Internationales

Solidaritätsaktionen gegen die Verhaftung linker Abgeordneter durch den türkischen Staat

Jan Millonig

Die Festnahme von Abgeordneten der HDP (Demokratische Partei der Völker) durch den türkischen Staat läutete eine weitere Steigerung der Repression gegen linke und mehrheitlich kurdische AktivistInnen ein. Erdogans Angst vor der bei Wahlen zuletzt sehr erfolgreichen HDP hängt vor Allem auch damit zusammen, dass sie kurdische und türkische ArbeiterInnen gemeinsam organisiert und damit die rassistische Spaltung der Gesellschaft im türkischen Staat überwindet. Solidarität macht Erdogan Angst.

In ganz Europa kam und kommt es zu Protesten in Solidarität mit den Opfern von Erdogans Weg in Richtung Diktatur. Je mehr Druck wir auch international gegen Erdogan organisieren können desto besser können wir auch die AktivistInnen in der Türkei/Kurdistan schützen. In Linz zum Beispiel organisierte die SLP gemeinsam mit linken, kurdischen Organisationen eine öffentliche Protestkundgebung. Ziel war es auch möglichst viele PassantInnen zu informieren was genau gerade in der Türkei/Kurdistan vor sich geht. Das taten wir auch durch Reden und Material in türkischer Sprache, denn es gilt gegen das Lügengebäude Erdogans anzukämpfen. So hatten wir zum Beispiel das Magazin der türkisch-kurdischen Schwesterorganisation der SLP, „Sosyalist Alternatif“, im Angebot.

Auch in Graz waren wir mit dabei als kurdisch-sozialistische Organisationen ihren Protest auf die Straße trugen. Als Teil der Demo zeigten wir unsere Solidarität und diskutierten mit den anderen Demo-TeilnehmerInnen und PassantInnen über Chancen und Möglichkeiten für den Widerstand gegen die sich anbahnende Diktatur. Sosyalist Alternatif steht auch dafür, den Kampf für das Recht auf nationale Selbstbestimmung der KurdInnen mit dem Kampf gegen den Kapitalismus zu verbinden. Kurdische und türkische ArbeiterInnen haben die gleichen Interessen wenn es um sichere Arbeitsplätze, gute Bezahlung, Wohnungen und so weiter geht. Die HDP steht für einen gemeinsam Kampf für diese Interessen und deshalb steht sie jetzt unter Beschuss. Und deshalb wird die SLP, Sosyalist Alternif und unsere Internationale, das CWI, auch weiter mithelfen die internationale Solidarität zu organisieren.

So am 15.11. wieder in Linz: https://www.facebook.com/events/1248034015254157/

wo wir anschließend auch über die aktuelle Lage und ein mögliches Programm für Linke in der Türkei/Kurdistan diskutieren wollen: https://www.facebook.com/events/616626631869839/

Informationen auf türkisch: http://www.sosyalistalternatif.com/

Verantwortung für Trumps Wahlerfolg trägt die Demokratische Partei

Der Aufbau einer neuen linken Partei ist überfällig
Lucy Redler, CWI Deutschland

Viele sind am 9.11. mit einem Schock aufgewacht: Ein Rassist und Sexist hat die Präsidentschaftswahlen in den USA gewonnen und tritt eins der mächtigsten Ämter der Welt an. Wie konnte das passieren und was können wir daraus lernen?

Vor einem guten halben Jahr begeisterte Bernie Sanders Millionen mit seinem Slogan „Für eine politische Revolution gegen die Milliardärsklasse“. Hunderttausende pilgerten zu seinen Veranstaltungen. Mehr als zwei Millionen Menschen spendeten 230 Millionen US-Dollar für seine Kampagne, bevor er überhaupt Kandidat wurde. Sanders gab der Wut auf das Establishment und auf die Wall Street eine linke Stimme. Viele Jugendliche waren begeistert, dass er von Sozialismus spricht. Alle Umfragen vor der Konferenz der sogenannten „Demokratischen Partei“, die Hillary Clinton nominierte und Bernie Sanders ausbremste, haben gezeigt, dass Sanders Trump hätte schlagen können. Sanders ist heute der beliebteste Politiker in den USA. Doch Clinton – die Personifierung der Wallstreet, des Irakkriegs und des neoliberalen Freihandels – wurde vom Apparat der „Demokraten“ durchgeboxt. Und dass, obwohl etliche Umfragen nahelegten, dass sie deutlich schlechter gegen Trump abschneiden würde. Das Establishment der Demokraten riskierte lieber einen Wahlsieg Trumps, als Bernie Sanders zum Kandidaten zu ernennen und die Kontrolle über ihre Partei zu verlieren.

So kam es zum Battle zwischen dem unbeliebtesten Kandidaten versus unbeliebteste Kandidatin. 55 Prozent der WählerInnen sagten vor dem Wahltermin, sie seien angeekelt von der Präsidentschaftswahl. Der 8. November 2016 wird in die Geschichte eingehen als Niederlage für das neoliberale Establishment und wird möglicherweise den Anfang vom Ende des dysfunktionalen Zwei-Parteien-Systems der USA markieren.

Trumps Wahlerfolg ist auch die Konsequenz der Logik des kleineren Übels (lesser evil). Die Idee, mit der Krankheit (Clinton) das Symptom (Trump) zu bekämpfen, ist nach hinten losgegangen. Sich mit der Krankheit gegen das Symptom zu verbünden, war der Fehler der Linken, der Gewerkschaften und auch von Bernie Sanders, nachdem er die Abstimmung gegen Clinton verloren hatte. Clinton ist für Millionen offenbar so evil, dass Trump nicht zum Schreckgespenst taugte.

Die Sozialistin Kshama Sawant (Mitglied im Stadtrat von Seattle und von Socialist Alternative) hatte kurz vor dem Wahltag geschrieben: „Wandel wird durch Massenbewegungen erreicht, er kommt nicht einfach von oben, wie Bernie Sanders so treffend gesagt hat. Sein Wahlkampf hat eindrücklich bewiesen, dass „einfache Leute“ eine einflussreiche Wahlkampf-Bewegung aufbauen können, die ihre Interessen vertritt, ohne auch nur einen Penny von den US-amerikanischen Konzernen anzunehmen. Die Umfragen haben durchgehend belegt, dass Sanders – wäre er nominiert worden – Trump bei den Präsidentschaftswahlen geschlagen hätte. Sein Wahlkampf war eingekeilt in einer Partei, deren Vorstand bereit war, so gut wie alles zu tun, um ihn aufzuhalten. Wir brauchen eine neue politische Partei, die vollends lösgelöst vom Geld der Konzerne arbeitet und somit auch nicht von ihnen beeinflusst wird. Fest steht, dass „Socialist Alternative“ und ich Sanders dazu gedrängt haben, nach den Vorwahlen als unabhängiger Kandidat weiter anzutreten. Das hätte Millionen von Menschen motiviert und geholfen, die Grundlage für eine solche Partei zu schaffen.“

Einer Umfrage des Gallup-Instituts vom Oktober zufolge wünschen sich 57 Prozent aller WählerInnen eine dritte Partei. Demselben Institut sagten 42 Prozent im September, dass sie sich als Unabhängige verstehen (und sich nur 29 Prozent als AnhängerInnen der Demokraten und 26 Prozent der Republikaner sehen.)

Trump wurde aus verschiedenen Gründen gewählt – wesentlich war die Ablehnung des Status Quo und die berechtigte Wut auf das Establishment durch Millionen US-AmerikanerInnen. Mangels Alternative wurde Trump zum Gegenkandidaten des Establishments, obwohl er demselben in Wirklichkeit angehört. Claus Ludwig kommentierte dazu treffend: „Es ist keineswegs “unbewusst links”, wenn Teile der Arbeiterklasse vor Wut einem rassistischen Demagogen folgen. Das verkompliziert den Kampf enorm. Aber die Linke muss verdammt noch mal aufhören, diese Leute als dumm abzuqualifizieren. Sie muss aufhören, ihnen ihre Wut ausreden zu wollen. Sie muss aufhören, sich und diesen Leuten die herrschenden Verhältnisse schön zu reden. Sie muss aufhören, all die vernünftigen, progressiven, aufgeklärten, scheißliberalen Architekten des schmutzigen ökonomischen und sozialen Krieges der herrschenden Klasse, die Clintons, Merkel, die Grünen, die Sozialdemokraten für weniger eklig oder gefährlich zu halten als Typen wie Trump.“

Auch in Deutschland diskutiert DIE LINKE, wie wir die AfD bekämpfen können. Die wichtigste Lehre aus den US-Wahlen ist: Alle Träume von Lagerwahlkämpfen mit SPD und Grünen werden uns nicht in die Lage versetzen, jene Menschen zu erreichen, die das politische Establishment zu Recht ablehnen. SPD und Grüne tragen mit ihrer Politik der Kriegseinsätze, des staatlichen Rassismus und der Agenda 2010 eine Mitverantwortung dafür, dass die AfD stark werden konnte. Es ist absurd, nun mit diesen neoliberalen Parteien politische Bündnisse oder gar Koalitionen gegen die AfD zu schmieden. Ein guter Start in das Jahr 2017 könnte darin bestehen, dass DIE LINKE sich weigert, Kandidaten wie Steinmeier zum Bundespräsidenten zu wählen, sondern für die Abschaffung des Amts eintritt – oder zumindest eine Anti-Establishment- Kandidatin aufstellt.

Viele fragen sich, wie Trump jetzt agieren wird. Niemand hat eine Glaskugel, aber es spricht viel dafür, dass die Vertreter des Big Business alles in ihrer Macht stehende tun werden, um Trump einzuhegen. Unzählige Stäbe werden daran arbeiten, dass seine Politik in entscheidenden Bereichen nicht den Interessen von Big Business widerspricht. Es spricht viel dafür, dass Trump viele der Hoffnungen, die er geweckt hat, enttäuschen wird. Er wird weder Jobs schaffen, noch Kleinunternehmer entlasten oder Amerika als unilaterale imperialistische Macht wieder aufbauen.

Rassistische Kräfte in Staat und Gesellschaft werden sich von Trumps Wahlsieg ermutigt fühlen. Die Gefahr für MigrantInnen wächst. Gleichzeitig kann es – und darauf weisen die ersten spontanen Proteste gegen Trump nach der Bekanntwerdung des Wahlerfolgs hin – zu einer Gegenreaktion und Mobilisierungen gegen Rassismus, Sexismus und für gleiche soziale Rechte kommen. Diese könnten auf den bisherigen Bewegungen für einen $15-Mindestlohn, Black Lives Matter, gegen die Dakota-Pipeline und die neu erwachte Umweltbewegung aufbauen.

 

Trump wird US-Präsident

Eine erste Betrachtung von links

„Mit Bernie wäre uns das nicht passiert“ ist die Reaktion vieler, als sie das US-Wahlergebnis sehen. Und tatsächlich zeigt der Sieg Trumps, wohin die Politik der etablierten Parteien führt. Trump ist ein sexistisch-rassistischer Egomane - aber Achtung vor Kurzschlüssen bezüglich der Gründe seiner WählerInnen. Wie bei Hofer und Brexit ist ein zentrales Element die Ablehnung des Establishments, von "denen da oben". Trump gehört, wie auch Hofer, natürlich zu diesem Establishment. Sie sind Teil der reichen, weißen Oberschicht. Sie sind Verfechter einer neoliberalen Politik, die die ArbeiterInnenklasse für eine Krise zahlen lässt, die sie nicht verursacht hat. Aber beiden gelingt es, sich als Opposition zum Establishment zu präsentieren. Die Werte für Clinton, die zu Recht als Teil der Wall-Street-Elite gesehen wird, erreichten bei Unbeliebtheit neue Rekorde. Wie auch jene von Trump. Die herrschende Klasse wird an ihrer Politik, die die Massen der Menschen, also die ArbeiterInnenklasse, in Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst treibt, nichts ändern. Sie wird aber ihre Überlegungen in Richtung Demokratieabbau verstärken. Der Gedanke liegt für die Herrschenden nahe: Wenn die WählerInnen solche Unsicherheitsfaktoren wählen, dann müssen sie die WählerInnen entmachten. Auch in Österreich gibt es, z.B. aus SPÖ-Kreisen, Ideen in Richtung des weit undemokratischeren Mehrheitswahlrechts – doch nicht einmal das hat Clinton in den USA gerettet. Die EU hat in den letzten Jahren mit dem Einsetzen von „Expertenregierungen“ gezeigt, dass demokratische Legitimation durch Wahlen für die herrschende Klasse in dem Maße an Bedeutung verliert, in dem sich die kapitalistische Krise zuspitzt. Kaum eine Regierung kann sich heute noch auf eine Mehrheit, geschweige denn eine Mehrheit der Menschen in ihrem Land, stützen. Die Linke sollte sich hüten, solche arroganten Konzepte mit zu tragen.

Trump mag ein Unsicherheitsfaktor für die herrschende Klasse sein, gleichzeitig verdeutlicht sein Sieg die Krise der bürgerlichen Demokratie im Angesicht der kapitalistischen Krise. Rechtspopulisten, die bei Wahlen traditionelle Parteien hinwegfegen und Demokratieabbau von oben sind zwei Seiten derselben Medaille. In dieser Hinsicht ist Trump alles andere als ein "amerikanisches Phänomen". Seine Wahl ist nur der nächste Dominostein, der in der Krise der bürgerlichen Demokratie fällt. Trump, Putin, Erdogan, Orban, Duterte... sie alle repräsentieren, auf ihre Weise, die autoritäre Wende des Kapitalismus, der sich mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie nicht aus seiner fundamentalen Krise befreien kann.

Die Rechnung für die Logik des „kleineren Übels“

Tatsächlich drückt das Wahlergebnis ganz stark den Wunsch danach aus, dass endlich „etwas anders werden muss“. Für 70% der Trump-WählerInnen war der Glaube daran, dass er „Wandel“ bringt, der wichtigste Grund, ihn zu wählen. Genau hier gilt es anzusetzen. Anstatt die Situation schönzureden und sich dadurch dem Establishment anzuschließen, muss die Linke die berechtigte Wut über Krise, Arbeitslosigkeit und Armut aufgreifen. Die rechten Scheinlösungen scheinen nur solange glaubwürdig, solange es der Linken nicht gelingt, echte Antworten in Form eines radikalen Programms zu formulieren und dafür Kämpfe zu organisieren. Wenn diese Wahl etwas gezeigt hat, dann dass Zurückhaltung und Anpassung Rezepte für die sichere Niederlage sind.

Wenn gefragt wird, wie Trump gewinnen konnte, muss auch gefragt werden, wie Clinton verlieren konnte. Clinton stand für alles, was in den USA falsch läuft: Für Krieg, Korruption, die Wall Street, für systematische Unterdrückung von Nicht-Weißen und vieles mehr. Trump steht für alle falsche Antworten darauf, aber er steht für Antworten. Konfrontiert mit einem nicht mehr tolerablen Status Quo und einem scheinbaren Ausweg daraus wenden sich viele - wenig überraschend - dem scheinbaren Ausweg zu, wie Trotzki zum Ausbruch des 1. Weltkrieges schreibt:

"Solcher Menschen, deren ganzes Leben, tagaus, tagein, in monotoner Hoffnungslosigkeit verläuft, gibt es viele auf der Welt. Auf ihnen beruht die heutige Gesellschaft. Die Alarmglocke der Mobilisierung dringt in ihr Leben ein wie eine Verheißung. Alles Gewohnte, das man tausendmal zum Teufel gewünscht hat, wird umgeworfen, es tritt etwas Neues, Ungewöhnliches auf. Und in der Ferne müssen noch unübersehbarere Veränderungen geschehen. Zum Besseren? Oder zum Schlimmeren? Selbstverständlich zum Besseren: kann es den Pospischil schlimmer ergehen als zu „normalen“ Zeiten?"

Es waren übrigens nicht hauptsächlich die „dummen“ ArbeiterInnen, die mehrheitlich Trump gewählt haben. Die höhere Zustimmung hat er bei Einkommensschichten über 50.000 Dollar/Jahr (das entspricht einem Monatseinkommen von über 3.500 Euro). Trump war nicht der Kandidat der wütenden ArbeiterInnen, er war der Kandidat des verängstigten Kleinbürgertums bzw. der Mittelschichten, die sich sowohl von oben - durch Wall Street usw. - als auch von unten - durch die steigenden Klassenkämpfe und sozialen Bewegungen - bedroht fühlen. Es ist also auch ganz stark eine angsterfüllte Mittelschicht, die, ähnlich wie bei den Pegida-Aufmärschen in Deutschland, Lösungen bei rechten Populisten sucht.

Doch das ist kein Automatismus. Bei den US-Vorwahlen gab es mit Bernie Sanders eine echte Alternative. Viele seiner WählerInnen wollten zu Recht nicht Clinton wählen. Und viele spätere Trump-WählerInnen hätten durch Sanders gewonnen werden können. Sanders sprach ethnische Minderheiten, Frauen und die ArbeiterInnenklasse als Ganze an – auch die Teile, die offen für Trumps Scheinlösungen sind. Doch das Establishment riskierte lieber Trump, als den linken Sanders. Und dieser schwenkte auf den Clinton-Kurs ein, anstatt den Aufbau einer linken Alternative ernsthaft anzugehen und als unabhängiger Kandidat anzutreten. Trumps Sieg ist die Konsequenz der Logik des kleineren Übels. Es wurde gepredigt, dass diese Wahl nicht der richtige Zeitpunkt für linke Proteststimmen ist, dass es jetzt nur darum gehen kann, Trump zu besiegen. Sanders wurde als "unwählbar" abgekanzelt - und hat sich dem auch noch gefügt. Clinton war die Krankheit, Trump das Symptom. Sich mit der Krankheit gegen das Symptom zu verbünden war der Fehler der Linken und der Gewerkschaften. Sie haben die Wut unterschätzt und ihr keinen linken Ausdruck gegeben.

Was jetzt?

Am Beispiel Trump wird sich auch zeigen, wie mächtig Präsidenten tatsächlich sind – denn die WirtschaftsvertreterInnen werden all ihre Macht einsetzen, damit Trump nicht zu unberechenbar wird und weiter in ihrem Interesse agiert. Trumps Berater haben ihm im Vorhinein sogar die Kontrolle über seinen persönlichen Twitter-Account entzogen. Im Handeln des Präsidenten wird sich - wie eh und je - viel weniger sein eigener Wille als der des Kapitals widerspiegeln. Natürlich wird Trumps Unberechenbarkeit dazwischenfunken. Aber er wird weder alleine einen Krieg vom Zaun brechen noch die Beziehungen zu Mexiko oder China zerstören. Im Gegenteil wird Trump als Präsident von unzähligen Stäben in Schach gehalten werden, die versuchen werden dafür zu sorgen, dass seine Politik sich in den entscheidenden Bereichen nicht dramatisch von seinen Vorgängern unterscheidet.

Die Hoffnungen, die Trump geweckt hat, wird er notwendigerweise enttäuschen. Er wird keine Jobs durch die Senkung von Körperschaftssteuern schaffen. Er wird die KleinunternehmerInnen nicht aus ihrer - in ihrer Klassenlage angelegten - Klemme befreien. Er wird die alleinige imperialistische Macht nicht wiederherstellen können. Er wird somit unweigerlich noch größere Wut produzieren. Das wird sowohl die ArbeiterInnenbewegung und Klassenkämpfe hervorrufen als auch die reaktionären Teile des Kleinbürgertums. Auch wenn sich manche Trump-WählerInnen einen Freibrief für rassistische Übergriffe, den Angriff auf Frauen- und Minderheitenrechte erhoffen, deckt sich das nicht einfach mit den Interessen der herrschenden Klasse – und wird mit massivem Widerstand konfrontiert sein. Alle Kämpfe, die wir aktuell sehen: Der Kampf um einen $15-Mindestlohn, Black Lives Matter, die erwachte Umweltbewegung und der Kampf für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen etc. werden in der nächsten Periode auf eine höhere Ebene gehoben und noch stärker in Verbindung zueinander gesetzt werden.

Sanders‘ Unterstützung für Clinton war ein großer Fehler, der wieder einmal gezeigt hat, dass es keinen Sinn macht auf das „kleinere Übel“ zu setzen – vor allem jetzt, wo die etablierten Parteien in einer fundamentalen Krise sind. Trump hat die zwei traditionellen politischen Parteien der mächtigsten herrschenden Klasse der Welt von außen überrumpelt. Republikaner und Demokraten sind als Papiertiger entlarvt. Jetzt geht es darum, daraus zu lernen. Die ArbeiterInnenbewegung und die zahlreichen sozialen Bewegungen müssen die akute Schwäche der politischen Apparate nützen und nach vorne preschen. Sie müssen endlich die linke Alternative aufzubauen, die es so dringend braucht, um der berechtigten Wut gegen die herrschende Elite und der berechtigten Angst vor der Zukunft ein wirkliches, ein linkes, ein kämpferisches, ein die ArbeiterInnenklasse vereinigendes Ventil und Instrument zu geben. Unsere Schwesterorganisation Socialist Alternative, die in den letzten Jahren spektakuläre Erfolge erzielen konnte und eine treibende Kraft auf der Linken in den USA ist, wird sich dafür mit aller Kraft einsetzen. Trumps Sieg ist kein Zeichen der Stärke der Rechten sondern der Schwäche der herrschenden Klasse. Deswegen gelten die Worte des ArbeiterInnenaktivisten Joe Hill kurz vor seiner Erschießung durch den US-amerikanischen Staat heute besonders: "Don't mourn - Organize!" – „Klagt nicht – Organisiert euch!“

http://www.socialistalternative.org/

Mehr zum Thema: 

USA: Gegen die Agenda der Reichen - "Wählt Jill Stein!"

Kshama Sawant

Die meisten fortschrittlichen WählerInnen werden Hillary Clinton ihre Stimme geben, um einen Donald Trump im Weißen Haus zu verhindern. Das ist nachvollziehbar. Viel wichtiger ist es aber, eine Alternative zu den pro-kapitalistischen Parteien aufzubauen

von Kshama Sawant, sozialistische Stadträtin in Seattle und Mitglied von „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in den USA); zuerst veröffentlicht in „The Nation

Üblicherweise sind Jahre, in denen Präsidentschaftswahlen stattfinden, nicht gerade von starken sozialen Bewegungen gekennzeichnet. Allzu oft sorgt der Präsidentschaftswahlkampf dafür, dass es auf der politischen Bühne kaum noch Platz für andere Themen gibt. Auf diese Weise wird die Debatte verlagert. Sie bewegt sich weg von den Bedürfnissen der „einfachen Leute“ und hin zur trügerischen Wahl zwischen einem konzernfreundlichen „Demokraten“ und einem noch schrecklicheren „Republikaner“.

In diesem Jahr ist das jedoch anders. Zehntausende Menschen sind dabei, zum ersten Mal in ihrem Leben politisch aktiv zu werden. Allein in den letzten Monaten haben wir die Nachkommen der amerikanischen UreinwohnerInnen erlebt, wie sie im Reservat Standing Rock zu Kundgebungen zusammenkommen sind, um gegen die Dakota-Pipeline zu protestieren. Es war der Anlass für das größte Treffen von Indianerstämmen in diesem Jahrhundert. Dieses mutige Aufbegehren hat die Aufmerksamkeit sowohl auf den historischen und anhaltenden Widerstand dieser Volksgruppen gegen vertraglich ratifizierte Nachteile gelenkt wie auch den Fokus auf das Thema Klimawandel gerichtet. Und eine der letzten viel sagenden Meldungen aus diesem Wahlkampf war, dass zu den mutigen ProtestteilnehmerInnen am Standing Rock, gegen die Haftbefehle erlassen worden sind, auch die Kandidatin der „Green Party“, Jill Stein, gehört.

In den letzten Wochen haben wir erlebt, wie der Quarterback der Football-Mannschaft „San Francisco 49ers“, Colin Kaepernick, massive Unterstützung bekommen hat. Er hatte sich geweigert, beim Abspielen der Nationalhymne aufzustehen (um Protest gegen Polizeigewalt an dunkelhäutigen US-AmerikanerInnen zu äußern; Erg. d. Übers.). Ins Auge fällt dabei, wie schwach die politische Rechte aufgetreten ist, um ihn an dieser Aktion zu hindern. Fakt ist, dass die Unterstützung für ihn überall im Land zunimmt. Bundesweit kommt es zu einem unglaublichen Sinneswandel – nicht nach rechts sondern nach links. Eine Umfrage des Instituts „GenForward“ vom August hat gezeigt, dass 51 Prozent der hellhäutigen jungen Leute die neue Bürgerrechtsbewegung „Black Lives Matter“ unterstützen. Eine weitere Erhebung brachte zutage, dass 58 Prozent der AmerikanerInnen dafür sind, den Mindestlohn auf 15 Dollar die Stunde anzuheben. Auch die Unterstützung für sozialistische Ideen wird stärker. Das alles ist das Ergebnis einer mehr und mehr in Verruf geratenen Politik, die sich nur an den Interessen der Konzerne orientiert. Es geht gegen das kapitalistische System, das gescheitert ist.

Und dennoch haben die „einfachen Leute“ bei den Präsidentschaftswahlen das Gefühl, desillusioniert und machtlos zu sein. Für Donald Trump haben viele nur Abscheu übrig. Durchgehend über 60 Prozent der Menschen äußern in Meinungsumfragen, dass sie ihn und seinen Fanatismus ablehnen. Bei Trump handelt es sich um den unbeliebtesten Kandidaten, den eine der beiden großen Parteien je aufgestellt hat. Er hat es verdient, eine Klatsche zu bekommen. Kaum zu glauben, dass die „Demokraten“ es hinbekommen haben, mit Hillary Clinton die zweit-unbeliebteste Kandidatin der Geschichte ins Rennen geschickt zu haben. Wenn nach ihr gefragt wird, äußern sich 56 Prozent ablehnend. Um es ganz klar zu sagen: Ich will, dass Trump diese Wahl verliert. Doch die progressiven WählerInnen sollten nicht für Clinton stimmen. Ihre engen Verbindungen zu den US-amerikanischen Konzernen und ihre brutal neoliberale Agenda wird – auch für den Fall, dass sie gewinnt – nur dafür sorgen, dass der rechtsgerichtete Populismus noch mehr Zulauf bekommt.

Die Milliardäre, die zu Clintons Unterstützerkreis gehören und den ganzen August über mit ihr zu Tisch gesessen haben, verlangen von ihr, dass sie den „einfachen Leuten“ so wenig wie möglich verspricht. Schließlich fürchten sie, dass es unter einer von ihr geleiteten Administration zur Entwicklung von Massenbewegungen kommen könnte. Sie wissen, dass die arbeitenden Menschen – und vor allem die jungen Leute – so angestachelt sind wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Emails, die vor kurzem aus dem Büro von Nancy Pelosi (Vorsitzende der demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus) verschickt, abgefangen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, enthalten konkrete Anweisungen, dass man sich nicht auf die Forderungen der „Black Lives Matter“-Bewegung einlassen darf.

Die „Democratic Party“ hat ein besonderes Talent, die politische Rechte in Position zu bringen. Präsident Obama ist 2008 auf einer Welle des Widerstands zu ersten Mal ins Amt gewählt worden. Die Menschen hatten genug von George W. Bush, der damals schon acht Jahre an der Macht war und nur Kriege sowie Steuererleichterungen für die Reichen gebracht hat. Doch auch Obama und die „Demokraten“ haben die Wall Street weiterhin mit Rettungspaketen versorgt und zugesehen, wie Millionen von Menschen ihre Eigenheime verloren haben. Die Vorstände der Gewerkschaften wie auch die meisten progressiven Organisationen haben ihn einfach gewähren lassen. Das hat der „Tea Party“ die Möglichkeit verschafft, die berechtigte Wut weiter Teile der arbeitenden Klasse und der Mittelschicht ausbeuten zu können. Erst im Jahr 2011 verlieh die Bewegung „Occupy Wall Street“ der weit verbreiteten Wut über die konzernfreundliche Politik einen echten und links ausgerichteten Ausdruck.

Wandel wird durch Massenbewegungen erreicht, er kommt nicht einfach von oben, wie Bernie Sanders so treffend gesagt hat. Sein Wahlkampf hat eindrücklich bewiesen, dass „einfache Leute“ eine einflussreiche Wahlkampf-Bewegung aufbauen können, die ihre Interessen vertritt, ohne auch nur einen Penny von den US-amerikanischen Konzernen anzunehmen. Die Umfragen haben durchgehend belegt, dass Sanders – wäre er nominiert worden – Trump bei den Präsidentschaftswahlen geschlagen hätte. Sein Wahlkampf war eingekeilt in einer Partei, deren Vorstand bereit war, so gut wie alles zu tun, um ihn aufzuhalten.

Wir brauchen eine neue politische Partei, die vollends lösgelöst vom Geld der Konzerne arbeitet und somit auch nicht von ihnen beeinflusst wird. Fest steht, dass „Socialist Alternative“ und ich Sanders dazu gedrängt haben, nach den Vorwahlen als unabhängiger Kandidat weiter anzutreten. Das hätte Millionen von Menschen motiviert und geholfen, die Grundlage für eine solche Partei zu schaffen.

Es ist in diesem Kalenderjahr aber immer noch möglich, sich für eine staatlich finanzierte Krankenversicherung, kostenlose Hochschulen, einen Mindestlohn von 15 Dollar, einen raschen Abschied von den fossilen Energieträgern und ein Ende der schier endlosen Kriege einzusetzen. Deshalb unterstütze ich Jill Stein. Wichtig ist, dass sie so viele Stimmen wie nur irgend möglich erhält, damit wir weiter daran arbeiten können, die sozialen Bewegungen noch mächtiger werden zu lassen und gegen die Rechte in Person von Trump und Gary Johnson von der „Libertarian Party“ anzukämpfen. Die Letztgenannten besitzen beide die Dreistigkeit, sich als „Anti-Establishment“-Kandidaten darzustellen.

Viele progressive WählerInnen werden trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Clintons Politik der Kandidatin der „Demokraten“ ihre Stimme geben. Der einfach Grund dafür lautet: Die sollen verhindern, dass Trump einen Fuß ins Weiße Haus setzt. Ich kann den Wunsch, Trump verlieren zu sehen, vollkommen nachvollziehen. Wichtiger aber ist es, einen Prozess in Gang zu setzen, der eigentlich schon längst hätte beginnen müssen: Den Aufbau einer Alternative zu den pro-kapitalistischen Parteien, die in der US-amerikanischen Politik das Monopol inne haben.

Der Wahlkampf von Jill Stein bietet die Gelegenheit, um die Unterstützung für das zusammen zu bekommen, was allgemein gewünscht und notwendig ist: den radikalen Wandel. Selbst wenn nur einige Millionen für sie stimmen, so wäre das ein eindrucksvoller Ausdruck für die sich ändernde politische Landschaft. Das wäre ein Vorschuss für eine völlig neue Art von Politik in den kommenden Jahren und für eine neue Partei, die sich auf die sozialen Bewegungen und die „einfachen Leute“ gründet – eine Partei, von und für die viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“.

 

Türkei: Für die sofortige Freilassung der HDP-PolitikerInnen

Aufruf von Sosyalist Alternatif (Sektion des CWI in der Türkei)

In der Nacht des dritten November fanden Razzien der türkischen Polizei in den Wohnungen führender Mitglieder und MandatsträgerInnen der linken, prokurdischen Partei HDP statt. Die beiden Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yuksekdag, sowie mindestens neun Abgeordnete, wurden verhaftet und in Gewahrsam genommen.

In Ankara wurde die Geschäftsstelle der Partei ebenfalls gewaltsam durchsucht. Diese Überfälle fanden mitten in der Nacht statt, gepaart mit dem gewohnten Herunterfahren der sozialen Medien durch den Staat – offensichtlich der Versuch, das Verbreiten wütender Reaktionen zu verhindern.

Das passiert im Anschluss an die Festnahmen vom letzten Sonntag, bei denen die beiden HDP-Bürgermeister der kurdischen Stadt Diyarbakir verhaftet wurden. In den letzten Monaten wurden immer wieder demokratisch gewählte, kurdische BürgermeisterInnen willkürlich abgesetzt. An ihre Stelle traten ernannte Verwaltungsbeamte, welche im Sinne der Zentralregierung agieren. All das geschieht unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den „Terrorismus“. Dieses Label nutzt die Regierung nach Belieben, um jedwede Opposition zum Schweigen zu bringen.

Die neuen Verhaftungen einflussreicher Figuren aus der HDP und der kurdischen Bewegung suchen jedoch ihresgleichen. Sie markieren eine neue Phase der Repression in der Türkei, welche sich gegen alles und jeden richtet, was Präsident Erdogan und der herrschenden AKP im Weg steht. Diese sind gewillt, ihre Machtkontrolle auszubauen.

Die HDP steht dabei in der Feuerlinie. Als Hauptoppositionskraft des Landes hat sie sich nicht dem sogenannten „Nationalen Konsens“ angeschlossen, welcher aus dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli entstanden war. Die HDP wird von Erdogan als das politische Hindernis für seinen weiteren Weg gesehen: die nötigen Bedingungen herstellen, um eine präsidiale Diktatur zu etablieren.

Umfassender Gegenputsch

Nach dem gescheiterten Putsch des Sommers hat ein umfassenderGegenputsch stattgefunden – mit dramatisch zunehmenden Angriffen auf demokratische Rechte im Land. Alle Stimmen wirklicher Opposition sind Zielscheiben geworden. Viele AkademikerInnen, JournalistInnen und politische AktivistInnen wurden verhaftet. Tausende Staatsbedienstete haben ihren Job verloren und kritische Medien werden willkürlich abgeschaltet. Erst letzten Montag wurden der Chefredakteur und mehrere Mitarbeiter von „Cumhuriyet“, eine der größten oppositionellen türkischen Zeitungen, festgesetzt.

Zur gleichen Zeit eskaliert der Krieg, welcher Erdogans Prestige und seine regionalen Ambitionen steigert. Das erhöht die Gefahr von noch mehr Blutvergießen und Unsicherheit drastisch für alle Menschen in der Türkei, in Kurdistan und der gesamten Region.

Sosyalist Alternatif, sowie das ganze CWI, verurteilen die neuen Verhaftungen und verlangen die sofortige Freilassung aller HDP-RepräsentantInnen. Wir unterstützen Massenmobilisierungen und -proteste von unten und tappen nicht in die Falle, die staatlichen Provokationen mit individuellen Gewalttaten zu vergelten. Eine Autoexplosion von heute morgen in Diyarbakir – möglicherweise als Antwort auf die Verhaftungen -, welche mindestens acht Menschen getötet hat, ist die Art kontraproduktiver Erwiderung, welche die repressiven und spaltenden Regierungsvorhaben erleichtert. Solche Aktionen untergraben den Aufbau einer effektiven, vereinten Oppositionsbewegung gegen Erdogans Regime.

Mehr als je zuvor ist Einheit der arbeitenden Bevölkerung und Solidarität gegen Repression, Terror und Krieg nötig. Die Arbeiter- und Studierendenbewegung, sowie der Rest der Linken auf beiden Seiten der ethnischen Gräben müssen zusammenkommen, um eine schnelle Antwort auf den Ansturm des türkischen Staats zu formulieren. Massendemonstrationen und -streiks müssen im ganzen Land organisiert werden, um – in Verbindung mit internationalen Solidaritätsaktionen – nachhaltige Kämpfe aufzubauen, welche Erdogans Politik herausfordern können.

  • Sofortige Freilassung aller Abgeordneten und AnführerInnen der HDP
  • Wiedereinstellung der demokratisch gewählten BürgermeisterInnen
  • Schluss mit dem Ausnahmezustand und der Verfolgung andersdenkender Stimmen
  • Für volle demokratische Rechte; einschließlich des Rechts, sich zu organisieren und zu protestieren
  • Für Meinungs-, Presse- und Medienfreiheit
  • Nein zu neuen Kriegen und Besatzungen, Abzug der Truppen
  • Für vereinte Proteste in der ganzen Türkei und international als Startpunkt für den Aufbau von Gegenwehr zur Erdogan-Herrschaft
  • Nieder mit Erdogan und dem kapitalistischen AKP-Regime

Bitte schick Protestbriefe an das türkische Justizministerium an info@adalet.gov.tr (Kopie ancwi@worldsoc.co.uk)

 

Mehr zum Thema: 

Die USA im Umbruch

Die USA erleben im Moment die größten sozialen und gesellschaftlichen Kämpfe seit den 1960ern.
Nicolas Prettner

Mit „Yes we can!“ hatte Obama in seinem Wahlkampf 2008 Begeisterung erzeugt. Doch von dieser Phrase lässt sich schon lange niemand mehr begeistern. Immer mehr Menschen in den USA verlieren das Vertrauen in das Establishment, seine Parteien, die Demokraten und Republikaner, und in das kapitalistische System an sich. Laut Umfragen misstrauen 32% der Bevölkerung dem Supreme Court, dem höchsten Gericht in den USA. 51% aller Jugendlicher lehnen den Kapitalismus ab und 33% davon sprechen sich sogar für Sozialismus aus. Woher kommt das?

Von der herbeigeschriebenen wirtschaftlichen Erholung merkt ein Großteil der Bevölkerung nichts. Im Gegenteil: die sozialen und gesellschaftlichen Probleme nehmen zu. Laut einer Studie sind Studierende heute so politisch aktiv und linksgerichtet wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Diese Generation hat Rezession mitgemacht, den Irak-Krieg miterlebt, ist mit den Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert und wird einen niedrigeren Lebensstandard als ihre Eltern haben.

Im Zuge dieser gesellschaftlichen Radikalisierung nach links kommt es in vielen Bereichen vermehrt zu Protestbewegungen. Die LGBTQ-Bewegung setzt sich im Kampf um das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe in immer mehr Staaten durch. Der Kampf um einen $15 Mindestlohn konnte schon eine Reihe an Erfolgen erzielen, nachdem in Seattle der Durchbruch gelang. „Black Lives Matter“ kämpft gegen Rassismus, Polizeigewalt und Racial Profiling. Auf regelmäßiger Basis können immer wieder tausende Menschen mobilisiert werden und im Gegensatz zu früheren BürgerInnenrechtsbewegungen grenzen sich die meisten AktivistInnen klar von der Demokratischen Partei ab. Aber auch zum Thema Umweltschutz gibt es große Bewegungen. Im Moment beteiligen sich Tausende an Protesten gegen die Dakota Access Pipeline, ein Bauprojekt, das die Wasserversorgung von Millionen Menschen bedroht. In den letzten Monaten gab es eine Reihe kämpferischer Streiks, etwa beim Mobilfunkanbieter Verizon oder bei den LehrerInnen in Chicago.

Hinzu kommt noch, dass sich die Herrschenden in einer massiven Krise befinden. Ihre bisherigen politischen Vertretungen, die zwei großen Parteien, erweisen sich als zunehmend unfähig, stabile Herrschaft in instabilen Zeiten zu garantieren. Trump ist das beste Beispiel. Er gewann die Nominierung der Republikaner aufgrund des sehr schlechten Zustandes der Partei. Sein populistisches Auftreten spricht viele an, die von der konzernfreundlichen Politik genug haben. Doch das ändert nichts daran, dass er der unpopulärste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten ist – und Clinton ist am zweiten Platz. Die Wut auf das Establishment und seine Parteien zeigte sich auch in der Kampagne von Bernie Sanders, der sich selbst als Sozialist bezeichnete und zur politischen Revolution gegen das sogenannte „obere 1%“ aufrief. Beide Parteien befinden sich in tiefen Krisen und schaffen es nicht einmal, ihre Parteitage ohne Skandale über die Bühne zu bringen. Zu Recht haben immer mehr Menschen die Nase voll von ihnen. Eine Umfrage aus dem Jahr 2014 zeigt, dass sich bereits 58% aller AmerikanerInnen für eine dritte Partei aussprechen. Dieser Trend wird noch weiter steigen.

Einige, die ursprünglich Sanders unterstützt haben, werden sich dem scheinbar kleineren Übel Clinton beugen. Manche werden sogar Trump wählen, um ihrer Wut über das Establishment Ausdruck zu verleihen. Doch für viele war die Erfahrung von Sanders‘ Ausverkauf eine wichtige Lehre: Es braucht eine unabhängige, sozialistische Kraft. Die momentanen Klassenkämpfe bringen immer mehr Menschen linke und sozialistische Ideen näher und können ein wichtiger Schritt in Richtung einer solchen Partei sein.

 

Mehr zum Thema: 

Das Ende des amerikanischen Traums

Haus, Auto, Job – immer mehr US-AmerikanerInnen können davon tatsächlich nur mehr träumen.
Sebastian Kugler

Erinnert sich noch jemand an die erfolgreiche Sitcom „Hör mal, wer da hämmert“? Darin spielt Tim Allen einen tollpatschigen Heimwerker, der mit seiner Musterfamilie in seinem Musterhaus in der Industriemetropole Detroit lebt. Die Allens leben, wie so viele Fernsehfamilien, den amerikanischen Traum: Haus, Auto(s), Familie, Sicherheit, Freiheit, und das alles eingebettet in eine endlos boomende Wirtschaft, in der es jeder und jede schaffen kann. Tatsächlich hievten der Nachkriegsboom und die imperialistische Vormachtstellung Teile der US-ArbeiterInnenklasse auf einen vergleichsweise hohen Lebensstandard. „Wenn du deinen ersten Lohnzettel von Steel and Tube in der Hand hattest, konntest du in die Stadt gehen und dir einen Kühlschrank kaufen und alles, was du wolltest – du konntest überall anschreiben lassen“, meint Granison Trimiar, ein schwarzer Stahlarbeiter, über die Zeit um 1968 in George Packers Reportage „Die Abwicklung“.

Das galt natürlich nie für alle. Für große Teile der US-ArbeiterInnenklasse, v.a. Frauen und Nicht-Weiße, war der amerikanische Traum nie erreichbar. Und der Mythos der zufriedenen US-AmerikanerInnen im goldenen Käfig hält der Realität nicht stand: In den letzten 100 Jahren gab es in jedem Jahrzehnt massive soziale Bewegungen – von den militanten Streiks der 1930er über die Bürgerrechtsbewegung, die Antikriegsbewegung und die Frauenrechtsbewegung in den 1960ern, der LGBTQ-Bewegung, die Aufstände in schwarzen Armenvierteln in den 1990ern, der Anti-Globalisierungsbewegung in den 2000ern bis zu Occupy und den aktuellen sozialen Explosionen.

Trotzdem gelang es dem US-amerikanischen Kapitalismus dank wirtschaftlicher Stärke und einem äußeren Feindbild während des Kalten Krieges, die Kontrolle und die Loyalität von bessergestellten Teilen der ArbeiterInnenklasse mehr oder weniger zu behalten. Doch diese Fassade begann zu bröckeln. Denn genau in der Zeit, in der ArbeiterInnen wie Trimiar begannen, in der US-Industrie zu arbeiten, leitete das Kapital weitreichende Veränderungen in der Produktion ein. Als Reaktion auf das Ende des Booms und verstärkte Konkurrenz aus dem Ausland wurde die Produktion automatisiert und ausgegliedert. Die Folgen: Arbeitslosigkeit, Zerschlagung gewerkschaftlicher Rechte, Verschlechterung von Arbeitsbedingungen und Lohndruck. „Die Mechanisierung der Industrie erzeugt einen relativen Bevölkerungsüberschuss, der für die Beschäftigung zu den für diese neuen Massenberufe charakteristischen niedrigen Lohnsätzen zur Verfügung steht“, schrieb damals der Fabrikarbeiter und revolutionäre Sozialist Harry Braverman in seinem Buch „Die Arbeit im modernen Produktionsprozess“.

An die Stelle der gut bezahlten Industriejobs traten also neue, schlecht bezahlte Massenberufe in weniger mechanisierten Sektoren wie im Dienstleistungsbereich und im Einzelhandel. Die wirtschaftliche und soziale Struktur der USA begann sich grundsätzlich zu ändern. Aus dem Herzland der Industrie, das sich im Osten von Philadelphia über New York bis in den Norden nach Detroit erstreckte, wurde der „Rust Belt“ („Rostgürtel“). In den 1990ern, als Tim Allen in Detroit hämmert, ist die Stadt bereits längst am absteigenden Ast. Lebten dort 1950 noch 1,8 Millionen Menschen, sind es jetzt nur noch knapp 700.000. 2014 reichte Detroit Konkurs ein.

Der Niedergang der US-Industrie und die neoliberale Wende durch Carter und Reagan bedeuteten das endgültige Aus des amerikanischen Traums als Massenideologie. Ein Haus mit Garten, früher nach ein paar Jahren Arbeit als Alleinverdiener leistbar, wurde nur mehr durch Aufnahme von Krediten und mindestens zwei Einkommensquellen möglich. Auf allen Ebenen wurde dereguliert. Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Drogenmissbrauch stiegen massiv an. Das spiegelte sich auch in der „Traumfabrik“ Hollywood wider: Das Kino in den 1980er Jahren wurde merklich düsterer, an die Stelle des optimistischen Blicks in die Zukunft traten die düsteren Zukunftsszenarien von „Blade Runner“ und „Mad Max“.

Der Trend setzte sich in den 1990er Jahren fort. Im Zuge des „Krieges gegen Drogen“ wurde vor allem die schwarze Bevölkerung Ziel einer gigantischen Welle an Gewalt und Repression. Die durch die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung genährte Hoffnung, Schwarze könnten in diesem System ihrer Unterdrückung entkommen, wurde brutal zerstört.

 

Das Ende des amerikanischen Traums ist der Beginn einer Periode der Rebellion.

Natürlich gelang es den Herrschenden immer wieder, die inneren Widersprüche zu kaschieren und sozialen Zusammenhalt zu beschwören. Die Anschläge des 11. September 2001 nützte die Bush-Regierung, um eine Welle des Patriotismus loszutreten. Doch als Bush im Zuge von Hurricane Katrina 2005 über 1800 Menschen in New Orleans sterben ließ und die Folgen des Irakkriegs sichtbar wurden, war es damit auch wieder vorbei.

Die verheerende Krise 2007/8 eröffnete schließlich die aktuelle Periode sozialer Unruhen. Das Ende des Nachkriegsbooms hatte zu einer ersten Weltwirtschaftskrise in den 1970ern geführt, deren Opfer die US-Industrie wurde. Der wirtschaftliche Niedergang der USA wurde aber vorübergehend abgefedert durch die imperialistische Politik, die Expansion des Kreditvolumens und eine riesige Immobilienblase. Dazu kam noch die Integration zuvor außerhalb des Arbeitsmarktes stehender Teile der ArbeiterInnenklasse wie Frauen in neue, Niedriglohn-Massenberufe. Doch genau diese Entwicklungen lösten die Wirtschaftskrise schließlich aus. Die Krise stürzte Millionen in Armut, Arbeits- und Obdachlosigkeit.

Die Hoffnung, die die Wahl von Obama brachte, zerschellte an der düsteren Wirklichkeit. Unter Obama erreichten die sozialen Widersprüche ihr bislang höchstes Niveau: Vor vierzig Jahren lag der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen den reichsten und den ärmsten 10% bei einem Jahr – heute sind es 14 Jahre. Verdienten führende ManagerInnen, Vorstände und GeschäftsführerInnen in den 1970ern noch durchschnittlich das 30fache von ArbeiterInnen, ist es heute das 296fache. Die Situation der schwarzen Bevölkerung hat sich unter Obama weiter verschlechtert: Heute sind mehr Schwarze in Gefängnisse gesperrt als 1850 versklavt waren. Auch sind mehr Menschen denn je vom Wahlrecht ausgeschlossen: Denn um zu wählen, braucht man einen Ausweis und einen festen Wohnsitz – und das haben Millionen US-AmerikanerInnen, die z.B. in den Wohnwagensiedlungen außerhalb der Städte leben müssen, nicht.

Enttäuscht von Obama und wütend über die Politik im Sinne der Banken und Konzerne, sahen beim Ausbruch der Occupy-Bewegung 2010 Millionen Menschen zum ersten Mal, dass sie mit ihrer Wut nicht alleine waren. Seither kommt das Land nicht zur Ruhe: NiedriglohnarbeiterInnen kämpfen für einen $15 Mindestlohn, Schwarze gegen Polizeigewalt und Rassismus, UmweltaktivistInnen gegen ökologische Zerstörung und vieles mehr.

Vor allem Jugendliche beginnen nun, andere Träume zu träumen. In einer aktuellen Protestwelle boykottieren sogar immer mehr das Aufstehen zur Nationalhymne. Die, die nichts mehr kennen als Niedriglohnjobs, Schulden und Polizeigewalt. Die, die von Obama enttäuscht und dadurch radikalisiert wurden, die aus den Erfahrungen mit Occupy gelernt haben, sich zu organisieren. Die, die sich nun in Umfragen mehrheitlich gegen den Kapitalismus aussprechen und für sozialistische Ideen interessieren – Sie können die Träume von einer Welt ohne Ausbeutung und Armut Wirklichkeit werden lassen.

 

Mehr zum Thema: 
Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Gibt es keine Kampfpartei, müssen wir sie gründen

Der US-Kapitalismus ist diskreditiert, auf der Suche nach sozialistischen Antworten finden viele das CWI
Flo Klabacher

„Socialist Alternative“ (SAlt), die Schwesterpartei der SLP in den USA wurde in den letzten Jahren zu einer der bedeutendsten linken Kräfte und spielt in vielen Bewegungen eine zentrale Rolle. Dank einer marxistischen Analyse der gesellschaftlichen Entwicklungen gelingt es, Perspektiven von Bewegungen einzuschätzen und die richtigen Schwerpunkte zu setzen.

Breiten Schichten wurde SAlt bekannt, als Kshama Sawant 2013 als erste Sozialistin seit Jahrzehnten in den Stadtrat von Seattle gewählt wurde. 2011 begann die „Occupy“-Bewegung, auf die Straßen zu mobilisieren und zentrale Plätze zu besetzen. Der Slogan „Wir sind die 99%“ politisierte eine neue Generation von AktivistInnen. SAlt erkannte, dass mit dem Schwung der Bewegung das Zwei-Parteien-System von Republikanern und Demokraten aufgebrochen werden kann. Sie rief dazu auf, bei Wahlen im ganzen Land 200 Occupy-KandidatInnen gegen Privatisierungen, Kürzungspolitik, Rassismus und Umweltzerstörung aufzustellen. In Verbindung mit der Kampagne für einen Mindestlohn von $15 für alle und getragen von 450 unbezahlten, überzeugten AktivistInnen, gelang so in Seattle der Einzug in den Stadtrat. Das Amt wird seither genutzt, um Bewegungen von ArbeiterInnen und Jugendlichen eine politische Stimme zu geben. Der $15 Mindestlohn konnte so erkämpft und die Bewegung auf die gesamten USA ausgebreitet werden. Der Bau eines Polizeizentrums um $160 Mio. an Steuergeldern wurde verhindert – gefordert wird stattdessen der Bau von 1.000 neuen Wohnhäusern. Die Beschäftigten der Kette „REI“ erreichten Lohnerhöhungen durch eine Kampagne, die maßgeblich von SAlt unterstützt wurde.

Solche Erfolge bestätigen, dass die Art, wie die Mitglieder des CWI weltweit politische Arbeit machen, den Unterschied machen kann, wenn es darum geht, Kämpfe zu gewinnen. SAlt erklärte aber von Beginn an, dass die Herrschenden alles versuchen werden, um Verbesserungen rückgängig zu machen; dass starke Gewerkschaften und eine breite ArbeiterInnenpartei notwendig sind, um sie zu verteidigen; dass der Kapitalismus und seine Krisen zu immer härteren Angriffen auf den Lebensstandard und die Rechte von ArbeiterInnen, Arbeitslosen, Jugendlichen, Frauen, Schwarzen und anderen ethnischen Minderheiten führen – und dass es deshalb notwendig ist, eine revolutionäre, sozialistische Partei aufzubauen, um dieses System zu stürzen. Auch wenn die konkreten Vorstellungen davon, was darunter zu verstehen ist durchaus unterschiedliche sind, so sympathisieren doch viele mit dem Begriff „Sozialismus“. Es gibt eine Basis für den Aufbau einer breiten, sozialistischen Bewegung in der nächsten Periode, vor allem unter StudentInnen und Jugendlichen. Mit der Gründung von „Socialist Students“ durch SAlt gibt es nun an vielen Universitäten wöchentliche Treffen und Diskussionen.

Mit Bernie Sanders bekam bei den Vorwahlen ein Kandidat, der sich als Sozialist bezeichnet, bei Unter-30-Jährigen mehr Stimmen als Clinton und Trump zusammen! Hunderttausende AktivistInnen des Kampfes für einen $15 Mindestlohn, Black Lives Matter sowie UmweltaktivistInnen und GewerkschafterInnen wurden in Sanders‘ Kampagne aktiv. SAlt war sich der eng begrenzten Möglichkeiten einer linken Bewegung innerhalb der Demokratischen Partei bewusst, sah aber auch das Potential von Sanders‘ Kampagne voraus und organisierte über die unabhängige Plattform „Movement4Bernie“ unzählige Straßenaktionen und Diskussionen.

Ohne Illusionen in Sanders zu schüren, stand SAlt dadurch Seite an Seite mit vielen AktivistInnen, die von seiner Kampagne angezogen wurden. Sanders kehrte nach seiner Niederlage bei den Vorwahlen der Bewegung den Rücken und unterstützt jetzt Clinton. Doch hunderte enttäuschte und wütende „Sandernistas“ kommen nun zu den „Beyond Bernie“ Treffen von SAlt, um zu diskutieren, wie die „politische Revolution gegen die Klasse der MilliardärInnen“ fortgesetzt und eine unabhängige Partei der „99%“ aufgebaut werden kann. Viele AktivistInnen der Bewegung konnte SAlt durch eine bewusste Intervention in die Sanders-Kampagne für den Aufbau einer revolutionären Partei gewinnen. Gestärkt durch neue AktivistInnen ist SAlt in praktisch allen sozialen Bewegungen in den USA aktiv: Vom Allina-Pflege-Streik in Minnesota bis zu den Protesten gegen eine für die Umwelt verheerende Öl-Pipeline durch das Gebiet der Standing-Rock-Sioux-Reservate in North Dakota.

„Wenn wir in eine Bewegung intervenieren, tun wir das nicht, um einfach nur Teil davon zu sein. Wir haben ein Konzept davon, was nötig sein wird, um einen Sieg zu erreichen. Intervenieren heißt, einen aktiven, bewussten Zugang dazu zu haben, wie sozialistische Ideen und Strategien eingebracht werden können, um der ArbeiterInnenklasse dabei zu helfen, ihre Kämpfe weiterzuentwickeln“, bringt es Teddy Shibabaw, Aktivist aus Madison, auf den Punkt.

 

Mehr zum Thema: 
Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Marx aktuell: USA: Den Zwei-Parteien-Zirkus verlassen

Franz Neuhold

Bereits in der Zwischenkriegszeit prägte das Fehlen einer ArbeiterInnen-Massenpartei Gesellschaft und Politik in den USA. In Europa hatten sich um und nach 1900 in Europa ihrem Kern nach ArbeiterInnen-Parteien mit (klein)bürgerlichen Führungen entwickelt. In den USA existieren trotz radikaler ArbeiterInnenbewegung bis heute zwei Hauptparteien, die beide eindeutig sowohl bürgerliche Basis als auch Führung und Zielsetzungen haben. In sklavischer Unterordnung oder als Feigenblatt der „Demokratischen Partei“ findet sich seitdem jedoch ein Teil der ArbeiterInnen- und Gewerkschafts-Bewegung. Bis zum heutigen Tag müssen sich kämpferische GewerkschafterInnen sowie AktivistInnen sozialer und antirassistischer Bewegungen für die Selbstverständlichkeit rechtfertigen, dass sie nicht am Gängelband einer pro-kapitalistischen Partei hängen wollen.

Doch Mitte der 30er ging es rund in Gewerkschaften und Politik. Der Revolutionär Leo Trotzki formulierte 1938 im „Übergangsprogramm“: „Die beispiellose Streikwelle mit Fabrikbesetzungen und das erstaunlich rasche Wachstum der Industriegewerkschaften in den USA sind der deutlichste Ausdruck des instinktiven Strebens der amerikanischen Arbeiter, sich auf die Höhe der Aufgaben zu erheben, die Ihnen die Geschichte auferlegt hat.“

Parallel dazu fand die Gründung der Socialist Workers Party als US-Sektion der „Vierten Internationale“ statt. Wirtschaft und politisches System lagen in schweren Krämpfen. Bedeutende Teile der ArbeiterInnen waren offen für revolutionäre Ideen. Letztlich aber retteten Weltkrieg und Aufstieg zur führenden imperialistischen Macht den US-Kapitalismus.

Blicken wir nun auf die diesjährige Präsidentschaftswahl: Bernie Sanders hat bis zu seinem unrühmlichen Schwenk zur Unterstützung Clintons Millionen von Menschen Hoffnung auf eine Alternative geboten. Dieser Prozess setzt sich nun in der Kampagne Jill Steins fort. Aber droht hier nicht ein „großes Übel“ (Trump), wenn man nicht das „kleinere Übel“ (Clinton) unterstützt? Diese Unlogik hat die US-ArbeiterInnenschaft genau in den Sumpf geführt, in dem sie jetzt steckt.

Unter Präsident Obama (Demokrat) ging die Schere zwischen Arm und Reich weiter auf. Dass Trump verrückt scheint (oder es sogar ist), ändert nichts daran, dass unter Hillary Clinton wie bisher das „reiche Amerika“ herrschen würde. Die rassistisch durchsetzte Polizei wird weiterhin Schwarze erschießen und die imperialistischen Verbrechen der US-Militärmaschinerie werden global weitergehen.

Kapital und Bürgertum haben die Auswahl: Sowohl „Republikaner“ als auch „Demokraten“ sind Bollwerke gegen nachhaltige soziale Veränderungen und die Infragestellung des Kapitalismus. Es ist dabei völlig unerheblich, wie sehr DemokratInnen ab und an „links blinken“ oder dass es auch Reibungsflächen zwischen den Parteien gibt.

Wenn auch nicht im Ausmaß der 1930er, so nehmen heute Zahl und Bedeutung unabhängiger Kämpfe von arbeitenden und unterdrückten Menschen zu. Um die vielschichtige ArbeiterInnen-Klasse zusammenzuführen und für einen „system change“ zu mobilisieren, sind der Bruch mit dem Zwei-Parteien-Zirkus und die Bildung einer unabhängigen ArbeiterInnen-Partei unabdingbar.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Zahlen und Fakten: Armut in den USA:

Gefängnisse statt Soziales:

Der Gefängnisapparat der USA kostet jährlich 80 Milliarden Dollar, jede Hinrichtung absurde 24 Millionen Dollar – dieses Geld fehlt im Sozialbereich, im Bildungswesen und bei der Schaffung neuer Jobs.

Die USA haben mit 706 Inhaftierten auf 100.000 EinwohnerInnen die höchste Gefangenenrate weltweit (Österreich: 98 auf 100.000). Dafür kommen auf 10.000 EinwohnerInnen nur 31 Spitalsbetten (Österreich: 78)

Insgesamt befindet sich jedeR 45. AmerikanerIn entweder im Gefängnis oder auf Bewährung.

Rassismus:

12,6 % der schwarzen Bevölkerung gelten als arbeitslos – hingegen nur 6,6 % der Weißen. Dafür sind ca. 4.400 von 100.000 farbigen Männern hinter Gittern, ca. 1.800 von 100.000 Latinos und nur ca. 700 von 100.000 Weißen. Im Durchschnitt verdienen AfroamerikanerInnen in den USA 30-40% weniger als Weiße im selben Job. Dafür werden sie überproportional oft von der Polizei schikaniert und erschossen.

KrankenverUNsicherung:

Das US-amerikanische Gesundheitssystem ist pro Kopf pro Jahr doppelt so teuer wie das deutsche Gesundheitssystem (7.536 $ bzw. 3.692 $). Der Sektor ist nach wie vor stark privat organisiert. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Kosten verzehnfacht. Dennoch sind 45.7 Millionen Menschen in den USA NICHT krankenversichert bzw. können keine staatliche Hilfe beanspruchen.

Reichtum – Armut:

2012 gab es in den USA 3,4 Millionen MillionärInnen und knapp 2.000 MilliardärInnen, während rund jedeR sechste AmerikanerIn unterhalb der Armutsgrenze (9.000 € / Jahr – in Österreich: 14.000 € / Jahr) lebt. Besonders schwer trifft es AfroamerikanerInnen (27,4 %) und die hispanische Bevölkerung (26,6 %). Am stärksten ist die Armutsgefährdung für Jugendliche.

Walmart: Arm trotz Arbeit

Der größte Arbeitgeber in den USA, Walmart, hat USA-weit 2,2 Millionen Beschäftigte, von denen ein großer Teil wegen der geringen Entlohnung nicht ohne öffentliche Zuschüsse auskommt. Das Einstiegsgehalt liegt knapp über dem Mindestlohn und der Stundenlohn macht nur 43% des Durchschnittslohnes aus!

Quellen: Der Spiegel, Welt.de, Wikipedia, FAZ, Manager-Magazin, Presse, Die Zeit, Harvardmagazine, Statista, Kurier, WHO

 

Mehr zum Thema: 
Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Seiten