Betrieb und Gewerkschaft

Frisch gekämpft: DockarbeiterInnenstreik in Lissabon

Brettos

Im April streikten die DockarbeiterInnen in Lissabon gegen Auslagerungen und Verschlechterungen ihrer Jobs. Nach einem Monat des Kampfes gegen ihre Bosse, die Regierung und die Medien konnten sie die Erfüllung ihrer meisten Forderungen und die Wiedereinstellung aller ausgelagerten KollegInnen erreichen.

Wie konnte eine relativ kleine Belegschaft in Zeiten brutaler Einsparungen diesen Kampf gewinnen? Zusätzlich zum Aufbau landesweiter und internationaler Solidarität hatte die Gewerkschaft eine Strategie, um sich mit den Menschen in den Stadtvierteln zu verbünden.

In den letzten Jahren gab es in Portugal Massenkämpfe für Wohnraum, Bildung und die Erwerbslosen. Die DockarbeiterInnen sind bewusst an diese Bewegungen herangetreten und haben Solidarität mit ihnen aufgebaut. Sie organisierten gemeinsam mit Studierenden ein Solidaritätsnetzwerk und mobilisierten ihre Familienmitglieder, um Erfahrungen auszutauschen.

Auch nach Ende des Streiks organisierte die Gewerkschaft weiter in den Nachbarschaften. Sie sagten richtigerweise, dass keine Jobs sicher sind, solange nicht alle prekären Jobs sicher gemacht werden. Daher organisierten sie am 16. Juni gemeinsam mit anderen einen Massenprotest in Lissabon.

Gewerkschaften können immer noch Erfolge erzielen. Dafür ist es aber nötig, Einsparungen zurückzuweisen und gemeinsam mit der restlichen ArbeiterInnenklasse für eine völlig andere Gesellschaft zu kämpfen.

 

 

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Länger arbeiten ist ungesund und gefährlich

Zu viel Arbeit gefährdet Leben

Skandalöse Aussage zum 12-Stunden-Tag von IV-Chef Kapsch: "Das tut niemandem weh" ('Die Presse' vom 16.6.). 12 Stunden tun sogar sehr weh. Alle relevanten Studien zeigen ab neun Stunden täglicher Arbeitszeit einen deutlichen Anstieg von Unfällen. Mehr 12-h-Tage führen zu deutlich mehr Verletzungen und sogar Todesfällen! (Quelle: Gesundes Maß an Arbeitszeit, blog „Arbeit & Wirtschaft“)

 

Arbeitszeit-Bedürfnisse

Eine aktuelle AK-Studie zeigt: „Viele Vollzeitarbeitskräfte wollen kürzer arbeiten, bei Teilzeitarbeitskräften besteht der Wunsch nach mehr Arbeit“. 610.000 Beschäftigte wollen ihre Arbeitszeit verringern, 304.000 erhöhen. In Summe ergäbe das etwa 50.000 Vollzeitarbeitsplätzen, die so geschaffen werden könnten! Diese Wünsche sind somit nur mit radikaler Arbeitszeitverkürzung möglich!

 

Gleitzeit & All-in

„Normale“ Arbeitszeiten werden immer weniger. Rund ein Viertel der unselbstständig Erwerbstätigen arbeiten Gleitzeit, Tendenz steigend. Flexible Modelle (inkl. Teilzeit) werden von den Unternehmen genutzt, um Beschäftigte über den Tisch zu ziehen. So ist laut work@professional (GPA) 1/3 aller Beschäftigten mit ihren „All-in-Verträgen“ (= Pauschalgehalt für alles inkl. Überstunden) nicht zufrieden.

 

Teilzeit ist weiblich

47,3 % aller weiblichen Beschäftigten, aber nur 10% aller männlichen arbeiten Teilzeit. Leben kann man davon nicht gut. Der Grund ist oft fehlende Kinderbetreuung. Dafür werden 70% der Mehr- und Überstunden von Männern geleistet. Die Mehrarbeits- und Überstunden von Frauen werden häufiger nicht bezahlt (absolut 19%)! (Quelle: 'Geschlechterungleichheit bei der Verteilung der Arbeitszeit in Österreich')

 

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Unehrlichkeit der Gewerkschaft bezüglich 12-Stunden-Tag

Man muss sich ja schon freuen, dass der ÖGB 2013/14 den Standpunkt „Genereller 12-Stunden-Tag kommt nicht“ eingenommen hat. Doch die Gewerkschaften bekämpfen den 12-h-Tag leider nicht „generell“, sondern öffnen ihm die Hintertür. So ermöglichen sie, dass mittels Kollektivverträgen über Betriebsvereinbarungen 12-h-Tage eingeführt werden können! Georg Kapsch, Chef der Industriellenvereinigung und rabiater 12-h-Agitator, über den aktuellen Kniefall der Sozialpartner: „Die ... beschlossene Flexibilisierung der Arbeitszeit bei den Metallern freut uns sehr", sei aber nur "ein erster Schritt in die richtige Richtung".“ (Die Presse 16.6.). AK-Chef Kaske am 15.6.: „Neues Zeitkontenmodell der Metallindustrie und des Bergbaus zeigt: Sozialpartnerschaft funktioniert!“ Wohl wahr, jedoch zu unseren Ungunsten!

 

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Angriff auf Arbeitszeiten

Herr Kern redet von Arbeitszeitverkürzung. Ohne Lohnverlust? Das sagt er nicht.
Franz Neuhold

Mit instinktivem Verständnis für den verbalen Populismus von Kern legen die Eliten aus Kapital und Politik dem Kanzler klar vor, was sie sich erwarten:

Arbeitszeitflexibilisierung. Ob Herr Thumser vom Henkel-Konzern, die „Freiheitliche Wirtschaft“ oder ÖVP-Vizekanzler Mitterlehner: allen geht's um „Wettbewerbsfähigkeit“. Schlagworte wie Modernisierung und Flexibilisierung bedeuten hierbei immer, dass von unten erreichte soziale Errungenschaften zugunsten der Position des österreichischen Kapitals in der globalen Hackordnung geopfert werden sollen.

12-Stunden/Tag am Bau mit Jahresarbeitskonten will z.B. Porr-Chef Strauss. Dies wird mit der SPÖ zu machen sein. Beispiel gefällig? APA-OTS zitiert Kärntens SPÖ-Kaiser indirekt: „Daher sei für Kaiser eine Arbeitszeitflexibilisierung diskutierbar, aber in geordneten Bahnen – zb mit einem Jahresarbeitszeitkonto.“ Bingo; den Baulöwen freut's.

Flexibilisierung wird uns als win-win-Situation für Unternehmen und Beschäftigte verkauft. Es wäre gut, wenn die Arbeitszeiten besser der Lebenswirklichkeit entsprechen. Doch in einem krisengebeutelten Kapitalismus ist die Flexibilisierung in den meisten Fällen eine Verschlechterung für die Beschäftigten. Gewerkschaften und engagierte Betriebsräte müssen das verhindern. Um Arbeitsstress und Arbeitslosigkeit abzubauen, braucht es aber in erster Linie eine kämpferische Kampagne für echte Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn, wo die Arbeit auf mehr Beschäftigte aufgeteilt wird!

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Gewerkschaften wieder Sinn geben

Warum Herr Foglar angesichts einer immer stärkeren FPÖ den ÖGB nicht mit der SPÖ verwechseln sollte.
Franz Neuhold, Betriebsrat

Das Profil-Interview mit ÖGB-Chef und SPÖ-Mitglied Erich Foglar vom 30. April enthält den Aufruf, eine Koalition mit der FPÖ anzudenken. Foglar muss natürlich wissen, dass ein bedeutender Teil der FPÖ-Entscheidungsträger Gewerkschaften ablehnt und sogar deren Abschaffung fordert. Aber lassen wir das mal beiseite und glauben ihm, dass er Menschen von der FPÖ zurückgewinnen und die Gewerkschaften als Interessensvertretung der ArbeitnehmerInnen wieder stärken will.
Doch während sich Foglar an die SPÖ klammert, verstehen wir vollkommen, dass sich viele Menschen von der SPÖ abwenden. Dass dies zur Stärkung der FPÖ führt, ist Folge der Untätigkeit und Alternativlosigkeit der Gewerkschaften gegen die neoliberalen Angriffe der letzten 30 Jahre plus Skandale um Spekulation mit Mitgliedsgeldern.
Um Menschen zurückzugewinnen, die von Sozialabbau und miesen Zukunftsaussichten genug haben, braucht es Organisierung gegen Kürzungen und die kapitalistische Krise. Würden die Gewerkschaften bei Zielpunkt, Servus-TV & Co. kämpferisch gegen Jobverlust und Millionäre auftreten und die betroffenen KollegInnen – egal welcher Herkunft oder Religion - in die Kampagne demokratisch einbinden, würde das Solidarität und gewerkschaftliche Glaubwürdigkeit stärken. Die FPÖ würde immer öfter gezwungen sein, zu offenbaren, dass sie letztlich nur eine Partei der Reichen, Banken und Konzerne ist. Eine solche Haltung wird die Gewerkschaft allerdings auch in Opposition zur ebenso pro-kapitalistischen SPÖ bringen.
Es ist gut möglich, dass diese SPÖ aus machtpolitischen Gründen bundesweit eine Koalition mit der FPÖ eingehen wird. Nun: was ist dann die Aufgabe einer Gewerkschaft, wenn zwei Parteien, die bisher schon für Sozialabbau-Politik bekannt waren, miteinander … höchstwahrscheinlich Sozialabbau betreiben werden? In solch einer Situation könnten Gewerkschaften wieder cool werden! Kollege Foglar muss sich dann entscheiden, ob er ernstzunehmender Gewerkschafter oder SPÖ-Privilegienritter ist.

 

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Servus, TV – Baba, Betriebsrat!

Alexander Svojtko

Der gewohnt scharfzüngige Journalist Chmelar fasste die – vor dem Hintergrund einer Betriebsratsgründung - angedrohte Schließung von Servus-TV so zusammen: „Ein Satz mit `Mateschitz´? – Mate shits on workers rights.“
Sender-Eigentümer Mateschitz (neun Milliarden $ schwer) ist mit der Drohgebärde durchgekommen; es wird bei Servus-TV keinen Betriebsrat geben. Besonders unrühmlich war die Rolle der „ArbeitnehmerInnen-Vertreter“; vom Salzburger AK-Chef Pichler bis zum GPA-Boss Katzian übten sie sich in Unterwerfungsgesten. So wurde ein Musterfall geschaffen: In Zukunft werden selbstherrliche Bosse „ihre“ Firma noch ungenierter als betriebsratsfreie Zone führen.
Im Arbeitsverfassungsgesetz heißt es allerdings: „In jedem Betrieb, in dem dauernd fünf stimmberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden, SIND […] von der Arbeitnehmerschaft Organe zu bilden“.
Das 250-köpfige Team von Servus-TV lehnte in einer – unter Druck des Jobverlusts geführten - „Umfrage“ die Bildung eines Betriebsrats ab. Die Arbeitsbedingungen seien ohnehin erstklassig. Mag sein. Jedoch: Was die Mateschitze dieser Welt aus freien Stücken geben, können sie wieder nehmen. Ohne einen kämpferischen Betriebsrat und ohne kämpferische Gewerkschaften ganz leicht, jederzeit.

 

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Frisch gekämpft ist halb gewonnen - Charite

Flo Klabacher

Die Belegschaft des Berliner Großkrankenhauses Charité sorgt für Aufsehen. Seit zehn Jahren kämpft die Betriebsgruppe der Gewerkschaft ver.di gegen Ausgliederungen, Niedriglöhne und Personalmangel. Ein erster Streik 2006 wehrt Lohnkürzungen ab, erkämpft einen Kollektivvertrag und hilft, erste Erfahrungen mit Arbeitskämpfen zu sammeln. Die werden 2011 genutzt, um Lohnerhöhungen bis zu €300 zu erstreiken. Mit dem Selbstvertrauen dieser Erfolge geht es 2012 weiter. Gefordert werden kollektivvertraglich geregelte Personalschlüssel und Gesundheitsschutz für MitarbeiterInnen. Nach einer vierjährigen Kampagne, inklusive zehntägigem Streik 2015, ist der neue Kollekttivvertrag seit 1. Mai in Kraft. Darin festgeschrieben sind Personalquoten für Intensiv- & Kinderstationen sowie spürbare Verbesserung in der stationären Pflege. Das schafft 200 Jobs. Werden die Mindeststandards nicht erfüllt, können Überlastungsanzeigen bis zur Sperre von Betten führen. GenossInnen der SAV (CWI in Deutschland) spielen eine entscheidende Rolle im Aufbau der Bewegung – im Betrieb und in Solikomitees von PatientInnen und BerlinerInnen. Durch die breite Unterstützung in der Bevölkerung kann genug Druck aufgebaut werden, um große Teile des Forderungskataloges durchzusetzen. Jetzt geht es darum, die Umsetzung im Betrieb sicherzustellen und die Bewegung auszubreiten. Für den Herbst sind Streiks für ähnliche Verbesserungen im ganzen Saarland geplant

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Streik im Krankenhaus

Von der Charité in die ganze Republik

Beim Berliner Universitätsklinikum Charité dauerten die Tarifverhandlungen  zum Thema Personalbemessung und Gesundheitsschutz bei Redaktionsschluss noch an. Doch bereits jetzt weitet sich die Auseinandersetzung in die Bundesrepublik aus. Lucy Redler sprach mit Michael Quetting, zuständiger Gewerkschaftssekretär ver.di Region Saar Trier und Janine Balder, als ver.di-Gewerkschaftssekretärin zuständig für das Vivantes Klinikum in Berlin.

Interview mit Michael Quetting, Gewerkschaftssekretär ver.di Region Saar Trier
„Wir haben in Berlin und im Saarland schon mal die Lunte gelegt“

Auf dem Symposium „Krankenhäuser – wie krank ist das denn?“ im Oktober hat ver.di vorgeschlagen, für die 21 Krankenhäuser im Saarland einen Tarifvertrag für Entlastung zu erkämpfen. Am 21. März fand in Saarbrücken der 1. Ratschlag der TarifberaterInnen für einen Tarifvertrag Entlastung statt. Bisher haben sich beeindruckende 285 TarifberaterInnen gemeldet. Die Diskussion über mögliche Forderungen hat begonnen.

Was sind die Schwerpunkte in der Forderungsdiskussion?

Es geht um „Personal, Patienten und Recht“ – kurz PPR. Wir wollen Mindeststandards für mehr Personal im Interesse der Patientinnen und Patienten und mehr Rechte für die Kolleginnen und Kollegen. Ein Maßstab könnte die Wiedereinführung der Pflegepersonalregelung (PPR) von 1996 sein und deren Anwendung zu einhundert Prozent. Die PPR als System ist zwar an einigen Stellen veraltet, aber sie wäre ein guter Bezugsrahmen, da sie noch vielen KollegInnen bekannt ist. Die Einführung der „PPR 100%“ wäre ein riesiger Fortschritt – auch für die PatientInnen.

Soviel zu Personal und Patienten, worum geht es beim „Recht“?

Wir wollen, dass die KollegInnen Rechte erhalten, wenn die vereinbarte Mindestbesetzung unterschritten wird, Pausen nicht eingehalten oder KollegInnen aus dem Frei geholt werden. So sollte beispielsweise festgeschrieben werden, dass der Arbeitgeber im Falle von Gefährdungsanzeigen innerhalb von vier Stunden intervenieren und Maßnahmen zur Beseitigung der Gefährdung einleiten muss. Bei einer Unterschreitung der Mindestbesetzung werden Betten gesperrt. Bei Verstößen gegen gefasste Regeln sind verschiedene Sanktionen möglich, eine besteht aus Strafzahlungen des Arbeitgebers an die Gewerkschaft, welche die Gelder im Interesse der KollegInnen verwaltet. Das sind alles aber bisher nur Ideen, die beim zweiten Tarifberatertreffen diskutiert und beschlossen werden.

Welchen Einfluss hatte und hat der Kampf an der Charité für eure Auseinandersetzung?

Wir verfolgen mit großem Interesse, was in Berlin passiert und haben uns letztes Jahr während des Streiks solidarisch mit den streikenden Charité-KollegInnen gezeigt. Wir wollen von dem Kampf lernen, ohne ihn zu kopieren. Der Pflegestreik Saar ist eine regionale Auseinandersetzung, bei der nicht ein Haus, sondern alle 21 Häuser mit demselben Landesbasisfallwert mobilisiert werden, dann sind alle gleichermaßen von der Auseinandersetzung betroffen. Wir wenden das System der TarifberaterInnen von ver.di Charité auch bei uns an. Die Idee ist folgende: eine Kollegin (es sind in der Regel Frauen) pro Station kommuniziert die Interessen und Meinung ihrer Station mit der Tarifkommission und der Verhandlungskommission. Auch Nicht-Gewerkschaftsmitglieder werden eingebunden und es ist ein Bottom-up Prozess von Station zur Gewerkschaft. Die TarifberaterInnen werden damit zum dialektischen Bindeglied zwischen den Gesamtinteressen und Partikularinteressen der Streikenden. Ich finde es spannend, dass die Idee der TarifberaterInnen nun zunehmend im Fachbereich diskutiert wird.

Was sind eure Planungen für den Pflegestreik Saar, um den Entlastungs-TV zu erkämpfen?

Wir haben einen Neun-Punkte-Plan zur Vorbereitung und Durchführung des Pflegestreiks aufgestellt und liegen sehr gut im Plan. Die nächsten Schritte sind die Bildung der Tarifkommission und Festlegung der Forderungen. Jedes Krankenhaus entsendet eine Kollegin oder einen Kollegen in die Tarifkommission, die beim zweiten Tarifberatertreffen im Mai gewählt wird. Wenn alles gut läuft, wird der Arbeitgeber im Juni zu Verhandlungen zum Tarifvertrag Entlastung aufgefordert. Wenn er sich nicht bewegt, kann es ab September zu Streiks kommen.

Mit welcher bundesweiten Wirkung rechnest du – auch in Bezug auf Diskussionen im Fachbereich und Betriebsgruppen in anderen Krankenhäusern? Wird es einen Flächenbrand geben?

Das Thema Entlastung und Aufwertung wird uns die nächsten zwei Jahre sehr beschäftigen, dazu muss ver.di bundesweit agieren. In NRW tragen sich die KollegInnen in sechs Uniklinika mit der Idee, etwas ähnliches zu beginnen und auch in Hamburg und Baden-Württemberg laufen Diskussionen. Wir haben in Berlin und im Saarland schon mal die Lunte gelegt. Es wird zu einem Flächenbrand kommen.

 

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Interview mit Janine Balder

„TVöD für alle erstreiken“

Janine, du bist als ver.di-Gewerkschaftssekretärin zuständig für das Vivantes Klinikum in Berlin. Du hast bei den Sozialismustagen über die Kampagne „Zusammenstehen“ berichtet, die ver.di am Vivantes Klinikum gestartet hat. Worum geht es in der Kampagne?

Mit dieser Kampagne wollen sich die Beschäftigten so ziemlich aller Berufsgruppen in Vivantes wehren gegen Zersplitterung und Ausgliederung, ungerechte Bezahlung und zu wenig Personal einhergehend mit einem hohen Maß an Arbeitsverdichtung und zunehmender bis kaum noch zu bewältigender Arbeitsbelastung. Ein besonderes Anliegen ist es, aufzuzeigen, wie wichtig jede und jeder einzelne Beschäftigte im Krankenhaus ist, damit die Patientenversorgung gut funktioniert und dass sich die KollegInnen nicht in „weiße“ und „graue“ Bereiche unterteilen und durch Ausgliederungen in Tochtergesellschaften spalten lassen!

Wenn der Patient nicht im OP ankommt, kann nicht operiert werden. Ein Operateur kann ohne sterile und intakte Instrumente nicht operieren. Wenn die Medikamente und die Maske fehlen und das Narkosegerät defekt ist, kann die Anästhesie keine Narkose vornehmen. Wenn der Patient hinterher nicht vernünftig versorgt wird – durch Pflegekräfte, Therapeuten, Ärzte – kann keine OP erfolgreich sein. Wenn nicht vernünftig gereinigt wird, hat die beste Therapie keinen Erfolg. Ohne Essen, saubere Wäsche geht gar nichts. Und wenn all diese Dinge nicht auf Station ankommen, läuft auch einiges schief. Dann ist Sand im Getriebe!

Begonnen hat alles im Juni 2014. Die Vivantes-Beschäftigten des Mutterkonzerns haben nach zehn Jahren Verzicht auf Jahressonderzahlungen erstmals den vollen TVöD erhalten – da stellt die Geschäftsleitung Vivantes fest, dass die Zahlung des vollen TVöD dem Unternehmen zu teuer kommt. Die Geschäftsführung kündigt die Ausgliederung des sogenannten „grauen Bereichs“ (Patientenbegleitservice, Lager, Logistik, Facilitymanagement) an, die bisher im Mutterkonzern angestellt und damit nach TVöD bezahlt wurden, sowie Gründung einer Tochtergesellschaft Therapeutische Dienste – in die, wie die Geschäftsleitung beteuert, keine Stammbelegschaft der Mutter ausgegliedert werden, aber neue Ergo-, Physiotherapeuten, Logopäden und andere zu marktüblichen Preisen eingestellt werden sollen. Das sind bei gleicher Tätigkeit, oft an gleichen Patienten achthundert bis eintausend Euro Unterschied!

Das wollen die Beschäftigten nicht länger hinnehmen. In Vivantes gibt es aktuell 13 Tochtergesellschaften, in denen diese unterschiedliche Bezahlung von Mutterbeschäftigten zu Neueingestellten mehr oder weniger Praxis ist.

Und nicht zu vergessen, das Thema der zunehmenden Arbeitsbelastung und damit die Forderung nach „Mehr Personal ins Krankenhaus“ Und so kam es bei der Geburtsstunde der Kampagne „Zusammenstehen“ im September letzten Jahres zu den drei Forderungen: TVöD für alle, mehr Personal im Krankenhaus, Tochtergesellschaften rückführen.

Wie hat der Streik an der Charité eure Kampagne und das Bewusstsein der Kolleginnen und Kollegen beeinflusst?

Eigentlich war der Streik bei der Charité mit ein Auslöser für die Kampagne „Zusammenstehen in Vivantes“ wie wir sie, mit den drei Forderungen seit September 2015 fahren. Vor allem aber die Forderung nach mehr Personal im Krankenhaus, wurde durch den Streik an der greifbar nahen Charité so richtig zur Forderung auch für die Beschäftigten bei Vivantes. Da, so schien es, sind einige Pflegende von Vivantes aus ihrem Dornröschenschlaf oder „Jammertal“ aufgewacht!

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir zum Beispiel keine Ansprech- oder Kontaktperson im Klinikum Spandau – bis ich eines Abends im Sommer 2015 einen Anruf von einer Kollegin bekam, die meinte „So, mir reichts, was die Charité kann, können wir auch – ich will auch streiken“. Sie wurde von einem auf den anderen Tag Vertrauensfrau fürs Klinikum Spandau und organisierte dann binnen weniger Tage eine sehenswerte Beteiligung der Spandauer KollegInnen an der 162.000 Aktion. Solche und ähnliche Begegnungen geschahen häufiger.

Der Austausch, die Netzwerkarbeit und gemeinsame Aktionen mit KollegInnen und Aktiven der Charité und aus dem Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus waren ein stärkendes Element für unsere KollegInnen, welche die Macht von „Zusammenstehen“ auch noch über ihr Haus und ihre Klinik hinweg spüren konnten – nämlich durch die Solidarität der KollegInnen der Charité. Inzwischen stehen einige der TarifberaterInnen der Charité auch für die KollegInnen in Vorbereitung der Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienst zur Verfügung. Aber, es bringt auch nichts, wie Getriebene von „Zugpferden“ wie der Charité und Saarland auf etwas aufzuspringen, ohne die entsprechenden Ressourcen und letztlich ohne die KollegInnen mitzunehmen, das heißt für uns, „aufspringen – ja! Aber mit dem Tempo das wir brauchen!“

Eins eurer Ziele ist, dass alle – auch die KollegInnen in den Tochtergesellschaften – den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TVöD) bekommen. Gerade laufen Verhandlungen bei der Service-GmbH von Vivantes. Was wäre die Wirkung, wenn es hier gelingen würde, den TVöD durchzusetzen?

Zum einen bräuchte es dann keine Tochter Service GmbH mehr, denn diese wurde einzig und alleine zur Einsparung von Kosten gegründet und die KollegInnen aus den Bereichen Patientenbegleitservice, Lager, Logistik, Einkauf, Facilitymanagement, in diese 2014 ausgegliedert.

Wenn wir es schaffen, und ich habe da wirklich Visionen, den TVöD für alle Beschäftigten in der Service GmbH zu erstreiken – am Verhandlungstisch wird uns die Arbeitgeberseite diese Forderung nämlich nicht erfüllen – wäre es das erste Mal in der Tarifauseinandersetzung in unserem Fachbereich, dass durch einen Tarifvertrag, wie ihn die Mutter hat, eine Tochter zurückgeführt wird in den Mutterkonzern. Dann würde das zweite Mal die gesamte Republik nach Berlin schauen, weil Beschäftigte im Krankenhaus aufstehen und für ihre Forderungen kämpfen!

 

Schneller! Länger! Immer mehr!

Arbeitszeit verkürzen = Lebenszeit verlängern! Nein zu immer mehr Stress!
Thomas Hauer

Wenn Politik und Wirtschaft wieder mal anfangen, den Wirtschaftsstandort zu sichern, dann wissen die Meisten schon, was als nächstes kommt: schneller, länger und immer mehr arbeiten. Weil die Kosten für Arbeit im internationalen Vergleich angeblich zu hoch sind. Tatsächlich waren die Lohnstückkosten (Kosten, die für die Herstellung eines Produktes bzw. eine zu erledigende Arbeit aufgewendet werden müssen) aber lange Zeit rückläufig, bzw. sind in den letzten Jahren maximal stagniert.

Was uns von diesem Kampf um den Wirtschaftsstandort bleibt, sind Krankheit durch immer mehr Arbeit und eine Vernichtung von Arbeitsplätzen durch immer mehr Einsparungen. In der Produktion werden durch verschiedene Schichtmodelle Stillstände (=Atempausen) vermieden und durch schnellere Maschinen die Produktivität und gleichzeitig Arbeitsdruck und -intensität erhöht. Auch in anderen Bereichen steigt das Tempo: Vor allem die Pflege leidet ständig unter Ressourcenmangel, was weniger und schlechtere individuelle Betreuung bedeutet und nebenbei das Personal ins Burnout treibt. In vielen Bereichen gibt es Leistungssysteme, die aus den Beschäftigten noch mehr herausholen sollen. Viele davon werten nicht individuelle, sondern Gruppenleistungen, damit sich die Beschäftigten zusätzlich noch gegenseitig unter Druck setzen.

Der ÖGB hat auf den ständig steigenden Arbeitsdruck keine Antworten. Die jährlichen Lohnerhöhungen sind bestenfalls ein Inflationsausgleich, aber keine Antwort auf die steigenden Belastungen. Die Unternehmen fordern, dass wir länger und flexibler arbeiten – Stichwort: 12-Stunden-Tag. Die einzige Antwort kann für uns nur eine drastische Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich sein. Die Gewerkschaft muss dieses Thema endlich offensiv in Angriff nehmen. Durch eine breite und kämpferische Kampagne, die Arbeitslose und Erwerbstätige zusammenfasst, kann echte Arbeitszeitverkürzung erkämpft werden. Außerdem wäre eine solche Kampagne eine gute Schulung für Zusammenhalt und Solidarität, die wir in kommenden Kämpfen noch brauchen werden.

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OÖ-Kürzungen im Sozialbereich: halber Kampf = keine Wirkung

Lisa Wawra

Die oberösterreichische Landesregierung kündigte 2015 an, die Mittel für den Psychosozialbereich um 25 Millionen Euro zu kürzen. Das hätte katastrophale Folgen für Beschäftigte und KlientInnen im ohnehin unterbesetzten Behinderten-, Wohnungslosen- und Psychosozialbereich.

Kämpferische Demonstrationen mit tausenden TeilnehmerInnen waren die Folge. Anstatt die Kampfbereitschaft zu nützen und die gesamte Kürzung zurückzuschlagen, gab sich die Gewerkschaft mit Kürzungen von 17 Millionen zufrieden. Der faule Kompromiss wurde als „Erfolg“ verkauft.

Rasch war klar, dass die Vereinbarung nichts wert war. Leute werden entlassen und die neue Regierung fühlt sich wohl an den Kompromiss nicht gebunden. Hätte die Gewerkschaft letztes Jahr ihre volle Stärke gezeigt, wären Unternehmen und Regierung jetzt weniger frech. Doch der Kampf ist noch nicht vorbei.

Seit dem miesen Kollektivvertragsabschluss von 1,4% kommt es heuer zu erneuten Protesten im Sozialbereich. „Sozial aber nicht Blöd“, CareRevolution und andere Initiativen sind aktiv. Diesmal dürfen wir nicht nach einem faulen Kompromiss aufhören, sondern müssen weiterkämpfen, bis die Kürzungen insgesamt zurückgenommen werden und mehr Geld für den Sozialbereich zur Verfügung steht.

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