Internationales

Nach Wahlen in GB: Kürzungen bekämpfen!

Georg Kumer

Bei den britischen Parlamentswahlen am 7. Mai wurden die regierenden Tories (Konservative) mit 37% stärkste Partei, die größte Oppositionspartei Labour (Sozialdemokratie) kam mit 30,5% auf Platz zwei. In den letzten fünf Jahren führten die Tories ein beispielloses Sparpaket durch. Es wurden bis zu 40% der Kommunalabgaben eingespart, mehr als durch jede andere Regierung seit 1945. Fast eine Million Menschen sind zum Überleben auf Essensausgaben angewiesen. Die Einkommen gingen seit über 100 Jahren nicht mehr so stark zurück. Dass Labour die verhassten Tories nicht schlagen konnte, wird durch die klaren Aussagen von Labour verständlich, die Kürzungspolitik bei einem Wahlsieg fortzuführen. Sie waren keine Alternative. So gingen auch nur 66% der Menschen zur Wahl, d.h. Millionen BritInnen trauen zu Recht keiner der etablierten Parteien.

Um die Situation der Menschen wirklich zu verbessern, sind Arbeitsplätze, höhere Löhne und mehr Geld fürs Sozialsystem notwendig. Diese massive Umverteilung von Reichtum wird aber nur mit einem Kampf gegen die Unternehmen und Banken möglich sein. Dazu braucht es eine neue Partei aller Lohnabhängigen und Erwerbslosen, die konsequent deren Interessen vertritt. Ein Ansatz dazu ist die Trade Unionist and Socialist Coalition (TUSC), die bei diesen Wahlen mit einem Programm gegen alle Kürzungen antrat. In diesem Zusammenschluss von Gewerkschaften, GewerkschafterInnen und SozialistInnen ist auch die britische Schwesterorganisation der SLP, die Socialist Party, vertreten. Insgesamt erreichten 748 KandidatInnen in dem extrem schwierigen Umfeld (quasi Medienboykott, Mehrheitswahlrecht etc.) immerhin 118,125 Stimmen.

Traditionell unterstützen die Gewerkschaften Labour, rufen für sie auf und finanzieren sie. Nur wenige haben sich bisher von dieser neoliberalen Partei gelöst. Doch seit den Wahlen nimmt die Debatte in den Gewerkschaften über einen Bruch mit Labour an Fahrt auf.

Und die Frage einer neuen ArbeiterInnenpartei wird angesichts der kommenden noch härteren Kürzungen auch immer dringlicher. Die Großdemonstration gegen Kürzungen am 20. Juni kann ein Ansatzpunkt für weitere Kämpfe sein. Streiks, auch Generalstreiks sind nötig. TUSC kommt dabei eine wichtige Rolle zu.

 

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Internationale Notizen: Nigeria - Irland - Sri Lanka

Stefan Reifberger

Nigeria: Proteste gegen Stromkonzern

In Nigeria stellt die mangelnde Stromversorgung ein großes Problem dar. Seit der Übernahme von staatlichen Stromversorgern durch private Anbieter hat sich die Lage noch verschlechtert. Strom gibt’s nur wenige Minuten und Tage pro Monat, dafür aber zu hohen Preisen. BewohnerInnen aus Ago Palace und Okota gingen deshalb am 14. Mai in großer Zahl auf die Straße, um mit diesen untragbaren Zuständen Schluss zu machen. Das DSM (Democratic Socialist Movement), die Schwesterorganisation der SLP in Nigeria, nahm an den Protesten teil. AktivistInnen des DSM fordern die Re-Verstaatlichung der Stromversorgung und eine Ausweitung der Kampagne auf nationaler Ebene. Am 20. Mai etwa fanden auch in der Nähe von Lagos Proteste statt, die von DSM-Mitgliedern mitorganisiert wurden.

http://www.socialistnigeria.org

Irland: JA zu gleichgeschlechtlicher Ehe

Am 22. Mai fand in Irland ein Referendum für die Einführung der Ehe für Homosexuelle statt. Die Schwesterorganisation der SLP, die Socialist Party, kampagnisierte für eine Ja-Stimme. Das Referendum war erfolgreich. Bis zur vollen Gleichberechtigung ist aber noch ein langer Weg. Die SP fordert die Säkularisierung der Schulen. Dort hat noch immer die katholische Kirche das Sagen, was dazu führt, dass homosexuelle LehrerInnen abgewiesen werden können. Gleichzeitig verband die SP die Frage nach Gleichberechtigung von Homosexuellen mit der nach Gleichberechtigung für Frauen und dem Kampf gegen das Spardiktat. In Irland ist es nach wie vor illegal, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen und die Kürzungen treffen benachteiligte Schichten besonders – weiterer Kampf ist also notwendig.

http://www.socialistparty.ie

Sri Lanka: 1. Mai

In Sri Lanka nahmen wieder Hunderte ArbeiterInnen an der traditionellen Mai-Demo der USP (Schwesterorganisation der SLP) teil. Ein Schwerpunkt war die Situation von Frauen, die u.a. in Textilindustrie und auf den Teeplantagen unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften. Es ging auch gegen die ethnische Spaltung und der gemeinsame Kampf aller ArbeiterInnen und Unterdrückten wurde betont.

http://www.lankasocialist.com

 

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Klares „Nein“ in Griechenland

Am Sonntag, dem 5. Juli, werden wir „nein“ sagen zur Bande der Kreditgeber!
Erklärung von Xekinima vom 27. Juni 2015 (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Griechenland)

Am Ende hat die Regierung unter der Führung von SYRIZA doch noch die richtige Entscheidung getroffen! Zur Frage, wie mit der vorgeschlagenen Vereinbarung mit den Kreditgebern zu verfahren ist, wird nun das griechische Volk befragt.

Die anfänglichen Zugeständnisse der Regierung haben die sogenannten „Institutionen“ (so der neue Name der altbekannten „Troika“) maßlos arrogant werden lassen. Sie wollten die neue Regierung zur Kopie ihrer Vorgängerregierung aus konservativer „Nea Dimokratia“, sozialdemokratischer PASOK und liberaler „Potami“-Partei machen, um auch SYRIZA dazu zu zwingen, exakt dieselbe Art von Politik umzusetzen. Man wollte SYRIZA auf die Knie zwingen, um nicht nur die Partei sondern auch die griechische Regierung der Lächerlichkeit preiszugeben und das ganze griechische Volk zu bezwingen. Damit sollte ein Exempel statuiert werden, um alle anderen Völker in Europa, die es wagen sollten, das Diktat der „Institutionen“ infrage zu stellen, zu warnen.

Die SYRIZA-Regierung hat dazu „nein“ gesagt! Letztendlich war es ein klares und lautes „Nein“, das Europa ins Wanken bringen und jeden Winkel der Erde erreichen kann!

Die Bevölkerung Griechenlands (und damit meinen wir die abhängig Beschäftigten, die Erwerbslosen, die verarmten Schichten und die Kleinbetriebe sowie die Mittelschicht, die durch die kapitalistische Krise zerstört worden ist) muss den Kampf für ein „Nein“ beim Referendum mit ganzer Kraft führen.

Auf der anderen Seite werden die Organisationen und Strukturen, die zur Reaktion gehören, all ihre Kräfte zusammenbringen. Die Bankiers, Schiffseigner und Reeder, Industrielle, die großen Bauunternehmer, die Massenmedien, das Establishment der EU, die internationalen Organisationen (IWF, EZB etc.) und die multinationalen Konzerne – sie alle werden uns zu „überzeugen“ versuchen, dass wir der Katastrophe entgegengehen, wenn wir mit „nein“ stimmen sollten.

Eine Katastrophe wäre es, wenn wir für die Maßnahmen stimmen würden, die die Gläubiger umgesetzt wissen wollen. Es geht dabei um Maßnahmen, die eine Fortsetzung exakt derselben Politik bedeuten würden, die in den letzten fünf Jahren zur Anwendung gekommen ist. Dadurch ist die Wirtschaft Griechenlands ja erst zerstört worden, was zur sozialpolitischen Katastrophe geführt hat.

Diese „Gentlemen“ (und „Ladies“) besitzen die Kaltschnäuzigkeit, uns erzählen zu wollen, dass wir ein Desaster auslösen werden, wenn wir „nein“ zu denen sagen, die die momentane gesellschaftliche Katastrophe verursacht haben. Es sind genau dieselben Lügner, die von Anfang an behauptet haben, dass ihre Politik „unsere“ Probleme lösen könne, dass damit neues Wachstum kommen und unsere „Rettung“ kurz bevor stehen würde. Und als i-Tüpfelchen haben sie uns dann noch gedemütigt und uns als „faules“, „korruptes“ und „nutzloses“ Volk beschimpft, das nur ihr Geld und ihre Zeit stehlen würde.

Jetzt ist es an der Zeit für eine angemessene Antwort!

Wir müssen uns gleichzeitig darüber im Klaren sein, dass ein „Nein“ beim Referendum und ein „Nein“ zu den Kreditgebern den Austritt des Landes aus der Eurozone bedeutet.

Der Wechsel von einer starken internationalen Währung wie dem Euro hin zur Drachme, der Währung einer kleinen Volkswirtschaft, birgt Gefahren. Doch diesen Gefahren können wir begegnen, wenn die korrekte Politik zur Anwendung kommt. Es muss zum Bruch mit dem aktuellen maroden System kommen.

Die Propaganda der Vertreter des Kapitals, wonach die Rückkehr zur Drachme dem „Eintritt ins Höllenfeuer“ gleichkommt, ist eine große Lüge. Diese Propaganda kommt von Menschen, die die Lüge zur Kunst erhoben haben. Haben diese korrupten Vertreter des Establishments je die Wahrheit gesagt, so dass wir ihnen heute trauen könnten?

Die Hölle wartet auf uns, wenn wir auf dem Weg des Kapitalismus bleiben. Durch eine Reihe von Maßnahmen ist es möglich, die griechische Volkswirtschaft wieder auf die Füße zu bringen. Darüber ist neues Wachstum möglich und dass den Interessen der Gesellschaft statt der Profitgier der Plutokratie entsprochen wird. Umgehend müssen Kapitalkontrollen eingeführt werden, damit das Großkapital daran gehindert werden kann, sein Geld und seine Profite ins Ausland zu schaffen. Mit anderen Worten: Der Reichtum, der durch unsere Arbeitskraft geschaffen wurde, muss im Land bleiben. Es müssen Obergrenzen für wöchentliche Banktransfers eingeführt werden, die hoch genug angesetzt sind, um den Bedürfnissen der Familien aus der Arbeiterklasse und den Kleinbetrieben zu entsprechen. Die Geschäftsbücher müssen aber offengelegt werden, um zu verhindern, dass die Kapitalisten ihre Bankreserven abziehen.

Und am 30. Juni, wenn von uns eine weitere Rate in Höhe von 1,5 Milliarden Euro zu überweisen an den IWF erwartet wird, dann müssen wir sagen: „Wir werden nicht zahlen!“. Wir haben genug gezahlt, das sind nicht unsere Schulden, wir werden dafür nicht mehr zahlen!

Es gibt keinen Zweifel, dass das Großkapital jeden Versuch sabotieren wird, mit dem die Wirtschaft wieder auf die Beine gebracht werden soll. Von daher ist es absolut notwendig und das Gebot der Stunde, das Bankensystem zu verstaatlichen. Das heißt: Das Eigentum, die Kontrolle und die Geschäftsführung über die Banken müssen an die Gesellschaft übergehen. Danach müssen die Kommandozentralen der Wirtschaft unter die Kontrolle und Geschäftsführung durch die Gesellschaft und die Beschäftigten gestellt werden. Auf diese Weise wäre es möglich, die Produktion und die Verteilung der Güter zu planen, um den Bedürfnissen der arbeitenden Massen zu entsprechen – und von einer Wirtschaftsweise wegzukommen, die nur an den Interessen der Reeder und Industriellen ausgerichtet ist.

Heute ist ein historischer Tag! Seht euch die Panik an, die den Vertretern der herrschenden Klasse ins Gesicht geschrieben steht und die aus den Presseerklärungen von „Nea Dimokratia“, PASOK und „Potami“ hervorgeht! Und freut euch darüber!

Für die ArbeiterInnen, die Armen, Erwerbslose und Verzweifelte ist dies ein großartiger Tag! Das Lächeln kann auf die Gesichter zurückkehren!

Gleichzeitig müssen wir aber alle SYRIZA auffordern, den Kampf nicht auf das Referendum zu beschränken. Die Partei muss mutig und entschlossen weitere Schritte unternehmen, um dem Großkapital die Macht aus den Händen zu nehmen. Die Schlüsselindustrien müssen in öffentliche Hand übergehen und der demokratischen Planung unterstellt werden. Die Kontrolle darüber und die Geschäftsführung müssen an die Gesellschaft und an die Beschäftigten übergehen, um ein für alle Mal die Ausbeutung der Arbeit, die Skandale, die Korruption und die Plünderei zu beenden.

Mit solchen entschiedenen sozialistischen Maßnahmen können wir neue Hoffnung schöpfen – nicht nur für die Menschen in Griechenland. Damit können wir zu einer Art von Katalysator für die Völker Europas und der ganzen Welt werden.

Die „Institutionen“ wollen in Griechenland einen „Regime-Wechsel“. Nachvollziehbarer Weise haben sie Angst davor, dass ganz ähnliche Bewegungen überall in Europa entstehen könnten, wenn in Griechenland Widerstand gegen das Vorgehen der herrschenden Klassen geleistet wird. Letztere wollen die Kosten für die Krise des Kapitalismus den Mittelschichten und der Arbeiterklasse aufbürden. Und ihre Sorge ist durchaus berechtigt. Es besteht enormes Potential dafür, dass der Widerstand der arbeitenden Menschen in Griechenland der Anstoß für ähnliche Bewegungen in anderen Ländern sein kann. Das ist auch der Grund dafür, weshalb vor allem die Regierungen in Irland, Portugal und Spanien dem griechischen Volk gegenüber so feindselig eingestellt sind: Sie machen sich Sorgen um ihre eigene Zukunft.

High Noon für Griechenland

Kaum Spielraum auf kapitalistischer Grundlage
Michael Koschitzki, CWI-Deutschland

Der IWF, die EZB und europäische Union beziehen gegen Griechenland eine harte Haltung. Ihre Erpressung macht deutlich, dass ein Ende der Austerität auf dem Verhandlungsweg nicht zu erreichen ist. Die griechische Regierung muss entschlossene Maßnahmen ergreifen und Mobilisierungen von unten sollten verstärkt werden.

Eine Bündelung der Schuldenzahlung Ende Juni gab der griechischen Regierung zunächst Aufschub. Doch am 30. Juni sind Zahlungen von 1,6 Milliarden an den IWF fällig. Wird nicht gezahlt, ist eine dreiwöchige Schonfrist üblich. Dann ist der Betrag am 20. Juli fällig – zeitgleich mit einer Zahlungspflicht von 3,5 Milliarden Euro an die EZB. Schon alleine diese Summen zeigen, dass von dem so genannten Hilfspaket von 7,2 Milliarden Euro, über deren Auszahlung gerade verhandelt wird, kaum Geld in Griechenland bleibt, sondern wieder nur an Gläubiger fließt.

Und die knüpfen an die Auszahlung Bedingungen: Die Renten sollen weiter gekürzt werden, das Renteneintrittsalter weiter erhöht, der Mindestlohn nicht wieder angehoben und Privatisierungen weiter vorangetrieben werden. Garniert werden solche Forderungen mit falschen Behauptungen und Zahlen über die Situation in Griechenland, wie sie zumindest im Falle von Bosbach’s Äußerungen zm angeblichen Renteneintrittsalter bei Günther Jauch aufgedeckt wurden. Kanzlerin Angela Merkel bekräftigte das Beharren der deutschen Regierung auf den Bedingungen in ihrer Regierungserklärung am 18. Juni.

Die Bundesregierung will eine Abkehr Griechenlands von der Kürzungspolitik verhindern, damit auch für andere Staaten wie Spanien, Portugal oder Irland kein positives Beispiel gesetzt wird. Genauso wie die Bundesregierung arbeiterfeindliche Politik bei der Post unterstützt, bei der gerade durch Tochterfirmen Lohnkürzungen von bis zu 20 Prozent durchgesetzt werden sollen, wogegen sich mit Streiks gewehrt wird, beharrt sie auf arbeiterfeindlicher Kürzungspolitik in Griechenland. Die Beschäftigten in Griechenland, Deutschland, Spanien und anderswo haben dabei mehr miteinander gemeinsam als mit dieser Regierung.

Erpressung der EZB

Die Europäische Zentralbank droht in den Verhandlungen, die ELA-Kredite auslaufen zu lassen. Damit wären die Einlagen griechischer Banken nicht mehr garantiert und es würde zu einem Bankenrun kommen, Pleiten von Banken drohen im großen Stil. Bereits in den ersten fünf Monaten diesen Jahren waren es rund 30 Milliarden Euro, die aus Griechenland abgeflossen sind. Durch die Drohung der EZB wurden bereits bis zu 700 Millionen Euro täglich von den Konten abgehoben. Eine Umsetzung der Drohung würde dazu führen, dass die griechische Regierung unmittelbar Kapitalverkehrskontrollen einführen müsste, um zu verhindern, dass noch mehr Geld das Land verlässt.

In Zypern wurden diese 2013 erstmals eingeführt. Jedoch waren sie dort mit einer rigorosen Kürzungs- und Privatisierungspolitik verbunden. Gleichzeitig konnten die Reichen trotz der Kontrollen Geld im Ausland abheben und so ihr Vermögen sichern, während vor allem die zypriotische Arbeiterklasse von den Beschränkungen betroffen war. Letztlich spielt die entscheidende Rolle, wer Kapitalverkehrskontrollen mit welchem Interesse einführt und unter wessen Kontrolle sie stattfinden.

Kapitalverkehrskontrollen hätten gleich zu den ersten Maßnahmen einer linken Regierung gehören müssen. Es sind hauptsächlich die Reichen und Kapitaleigner, die ihr Geld ins Ausland transferieren, während die Masse der Arbeiterklasse durch die Auswirkungen der Krise kaum noch Vermögen hat. 25 Prozent aller GriechInnen sind arbeitslos, 90 Prozent von ihnen erhalten keinerlei staatliche Unterstützung. Durch die Kontrolle des Kapitalverkehrs könnte Steuerhinterziehung der Reichen erschwert werden. Es müsste der erste Schritt sein, die Kontrolle über das Finanzsystem zu erlangen und von der Verstaatlichung der Banken unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung gefolgt werden. Solche Maßnahmen würden massiven Widerstand der griechischen und europäischen Kapitalisten hervorrufen. Das Zögern der griechischen Regierung Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, zeigt, dass sie davor zurückschrecken, diese Konfrontation einzugehen.

Rausschmiss aus dem Euro?

Obwohl sich Merkel in ihrer Regierungserklärung gegen einen Grexit ausgesprochen hat, mehren sich die Anzeichen, dass ein Rausschmiss Griechenlands aus dem Euro als Option in Erwägung gezogen wird. So sprach sich zum Beispiel der Union-Fraktionsgeschäftsführer Grosse-Brömer dafür aus, dass „notfalls ein Grexit hinzunehmen“ sei. Der lettische Finanzministerminister hält die Möglichkeit eines Grexits für „sehr groß“. In Großbritannien und der EU haben die Vorbereitungen für ein mögliches Ausscheiden Griechenlands angeblich begonnen.

Doch darf sich die griechische Regierung nicht durch die Drohung eines Euro-Rausschmiss zwingen lassen, weiteren Kürzungsmaßnahmen zuzustimmen. Statt um jeden Preis im Euro bleiben zu wollen, sollten sie jegliche Kürzungen ablehnen und stattdessen die Schulden nicht zurückzahlen, Kapitalverkehrskontrollen einführen und die Banken unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung verstaatlichen. Auf dieser Grundlage könnte Syriza ihre Wahlversprechen beginnen umzusetzen und die Arbeiterklasse anderer Länder auffordern, den gleichen Weg zu gehen. Um den Widerstand der griechischen Kapitalisten zu brechen, müssten zur Durchsetzung dieser Schritte demokratische Strukturen der Selbstorganisation von unten aufgebaut werden. Konzerne, die versuchen sich der Regierung zu widersetzen oder Geld und Maschinen ins Ausland transportieren, gehören enteignet.

Unterstützung für harten Kurs – Unzufriedenheit mit Syriza

Doch bislang hat die Syriza-Führung einen anderen Kurs eingeschlagen. In den Verhandlungen machte sie deutlich, dass sie gewillt ist, Teile ihrer Wahlversprechen nicht zu erfüllen. Die Mindestlohnerhöhung soll beispielsweise ausgesetzt werden. Insgesamt versucht sie den Forderungen der Troika nach Kürzungen nachzukommen ohne ihr Gesicht zu verlieren. Für eine harte Haltung gegen die Troika gibt es in Griechenland laut Umfragen große Mehrheiten, die sich auch in Wahlumfragen niederschlagen. Gleichzeitig wächst die Unzufriedenheit mit dem Schlingerkurs von Syriza. Sie muss sich jetzt entscheiden, ob sie Kürzungen zustimmt oder sich mit den europäischen und griechischen Kapitalisten anlegt.

Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Linke innerhalb und außerhalb Syrizas. In der Syriza Fraktion gibt es mehrere Abgeordnete, die dem linken Flügel angehören. Wenn die Tsipras-Regierung nicht auf Stimmen der bürgerlichen Parteien angewiesen sein will, hat sie nach derzeitigem Stand im Parlament keine Mehrheit für Rentenkürzungen und ähnliche Maßnahmen. Auch außerhalb der Partei bewegt sich mehr. In Athen und anderen Städten gab es am 17. Juni Demonstrationen von Tausenden gegen die Sparpolitik und für eine harte Haltung gegen die Gläubiger. An diesem Widerstand muss angeknüpft und er muss mit einem politischen Programm bewaffnet werden.

Von Athen bis Berlin

In Deutschland muss der Widerstand gegen die Politik der Bundesregierung vorangebracht werden. Am Samstag 20. Juni findet in Berlin eine Demonstration unter dem Titel „Europa anders machen“ statt, zu der auch DIE LINKE mobilisiert. Daran muss weiter angeknüpft werden und auch die inhaltlichen Diskussionen insbesondere in der LINKEN fortgesetzt werden. Gregor Gysi kritisierte in der Aussprache zur Regierungserklärung richtigerweise die Haltung der Bundesregierung, landete jedoch dann dabei, statt Schuldenstreichung zu fordern, der Bundesregierung eine Gefährdung des Euro und der europäischen Integration vorzuwerfen. Andere Teile der Fraktion machten mehr Druck unter anderem mit einer Plakataktion während der Aussprache. Leider verpasste der letzte Bundesparteitag der LINKEN die Haltung zu Griechenland intensiv zu diskutieren. Ein Antrag der AKL, der leider nicht behandelt wurde, forderte „eine Unterstützung einer griechischen Linksregierung, wenn diese, aus unserer Sicht notwendige, Maßnahmen zum Bruch mit den kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnissen ergreift, wie die demokratische Verstaatlichung von Banken, Enteignung von Reedern und Kircheneigentum, Einführung von Kapitalverkehrskontrollen und einem staatlichen Außenhandelsmonopol – auch wenn das den Bruch mit EU und Euro bedeuten sollte.“ Diese Diskussion muss jetzt verstärkt geführt werden.

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Türkei: Durchbruch der Linken – Niederlage der AKP

Wie sieht die Zukunft der HDP aus?
Michael Gehmacher

Der 7. Juni hat die politische Landschaft in der Türkei durcheinander gewirbelt. In der Wahlnacht fühlten sich viele linke und kurdische AktivistInnen wie zur Zeit der Gezi Park-Bewegung im Sommer 2013. Die regierende rechts-konservative und islamische AKP erlitt eine heftigere Niederlage als die meisten Prognosen vorausgesagt hatten. Im Vergleich zu den letzten Wahlen von 2011 verlor sie 2,6 Millionen WählerInnen und 69 Abgeordnete. Die linke, pro-kurdische „Demokratische Partei des Volkes“ (HDP) kam auf 13 Prozent der Stimmen und damit über die Hürde von zehn Prozent, die für den Einzug ins Parlament nötig sind. Bei dieser Zehn-Prozent-Hürde handelt es sich um eine zutiefst antidemokratische Maßnahme, die nach dem Militärputsch von 1980 eingeführt worden ist, um gerade kurdischen Parteien daran zu hindern, parlamentarisch vertreten zu sein.

Vor allem in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei kam es zu spontanen Kundgebungen und Freudenfesten, mit denen der Durchbruch der HDP bei den Wahlen gefeiert wurde. Es ist das erste Mal in der türkischen Geschichte, dass eine pro-kurdische Partei den Sprung ins Parlament geschafft hat. Angesichts der Tatsache, dass das politische System der Türkei traditionell von alten, rechtslastigen Männern dominiert wird, hat auch der nun stattfindende Eintritt vieler weiblicher HDP-Aktivistinnen sowie zahlreicher VertreterInnen sozialer und politischer Bewegungen und unterschiedlicher Minderheiten eine hohe symbolische Bedeutung. Tatsächlich gehören etliche der 80 neuen ParlamentarierInnen der HDP ethnischen, gesellschaftlichen oder religiösen Minderheiten an. Ihre Anwesenheit im türkischen Parlament ist ein Schlag gegen die nationalistische und reaktionäre Elite des Landes – genau wie der Umstand, dass zum ersten Mal in der Geschichte der türkischen Republik ein bekennender Schwuler für das Parlament kandidiert hat.

Die Wahl war auch durch ein gestiegenes Maß an Polarisierung gekennzeichnet. So legte die rechtsextreme und nationalistische MHP zu und kam von ehedem 13 Prozent auf nun über 16 Prozent. Während des Wahlkampfes kam es immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen, die sich vor allem gegen die HDP richteten. Aus allen Landesteilen gibt es Berichte von Dutzenden Angriffen auf HDP-Büros und physische Übergriffe auf ihre Aktiven.

Die MHP heizte den türkischen Nationalismus an und beschuldigte vor allem die AKP (wegen des Friedensprozesses mit der kurdischen Bewegung) als „Verräter“. Aber auch die populistische Karte wurde von den Rechtsextremisten der MHP gespielt. Neben ihrem Nationalismus forderten sie die Anhebung des Mindestlohns, eine Senkung der Mineralölsteuer und den Stopp von Entlassungen im öffentlichen Dienst. Das ist übrigens auch ein kleiner Hinweis darauf, dass soziale Themen wichtiger geworden sind, was an den Problemen liegt, die die türkische Wirtschaft hat und an der Sorge um den eigenen Arbeitsplatz.

Wundenlecken der AKP

Die aktuelle soziale und wirtschaftliche Lage spielte bei dieser Wahl eine entscheidende Rolle. In der Türkei hatten viele Menschen das Gefühl, dass ihr Lebensstandard gestiegen ist, seit die AKP das Land regiert. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb ein Teil der verarmten Schichten in der Türkei – vor allem diejenigen, die in der AKP-Kampagne zum Ziel für Wohlfahrtsgeschenke auserkoren worden sind – über Jahre hinweg weiterhin diese Partei gewählt haben.

Dies hat sich aufgrund einer verheerenden wirtschaftlichen Situation in den letzten zwei Jahren jedoch geändert. Die Erwerbslosigkeit hat ebenso zugenommen wie die Inflation und Millionen von Familien aus der Arbeiterklasse haben mit immer größeren Problemen zu kämpfen. Zusammen mit dem härteren Vorgehen gegen demokratische Rechte und einer verstärkt autokratischen Tendenz des Regimes (Ausweitung der Polizeibefugnisse, Angriffe auf gewerkschaftliche Rechte, Verhaftung von regimekritischen JournalistInnen und AktivistInnen, Abschaltung sozialer Netzwerke etc.) hat das dazu geführt, dass sich eine ganze Schicht von ehemaligen StammwählerInnen der AKP von ihrer Partei entfremdet hat.

Das zeigt sich daran, dass der Versuch von Präsident Erdogan, über eine absolute Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten im Parlament eine Verfassungsänderung herbeizuführen (womit er sich selbst mit noch größeren Machtbefugnissen ausstatten wollte), nach hinten losgegangen ist. Nicht nur, dass dieses Vorhaben gescheitert ist, auch die relative Mehrheit, die die AKP bis dato im Parlament hatte, ist nun verloren. Die Partei kam nur noch auf 41 Prozent der Stimmen. Damit bricht nun einer Phase an, die von politischer Instabilität und Unsicherheit gekennzeichnet ist, insbesondere in Bezug auf die Regierungsbildung.

Der Sieg der HDP

Für die Linke – und für all jene, die sich so sehr eine bessere Gesellschaft wünschen, für die sie auch kämpfen – eröffnet der ganz bemerkenswerte Wahlerfolg der HDP eine Reihe von Möglichkeiten. Seit den Wahlen wird nur noch von der HDP gesprochen.

Bei der HDP handelt es sich um ein Bündnis aus linken Gruppen, Parteien und Einzelpersonen. Der Kern dieses Zusammenschluss kommt ursprünglich aus der kurdischen Bewegung. In den letzten Monaten hat es die Parteiführung vermocht, viele AktivistInnen aus den unterschiedlichen sozialen und politischen Bewegungen zusammenzubringen. Unter anderen sind KampagnenführerInnen aus der LGBT-Bewegung (Homo-, Trans- und Bisexuelle) oder der Umweltbewegung dabei. Die kurdische BDP (der politische Arm der verbotenen PKK) bleibt zwar die dominierende Kraft innerhalb der HDP. Und dennoch interessieren sich auch immer mehr türkische WählerInnen für diese Partei. Sie sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass die AKP unter Erdogan und die größte Oppositionspartei, die CHP, keine Alternative für sie darstellen. Die große Mehrheit der HDP-Wählerschaft besteht aus ArbeiterInnen, RentnerInnen, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie jungen Menschen, von denen viele durch die wichtigen Kämpfe von ArbeiterInnen und jungen Leuten, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, radikalisiert worden sind. Dabei ging es unter anderem um bessere Arbeitsbedingungen, gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse, für demokratische Rechte. Viele AktivistInnen der HDP sehen sich selbst als SozialistInnen oder KommunistInnen.

Neben weiteren wichtigen Forderungen steht die HDP für ein besseres Gesundheitssystem, ein stärker vom Staat unterstütztes Bildungssystem, die Anhebung des Mindestlohns auf 1.800 türkische Lira im Monat und die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Zwar forderten alle anderen Parteien wesentlich weniger, doch die Tatsache, dass die HDP diese sozialen Themen in die öffentliche Debatte eingebracht hat (obgleich die Parteipropaganda gar nicht davon dominiert worden ist), zwang die anderen Parteien, sich zu diesen Fragen ebenfalls positionieren zu müssen.

Insgesamt legten die führenden VertreterInnen der HDP ihre Betonung auf viel abstraktere Dinge wie „Durchbruch für die Demokratie“, „radikale Demokratie“, „große Menschlichkeit“. Parallel dazu setzten sie sich für die Rechte nationaler Minderheiten, der LGBT-Community etc. ein. Sie versuchten auch an den religiösen Empfindungen einer Schicht der Bevölkerung anzuknüpfen. Figen Yüksegdag, Ko-Vorsitzende der HDP, sprach in einer ihrer Reden am Ende des Wahlkampfes über die Korruption der führenden AKP-Politiker und meinte, dass Korruption eine „Beleidigung für den Islam“ ist.

Wenn man sich den Vorstand der HDP ansieht, so wird nicht ganz klar, was sie tatsächlich wollen. Vor dem Hintergrund, dass die Partei hinsichtlich der sozialen und politischen Herkunft ihrer Mitglieder alles andere als homogen ist, ist das natürlich nachvollziehbar. Kann die HDP aber zu einer neuen Arbeiterpartei werden oder wird sie sich zu einer nur noch leidlich linken und mehr liberalen Partei entwickeln, die nur noch mit den „Grünen“ in vielen Ländern Europas zu vergleichen ist?

Weltweit spitzt sich die Krise des Kapitalismus immer mehr zu. Und die Türkei bildet da keine Ausnahme. ArbeiterInnen und junge Leute sehen harten Zeiten entgegen. Will man die demokratischen Rechte verteidigen und für gesellschaftliche Verbesserungen kämpfen, so braucht es dafür eine kämpferische Partei, die in der Arbeiterklasse verankert ist, eine Partei, die starke Verbindungen zu den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen unterhält. Diese Partei muss Parlamentsabgeordnete haben, die das Parlament als Bühne nutzen, von der aus sie die Kämpfe der abhängig Beschäftigten verteidigen.

Wenn die Abgeordneten der HDP die erste Plenarsitzung sozusagen zu ihrer Startrampe für eine entschlossene Kampagne machen, mit der ihre gesellschaftspolitischen Forderungen umgesetzt werden soll (Anhebung des Mindestlohns, 35-Stunden-Woche, Abschaffung der Gesetze zur Einschränkung von Streiks etc.), dann können sie damit die Aufmerksamkeit und den Respekt vieler ArbeiterInnen und jungen Leute überall im Land auf sich ziehen. Das wäre auch ein Beitrag, um die traditionell-„kemalistische“ CHP wie auch die rechtsextreme MHP bloßzustellen, die in ihren Wahlprogrammen zwar auch einen höheren Mindestlohn forderten, aber nicht bereit sind, dafür auch zu kämpfen.

Eine neue linke Arbeiterpartei, die für Arbeitnehmerrechte einsteht und energische soziale Forderungen aufstellt, hätte in der Türkei große Möglichkeiten. Zehntausende ArbeiterInnen und junge Leute setzen große Hoffnungen in die HDP. Sie erwarten, dass sie ihre Rolle spielt. Es ist möglich, dass viele neue Leute jetzt auf die Idee kommen, der HDP beizutreten.

Bislang sind viele WählerInnen in der Türkei der HDP noch feindlich gesonnen. Einige betrachten die HDP als taktisches Manöver der PKK, als Partei, die von alten PKK-Kadern beherrscht wird und in der die wichtigen Entscheidungen vom inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan und dem Vorstand der HDP gefällt werden. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb die HDP demokratische und transparente Strukturen braucht. Vor allen Dingen ist es notwendig, dass ArbeiterInnen und junge Leute sehen können, wie in der Partei Entscheidungen getroffen werden, und dass es keine „heimliche PKK-Agenda“ gibt.

Bei den Wahlen hat die HDP starke Unterstützung von türkischen Menschen bekommen. Die große Mehrheit dieser Wähler- und Anhängerschaft gehört allerdings der liberalen Mittelschicht an. Die entscheidende Aufgabe für die Zukunft der Arbeiterbewegung in der Türkei besteht darin, zwischen kurdischen und türkischen ArbeiterInnen eine Brücke zu bauen. Auch wegen ihres Wahlerfolgs kann die HDP sehr bedeutsame Schritt ein diese Richtung unternehmen. Dazu muss sie jedes gesellschaftliche Problem, jeden noch so kleinen Arbeitskampf oder das kleinste Anzeichen von Arbeiter-Widerstand aufgreifen und ihre Position in den Medien und im Parlament nutzen. Dann kann die HDP zu einem „Sprachrohr“ der gesamten Arbeiterklasse werden.

Natürlich ist es positiv, dass die HDP jegliche Koalition mit der AKP von Anfang an ausgeschlossen hat. Sie sollte aber auch unmissverständlich jede Koalition mit anderen im Parlament vertretenen Parteien ausschließen. Dazu ist bisher noch nichts Eindeutiges gesagt worden. Bei der neuen Regierung – egal, wie sie zusammengesetzt sein mag – wird es sich um eine Regierung der sozialen Kürzungen und rechten Vorstellungen handeln. Daher sollte die HDP nicht auf die „Hinweise“ hören, dass alle Parteien „Verantwortung“ für die politische Stabilität des Landes hätten. Sie sollte keinen Wert auf Koalitionsverhandlungen mit pro-kapitalistischen Parteien legen sondern sich auf die bevorstehenden sozialen Auseinandersetzungen vorbereiten. So könnte sie beispielsweise die herrschende Stimmung und ihren Wahlerfolg zum Anlass nehmen, um nun zu Massenversammlungen einzuladen. Dazu könnte sie die ArbeiterInnen, jungen Leute, AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen etc. einladen, um gemeinsam darüber zu diskutieren, wie der Kampf weitergehen kann.

Die Erfahrung mit vielen linken Parteien auf der ganzen Welt zeigt, dass nach anfänglichen Wahlerfolgen die reale Gefahr besteht, dass solche Parteien wieder nach rechts gehen. Um dies zu verhindern, muss ein schlüssiges politisches Programm her, es braucht demokratische Strukturen auf allen Ebenen und eine aktive Mitgliedschaft. Die Kernaufgabe wird darin bestehen, für eine originär sozialistische Ausrichtung der HDP zu sorgen. Die Partei muss sich auf Massenaktionen der Arbeiterklasse stützen und für die Verstaatlichung der Banken und Konzerne einsetzen. Dafür müssen die AktivistInnen in der bevorstehenden Phase Sorge tragen. Um sicherzustellen, dass diese Formation nicht im Sumpf der politischen Kompromisse, Koalitionen mit pro-kapitalistischen Parteien und Kürzungen versinkt, müssen organische Verbindungen zu den Basis-Gruppen, sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen hergestellt werden.

Dieser Artikel basiert auf Berichten der GenossInnen von „Sosyalist Alternatif“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in der Türkei)

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Nach Referendum: “Ehe für Alle” in Irland

Der Widerstand gegen das konservative Establishment nimmt zu
Conor Payne, Socialist Party Irland

Das „Ja“ beim Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe zeigt, wie stark die Idee unterstützt wird, Menschen aus der LGBTQ-Community mit den gleichen Rechten auszustatten und zu Fortschritt und gesellschaftlichem Wandel zu kommen. In Dublin und anderen Städten waren die Straßen voll mit Menschen, die einen Sieg feierten, der auf den jahrzehntelangen Kampf der Menschen aus der LGBTQ-Community zurückgeht (LGBTQ steht für „Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Queer“; dt.: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Queer; Erg. d. Übers.).

Der folgende Beitrag vom Aktivisten Panti Bliss auf „facebook“ fasst ziemlich gut zusammen, welchen Wandel dieses Referendum eingeleitet hat, und bringt das damit verbundene Gefühl der Befreiung zum Ausdruck: „Bin gestern, zwei Tage nach dem Referendum, durch Dublins Stadtzentrum gelaufen. Es war außergewöhnlich und großartig so viele LGBT-Pärchen zu sehen, die ganz zwanglos Händchen halten. Mag es lange anhalten. Alles hat sich verändert. Vollkommen verändert!“.
Dass so viele Menschen mit „Ja“ gestimmt haben, war beeindruckend und hat ganz klar gezeigt, dass die Einstellungen sich geändert haben. In den letzten Jahrzehnten ist es in der irischen Gesellschaft zu einem echten Wandel gekommen. Wir sprechen von einem Land, in dem Homosexualität bis ins Jahr 1993 hinein kriminalisiert worden ist! Jetzt haben 62,1 Prozent mit „Ja“ und 37,9 Prozent mit „Nein“ gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag bei 60,5 Prozent. Damit war es die höchste Wahlbeteiligung bei einem Referendum seit der Abstimmung über das Scheidungsrecht im Jahr 1995. Ein Gegenbeispiel liefert das Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe, das 2008 im US-Bundesstaat Kalifornien abgehalten wurde und bei dem sich 52 Prozent dagegen ausgesprochen haben. Während es in der Vergangenheit bei Referenden zum Beispiel zur Frage des Scheidungsrechts oder des Rechts auf Abtreibung zu knappen Ergebnissen gekommen ist (wobei die Resultate in Dublin ganz anders ausfielen als im Rest des Landes), gab es diesmal nur einen Wahlbezirk, in dem sich eine Mehrheit gegen die “Ehe für Alle” ausgesprochen hat. Selbst die ländlichen Bezirke, die traditionell eher als konservativ angesehen werden, haben sich jetzt mehrheitlich für die “Ehe für Alle” entschieden. Die stärkste Zustimmung kam dabei von jungen Abstimmungsberechtigten, Frauen und in den Bezirken zustande, die von der Arbeiterklasse geprägt sind.
Dieses Ergebnis wäre nicht möglich gewesen, ohne dass sich ein gewisser Grad an Politisierung entwickelt und eine Bewegung herauskristallisiert hätte, an der sich all die bekannten Gruppen und vor allem die jungen Menschen beteiligt haben. Sie konnten so breit mobilisieren, dass am Ende eine derart hohe Zustimmung zustande kam. 66.000 in erster Linie junge Menschen trugen sich in die zusätzlich angefertigten Wahlregister ein, um noch am Referendum teilnehmen zu können. Viele von ihnen hatten sich erst in den Monaten kurz vor der Abstimmung registrieren lassen. Im Bezirk Fingal trugen sich 4.207 Personen in die Listen ein. Am Tag des Referendums beteiligten sich dann tatsächlich unglaubliche 96 Prozent der neuen Registrierten an der Abstimmung. Der „Hashtag“ #HomeToVote (dt.: „zum Wählen nach Hause kommen“) befasste sich mit dem Phänomen einer großen Anzahl von in erster Linie jungen AuswandererInnen, von denen viele aufgrund der wirtschaftlichen Lage zum Verlassen Irlands gezwungen worden waren. Bis zu 50.000 von ihnen waren zurück nach Irland gekommen, um mit „Ja“ zu stimmen.
Zu Hunderten hatten sich Menschen aktiv an Tür-zu-Tür-Mobilisierungen und anderen Kampagnen beteiligt, zu denen es in den letzten Wochen vor dem Referendum noch gekommen war. In Dublin wie im ganzen Land waren die „Yes“-Banner allgegenwärtig. Zehntausende Menschen hatten darüber bewusst ein gut sichtbares Zeichen gesetzt. Darüber hinaus wird eine große Zahl an Personen im Freundes- und Familienkreis für ein „Ja“ beim Referendum geworben haben. Dies war eine gesellschaftliche Bewegung – die zweite große Bewegung, die Irland in nur einem Jahr durchgeschüttelt hat. Bei der anderen Bewegung handelt es um den Kampf gegen die Wasser-Abgabe.

Hohe Beteiligung der Arbeiterklasse

Anlässlich des Referendums hatte die Seite, die sich für ein „Nein“ stark gemacht hatte, versucht, die Abstimmung als Projekt einer „liberalen Elite“ darzustellen. Gleichzeitig drückte Aodhan O’Riordain, der „Minister für Gleichstellungsfragen“ von der sozialdemokratischen „Labour“-Partei, seine Sorge darüber aus, dass WählerInnen, die aufgrund der Wasser-Abgabe wütend sind, mit „Nein“ stimmen könnten. Dabei zeigte sich seine Einschätzung, nach der die Menschen aus der Arbeiterklasse naiv und rückschrittlich sind. Er sagte: „Ich glaube, wenn die Zahlungsaufforderungen eintreffen und die Kampagnenführer an die Tür klopfen, nun, dann kann ich mir vorstellen, dass die Leute uns schon sagen werden, wohin sie uns wünschen. Sie werden uns sagen: ‘Macht erstmal eine Referendum zur Wasser-Abgabe. Da werde ich dann mitmachen!’. Das Ausmaß des Widerstands, den die Politik im Allgemeinen entfacht hat, könnte dazu führen, dass die Menschen gegen einen sehr aufrichtigen Ansatz stimmen, der mit Gleichberechtigung und dem Menschenrecht zu tun hat“.
Trotz dieser Stereotype, mit denen die Menschen aus der Arbeiterklasse belegt wurden, waren es ausgerechnet die am meisten benachteiligten und vernachlässigten Viertel der Arbeiterklasse, die landesweit den größten Anteil an „Ja“-Stimmen aufzuweisen haben. Wie in der „Irish Times“ berichtet, stimmten beispielsweise in Dublin Coolock 88 Prozent mit „Ja“. In Jobstown waren es 87 Prozent, in The Liberties 88 Prozent, in Cherry Orchard 90 Prozent. In Limerick stimmten im Stadtteil Moyross 70 Prozent für die “Ehe für Alle” und in South Hill 72 Prozent. Gerade die Menschen, die durch die Bewegung gegen die Wasser-Abgabe mobilisiert und politisiert worden sind, haben sich registrieren lassen, um ein mächtiges Statement im Sinne ihrer Freunde, Familienangehörigen und NachbarInnen abzugeben, die zur LGBT-Community gehören. Sie alle wollen gleiche Rechte und gesellschaftlichen Wandel. Grainne Healy, Sprecherin von „Marriage Equality“ und stellvertretende Geschäftsführerin der größten Kampagne für die Gleichstellung („Yes Equality“) erklärte höchstselbst: „Als wir in Gegenden wie (dem Dubliner Vorort; Erg. d. Übers.) Finglas von Tür zu Tür gezogen sind, war die Stimmung für ein ‘Ja’ überwältigend. Als wir dann nach Glasnevin kamen, stießen wir schon auf größeren Widerstand. Es schien ganz so, als seien die Menschen mit Einfamilienhaus und zwei PKW vor der Tür und einer Menge mehr Geld weniger offen für ein ‘Ja’“ („Irish Times“, 24/05/15).
Die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe wird den gleichgeschlechtlichen Paaren in Irland, die heiraten wollen, echte Vorteile bringen. Die Abstimmung ging jedoch über diese Fragestellung hinaus. Trotz der Retorik von Seiten der „Yes“-Kampagne darüber, dass die Ehe das „Fundament einer stabilen Gesellschaft“ sei, ging es bei diesem Referendum zu allererst um die Bestätigung der gleichen Rechte für Menschen aus der LGBTQ-Community. Außerdem wurde damit die ganze Bigotterie und Engstirnigkeit sowie die rückwärts gewandte Version einer Gesellschaft zurückgewiesen, wie sie von der „No“-Seite vertreten worden ist. Das Ergebnis des Referendums hat gezeigt, dass es ein großes Verlangen nach einer gleichberechtigten, fortschrittlichen und säkularen Gesellschaft gibt.
Im Laufe der Kampagne vor dem Referendum hatte die „Nein“-Seite versucht, Zweifel und Ängste zu streuen. Dabei ging es vor allem um Menschen aus der LGBT-Community und die Frage, ob sie Kinder großziehen sollten. Aber auch Themen wie Leihmutterschaften wurden aufgegriffen. Das Argument, dass Kinder „das Recht auf eine Mutter und einen Vater haben, die miteinander verheiratet sind“, entsprach überhaupt nicht der Realität und wirkte auf irische Familien, die diesem angeblichen Ideal gar nicht mehr entsprechen, wie eine Beleidigung. Man machte auch großes Aufhebens daraus, sich in der Rolle der Opfer darzustellen, die angeblich zum Schweigen gebracht worden seien. So stellte man sich selbst als diejenigen dar, die sich gegen das Establishment wehren würden. Mit diesen Argumenten war man aber nicht in der Lage, Boden gutzumachen oder auch nur in die Nähe einer Mehrheit zu kommen. Von „zum Schweigen gebracht“ oder einer Dämonisierung kann gar keine Rede sein. Fakt ist, dass die „Nein“-Seite von der Mehrheit des Establishments mit Samthandschuhen angefasst wurde. Das fing damit an, dass der staatliche Sender RTE sich entschied, rund 80.000 Euro an Mitglieder des konservativen „Iona Instituts“ zu zahlen, nachdem dieses im Sender als „homophob“ bezeichnet worden war.
Das Eingreifen der katholischen Kirchenhierarchie, die das Thema weitgehend mit geprägt hat, wurde ebenfalls verächtlich zurückgewiesen. Die Kommentare von Kevin Doran, dem Bischof von Elphin, dass es sich bei Schwulen mit Kindern nicht um Eltern handeln würde, waren für die Haltung der „Nein“-Seite symptomatisch. Am Sonntag vor dem Referendum wurden noch massenweise Hirtenbriefe des Bischofs von den Kanzeln des Landes verlesen, die dazu aufriefen, mit „Nein“ zu stimmen. Es gab einige Berichte, nach denen es überall im Land dazu gekommen ist, dass solche Erklärungen MessgängerInnen zum Verlassen des Gottesdienstes veranlasst haben. Die Kommentare des Erzbischofs Diarmuid Martin nach dem Referendum, dass die Kirche einen „Realitätscheck braucht“ und „vollkommen den Anschluss an die jungen Menschen verloren hat“ widerspiegelt die tiefe Krise der Kirche, deren Autorität steil bergab gegangen ist.
Dass das Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe so eindeutig ausgefallen ist, zerstört den Mythos von der von Hause aus konservativen „schweigenden Mehrheit“ und deutet darauf hin, dass es Kräfte gibt, die in der irischen Gesellschaft für Wandel und Fortschritt stehen. Außerdem wird damit endgültig klar, dass die Ursache für den konservativen Charakter des irischen Staates im Establishment zu suchen ist und nicht auf mögliche Haltungen der Bevölkerungsmehrheit zurückzuführen sind. Darüber hinaus deutet das Ergebnis darauf hin, dass eine „Yes“-Kampagne, die weniger zurückhaltend agiert hätte, möglicher Weise zu einem noch klareren Ergebnis hätte führen können. Wir haben unglaublich positive Rückmeldungen auf unsere Plakataktion von der „Anti Austerity Alliance“ (AAA; dt.: „Bündnis gegen Austerität“) bekommen. Viele meinten, dass unser Plakat mit der der Aufschrift, „Discrimination Damages Lives“ (dt.: „Diskriminierung schadet dem Leben“), der Slogan der „Yes“-Kampagne war, der die Leute am stärksten angesprochen hat, weil er am meisten unter die Haut ging. AAA war auch die einzige politische Kraft, die sich mit der Regenbogenflagge auf unseren Plakaten auf die LGBT-Kultur bezogen hat. Das stand in starkem Kontrast zu den Plakaten von „Labour“, auf denen der Spruch, „Let’s treat everyone equally“ (dt.: „Lasst uns alle gleich behandeln“), zu lesen stand und auf denen Personen abgebildet waren, von denen niemand den Anschein machte, irgendwie mit der LGBTQ-Community in Verbindung zu stehen.
Der Gesundheitsminister Leo Varadkar bezeichnete das Ergebnis des Referendums als „soziale Revolution“. Das steht für den umfassenden Wandel, der stattgefunden hat, ist aber auch ein Versuch so zu tun, als sei die Gleichberechtigung nun erreicht und die Probleme im Großen und Ganzen gelöst. Tatsache ist, dass das Ergebnis des Referendums für das Verlangen nach Wandel steht, und die politische Energie, die die „Yes“-Kampagne entfacht hat, nicht so schnell wieder entweichen wird. Wir haben in Irland nun die unfassbar widersprüchliche Situation, dass einE LehrerIn, die/der der LGBT-Community angehört und an einer kirchlichen Schule unterrichtet, jetzt heiraten kann, dafür aber Gefahr läuft ihren/seinen Job zu verlieren, weil damit ja die Auffassung der Kirche verletzt wird. Wenn es um Blutspenden geht, dann werden Homosexuelle und Bisexuelle weiterhin diskriminiert. Die Regierung verfolgt weiterhin ihr „Gender Recognition Bill“ (dt.: „Gesetz zur geschlechtlichen Anerkennung“), das in hohem Maße mit Fehlern gespickt ist und die Bedürfnisse der Transgender-Community einfach ignoriert. All diese Punkte haben das Potential, zum Ausgangspunkt für neue Kampagnen zu werden. Grundsätzlich betrachtet existiert ein Verlangen danach, den konservativen Charakter des irischen Staates herauszufordern. Wir befinden uns nicht plötzlich auf dem sicheren Weg in Richtung stetigen Fortschritts und grenzenloser Toleranz. Diejenigen Kräfte, die gegen den Wandel sind, haben immer noch großen gesellschaftlichen Einfluss.
Trotz der Tatsache, dass sie uns ständig die „moralischen Lehren“ beibringen will, stattdessen aber zurückgewiesen worden ist, hat die katholische Kirche aufgrund ihrer Kontrolle über die meisten Grund- und weiterführenden Schulen im Land weiterhin enorme Macht. Sie ist ferner der größte private Grundbesitzer usw. Die Kirche kann diese Position nutzen, um gesellschaftlichen Wandel zu blockieren. Das können wir an „Absatz 37“ des „Gesetzes zur arbeitsrechtlichen Gleichstellung“ festmachen, der es von Religionsgemeinschaften geführten Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäusern erlaubt, dort beschäftigte Menschen aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung zu diskriminieren. Wir sehen das auch daran, mit welcher Unbeugsamkeit die Kirche ihre Hand über die Lehrpläne und Schulprogramme hält. Das bedeutet, dass die meisten jungen Menschen, die zur LGBT-Community zählen, keine gleichberechtigte Bildung genießen (wozu schließlich auch die Sexualerziehung zählt). Das aber prägt ihr ganzes weiteres Leben. Die Forderung nach einer säkularen Gesellschaft und der Trennung von Staat und Kirche wird jetzt zu einem ganz wesentlichen Thema werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Initiative der ParlamentarierInnen zu verstehen, die der AAA zuzurechnen sind und die eine Gesetzesvorlage eingebracht haben, mit der besagter „Absatz 37“ für nichtig erklärt werden soll.
Am drängendsten stellt sich durch dieses Referendum nun die Frage, wie es mit der möglichen Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes und der schmachvollen Tatsache weitergeht, dass es in Irland kein Recht auf Abtreibung gibt. In einer Umfrage haben sich 56 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, den 8. Verfassungszusatz abzuschaffen und nur 19 Prozent waren demnach für die Beibehaltung dieses Passus. Seit Jahrzehnten sitzt das politische Establishment nur da und tut nichts, obwohl es zu Skandalen wie dem um Savita Halapannavar, „Frau Y“ und schlimmen Missbildungen bei Föten gekommen ist. Die Ausrede lautet jedes Mal, dass die Menschen „nicht bereit“ seien und ein Referendum nicht zu gewinnen sei. Dieses Argument hat sich erledigt. Der Ausgang des jetzigen Referendums zeigt sehr klar, dass das Problem beim Establishment liegt und nicht bei den Wählerinnen und Wählern. Eine Kampagne zur Durchführung eines entsprechenden Referendums kann durchaus gewonnen werden. Die Sozialdemokraten von „Labour“ versuchen jetzt, sich selbst mit diesen Fragen in Verbindung zu bringen und stellen in Aussicht, dass sie sich für eine entsprechendes Referendum zur Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes einsetzen werden, wenn sie Teil der nächsten Regierung sind. Doch diese Wahlversprechen klingen sehr unglaubwürdig, wenn man weiß, dass „Labour“ (neben den Konservativen von „Fine Gael“, „Fianna Fáil“ und „Sinn Féin“) schon mehrere Male gegen Gesetzentwürfe gestimmt hat, mit denen der 8. Verfassungszusatz aufgehoben werden sollte. Dasselbe gilt für überaus abgeschwächte Vorschläge zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Die Tatsache, dass „Labour“ und „Sinn Féin“ nun die Forderung nach einer Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes übernommen haben, ist auf den Druck zurückzuführen, den die Bewegung dafür aufgebaut hat. Hinzu kommt der Wandel, der im öffentlichen Diskurs stattgefunden hat. Dieser Druck muss aufrechterhalten werden, um am Ende wirklich zu einem Referendum zu kommen. Was die Kampagne ganz klar gezeigt hat, ist, dass der Wandel von unten kommt. Von daher muss jetzt massiver Druck auf alle Parteien aufgebaut werden – aber vor allem auf die, die sich plötzlich im Sinne eines solchen Referendums äußern. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass es tatsächlich dazu kommt und dass es auch in Irland ein Recht auf Abtreibung gibt.
Dass das Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe so eindeutig ausgefallen ist, sollte allen, die sich an Kampagnen für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit beteiligen, Zuversicht geben und sie motivieren. Dieser Erfolg weist aber auch darauf hin, dass eine Strategie her muss, mit der der gesellschaftliche Wandel tatsächlich erreicht werden kann. Für den Sieg bei diesem Referendum war es unerlässlich, die Mobilisierungskraft und den Druck aufrecht zu erhalten. Es war aber genauso wichtig, einer kapitalistischen Politik in Irland die Grenzen aufzuzeigen. Als er am Tag der Auszählung vor die Presse trat, wies Eamon Gilmore auf die aktive Beteiligung der jungen Leute bei dieser Kampagne hin und sagte: „Demokratie ist keine Geschichte, bei der man passiv daneben stehen kann“. Das ist völlig richtig. Es ist aber das genaue Gegenteil von dem, was wir das ganze letzte Jahr über von der Regierung zu hören bekommen haben, die die politische Aktivität von Menschen aus der Arbeiterklasse geradezu verteufelt hat, weil sie außerhalb des „offiziellen“ politischen Rahmens stattgefunden hat. Diese Aktivität wurde als „faschistisch“ und „bedrohlich“ gebrandmarkt.

Ein konservatives Establishment

Die Tatsache, dass alle Parteien für ein „Ja“ beim Referendum eingetreten sind, könnte als Hinweis darauf verstanden werden, dass das Establishment sich gewandelt hat und den Fortschritt in puncto sozialer Fragen nun akzeptiert oder diesen gar befördert. Wie die Wirklichkeit aussieht, machte hingegen die Krise deutlich, die bei „Fianna Fáil“ eingesetzt hat. Dort sieht alles danach aus, als gäbe es in der Mitgliedschaft breiten Widerstand gegen die “Ehe für Alle” und eine Abneigung, in dieser Frage wirklich Position zu beziehen. „Fianna Fáil“, „Fine Gael“, „Labour“ und „Sinn Féin“ haben sich im letzten Jahr bei Abstimmungen im Parlament, bei denen es um eine extrem begrenzte Ausweitung des Rechts auf Abtreibung ging, immer gegen diese Gesetzentwürfe entschieden. Alle Parteien sind weiterhin gegen das Recht auf Abtreibung und treten im besten Fall für das Recht abtreiben zu dürfen ein, wenn sehr spezielle Umstände vorliegen (wie fatale Missbildungen am Fötus oder im Falle einer Vergewaltigung bzw. von Inzest).
Die Frage der Gleichberechtigung war bei dieser Kampagne zum Referendum zwar entscheidend, wir leben aber immer noch in einer Gesellschaft, die in vielerlei Hinsicht überhaupt nicht gleichberechtigt ist. Das gilt sowohl auf sozialer wie auf ökonomischer Ebene. Dies reicht von der anhaltenden rechtlichen Diskriminierung gegen Menschen aus der LGBT-Community und gegen Frauen über den Skandal des “direct provision” (Asylsuchende erhalten in Irland ausschließlich Sachleistungen anstatt Geld, Erg. d. Ü), bis hin zur immer größer werdenden Kluft zwischen arm und reich in Irland und weltweit. Alle diese Problemstellungen hängen direkt mit dem Kapitalismus in Irland zusammen. Der Kapitalismus basiert auf Ungleichheit und treibt die Spaltung zwischen den Menschen voran, um seine Herrschaft zu verteidigen und beizubehalten. In Irland hat sich das an sich schwache kapitalistische Establishment, das nicht in der Lage ist, die Gesellschaft vorwärts zu bringen, die Ideologie der katholischen Kirche zu Nutze gemacht und es Bestandteil dessen geworden, um die eigenen Machtansprüche zu rechtfertigen. Das Phänomen der Homophobie hat weiterhin seinen festen Platz in der Gesellschaft – nicht nur in den Gesetzestexten oder auf kirchlicher Ebene sondern auch in der Realität, die von homophoben Ansichten und Unterstellungen geprägt ist. Das bekommen die Menschen, die zur LGBT-Community gehören, jeden Tag zu spüren. Ein kapitalistisches System, das mit Ungleichheit und Konservatismus einhergeht, kann dagegen nichts ausrichten.
Was wir brauchen ist eine Bewegung, die gegen jede Form von Unterdrückung und Ungerechtigkeit vorgeht und die sich selbst in den Dienst der Solidarität zwischen den Menschen aus der Arbeiterklasse, den Frauen, Menschen aus der LGBTQ-Community und MigrantInnen stellt. Wir brauchen eine sozialistische Gesellschaft, die auf Gleichheit und Solidarität aufgebaut ist und in der einer privilegierten Minderheit der Reichtum und die Macht entzogen wird. In einer solchen Gesellschaft wäre kein Platz mehr für Engstirnigkeit, Bigotterie und Unterdrückung.

G7-Gipfel: 7.500 demonstrierten in Garmisch Patenkirchen

Bericht aus Deutschland
Ursel Beck, CWI-Deutschland

Einen Tag vor Beginn des G7-Gipfels fand nach der Demo von 40.000 in München am 4.6. eine weitere Demo statt. Diesmal ganz in der Nähe des offiziellen Tagungsortes Schloss Elmau im oberbayrischen Partenkirchen. Nach Angaben des Bündnisses „Stop G7 Elmau“ waren es 7.500 DemoteilnehmerInnen.

Kein Demoteilnehmer wusste, ob er an diesem Tag überhaupt in der Hochsicherheitszone in und um Garmisch-Partenkirchen bis zum Demoort durchkommt. Unser von attac und ver.di Stuttgart organisierter Bus musste zwei Polizei-Kontrollstellen passieren. Die befürchteten Durchsuchungen und Personenkontrollen blieben jedoch aus. Aber tausende mehr Polizisten als in Heiligendamm vor 8 Jahren wurden aufgeboten, um zu verhindern, dass es wie damals dazu kommt, dass der Gipfel gestört wird. Die Angaben über die Zahl der eingesetzten Polizisten schwanken von 19.000 bis 24.500. Und so sah man bei der Anfahrt bereits mehr Bullen am Straßenrand als Kühe auf der Weide.

Bunter Demozug

Nach einer kurzen Auftaktkundgebung formierte sich der Demozug über die Straßen von Partenkirchen und über all die wegen der Gipfelproteste zugeschweißten Gullis. Auffallend waren die vielen selbst gemachten Schilder und Transparente gegen die G7, gegen TTIP, gegen Gentechnik, für Demokratie. Von den politischen Parteien war in Partenkirchen – im Unterschied zu München – nur DIE LINKE mit einem Infostand und einem leider sehr bescheidenen Demoblock präsent. SAV-Mitglieder in NRW waren maßgeblich an der Organisierung eines linksjugend [‘solid] Blocks beteiligt. Mitgebracht hatten sie große Banner mit der Aufschrift „Stop g7! Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte“ und „Nieder mit dem Kapitalismus! Weltweit gegen Ausbeutung, Krieg und Krise! Für sozialistische Demokratie.“

Leider war es eine Stop- und Go-Demo bei dem die Stops länger waren. Entschädigt wurden die Demoteilnehmer dabei mit dem Ausblick auf das grandiose Alpenpanorama und den schneebedeckten mehr als 2.000 Meter hohen Waxenstein.

Als die Demo an einem Flüchtlingswohnheim Stop machte, wurde von einem Lautsprecherwagen eine kurze Rede zur Flüchtlingsfrage gehalten und der Sprechchor gerufen „Say it loud, say it clear, Refugees are welcome here“..

Polizeiprovokationen gegen Demo

Die massiv aufgebotenen Polizeikräfte mussten offensichtlich ihre Präsenz irgendwie rechtfertigen und suchten ständig nach nicht genehmigten Protestformen, wie angebliche zu langen oder zusammengeknoteten Transparenten,. Das nahmen sie zum Anlass immer wieder die Demo aufzuhalten. Während einer Zwischenkundgebung gab es ein Aktionstheater auf der Bühne des vordersten Lautsprecherwagens. Es ging dabei um eine Kritik an dem täglichen Massenmord im Mittelmeer und den Kriegseinsätzen der G7. Die Polizei provozierte währenddessen eine Rangelei und setzte Schlagstock und Pfefferspray ein. Es gab einige verletzte Demonstranten. Nachdem die Demo von der Polizei lange vorne abgeblockt wurde, entschied die Demo-Leitung einige Zeit umzukehren und auf der gleichen Route zurückzugehen.

Am Kundgebungsplatz angekommen zog leider ein schweres Unwetter auf. Die Abschlusskundgebung fiel buchstäblich ins Wasser. Ohnehin traten die meisten Busse bereits um 19.00 Uhr die Heimreise an. Andere DemoteilnehmerInnen flüchteten vor dem Regen in eine Unterführung oder ins Bahnhofsgebäude. Jemand machte hier die Durchsage, dass eine Frau aus Partenkirchen für zwei Frauen einen Übernachtungsplatz anbiete. Auf der Bündnis-Fayebook-Seite wurde am Abend gemeldet, dass „immer mehr Anwohner_innen“ Schlafplätze anbieten würden. Auch trockene Wechselklamotten waren nach dem Regen blitzschnell aufgetaucht.

Reaktion der einheimischen Bevölkerung

Im Unterschied zur Demo in München, haben sich wohl nicht viele EinwohnerInnen an der Demo in Partenkirchen beteiligt. Im Vorfeld war die Bevölkerung von Oberbayern durch die Polizeipräsenz, die Sicherheitsmaßnahmen und eine unglaubliche Hetzkampagne gegen angeblich „gewaltbereite Demo-Chaoten“ aufgehetzt worden. In den Schaufenstern der Geschäfte hingen Zettel mit der Aufschrift „Aus Sicherheitsgründen haben wir vom 5.6. bis 8.6. geschlossen“ Einige Hofeinfahrten und Schaufenster waren mit Spanplatten vernagelt. Viele BewohnerInnen aus dem Ort standen jedoch am Straßenrand. Andere schauten aus den Fenstern. Manche haben freundlich gewunken. Vereinzelt hingen Transparente gegen den Gipfel aus den Fenstern. Ich hab niemand gesehen, der DemoteilnehmerInnen angepöbelt hat. Die Organisatoren hatten Flyer zur Verteilung an die Bevölkerung vorbereitet. Eine ältere Frau gibt sich mir gegenüber als Ortsansässige zu erkennen. Auf die Frage, warum sie sich an der Demo beteiligt, sagte sie: „Es müsse sich jetzt mal was ändern. So geht es einfach nicht mehr weiter“ Sie berichtet mir auch davon, wie die Bevölkerung im Vorfeld der Proteste gegen die Protestierenden aufgehetzt worden war. Aber das war für sie erst recht ein Grund sich daran zu beteiligen. Auf die Frage, wie viel sich denn sonst noch aus dem Ort in die Demo eingereiht haben, meint sie: „nicht viele“. Auffallend bei der Demo waren aber GentechnikgegnerInnen aus bayrischen Landkreisen. So wie die einheimischen DemoteilnehmerInnen haben sich auch noch andere BewohnerInnen der Drohung auf Ächtung bei jedweiter Zusammenarbeit mit den DemonstrantInnen widersetzt. Dazu gehört der Bauer, der für das Protestcamp seine Wiese zur Verfügung gestellt hat. Ein Campteilnehmer aus Stuttgart berichtet mir, der Bauer sei sogar beim Eröffnungsplenum gewesen sei und hätte was gesagt. Bei der Auftaktkundgebung wurde berichtet, dass die katholischen Landfrauen für die CampteilnehmerInnen Suppe gekocht und angeboten hätten bei ihnen zu Hause zu duschen. Ein Bäcker habe Mehl und mehrmals Brot und Kuchen vorbeigebracht. Einheimische seien zum Camp gekommen. Erst wohl aus Neugier und wegen der Attraktion. Aber dann sei man auch ins Gespräch gekommen, berichtet ein Camp-Teilnehmer. Wahrscheinlich hat der Staatsapparat mit seiner massiven Polizeiaufgebot bereits Wochen vor dem Gipfel die Bevölkerung vor Ort nicht, wie erwartet auf seine Seite gebracht, sondern eher Fragen, Zweifel und sogar Unmut provoziert. Auch die Tatsache, dass der Gipfel 370 Millionen Euro kostet, ein 16 km langer Zaun gezogen wurde und plötzlich Geld für Infrastrukturmaßnahmen rausgehauen wurde, während es sonst ja immer fehlt, hat mit Sicherheit keine Sympathiepunkte gebracht. Bei der Demo wurde berichtet, dass ein Brand in einem Ort erst mit Verzögerung gelöscht werden konnte, weil alle Löschfahrzeuge der Feuerwehr in der Umgebung für die Sicherheit des G7-Gipfels requiriert waren. Erwähnt werden sollte an dieser Stelle auch, dass die Bevölkerung von Garmisch-Partenkirchen das politische Establishment und Sportfunktionäre im Jahr 2013 damit geschockt hat, dass sie eine mit einem enormen Propagandaaufwand eingefädelte Bewerbung für die olympischen Winterspiele 2022 mit einem Bürgerentscheid zu Fall gebracht hat.

Deutlich kleinere Protest als beim G8-Gipfel in Heiligendamm

Die Proteste in Heiligendamm waren viel kleiner als 2007 in Heiligendamm. Damals waren 80.000 auf einer Demo in Rostock und 18.000 bei den Protestcamps und den Blockaden. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass es angesichts der topografischen Lage des Tagungsortes Schloss Elmau und noch mehr Polizisten als in Heiligendamm aussichtslos erschien, ähnlich zu stören wie vor acht Jahren. Es hätte die Kräfte auf der Linken wohl auch überfordert nach den Blockupy-Protesten in Frankfurt im März innerhalb weniger Monate zwei ressourcenaufwendige Mobilisierungen hinzubekommen. Hinzu kam, dass das Protestcamp zunächst verboten war und dieses Verbot erst am 2. Juni vom Verwaltungsgericht München aufgehoben wurde. Die Interventionistische Linke, die in Heiligendamm und bei Blockupy eine große Rolle spielte, war in Garmisch wenig präsent. Die Partei DIE LINKE hatte am selben Wochenende ihren Bundesparteitag in Bielefeld.

Von Seattle 1999 über Genua 2001 bis Heiligendamm 2007 waren Proteste gegen Gipfeltreffen in den letzten 15 Jahren eine zentrale Protestform von GlobalisierungsgegnerInnen und Linken. Das war damals von großer Bedeutung. Weil es der Anfang davon war nach der Restauration des Kapitalismus und der damit verbundenen neoliberalen Politik der Herrschenden wieder in die Offensive zu kommen. Aber inzwischen sind solche Proteste Proteste unter vielen. Es ist ein Fortschritt wenn mehr und mehr Menschen vor Ort aktiv werden, wie z.B. gegen Stuttgart 21, gegen Neonazis und Rassismus, gegen den Mietenwahnsinn und vieles mehr. Die Streiks der LokführerInnen, der ErzieherInnen, der Post- und Einzelhandelsbeschäftigten sind eine neue Qualität direkte Klassenauseinandersetzung und es ist gut, wenn die politische Linke sie vor Ort unterstützt. Treffen von PolitikerInnen, die nur Marionetten der Konzerne und Banken verlieren vor diesem Hintergrund ihre überragende Bedeutung.

G7 – Gipfel der Arroganz, Anmaßung und Heuchelei

Arroganz deshalb, weil sich die Regierungschefs der G7-Länder (USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Japan, Frankreich, Italien) und ihre Lobbyisten auf einem zur Festung ausgebauten Schloss fernab von den Problemen und Protesthochburgen in der Welt, in einen idyllischen Winkel zu Geheimverhandlungen zurückziehen, sich von tausenden von Polizisten schützen lassen und für ihr zweitägiges Event in Zeiten wachsenden Elends 370 Millionen Euro verprassen. Zum Vergleich: der Gipfel in Heiligendamm hat 92 Millionen Euro gekostet.

Anmaßung deshalb, weil die Mächtigen der G 7, einzig aus ihrer ökonomischen und militärischen Überlegenheit ein politisches Mandat für eine Art Weltregierung ableiten. Dabei leben in diesen Ländern nur knapp 10% der Weltbevölkerung.

Heuchelei deshalb weil die G7-Chefs so tun, als sie Probleme der Welt lösen würden, die sie selber verursachen. Ihr Gipfel-Erklärungen sind das Papier nicht wert auf dem sie stehen. Der Globalisierungsgegner Jean Ziegler hat bei seiner Rede bei der Großdemonstration am 4. Juni daran erinnert, dass der Gipfel in Heiligendamm beschlossen hätte, Spekulation mit Nahrungsmitteln zu verbieten. Heute würde mehr mit Nahrungsmitteln spekuliert als vor acht Jahren, so Ziegler.

Auf der Demo in Partenkirchen wurde ein Flyer mit einem Zitat des früheren Außenministers der USA, Henry Kissingers über den Zweck solcher Gipfel verteilt:

„Die Idee von Wirtschaftsgipfeln geht auf die Überlegung zurück, dass die Führer des Westens ihren Völkern Vertrauen einflößen, ihren Völkern das Gefühl geben müssen, dass sie die Entwicklung im Griff haben, die demokratischen Industrienationen immer noch Herren ihres Schicks, nicht die Opfer blind wirkender Kräfte sind…“

Das ist wohl wahr. Um dies in die Welt hinauszuposaunen wurden 3.000 Journalisten in ein extra dafür eingerichtetes Medienzentrum außerhalb des Gipfels eingeladen. Persönlich betreut von Kanzlerlinnen-Sprecher Seibert und gehätschelt durch gutes Essen und Trinken.

Gemeinsame kapitalistische Interessen ausloten

Darüber hinaus geht es bei den G7-Gipfeln darum, gemeinsame Interessen auszuloten und Strategien zu entwickeln, zur Durchsetzung von TTIP, zum gemeinsamen Vorgehen gegen Regionalmächte wie Russland, und konkurrierende Zusammenschlüsse von kapitalistischen Staaten wie BRICS.

Auch wenn die Proteste in Elmau kleiner und wirkungsloser waren als in Heiligendamm, Proteste, Widerstand, Streiks und Aufstände gegen den von den G-7-Mächtigen angeführten kapitalistischen Wahnsinn nehmen zu. In einem Gespräch mit Sebastian Gehrke von der Süddeutschen Zeitung vom 4. Juni 2015 sagte Jean Ziegler: „Das anthropologische Zerrbild des Menschen, der seine Ketten mit Freuden trägt, ist falsch. Wir stehen an der Schwelle zum Aufstand. Das kann sehr schnell gehen.“

Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus – SAV aufbauen

Die Frage ist allerdings wohin diese Aufstände führen. Der arabische Frühling und Länder wie Libyen und Ägypten zeigen, dass Aufstände nicht automatisch in besseren Verhältnissen enden. Es geht darum eine Organisation aufzubauen, die eine grundlegende Alternative zum Kapitalismus aufzeigt, Bewegungen eine antikapitalistische Richtung gibt und in der Lage ist künftigen Aufständen eine sozialistische Perspektive zu geben. Eine solche Organisation bauen SAV und CWI auf (und in Österreich die SLP).

Türkei: Parlamentswahlen und die neue linke Partei, HDP

Nihat Boyraz, Ankara

In der Türkei werden am 7. Juni Parlamentswahlen stattfinden. Die neue linke Partei, die Demokratische Partei der Völker (HDP), hat bei diesen Wahlen eine wichtige Stellung. Bei diesen Wahlen hängt das Schicksal der Regierungspartei und des Präsidenten Erdogan von der Wahlerfolg der HDP ab. Ein Erfolg der HDP könnte der Anfang vom Ende von Erdogans Macht werden. Außerdem bestehen damit neue Möglichkeiten für den Aufbau einer neuen linken Partei, die für die Interessen der ArbeiterInnen steht.

Bis jetzt ist die politische Kraft der kurdischen Bewegung wegen der hohen und undemokratischen Wahlhürde immer als eine Liste unabhängiger KandidatInnen bei Wahlen angetreten. Das hatte zu Folge, dass die konservative, pro-kapitalistische AKP davon am meisten profitierte und alleine regieren konnte. Die Entscheidung der HDP, bei den kommenden Wahlen als Partei anzutreten, hat plötzlich die ganze Wahl-Arithmetik durcheinander gebracht.

Falls die HDP es schafft, die undemokratische 10% Wahlhürde zu überspringen, hat die AKP nicht nur keine Chance, die nötigen 330 Sitze im Parlament zu bekommen, um dadurch Verfassungsänderungen durchzusetzen. Es ist sogar höchst wahrscheinlich, dass sie nicht mehr alleine regieren kann. 

Entstehung und Entwicklung der HDP

Die HDP als Partei ist ziemlich jung. Sie ist aber eine Verkörperung der jahrelangen Bestrebungen der kurdischen Bewegung, zu einer landesweiten Partei zu werden, und dem Wunsch nach Einheit der kurdischen und türkischen Linken. Letztlich ist die HDP aus der Idee einer „Dachpartei“ in der Türkei entstanden, die von dem inhaftierten Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, dringlich vorgeschlagen war. Bei den Wahlen 2011 schaffte die Partei für Frieden und Demokratie (BDP), die im kurdischen Gebiet eine Massenkraft darstellte, 36 Abgeordnete als unabhängige KandidatInnen ins Parlament zu schicken. Darunter waren auch drei Sozialisten aus der türkischen Linken und somit entstand eine gute Grundlage für den Aufbau einer breiteren Linkspartei. Dann wurde im Oktober gleich nach den Wahlen der Demokratische Kongress der Völker (HDK) von 20 verschiedenen Organisationen ins Leben gerufen. Ein Jahr später, 2012, wurde die HDP mit dem Vorhaben, bei den Wahlen anzutreten, gegründet.

 

Testphasen

Nach der Gründung hat die HDP/HDK verschiedene historische Testphasen durchgemacht. Wichtig waren zweifelsohne die Gezi-Proteste im Juni 2013, die das ganze Land erschütterten. Hauptsächlich aufgrund der Sorge um die Verhandlungsbasis mit der Regierung, den sogenannten „Friedensprozess“ für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage, hatte der HDK die Lagen damals nicht richtig eingeschätzt. Insbesondere die falschen Aussagen der Vertreter des BDP-Flügels des HDK haben den Eindruck erweckt, der HDK stehe bei den Protesten an der Seite der Regierung.  Später musste der HDK einsehen, dass er sich daran mehr beteiligen hätte müssen und eine Selbstkritik darlegen.

Auf der Wahlebene waren die Kommunalwahlen im März 2014 ein erster Test für die HDP. Er sollte zeigen, ob die HDP das Potenzial hat, eine neue Partei in der gesamten Türkei zu werden. Maßgebend dafür waren die Stimmen, die sie im Westen der Türkei bekommen würde. Die HDP versuchte, vor den Wahlen in den westlichen Städten und an Schwarzmeerküste Wahlkampftouren organisieren, wurde aber in vielen Städten systematisch angegriffen. Doch auch wenn sie Besuche in manchen Städten wegen dieser Angriffen absagen musste, hat sie doch beweisen können, dass sie eine Partei der gesamten Türkei werden will. Aus taktischen Gründen ist man im Westen als HDP, in den kurdischen Gebieten als BDP angetreten. Damit sollten die Stimmen der Kurden, die sich mit der HDP noch nicht identifizierten, trotzdem behalten werden. Gleichzeitig sollte die HDP im Westen Fuß fassen. Schließlich konnte BDP ihre Basis in Kurdistan aufrechthalten. Im Westen hat die HDP 2% bekommen - Kein sensationelles Ergebnis, aber unter solchen Umstände auch kein Misserfolg.

Damit begann eine neue Phase des Aufbaus der HDP. Die BDP, die im Parlament vertreten war, löste sich auf und trat der HDP bei. Es wurde eine neue Doppelspitze gewählt. Selahattin Demirtaş von der kurdischen Seite und Figen Yüksekdağ von einer maoistischen Partei innerhalb der HDP wurden neue Vorsitzende. Dann wurde Demirtaş als Kandidat für die Präsidentschaftswahl im Sommer 2014 nominiert. Nach den Gesetzen des türkischen Staates kann nur eine Partei, die im Parlament als Fraktion vertreten ist, jemanden als Kandidat nominieren. Nachdem die anderen beiden Oppositionsparteien einen gemeinsamen Kandidat vorgeschlagen hatten, wurde plötzlich die HDP mit ihrem Kandidat die dritte Kraft. Das schaffte günstige Bedingungen für die Kampagne der HDP. Dass Demirtaş im Wahlkampf neben den demokratischen Forderungen auch die soziale Themen ansprach und die Park-Foren besuchte, die nach den Gezi-Protesten entstanden waren, verstärkte sein linkes Image. Letzten Endes konnte die HDP auf dem Ergebnis der Kommunalwahlen gut aufbauen und Demirtaş bekam bei den Wahlen fast 10%. Eine wichtiger Aspekt dieses Ergebnis war, dass viele Menschen, die Vorbehalte gegenüber Kurden und Linken hatten, darüber mit linker Politik in Berührung gekommen sind. Die Ansicht, dass die türkische ArbeiterInnenklasse keine Stimme für einen Kurden oder eine kurdische Partei abgeben würde, wurde widerlegt.

Ähnlich wie neue Formationen wie die Linke, Syriza oder Podemos hat die HDP weder ein klares sozialistische Programm, noch das Ziel, das System zu überwinden. Dennoch: mit ihren Forderungen unterscheidet sie sich von den bürgerlichen Parteien zugunsten der ArbeiterInnenklasse. In ihrem Wahlprogramm fordert sie die Erhöhung des Mindestlohns von fast hundert Prozent, Arbeitszeitverkürzung bei dem vollen Lohnausgleich auf 35 Stunden, Abschaffung von Leiharbeit usw.

Falls die HDP ins Parlament kommt, wird die Anzahl der Frauen im Parlament um 20% steigen. Nur die HDP steht für LGBT-Rechte und hat einen homosexuellen Kandidaten.

Neue Impulse

Bis jetzt konnte sich die HDP trotz aller Benachteiligung gut durchschlagen. Alle Gerüchte über Zusammenarbeit und Koalition mit der AKP konnte sie zurückweisen. Über Hundert Angriffe und Anschläge musste sie in letzten paar Monaten überstehen. Zwei davon waren große Bombenanschläge. Der Wahlkampf der AKP besteht gerade einzig und alleine aus dem Versuch zu verhindern, dass die HDP die Wahlhürde überspringt. Erdogan, der nach den Gesetzen eigentlich neutral bleiben müsste, auf einer Seite, und auf der anderen der Ministerpräsident greifen jeden Tag die HDP an - unter der Gürtellinie und mit Schmutzkampagnen.

Schon jetzt sind die Impulse, die die HDP in die breiteren Schichten getragen hat, sichtbar. Neben den HDP-AnhängerInnen haben sich auch Gruppen und Bündnisse zur Wahlunterstützung gebildet. Oppositionelle JournalistInnen, KünstlerInnen und AkademikerInnen unterstützen die HDP mit gemeinsamen Erklärungen. Nach einer Umfrage wollen 32,1%, dass die HDP die Wahlhürde überschreitet. 23,1% könnten sich vorstellen, die HDP zu wählen. Unter normalen Umständen würde alles dafür sprechen, dass sie die Wahlhürde überspringt. Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass die AKP alle Wahlbetrugs-Tricks benutzen wird, um die Stimmen zu klauen. Deswegen werden überall tausende Freiwillige für die Stimmenzählung und Überwachung der Stimmen mobilisiert. Die Hauptsorge ist nicht, die Wahlhürde nicht zu schaffen - sondern, dass HDP- Stimmen geklaut werden!

Sosyalist Alternatif ruft alle, die gegen Erdogans Pläne für ein autoritäres präsidentielles System und die undemokratische 10%Wahlhürde sind, auf, die HDP zu wählen.

Jede Stimme für die HDP wird den Weg für Frieden und den gemeinsamen Kampf der türkischen und kurdischen ArbeiterInnenklasse öffnen. Wir wollen nicht mehr nur über den Krieg reden sondern endlich darüber, warum der Mindestlohn unter der Hungergrenze liegt; warum wie in Soma und Ermenek immer die ArbeiterInnen ums Leben kommen; warum die Reichen immer reicher werden, und wir immer ärmer!

Heute hat die ArbeiterInnenklasse keine Partei, die ihre Interessen vertritt. Jede Stimme für die HDP wird ein Beitrag für den Aufbau einer solchen Partei sein.


http://www.sosyalistalternatif.com/

Der Kapitalismus macht das Desaster von Nepal noch schlimmer

Das arme Nepal leidet besonders unter dem jüngsten Erdbeben
TU Senan

Als eines der ärmsten Länder in Südostasien ist Nepal von dem jüngsten Erdbeben am stärksten in Mitleidenschaft gezogen worden. Schätzungen sprechen von mehr als 5.000 Toten und rund 10.000 Verletzten. Doch die Zahl der ums Leben gekommenen und verletzten Menschen wird in den nächsten Tagen mit Sicherheit noch ansteigen. Nahezu das ganze Land ist von diesem starken Beben betroffen. In 39 Distrikten hat es Auswirkungen auf die Lebensbedingungen von über zwei Millionen Menschen. Es gibt Berichte, nach denen ganze Dörfer komplett vom Erdboden verschwunden sind.

Bei den meisten Opfern handelt es sich um Menschen aus der armen Land- bzw. Stadtbevölkerung, die in „prekären Wohnverhältnissen“ lebt. Angaben der britischen Tageszeitung „The Guardian“ zufolge sind „fast ausschließlich ältere Häuser aus Ziegeln und Holz dem Erdboden gleichgemacht worden“. Verarmte Familien haben ihre Lieben und alles, was sie besaßen, verloren. Der „Guardian“ berichtet weiter vom Leid eines noch unter Schock stehenden Zeitungsverkäufers, der wütend und verzweifelt zugleich ist: „Wenn wir das Geld gehabt hätten, dann hätten wir ein stabiles Haus gebaut. Hatten wir aber nicht. Man kann nirgends hin. Niemand kümmert sich um uns. Das Leben war für uns schon hart genug. Ich will nicht mehr leben“. Abgesehen vom physischen Leid kommt für die Betroffenen noch das Problem hinzu, dass es an medizinischen Einrichtungen mangelt und Krankheiten auszubrechen drohen. Für die große Zahl an Verletzten stehen nicht genügend Notunterkünfte und Lebensmittel zur Verfügung.

Dabei haben die Regierung von Nepal und die GeologInnen im Vorfeld gewusst, dass eine Katastrophe dieses Ausmaßes zu erwarten war. Das war an den seismischen Bewegungen der tektonischen Platten auf dem Subkontinent abzulesen. Und dennoch haben weder die nepalesische noch andere Regierungen in der Region irgendwelche Anstrengungen unternommen, um sich dagegen zu wappnen. Es wurden keine Vorkehrungen getroffen, mit denen im Falle eines starken Bebens Todesopfer und ein Desaster dieses Ausmaßes hätten verhindert werden können. Was das angeht, so ist das Ausmaß dieser Katastrophe in dem Sinne auf menschliches Versagen zurückzuführen, als dass es in großen Zügen hätte eingegrenzt werden können, wäre es zuvor zu angemessenen Präventivmaßnahmen gekommen.

Ein Desaster diesen Umfangs offenbart auch, wie unfähig die kapitalistischen Regierungen dieser Welt in Wirklichkeit sind. Darüber wird deutlich, dass sie nicht in der Lage sind die Produktion so zu planen, dass die Bedürfnisse der Massen befriedigt werden können. Sie werden nicht aus der Armut herausgeholt und leiden weiterhin unter den schlimmen Lebensbedingungen. Fehlende Investitionen in eine angemessene Infrastruktur und in Präventivmaßnahmen lassen das Elend, dass eine solche Naturkatastrophe nach sich zieht, noch größer werden. Selbst die Untersuchungen und Berichte, die die Regierung von Nepal 2013 herausgegeben hat, haben auf das Problem der mangelhaften Bauweise und des ungenügenden Zustands der Infrastruktur hingewiesen. Schon damals wurde davor gewarnt, dass diese Gegebenheiten eine Katastrophe, die ein Beben nach sich ziehen würde, verstärken würden. Die nepalesische Regierung scheint diese Warnungen in den Wind geschlagen zu haben. Stattdessen wurde anlässlich der Entscheidung über eine neue Verfassung ein endloser, regelrechter Krieg zwischen der „Vereinigten Kommunistischen Partei Nepals – Maoisten“ (UCPN-M) und dem rechtsgerichteten „Nepalesischen Kongress“ (NC) sowie dessen Bündnispartner, der „Kommunistischen Partei Nepals – Vereinte Marxisten-Leninisten“ (CPN-UML) initiiert.

Nachdem der großartige Generalstreik von 2006 zum Ende der Herrschaft des nepalesischen Königs geführt hatte, genossen die Maoisten (UCPN-M) starke Unterstützung. Dieses Ereignis wurde als bedeutsames „politisches Erdbeben“ wahrgenommen, das Folgen für die gesamte Region nach sich ziehen würde. Zu zehntausenden waren die ArbeiterInnen, Bäuerinnen und Bauern sowie die verarmten Schichten Nepals auf die Straße gegangen, nicht nur um die Monarchie zu stürzen sondern auch um eine neue Regierung zu bekommen, die ihre Interessen vertreten würde. Dieses Verlangen fand seinen Widerhall auch in Indien sowie vielen anderen Staaten der Region, in der viele Menschen die Hoffnung haben, dass die Bewegungen gegen die maroden kapitalistischen Regierungen wieder aufleben würden.

Die Maoisten, die anfangs für dieses Verlangen nach Reformen gestanden haben, haben allerdings darin versagt, die sozialistische Revolution durchzufühen, die sie in die Lage versetzt hätte, die Wünsche der Massen zu erfüllen. Nepal ist ein kleines Land mit begrenzten Ressourcen, das sich geografisch zwischen zwei regionalen Machtblöcken befindet, die in Konkurrenz um die Ausbeutung dieses Landes stehen. Der einzige Ausweg, den die nepalesischen Massen haben, um sich von ihren Fesseln zu befreien, besteht darin, den Bruch mit dem Kapitalismus zu wagen, eine sozialistische geplante Wirtschaft einzuführen und eine solche Revolution auf die gesamte Region auszuweiten. Eine sozialistische Föderation in Südostasien, die die Ressourcen der gesamten Region zusammenführen und sie unter die demokratische Kontrolle der arbeitenden Menschen stellen würde, würde die Möglichkeit mit sich bringen, die enormen Ressourcen, die in dieser Region konzentriert sind, planvoll einzusetzen. Die Folge wäre eine Verbesserung der Lebensbedingungen für alle und die Umsetzung von Maßnahmen, mit denen man in der Lage wäre, auch mit Naturkatastrophen wie der jetzigen besser zurechtzukommen.

Trotz der bestehenden vorteilhaften Bedingungen meinten die Maoisten jedoch, dass man zuerst eine „bürgerlich-demokratische Phase“ der Revolution durchschreiten müsse. Zu einem Zeitpunkt, als der Grad an Unterstützung für den NC und die UML (aufgrund ihrer bisherigen Kolaboration mit dem König) spürbar in den Keller ging, argumentierten die Maoisten für ein Bündnis mit genau diesen Kräften. Demgegenüber machten sich diese pro-kapitalistischen Parteien den beschriebenen Ansatz der Maoisten zu Nutze, indem sie die Verhandlungen über eine neue Verfassung kontinuierlich hinauszögerten. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, um ihren Machteinfluss wieder auszubauen und waren in der Lage, erneut an Stärke und Einfluss zu gewinnen. Die direkte Einbeziehung der Regierungen Indiens und Chinas tat das Übrige, um diese rechten Parteien wieder aufbauen zu helfen. Letztere meinen weiterhin, dass sie die einzige Alternative sind, die die nepalesischen Massen haben. Verstärkt wurde diese Entwicklung wiederum durch die Maoisten, die beständig argumentierten, man müsse mit diesen Parteien zusammenarbeiten, um voranzukommen. Dass die Diskussionen sich ständig weiter in die Länge zogen, bedeutete nicht nur, dass das Volk keine neue Verfassung bekam. Auch die Lebensbedingungen verbesserten sich nur bruchstückhaft. Die Kapitalisten und die Medien, die als ihre Sprachrohr fungieren, machten die Maoisten für alle Probleme verantwortlich. Sie wurden dafür beschuldigt, dass es nicht vorwärts ging. Die rechten Parteien wurden somit immer stärker und führten ihre Propaganda weiter aus. Bei den Wahlen von 2013 führte dies dazu, dass die Maoisten von der UCPN ein großes Maß an Unterstützung einbüßten.

Von da an wollten die regierenden pro-kapitalistischen Parteien ihre eigene Verfassung ohne vorherige Übereinkunft mit den Maoisten durchsetzen. Dies zwang die Maoisten vor kurzem dazu, zu einem dreitägigen „bandth“ (= Generalstreik) aufzurufen. Dennoch waren die Maoisten in den Augen der Massen bloßgestellt, weil sie sich darin als unfähig erwiesen haben, den Forderungen der ArbeiterInnen, Bäuerinnen, Bauern, der Minderheiten und der verarmten Schichten zu entsprechen. Dann kam es zur Spaltung, und die Beliebtheit der Maoisten nahm rapide ab.

Die kurze Phase der Unterstützung für die regierenden rechten Parteien steht aufgrund der Erdbebenkatastrophe und deren Folgen nun aber wieder zur Disposition. Aufgrund des Fehlverhaltens der Regierung im Nachgang des Bebens richtet sich nun der massive Unmut gegen sie. Das könnte zum Aufkommen einer neuen Bewegung gegen die Regierung führen. Manchmal liefern Naturkatastrophen den Funken, den es braucht, um eine Revolution auszulösen. Schließlich wird darüber klar, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, Menschenleben zu schützen. So zerstörte beispielsweise das Erdbeben von 1972 das Leben von vielen Menschen in Nicaragua, die unter der Herrschaft des Diktators Somosa gelitten hatten. Massenobdachlosigkeit, Erwerbslosigkeit und Verwüstungen, die Folge des Bebens waren, stärkten die sandinistische Bewegung, was letztlich zum Sturz des Regimes führte.

Mehr als ein Viertel der nepalesischen Bevölkerung, die insgesamt 28 Millionen Menschen ausmacht, lebt unterhalb der Armutsgrenze. Vor allem die verarmte Landbevölkerung leidet unter dem ewigen Mangel an sauberem Trinkwasser und anderer Güter des Grundbedarfs. Jetzt wird auch noch die ganze ökonomische Last, die das verheerende Erdbeben mit sich bringt, auf ihren Schultern abgeladen. Alle Parteien haben von sich behauptet, sie stünden in Opposition zur alten Monarchie. Und dennoch ist es bis heute zu keiner umfassenden Landreform gekommen. Der König ist immer noch einer der an Boden reichsten Grundbesitzer der Welt.

Der auf das Beben zurückzuführende wirtschaftliche Schaden wird schon jetzt auf über fünf Milliarden US-Dollar geschätzt, was mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Nepals entspricht. Von den Armen, die den bei weitem größten Teil der Bevölkerung stellen, wird mit Sicherheit erwartet, nun noch größere Opfer zu bringen. Weltweit haben kapitalistische Regierungen zwar so getan, als hätten sie „Mitleid“. Bislang wurde aber nur sehr wenig an Hilfe angeboten. Lächerliche fünf Millionen brit. Pfund, die die britische Regierung für Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt hat, reichen bei weitem nicht, um auch nur in die Nähe der notwendigen Summen zu kommen. Die jämmerlichen eine Million Dollar, die die USA anfangs angeboten haben, liegen noch unter der Summe, die von einigen armen Ländern zur Verfügung gestellt worden ist. Diese Hilfen reichen bei weitem nicht an die Hilfe heran, die nötig wäre, um die grundlegendsten Hilfsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Laut Kinderhilfswerk UNICEF brauchen allein 940.000 Kinder in Nepal dringende humanitäre Hilfe.

Genau wie im Falle der Tsunami-Katastrophe, die 2004 über den Süden Asiens hereingebrochen war, haben die „einfachen“ Leute schneller reagiert und mehr gespendet als die Regierungen. Es existiert kein verlässlicher Mechanismus, mit dem die weltweite Spendenbereitschaft der Menschen in reale und effektive Hilfe umgewandelt werden könnte. Wie wir nach dem Erdbeben von Gujarat in Indien oder der Flutkatastrophe in Pakistan und Bangladesch wie auch bei der Tsunami-Katastrophe gesehen haben, werden die sogenannten Hilfszusagen der Regierungen nie bis ins Letzte umgesetzt. Hinzu kommt, dass ein nicht geringer Anteil der Geldes, das die Menschen an Hilfsorganisationen gespendet haben, nicht an die hilfsbedürftigen Menschen geht sondern für „administrative“ Dinge eingesetzt wird. Manchmal gehen Gelder auch an Regierungsstellen, die damit ihre eigene Propaganda finanzieren. Eines der bekannteren Beispiele hierfür ist der ehemalige diktatorisch regierende Präsident von Sri Lanka, Mahinda Rajapaksa. Er ließ nach der Tsunami-Katastrophe im Rahmen seiner Wahlkampfveranstaltungen Trinkwasser verteilen, das aus Hilfsspenden finanziert worden war. Und auch jetzt gibt es schon die ersten Berichte, wie die Regierungen Indiens und Chinas die „Möglichkeiten, die die Katastrophe bietet“, nutzen, um ihren eigenen Einfluss im Land auszubauen.

Diese Katastrophe offenbart die Unfähigkeit der Regierung Nepals und die Heuchelei der kapitalistischen Regierungen dieser Welt. Den Massen wird bald schon klar werden, wie nötig alternative Regierungsformen sind. Die Einführung einer an den sozialen Bedürfnissen ausgerichteten Produktion (sprich: eine sozialistisch geplante Wirtschaft) wäre nicht nur in der Lage, die Massen aus der Armut zu holen. Auf diese Weise könnten darüber hinaus die angemessenen Maßnahmen geplant und umgesetzt werden, mit den die Folgen von Naturkatastrophen wie der jetzigen minimierbar wären.

Wenn es darum geht, dass ein effektives Hilfsprogramm aufgestellt werden muss, dann können die verarmten Massen der Regierung nicht trauen. Schon jetzt gibt es Anzeichen dafür, dass es bei der Zurverfügungstellung von Hilfsmaßnahmen zu Missmanagement kommt. Es sollten demokratisch gewählte Komitees aus ArbeiterInnen, Bäuerinnen, Bauern und Armen aufgestellt werden, um die Kontrolle über die Hilfsdienste und ein Not-Wiederaufbau-Programm auszuüben. Diese Komitees sollten die Machtbefugnis darüber haben, um den Familien, die Todesopfer und den Verlust ihres Hab und Guts zu beklagen haben, Kompensationen zukommen zu lassen. Darüber hinaus sollten diese Komitees den Wert des verlorengegangenen Eigentums bzw. Grund und Bodens und anderer essentieller Dinge einschätzen. Kapitalistische Aasgeier, die auch noch versuchen Profit aus dem Desaster zu schlagen, sollten insofern ausgeschaltet werden, als dass sie in demokratisch kontrolliertes öffentliches Eigentum überführt werden. Außerdem sollten die o.g. Komitees die Kontrolle über alle Unternehmen und Strukturen haben, die Teil des Not-Wiederaufbau-Programms sind.

 


TU Senan arbeitet für das Komitee für eine Arbeiterinternationale. dieser Artikel erschien zuerst im englischen original am 30. April 2015 auf socialistworld.net.

Der erste „Fracking-Krieg”?

Im Ukraine-Konflikt geht es nicht um Demokratie und nationale Selbstbestimmung, aber viel um Öl und Gas
Holger Dröge

Seit Februar 2014 tobt in der Ukraine ein Krieg. Mehr als 6.000 Menschen wurden getötet. Rund 500.000 Menschen haben das Land im letzten Jahr verlassen, rund 400.000 davon in Richtung Russland, 60.000 nach Weißrussland, der Rest nach Westeuropa. Die sozialen und ökonomischen Folgen sind verheerend. Nach einem massiven Wertverlust der Landeswährung Griwna ist der Mindestlohn unter das Durchschnittseinkommen in Armutsstaaten etwa in Afrika oder Asien gefallen. Ein Arbeiter in der Ukraine habe derzeit noch Anspruch auf umgerechnet 42,90 US-Dollar im Monat, berichtete der Fernsehsender Ukraina im Februar 2015. Zum Vergleich: Menschen in Bangladesch, Ghana oder Sambia verdienen durchschnittlich 46,60 US-Dollar. Was sind die Ursachen für diesen Konflikt?

Die Ursachen des Ukraine-Konflikts sind vielfältig: Die US-Regierung will Russland als imperialistischen Konkurrenten in die Knie zwingen, die Europäische Union ihren Einfluss nach Osten ausweiten. Russland will seine Einflussgebiete sichern, gleichzeitig dient der Konflikt als Ablenkung von innenpolitischen Problemen. Die ukrainischen Herrschenden wollen den Krieg trotz aller Niederlagen fortsetzen, denn sie verdienen am Krieg so gut wie nie zuvor. Vierzig Prozent des ukrainischen Staatsbudgets, gestützt durch Milliardenzahlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), wandern in den Krieg. Gleichzeitig ist der Krieg für sie Gelegenheit mit dem „sowjetischen Erbe” von Sozialleistungen und Arbeitsrecht in der Ukraine endgültig aufzuräumen. Eines ist all diesen Gründen gemein: Es geht um Profit. Es geht um die Frage welche imperialistische Macht an Einfluss gewinnt. Doch es gibt auch noch eine weitere Seite des Ukraine-Konflikts: Der Kampf um Öl und Gasvorkommen und deren Ausbeutung durch neue Methoden wie das Fracking.

Kampf um Rohstoffe…

Öl und Gas sind die die kapitalistische Wirtschaft beherrschenden Rohstoffe auf unserem Planeten. Der Kampf um sie wird mit aller Macht geführt. Allein in den letzten 20 Jahren gab es Kriege gegen Afghanistan und den Irak, die Blockadepolitik gegen Venezuela und brutale Unterdrückung in Nigeria. Die Liste lässt sich leider lange fortsetzen.

Während in den letzten Jahrzehnten oft davon die Rede war, dass die Ölvorkommen bald zur Neige gehen werden, haben neue Methoden der Öl- und Gasförderung, wie zum Beispiel Fracking, die Produktion in die Höhe schnellen lassen und geopolitisch neue Gebiete ins Blickfeld geraten lassen. Die Ukraine ist eines von diesen.

So gibt es vor der Krim im Meer riesige Gas- und Ölvorkommen. Eigentlich sollte ein vom US-Konzern Chevron geleitetes Konsortium diese ausbeuten, um Einkünfte für die Ukraine zu schaffen und die Abhängigkeit vom russischen Gas zu mindern. Doch da kam der Regierungssturz und es folgte die Angliederung der Krim in die Russische Föderation.

… und Transportwege

Öl und Gas müssen aber auch ihre Abnehmer erreichen. Pipelines und Flüssiggasverschiffung sind hierzu zentral. Die Ukraine ist nicht nur politisch, sondern auch im Hinblick auf Gas und Öl ein wichtiges Scharnier zwischen den Erdöl- und Erdgasressourcen in Russland und im kaspischen Raum – also in Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan – und den Abnehmern auf dem Weltmarkt. Schon in den letzten Jahren wurden daher unter Mitwirkung Deutschlands Alternativen zur Ukraine geschaffen.

 

Bei einem Treffen mit dem E.ON-Vorstandsvorsitzenden Johannes Teyssen teilte Gazprom-Chef Alexej Miller im Dezember 2014 mit, dass in diesem Jahr bereits dreißig Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die 1.224 Kilometer lange Ostseepipeline zwischen Wyborg und Greifswald nach Deutschland, Frankreich und in andere westeuropäische Länder geflossen sind. Gegenüber den zwanzig Milliarden Kubikmeter vom letzten Jahr bedeutet das eine Steigerung in Höhe von mehr als fünfzig Prozent. Die Maximalkapazität ist damit allerdings noch nicht erreicht – sie liegt bei fünfzig Milliarden Kubikmeter. Miller zufolge sind sich Gazprom und E.ON darüber einig, dass die 2011 in Betrieb genommene Unterwasserpipeline die Sicherheit der früher nur durch die Ukraine laufenden Lieferungen ganz wesentlich erhöht.

Mit der Krim in russischer Hand würde zudem der Weg, der nach dem so genannten „Gas-Krieg”, dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine im Jahr 2006, geplanten Gaspipeline South Stream von Russland nach Bulgarien bis Italien, Österreich und Serbien auch über die Krim verlaufen und dadurch deutlich billiger werden.

Auch im Krieg zwischen Russland und Georgien um Abchasien und Südossetien spielte die Energie eine wichtige Rolle. 2008 war eine russische Pipeline nach Südossetien eröffnet worden, das dadurch unabhängig von der Gasversorgung aus Georgien wurde. Zuvor war 1999 eine Pipeline von Baku unter Umgehung von Russland und Iran nach Georgien von einem westlichen Konsortium gebaut worden, wofür sich die US-Regierung stark einsetzte. Nachdem in Georgien Saakaschwili durch die „Rosenrevolution” 2003, auch mit Nachhilfe der USA, zum Präsidenten Georgiens wurde, stellte man 2006 die transkaukasische Pipeline von Georgien weiter bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan fertig.

Unterschiedliche Interessen

In der Ukraine krachen die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen imperialistischen Staaten aufeinander. Im Frackingtaumel der letzten Jahre wurde prophezeit, dass die USA vom Öl- und Gasimporteur zum Exporteur werden würde. Die geopolitischen Veränderungen wären gewaltig, beispielsweise wäre der Nahe Osten für die USA nicht mehr so interessant. Russland würde ein Verlierer sein, zumal wenn auch die Europäischen Länder ihre Ressourcen mit Fracking ausbeuten und so die für den russischen Staat so lebenswichtigen Exporte von Öl und Gas bedroht sind. Und bei alledem mit dabei: Die europäische Union unter Führung Deutschlands, die versucht ihren Rohstoffbezug auf unterschiedliche Länder zu verteilen, um Abhängigkeiten zu vermeiden.

Die Bedeutung von Öl und Gas für Russland

Auch wenn die Produktion von Öl und Gas nur elf Prozent des Brutto-Inlandsprodukts von Russland ausmacht, stammen doch zwischen 45 und 55 Prozent der Steuereinnahmen des Staates aus dieser Quelle. Ein Rückgang der Öl- und Gaspreise hat daher erhebliche Auswirkungen auf den Haushalt der Regierung. Noch kann der Rückgang der Rohstoffpreise durch die Abwertung des Rubels kompensiert werden. Allerdings werden die Steuern bei der Ausfuhr von Erdöl und Erdgas in US-Dollar berechnet. Wenn der Preis in US-Dollar fällt, sinken auch die Steuereinnahmen. Aber wenn der Rubel gegenüber dem US-Dollar abwertet, steigen die Umsätze in Rubel. Und das Budget von Russland wird in Rubel berechnet, nicht in US-Dollar.

Weiter ist festzustellen, dass eine Abwertung des Rubels die Erträge und die Gewinne der russischen Unternehmen garantiert. Wenn die Abwertung beträchtlich ist, sinken die Betriebskosten schneller als die Einnahmen in Dollar und die operativen Margen der Unternehmen erhöhen sich.

Die Wirkung der Sanktionen und der spekulativen Angriffe auf den Rubel sind auch von politischer Natur. Sie schwächen die russischen Liberalen und stärken das Putin-Regime, dass sich trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten, einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, starker Inflation und zunehmender Proteste über Zustimmungsraten von über 70 Prozent stützen kann.

Die Interessen der USA

Die US-Unternehmen haben die hohen Investitionen in die neuen Fördertechnologien zu 80 bis 90 Prozent über hochverzinste Kredite realisiert. Die Investmentbank Morgan Stanley schätzt die Finanzblase um die Fracking-Industrie auf etwa 550 Milliarden US-Dollar. Sollten diese hoch riskanten Anleihen ausfallen, droht ein ähnliches Szenario wie beim Ausfall der ersten Immobilien-Kredite zu Beginn der letzten Finanzkrise.

Die Öl- und Gasschwemme in den USA führt weiter zu einem extremen Druck auf die Politik, die Lizenzvergabe für Energiexporte weiter zu lockern und erfolgreich Freihandelsverträge mit Europa und Asien abzuschließen. Der wirtschaftlich Druck nimmt inzwischen derartige Ausmaße an, dass einer der größten Ölhändler, BHP Billiton, im Schatten der Kongresswahlen Anfang November begonnen hat, sein Öl ohne Genehmigung des Weißen Hauses nach Europa zu verschiffen.

Für die USA ist es zentral die Kontrolle über neu auf dem Markt kommende Vorkommen, wie zum Beispiel in der Ukraine, zu bekommen. Die Münchener Sicherheitskonferenz widmete in diesem Jahr dem gleich ein eigenes Kapitel. Unter den Stichworten „Sicherheit” und „Unabhängigkeit” wurde besprochen, wie die USA Russland vom europäischen Energiemarkt verdrängen könnten.

McKinsey, ein Mitveranstalter der Konferenz, behandelt in einer extra angefertigten Studie die Gaslieferungen aus Nordafrika und Russland bereits als Vergangenheit. Die zukünftige Versorgung könnte aus den USA nach Europa verlaufen.

Am 23. Juli 2013, US-Konzerne schlossen in der Ukraine gerade Milliardengeschäfte ab, war auf Bloomberg.com ein interessanter Beitrag zu finden. Mit dem Export von Technologien wie Fracking an Länder wie Polen, dem Baltikum und der Ukraine solle deren Abhängigkeit von Russland vermindert werden und so dem „Ehrgeiz des Kreml geschadet werden, die Zukunft des Landes als eine Energie-Supermacht zu sichern.”

Die Ukraine: Spielball der Mächte

In der Ukraine gibt es große Vorkommen an Gas und Öl, aber vor allem auf der Krim und in der Ostukraine. Noch vor einem Jahr hatten US-Konzerne hier große Pläne, diese Ressourcen auszubeuten. Exxon, Chevron und Shell wollten der Ukraine mithilfe von Fracking-Technologie zur Unabhängigkeit von Russland verhelfen und Exporte in die Europäische Union beginnen.

Recht phantasievoll ist in dem Zusammenhang die Bemerkung von Anders Fogh Rasmussen vom Juli 2014. Der damalige NATO-Generalsekretär sagte, Russland unterstütze Umweltschutzorganisationen im Kampf gegen das Fracking, „um die europäische Abhängigkeit von russischem Importgas aufrechtzuerhalten.”

Tatsächlich wurde die Auseinandersetzung in der Ukraine massiv vorangetrieben, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.

Im Mai 2014, die Krise in der Ukraine hatte sich massiv zugespitzt. Das Land war im Chaos. Auch bei Burisma, dem größtem ukrainischem Energieunternehmen, änderte sich viel: Hunter Biden, Sohn des US-Vizepräsident zog in den Verwaltungsrat des Unternehmens ein. Kurz zuvor hatten sich bereits der ehemalige polnische Ministerpräsident Aleksander Kwaśniewski und der Wahlkampfmanager des heutigen US-Außenministers John Kerry, Devon Archer, in dem Gremium eingefunden. Nur vier Wochen vorher hatte der US-Vizepräsident selbst die Ukraine besucht und mit der Regierung in Kiew die Frage der Energieversorgung diskutiert. Er kündigte dabei an, dass die im Jahr 2013 geschlossenen Verträge umgesetzt werden. Diese sehen eine großflächige Förderung von Erdgas in der Ukraine mithilfe von Tiefseebohrungen und Hydraulic Fracturing vor. Technische Spezialisten aus den USA sollten sich mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung treffen, um nun nach der Abspaltung der Krim konkrete Lösungen zu erarbeiten. Und er beschwor verlockende Aussichten: „Stellen Sie sich vor, wo Sie heute stehen würden, wenn Sie in der Lage wären, Russland zu sagen: Behalten Sie Ihr Gas. Das wäre eine ganz andere Welt, der du heute gegenüberstehen könntest.”

Ganz konkrete Pläne auf der Krim

Schon unter dem Janukowitsch-Regime hatten die Verhandlungen mit US-Konzernen begonnen und waren auch zum Abschluss gebracht worden. Im Schwarzen Meer vor der Krim, in der Ostukraine bei Donezk und in der Westukraine bei Lwow sollten Investitionen von 32 Milliarden US-Dollar umgesetzt werden. Zusammen mit der bereits laufenden Gasförderung hätten die Projekte den gesamten Energiebedarf der Ukraine von fünfzig Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr annähernd decken können.

Dabei spielen die Vorkommen im Schwarzen Meer die zentrale Rolle. 250 Millarden Kubikmeter Erdgas sollten dort durch Exxon und die österreichisch-rumänische Firma OMV Petrom in Zusammenarbeit mit Nadra Ukrainy in den nächsten fünfzig Jahren gefördert werden. Verlierer im Bieterwettbewerb vorher war ausgerechnet das russische Unternehmen Lukoil.

Bei der Übernahme der Krim in russisches Staatsgebiet war eine der ersten Entscheidungen der neuen Krim-Regierung die Öl- und Gasressourcen im Schwarzen Meer und die zu deren Ausbeutung notwendingen Anlagen der Firma Chornomorneftegaz zu verstaatlichen. „Nach der Nationalisierung des Unternehmens möchten wir eine offene Entscheidung treffen – wenn ein großer Investor, wie Gazprom oder ein anderer auftaucht”, so der direkte Hinweis von Rustam Temirgalijew, Stellvertretender Ministerpräsident der Krim, an die russische Adresse.

Aber auch im Osten

Shell beobachtete diese Entwicklungen damals noch erleichtert. Hatte man doch auf eine Investition in der Krim verzichtet und sich stattdessen auf die Ostukraine spezialisiert. Hier hatte man Verträge – wieder über fünfzig Jahre – für das größte On-Shore-Gasfeld der Ukraine geschlossen. Zehn Milliarden US-Dollar sollten investiert werden, sieben Milliarden Kubikmeter Erdgas sollten jährlich gefördert werden.

Doch schnell begannen die Aufstände in der Ostukraine und das Investment drohte in Gefahr zu geraten. Mit massiver Militärpräsenz versuchte die Regierung in Kiew noch das Aufstellen von Fracking-Bohrtürmen möglich zu machen, musste sich dann aber den aufständischen Truppen geschlagen geben.

Das dritte große Gasprojekt beendete dann der Konzern Chevron gleich selbst. Wie auch im Osten des Landes wollte Chevron um Lwow herum das Gas mithilfe von Hydraulic Fracturing fördern. Doch das Regime in Kiew war nicht bereit massive Steuererleichterungen für Chevron zu beschließen, also wurde die Investition auch angesichts der unsicheren Lage im Land abgeblasen.

Lang gehegte Pläne

Die Pläne in der Ukraine und Osteuropa entspringen einer lang angelegten Strategie. Schon 2010 war eine der ersten Amtshandlungen der Obama-Administration die Einrichtung einer besonderen Abteilung im Außenministerium, der sogenannten Global Shale Gas Initiative (dt: weltweite Schiefergas-Initiative). In den Jahren zuvor hatte Fracking eine enorme Ausweitung der Öl- und Gasförderung in den USA ermöglicht, bereits 2008 hatten die USA Russland als bis dahin größten Gasproduzenten überholt.

2014 wurde das Unconventional Gas Technical Engagement Program gegründet und mit sieben Millionen US-Dollar zur Förderung von Kontakten mit anderen Regierungen ausgestattet. In Osteuropa standen neben der Ukraine auch Litauen, die Slowakei und Slowenien, Ungarn und die Tschechische Republik auf dem Programm.

Als die Pilot-Projekte scheiterten war die Sorge bei den amerikanischen Konzernen groß. Aber John McCain, der Millionen von US-Dollars für seine Wahlkämpfe aus den Kassen der Ölkonzerne erhalten hat, versuchte in der Folge in verschiedenen anderen Ländern für US-Gas zu werben, „um die Abhängigkeit von russischem Gas in der Ukraine und Europa zu reduzieren”.

Schon in den letzten Jahren hatten US-Konzerne sich hier breit gemacht. Chevron hat zum Beispiel das Recht erworben in Polen, Rumänien und Bulgarien etwa 2,3 Millionen Hektar auf mögliche Vorkommen zu untersuchen. In Litauen hat das Unternehmen diese Rechte für 400.000 Hektar erworben. Die Kosten sind enorm. Allein in der Ukraine hat Chevron bisher 400 Millionen Dollar für Untersuchungen ausgegeben, die jetzt komplett abgeschrieben werden müssen.

Kapitalistisches Chaos

Die Jagd nach Profiten kennt keine Grenzen. Milliardensummen werden dazu um den Globus bewegt, die Gier nach Profit ist aber unersättlich. In seinem Werk „Das Kapital” zitiert Karl Marx den englischen Gewerkschafter Thomas Dunning wie folgt: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.”

Die Folgen des Frackings für die Umwelt sind in ihrer ganzen Weite noch gar nicht absehbar. Aber deutlich wird, dass die Umweltzerstörung und damit die Grundlage für unser Leben auf diesem Planten mit Fracking vorangetrieben wird. Schon jetzt wird am Beispiel der Ukraine deutlich wie Fracking auch neue Kriege und Konflikte anheizt.

Im Kapitalismus wirken Investitionen zerstörerisch. Ein Grund mehr die natürlichen Ressourcen dieses Planten den Kapitalisten aus der Hand zu reißen und unter die Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Menschen zu stellen. Als Grundlage für eine Planung im Interesse von Mensch und Natur.

 

TTIP – auch hier geht es um Öl und Gas

Seit der Eskalation der Ukraine-Krise verhandeln Brüssel und Washington darüber, unter welchen Bedingungen sich die Gaslieferungen aus Russland, die mindestens 30 Prozent des euopäischen Bedarfs ausmachen, durch Lieferungen aus den USA ersetzen lassen könnten. Für US-Konzerne ist dies eine extrem wichtige Frage. Es gibt ein Überangebot an Gas in den USA, dass zur Zeit nicht exportiert werden kann. Daher wird Gas im großen Stil abgefackelt. Der Export von Gas ist aber auch wegen der hohen Verbindlichkeiten, die von US-Konzernen für das Fracking aufgenommen wurden, von hoher Bedeutung. Schnelles Geld ist geradezu überlebenswichtig.

Ein erstes Pilotprojekt für den Import von Flüssiggas startete bereits Ende Oktober 2014 vor der Küste von Litauen. In Klapeida ging ein riesiger schwimmender Flüssiggashafen mit dem malerischen Namen „Independence” vor Anker.

Bei den Gesprächen im Januar 2015 erschien nicht ohne Grund der US-Außenminister John Kerry persönlich, um die Energiefrage bei TTIP zur Chefsache zu machen. Denn mit TTIP sollen die Milliardenschweren Investitionen in den USA gegen politische Entscheidungen abgesichert werden.

Zukünftige Konflikte

Der Krieg in der Ukraine lässt in den Hintergrund geraten, dass sich die russischen Interessen, abgesehen von der Krim für den Stützpunkt der Schwarzmeerflotte und den großen Gasressourcen im Meer davor, schon lange Zeit auf die Arktis richten. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe führt in ihrem Bericht von 2012 auf, dass die russische Arktis bislang noch relativ wenig ausgebeutet wurde, aber große Ressourcen birgt: „Die russische Arktis ist insgesamt reich an Eisen, Bunt- und Edelmetallen sowie seltenen Metallen, Diamanten und Düngemittelrohstoffen. Hier liegt der überwiegende Teil der russischen Rohstoffreserven, vor allem an Platingruppenmetallen, Diamanten, Apatit, Nickel, Seltenen Erden, Silber, Aluminium, Quecksilber, Antimon, Kupfer, Zinn, Wolfram, Gold und Kobalt.”

Der Wettlauf um die Arktis hat dank der Klimaerwärmung begonnen. Das zurückweichende Eis und die wachsenden Möglichkeiten der Schifffahrt haben die Arktis zu einer geopolitisch bedeutsamen Region gemacht. Mit dem Eis beginnen auch die Konflikte langsam aufzutauen.

Im Schlagschatten des Ukraine-Konflikts erklärte Putin im April 2014, dass die von Russland beanspruchten Gebiete in der Arktis eine überragende strategische Bedeutung für die nationale Sicherheit hätten: militärisch, politisch, wirtschaftlich, technisch sowie für die Umwelt und die Ressourcen. Zunächst kündigte er den Ausbau der militärischen Infrastruktur und der Militärpräsenz an, was Schritt für Schritt umgesetzt wird.

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