Di 02.06.2015
In der Türkei werden am 7. Juni Parlamentswahlen stattfinden. Die neue linke Partei, die Demokratische Partei der Völker (HDP), hat bei diesen Wahlen eine wichtige Stellung. Bei diesen Wahlen hängt das Schicksal der Regierungspartei und des Präsidenten Erdogan von der Wahlerfolg der HDP ab. Ein Erfolg der HDP könnte der Anfang vom Ende von Erdogans Macht werden. Außerdem bestehen damit neue Möglichkeiten für den Aufbau einer neuen linken Partei, die für die Interessen der ArbeiterInnen steht.
Bis jetzt ist die politische Kraft der kurdischen Bewegung wegen der hohen und undemokratischen Wahlhürde immer als eine Liste unabhängiger KandidatInnen bei Wahlen angetreten. Das hatte zu Folge, dass die konservative, pro-kapitalistische AKP davon am meisten profitierte und alleine regieren konnte. Die Entscheidung der HDP, bei den kommenden Wahlen als Partei anzutreten, hat plötzlich die ganze Wahl-Arithmetik durcheinander gebracht.
Falls die HDP es schafft, die undemokratische 10% Wahlhürde zu überspringen, hat die AKP nicht nur keine Chance, die nötigen 330 Sitze im Parlament zu bekommen, um dadurch Verfassungsänderungen durchzusetzen. Es ist sogar höchst wahrscheinlich, dass sie nicht mehr alleine regieren kann.
Entstehung und Entwicklung der HDP
Die HDP als Partei ist ziemlich jung. Sie ist aber eine Verkörperung der jahrelangen Bestrebungen der kurdischen Bewegung, zu einer landesweiten Partei zu werden, und dem Wunsch nach Einheit der kurdischen und türkischen Linken. Letztlich ist die HDP aus der Idee einer „Dachpartei“ in der Türkei entstanden, die von dem inhaftierten Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, dringlich vorgeschlagen war. Bei den Wahlen 2011 schaffte die Partei für Frieden und Demokratie (BDP), die im kurdischen Gebiet eine Massenkraft darstellte, 36 Abgeordnete als unabhängige KandidatInnen ins Parlament zu schicken. Darunter waren auch drei Sozialisten aus der türkischen Linken und somit entstand eine gute Grundlage für den Aufbau einer breiteren Linkspartei. Dann wurde im Oktober gleich nach den Wahlen der Demokratische Kongress der Völker (HDK) von 20 verschiedenen Organisationen ins Leben gerufen. Ein Jahr später, 2012, wurde die HDP mit dem Vorhaben, bei den Wahlen anzutreten, gegründet.
Testphasen
Nach der Gründung hat die HDP/HDK verschiedene historische Testphasen durchgemacht. Wichtig waren zweifelsohne die Gezi-Proteste im Juni 2013, die das ganze Land erschütterten. Hauptsächlich aufgrund der Sorge um die Verhandlungsbasis mit der Regierung, den sogenannten „Friedensprozess“ für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage, hatte der HDK die Lagen damals nicht richtig eingeschätzt. Insbesondere die falschen Aussagen der Vertreter des BDP-Flügels des HDK haben den Eindruck erweckt, der HDK stehe bei den Protesten an der Seite der Regierung. Später musste der HDK einsehen, dass er sich daran mehr beteiligen hätte müssen und eine Selbstkritik darlegen.
Auf der Wahlebene waren die Kommunalwahlen im März 2014 ein erster Test für die HDP. Er sollte zeigen, ob die HDP das Potenzial hat, eine neue Partei in der gesamten Türkei zu werden. Maßgebend dafür waren die Stimmen, die sie im Westen der Türkei bekommen würde. Die HDP versuchte, vor den Wahlen in den westlichen Städten und an Schwarzmeerküste Wahlkampftouren organisieren, wurde aber in vielen Städten systematisch angegriffen. Doch auch wenn sie Besuche in manchen Städten wegen dieser Angriffen absagen musste, hat sie doch beweisen können, dass sie eine Partei der gesamten Türkei werden will. Aus taktischen Gründen ist man im Westen als HDP, in den kurdischen Gebieten als BDP angetreten. Damit sollten die Stimmen der Kurden, die sich mit der HDP noch nicht identifizierten, trotzdem behalten werden. Gleichzeitig sollte die HDP im Westen Fuß fassen. Schließlich konnte BDP ihre Basis in Kurdistan aufrechthalten. Im Westen hat die HDP 2% bekommen - Kein sensationelles Ergebnis, aber unter solchen Umstände auch kein Misserfolg.
Damit begann eine neue Phase des Aufbaus der HDP. Die BDP, die im Parlament vertreten war, löste sich auf und trat der HDP bei. Es wurde eine neue Doppelspitze gewählt. Selahattin Demirtaş von der kurdischen Seite und Figen Yüksekdağ von einer maoistischen Partei innerhalb der HDP wurden neue Vorsitzende. Dann wurde Demirtaş als Kandidat für die Präsidentschaftswahl im Sommer 2014 nominiert. Nach den Gesetzen des türkischen Staates kann nur eine Partei, die im Parlament als Fraktion vertreten ist, jemanden als Kandidat nominieren. Nachdem die anderen beiden Oppositionsparteien einen gemeinsamen Kandidat vorgeschlagen hatten, wurde plötzlich die HDP mit ihrem Kandidat die dritte Kraft. Das schaffte günstige Bedingungen für die Kampagne der HDP. Dass Demirtaş im Wahlkampf neben den demokratischen Forderungen auch die soziale Themen ansprach und die Park-Foren besuchte, die nach den Gezi-Protesten entstanden waren, verstärkte sein linkes Image. Letzten Endes konnte die HDP auf dem Ergebnis der Kommunalwahlen gut aufbauen und Demirtaş bekam bei den Wahlen fast 10%. Eine wichtiger Aspekt dieses Ergebnis war, dass viele Menschen, die Vorbehalte gegenüber Kurden und Linken hatten, darüber mit linker Politik in Berührung gekommen sind. Die Ansicht, dass die türkische ArbeiterInnenklasse keine Stimme für einen Kurden oder eine kurdische Partei abgeben würde, wurde widerlegt.
Ähnlich wie neue Formationen wie die Linke, Syriza oder Podemos hat die HDP weder ein klares sozialistische Programm, noch das Ziel, das System zu überwinden. Dennoch: mit ihren Forderungen unterscheidet sie sich von den bürgerlichen Parteien zugunsten der ArbeiterInnenklasse. In ihrem Wahlprogramm fordert sie die Erhöhung des Mindestlohns von fast hundert Prozent, Arbeitszeitverkürzung bei dem vollen Lohnausgleich auf 35 Stunden, Abschaffung von Leiharbeit usw.
Falls die HDP ins Parlament kommt, wird die Anzahl der Frauen im Parlament um 20% steigen. Nur die HDP steht für LGBT-Rechte und hat einen homosexuellen Kandidaten.
Neue Impulse
Bis jetzt konnte sich die HDP trotz aller Benachteiligung gut durchschlagen. Alle Gerüchte über Zusammenarbeit und Koalition mit der AKP konnte sie zurückweisen. Über Hundert Angriffe und Anschläge musste sie in letzten paar Monaten überstehen. Zwei davon waren große Bombenanschläge. Der Wahlkampf der AKP besteht gerade einzig und alleine aus dem Versuch zu verhindern, dass die HDP die Wahlhürde überspringt. Erdogan, der nach den Gesetzen eigentlich neutral bleiben müsste, auf einer Seite, und auf der anderen der Ministerpräsident greifen jeden Tag die HDP an - unter der Gürtellinie und mit Schmutzkampagnen.
Schon jetzt sind die Impulse, die die HDP in die breiteren Schichten getragen hat, sichtbar. Neben den HDP-AnhängerInnen haben sich auch Gruppen und Bündnisse zur Wahlunterstützung gebildet. Oppositionelle JournalistInnen, KünstlerInnen und AkademikerInnen unterstützen die HDP mit gemeinsamen Erklärungen. Nach einer Umfrage wollen 32,1%, dass die HDP die Wahlhürde überschreitet. 23,1% könnten sich vorstellen, die HDP zu wählen. Unter normalen Umständen würde alles dafür sprechen, dass sie die Wahlhürde überspringt. Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass die AKP alle Wahlbetrugs-Tricks benutzen wird, um die Stimmen zu klauen. Deswegen werden überall tausende Freiwillige für die Stimmenzählung und Überwachung der Stimmen mobilisiert. Die Hauptsorge ist nicht, die Wahlhürde nicht zu schaffen - sondern, dass HDP- Stimmen geklaut werden!
Sosyalist Alternatif ruft alle, die gegen Erdogans Pläne für ein autoritäres präsidentielles System und die undemokratische 10%Wahlhürde sind, auf, die HDP zu wählen.
Jede Stimme für die HDP wird den Weg für Frieden und den gemeinsamen Kampf der türkischen und kurdischen ArbeiterInnenklasse öffnen. Wir wollen nicht mehr nur über den Krieg reden sondern endlich darüber, warum der Mindestlohn unter der Hungergrenze liegt; warum wie in Soma und Ermenek immer die ArbeiterInnen ums Leben kommen; warum die Reichen immer reicher werden, und wir immer ärmer!
Heute hat die ArbeiterInnenklasse keine Partei, die ihre Interessen vertritt. Jede Stimme für die HDP wird ein Beitrag für den Aufbau einer solchen Partei sein.