Do 10.08.2017
„Diesel-Gate“ ist einer der größten Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik – inmitten des Wahlkampfes. Betroffen ist der wichtigste Industriezweig hierzulande: mehr als 800.000 Beschäftigte arbeiten in der Kraftwagen- beziehungsweise Kraftwagenteil-Industrie . Der „Diesel-Gipfel“ am 2. August war eine Farce. Wieder einmal konnten die Autokonzerne ihre Interessen gegenüber Bundes- und Landesregierungen weitgehend durchsetzen.
Viele Experten sind überzeugt: Durch die von den Autokonzernen zugesagten Software-Updates an 5,5 Millionen Dieselfahrzeugen mit den Schadstoffklassen Euro 5 und Euro 6 werden die gesetzlichen Grenzwerte für Stickstoff nicht eingehalten und es wird keine Verbesserung der Luftqualität bringen. Bereits von VW vorgenommene Software-Updates hatten bewiesen, dass die Verringerung des Schadstoffausstoßes weit unter der Zielmarke bleibt und zudem teilweise zu technischen Störungen führt.
Die Konzernchefs lehnen eine bauliche Nachrüstung klar ab: „Wir halten es im Grunde genommen für ausgeschlossen, Hardwarenachrüstungen vorzunehmen“, sagte VW-Chef Matthias Müller bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Daimler-Chef Dieter Zetsche und BMW-Chef Harald Krüger nach dem Dieselgipfel in Berlin. „Einmal des Aufwandes wegen, aber auch, weil die Wirkung fragwürdig ist.“ Selbst der ADAC, dessen Kritik relativ gemäßigt bleibt, widersprach dem und führte aus, der Stickstoffausstoß ließe sich nicht nur um 25 Prozent, sondern um bis zu neunzig Prozent senken, wenn die Hardware der betroffenen Autos nachgerüstet würde.
Der LINKE-Vorsitzende Bernd Riexinger weist richtig darauf hin, wer die Leidtragenden sind: „die Autokäufer, die Beschäftigten und die Umwelt“. „Sie werden von der Regierung Merkel zu Geiseln der Profite der Autokonzerne gemacht. Deren Milliardengewinne, die auch durch den Betrug zustande gekommen sind, bleiben nahezu unangetastet, weil sie von Bundes- und Landesregierungen nicht gezwungen werden, den angerichteten Schaden auf ihre Kosten wieder gutzumachen und das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zurück zu erlangen. Auch deshalb wohl wurden Umwelt- und Verbraucherverbände gar nicht erst zu diesem Gipfel eingeladen.“ Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e.V. bezeichnete den Gipfel bei einer Rede auf der wöchentlichen Montagsdemonstration in Stuttgart gegen S21 als Treffen der „organisierten Kriminalität“. Das ist keine Übertreibung. Gleichzeitig ist es der „ganz normale Wahnsinn“ innerhalb des kapitalistischen Systems, welches auf Profitmaximierung ausgerichtet ist.
Der wirkliche Grund für die Ablehnung der Hardware-Nachrüstung ist offensichtlich der Kostenaufwand und damit verbundene Profitschmälerungen. Dabei haben sich die Großaktionäre in den letzten Jahren mithilfe ihrer Abgasbetrügerei und den nun ans Licht kommenden Kartellabsprachen eine goldene Nase verdient. 2016 machte VW einen Gewinn von 7,1 Milliarden Euro, BMW 6,9 Milliarden Euro, Daimler 8,8 Milliarden Euro. Zwischen 2010 und 2016 verdienten allein diese Konzerne 152 Milliarden Euro (Zahlen vom Verkehrsexperten der LINKEN Herbert Behrens).
Das alles wurde noch durch öffentliche Subventionen befördert. Auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE antwortete die Bundesregierung, dass die Autoindustrie in Deutschland insgesamt rund 1,15 Milliarden Euro an Subventionen vom Bund für Forschung und Entwicklung, sowie Investitionen erhalten habe. Dazu kommen Millionenbeträge aus Landesmitteln, zum Beispiel 25 Millionen Euro in Bayern, 123,5 Millionen Euro seit 2010 in Baden-Württemberg, über 90 Millionen Euro seit 2007 in Sachsen, 447 Millionen Euro seit 2009 in Hessen. Aus Niedersachsen lag bis zur Veröffentlichung im Faktencheck der Tagesschau keine Angabe vor.
Ministerin für Umwelt?
Selbst Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte zunächst gemeint, eine Hardware-Nachrüstung sei notwendig. Nach dem „Nationalen Forum Diesel“ war sie im Interview mit Deutschlandfunk plötzlich der festen Meinung, das Software-Update würde „auf jeden Fall“ die Luftqualität verbessern, auch wenn sie nicht ausschließen könne, dass es dennoch zu Fahrverboten in Innenstädten komme (http://www.deutschlandfunk.de/nach-dem-dieselgipfel-nicht-zu-akzeptieren-dass-es-nicht-zu.694.de.html?dram:article_id=392598 ).
Mit ihrer Aussage macht sie deutlich, wie wenig sie sich eigentlich um Grenzwerte und letztlich um die Gesundheit der Bevölkerung schert. Laut Umweltbundesamt stoßen Euro-6-Diesel mit 507 Milligramm auf der Straße mehr als sechsmal so viel NOx pro Kilometer aus, wie auf dem Prüfstand im Labor erlaubt ist – nämlich achtzig Milligramm. Verkehrsexperte Peter Mock erklärte gegenüber der dpa nach dem Dieselgipfel, dass selbst wenn man annehmen würde, dass das Software-Update tatsächlich (also im besten Fall) bei allen Fahrzeugen dreißig Prozent bringen würde, dann wäre man bei 355 Milligramm pro Kilometer. „Das ist immer noch mehr als viermal so hoch wie das gesetzliche Euro-6-Limit.“, so Mock (https://web.de/magazine/wirtschaft/vw-skandal/expertediesel-software-updates-schmutzig-32459400).
Gesundheitsschäden
Die Gesundheitsgefährdung durch die giftigen Abgase ist schleichend, aber massiv. Besonders Kinder und ältere Menschen, sowie Asthmatiker reagieren empfindlich auf erhöhten Ausstoß von Stickoxid. Mehr als die Hälfte der Messstationen in Deutschland zeigen höhere Stickoxidwerte als die gesetzliche Höchtsgrenze von vierzig Mikrogramm. Auch das Risiko neuer Asthma-Erkankungen nimmt zu: bei einem um zehn Mikrogramm höheren Ausstoß für Kinder um 15 Prozent, wie das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut in einer Studie herausfand.
Laut einer Studie des wissenschaftlichen Teams um Susan Anenberg von der Organisation Environmental Health Analytics (LLC) in Washington sterben weltweit 107.000 Menschen jährlich an Stickoxiden. Besonders betroffen sind die Länder in der EU, weil hier immer noch mehr Dieselautos verkauft werden. In Deutschland sterben daran laut Europäischer Umweltagentur 10.000 Menschen pro Jahr. Dabei würde allerdings nicht einmal die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte ausreichen, um Todesfälle mit dieser Ursache zu verhindern.
Wes‘ Brot ich ess …
Die Kumpanei zwischen Autoindustrie und Politik bei diesen Verbrechen mit Todesfolge wird nun durch die Abgas- und Kartellskandale in der Öffentlichkeit diskutiert. Dass Niedersachsens Ministerpräsident Weil (SPD) eine Regierungserklärung zum VW-Skandal im Oktober 2015 dem Vorstand von VW vorlegte und „korrigieren“ ließ ist das eine. Dass der derzeitige Außenminister Sigmar Gabriel (ehemaliger Umweltminister und zeitweise selbst niedersächsischer Ministerpräsident und Mitglied im VW-Aufsichtsrat) es für einen völlig normalen Vorgang hält, zeigt nur, in wessen Diensten Regierungen inklusive der SPD stehen und wie viel Macht tatsächlich bei den Konzernchefs liegt. Natürlich hat auch ein Christian Wulff (CDU), der seine üppige staatliche Pension nun als Prokurist für ein türkisches Modeunternehmen „aufbessert“, in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident nicht anders gehandelt. Die CDU versucht nun, den ganzen Dieselskandal für eine Verschiebung der Debatte zu nutzen, indem sie erneut das VW-Modell mit zwanzig Prozent Landesanteilen und Sperrminorität zum Thema macht. Das ist aus drei Gründen abstrus. Erstens ist das Problem auch bei VW nicht, dass der Staat von den privaten Großaktionären unabhängige Interessen durchsetzen würde. Ganz im Gegenteil: der Skandal um die dem VW-Management zur Zensur vorgelegte Regierungserklärung ist nur ein Beispiel dafür, dass die VertreterInnen der Landesregierung wie Knete in der Hand der Konzernbosse sind. Zweitens ist ja gerade klar geworden, dass genau der gleiche Betrug eben nicht nur bei VW, sondern auch bei Daimler, BMW und Audi stattgefunden hat. Drittens ist es eben genau das Problem, dass im Kapitalismus diejenigen die politische Macht ausüben, bei denen auch die ökonomische Macht liegt. So wurde Bundeskanzlerin Merkel von den deutschen Autobossen Anfang des Jahres „überzeugt“, strengere EU-Grenzwerte für den CO2-Ausstoß zu blockieren. Und natürlich ist es Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der sich beharrlich weigert, Bußgeldverfahren gegen die Automobilindustrie einzuleiten. Die Liste könnte mit tausenden weiterer Beispiele ergänzt werden.
Diesel – als Klimaretter?!
Wer noch die Illusion hatte, für einen grünen Ministerpräsidenten wie Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg gäbe es andere politische und moralische Maßstäbe im Interesse der Umwelt, wurde eines besseren belehrt. Nachdem er noch vor dem Dieselgipfel die Autoindustrie beruhigte, ein Fahrverbot sähe er „bis 2018 nicht“, erklärt er mittlerweile den Dieselmotor als für die Umwelt lebensnotwendige Alternative zum Benziner und warnt: „Bei einem signifikanten Rückgang des Dieselanteils wären die Klimaziele so nicht mehr zu halten“ (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.gruener-ministerpraesident-kretschmann-macht-sich-fuer-den-diesel-stark.dc561c78-2c65-47f0-b432-df135bf5364a.html).
Für Dieter Zetsche haben sich offensichtlich freundliche Beziehungen zum Ministerpräsidenten, sein Auftritt beim Grünen-Parteitag sowie Parteispenden von Daimler im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt gemacht. Tief verbunden sieht sich der „grüne“ Kretschmann mit der Autoindustrie: „Ich will, dass Deutschland auch in zehn oder zwanzig Jahren noch das Autoland Nummer eins ist.“ (Interview mit Focus, Nr. 33 2017)
Benziner oder Elektroauto als Alternative?
Richtig ist, dass der Benzin-Motor keine saubere Alternative zum Dieselmotor ist – sowohl, was die CO2-Bilanz angeht, aber auch aus anderen Gründen. Eine zusätzliche Hauptquelle für den gesundheitsschädigenden Feinstaub ist der Abrieb durch Reifen und Bremsen bei allen Fahrzeugen – egal mit welchem Motor sie angetrieben werden. Während Kretschmann sowohl den Diesel als umweltfreundlich verkauft als auch auf den E-Motor setzt, ist das von den Bundes-Grünen ausgegebene Ziel, dass bis zum Jahr 2030 nur noch abgasfreie Neuwagen zugelassen werden . Doch auch das Elektroauto ist – ohne ein grundsätzliches Umschwenken vom Individualverkehr auf ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz – in Wahrheit aus ökologischer Sicht keine wirkliche Alternative, wie Verkehrsexperte Winfried Wolf ausführt: „Die CO2-Bilanz von Elektro-Pkw ist dann, wenn auch die Herstellung der Pkw und der Batterien in die Bilanz einbezogen wird, bereits in Europa weitgehend identisch (schlecht) wie diejenige des Pkw-Verkehrs mit konventionellen Motoren. In anderen Regionen, so in China, wo die Elektro-Pkw-Offensive besonders massiv vorangetrieben wird, schneiden Elektro-Pkw nochmals deutlich schlechter ab, da der Strom-Mix zu einem noch größeren Teil von Kohlekraftwerken bestimmt wird.
Es bleibt auch bei dem immensen, überproportional hohen Blutzoll – von aktuell weltweit einer Million Straßenverkehrstoten pro Jahr. In (ganz) Europa sind es rund 45.000 Straßenverkehrstote jährlich (in der EU 33.000). Das heißt: Bereits in Europa mit einer relativ niedrigen Rate an Straßenverkehrstoten gibt es in einem Jahrzehnt 450.000 Straßenverkehrstote.“ (Quelle: http://www.lunapark21.net/schmierentheater-elektro-pkw-2/)
„Ein Elektroauto zu fahren macht deutlich mehr Spaß als Benziner oder Dieselfahrzeuge – weil Sie zum Beispiel blitzschnell an der Ampel starten können, da lassen Sie jeden Maserati stehen. […] Es geht hier um Klimaschutz, um mehr Gesundheit, aber auch um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.“ So erklärte Anton Hofreiter von den Grünen seine eigentliche Motivation für das E-Auto in einem Interview im Handelsblatt am 3. November 2016.
Das gehört sicherlich zur eigentlichen Zielsetzung der jetzt eingerichteten Arbeitsgruppen aus dem „Nationalen Forum Diesel“. Es gilt angesichts ausländischer Konkurrenz wie Tesla, aber auch vor dem Hintergrund, dass in einem wichtigen Absatzmarkt wie China bereits ab nächstem Jahr eine Quote für Autohersteller eingeführt werden soll, nach der sie zu einem bestimmten Produktions-Anteil von Elektroautos verpflichtet werden sollen, den Anschluss zu bekommen. Die deutschen Konzernchefs wollen daher den von ihnen verschuldeten Dieselskandal nun auch noch nutzen, um sich den Umstieg auf E-Motoren noch stärker subventionieren zu lassen.
Betriebsräte und IG Metall
Bei alldem können die Autobosse nicht nur auf die Zuarbeit von Bundes- und Landesregierungen zählen, sondern auch auf die der Führung der Gewerkschaften und der Betriebsräte. Während in der Öffentlichkeit breit Kritik an den Ergebnissen des Dieselgipfels laut wurde, bezeichnete Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg sie als „deutlichen Schritt nach vorne“. Um ein wenig Kritik zu verlautbaren, so scheint es, bemängelt die IG Metall, dass die Verabredungen bisher keinen „rechtssicheren Rahmen“ hätten. Vor allem aber, dass die „Beteiligung der internationalen Hersteller“ sehr unbefriedigend sei: „Bei der Debatte darf es nicht darum gehen, Umweltaspekte, wirtschaftliche Prosperität oder Arbeitsplätze gegeneinander auszuspielen. Sondern wir brauchen einen Dreiklang aus den besten Umweltstandards, einer wettbewerbsfähigen Autoindustrie an der Weltspitze und vieler attraktiver Arbeitsplätze für Menschen“, führte Zitzelsberger aus. Das spiegelt die jahrzehntelange Politik des Co-Managements und einer wettbewerbsorientierten Standortlogik wider, die vor allem durch die Betriebsräte in der Autoindustrie verfolgt wird.
Leider gibt es zu dieser Haltung der IG Metall-Führung und der Betriebsratsfürsten bisher kaum einen sichtbaren Gegenpol. Entsprechend sehen sich viele Beschäftigte in der Autoindustrie – auch aus Angst um ihren Arbeitsplatz – vielleicht eher in einer Verteidigungshaltung ihrer Unternehmen. Die Standortlogik ihrer Gewerkschaftsführung bedeutet jedoch unterm Strich nichts Gutes für die Beschäftigten.
Jahrzehntelang haben die Autobosse die Beschäftigten erpresst und Betriebsräte und IG Metall-Führung haben eine Reihe von Zugeständnissen gemacht. Somit konnten die Autobosse die Produktivität erhöhen – allerdings nicht im Sinne der Beschäftigten, sondern gegen sie. Die Arbeitshetze hat enorm zugenommen. Die Wochenenden gehören schon lange nicht mehr der Familie, sondern den Konzernen. Viele KollegInnen leiden schon früh unter Rückenbeschwerden und anderen gesundheitlichen Schäden. Aller Verzicht – auf Pausen, Lohnerhöhungen, Freizeit – nützt nichts, wenn der Unternehmer entscheidet, einen Standort zu schließen oder wenn eine neue Wirtschaftskrise kommt. Seit der letzten Krise 2008/2009 sind zwar einige Jahre ins Land gegangen, in denen die deutsche Autoindustrie gegenüber der ausländischen Konkurrenz weitgehend als Gewinnerin hervorging. Doch eine erneute Krise ist unausweichlich, auch wenn der Zeitpunkt nicht sicher ist. Das wird große Auswirkungen auf die weltweite Automobilbranche haben, die schon jetzt massive Überkapazitäten aufgebaut hat. Wenn nicht mehr genügend Autos verkauft werden können, stehen Hunderttausende von Arbeitsplätzen zur Disposition – viele davon auch in Deutschland.
Die Konzernbosse versuchen jetzt, die Dieselkrise auch noch zu nutzen, um die Beschäftigten zu verunsichern. Auch die Perspektive eines Produktionsumstiegs auf E-Autos, die wesentlich weniger Komponenten haben, wird von Seiten der Manager genutzt, um mit Arbeitsplatzabbau oder Standortverlagerung zu drohen und auch damit weitere Zugeständnisse von Betriebsräten zu erpressen. Der Verzichtslogik der IG Metall-Führung muss eine kämpferische Strategie und Forderungen wie Erhalt aller Arbeitsplätze, drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, freie Wochenenden etc. entgegen gesetzt werden. Dies muss mit einer Perspektive für den Umbau des Industriezweiges verbunden werden.
Luftqualität verbessern – jetzt!
Angesichts der Unfähigkeit und Unwilligkeit von Politik und Wirtschaft, eine Lösung für die verpestete Luft in den Ballungsgebieten aufzuzeigen, sollte Druck von unten aufgebaut werden.
Die LINKE macht richtigerweise klar, dass die Software-Updates nicht hinnehmbar sind und stattdessen auf Kosten der Automobilkonzerne eine Hardware-Umrüstung vorgenommen werden muss.
Es darf keine weiteren gesundheitlichen Schäden und Opfer der Luftverpestung geben. Damit Menschen mobil sein können, sollte unmittelbar der öffentliche Personennahverkehr kostenfrei angeboten werden. Bus-, U-Bahn- und Straßenbahnverbindungen sollten ausgebaut und die Takte erhöht werden – natürlich mit entsprechender Neueinstellung von FahrerInnen. Zusätzliche Straßen sollten für Fahrräder frei gemacht werden. Verbunden damit sollte der Pkw- und Lkw-Verkehr in den Ballungszentren massiv eingeschränkt werden, beziehungsweise können auf einer solchen Grundlage auch Fahrverbote umgesetzt werden, ohne dass die Masse der Bevölkerung darunter zu leiden hat.
Wie DIE LINKE richtig fordert, müssen die Autokonzerne nach dem Verursacherprinzip zur Kasse gebeten werden – auch, um diese Sofortmaßnahmen umzusetzen. Dabei sollte hervorgehoben werden, dass es die Großaktionäre und Spitzenmanager sind, die hier belangt werden sollen und nicht Kleinaktionäre oder gar die Beschäftigten in der Autoindustrie.
Die Chefs der Autokonzerne haben mit ihren Machenschaften deutlich gemacht, dass sie weder von den Gesichtspunkten der Gesundheit, der Umwelt und des Klimas, noch von den Interessen der über 800.000 Beschäftigten geleitet werden. Das Motiv ihres Handelns ist allein die Profitsteigerung.
Die Spitzenmanager, die jahrelang den Betrug organisiert haben, gehören entlassen und müssen zur finanziellen Haftung herangezogen werden. Damit sie ihr Vermögen nicht beiseite schaffen, sollte dieses konfisziert werden. Die Großaktionäre, die von dem Betrug am meisten profitiert haben, gehören enteignet. Entschädigung darf es nur bei erwiesener Bedürftigkeit geben.
Programm für eine andere Verkehrspolitik
Ausgehend von einem solchen Sofortprogramm sollte der Umbau des gesamten Verkehrssystems angegangen werden. Es muss eine Neuorientierung weg vom Individualverkehr hin zum öffentlichen Nah- und Fernverkehr vollzogen werden. Das muss in Verbindung mit einer Arbeitsplatzgarantie für alle Beschäftigten in der Automobilindustrie geschehen, und zwar ohne Lohnverlust. Ziel sollte der Ausbau der Streckennetze in den Städten und auf dem Land, ein massives Investitionsprogramm in diese Bereiche und Ausbau statt Abbau des Personals bei Bussen und Bahnen sein.
DIE LINKE sollte angesichts dieser Skandale offensiv die Eigentumsfrage aufwerfen, wie sie es auch in ihrem Wahlprogramm beschlossen hat, nämlich die Überführung von Schlüsselindustrien in die öffentliche Hand beziehungsweise gesellschaftliche Eigentumsformen. Dabei ist es keine Lösung, wie Dietmar Bartsch vorschlägt, bei VW den Landesanteil von zwanzig Prozent in Belegschaftsaktien zu überführen. Damit können ebenso wenig Interessen der Beschäftigten gegen die der Großaktionäre durchgesetzt werden. Um die gesellschaftliche Kontrolle und einen ökologisch sinnvollen Umstieg zu erreichen, sollte die LINKE stattdessen jetzt eine Offenlegung der Geschäftsbücher sowie die Verstaatlichung der Autokonzerne unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung fordern und in die öffentliche Debatte bringen.
Ökologischer Umbau
Technisch gibt es viele Möglichkeiten, die Produktionsanlagen, Maschinen und Fertigkeiten der Belegschaften für andere Produkte zu nutzen. Der US-Filmemacher Michael Moore erinnerte daran, wie bei General Motors 1942 innerhalb weniger Monate die Autoproduktion auf die Herstellung von Flugzeugen, Panzern und Maschinengewehren umgestellt wurde. Wenn das also möglich ist, dann kann auch rasch eine Umstellung der Produktion auf sinnvolle Güter organisiert werden.
Stephan Krull, ehemaliger Betriebsrat bei VW, schrieb Anfang 2009: „Die Profite der vergangenen Jahre können abgeschöpft und eingesetzt werden, um Alternativen zu denken, zu planen, zu entwickeln und zu produzieren. (…) Langfristig bedarf es eines ökologisch-sozialen Umbaus unter Einbeziehung der Gewerkschaften, der sozialen Bewegungen und anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen, um die Konversion unserer Industrie mit den Menschen gemeinsam zu gestalten“ (Sozialismus 1/2009). Diese Forderung sollte jetzt wieder aufgegriffen werden.
Die Leitung von Daimler, VW, Audi, BMW etc. könnten Gremien übernehmen, die sich aus gewählten VertreterInnen der Belegschaften und aus der arbeitenden Bevölkerung, VertreterInnen aus Umweltschutz- und Verbraucherverbänden zusammen setzen. Die gewählten Leitungsgremien der verschiedenen Betriebe könnten sich vernetzen und einen gemeinsamen Plan für den Umbau der Autoindustrie entwickeln. Auf dieser Grundlage ließe sich ein Produktions- und Verkehrsplan erstellen, mit dem auch die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt befriedigt werden könnten.
Die jetzige Debatte um den Dieselskandal und die Unfähigkeit der Politik, eine Lösung im Interesse der Masse der Bevölkerung durchzusetzen, sollte genutzt werden, um über Systemalternativen zu diskutieren. Das ist auch eine Chance für DIE LINKE. So sollte diese deutlich machen, dass die Überführung der Autoindustrie und weiterer zentraler Industrien in öffentliches Eigentum und ein demokratisch geplanter Umbau des gesamten Verkehrssystems nötig sind. So kann sie eine gesellschaftliche Alternative jenseits des Kapitalismus konkret machen und aufzeigen, wie eine wirtschaftliche Planung nach den Bedürfnissen der Gesellschaft und unter Berücksichtigung des Umweltschutzes möglich ist. So könnte sich DIE LINKE auch im Bundestagswahlkampf deutlich von allen anderen Parteien absetzen, die allesamt im Dienste der Bosse stehen und deren Politik gegen die Interessen der Masse der Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen gerichtet ist.
Wir fordern:
– Verursacherprinzip anwenden: Großaktionäre der Autoindustrie und Spitzenmanager sollen bezahlen
– Hardware-Umrüstung statt Software-Betrug, finanziert durch die Gewinne der Autoindustrie
– Keine weiteren Gesundheitsschäden! Kein Aufschub, stattdessen unmittelbare wirksame Maßnahmen zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes
– Kostenloser öffentlicher Personennahverkehr, Ausbau des Bus- und Bahn-Netzes und Neueinstellungen im ÖPNV; auf dieser Grundlage Umsetzung der Fahrverbote in Ballungsgebieten
– Güterverkehr weg von der Straße, rauf auf die Schiene
– Entlassung der Spitzenmanager; sie sollen finanziell in Haftung genommen werden; vorläufige Beschlagnahmung ihrer Privatvermögen
-Lückenlose Aufklärung aller Korruption – unabhängige Untersuchungskommissionen unter Einbeziehung von VerbraucherInnen, Umweltschutzverbänden und Beschäftigten
– Enteignung der Großaktionäre in der Autoindustrie, Entschädigung nur bei erwiesener Bedürftigkeit
– Verstaatlichung der Autokonzerne unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung
– Demokratischer Plan für Umstellung der Produktion
– Ökologischer Umbau des Verkehrssystems – weg vom Individualverkehr hin zum öffentlichen Verkehrswesen
– Erhalt aller Arbeitsplätze: drastische Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie Umschulung für neu ausgerichtete Produktion
– Demokratische Planwirtschaft statt kapitalistisches Chaos und Umweltzerstörung
Angelika Teweleit ist gewerkschaftspolitische Sprecherin der SAV und Mitglied der Bundesleitung