Millionen im Jahr 1990 auf 389 Millionen im Jahr 2012 angestiegen ist. Statistische Berichtigungen der BIP Zahlen mancher Länder, wie Kenia und Nigeria, verzeichneten große Erhöhungen, jedoch nur auf dem Papier. Wenn man jemandem erklärt, er/sie sei nun wohlhabender bedeutet das nicht, dass sich der Lebensstandard tatsächlich ändert, wenn z.B. Südafrika, die zweitgrößte Volkswirtschaft auf dem Kontinent, eines der ungleichsten Länder der Welt ist.

    Für eine signifikante Menge der wohlhabenderen AfrikanerInnen bilden Geldsendungen, von Familienmitgliedern oder FreundInnen die im Ausland arbeiten, einen großen Teil ihres Einkommens. Geldsendungen aus dem Ausland betragen $40 Milliarden jährlich, und da sind die nicht registrierten Überweisungen noch nicht eingerechnet. Das absolute Gegenteil dessen macht die Elite, die ihr illegal erworbenes Vermögen aus dem Kontinent schmuggelt. Große Geldmengen werden nach Marokko, Algerien, Nigeria und Ägypten überwiesen. Es sind jedoch die ärmeren Länder die am meisten auf solche Geldsendungen angewiesen sind, da diese einen signifikanten Anteil ihres BIP ausmachen: 40% in Somalia, 38% in Eritrea, 26% in Liberia und 23% in Burundi. Die sich verlangsamende Wirtschaft in den Aufnahmeländern und die sich verschärfende Konkurrenz um Arbeit durch die neu hinzu gekommenen MigrantInnen, können dazu führen, dass sich die Geldsendungen verringern.

    Wie in den meisten kapitalistischen Nationen wurde der Reichtum in den afrikanischen Ländern, die kürzlich ein Wirtschaftswachstum aufweisen konnten, so z.B. in Angola und Mosambik, in den Händen Weniger konzentriert. Die Profiteure sind meistens Regierungsmitglieder oder stehen im Naheverhältnis zu zum Finanzsektor und internationale Konzerne. Das Ende des Booms aber trifft ArbeiterInnen und die armen am stärksten da sie den Preis für die neue Krise bezahlen müssen. 2013 finanzierte die Regierung von Angola 70% der Staatsausgaben durch Ölexporte, doch mit 2015 hatte sich dieser Wert auf 37% halbiert und das Budget wurde um ein Viertel gekürzt. Diese Krise geht einher mit der Vernichtung von Jobs und nun gibt es auch einen Mangel an Gütern des täglichen Bedarfs. Die Unzufriedenheit wächst und die Proteste stoßen auf immer härtere Repression durch das autoritäre MPLA Regime. Angola ist kein Einzelfall sondern es gibt ähnliche Situationen die sich in verschiedenen anderen rohstoffexportierenden Ländern entwickeln.

    Trotz des Humankapitals und der natürlichen Ressourcen ist dieser Kontinent der unterentwickeltste und direkter vom Imperialismus dominiert als Regionen in Asien oder Lateinamerika. Die Vorherrschaft des Rohstoffexports trägt dazu bei, dass die herrschende Klasse den Staat plündert und an der Philosophie “take the money and run” festhält. Die Unfähigkeit des Kapitalismus Afrika in einen entwickelten Kontinent zu transformieren wird daran deutlich, dass die regionalen KapitalistInnen in Aktien, Eigentum oder in Produkte investieren, die sofort und lokal verkauft werden können, wie Lebensmittel und Baumaterial. Langfristigere Investitionen die die in Konkurrenz mit internationalen Monopolen bringen könnten tätigen sie aber nicht. Die herrschende Klasse Afrikas sind lokale Verbündete und Agenten des Imperialismus, die nicht ernsthaft versuchen ihren eigenen Staat zu verbessern sondern bestenfalls als Profiteure bzw. Anhängseln agieren. Die Gewinnung von Rohstoffen wird bestenfalls in Zusammenarbeit mit ausländischen InvestorInnen getätigt. In manchen Fällen, wie bei Textilien, wurden lokale Industrien fast komplett von der chinesischen und asiatischen Konkurrenz untergraben. Und selbst dort wo es eine gewisse Entwicklung von regionaler Industrie gibt beschränkt sich diese auf die Montage wie z.B. im Bereich der Autoindustrie wo große Autokonzerne die Autos in Einzelteilen anliefern die dann nur mehr zusammengebaut, aber nicht produziert werden. Die fehlende Zuversicht der herrschenden Klassen ihre eigenen Länder zu entwickeln und diese stattdessen auszubeuten wird daran ersichtlich, dass jährlich $50 Milliarden illegaler Gelder vom Kontinent abgeschöpft werden.

    Der neue, rohstoffgetriebene „Wettlauf um Afrika“ hat einen ernsthaften Rückschlag erlitten. Dennoch versuchen die verschiedenen rivalisierenden Imperialismen mittel bis langfristig ihren Einfluss in Afrika auszubauen. In einer Welt, in der das Wachstum sehr schwach ist bedeutet Afrikas Reichtum bei Mineralien, Land und die billigen Arbeitskräfte in Kombination mit der wachsenden Anzahl potentieller KonsumentInnen das der Kontinent trotz der Armut der Mehrheit der BewohnerInnen weiterhin für manche KapitalistInnen attraktiv sein. KapitalistInnen, die verzweifelt nach profitablen Feldern für Investitionen und Verkäufe suchen. Diese Attraktivität, die Afrika für den Imperialismus hat wird nicht dazu führen, dass der Kontinent zum Retter des Welthandels aufsteigt oder dass die Armut beendet wird. Der Aufstieg und Verfall der Rohstoffpreise hat die Industrialisierung nicht massiv vorangetrieben aber die Klassengegensätze verschärft da der größte Teil der Werte an den Imperialismus und seine lokalen Verbündeten ging.

    Neue Rivalitäten in Afrika, ökonomischer und strategischer Natur

    Die letzten Jahre haben neue ausländische Interventionen in Afrika gezeigt. Die meisten wurden von Großbritannien und Frankreich, den ehemals bedeutendsten Kolonialmächten, unter der Flagge der AU oder UN unternommen. Unter dem Banner der humanitären Hilfe, um Bürgerkriege oder Katastrophen wie Ebola zu beenden, zielen solche Eingriffe darauf ab, systemkonforme Regierungen zu erhalten und die Interessen der Investoren zu sichern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die herrschenden Klassen nicht auch versuchen ihre eigenen nationalen Interessen zu vertreten. Es gibt Kämpfe zwischen den konkurrierenden Imperialisten um Profite und Einflusssphären. Als Teil ihrer eigenen Politik, sich stärker in Afrika zu beteiligen, hat die deutsche Regierung, nach den Anschlägen im November 2015 in Paris, erklärt, die Anzahl deutscher Soldaten, die in Mali stationiert sind, immens aufzustocken. Dort kämpfen auch französische Truppen seit 2013 gegen die Touareg und islamistische Gruppen.

    Gleichzeitig haben die Vereinigten Staaten und kürzlich auch China angefangen, ihre Position in Afrika zu stärken. Die Vereinigten Staaten haben ihre militärische Position in Afrika mit 20 Militärmissionen, drei Drohnenbasen und eine bedeutende militärische Basis in Djibouti ausgebaut. Die 2007 ins Leben gerufene amerikanische Formation Africom (United States Africa Command) hat bezeichnenderweise ihr Hauptquartier in Deutschland anstatt in Afrika. Dies demonstriert das Interesse der Vereinigten Staaten sich weiter einzumischen. Ein eigener Teil der Armee wurde der Stationierung in Afrika gewidmet. Dazu gehören Militär-, Luftwaffe- und Marineeinheiten.

    Die schnell gestiegenen Investitionen und der vermehrte Handel ließen den chinesischen Einfluss zunehmen. Um 1990 war die Hälfte des afrikanischen Handels mit Europa um 2008 nur mehr 28%. Währenddessen verdoppelte sich der Handel mit Asien und erreichte so das Ausmaß des kompletten europäischen Handels. Zwischen 2000 und 2014 stieg der chinesische Handel mit Afrika von $10 Milliarden auf $222 Milliarden und seit 2009 ist China der bedeutendste Handelspartner des Kontinents.

    China verkauft Fabrikware und Chemikalien nach Afrika und ist hochgradig involviert im Bausektor. Es gibt zahlreiche große chinesisch finanzierte Infrastrukturprojekte wie Straßen, Dämme, Häfen und Eisenbahnlinien die vielfältigen Nutzen für das chinesische Regime und chinesische Unternehmen haben: unmittelbar der erleichterte Zugriff auf die Rohstoffe, darüber hinaus bieten sie auch einen gewissen Ausweg aus den Problemen des heimischen Bausektors. Diese scheinbar „fortschrittliche“ Entwicklung die von China angeboten wird dient auch dazu, die politischen Verbindungen zu afrikanischen Regimes zu verstärken.

    Die chinesischen Investitionen in afrikanische Produktion, um von den niedrigeren Löhnen zu profitieren und den lokalen Markt zu beliefern, sind sehr limitiert. Mehr als 85% der chinesischen Importe aus Afrika sind Waren und Rohstoffe. Der Wert dieser Importe ist gesunken. Einerseits, weil die Preise der afrikanischen Waren und Rohstoffe gesunken sind und andererseits, weil die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft den Rückgang der Nachfrage bewirkt hat.

    Die ersten neun Monaten des Jahres 2015 verzeichneten ein jährliches Sinken der chinesischen Eisenerzimporte aus Afrika um 17%. Die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft führte auch zur Verringerung der Kredite für afrikanische Infrastrukturprojekte. Obwohl China weiterhin der bedeutendste Kreditgeber bleibt, sanken die Kredite von durchschnittlich $13.9 Milliarden zwischen 2011 und 2013 auf $3.1 Milliarden im Jahr 2014. Auf dem China-Afrika Gipfeltreffen im Dezember 2015 in Johannesburg versprach China weitere $60 Milliarden. Wie viel tatsächlich den Kontinent erreichen wird bleibt unklar.

    In Afrika werden die chinesischen Investitionen und der Handel mit China unterschiedlich aufgefasst. Entwicklungsprojekte werden von den afrikanischen Regimes begrüßt. Sorge gilt den Auswirkungen der chinesischen Konkurrenz auf lokale Industrien wie z.B. die Textilindustrie. Auch die brutalen Arbeitsbedingungen in den lokalen, im Besitz von ChinesInnen stehenden Firmen und der Import chinesischer ArbeiterInnen verursachen eine negative Stimmung.

    Die Rivalitäten der Weltmächte um Afrika sind nicht nur ökonomischer Natur. Es entwickelt sich vermehrt auch ein Wettkampf um strategischen Einfluss. Djibouti erlangt ein beachtliches Einkommen dadurch, ausländische Armeen zu beherbergen. Aktuell schließt sich China Frankreich, Japan und den Vereinigten Staaten an und etabliert einen permanenten Militärstützpunkt dort, als unterstützende Marineeinrichtung”. Auch wenn China betont, dass diese Basis nicht die gleiche Natur hat wie die französische oder amerikanische, ist dies die erste chinesische Militäreinrichtung in einem fremden Land. 

    Ein weiterer Grund für das erneuerte Interesse der europäischen Mächte an Afrika ist der Versuch, die Anzahl der Flüchtlinge und MigrantInnen einzudämmen oder ganz aufzuhalten, die via Afrika nach Europa gelangen.

    Widerstand gegen Repressionen

    Es ist eine Tatsache, dass die aktuelle Lage der Weltwirtschaft die Situation für Millionen verschlechtert, nachdem die meisten nur wenig von den Zeiten des Aufschwungs profitiert haben. Länder, die von Rohstoffexporten abhängig sind, waren als erstes betroffen; andere, wie das Öl-importierende Kenia, profitierten u.a. von fallenden Preisen. Aber Kenia und auch andere, sind nicht immun gegen die Auswirkungen der Verlangsamung der Weltwirtschaft und der Wertverfall der Währung treibt die Inflation in Kenia an.

    Afrika hat keine stabilen kapitalistischen Demokratien. Die meisten Menschen haben begrenzte demokratische Rechte; staatliche Strukturen weisen unterschiedliche Grade des Bonapartismus auf. Auch in Südafrika, das relativ stabil ist, vertraut Zuma auf nicht-gewählte Stammesführer und fördert diese, während die Polizei, deren Brutalität z.B. in Marikana zu sehen war, genauso repressiv sein kann wie zu Zeiten der Apartheid. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Schwäche des Kapitalismus in Afrika eine konsequente Verbesserung des Lebensstandards und eine Aufrechterhaltung der demokratischen Rechte, wie es großen imperialistischen Ländern über längere Zeiträume möglich war, nicht erlaubt. Dies bedeutet, dass auch wenn durch Massendruck und Arbeitskämpfe Reformen und Zugeständnisse erreicht wurden, diese bald untergraben oder gar umgekehrt werden können.

    Trotz der Beispiele eines friedlichen Machtwechsel bei den Wahlen in Nigeria im letzten Jahr dominieren Diktaturen und Regime die mit harter Hand regieren immer noch Afrika. Insgesamt gibt es mindestens 10 brutale Diktatoren auf dem Kontinent die gemeinsam mindestens 300 Jahre an der Macht sind. Einer von ihnen, der 91 Jahre alte Robert Mugabe, ist einer der weltweit ältesten und am längsten herrschenden Herrscher. Die jüngsten Manöver bezüglich der Verfassung durch Paul Kagame in Ruanda, der ein Referendum organisiert hat um sicherzustellen dass es möglich macht bis 2034 zu herrschen, ergänzt diese Liste von Regimes mit eingeschränkter Demokratie. Obwohl die Situation sich dort noch entwickelt, ist es wichtig zu bemerken dass dieses Manöver gerade in einem Land mit einer brutalen Geschichte von Genozid der Tropfen sein kann, der das Fass in nächster Zukunft zum Überlaufen bringen kann. Die wachsende Opposition zu den Versuchen der oft nur mäßig versteckten diktatorischen Herrschaft einer Elite auszuweiten sind besonders wichtig. Aber die ArbeiterInnenklasse braucht ihre eigene unabhängige Bewegung um sicherzustellen, dass nicht nur eine herrschende Clique durch eine rivalisierende Gruppe ersetzt wird.

    Afrika hat Wellen des Widerstandes gesehen. Bewegungen in einem Land haben oft Aufstände und Revolutionen in anderen Ländern inspiriert. Aber ohne ein Programm, das Lehren aus den Widerstandserfahrungen der Vergangenheit zieht, sowohl in Afrika, als auch Weltweit, waren die Errungenschaften vorübergehend oder unvollständig.

    In den frühen 90er Jahren, inspiriert durch die südafrikanischen Kämpfe gegen das Apartheid-Regime und durch das, was als Sturz der totalitären Herrschaft in der Sowjetunion und Osteuropa gesehen wurde, wurden in einer Reihe von afrikanischen Ländern diktatorische oder semi-diktatorische Regime gestürzt oder zum Rückzug gezwungen; darunter Benin, Kap Verde, Zentralafrikanische Republik, Elfenbeinküste, Ghana, Kenia, Mali, Madagaskar, Malawi, Togo und Sambia. Aber in all diesen Fällen, während einige demokratische Rechte gewonnen und die alte Führung ersetzt wurden, veränderte sich die grundlegende Klassenstruktur nicht. Nicht alle Kämpfe waren erfolgreich. Die mächtige Bewegung „12. Juni“ in Nigeria 1993 und 1994 wurde schließlich zerschlagen, weil diejenigen, die die Massenproteste und den Generalstreik anführten, keine klare Strategie zum Sturz der Militärherrschaft hatten.

    Die "12. Juni" Bewegung war eines der vielen Beispiele in Afrika, bei denen mächtige Bewegungen oder gar Revolutionen ihre Ziele nicht erreichen konnten, und wenn doch, dann waren die Errungenschaften nur vorübergehend. Im Allgemeinen liegt es nicht an der Schwäche der ArbeiterInnenklasse und der Armen. Während die ArbeiterInnenklasse in afrikanischen Ländern, trotz schneller Urbanisierung, noch immer eine Minderheit in der Gesellschaft ausmacht, hat sie ein enormes Potenzial die Massen der Gesellschaft, vor allem die Jugend, die Armen und die Benachteiligten anzuführen. In vielen Ländern schafft es die ArbeiterInnenklasse, die breiten Massen der Unterdrückten in Bewegung zu versetzen, wenn sie in Aktion tritt. Die Armen der Städte können kämpfen, dabei ist aber entscheidend, wie dieser Kampf organisiert ist. Besonders wichtig ist der Einfluss von SozialistInnen und der ArbeiterInnen-Bewegung um bei der Entwicklung eines kollektiven Bewusstseins zu helfen, das ihren konkreten, unmittelbaren Kampf mit der Bewegung gegen den Kapitalismus verknüpft. Die Jugend, nicht nur StudentInnen und SchülerInnen, sondern junge Menschen im Allgemeinen, kann auch eine entscheidende Rolle beim Aufbau und der Stärkung breiterer Bewegungen spielen.

    Programm – das Erbe des Stalinismus beenden

    Zentral für den Ausweg aus der Katastrophe des Kontinents ist das Organisieren des Widerstandes rundum ein Programm. Das Programm und die Methoden der permanenten Revolution bleiben für Afrika entscheidend, sowohl als politisches Programm für die Lösung nationaler Probleme, als auch International, wobei eine erfolgreiche Revolution in einem Land einen riesigen Effekt auf Nachbarländer, auch größere, haben kann.

    Jahrzehntelang haben stalinistische Ideen die linke Bewegung in Afrika dominiert. Einerseits hat die Opposition zum Kolonialismus und Imperialismus, sowie Entwicklungen der Sowjetunion, China und später Kuba zu der breiten Unterstützung des "Sozialismus" beigetragen. Diese Staaten in breiten Schichten als "Verbündete" in Opposition zum Imperialismus und dessen Handlanger am afrikanischen Kontinent gesehen; ein Eindruck, der durch die entscheidende Rolle gestärkt wurde, die kubanischen Verbände beim Widerstand gegen die Invasion Angolas durch das Apartheid-Regime 1987/8 hatten. Diese breite Unterstützung war ein Faktor im "Kalten Krieg" der einigen afrikanischen Anführern die Möglichkeit gab sich vom westlichen Imperialismus zu distanzieren und eine Weltmacht gegen die andere auszuspielen. Diejenigen, die zur Sowjetunion oder zum maoistischen China blickten, übernahmen „sozialistische“ Phraseologie, obwohl die Maßnahmen, die sie umsetzten den kapitalistischen Charakter ihrer Wirtschaften nicht beendeten. Als die stalinistische Staaten aber ihrerseits in interne Krisen eintraten waren ihre Anführer immer weniger und weniger bereit andere Staaten zu unterstützen wie sie es z.B. in Kuba ab den 1960ern getan hatten. So wurde in Moskau 1982 dem linken Flügel der Regierung von Ghana, unter dem zweiten Militärregime von Rawling, gesagt, dass sie bei den westlichen Mächten um wirtschaftliche Unterstützung suchen sollen.

    In Afrika, wie auch in vielen anderen Teilen der Welt, führte der Zusammenbruch der stalinistischen Staaten ab dem Ende der 1980er Jahre zu einem Rechtsschwenk der ArbeiterInnenbewegung. In Afrika bedeutete er auch die Unterminierung der Idee eines, wenn auch oft in verzerrter Form, alternativen, "sozialistischen" Entwicklungsweges.

    In der Hochphase seines Einflusses in der ArbeiterInnenbewegung ebnete der Stalinismus den Weg für die Nutzung einer scheinbar "marxistischen" Phraseologie, um Bündnisse zu rechtfertigen, die tatsächlich die ArbeiterInnenklasse der politischen Unterordnung unter sogenannte "fortschrittliche" bürgerliche oder kleinbürgerliche PolitikerInnen unterwarfen. Diese "Etappentheorie" mündete in der Weigerung, eine Bewegung aufzubauen, die auf einen schnellen Bruch mit dem Kapitalismus abzielte, weil dies das Ende der Allianz mit den "progressiven" KapitalistInnen bedeutet haben würde. Dieser Zugang - grundsätzlich derselbe wie jener der Menschewiki in der Russischen Revolution 1917 und das genaue Gegenteil des Zugangs von Lenin und den Bolschewiki - führte zu vielen verpassten Gelegenheiten, Niederlagen und, zusammen mit den autoritären Methoden der meisten stalinistisch beeinflussten FührerInnen, zur Lähmung der ArbeiterInnenbewegung.

    Obwohl der Stalinismus als organisierte Kraft heute viel, viel schwächer ist, ist der Zugang, den er verteidigte, nämlich im Wesentlichen, die ArbeiterInnenbewegung den Bündnissen mit pro-kapitalistischen Liberalen und Reformern unterzuordnen nach wie vor stark präsent in der ArbeiterInnenbewegung und der Linken in Afrika. Während es vorübergehende gemeinsame Aktionen mit prokapitalistischen Elementen geben kann, bei konkreten Anliegen wie dem Kampf gegen die Reaktion, um demokratische Rechte, Arbeitsbedingungen usw., darf das nicht um den Preis geschehen, den Aufbau einer politisch unabhängigen, sozialistischen Bewegung der ArbeiterInnen, der Armen und Jugendlichen zu versäumen, die auf die Veränderung der Gesellschaft abzielt. MarxistInnen bemühen sich, wie die Bolschewiki 1917, Unterstützung für das Programm der Machtübernahme der ArbeiterInnenklasse und der Armen zu gewinnen. Im Gegensatz dazu steht die Idee von Bündnissen mit prokapitalistischen Kräften zur "Verteidigung der Revolution" oder der "Sicherung des Fortschritts". Das sind politische Konzepte, die den Kapitalismus schützen und die Tür öffnen können zu neuen reaktionären Perioden, solange sie nicht von einer revolutionären Politik herausgefordert werden.

    Besonders in Afrika kann ein sozialistisches Programm sich nicht nur mit allgemeinen politischen und ökonomischen Themen befassen. Die Frage der Überwindung ethnischer und religiöser Spaltungen, wie man sie beispielsweise bei den Wahlen in der Elfenbeinküste gesehen hat, ist eine lebenswichtige Frage neben denen des Programms des Aufbaus einer auf der ArbeiterInnenklasse beruhenden Bewegung.

    Die Tatsache, dass das CWI eine Basis und Tradition in zwei Schlüsselländern des afrikanischen Kontinents besitzt, in Nigeria und Südafrika, ist von immenser Bedeutung. Gleichzeitig ist der Beginn von Aktivitäten des CWI in französisch- und arabisch sprachigen afrikanischen Staaten in den letzten fünf Jahren ein bedeutender Schritt vorwärts.

    Südafrika

    In den letzten drei Monaten des Jahres 2015 sah sich die ANC-Regierung mit den beschämensten Niederlagen ihrer 21jährigen Amtszeit konfrontiert – der erste Schlag erfolgte im Oktober durch die großartige Studierendenbewegung „Weg mit den Gebühren“; der zweite Schlag folge im Dezember durch die kapitalistische Klasse die die allgemeine Ablehnung des Regimes von Zuma in der Gesellschaft nutzte. Die Siege der Bewegung „Schluss mit Auslagerungen“ Anfang 2016 bedeuten eine weitere Niederlage der Regierung gegen die Opposition, diesmal aus den Reihen der ArbeiterInnenklasse.

    Davor war das Marakina-Massaker von 2012 ein Wendepunkt, dessen Widerhall in Südafrika weiterhin spürbar ist. Die Schüsse, die Erinnerungen an das Apartheid-Regime weckten, und die Verteidigung der Polizeiaktionen durch die ANC-Führung zeigten brutal, wie weit nach rechts sich der ANC bewegt hat. Diese Entwicklung ist von entscheidender Bedeutung nicht nur für Südafrika, sondern für den ganzen Kontinent. Südafrika ist das am weitesten entwickelte afrikanische Land, mit der am besten organisierten ArbeiterInnenklasse und derzeit dem am weitesten entwickelten sozialistischen Bewusstsein.

    Wie andere, pro-kapitalistische FührerInnen von nationalen Befreiungsbewegungen auch, nutzten die FührerInnen des ANC den Sieg über das Apartheid-Regime, um – weitgehend erfolgreich – zu versuchen, Teil der herrschenden Klasse zu werden.

    Das brachte sie unvermeidlich in Konflikt mit ihrer Basis. Speziell, weil die Basis des Kampfes des ANC seit Mitte der 1970er die südafrikanische ArbeiterInnenklasse und Jugend war.

    Dieser Kampf führte zum Aufbau einer der stärksten und radikalsten revolutionären Bewegungen der Welt. Ein großer Teil der AktivistInnen in der Bewegung übernahm sozialistische Ideen in einem Kampf, der richtigerweise nicht nur als Kampf für demokratische Rechte, sondern für sozialistische Befreiung gesehen wurde.

    Trotzdem wurde, während das Apartheid-Regime besiegt wurde, der Kapitalismus auf der Grundlage der damals enormen Autorität Mandelas und des ANC, dem Ende des staatlichen Rassismus in Form der Apartheid, dem Erreichen demokratischer Rechte und einiger Zugeständnisse, stabilisiert. Während Mandela bereits in den Verhandlungen vor seiner Freilassung aus dem Gefängnis 1990 klar gemacht hatte, dass er auf demokratische Rechte und Reformen, aber nicht auf den Sturz des Kapitalismus aus war brauchte es einige Zeit, bis die Forderungen nach radikaleren Aktionen übergangen werden konnten. Dabei half der große Enthusiasmus nach dem ANC-Wahlsieg von 1994 und der anschließenden Wahl Mandelas zum Präsidenten enorm. Die FührerInnen von Cosatu und der Südafrikanischen Kommunistischen Partei SACP schlossen sich mit dem ANC zur „Triple Alliance“ zusammen. Sie spielten eine wichtige, unterstützende Rolle in einem der vielleicht letzten „klassischen“ Beispiele des Missbrauchs von Marx- und Lenin-Zitaten, um die stalinistische Etappentheorie zu rechtfertigen: Sie taten so als wäre es notwendig, dass die ArbeiterInnenbewegung zuerst ihr Programm beschränken solle um einen modernen Kapitalismus aufzubauen - vor auch nur der Idee, den Kapitalismus zu überwinden.

    Obwohl das von einigen Linken in der ArbeiterInnenbewegung kritisiert wurde, konnten sich die FührerInnen des ANC für eine ganze Periode auf die Unterstützung der Massen verlassen und so pro-kapitalistische Politik durchführen.

    Aber, schon vor Marikana, haben die Erfahrungen die Akzeptanz dieser Idee untergraben. Obwohl der ANC in der Regierung saß, haben sich die alten Machtstrukturen kaum verändert – trotz ein paar schwarzen MillionärInnen und einer etwas größeren schwarzen Mittelschicht. Große Teile leiden weiterhin unter Armut. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei etwa 25%, die tatsächliche aber eher bei 35%, bei einer Jugendarbeitslosigkeit um 50%. Eine Erhebung von 2011 zeigte, dass das durchschnittliche Einkommen einer weißen Familie sechs Mal höher als das einer schwarzen war. Der Londoner „Guardian“ formuliert sehr mild: „Einfache SüdafrikanerInnen fühlen sich, als wären sie übers Ohr gehauen worden“. Viele ArbeiterInnen und Jugendliche formulieren das viel schärfer.

    Bereits 2007 spiegelte sich das im Austausch des ANC-Präsidentschaftskandidaten für die PräsidentInnenwahl 2009. Der damals amtierenden Präsidenten Mbeki wurde durch Zuma ersetzt, der damals die Unterstützung der Gewerkschaften und der Jugend genoss. Jetzt sind Enttäuschung und Wut auf Zuma und sein verfaultes Regime sogar noch tiefer, als zuvor auf Mbeki. Es gibt die Aussicht, dass die Wahlunterstützung des ANC, trotz seiner historischen Rolle, bald unter 50% fallen wird. Der Sieg des ANC mit 62% der Stimmen bei den Wahlen 2014 muss vor dem Hintergrund einer Wahlbeteiligung von nur 54% der Wahlberechtigten, ob registriert oder nicht, gesehen werden. Mit anderen Worten, der ANC hatte die Unterstützung von etwa einem Drittel aller südafrikanischen Erwachsenen.

    Die Wirtschaft, eine der vielen, die vom Abkühlen des chinesischen Wachstums betroffen ist, wandelt jetzt am Rande der Rezession. Die Verdoppelung der Staatsschulden auf fast 50% hat das Land an den Rand einer Fiskalklippe gebracht. In der vorangegangenen Rezession von 2009 wurden eine Million Jobs gestrichen, die während der langsamen Erholung danach nicht ersetzt wurden. Die südafrikanische Zentralbank hat die Zinsen zwar schon schrittweise angehoben, wird aber wahrscheinlich gezwungen sein, diese drastischer anzuheben weil die südafrikanische Währung, der Rand, der unter allen Währungen der Schwellenländer am schlechtesten dasteht, abstürzt. Allein im letzten Jahr hat der Rand ein Drittel seines Wertes gegenüber dem US-Dollar eingebüßt. Die Abkühlung in China, dem größten Handelspartner von Südafrika, hat starke Auswirkungen auf eine Wirtschaft, deren Rohstoffexporte für 60% der Deviseneinnahmen verantwortlich sind. Manche AnalystInnen meinen, dass die Metallindustrie und das Ingenieurwesen in weniger als sechs Monaten verschwinden könnte und mit ihr nicht weniger als 200.000 Jobs. Eine Abwertung des Rand in Verbindung mit der schlimmsten Dürre seit 1992 führt dazu, dass sich die Zahlungsbilanz von Südafrika, das mehr als die Hälfte seines Maisbedarfs importieren muss, weiter verschlechtert, sich das Budgetdefizit vergrößern wird und damit das Risiko steigt, dass die Bonität auf Ramsch abgestuft wird. Schon jetzt gehen 12 Millionen Menschen jeden Abend hungrig zu Bett. Weitere Nahrungsmittelknappheit und weitere Preissteigerungen (nach einer Verdoppelung im letzten Jahr) können zu Hungeraufständen führen. Der Tumult um Zumas Versuch, im Dezember 2015 einen gefügigeren Finanzminister ein zu setzen und sein anschließender rascher Rückzug in Folge des Beschusses durch sowohl die KapitalistInnen als auch seine Rivalen im ANC hat Zumas Position geschwächt und den Weg für ernsthafte Versuche, mehr neoliberale Maßnahmen durchzuführen, freigemacht.

    Die Erfahrungen von über 20-Jahren ANC-Regierungen, die pro-kapitalistische Politik umsetzen, speziell Marikana und die Korruptionsskandale um Zuma, haben zu Spannungen innerhalb der sogenannten „Triple Alliance“ und offenen Spaltungen und Abspaltungen innerhalb der Gewerkschaften. Ein Ergebnis davon ist der Ausschluss der MetallerInnengewerkschaft Numsa, der größten südafrikanischen Gewerkschaft, aus dem Gewerkschaftsdachverband Cosatu.

    In dieser Situation ist die Idee einer neuen ArbeiterInnenpartei in den Vordergrund getreten. Schon 1993, vor dem ANC-Wahlsieg 1994 widerspiegelte der 4. Kongress der MetallerInnengewerkschaft Numsa das Unbehagen radikalerer Schichten über die Rechtsentwicklung der ANC-Führung. Er erklärte, dass ArbeiterInnen unabhängig von der Regierung sein müssen und rief die ArbeiterInnenklasse zur Erstellung eines eigenen Programms zur Frage, wie der Sozialismus erreicht werden kann, auf. Das, so erklärte der Kongress, könnte die Form einer ArbeiterInnenpartei annehmen. Diese Entscheidung blieb jedoch jahrelang nur auf dem Papier, weil sich die Numsa weigerte, konkrete Schritte zu setzen, selbst nach dem Massaker von Marikana. Das spiegelt auch wieder, dass die Numsa-Führung zwar politisch mit der SACP gebrochen hat, aber ideologisch noch immer an sie gebunden ist und immer noch einem zwei-Etappen Konzept einer Revolution anhängt, wo zuerst eine entwickelte kapitalistische Wirtschaft aufgebaut werden muss bevor ein Bruch mit dem Kapitalismus möglich ist. Die Numsa-Führung beschwert sich darüber, dass die SACP die „demokratische nationale Revolution“ aufgegeben hat und dass eine „radikale“ Umsetzung der Freedom Charta braucht um zum Sozialismus zu gelangen. Aber sie sehen nicht dass die pro-kapitalistische Politik der ANC Regierung genau aus der Tatsache entspringt, dass sie innerhalb des kapitalistischen Systems agieren.

    Das die Traditionen der SACP immer noch Einfluss haben spiegelt sich auch im Bestreben der Führung von Numsa wieder, alle Strukturen und sogar Ideen der „Bewegung für Sozialismus“ bzw. „Einheitsfront und ArbeiterInnenpartei“ zu kontrollieren, die sie auf dem historischen Kongress 2013, als sie mit ANC, SACP und Cosatu gebrochen haben, feierlich erklärt haben aufzubauen. Nach zwei Jahren der Verzögerung könnte die Numsa-Führung die Gelegenheit verpasst haben, die Initiative zu ergreifen, tatsächlich eine unabhängige Alternative für die ArbeiterInnen aufzubauen.

    Speziell nach Marikana gab es Große Möglichkeiten für eine ArbeiterInnenpartei. Das wurde durch die ersten Reaktionen auf die Gründung der WASP sichtbar. Die Numsa-Führung machte damit weiter, links-klingende Erklärungen abzugeben, handelte aber nicht und lehnte das Angebot, die WASP zu „übernehmen“, ab. Stattdessen weigerte sie sich sogar bei den Parlamentswahlen im Mai 2014, ihren über 330.000 Mitgliedern eine Wahlempfehlung abzugeben.

    Das Potential für eine ArbeiterInnenpartei wurde in einer Umfrage sichtbar, die zwischen Februar und März 2014 gemacht wurde. Sie fand heraus, dass ein Drittel der SüdafrikanerInnen dachten, dass „eine neue politische Partei“, eine ArbeiterInnenpartei, „helfen werde, die aktuellen Probleme in Südafrika zu lösen“. Unter jenen mit einem Vollzeitjob antworteten 30% mit „definitiv“ und 39% mit vielleicht. Unmittelbar nach Marikana fand eine von Cosatu finanzierte Umfrage unter 2000 BetriebsrätInnen heraus, dass „Cosatu-BetriebsrätInnen eine Nationalisierung wollen, kein Vertrauen in die Südafrikanische Kommunistische Partei (SACP) haben und wollen, dass Cosatu eine ArbeiterInnenpartei gründet“ (Daily Maverick, 12. Dezember 2012) und 67% sagten, dass sie eine solche Partei wählen würden.

    Doch mit ihren schwachen Kräften konnte die WASP dieses Potential nicht materialisieren und wegen der fehlenden Initiative von Numsa oder anderen linken Gewerkschaften, füllte der frühere ANC-Jugendführer Malema das Vakuum und gründete sieben Monate nachdem dem Aufruf zur Gründung der WASP, im Juli 2013, die Economic Freedomn Fighters (EFF).

    Innerhalb weniger Monaten nach ihrer Formierung gewannen die Economic Freedom Fighters (EFF) mit einem radikal klingendem Programm und durch ihre Opposition zu Zuma in der jüngeren Vergangenheit, trotz der Korruptionsvorwürfe gegen Malema bei den Wahlen im Mai 2014 über eine Million Stimmen (6,35 Prozent) und sicherten sich 25 der 400 Parlamentssitze. Während die EFF mit ihren AktivistInnen inner- und außerhalb des Parlaments einen starken Eindruck hinterlassen haben, gab es einen deutlichen Rechtsruck in ihrem Programm. EFF-AnführerInnen haben ihre Forderung nach Enteignung und Verstaatlichung ersetzt durch Appelle an die Großunternehmen, den ArbeiterInnen 51% Anteile zu geben - als Anreiz, um Streiks und die Forderungen für Verstaatlichungen zu verhindern. Das spiegelt die momentanen Versuche der EFF-Führung wider, dem Großkapital gegenüber einen entgegenkommenderen Kurs einzuschlagen und sich selbst als Zünglein an der Waage zum Machterhalt des ANC bzw. seiner Fraktionen zu positionieren.

    Der ANC ist, obwohl er 2014 mit 62% wiedergewählt wurde, nicht stabil. Zum Teil liegt das an Spaltungen zur Frage, wer 2017 als neuer Vorsitzender gewählt und somit wahrscheinlich als Präsidentschaftskandidat 2019 antreten wird. Aber bedeutender waren die Bewegungen der ArbeiterInnenklasse und kürzlich der Massenprotest von Studierenden gegen Gebühren, der Zuma zu einem schnellen Rückzug zwang.

    Obwohl Südafrika eine hervorragende, radikale Tradition von Kämpfen und der Unterstützung sozialistischer Ideen und die größte Gewerkschaftsbewegung Afrikas hat, ist es nicht immun gegen die Gefahren der Reaktion. Die wiederholten Angriffe gegen MigrantInnen 2008 und 2015 sind Warnungen. Ohne eine starke ArbeiterInnenbewegung könnten solche nationalen und ethnischen Spaltungen ausgenutzt werden. Zuma selbst hat seine Zulu-Wurzeln ausgenutzt, um die Rolle von Stammesführern zu bewerben. Ohne eine Alternative mit einem klaren Klassenstandpunkt kann Armut dazu führen, dass „AusländerInnen“ oder „AußenseiterInnen“ statt der herrschenden Klasse als Schuldige hingestellt werden. Eine solche Wut kann sich nicht nur gegen MigrantInnen aus dem Rest Afrikas richten. In manchen Gemeinden Kapstadts gibt es Spannungen zwischen den dort Geborenen und jene aus anderen Teilen Südafrikas.

    Der Schlüssel liegt innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, aber Numsa und andere „linke“ GewerkschaftsführerInnen scheinen unwillig zu bleiben, ernsthafte Schritte zu setzen. Zum Beispiel ist es unwahrscheinlich, dass sie KandidatInnen bei den kommenden Lokalwahlen 2016 finanzieren oder unterstützen. Damit wird die Verantwortung, eine Strategie zu entwickeln bei Kräften wie der WASP liegen. Eine Strategie, die den Aufbau kämpferischer Kampagnen damit verbindet, für den Aufbau einer linken ArbeiterInnenalternative zu argumentieren , die die besten, kämpferischsten Elemente der Bewegung, einschließlich Numsa, den EFF und anderen Kräften beinhaltet.

    Nigeria

    Für die Situation in Nigeria sind zur Zeit die immer stärkeren Auswirkungen des fallenden Weltölpreises essentiell. Sie treffen das Land, vor allem den staatlichen Sektor, hart. ArbeiterInnen und PensionistInnen in vielen Bundesstaaten sowie jene, die für die Zentralregierung arbeiten sind mit monatelangem Zahlungsverzug bei Löhnen und Sozialleistungen konfrontiert. In der Bevölkerung wird dafür vor allem die abgewählte Jonathan-Regierung verantwortlich gemacht, deren zügellose Korruption viel von den Export-Einnahmen des Landes in den Jahren hohre Ölpreise gestohlen hat. Buharis Sieg, die erste friedliche Übernahme der Regierungsgeschäfte an eine rivalisierende politische Partei in der Geschichte Nigerias, war ein entschiedener Ruf der Bevölkerung nach Veränderung. Buharis Präsidentschaft steht unter Druck von widersprüchlichen Seiten: Einerseits Hoffnungen in der Bevölkerung auf wirkliche Veränderungen, andererseits der Druck, Kürzungsmaßnahmen durchzuführen. In der Tat basierte Buharis Wahl zum größten Teil auf der Hoffnung, dieser "moderate", "unkorrumpierbare" ehemalige Militärherrscher könnte eine wirkliche Veränderung durchführen. Zunächst war die Haupttätigkeit der Buhari-Administration eine Anti-Korruptions-Kampagne, die die Verhaftung einiger bekannter Gesichter beinhaltete.

    Buharis erster Budgetvorschlag beinhaltete einige Versprechungen für Reformen auf der Basis von mehr Krediten. Doch es ist fraglich, wie lange sich diese Herangehensweise halten kann. Jedenfalls wird die Wirtschaftskrise, gemeinsam mit der Anti-Korruptions-Kampagne, von entscheidenden Teilen der herrschenden Klasse genutzt, um eine neoliberale Offensive vorzubereiten. Gleichzeitig zögert das neue Regime unter Buhari, Kürzungsmaßnahmen umzusetzen. Sie hat Angst, die ArbeiterInnenklasse und Armen zu provozieren; der letzte Versuch, die Treibstoffpreise zu erhöhen, scheiterte im Jänner 2012 angesichts der größten Massenproteste und Generalstreiks, die Nigeria jemals gesehen hat.

    Zusätzlich zur wirtschaftlichen Notlage, die sich ausbreitet, explodiert die Bevölkerungszahl Nigerias. Zur Zeit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1960 gab es etwa 45 Millionen NigerianerInnen, jetzt geht die Zahl auf 185 Millionen zu. Es wird geschätzt, dass die Bevölkerung allein 2015 um 5,5 Millionen gewachsen ist. Dieser rapide Anstieg besteht trotz der mit 47 Jahren niedrigsten Lebenserwartung in Westafrika. Etwa 44% der NigerianerInnen sind unter 14 Jahre, weitere 19% zwischen 15 und 24 Jahre alt. Ungefähr 52% (circa 90 Millionen) der NigerianerInnen leben in städtischen Gebieten. Doch das ist kein guter Indikator für die Größe der ArbeiterInnenklasse: Derzeit wird die Zahl der Unterbeschäftigten und Arbeitslosen auf ewta 50 Millionen geschätzt. Trotzdem unterstützte die Masse der städtischen Bevölkerung die Proteste und den Generalstreik im Jänner 2012 und einige waren involviert. Ein neuer Aspekt der Situation in den Städten ist das Wachsen von Gangs von jungen Teenagern und älteren, die ihre zahlenmäßige Stärke nutzen, um Diebstähle und sogar die Plünderung ganzer Gegenden durchzuführen.

    Die kleinen Verbesserungen bei der Stromversorgung nach den Wahlen haben nicht verhindert, dass sich Proteste gegen etwas, was umgangssprachlich "crazy billing" (verrücktes Abrechnen) genannt wird, entwickeln: Die kürzlich privatisierten Elektrizitätskonzerne führen hohe Grundgebühren (generell gibt es wenige Messgeräte) ein, die davon ausgehen, dass Elektrizität bereit gestellt wurde! Sie argumentieren damit, Geld für Investitionen zu benötigen. In manchen Fällen sind die Rechnungen für nicht existierende Elektrizität höher als die Miete. CWI-Mitglieder in Lagos haben eine wichtige Rolle in diesen Protesten gespielt. Diese könnten sich verbreiten, wenn die Elektrizitätskonzerne ihre Pläne für hohe Preiserhöhungen 2016 weiterführen.

    Seit langem stellt sich die Frage, ob es zu neuen Protesten kommen würde, wenn der sogenannte "Treibstoffzuschuss" abschafft werden sollte (Anmerkung der Übersetzung: Treibstoffpreise sind in Nigeria zentral, weil davon die Preise des öffentlichen Verkehrs und der Stromversorgung abhängen, da viele Haushalte auf Generatoren angewiesen sind). Das ist ein langanhaltendes Thema, besonders wegen der Korruption in der Ölindustrie und den geringen Kapazitäten zur Raffinierung, die zur Folge hat, dass Nigeria die meisten raffinierten Treibstoffprodukte zu Weltmarktpreisen importieren muss. Der letzte Versuch Anfang 2012 resultierte in der größten Revolte und dem größten Generalstreik in der nigerianischen Geschichte: Eine Bewegung, die sich spontan von unten aufbaute und letztlich die damals neue und weiter rechts stehende Gewerkschaftsführung zwang, einen Generalstreik auszurufen – den sie so schnell wie möglich beendeten, als ein paar minimale Zugeständnisse angeboten wurden. Während Buhari selbst anfangs unwillig schien, den Weg von Preiserhöhungen zu gehen, ernannte er ein großteils neoliberales Kabinett, das für die Abschaffung des Zuschusses steht. Sie argumentieren, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür sei, weil jede daraus resultierende Preiserhöhung, dank des niedrigen Weltmarktpreises für Öl, viel kleiner wäre als 2012.

    Von vielen NigerianerInnen wird das Wiederauftauchen von weitverbreiteter Treibstoffknappheit im November 2015 als Teil einer Kampagne zur Erhöhung des offiziellen Treibstoffpreises gesehen: Wenn die reguläre Ölversorgung garantiert werden kann, ist es möglich, dass eine kleinere Preiserhöhung akzeptiert werden würde, so die Erwartung. Denn die Schwarzmarktpreise in Zeiten von Engpässen liegen weit über den offiziellen. Und: Mit dem Vorhaben einer Erhöhung um 10 Naira (5 US Cent) testete die Regierung im Dezember ganz Gewiss den Grad der Opposition.

    Aber diese Erhöhung wurde nicht erwähnt, als Ende Dezember 2015 die Regierung letztlich eine sogenannte "Preisanpassungspolitik" bekannt gab, die im wesentlichen darin besteht das die Treibstoffpreise den Marktkräften unterworfen werden. Es ist offensichtlich dass das Regime Angst vor Protesten hat und daher, um sicher zu stellen das der Plan aufgeht, hat das von Präsident Buhari geleitete Erdölministerium den neuen Treibstoffpreis nur sehr sehr gering, um 50 Kobo (0,5 US Cent) anghoben, was unter dem vorherigen offiziellen Preis liegt. Es ist noch unklar, ob das das Ende der Subventionen für Treibstoff ist, weil zur selben Zeit der Ölminister versprochen hat, dass die Regierung bereit ist einzugreifen um sicher zu stellen, dass die Preise stabil sind. Dennoch sieht es danach aus dass die Regierung dabei ist, den Ölsektor zu deregulieren und dass dieses Manöver nur ein erster Schritt ist um die Reaktionen auszutesten. Angesichts des extrem niedrigen Rohölpreises gibt es keinen logischen Grund, warum ein Liter Treibstoff in einem ölproduzierenden Land um fast 80 Naira verkauft wird. Es ist auch fraglich, ob die Regierung beim aktuellen Ölpreis überhaupt irgendwelche Subventionen auf Erdölprodukte zahlt.

    Sollte es überhaupt eine gewisse Entlastung gegeben durch niedrigere Ölpreise dann werden sie nur von kurzer Dauer sein. Wegen des Mangels an lokalen und regionalen Raffineriekapazitäten und wegen der Profitinteressen ist ein Anstieg der Treibstoffpreise längerfristig zu erwarten, auch weil die Rohölpreise wieder anziehen könnten. Schon heute ist es in vielen Teilen des Landes fast unmöglich Treibstoff, speziell Kerosin (Anmerkung Übersetzung: das u.a. zum Kochen nötig ist), zum offiziellen Preis zu bekommen und viele müssen die viel höheren Schwarzmarktpreise bezahlen. Auf kapitalistischer Basis sieht sich Nigeria mit einem Paradoxon konfrontiert: Obwohl ein Anstieg der Rohölpreise ein Segen für die aktuell sinkenden Staatseinnahmen wäre würde das gleichzeitig einen dramatischen Anstieg der Preise für Erdölprodukte für die Bevölkerung bedeuten.

    Generell haben wir in den letzten Jahren weniger Massenkämpfe als davor gesehen, zum Teil liegt dass an einer neuen, weniger kämpferischen Gewerkschaftsführung. Die ersten zwölf Jahre dieses Jahrtausends sahen eine Serie von Massenprotesten: Neun Generalstreiks fanden statt und vier weitere wurden in letzter Sekunde abgesagt. Manche der Generalstreiks begannen, die Frage nach der Macht zu stellen. Doch seit dem Streik im Jänner 2012 hat die Gewerkschaftsführung es vermieden, generalisierte Aktionen zu organisieren, sogar in der anhaltenden Frage der Nichtbezahlung des neuen Mindestlohns, der 2011 festgelegt wurde. Sie hat auch nur sehr begrenzte, großteils symbolische Aktionen zum Thema von Zahlungsrückständen bei Löhnen und Pensionen organisiert. Die meisten GewerkschaftsführerInnen versuchen, sich mit nationalen und bundesstaatlichen politischen FührerInnen zu verbünden und beschränken sich somit auf gelegentliche kämpferische Aussagen, handeln aber nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Entwicklung von Aktivitäten und Druck von unten der Schlüssel zur Wiederbelebung der Gewerkschaften und zum Beginn von ernsthaften Bewegungen zu den Themen, mit denen die arbeitenden Massen Nigerias konfrontiert sind.

    Nichtsdestotrotz ist es augenscheinlich, dass die Regierung Angst vor einem neuen Aufschwung der ArbeiterInnenbewegung hat. Angesichts von Bergen von Lohnrückständen hat die Regierung Ende August 2015 27 von 36 Bundesstaaten mit Krediten ausgeholfen, damit diese Löhne auszahlen konnten. Allerdings verrechnet sie 9% Zinsen auf 20 Jahre.

    Doch trotz des "Hilfspakets" im August berichten nigerianische Medien, dass "über 26 Bundesstaaten des Landes kaum fähig sind, die Gehälter ihrer Beschäftigten zu bezahlen". Zugleich steigt die Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft schwächelt und die Inflation steigt auf offiziell fast zehn Prozent – das Resultat der Währungsabwertung von 2014. Unter anderem deswegen versucht Buhari zu Zeit, eine weiteren Abwertung zu umgehen.

    Wie bei den meisten afrikanischen Ländern wurden die Grenzen Nigerias vom Imperialismus gezogen. Er verordnete, dass etwa 250 Nationalitäten unterschiedlicher Religionen und Ethnien in einem Land, dessen Name von der Ehefrau des ersten britischen Gouverneurs erfunden wurde, leben müssen. Die ununterbrochenen Spannungen haben Nigeria dominiert, seitdem es 1914 entstand. Jetzt hat die nationale Frage begonnen, eine neue Wendung zu nehmen. Der Krieg im Nordosten geht weiter und es ist unwahrscheinlich, dass der Versuch der Regierung, den Aufstand Boko Harams bis Ende 2015 zu beenden, gelingt. Bereits 13.000 wurden in den Kämpfen ermordet und zwei Millionen vertrieben. Während Boko Haram ihre Aktivitäten über die Grenzen Nigerias hinaus ausbreiten konnte, hat die steigende Wahllosigkeit ihrer Attacken zu Spekulationen geführt, ob das nicht weniger eine offensive militärische Strategie ist, als ein Versuch, die Regionen, die sie kontrolliert, zu halten. Momentan ist Boko Haram im großteils christlichen Süden nicht aktiv. Doch würde sie beginnen, dort Ziele zu attackieren, könnten sich – ohne entschiedene Angriffe der ArbeiterInnenbewegung – schnell sektiererische Spannungen entwickeln. Die Gefahren des Sektierertums lauern im ganzen Land, trotz der wachsenden "gemischten" Bevölkerung in städtischen Gebieten, speziell in Lagos. Eine aktuelle Warnung, was geschehen kann, war der Angriff Boko Harams auf eine Prozession schiitischer Muslime/Muslima im Norden, gefolgt von einem umstrittenen Zusammenstoß zwischen dem Militär und einer schiitischen Gruppe, was die sektiererischen Spannungen verschärft hat.

    Ende 2015 wurde auch die Frage der Zukunft von "Biafra", den von den Igbo dominierten Gebieten Nigerias, neu aufgeworfen. Die Verhaftung und Weigerung, einen bekannten Pro-Biafra-Aktivisten trotz Gerichtsbeschlusses auf Kaution freizulassen, löste eine Welle von Protesten im großen Maßstab aus. Einige davon wurden gewaltsam unterdrückt. Ein Teil des Hintergrundes davon ist das Ergebnis der Wahlen von 2015. Seit der Wiedereinführung der Zivilregierung 1999 ist ein Teil der Igbo-Elite in die Herrschaft über das Land als Junior-Partner der nördlichen Hausa-Elite eingebunden. Obwohl das während der Herrschaft Jonathans, der ein Ijaw aus dem südlichen Süden ist, etwas untergraben wurde, war es weiterhin der Fall. Doch jetzt werden die Igbo-Eliten ziemlich marginalisiert, da die momentane Regierung eine unsichere Allianz zwischen teilen der Eliten der Hausa und der Yoruba ist. Die Geschwindigkeit, mit der diese großen Proteste ausbrachen, zeigt, dass das Thema Biafra nicht mit dem Ende des Bürgerkriegs 1970 verschwunden ist.

    Während wir das Recht auf Selbstbestimmung unterstützt, ruft das CWI in Nigeria zur Zeit nicht zur Abspaltung auf. In der Vergangenheit hat das CWI in Nigeria für die Einberufung einer demokratisch gewählten souvereinen Nationalversammlung aufgerufen, die sich aus gewählten VertreterInnen der arbeitenden und unterdrückten Klassen zusammensetzt. Dort soll die politische und wirtschaftliche Zukunft des Landes diskutiert werden unter berücksichtigung der Frage der Basis und der Art der Beziehungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten inklusive dem Recht auf Selbstbestimmung. Heute ruft das CWI zum gemeinsamen Kampf im ganzen Land auf und auch dass es die demokratische Entscheidung der ArbeiterInnen und Armen sein muss, was die beste Form eines Nigerias der ArbeiterInnen und Armen Bevölkerung ist. Doch das CWI lehnt ab, wenn Nationalitäten mit Gewalt in den momentanen Grenzen Nigerias gehalten werden. Das ist besonders in einem Land wie Nigeria, mit über 250 Nationalitäten und Ethnien, damit verbunden, dass SozialistInnen die vollen Rechte aller Minderheiten innerhalb eines etwaigen neuen Staates verteidigen und für enge Beziehungen zwischen den ArbeiterInnen und Armen in und zwischen sowohl dem alten als auch dem neuen Staaten eintreten.

    Gleichzeitig argumentiert das CWI, dass kapitalistische Unabhängigkeit keine Lösung für die Probleme von Armut und Unterdrückung ist, wie die Beispiele von Eritrea und dem südlichen Sudan erst vor kurzem gezeigt haben. Der Schlüssel zu wirklicher Befreiung und Selbstbestimmung ist der Bruch mit dem Kapitalismus und, auf dieser Basis, die Arbeit an der Ausdehnung der Revolution in andere Länder, um eine Konföderation von Staaten, die von ArbeiterInnen und Armen organisiert werden und beim Aufbau einer sozialistischen Zukunft zusammenarbeiten können.

    Seit der Gründung des CWI in Nigeria vor über 30 Jahren ist ein zentraler Aufruf jener zum Aufbau einer ArbeiterInnenpartei. Es gab viele Schritte in Richtung und weg von einer solchen Partei: Die kurzlebige Nigerian Labour Party 1989, die Arbeit der GenossInnen in der National Conscience Party zwischen 1994 und 2007, die wiederholten, aber kurzlebigen Versuche, nach 2007 in der Labour Party (LP) zu arbeiten und die Entscheidung zur Gründung der Socialist Party of Nigeria (SPN) 2012, als Sammelpunkt und Partei, die eine Alternative zu den pro-kapitalistischen Parteien aufzeigen kann. Auch wenn noch immer nicht klar ist, ob die SPN bei Wahlen antreten dürfen wird, wird es immer unwahrscheinlicher, dass die Gewerkschaftsführung mit ihrem bisher halbherzigen Versuch, die Kontrolle der LP den bürgerlichen KarrieristInnen, die sie zur Zeit führen, zu entreißen, erfolgreich sein wird. Obwohl nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass die Gewerkschaftsführung die LP unter ihre Kontrolle bringen, ist es wahrscheinlicher, dass sich in der kommenden Periode eine linke Opposition zur Buhari-Regierung aus einer Kombination von Erfahrung, Kampf und der Arbeit von SozialistInnen und GewerkschaftsaktivistInnen entwickeln wird.

    Fazit

    Das CWI hat bereits eine stolze politische Vergangenheit in Afrika, die auf einem klaren Programm und ehrlichen Analysen der Situation, kombiniert mit einem prinzipientreuen, aktiven Zugang zur Bildung ernsthafter, revolutionärer Kräfte beruht. Das CWI hat gezeigt, dass es gleichzeitig den Aufbau einer politisch unabhängigen ArbeiterInnenbewegung unterstützen kann und mit anderen Kräften zu konkreten Themen zusammen arbeitet. Obwohl das bis jetzt generell kleine Schritte waren, sind die Aktivitäten der südafrikanischen GenossInnen nach Marikana und die wiederholte Mitwirkung unserer nigerianischen GenossInnen in Bewegungen Beispiele, auf denen aufgebaut werden kann und muss, um jene Kräfte zu schaffen, die die kapitalistische Ausbeutung und Rückschrittlichkeit in Afrikas beenden können.

    Polizeispitzel bei der Socialist Party

    Polizei in Großbritannien infiltriert zum wiederholten Mal die Schwesterorganisation der SLP.
    Presseerklärung der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in England und Wales)

    Die Meldung, die heute auf der Homepage der britischen Tageszeitung The Guardian und der Webseite der BBC veröffentlicht wurde, wonach „Carlo Neri“ (unter diesem Namen kannten wir ihn jedenfalls) die „Socialist Party“ von 2001 bis 2006 im Auftrag der „Special Demonstration Squad“ (SDS) der „Metropolitan Police“ infiltriert hat, ist leider keine Überraschung.

    Es ist nicht die erste Enthüllung, dieser Art. 2013 hatte schon ein gewisser Peter Francis zugegeben, im Auftrag der SDS in die Strömung „Militant Labour“ (damals ein Flügel der sozialdemokratischen „Labour Partei“ und Vorläufer der heutigen „Socialist Party“) eingedrungen zu sein. Francis hatte auch zugegeben, die Bewegung „Jugend gegen Rassismus in Europa“ (JRE), eine demokratische und Kampagnen führende Organisation junger Menschen, in der wir mitgearbeitet haben, infiltriert zu haben.

    Weitere Belege dafür, dass es wiederholt Versuche gegeben hat SozialistInnen auszuspionieren, wurden 2002 in der BBC-Dokumentation „True Spies“ geliefert. Darin wurde gezeigt, wie die Polizei der Region West Midlands daran beteiligt war, Dave Nellist, der bis heute Mitglied der „Socialist Party“ ist und damals auch Abgeordneter der „Labour Party“ war, ausgehorcht zu haben.

    Lois Austin, Mitglied der „Socialist Party“ und damals Sprecherin von JRE in Großbritannien, die bei der Pitchford Untersuchung (es ging hierbei um Untersuchungen aufgrund von Spionagevorwürfen gegen die Polizei, die GewerkschafterInnen, UmweltaktivistInnen etc. abgehört haben soll; Anm. d. Übers.) eine zentrale Rolle gespielt hat, sagte dazu:

    „Dies ist der jüngste Vorfall in einer ganzen Litanei von Skandalen, die zeigen, dass die Polizei ihre Mittel dazu genutzt hat, demokratische linke Organisationen zu infiltrieren. Eine der wichtigsten Kampagnen die JRE in Großbritannien geführt hat, war die für Gerechtigkeit für Stephen Lawrence. Die Polizei hat 18 Jahre gebraucht, um einen von Stephens Mördern zu überführen. Heute wissen wir, dass stattdessen Mittel und Personal dafür verwendet worden sind, um antirassistische AktivistInnen auszuspionieren. Dazu gehörte auch, der Familie von Lawrence irgendetwas ankreiden zu wollen.

    Mit ihrem Vorgehen hat die Polizei den betroffenen Familien unsagbares Leid angetan. Die Namen der ermordeten Kinder dieser Familien sind von verdeckten Polizeiermittlern benutzt worden und Frauen, die Beziehungen mit Männern eingegangen sind, die sie vorher nicht gekannt haben, mussten feststellen, dass sie sich in Wirklichkeit mit verdeckt arbeitenden Polizisten eingelassen haben.

    Es gab keinen Grund dafür, JRE oder „Militant Labour“ zu infiltrieren. Wir waren weit davon entfernt, geheim zu arbeiten. Im Gegenteil haben wir alle unsere Veranstaltungen öffentlich angekündigt. Die Polizei konnte alle unsere Flugblätter und Zeitungen lesen. Sie hätte ohne Probleme zu unseren öffentlichen Veranstaltungen kommen können, um herauszufinden, was wir wollen.“

    Dave Nellist fügte hinzu:

    „Da die Enthüllungen über Spionagetätigkeiten der Polizei zugenommen haben, sah sich die Regierung gezwungen, den >Pitchford Untersuchungsausschuss< einzurichten, um sich der Sache anzunehmen. Das ist zu begrüßen, reicht aber bei weitem nicht aus.

    Die Untersuchungen von Lord Pitchford werden über Versuche hinausgehen müssen, die nur darauf hinauslaufen, die Wahrheit über das, was wirklich passiert ist, zu verschleiern. Verdeckte Ermittler, die einen demokratisch gewählten Abgeordneten ausspionieren, weil er linke Ansichten vertritt, sind mit nichts zu rechtfertigen. Wir fordern die Nennung der Tarnnamen aller verdeckten Ermittler. Das ist die einzige Möglichkeit, damit wir herausfinden können, was in Wirklichlichkeit alles geschehen ist.

    Außerdem fordern wir, dass das Aufgabengebiet der Untersuchungskommission auf Schottland ausgeweitet wird.

    Neben dem Pitchford-Untersuchungsausschuss sollte die Arbeiter- und die Gewerkschaftsbewegung eine eigene unabhängige Untersuchungskommission einrichten, der VertreterInnen aus den Gewerkschaftsbewegung und antirassistischer sowie Umweltgruppen angehören sollten, die Opfer solcher Infiltrationen geworden sind. Eine solche Untersuchungskommission könnte weitergehen, als nur die Rolle der Polizei zu untersuchen. Sie könnte auch eruieren, wer die Anweisungen für die Spionagetätigkeiten gegeben hat und welche Rolle die Regierung dabei gespielt hat.

    Wir nehmen die Infiltration nicht einfach hin, wie die >Metropolitan Police< stillschweigend andeutet. Es geht hierbei nicht um eine Sache, die irgendwie verjährt wäre. Die Überwachung friedlich protestierender Menschen hat in der letzten Zeit enorm zugenommen. Wir wollen wissen, was die >Carlo Neris< von heute so treiben.

    Heute beteiligt sich eine neue Generation an Kampagnen gegen die Austerität, gegen Rassismus und Krieg. Daran wird sich nichts ändern, auch wenn die Polizeiüberwachung und -infiltration noch so stark zunehmen sollte. Umgekehrt ist es jedoch für jede aktuell laufende und künftige Kampagne wichtig die Frage zu stellen, in wessen Interesse die Polizei handelt, wenn sie so handelt. Außerdem muss die Forderung nach einer demokratischen Rechenschaftspflicht für die Polizeikräfte aufgestellt werden.“

    Die „Socialist Party“

    Die Socialist Party ist eine Kampagnen-führende und demokratische Organisation. Unsere Mitglieder haben im linken Stadtrat von Liverpool in den 1980er eine wesentliche Rolle gespielt, als dieser sich den Anordnungen von Thatcher widersetzte und es ablehnte, Kürzungen durchzuführen. Stattdessen wurden 60 Millionen brit. Pfund eingesetzt, um Arbeitsplätze, Wohnungen etc. in der Stadt zu finanzieren.

    Mitglieder der „Socialist Party“ gehörten in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren zu den führenden Köpfen bei den Kämpfen gegen die Kopfsteuer. Damals beteiligten sich landesweit rund 18 Millionen Menschen am Widerstand gegen diese ungerechte Steuer.

    Wir kämpfen gegen alle Angriffe auf die Rechte und Lebensbedingungen der Menschen der Arbeiterklasse und treten für eine sozialistische Alternative ein.

    Irland: Große Chancen für die Linke

    Interview mit Laura Fitzgerald über die kommenden Wahlen und den Widerstand

    In Irland wird es nächsten Monat Parlamentswahlen geben. Vor welchem sozialen und politischen Hintergrund finden sie statt?

    Seit 2008 lastet auf Irland die schwerste Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Der irische Kapitalismus war schon immer schwach und von ausländischen Direktinvestitionen abhängig, und in den letzten Jahren des „Celtic Tiger“-Booms kam noch eine künstlich aufgeblähte Überbewertungsblase im Immobiliensektor hinzu. Daher war der vom neoliberalen Kapitalismus verursachte Zusammenbruch der Wirtschaft umso stärker. Die falsche „Lösung“ einer noch verschärften neoliberalen Wirtschaftspolitik – gnadenlose Sparprogramme gekoppelt mit einem Bankenrettungspaket, das die höchsten Pro-Kopf-Zahlungen weltweit an die Banken gab – wurde von mehreren aufeinander folgenden irischen Regierungen sowie der Troika durchgedrückt und führte zu einem stark gefallenen Lebensstandard, während die reichsten 300 Individuen ihren Reichtum in den letzten fünf Jahren um 34 Milliarden Euro vermehrt haben.

    Es gibt eine große Wut auf das ganze politische Establishment; insbesondere unter den am meisten unterdrückten Schichten der ArbeiterInnenklasse verachtet ein Großteil der Leute alle etablierten Parteien. In den letzten Parlamentswahlen (2011) wurde Fianna Fail – die kapitalistische Partei, die bis dahin seit der Republikgründung die irische Politik beherrscht hatte – hart abgestraft und verlor bis auf einen alle ihre Sitze in der Hauptstadt Dublin. Die jetzige Fine Gael/Labour-Regierung hat den Austeritäts- und Kürzungskurs ungebremst fortgesetzt und so für eine weitere Politisierung der ArbeiterInnenklasse gesorgt, weil klar geworden ist, dass Ungleichheit und Ungerechtigkeit im Kapitalismus systemimmanent sind.

    Dabei wird die Labour-Partei [die irische Sozialdemokratie, AdÜ] von Arbeiterinnen und Arbeitern besonders verachtet, und ihre PolitikerInnen können heute viele Wohnviertel, die ehemals Labour-Bastionen waren, nicht mehr ungestört betreten. In letzter Zeit haben zwei sehr dynamische soziale Bewegungen stattgefunden: erstens der spontane Massenaufstand gegen die Wassergebühren und zweitens der Sieg des „Ja“ in der Volksabstimmung über gleiche Eherechte für homosexuelle Paare, ein historischer Erfolg. Beide Bewegungen tragen dazu bei, dass die kommenden Parlamentswahlen die politische Krise des irischen Establishments weiter vertiefen werden – unabhängig vom genauen Ergebnis ist jetzt schon klar, dass Labour demütigende Verluste erleiden wird, Fianna Fail weiterhin in der Krise ist, und Sinn Fein, der das Establishment aufgrund ihrer historischen Verbindung mit der IRA und der aktuellen Anti-Kürzungs-Rhetorik misstraut, Erfolge erzielen wird. Entscheidend ist aber auch, dass eine ganze Reihe von wirklich linken ParlamentarierInnen gewählt werden können, darunter zahlreiche „Unabhängige“, die glaubhaft gegen das Establishment aufgestellt sind.

    Wie ist der Zustand der Bewegung gegen die Wassergebühren?

    Diese Bewegung war eine unglaubliche Explosion an Selbstorganisation der ArbeiterInnenklasse und führte zu einigen der größten Mobilisierungen seit Jahrzehnten. Die Anti Austerity Alliance [Bündnis gegen Kürzungen, AdÜ], zu der die irische Schwesterorganisation der SAV, die Socialist Party, gehört, hat die „We won’t pay“-Kampagne [Wir zahlen nicht, AdÜ] ins Leben gerufen, um beim Aufbau eines organisierten Massenboykotts zu helfen, der als Grundstein für den Aufstand gegen diese neoliberale Gebühr dient. Diese Initiative war nötig, weil die breitere Kampagne „Right2Water“, in der auch Sinn Fein und einige Gewerkschaften sind, sich weigerte, einen Boykott mitzutragen. Sinn Fein weigert sich auch weiterhin, dies zu tun, weil sie sich auf die Regierungsbeteiligung vorbereiten – ihr Vorsitzender Gerry Adams hat wiederholt Offenheit für eine Koalition mit Fianna Fail signalisiert. Aber mehr als die Hälfte aller irischen Haushalte beteiligt sich am Boykott, auch wenn es in den letzten Monaten weniger Großproteste gegeben hat. Die Anti Austerity Alliance und andere AktivistInnen aus diesem Feld nutzen auch die aktuelle Wahlkampagne, um die Bewegung weiterzubringen.

    Die Volksabstimmung über gleiche Eherechte für homosexuelle Paare war in den internationalen Schlagzeilen. Inzwischen ist der Kampf für das Abtreibungsrecht ein zentraler Punkt im Kampf gegen Unterdrückung. Was unternehmt ihr zu dem Thema?

    Die Socialist Party hat 2013 eine neue feministische Gruppe, genannt ROSA, gegründet. ROSA ist nach Rosa Luxemburg benannt, steht aber auch [auf englisch] für die Begriffe Reproduktive Rechte, Unterdückung, Sexismus und Kürzungspolitik. Die Gruppe ist offen für jede/n, die/der ihr Anliegen unterstützt und aktiv werden will. ROSA ist an der Spitze der Bewegung für Abtreibungsrechte dabei. Wir haben zum Beispiel im Oktober 2015 einen „Bus der Abtreibungspille“ organisiert, mit dem wir das irische Abtreibungsverbot frontal herausgefordert haben: In Zusammenarbeit mit ÄrztInnen der niederländischen Organisation „Women on Web“ haben wir in dem Bus eine mobile Klinik eingerichtet und sind kreuz und quer durch Irland gefahren, wodurch zahllose Frauen Zugang zu sicheren, aber in Irland eben illegalen Abtreibungspillen bekamen. Unsere Genossin Ruth Coppinger, die auch für die Anti Austerity Alliance (AAA) im Parlament sitzt, fuhr im Bus mit. Die AAA wird die Forderung nach einer Volksabstimmung zugunsten der Abschaffung des achten Artikels der irischen Verfassung, der Abtreibungen verbietet, zu einem zentralen Thema des Wahlkampfs machen [„Repeal the 8th“ auf englisch, AdÜ]. Die AAA steht für das Recht der Frau selbst zu entscheiden – im Gegensatz zu allen anderen etablierten Parteien, eingeschlossen Sinn Fein.

    Die AAA und die Socialist Party haben zur Zeit drei Parlamentsabgeordnete. Ihr habt einen Wahlblock mit einem anderen Anti-Kürzungs-Bündnis, der PBP (People before Profit, AdÜ), geschlossen. Was erwartet ihr für ein Ergebnis?

    Die AAA wird auf einer gemeinsamen linken Wahlliste, genannt Anti Austerity Alliance – People Before Profit, antreten, um mindestens sieben Sitze zu bekommen und unter diesem Banner eine Parlamentariergruppe bilden zu können, die besondere Rechte hätte (z.B. mehr Redezeit). Damit würde sichergestellt, dass die Linke eine gute Vertretung im neuen Parlament hat. Der ArbeiterInnenklasse, der Jugend, der LGBT- und Frauenbewegung wäre damit sehr in ihren Kämpfen geholfen, und das Potential für die Bildung einer vereinten Kraft der Linken könnte besser genutzt werden, wenn diese Bewegungen sich entwickeln. Dann könnte auch der Kampf für eine Linksregierung aufgenommen werden, die die Herrschaft der 1 Prozent herausfordert, die Kürzungspolitik beendet, Kirche und Staat trennt sowie sich mit unseren Brüdern und Schwestern der ArbeiterInnenklasse überall auf dem Kontinent daran macht, ein sozialistisches Europa zu erkämpfen.

    Mächtiger Generalstreik gegen Rentenkürzung in Griechenland

    Widerstand gegen die Kürzungspolitik der SYRIZA-Regierung nimmt Fahrt auf

    Vorbemerkung: Am 4. Februar hat in Griechenland erneut ein mächtiger 24-stündiger Generalstreik stattgefunden. Damit sollte Widerstand gegen die Austerität geleistet werden, die von der SYRIZA-Regierung durchgeführt wird.

    Der Streik wurde vom Gewerkschaftsbund GSEE, der die Beschäftigten in der Privatwirtschaft organisiert, und vom Gewerkschaftsbund ADEDY, der für den öffentlichen Dienst zuständig ist, ausgerufen. Anlass waren die Kürzungen bei den Renten. Dieser jüngste Angriff auf die Arbeiterklasse wird auf Geheiß der EU und des IWF von SYRIZA durchgeführt.

    Im Folgenden veröffentlichen wir die Übersetzung des Leitartikels aus der aktuellen Ausgabe von Xekinima, der Zeitung der CWI-Sektion in Griechenland. Darin geht es um die Größe des Streiks und die nächsten Schritte, die die Arbeiterbewegung nun gehen muss, um die jüngste Kürzungsrunde abzuwehren.

     

    Zum ersten Mal seit ihrer Wahl im Januar 2015 muss die SYRIZA-Regierung unter der Führung von Alexis Tsipras erleben, wie die Bewegungen in der griechischen Gesellschaft sich nun gegen sie richten. Der Generalstreik vom 4. Februar war ein Erfolg, auch wenn er nicht den Umfang der großen Generalstreiks aus den Jahren 2010 bis 2012 erreicht hat. Dennoch war er Ausdruck der Wut einer Reihe von gesellschaftlichen Schichten: ArbeiterInnen, Bäuerinnen und Bauern, Erwerbslosen, jungen Leuten usw. Sie alle müssen erleben, wie die neuen „Memoranden“ von SYRIZA auf sie einprasseln (es geht hierbei um Austeritätsmaßnahmen, die mit der Troika aus IWF, EZB und EU vereinbart worden sind).

    Der bedeutendste Charakterzug dieses Generalstreiks zeigte sich bei den Massendemonstrationen, die in den Städten in den Regionen durchgeführt worden sind. In Anbetracht der Gesamtbevölkerung waren diese regionalen Demonstrationen wesentlich größer als die in den Großstädten von Athen und Thessaloniki. In einigen Fällen kam es sogar zu den größten Demonstrationen, die es seit Jahrzehnten gegeben hat!

    Der Streik vom 4. Februar darf nicht das Ende der Streikaktionen darstellen. Das geschieht üblicher Weise nach einem erfolgreichen Streik, wenn die Gewerkschaftsführungen den Kampf wieder einstellen. Es muss aber um den Beginn der Massenmobilisierung gehen!

    Wenn wir eine erneute Niederlage verhindern wollen, dann müssen alle Schichten der Gesellschaft, die im Moment mobilisieren, ihre Kämpfe miteinander koordinieren und sie dadurch stärken. Die Grundlage dafür muss ein Plan sein, der folgende Punkte zu umfassen hat:

    * den dringenden Appell für einen neuen 24-stündigen Generalstreik für die kommende Woche

    * den Aufruf zu einem 48-stündigen Generalstreik innerhalb der nächsten zwanzig Tage

    * diese Streiks müssen mit der Fortführung der Blockaden der Bäuerinnen und Bauern und mit den Besetzungen von Betrieben im öffentlichen Dienst wie auch in der Privatwirtschaft verbunden werden – beginnen muss dies dort, wo ArbeiterInnen entlassen werden, seit Monaten keinen Lohn mehr erhalten oder ihre Rechte attackiert werden

    Eine solche Bewegung wird unweigerlich die jungen Leute mit einbeziehen, die sich an den Bewegungen der letzten Jahre kaum noch beteiligt haben. Außerdem kann sie zu Besetzungsaktionen in Schulen und Universitäten führen.

    Diese Streiks und Besetzungen müssen gut organisiert werden. Es muss Diskussionsveranstaltungen in den Betrieben geben, und die ArbeiterInnen müssen sehen können, dass es einen Plan gibt, Entschlossenheit und eine erfolgversprechende Perspektive. Es ist nötig, dass sie an der Basis Aktionskomitees wählen, die sich für eine erfolgreiche Mobilisierung einsetzen werden.

    Wer wird die Initiative ergreifen?

    Die Frage ist, wer die Initiative für einen Aufruf dieser Art – planvoll und koordiniert – ergreifen wird.

    Die Stimmung unter den abhängig Beschäftigten, den Bäuerinnen und Bauern sowie den verarmten Schichten der Gesellschaft ist mehr als reif für eine solche planvolle Koordinierung. Doch die Führungen haben kein Interesse daran, die nötigen Schritte vorwärts zu gehen. Unter anderen Bedingungen käme die Verantwortung für einen solchen Aufruf zu Mobilisierung der Gesamtheit der Gesellschaft der Führung der GSEE, dem griechischen Gewerkschaftsbund, zu. Es besteht aber keine Möglichkeit, dass diese korrupten GewerkschaftsführerInnen irgendetwas tun werden, wodurch der Kampf zur Überwindung der Politik, die die Kreditgeber der Troika einfordern und die die griechischen Regierungen der ehemals sozialdemokratischen PASOK, der rechts-konservativen „Nea Dimokratia“ und nun von SYRIZA umsetzen, geplant koordiniert und weiterentwickelt würde.

    Die Rolle der linken Parteien

    Der Linken kommt die Verantwortung zu, diese Bewegungen zu vereinen und sie miteinander zu koordinieren. Das gilt zumindest für die Teile der Linken, die dauerhaft gegen diese Politik und das System Position beziehen wollen.

    Insgesamt kommen die betreffenden Kräfte bestehend aus KKE („Kommunistische Partei Griechenlands“), der LAE („Volkseinheit“) und „Antarsya“ (Bündnis der antikapitalistischen Linken) auf eine gemeinsame Basis von rund zehn Prozent. Das reicht, um bei den Entwicklungen eine Schlüsselrolle zu spielen und diese Bewegungen voranzubringen. Doch der Zustand, in dem sich die Linke aktuell befindet, liefert ein trauriges Bild, das von Spaltungen gekennzeichnet ist. Im Wesentlichen ist die KKE dafür verantwortlich, die jede Zusammenarbeit mit irgendeiner anderen Formation, auf welcher Ebene auch immer, ablehnt.

    Diese Haltung steht für die völlige Aufgabe des „Marxismus-Leninismus“, den die Führung der „Kommunistischen Partei“ zu vertreten behauptet. Die Traditionen und die Geschichte der revolutionären Bewegung und damit des wirklichen Marxismus besteht aus Zusammenarbeit und dem gemeinsamen Kampf in der Massenbewegung, in der jeder Teil bzw. jede Organisation der Linken und der Arbeiterbewegung die volle Unabhängigkeit behält und die eigene ideologische, politische sowie organisatorische Freiheit.

    LAE und Antarsya machen positive Schritte

    Besser sieht es da schon aus, wenn wir den Blick auf die LAE (Volkseinheit) und auf Antarsya lenken. Im Verlauf der letzten Wochen sind eine Reihe positiver Schritte in Richtung gemeinsamer Aktionen zum Thema der Regierungsvorlage über ein neues Sozialversicherungsgesetz unternommen worden. So haben zwischen der LAE, Antarsya und anderen Organisationen der Linken (wozu auch Xekinima und weitere gehören) Absprachen gegeben.

    Diese Zusammenarbeit muss ausgeweitet und auf breitere Füße gestellt werden. Es darf dabei nicht allein um die neuen Attacken auf die Renten gehen. Vielmehr müssen wir uns mit jedem zentralen Aspekt befassen, der für die Arbeiterbewegung von Belang ist. Allen Organisationen, die sich beteiligen, muss es möglich sein, die volle ideologische, politische und organisatorische Unabhängigkeit zu behalten. Wenn dieser Schritt tatsächlich gemacht wird, dann wird dies für die Massenbewegungen neue und sehr positive Perspektiven auftun. Es wird politische Zielsetzungen mit sich bringen und Perspektiven für die Kämpfe eröffnen, die sich heute herauskristallisieren und auch morgen wieder aus der sozialen Situation heraus entwickeln werden.

     

    Die Politik der AKP-Regierung und der Krieg in Syrien

    Regionalmacht Türkei
    Nihat Boyraz

    Die Türkei ist ein tief im syrischen Bürgerkrieg verstricktes Land. Ermutigt vom wirtschaftlichen Wachstum der letzten Jahre, haben die türkischen Kapitalisten und ihre Vertreter in der AKP-Regierung ihre Bestrebungen, eine Regionalmacht zu werden, verstärkt. Ihre wirtschaftlichen Interessen und die neo-osmanische Machtpolitik mit ihrer antikurdischen Strategie bestimmen die türkische Politik in Syrien.

    Bis zum „Arabischen Frühling“ betrieb die AKP-Regierung eine Art Kuschelkurs gegenüber ihren Nachbarländern und trat als ein Versöhner und Beschützer der MuslimInnen in der Region auf. Sie verteidigte die Rechte der PalästinenserInnen, legte sich mit Israel an und brach die politischen Beziehungen mit dessen Regierung ab. Damit stieg die Popularität von Erdoğan und seiner neoliberalen Partei AKP in vielen muslimischen Länder, und in Tunesien, Syrien und anderen Ländern der Region wurden Parteien mit ähnlichen Namen gegründet. Unter der ArbeiterInnenklasse und armen Menschen in arabischen Ländern entstanden Illusionen, dass die Türkei mit ihrer „Demokratie“ ein Modell für die muslimischen Länder sein könnte.

    Nachdem die Proteste gegen die Assad-Diktatur in Syrien begonnen hatten, nutzte die Türkei die Situation umgehend zum Eingreifen, um vehement Einfluss auf syrische Oppositionelle zu nehmen. Sie stellte sich als deren Beschützerin dar, organisierte in Städten wie Istanbul und Antalya Konferenzen für sie, und sowohl der Syrische Nationalrat als auch die Freie Syrische Armee (FSA) wurden in der Türkei gegründet. Zeitweilig gab die FSA auf ihrer Website die türkische Stadt Hatay als Standtort ihres Hauptquartiers an.

    Erdoğan und Davutoğlu träumten davon, in kurzer Zeit ihr Freitagsgebet in der Umayyaden-Moschee in Damaskus abhalten zu können. Aber mit dem Scheitern der Versuche, das Assad-Regime zu stürzen, ist auch die Strategie der Türkei vorerst gescheitert. Dennoch dient deren Staatsgebiet weiterhin nicht nur der FSA, sondern auch anderen dschihadistischen Gruppen wie Al-Nusra und IS(IS) als Rückzugsgebiet. Diese erhalten über die Türkei umfassende logistische Unterstützung und Waffenlieferungen.

    Vorgehen gegen KurdInnen

    Sobald im Juli 2012 die Kurden in Syrien die Kontrolle in ihren Gebieten übernahmen und anfingen, die Strukturen eines Staates aufzubauen (Rojava), versuchte die Türkei mit allen Mitteln, dies zu verhindern. Erst lies die türkische Regierung Al Nusra, dann den IS(IS) Rojava angreifen. Insbesondere der schwächste Kanton von Rojava, die Stadt Kobanê, wurde mit der Hilfe des türkischen Staates mehrmals heftig angegriffen. Aber letztendlich wurde der IS(IS) zuerst aus Kobanê, dann im Juni 2015 aus der Stadt Tel Abyad zwischen Kobanê und Cizire vertrieben. Das war ein großer Schlag nicht nur gegen den IS(IS), sondern auch gegen die Pläne der türkischen Regierung.

    Nun konzentriert sich die türkische Regierung auf das kurdische Gebiet zwischen Kobanê und Afrin westlich des Euphrats. Dieses steht derzeit noch unter der Kontrolle des IS(IS) und ist die einzige Verbindung zwischen seiner Hauptstadt Ar-Rakka und der Türkei. Die türkische Regierung erklärte mehrmals, ein Überschreiten des Euphrats durch die KurdInnen verhindern zu wollen, und fordert die Einrichtung einer Pufferzone dort.

    Imperialistische Spannungen

    Die Türkei ist ein NATO-Staat und somit ein wichtiger Verbündeter der USA und Deutschlands. Sie gehört mit Saudi-Arabien und Katar zum sunnitisch-islamischen Block, der dem schiitisch-islamischen Block mit dem Iran, dem Assad-Regime und der irakischen Regierung gegenüber steht. Während sich Russland als eine der größeren Mächte hinter das Assad-Regime bzw. den schiitischen Block stellt, unterstützen die NATO-Staaten wie USA und Deutschland die Türkei bzw. den sunnitischen Block. Die Türkei führt Krieg gegen die KurdInnen; die Tatsache, dass die kurdischen Einheiten in der Region die wichtigste Kraft gegen den IS(IS) darstellen, welchen sowohl Russland als auch die USA beseitigen wollen, macht die Lage für die USA noch komplizierter. Sie können weder die Türkei, eine militärisch und geostrategisch wichtige Partnerin, aufgeben, noch im Kampf gegen den IS(IS) auf die kurdischen Einheiten verzichten. Während die USA versucht, mit beiden Seiten eine Dreiecksbeziehung zu führen, verfolgt die Türkei ihre eigenen Ziele und nutzt dabei die Widersprüche zwischen den Großmächten aus. Mit dem Abschuss eines russischen Militärflugzeuges hat sie sich kürzlich wieder ins Spiel der ImperialistInnen in der Region eingemischt.

     

    Weltwirtschaft: Der Kapitalismus segelt in unruhigem Fahrwasser

    Kosten der Wirtschaftskrise sollen auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden – nötig ist der Kampf für ein anderes System
    Lynn Walsh

    Jedes Jahr trifft sich die kapitalistische Elite dieser Welt zum „Weltwirtschaftsforum“ im noblen schweizerischen Ski- und Ferienort Davos. Dieses Jahr war die Atmosphäre von Angst und Pessimismus gekennzeichnet. Man sorgt sich um eine Weltwirtschaft, die einem wahren Sturm entgegengeht. Und tatsächlich segelt der Weltkapitalismus schon jetzt in unruhigen Gewässern.

    Seit der Krise der Jahre 2007 bis 2010 ist es lediglich zu einer langsamen und vor allem kraftlosen „Erholung“ gekommen. Das Wachstum verlief seither eher schwerfällig, nur die USA bilden in diesem Zusammenhang eine teilweise Ausnahme.

    Das Weltwirtschaftswachstum (reales Bruttoinlandsprodukt) lag von 2003 bis 2012 im Schnitt bei vier Prozent. In dieser Zeitspanne kam es sowohl zu Boom-Phasen als auch dem Niedergang von 2007 bis 2010. Von 2013 bis 2015, ein Abschnitt, der gemeinhin als „Phase der Wiederbelebung“ bezeichnet wird, rangierte das weltweite Wachstum bei lediglich 3,1 Prozent. Die entwickelten OECD-Volkswirtschaften verzeichneten von 2003 bis 2013 ein durchschnittliches Wachstum von 1,7 Prozent. Zwischen 2013 und 2015 wird von einem Wachstum von 1,7 Prozent gesprochen. Das kann man wohl kaum als echte Wiederbelebung bezeichnen.

    Europa und Japan stagnieren. Die „Quantitative Lockerung“, eine Maßnahme zur Bereitstellung günstiger Kredite durch die Zentralbanken, hat nicht dazu beigetragen, die Produktion von Waren bzw. die Zurverfügungstellung von Dienstleistungen wiederzubeleben. Eine Austeritätspolitik, die mit dramatischen Kürzungen der Staatsausgaben einhergeht, hat einer Wiederbelebung im Wege gestanden und zu chronischer Massenerwerbslosigkeit geführt.

    Bisher hat die Quantitative Lockerung nur neue Blasen auf dem Immobilienmarkt, bei den Finanzobligationen und Aktien erzeugt.

    Billige Kredite führten zu umfangreicher Investitionstätigkeit des Westens in den Entwicklungsländern, den sogenannten „Schwellenländern“, was eine ganze Reihe von Blasen auf den Immobilienmärkten, im Rohstoffhandel und bei den Finanzanlagen hervorgebracht hat. Dies war in den letzten Jahren eine der wichtigsten Quellen für das globale Wachstum.

    Doch die heftige Abkühlung in China und der Rückgang des Ölpreises haben das alles grundlegend verändert. Es kommt zum umfangreichen Abzug von Kapital aus weniger entwickelten Ländern, wozu auch China zu zählen ist. Ihre Exporte sind in den Keller gegangen. Russland, Brasilien und einer größeren Anzahl an Rohstoff-exportierenden Ländern drohen nun wirtschaftlicher Abschwung und soziale Unruhen. Die Schwellenländer, die auch als aufstrebende Märkte bezeichnet werden, haben sich in letzter Zeit eher zu abtauchenden Märkten entwickelt. Sie verhalten sich wie leckgeschlagene Schlauchboote.

    Über Jahre hinweg war China die Lokomotive für das Weltwirtschaftswachstum. Von 2003 bis 2012 wuchs das reale BIP um durchschnittlich 10,5 Prozent. 2015 ging der Wert auf 6,8 Prozent zurück, und selbst diese Angabe wird von vielen noch als bei weitem übertrieben betrachtet. Jetzt sind die Abkühlung und die Ängste vor einer möglichen katastrophalen Entgleisung eine Quelle für neue Krisen.

    Diese Trends zeigen sich auch im Finanzsektor. An den weltweiten Börsenplätzen ist es jüngst zu einem ständigen Auf und Ab gekommen. In Davos beklagten sich die führenden Köpfe zwar über diese Tendenzen. Es wurde aber deutlich, dass niemand von ihnen irgendeine Idee hat, wie man eine neue Krise verhindern kann.

    Das Öl

    In der Vergangenheit kam billiges Öl dem Kapitalismus üblicher Weise zu Gute. Heute ist es ein Grund für die Krisen.

    Große Öl-produzierende Länder wie Russland, Nigeria und Saudi-Arabien sind abhängig geworden von riesigen Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Der Rückgang der Ölpreise von ehedem über einhundert Dollar pro Barrel im letzten auf dreißig Dollar pro Barrel in diesem Jahr hat ihre Staatshaushalte schwer getroffen. Das gilt auch für staatliche Subventionen für Lebensmittel, Wohlfahrt und Bildung.

    Es ist auch zu einem Rückgang der Rohstoffpreise (vor allem bei den Mineralien) gekommen. Das hat die Exporteinnahmen von Ländern wie Brasilien drastisch reduziert.

    Die OPEC-Staaten haben es bisher abgelehnt, die Fördermengen zu drosseln, um das Überangebot auf dem Öl-Markt zu reduzieren und die Preise zu stabilisieren. Sie nutzen billiges Öl als Waffe, mit der sie die Ölproduzenten, die höhere Produktions- und Förderkosten haben (wie zum Beispiel den Schieferöl-Produzenten USA), vom Markt fernhalten wollen.

    Große Ölkonzerne schrauben jetzt bei der Erkundung neuer Felder und allgemein bei der Entwicklung die Investitionen zurück. Zehntausende ArbeiterInnen in der Ölbranche sind schon entlassen worden.

    Viele Öl-fördernde Unternehmen haben sich stark verschuldet, um die Erkundung und den Ausbau neuer Felder zu finanzieren. Das hat den Schuldenberg heftig anwachsen lassen.

    Die Schwellenländer

    Die weniger entwickelten Länder, die auch als „Schwellenländer“ oder „aufstrebende Märkte“ firmieren, sind durch den jüngsten Aufruhr am schwersten getroffen worden.

    Bei vielen dieser Volkswirtschaften handelt es sich in erster Linie um Rohstoffexporteure. Die zurückgehende Nachfrage, die vor allem auf die Abkühlung in China zurückzuführen ist, hat verheerende Folgen nach sich gezogen.

    Nach dem Abschwung von 2007 bis 2010 bildeten die Schwellenländer zusammen mit China die wesentliche Quelle für anhaltendes weltweites Wachstum. Spekulatives Kapital aus den entwickelten Ländern strömte in diese Länder, was zum Aufblähen einer ganzen Reihe von Spekulationsblasen geführt hat.

    In den letzten Monaten hat sich diese Tendenz auf ziemlich drastische Weise umgekehrt. Spekulatives Kapital fließt jetzt zurück in die entwickelten kapitalistischen Länder (vor allem in die USA), die als „sicherer Hafen“ für Finanz- und Immobilienanlagen betrachtet werden.

    Die meisten dieser weniger entwickelten Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika driften gerade ebenfalls in die Krise.

    Die Angst der Eliten von Davos geht auf den Rückgang des Ölpreises zurück und auf die Abkühlung in China. Sie fürchten, dass aus der Abkühlung eine lang anhaltende Abschwungphase wird.

    Zwischen 2003 und 2012 lag das reale (inflationsbereinigte) BIP Chinas bei durchschnittlich 10,5 Prozent pro Jahr. 2015 sank das BIP-Wachstum auf 6,8 Prozent. Und selbst diese Zahl wird gemeinhin als übertrieben angesehen.

    Bisher importierte China riesige Mengen an Rohstoffen und Maschinen. Dies hat sich heftig verändert, und das Regime hat versucht, die Binnennachfrage zu steigern, und vom Schulden-finanzierten und Export-orientierten Wachstum wegzukommen.

    Weiche Landung?

    Doch die Boom-Jahre haben ein Erbe hinterlassen: eine riesige Immobilienblase, eine Finanzblase und einen Berg an Schulden. Vielen Unternehmen des produzierenden Gewerbes droht nun die Pleite, und die Banken, die ihnen Kredite gegeben haben, stöhnen unter der Anzahl an zahlungsunfähigen Schuldnern.

    Die führenden Köpfe in China behaupten, sie würden für ein stärker ausbalanciertes Wachstum sorgen, die Rolle der mit Schulden finanzierten Investitionen im Bereich der Infrastruktur, Industrie und Immobilien zurückdrängen und die Binnennachfrage anfachen, indem sie die Löhne anheben und die soziale Sicherheit verbessern.

    Das Regime hat immer noch enorme Ressourcen zur Verfügung, mit denen es ins Taumeln geratene Banken und Unternehmen retten sowie die Lebensstandards subventionieren kann. Kann es aber auch für eine weiche Landung der Wirtschaft sorgen? Das ist kaum vorstellbar. Die Wirtschaft könnte außer Kontrolle und in einen tiefen Abschwung geraten.

    Die große Anzahl an Streiks und Protesten, die zu verzeichnen ist, deutet auf die Möglichkeit hin, dass es zu explosiven Bewegungen der Arbeiterklasse, verarmten Lohnabhängigen sowie Bäuerinnen und Bauern kommen kann.

    Jede Wirtschaftskrise verläuft unterschiedlich. Die Abwärtstrend von 2007 bis 2010 (der häufig als „Große Rezession“ bezeichnet wird) hatte seinen Anfang im Finanzsektor. Die riesige Finanzblase stand in Verbindung mit dem Crash auf dem Immobilienmarkt in den USA und andernorts. Das hatte den Zusammenbruch einer Reihe von Großbanken und Finanzhäuser zur Folge.

    Der Kollaps auf den Finanzmärkten führte weltweit zu einem gewaltigen Abschwung bei der Produktion, dem Handel und der Verbrauchernachfrage. Man hat sich von der Krise immer noch nicht komplett wieder erholt.

    Dieses Mal beginnt die Krise in der sogenannten „Real“-Wirtschaft und geht mit einem Rückgang bei Investitionen, Produktion und Handel einher.

    Großkonzerne horten Bar- und Finanzreserven anstatt in neue Produkte und Dienstleistungen zu investieren. Man geht dabei von insgesamt sieben Billionen Dollar an Geldreserven aus, so Min Zhu, der stellvertretende Geschäftsführer des IWF. Widerspiegelt dies nicht einen fundamentalen Mangel an Zuversicht, was die Aussichten für den Kapitalismus angeht?

    Die führenden Köpfe des Kapitalismus haben in sich widersprüchliche Politikansätze vertreten, die eher den Charakter von Selbstverteidigungsmaßnahmen haben. Sie haben wilde Austeritätsprogramme aufgelegt, die Staatsausgaben zurückgefahren und somit das Wachstum stranguliert.

    Eine weltweit hohe Erwerbslosigkeit und die nur schwachen Lohnsteigerungen haben dazu geführt, dass die Nachfrage der VerbraucherInnen rückläufig ist. Bisher haben sie nur eine Reihe von Programmen der Quantitativen Lockerung aufgelegt, über die die Zentralbanken billige Kredite in die Wirtschaft pumpen.

    Das ist nichts anderes als „Sozialpolitik“ für die Bankiers. Anstatt das Wachstum der Realwirtschaft zu stimulieren, ermöglicht die Quantitative Lockerung den Spekulanten, Blasen im Immobiliensektor und auf den Finanzmärkten (an den Börsen etc.) aufzupumpen.

    Wenn der Abwärtstrend – was wahrscheinlich ist – anhält, so wird dies eine Krise im Finanzsektor auslösen. Die Verwerfungen, zu denen es in den vergangenen Wochen an den Börsenplätzen dieser Welt gekommen, sind ein Vorgeschmack auf das, was noch zu erwarten ist.

    Finstere Stimmung in Davos

    In Davos haben sich die Eliten der Weltwirtschaft auf ziemlich unterirdische Art und Weise auch mit einer Reihe von geopolitischen Problemen befasst: mit einer Flüchtlingskrise, die den Zusammenhalt der EU bedroht, mit dem Krieg im Nahen Osten und seinen terroristischen Folgen auf internationaler Ebene, mit zunehmenden Spannungen zwischen den westlichen Mächten und Russland (inklusive des Konflikts in der Ukraine), mit der Ebola-Pandemie und nun noch mit dem Zika-Virus in Lateinamerika.

    Was vorausgesagt werden kann, ist, dass die kapitalistische Klasse sich bemühen wird, die Kosten dieser Krisen auf die Arbeiterklasse und Teile der Mittelschicht abzuwälzen. Die Proteste von heute werden morgen zu mächtigen Kämpfen anwachsen – zu einem gemeinsamen Kampf für die Veränderung dieses Systems.

    Turbulenzen auf dem chinesischen Finanzmarkt

    Weltweite Besorgnis für das Jahr 2016
    Per-Åke Westerlund, „Rättvisepartiet Socialisterna“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Schweden), mit Anmerkungen von Vincent Kolo, „Socialist Action“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Hong Kong)

    Der Handel auf den globalen Finanzmärkten begann 2016 mit einem Paukenschlag! Weltweit führte eine Wiederholung der chaotischen Kurseinbrüche an den Börsen in China, wie sie erst im vergangenen Sommer zu erleben waren, zu Panikverkäufen von Aktien, im Rohstoffhandel und bei der Währungsspekulation. Nach den ersten sechs Handelstagen in diesem Jahr hatten die Börsen von Shanghai und Shenzhen 15 Prozent an Wert verloren. Das ist ein Verlust von einer Billion US-Dollar. Aufgrund der Ängste, die die Ereignisse in China international ausgelöst haben, wurden weltweit vier Billionen US-Dollar an den Handelsplätzen vernichtet. Der größte Börsenplatz der Welt, die Wall Street in New York, büßte in der ersten Januarwoche 6,2 Prozent ein. Das ist der schlechteste Start, den es je gegeben hat.

    Ist das so etwas wie ein Vorgeschmack auf das, was der Weltwirtschaft 2016 erst noch bevorsteht? Der Kapitalist George Soros zählt zu denen, die eine neue Finanzkrise, ähnlich der von 2008, prophezeien.

    China ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und die weltgrößte Handelsnation. Die heftige Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, die dort vor zwei Jahren einsetzte, hat verschiedenen anderen Volkswirtschaften, die vom Rohstoffhandel mit China abhängen, bereits schwerwiegende Krisen beschert. Dies gilt zweifellos für Brasilien, wo es zur umfangreichsten Abwärtsbewegung seit den 1930er Jahren gekommen ist. Die Kapitalisten blicken auch aufgrund der Abwertung des Yuan mit zunehmender Sorgen auf China. Sie befürchten, dass die Währungsabwertung einen Währungskrieg auslösen könnte. Hinzu kommt der riesige und weiter zunehmende Schuldenberg Chinas.

    Im letzten Sommer fiel der Aktienmarkt dort um den Rekordwert von 45 Prozent. Das Regime in China, das in den vorangegangenen Monaten noch den Boom an den Börsen gefeiert und behauptet hatte, alles unter Kontrolle zu haben, entpuppte sich plötzlich als vollkommen machtlos. Die von Peking ergriffenen Maßnahmen zur Beendigung des (darunter auch das Verbot des Verkaufs von vielen Aktienwerten zur selben Zeit) haben nun einen Boomerang-Effekt zur Folge. Als die Verkaufsfrist näherrückte, wollten besorgte Konzernvorstände um jeden Preis entsprechende Aktienanteile abstoßen, was am ersten Handelstag des Jahres eine Welle an Abverkäufen ausgelöst hat. Die Behörden haben die Verkaufsbestimmungen erneut verschärft. Wenn der Börsenmarkt in China nochmals drei Prozentpunkte verlieren sollte, dann wäre damit der niedrigste Stand vom August letzten Jahres unterschritten.

    Auch wenn die Entwicklung an den Börsen nur sehr begrenzt einen Hinweis auf die Abläufe in der Realwirtschaft geben kann (und die Börsen in China werden – obgleich dies im Prinzip für alle Börsen gilt – gemeinhin als reine „Kasinos“ betrachtet), so lässt sich die aktuelle Panik auf den Finanzmärkten in der Tat auf sehr reale Probleme zurückführen. Die Weltwirtschaft hat gerade erst eine äußerst fragile Erholung seit der schweren Krise von 2008 hinter sich, wobei die Unwägbarkeiten noch extremere Ausmaße angenommen haben. Die Volkswirtschaft Chinas, die nun zum Epizentrum der weltweiten Instabilität geworden ist, erlebt einen wesentlich schärferen und noch komplizierteren Abschwung, als die politische Führung dort öffentlich zugeben will.

    Währungskrieg?

    Das akuteste Risiko für die Volkswirtschaft Chinas besteht darin, dass es zu verstärkter Kapitalflucht und einem weiteren Wertverfall des Yuan kommt. Da die Wirtschaft sich verlangsamt, hat die Volkswirtschaft Chinas einen hohen Preis für die Stützung seiner Währung gezahlt. Die Einführung einer Reihe von aufeinander folgenden Währungsmechanismen sollte den Yuan gegenüber dem US-Dollar stärken, was zu weiteren Lähmungserscheinungen für die Wirtschaft führt. Dies hat die Bemühungen Pekings zunichte gemacht, das Wachstum durch Zinssenkungen und die Zurverfügungstellung weiterer liquider Mittel für die Wirtschaft zu stimulieren. Es geht um Barmittel, die beinahe so schnell wieder weg sind, wie die Zentralbank sie bereitstellen kann. Die Behörden sind in einem Dilemma gefangen: Je mehr die Währung abgewertet wird, desto schneller flieht das Kapital in „sichere Gefilde“ nach Übersee. Die Bemühungen der Zentralbank, den Wert des Yuan zu halten, haben das Haus in rasantem Tempo dazu gezwungen, an die Reserven in Fremdwährungen zu gehen.

    Seit letztem August ist der Yuan um sechs Prozent gegenüber dem US-Dollar gefallen. Davon entfallen zwei Prozent allein auf die ersten Wochen dieses Jahres. Viele KommentatorInnen sind davon überzeugt, dass der Yuan weiter abgewertet wird, weil sein derzeitiger Stand gegenüber dem steigenden Dollar nicht zu halten sein wird. Das Regime will eine schrittweise Abwertung erreichen, doch die Marktkräfte durchkreuzen derlei Pläne. Die globalen Finanzmärkte fürchten, dass das Regime in China unter Druck kommen könnte, eine umfassendere Abwertung durchzuführen oder sogar komplett die Kontrolle über die eigene Währung zu verlieren.

    Ironischer Weise ist dies die Situation, nachdem der Yuan vom „Internationalen Währungsfonds“ (IWF) im November letzten Jahres erst in den Club der „offiziellen Reservewährungen“ aufgenommen worden ist. Vor kurzem hatte Chinas Staatspräsident Xi Jinping noch feierlich erklärt, dass der Wert der Währung stabil bleiben würde.

    Peking hat enorme Anstrengungen unternommen und Geld in die Hand genommen, um zu verhindern, dass der Verfall der Währung allzu stark ausfällt. Im Dezember kam es zum stärksten Abzug ausländischer Währungsreserven Chinas in einem Monat. Es ging um das Doppelte des bisherigen Höchstwertes und einen Gegenwert von 130 Milliarden Dollar bis 140 Milliarden Dollar. In erster Linie ist dies auf die Verteidigungsstrategie der Zentralbank in Bezug auf die eigene Währung zurückzuführen. Der Rest resultiert aus der Abschreibung von Anleihen, die nicht in Dollar gehandelt werden und sich im Besitz der Zentralbank befanden. Chinas Reserven in Fremdwährungen sind seit Mitte 2014 von vier Billionen Dollar auf 3,3 Billionen Dollar zusammengeschrumpft. Damit nähert sich dieser Wert immer mehr dem Minimum an, das vom IWF für China empfohlen wird und bei 2,6 Billionen liegt.

    Einem Wertverlust beim Yuan wird unweigerlich eine Währungsabwertung auch in anderen Ländern folgen. Dies gilt vor allem für Asien, wo China für die meisten Volkswirtschaften der wichtigste Handelspartner ist. Währungen werden abgewertet, um einen Wettbewerbsverlust gegenüber China zu verhindern. Schwächere Währungen werden jedoch dazu führen, dass die Kosten für die Rückzahlung der Schulden in die Höhe gehen.

    Schuldenberg

    Das Regime in China ist sogar von WirtschaftswissenschaftlerInnen der westlichen Welt dafür gelobt worden, die Weltwirtschaftskrise von 2008/-09 durch massive öffentliche Investitionen abgefedert zu haben. Zu welchem Preis diese Politik betrieben worden ist, wird heute klar, da enorme Überkapazitäten zu verzeichnen sind und vor allem die Schuleden in rasantem Tempo zunehmen. Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass die Gesamtschulden Chinas sich von 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2008 auf 250 Prozent im letzten Jahr gesteigert haben.

    Damit zusammenhängend sind auch die Schulden in den meisten „Schwellenländern“ in die Höhe geschnellt. Ein wichtiger Faktor ist die Politik des „quantitative easing“ (Erhöhung der Geldmenge) durch die US-Notenbank „Federal Reserve“ und andere Zentralbanken wie etwa in Japan, Großbritannien und der EU. Einige der tausenden von Milliarden an Dollar, die von diesen Zentralbanken ausgehändigt worden sind, haben sich  in Ländern wie Südkorea, Indonesien, Indien u.ä. zu Schulden entwickelt. Es liegen Schätzungen darüber vor, dass Unternehmen, Städte und Provinzen in China, Brasilien, Mexiko und weiteren Ländern Verbindlichkeiten in Form von ausgegebenen Anleihen angehäuft haben, die den Staatsschulden dieser Länder entsprechen.

    Als die „Fed“ im Dezember zum ersten Mal seit neun Jahren den US-Leitzins angehoben hat, führte dies zu weltweiten Kapitalströmen zurück in die Vereinigten Staaten. Dies hat sowohl mit Blick auf die Währungen als auch auf die Schulden ganz enorme Auswirkungen. Das ist auch der Grund dafür, weshalb die „Fed“ nicht schon früher so gehandelt hat. Dieses Mal hat die minimale Anhebung des US-amerikanischen Leitzinses bereits negative Folgen gehabt.

    Kurseinbrüche auf dem Rohstoffmarkt

    Das verlangsamte Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft war der wesentliche Faktor, der hinter dem drastischen Verfall der Rohstoffpreise steht. Von den 46 Rohstoffen, die von der „Weltbank“ beobachtet werden, liegt der Preis von 42 von ihnen nun auf dem niedrigsten Stand seit den frühen 1980er Jahren. Trotz der Tatsache, dass die Spannungen im Nahen Osten weiter zunehmen, gehen die Ölpreise weiter in den Keller. In der ersten Januarwoche begann der Handel bei 32 Dollar pro Barrel. Die meisten AnalystInnen senken ihre Prognosen für die Ölpreise 2016 ab. „Morgan Stanley“ geht von 20 Dollar pro Barrel aus. Sinkende Einnahmen aus dem Ölgeschäft haben viele Ölförderländer in die Rezession gestürzt und von Saudi-Arabien bis Venezuela zu politischen Unruhen geführt.

    Chinas aktuelle Wachstumsrate wird von einer zunehmenden Anzahl an ÖkonomInnen bei rund vier Prozent gesehen und nicht bei den 6,5 Prozent jährlich, die laut Xi Jinping bis 2020 nötig wären. Li Wei, Sprecher des einflussreichen und regierungsnahen chinesischen „Zentrums für Entwicklungsforschung“, sagte in einer Rede vom Wochenende, dass er meint, 6,5 Prozent werden nur schwer zu erreichen sein. In einem Leitartikel der offiziellen Nachrichtenagentur „Xinhua“ wird davor gewarnt, dass 2016 wie „ein schweres Jahr“ aussieht, das „zwangsläufig Schmerzen“ mit sich bringen wird.

    „Xinhua“ zitiert eine namentlich nicht genannte Person aus höheren Kreisen, die davor warnt, dass nach dem Abschwung „eine L-förmig Wachstumsphase wahrscheinlicher sein wird“ als „eine V-förmige“. Das heißte, dass es keine reale Erholung gibt. Weiterhin ist kein Ende des Abschwungs in Sicht.

    Die Wirtschaftspolitik von Staatspräsident Xi

    Chinas Schuldenlast – vor allem in der Privatwirtschaft und auf der Ebene der Regionalregierungen – frisst aktuell fast alle neuen Kredite in der Wirtschaft auf, nur um diese am Laufen zu halten. Aus diesem Grund wird China immer mehr zu einer größeren und noch instabileren Version von Japan, in dem Sinne, dass große Teile der chinesischen Wirtschaft nun „leblos“ geworden sind und nur noch weitere Schulden produzieren anstatt profitable Investitionsmöglichkeiten zu eröffnen. Dies erklärt auch den Drang der vermögenden Elite, das eigene Kapital wegzuschaffen. Die Ratingagentur „Fitch“ meint, dass die Kapitalflucht aus China seit dem zweiten Quartal 2014 ein atemberaubendes Niveau von einer Billion Dollar erreicht hat.

    Xi Jinping versucht eine neoliberale ökonomische Umgestaltung zur Aufrechterhaltung der Profite und des „Vertrauens“ durch Schließung der „Zombie-Unternehmen“ und weiterer Beschneidung des Anteils am BIP, der an die Arbeiterklasse geht. Staatliche Medien berichten, dass dieses Jahr 3,5 Millionen Arbeitsplätze in der Schwerindustrie gestrichen werden. Gleichzeitig spricht das Regime davon, eine auf der Kaufkraft der VerbraucherInnen aufbauenden Wirtschaft schaffen zu wollen. Das soll der neue Wachstumsmotor sein. Dies basiert jedoch hauptsächlich auf den wohlhabenden Teilen der Mittelschicht und nicht auf der Masse der Bevölkerung, deren Löhne nicht für den „VerbraucherInnen-Ansatz“ herhalten können.

    Das Veränderungsprogramm von Xi bleibt dennoch stecken, weil diese neoliberalen Heilmittel den ökonomischen Abschwung – natürlich – kurzfristig verschlimmern werden, was sogar die Gefahr mit sich bringt, die Wirtschaft in eine voll ausgewachsene Rezession zu treiben. Während die liberalen Teile der staatlich kontrollierten chinesischen Medien die Regierung dazu drängen, in den sauren Apfel zu beißen und die „Schmerzen“ auf wirtschaftlicher Ebene zuzulassen, bleibt diese weiterhin zögerlich und das mit triftigem Grund. Diese Entwicklung könnte nicht nur zu massiven sozialen Unruhen führen. Es geht auch um einen Prozess, über den das Regime die Kontrolle verlieren könnte.

    Es gibt bereits eindeutige Zeichen für einen Kontrollverlust, was ein weiterer Faktor dafür ist, dass die globalen Märkte die Fassung verlieren. Wir konnten dies beobachten, als es letzten Sommer zu einigen Fehlentscheidungen kam: eine verpfuschte Währungsabwertung und eine Politik zur Rettung der Märkte mit zahlreichen Aussetzern. Nun erleben wir dasselbe, da es – nach nur vier Tagen – um die Entscheidung geht, die „Schutzschalter“ wieder abzuschrauben, die die Märkte vor kurzem noch beständiger machen sollten.

    Auch wenn es noch zu früh ist zu sagen, ob sich die Vorhersage von Soros hinsichtlich einer neuen kurzfristigen Finanzkrise bewahrheiten wird oder nicht, so haben die Risiken in den ersten Wochen des neuen Jahres 2016 zweifellos zugenommen. Politiker und Kapitalisten haben keine Antwort auf die Krisen des Kapitalismus und diese Feststellung trifft auch auf die Diktatur in Peking zu.

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